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Geheimnis in Dalaran

von

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Das Kristallherz


 

*****
 

 

»Macht sofort, dass es aufhört!«, schrie Dreorwyn, während die Schriftrolle, die er angefasst hatte um sie zu lesen auf einmal in Flammen aufging und er sie von sich wegstieß. Sein Kopf dröhnte, als würde dieser jeden Augenblick platzen. Über dem Magier schwebte eine violette, kleine Wolke, die sich langsam zusehends rot verfärbte.

 

»Ihr müsst ruhig bleiben, Dreorwyn!«, entgegnete Gnimo und löschte das brennende Papier, welches auf dem Boden gefallen war mit einem Handwisch. »Und vor allen Dingen NICHTS anfassen!«

 

Dreorwyn fuchtelte mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum, als die rote Wolke plötzlich kleine Regentropfen absonderte, die auf ihn herabregneten. »Ihr habt mir das eingebrockt! Ihr seid nicht in der Lage es rückgängig zu machen! Also MUSS ich doch etwas tun!«

 

Der Gnom stemmte seine Hände beleidigt in die Hüfte und stierte zu Dreorwyn hinauf. Seine weißen Haare waren zu einer halbwegs annehmbaren Frisur auf toupiert, doch die tiefen Falten verrieten sein wirkliches Alter. In Ordnung, vielleicht auch nicht, bei Gnomen konnte man schließlich nie so genau wissen. Auf jeden Fall war Gnimo schon sehr alt und runzelig. Aber seine Augen waren wach und klar, was man ihm nicht zutrauen würde. Er war in eine Muster besetzte, violett rote Robe gehüllt, die genau auf seine Größe zugeschnitten war. »Ich habe Euch gefragt, ob Ihr den Zauber über Euch ergehen lassen wollt!«

 

»Zu dem Zeitpunkt sagtet Ihr mir aber nicht, dass er noch nie getestet worden ist!«, brüllte Dreorwyn zurück und starrte genervt zu der Regenwolke hinauf, deren Tropfen immer größer zu werden schienen und er nach kurzer Zeit bereits in einer kleinen Wasserpfütze stand.

 

»So wird das nichts.«, murrte Gnimo abweisend und mit einem Klatschen seiner Hände verpuffte die Regenwolke über Dreorwyn. »Ich kann nicht den ganzen Tag hinter Euch aufräumen. Außerdem befürchte ich, dass es noch schlimmer wird. Was ist noch einmal im Steinkrallengebirge geschehen?«

 

Dreorwyn fuhr sich mit seiner Hand gestresst durch die schwarzen Haare. »Ein Busch begann zu brennen...«, murmelte er und schloss seine Augen. Er fühlte sich so machtlos und gleichzeitig so vollgestopft, als hätte er kein Ventil es herauszulassen. Anstatt dass er besser Magie wirken konnte, schien es nun so, als würde er selbst Magie produzieren und das Fassungsvermögen seiner Zellen läuft über und die Magie brach aus ihm heraus.

 

»Es wird also noch schlimmer werden.«, murrte Gnimo, während er einen Stapel Bücher wieder zurück in die oben liegenden Regale schweben ließ. Diese hatten alle keine Antwort auf die Frage gegeben, wie - oder ob - man den Zauber rückgängig machen konnte. Dreorwyn rieb sich stöhnend seine Schläfen. »Maratras müsste jeden Augenblick eintreffen. Er wird Euch helfen.«

 

»Kann er es Rückgängig machen?«, fragte Dreorwyn hoffnungsvoll, doch der Gnom schüttelte niedergeschlagen seinen Kopf. »Er kann Euch das Mana entziehen, damit Ihr mir hier nicht explodiert.« Etwas knallte und anstatt der herumliegenden Schriftrollen standen nun Schafe in dem Raum die laut blökten und begannen einige Bücher anzuknabbern. Gnimo schloss genervt seine Augen. »Herrje, könnt Ihr nicht schlafen oder so?«

 

Dreorwyn ließ sich in einer Ecke des Raumes fallen. »Wenn Ihr mir verratet, wie ich mit diesem Druck in meinem Kopf an Schlaf denken könnte!«, murrte er verzweifelt und legte seinen Kopf nach vorne. Der Magus grub seine Fingernägel in seinen Nacken. Diese Kopfschmerzen waren nicht auszuhalten. Seine Augen waren blutunterlaufen und seine Haut wirkte krank. »Ihr seid ein beschissener Beschwörer.«, knurrte er fast, während er versuchte an etwas normales zu denken. Doch in einer Welt, die förmlich von Magie durchflutet war wie die Azeroths, noch dazu in einer Stadt, welche gemeinhin die Stadt der Magie war, war dies nicht ganz so einfach.

