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Er liebt mich, er liebt mich nicht

[Secret Love]
von

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Es dämmerte bereits, als sich Takeda auf den Weg zur schuleigenen Bibliothek machte. Sie würde in knapp zehn Minuten schließen. Takeda war sich dessen durchaus bewusst, er hatte es mit einkalkuliert. Da Hirakawa den Großteil seiner Freizeit in der Bibliothek zu verbringen schien, hatte Takeda sich vorgenommen, ihn nach Torschluss dort abzufangen. Das war die einzige Gelegenheit, noch vor dem morgigen Unterrichtsbeginn von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu sprechen. In Ruhe - und vor allem: allein.

Takeda hatte sich lange überlegt, wie er dieses Gespräch anfangen sollte, welche Worte die Richtigen wären. Aber ein möglicher Anfang war ihm alberner vorgekommen als der andere. Vielleicht: Du hast mich doch wiedererkannt, oder? Ich bin's, Aki Takeda. Oder besser: Wieso hast du dich nicht mehr bei mir gemeldet, nachdem du hierher gezogen bist? Nein, zu vorwurfsvoll. Am besten mit einem unverfänglichen Thema beginnen, Kendô vielleicht.

Die Tür zur Bibliothek schwang auf und Hirakawa trat ins Freie, zwei Bücher unter den linken Arm geklemmt. Ihm folgte eine junge Frau, zog hinter sich die Tür zu und drehte einen Schlüssel im Schloss herum. Es musste sich um die Bibliothekarin handeln. Sie trug eine Brille mit schmalem Silberrand und eine elegante Hochsteckfrisur, keinen strengen Dutt, wie es Takeda vielleicht erwartet hätte, sondern eine lockere Verflechtung, aus der sich einige widerspenstige Strähnen gelöst hatten und ihre Ohrläppchen umspielten. Er konnte nicht bestreiten, dass sie attraktiv war, obwohl sie um einiges älter sein musste als er selbst.

Nachdem die Frau die Tür verriegelt hatte, wandte sie sich Hirakawa zu. Aus dieser Entfernung konnte Takeda nicht verstehen, was sie sagte, doch die beiden wirkten unbestreitbar miteinander vertraut. Und sie kamen direkt auf ihn zu. Takeda war wie erstarrt.

»Ich verspreche dir, du wirst es lieben«, konnte er die Bibliothekarin nun sagen hören.

»Da bin ich sicher«, gab Hirakawa zurück. Seine Stimme war eine völlig andere als die, mit der er Kuroi bedacht hatte, weich wie fallendes Herbstlaub im Wind.

Die beiden schlenderten an Takeda vorbei, ohne auch nur Notiz von ihm zu nehmen; als wäre er nichts weiter als einer der Bäume im angrenzenden Park oder vielleicht eine Ente, die sich verlaufen hatte.

Sie waren bereits einige Meter weiter in Richtung des Wohnheims gegangen, als Takeda sich endlich aus seiner Starre befreien konnte. Alle Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren vergessen. Sein Kopf war völlig leer. Und doch umklammerte er mit aller Kraft diesen einen verbliebenen Gedanken: Er durfte Hirakawa jetzt nicht einfach gehen lassen, er durfte die Gelegenheit, endlich unter vier Augen mit ihm zu sprechen, nicht vergeuden.

»Hirakawa!«

Takeda rannte ein Stück, um dann, leicht außer Atem, vor Hirakawa und seiner Begleitung zum Stehen zu kommen. Sie wirkte überrascht, sein Gesicht glich dem einer Statue.

»Ist das ein Freund von dir, Ryo?«

Ein freundliches Lächeln umspielte die Mundwinkel der Bibliothekarin. Takeda hätte es ihr am liebsten vom Gesicht gewischt. Er konnte nicht sagen, wieso, aber dass sie Hirakawa beim Vornamen nannte, machte ihn rasend vor Wut.

»Geh doch schon mal vor, Rika«, gab Hirakawa zurück, ohne sie anzusehen. Das allerdings schien sie nicht im mindesten zu irritieren. Wie gut sie sich kennen mussten...

»Ein Geheimnis also? Ich mag Geheimnisse.«

Als sie ihn umarmte, drehte sich Takeda der Magen um.

Lass die Finger von ihm!, hätte er am liebsten geschrien, aber es gelang ihm, sich zu beherrschen.

»Bis morgen dann!«, flötete die Frau fröhlich und wandte sich dann zum Gehen.

Takeda machte sich nicht einmal die Mühe zu warten, bis sie außer Hörweite war, ehe er Hirakawa anfuhr: »Wer war das denn?!«

»Das geht dich nichts an«, gab Hirakawa zurück, die Stimme so eisig, wie sich Takeda den Tod vorstellte und doch vermochte sie die Wut, die heiß in seiner Brust brannte, nicht zu löschen.

»Weißt du eigentlich, dass ich mich nur wegen dir an der Seikô angemeldet habe? Und du behandelst mich die ganze Zeit über wie Luft!«

»Was?«

Ein falsches Lachen verzerrte Hirakawas Züge: »Das ist so ziemlich das Lächerlichste, was ich je gehört habe.«

»Was sollte ich denn machen? Du bist einfach abgehauen, dein Handy war nicht erreichbar und auf meine Briefe hast du auch nie geantwortet.«

»Ich hatte keine Zeit.«

Takeda erstarrte. Seine Worte aus Hirakawas Mund. Dieselbe eiskalte Lüge.

»Willst du mich verarschen?«

»’Nen Versuch war’s wert, oder? Bist du eigentlich so egoistisch oder so naiv? Ist dir nie auch nur eine Sekunde lang in den Sinn gekommen, dass ich dich vielleicht gar nicht wiedersehen WILL?«

Der Stoß traf Takeda mitten ins Herz. Er musste um Luft ringen, seinen Kreislauf am Leben erhalten. Er durfte nicht zulassen, dass seine zittrigen Knie den Dienst versagten und nachgaben.

Die Lösung war so einfach, wieso hatte er sie nicht gesehen? Natürlich, weil er sie nicht hatte sehen wollen. Weil er gedacht hatte, er könnte zu seinem alten Leben zurückkehren, wenn er nur Hirakawa wieder an seiner Seite wüsste; dass so alles wieder einen Sinn ergeben würde, ergeben musste.

Hirakawa wandte sich ab. Ohne ein Wort des Abschieds ließ er Takeda allein zurück. Zurück mit dem Warum, das sich immer und immer wieder in seinem Kopf drehte. Was war vor einem Jahr geschehen? Was war in diesem letzten Jahr geschehen? Was hatte alles so sehr auf den Kopf stellen können? Hirakawa so sehr verändert, ihn selbst so sehr verändert? Was?

Langsam tat Takeda einige Schritte rückwärts. Hinter sich spürte er eine Bank, die er bis eben nicht bemerkt hatte und ließ sich dankbar darauf sinken. Langsam legte er den Kopf in den Nacken und starrte zu den Sternen empor, die nach und nach am dunkelblauen Himmel erblühten, als hoffte er, sie könnten ihm eine Antwort auf seine Fragen geben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  May_Be
2015-04-20T08:01:08+00:00 20.04.2015 10:01
Wow... einfach nur wow. Ich glaube, ich habe mich in deinen Stil verliebt :D


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