 

Ein energisches Klopfen an der Tür ertönte und beide sahen auf, während die Schafe in dem Raum noch immer ihre tierischen Laute von sich gaben. Die Türe war allerdings keine wirkliche Türe. Im Grunde genommen konnte man sie als ein Stück massives Holz bezeichnen, welches den Eingang versperrte. Sie besaß kein Schloss. Das Klopfen erstarb allerdings nicht, sondern wurde immer intensiver. »Wer ist da?«, fragte Gnimo laut durch die verschlossene Türe und begann damit ein Schaf nach dem anderen wieder in die eigentliche Schriftrolle zurück zu verwandeln, während die anderen sich vergnügt weiter über die Bücher her machten.

 

Zunächst bekamen beide keine Antwort, dann rief eine weibliche, tiefe Stimme. »Ich bin es, Tolyria! Mach auf du kleiner Gartenzwerg! Ich brauche meinen Goldschmied und ich weiß genau, dass er da drin ist!«

 

»Auch das noch...«, stöhnte Dreorwyn verzweifelt, während er seinen Kopf nach hinten gegen die Wand knallen ließ. Vielleicht half ja etwas Schmerz gegen diesen Druck? »Ich habe ihr doch gesagt, dass ich weg bin.« Gut, er hatte Tolyaria, der Meisterschmiedin und irgendwo auch seiner Lehrmeisterin gesagt, dass er für eine Woche im Steinkrallengebirge sein würde, um Riwena und die Gemeinschaft zu besuchen. Die Woche war zwar schon lange verstrichen, aber er hatte auch angedeutet, dass ein eventueller Verzug nicht ausgeschlossen sein könnte.

 

»Woher willst du wissen, dass er hier ist?«, fragte Gnimo sichtlich genervt und laut rufend durch die verschlossene Tür, die eigentlich keine Tür war, während ein weiteres Schaf zurück zu einer Schriftrolle gewandelt wurde. Durch den Vorfall mit Dreorwyn und dem jetzigen Stress vergaß der vornehme Gnom und Inschriftler sogar seine Manieren und die förmliche Anrede gegenüber der herrischen Schmiedin.

 

Kurz war es stumm vor der Tür. »Willste mich verarschen?! Dein Haus hat gerade nen neuen Anstrich bekommen! Nen grünen!« Dreorwyn verdrehte entwaffnet die Augen und rieb sich seine Schläfen. Das konnte doch nur alles ein Alptraum sein. »Außerdem fangen Schwerter nich einfach das fliegen an! Und nachdem keine Lehrlinge der Kirin Tor da sind um Schabernak zu treiben, sondern sich darum kümmern, dass alles wieder 'normal' wird und du n beschissener Magier bist, kann nur der Edelsteinheini dahinter stecken!«

 

»Ich hasse sie.«, murrte Dreorwyn leise und starrte düster zu der Blockade am Eingang. Doch zumindest in einem Punkt stimmte er Tolyria voll und ganz zu. Gnimo war ein beschissener Magier, oder zumindest ein Beschwörer. Schafe zurück in Schriftrollen wandeln, konnte er. Es kam schon einmal öfters vor, dass Tolyria ihre Beherrschung verlor, meistens bei ihrer Arbeit, wenn die anderen Schmiede nicht sauber arbeiteten. Aber nachdem was sie berichtete, fühlte er sich sehr unwohl.

 

»Jetzt ist es rot!«, brüllte die Sin'dorei nach mehreren Momenten von draußen durch die Tür.

 

»Ist ja gut!«, rief Gnimo heraus, der inzwischen im Gesicht rot angelaufen war, nachdem das letzte Schaf wieder eine Schriftrolle war und mit einem weiteren Handwisch verschwand die massive Tür. Die braunen, langen Haare der Sin'dorei waren zu einem dicken Zopf geflochten und sie stampfte in ihrer Arbeiterkleidung in den Inschriftlerladen, die teilweise rußgeschwärzt war. Ihre grünen Augen fixierten Dreorwyn, der in der Ecke noch immer zusammengesunken vor sich hin starrte. »Bist du verrückt? Wenn du so weiter machst, schmeißen die dich noch aus der Stadt raus!«

 

Dreorwyn hob sein Gesicht mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen. »Ich hatte angenommen, es würde sich auf einen Raum beschränken.«, murmelte er leise, während sich eine dünne Frostschicht über seine Beine zog. Doch irgendwie fehlte dem Magier die Motivation sie zu beachten. Er hatte nicht gewollt, dass sie mitbekam, in welches Chaos er sich hinein manövriert hatte. Doch nun stand die Sin'dorei mit einem strafendem Blick und den Händen in die Hüfte gestemmt vor ihm. Ob er jetzt seine Anstellung verlor?

 

Tolyria zog die Augenbrauen zusammen, während sie ihn skeptisch musterte. »Was isn mit dem los?«, fragte sie schließlich den Gnom zu ihrer Seite, der nur schulterzuckend den Kopf schüttelte. »Ein fehlgeschlagener Zauber. Und seitdem zaubert er ohne es zu wollen.«, seufzte er leise.

 

»Was?!«, Tolyria sah Gnimo an, als habe dieser den Verstand verloren. »Du und deine verrückten Experimente! Hab dir doch gesagt, dass die nur Ärger bringen!«, tobte sie, während sich die Frostschicht langsam über den Fußboden zog. »Und kannst nichts dagegen machen, oder bist du son Sadist, dass du ihn nicht von dem Zauber erlöst?«, schnauzte sie kaltschnäuzig den Inschriftenkundigen an. Dabei warf sie immer wieder einen prüfenden Blick zu Dreorwyn um diesen genau zu Mustern.

 

Gnimo seufzte schwer und ausdauernd lange. Doch bevor er etwas antworten konnte, steckte ein junger Mann seinen Kopf durch den Eingang. »Störe ich?«, fragte er. Die hellblauen Augen des Mannes schweiften durch den Raum und blieben dann schließlich zwischen Tolyria und Gnimo hängen. Das braune, kurze Haar war im Nacken etwas länger und war zu einem kurzen, dünnen Zopf zusammengebunden worden. Er trug eine grüne Lederweste und eine braune Leinenhose mit dazu passenden Stiefeln. Die Kleidung des Mannes war stellenweise mit kleinen, goldenen Mustern bestickt.

 

Der Gnom wandte sich zunächst mürrisch zu dem Besucher um und er wollte bereits erwähnen, dass der Laden für heute geschlossen hatte, doch dann hellte sich seine Miene auf. »Maratras! Dem großen Zahnrad sei Dank, komm rein und kümmert Euch um den Mann, bevor er noch den kompletten Boden einfriert und wir hier herum schlittern dürfen.«, sagte er fingerfuchtelnd in Dreorwyns Richtung zeigend. Der Magier seufzte nur kläglich. Am liebsten wollte er im Erdboden versinken, doch das bewirkte seine frei herumwirbelnde Magie schließlich nicht.

 

Maratras trat in den Raum und musterte den Magier in der Ecke, der sich lustlos daran machte an seinen Oberschenkeln entlang die Frostschicht abzureiben. Langsam wurde es doch kalt darunter. Leider sah es nur nicht so aus, als wäre dies sehr von Erfolg gekrönt. Maratras ging vor Dreorwyn in die Hocke und musterte ihn eingehend. Der Magier hob nur seinen Kopf um ihn anzusehen. Die Gesichtszüge seines Gegenübers wirkten freundlich und fast noch jungenhaft. Allein Dreorwyns Aussehen hätte Maratras dazu veranlassen können, dass er wieder zurückgewichen wäre. Das mürrische »Was?«, von Dreorwyn hätte dafür alleine nicht ausgereicht.

 

Doch Maratras schien die Ruhe weg zu haben. Freundlich lächelte er und legte zwei Finger einer Hand auf Dreorwyns Schläfe. »Das könnte jetzt etwas weh tun, Magus. Aber es wird Euch Erleichterung verschaffen.« Feinstaubähniche Partikel aus Mana lösten sich mit einem Türkisen Schimmer, als er die Finger von seiner Schläfe zurückzog, so als würden diese direkt aus Dreorwyn herausgezogen werden. Dreorwyn stöhnte leise und krümmte sich zusammen. Es fühlte sich an, als würde mit Gewalt ein Stück seines Gehirnes aus ihm herausgerissen werden und ein ebenso tiefes Loch hinterließ es auch in ihm. Doch dann entspannte er sich nach mehreren Herzschlägen, als die Erleichterung durch seinen Körper floss und diese viel größer war, als der Schmerz der zurückblieb.

 

»Gut, das wären schon einmal zwei Manasteine.«, murmelte der Mann, der in der Hocke vor ihm saß und zwei kleine Murmeln vor sich in der Hand hielt. »Der Rest wird nicht so abrupt sein, versprochen.« Der Magier hob seinen Kopf zu Maratras und nickte ihm dankbar und jetzt auch sehr entkräftet zu. Die Erleichterung und die darauffolgende Erschöpfung brach über ihn herein, als hätte er ein Jahrzehnt nicht geschlafen. Dreorwyn spürte, wie er weiter machte, mehr Mana aus ihm heraus sog und diese in weitere, kleine Manasteine umwandeln würde. Doch diesmal sehr viel langsamer und angenehmer, sodass er sich seiner Erschöpfung hingeben konnte.

 

Die Stimmen drangen nur noch dumpf zu ihm, als würde er in einem einzelnen Raum, oder hinter einer dicken Glasscheibe sitzen. »Also ist er krank?«, fragte Tolyria ungeduldig mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ihr Blick wanderte von der Ecke in der Dreorwyn lehnte und Maratras ihm so gut es ihm möglich war Linderung verschaffte, wieder zu dem Gnom. »So könnte man es durchaus auch nennen, ja.«, entgegnete Gnimo und wandte sich ihr wieder mit einem mürrischen Gesichtsausdruck zu. Schließlich verlief das Gespräch nicht unbedingt zu seinem Vorteil.

 

Die Meisterschmiedin schnaubte ungehalten. »Und du kannst den Zauber nicht wieder rückgängig machen?« Gnimo schüttelte energisch seinen Kopf. »Ich weiß nicht wie. Ich habe den Zauber der das verursacht hat durch einen Zufall gefunden und ihn... sagen wir so, etwas abgeändert.« Tolyria starrte den Gnom mit einer gerümpften Nase und ungläubigen Blick an. Ihr strafender Blick sprach Bände. Gnimo hob abwehrend die Arme. »Ich kann doch auch nichts dafür! Vielleicht liegt es an seinen Zellen oder so, dass sich der Zauber so merkwürdig auswirkt!«

 

Die Sin'dorei stöhnte genervt. »Also...«, raunte sie und rieb sich die Stelle zwischen Nasenrücken und Augen. »Er produziert eigenständig Mana - wie auch immer - kann es aber nicht fassen, weswegen es in unkontrollierte Zauber überschlägt?«, fasste sie zusammen. Gnimo nickte zustimmend. »So könnte man es durchaus nennen, ja.«

 

»Anu Belore...«, murmelte sie und schüttelte ungläubig ihren Kopf. »Also müsste es etwas geben, das ihm die Magie entzieht so wie-«, sie deutete mit einem Kopfnicken wieder zu Dreorwyn und Maratras, der weiterhin dabei war ihm das Mana zu entziehen. Eine dritte Murmel aus violettem Glanz formte sich in seiner Handfläche und ihm stand leicht der Schweiß auf der Stirn. »Ich glaube kaum, dass sich Dreorwyn damit zufrieden geben wird, wenn wir ihm jemanden an die Seite stellen der-«, begann Gnimo, doch die Blutelfe unterbrach ihn unwirsch. »Kim'jael! Das meinte ich nicht!«, schnaubte sie ungehalten und drehte sich mit einer wegwerfenden Handbewegung zum Gehen um. »Ich weiß was er braucht. Ich werde es besorgen.«

 

Mit diesen Worten verließ sie die Inschrifterstube. Dreorwyn sah noch wie sie ging, doch dann schloss er seine Augen und glitt in einen unruhigen, erschöpften Schlaf über. Der Druck in seinem Kopf war immer noch vorhanden, doch lange nicht mehr so groß wie noch am Morgen.

 

 

 

Drei Tage lang hatte Maratras ihm die Magie entzogen und um die dreißig Manasteine hatte er nur durch diese überschüssige Magie herstellen können, doch inzwischen wirkte selbst er mit seinem Latein am Ende. »So kann es auf jeden Fall nicht weiter gehen.«, murrte er öfters als nur einmal, als er von einem Spaziergang wieder zurückkam, oder nachdem er gerade aufgestanden war. Man konnte gut behaupten, dass der Mann voll eingespannt war. Doch Dreorwyn konnte nicht wirklich viel dazu beitragen. In ihm schien ein stetiges Ungleichgewicht zu herrschen. Entweder war er so ausgetrocknet von Magie, dass er sich nicht mehr bewegen konnte, oder er war unruhig, wegen dem Überschuss. Es war Dreorwyn sichtlich unangenehm, dass er Maratras eine solche Last war, doch wenn er ihn fragte winkte dieser lediglich mit einem leichten Lächeln ab. Auch wenn er völlig kaputt wirkte. »Macht Euch deswegen keine Gedanken, Dreorwyn. Die Manasteine kann ich gut gebrauchen.« Das war auch der Grund, weshalb er ihm half, weil er die Manasteine für seine Pläne benötigte. Welche Pläne das allerdings waren, hatte er ihm nie verraten.

 

Am vierten Tag kehrte Tolyria zurück. Sie hatte ein paar Worte mit Gnimo gewechselt, der sie zunächst skeptisch angesehen hatte. Dann jedoch wirkte er einsichtig. Maratras blieb vorsichtshalber in der Nähe, sollte etwas schief gehen, während sich die Sin'dorei dem Magier gegenüber setzte. Sie packte einen Edelstein aus ihrer Tasche, der noch zusätzlich in einen funkelnden und Runenverzierten Stoff gehüllt war. Sie berührte den Stein nicht selbst, als fürchtete sie, einen Fingerabdruck darauf zu hinterlassen. Die Blutelfe überreichte Dreorwyn den Kristall in seine ausgestreckte Hand und zog den Stoff zurück. Er war bereits geschliffen und wirkte filigran, elegant und leicht. Doch selbst der Magier spürte, dass das Aussehen nicht das einzig sonderbare an diesem Edelstein war. Dreorwyn hob ihn auf Augenhöhe um ihn besser in Augenschein nehmen zu können, doch Tolyria senkte seinen Arm wieder in seinen Schoß. »Nicht bewegen. Ich habe das noch nie gemacht und ich muss mich konzentrieren.«

 

Dreorwyn folgte ihrem Befehl, während die Blutelfe mit ihrem Zeigefinger auf seine Brust tippte und schließlich auf den Stein in seinen Händen. Sie wirkte dabei äußerst konzentriert, als würde sie einen Zauber weben. Der Edelstein glühte zunächst matt violett auf, dann strahlte er für einen Wimpernschlag und dann dimmte das Leuchten beständig ab. Zufrieden hob Tolyria die Mundwinkel und ihr grün schimmernder Blick hob sich zu ihrem Gegenüber. »Dies ist ein Kristallherz, Dreorwyn.«

 

»Ein Kristallherz?« Der Magier hob nur fragend eine Augenbraue und musterte seine Lehrmeisterin, weshalb sie etwas weiter ausholte. »Ihr könnt es auch einen reinen Edelstein nennen. Einen Speicher für die Magie. Doch ein Kristallherz hat noch immer einen bestimmten Nutzen, eine Funktion. Normalerweise bindet man ihn an eine Magiequelle, beispielsweise Ley um so eine direkte Verbindung zu einer nutzbaren Magiequelle zu haben. Da dein Problem aber darin besteht zu viel Magie in dir zu haben, habe ich seine Funktionsweise verändert. Es geht ganz einfach, sofern man einige Kenntnisse über diese Steine hat. Ich habe ihn auf dich angepasst, sodass dein derzeitiger Manahaushalt wieder einen Normalstand erreicht. Das Kristallherz speichert die überschüssige Magie in sich, wie ein endloser Manastein. Sollte es doch einmal vorkommen, dass sich zu viel Magie ansammeln sollte, dann setzt das Kristallherz diese gespeicherte Magie wieder frei in die Welt. Du kannst es so sehen...«, begann sie und deutete mit einer Handbewegung ernst auf sich. »Die Sin'dorei haben gelernt das Mana aus Lebewesen zu entziehen, da der Sonnenbrunnen zerstört war und wir der Sucht anheimfielen. So reagiert auch das Kristallherz nun auf dich. Allerdings saugt er dich nicht völlig leer, sondern nimmt nur stets einen Teil in sich auf. Wenn der Speicher voll wird, setzt er den Überschuss frei, damit er nicht überlastet wird.«

 

Dreorwyn hob eine Augenbraue, als er begann, langsam zu verstehen. »Magie entziehen um sie selbst zu nutzen.«, murmelte er leise. Tolyria nickte zufrieden, vermutlich da er sie verstand. »Immer wenn du Magie wirkst, wirst du automatisch zuerst die gespeicherte Magie des Kristallherzens antasten. Erst wenn dieser Speicher leer ist, wird die Magie deiner Umgebung angetastet. Also achte in Zukunft darauf wie du Magie nutzt.« Sie erhob sich wieder und klopfte sich nicht vorhanden Staub von der Hose, während Maratras und Gnimo sie beobachteten. Maratras sah dabei zwar erleichtert doch nicht gänzlich zufrieden aus. Auch wenn er jetzt schon sehr viele Manasteine hatte, schienen sie ihm nicht zu genügen. Aber das konnte Dreorwyn egal sein. Er war so erleichtert, dass sich eine Lösung für sein Problem finden ließ. »Außerdem unterdrückt er den Fluch etwas. Aber du solltest darauf achten, dass du in Zukunft mindestens einen Zauber am Tag wirkst. Ein Portalzauber eignet sich dazu hervorragend.« Sie zwinkerte ihm grinsend zu. »Und ab morgen erwarte ich dich wieder in meiner Schmiede.«

 

Dreorwyn nickte matt und drehte den Stein zwischen seinen Fingern. Die Oberfläche war glatt, angenehm und kühl. Es war ein praktischer Speicher, er würde wissen, wie er ihn nutzen musste. Dennoch wäre es ihm lieber, wenn der Zauber auf ihm wieder aufgehoben werden würde, doch Gnimo hatte bis jetzt noch keine Lösung gefunden. Vermutlich würde er auch in Zukunft keine finden. Letzten Endes war er nun doch irgendwie an das gewünschte Resultat gekommen, wenn auch mit Umwegen. »Und jetzt leg dich hin.«, riss ihn Tolyria's barsche Stimme aus seinen Gedanken. »Du siehst beschissen aus. Also ruh dich aus.«

 

Der Mann lächelte erschöpft. »Reizend.«, murmelte er, während sich die Sin'dorei umdrehte und mit großen Schritten aus dem Raum stampfte. Vermutlich wusste sie, dass sie ihm hiermit eine immense Last von den Schulten genommen, wenn nicht sogar sein Leben bewahrt hatte.

 
 

*****
 

 

Der Magier ließ die Skizze dort liegen, wo er sie im Regal gefunden hatte und rieb sich stattdessen die Augen. Was für eine aufregende Zeit das gewesen war. Er hätte sehr gut auf sie verzichten könnten. Seitdem hatte er sich stets an ihre Vorgabe gehalten, auch wenn er eine Zeit lang nicht hatte zaubern können. Danach war er einen riesigen Sprung in seinen magischen Künsten nach vorne gemacht. Er verdankte Tolyria sehr viel. Wie sehr wünschte er sich, diese Willensstarke Frau würde noch leben, doch sie fiel der Säuberung zum Opfer, wie so viele ihrer Art. Eine weitere Seele, die er gemocht hatte und die durch die grausame Hand des Krieges Azeroth genommen worden war. Er wünschte es würde enden, doch dieser Gedanke war reines Wunschdenken. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war - so schlimm der Zwist mit der Horde auch war - den Verlassenen konnte man nicht vergeben.

 

Mit schwerem Herzen wanderten seine Augen das Regal weiter hinab. Dreorwyn spürte die Nostalgie, die in dem Regal innewohnte, aber auch die Last, die sich über seine Schultern legte. Eine Last und eine Angst, die er immer mit sich tragen würde, denn seine Schuld klebte an ihm wie ein Schatten, der ihn stetig verfolgte. Mittig standen drei Bücher und eine Münze, die unter einer Glasglocke gesichert von Staub ruhte. Doch nun, dies war nicht der einzige Grund, warum die Münze gesondert dort stand.

 

Seine Finger umschlossen ein Buch mit einem dunklen Ledereinband. Als er es herauszog musste er seine Nase rümpfen. Das Buch sah nicht nur modrig, zerfleddert und über die Jahre hin stark mitgenommen aus, es roch auch danach. Warum hatte der Magus also ein so altes Buch, das aussah, dass es jeden Augenblick aus dem Einband raus fliegen würde? Doch bereits die erste Seite gab Aufschluss darauf. Auch wenn die Handschrift grauenhaft war und nur schwer leserlich.

 
 

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