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Nosse

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Nosse

Es war… seltsam. Wer hätte geglaubt, dass sie irgendwann hier stehen würde? Gewiss nicht Lileth. Aber sie tat es. Sie stand dort und der weiche Stoff des Kleides umschmiegte ihre Haut, während sie Thorin beobachtete.

Es war nicht leicht ihm die Nervosität anzumerken. Für die meisten Menschen mochte er unerschütterlich wirken wie ein Stück Fels. Aber vielleicht kannte sie ihn inzwischen zu gut, um auf die Maske hereinzufallen. Sie wusste nicht, was es war, aber etwas verriet ihr, dass ihn das hier keinesfalls kalt ließ.

Dann war dort Ninafer und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Vor ihrem Spiegelbild war sich Ishara tatsächlich hübsch vorgekommen, Thorins Braut aber… war wunderschön. Das Kleid folgte ihren weichen Bewegungen und umspielte ihren Körper wie eine zweite Haut. Erheiterung zuckte in Lileths Mundwinkel, als sie in Ninafers Frisur die bunten Haarbänder entdeckte, die kunstvoll eingewoben worden waren.

Es fühlte sich immer noch unwirklich an, hier und jetzt mehr als zuvor. Es war vorbei. Lumiel war gerettet und mehr als nur das. Thorin war auf den Königsthron zurückgekehrt, vom Volk erwählt und nun damit beschäftigt, die Wunden des Landes wieder zu heilen.

Nur Monate waren vergangen, seit sie ihm in Herothing begegnet war. Aber es fühlte sich an wie ein ganzes Leben. Es hatte sich so vieles verändert und nun würde es das erneut. Diese Hochzeit war nur ein Symbol dafür. Für den Beginn einer neuen Zeit.

Ishara sah die Blicke der beiden, wie sie sich begegneten, sah, wie sie einander berührten, mehr als nur körperlich. Sie war froh, freute sich von ganzem Herzen und fühlte zugleich doch einen leisen Stich von Traurigkeit. Es war gut zu sehen, dass die, die ihr am Herzen lagen glücklich sein würden, doch seit der Kampf zu Ende war, war die Angst zurückgekehrt. Ein dunkler Schatten, der nicht mehr von ihr wich. Auch jetzt nicht.

Die Blonde hatte es vielleicht nie wirklich gewollt, aber… solange sie an Thorins Seite gekämpft hatte, hatte sie zumindest eine Aufgabe gehabt. Einen Platz in der Welt, wenn sie sich seiner auch nie sicher gewesen war. Aber das war vorbei, sie hatten gesiegt und plötzlich wusste Lil nicht mehr, wohin sie gehörte. Oder nein, sie wurde sich wieder bewusster, wohin sie nicht gehörte.

Erinnerungen an ihre Mutter und auch an Garien regten sich und wurden beinahe gewaltsam unterdrückt. Sie hätten nur weh getan. Wozu? Sie hatte bereits in Esgaroth begriffen, dass es in dieser Welt keinen Platz gab. Nicht für sie, es gab keinen Grund wieder damit zu hadern. Thorin hatte ihr für eine Weile einen Ersatz geboten. Eine andere Art von Familie. Aber es war nur geliehen. Das war es von Anfang an gewesen…

Ob die beiden wohl bald eine richtige Familie gründen würden? Thorin würde vielleicht eine zweite Tochter haben, zurückbekommen, was er vor so langer Zeit verloren hatte…

Sie wünschte es ihm, wirklich und von ganzem Herzen und sie lächelte, obgleich ihr bei dem Gedanken ganz elend zumute war. Sie hatte Glück gehabt, für eine kleine Weile. Und das… musste reichen, ganz einfach. Wichtiger war doch die Gewissheit, dass die, die sie liebte, glücklich waren. Oder nicht? Und das schienen sie zu sein, als sie ihnen von ihrem Platz aus zusah, wie die Worte gesprochen, Thorin und Ninafer offiziell vereint wurden. Sie wollte dankbar sein, nicht traurig. Dankbar für die geliehene Zeit, für den Augenblick. Sie war hier und was immer sein würde, sie konnte sich erinnern…

Lil wusste es ja besser, hatte es die ganze Zeit besser gewusst, aber wann hatte das je eine Rolle gespielt? Im Augenblick war es leicht unsichtbar zu werden. Erst Recht nach der Hochzeit.

Inmitten all des Trubels. Thorin war mehr als beschäftigt damit, das zurückgebliebene Chaos in Lumiel zu ordnen, nicht davon zu reden, dass fieberhaft nach einer Lösung gesucht wurde, um zu verhindern, dass La Coeur in ein paar Jahren in einem unterirdischen See versank. Nicht zu reden von so vielen Dingen.

Da war kaum Platz für irgendetwas und sie wusste es - und die Halbelbe wusste auch, dass er es anders sehen würde. Thorin würde sie nicht einfach fortschicken, sicher nicht. Aber das letzte was sie wollte war, zur Last zu werden, zu einer Verpflichtung. Das konnte und wollte sie weder ihm noch sich selbst antun.

Tage vergingen. Sie konnte nicht einfach ohne ein Wort irgendwohin verschwinden und das wusste Lil auch. Das würde ihnen wahrscheinlich weh tun. Und vermutlich dazu führen, dass Thorin sich verpflichtet sah, ihr zu folgen. Aber es ging nicht darum, wie ein trotziges Kind davon zu laufen. Nur darum… Platz zu machen.

Also würde Ishara mit ihm sprechen müssen, sich verabschieden und einen wirklich guten Grund bereithalten, damit er sie gehen ließ. Nur welchen? Ihre Erinnerungen schweiften zurück. Nur ein paar Wochen, Monate. Jetzt fühlte es sich an, als wäre da alles einfacher gewesen und dabei wusste sie, dass es Unsinn war. Aber mit Thorin und Mortimer… Der Gedanke ließ sie inne halten. Mortimer!

Sie wussten bis heute nicht, was wirklich mit dem Künstler geschehen war. Es schien mehr als zweifelhaft, dass er lebte, aber niemand konnte sicher sein, nicht wahr?

Würde Thorin sie gehen lassen, um ihn zu suchen? Und auch wenn Lileth keinen Augenblick lang daran glaubte, dass ausgerechnet sie den Künstler finden konnte… Warum sollte sie es nicht wirklich versuchen? Sie hatte kein besseres Ziel und nichts zu verlieren. Das war eine Reise, die eine Rückkehr mehr als unwahrscheinlich machte… es klang beinahe perfekt. Und falls sie ihn doch fände oder das, was jetzt von ihm übrig war… musste sie vielleicht doch nicht allein sein.

Die Halbelbe nahm sich Zeit, um ihre Worte zurecht zu legen, sich vorzubereiten, so gut es möglich war. Sie musste den Glatzkopf irgendwo abpassen. Sie wollte nicht mit ihm sprechen, wenn Ninafer dabei war. Ninafer würde es verstehen, da war sie sicher. Wahrscheinlich würde sie es sogar viel zu gut verstehen. Und so harrte die Blonde, den wenigen Besitz, den sie ihr Eigen nannte, fertig gepackt und verstaut wie der Jäger auf seine Beute.

Dort war er, tatsächlich allein und ihr Herz begann wild zu schlagen, Nervosität machte ihre Hände schwitzig.

Lileth nahm sich die Zeit, ihn einen Augenblick lang zu betrachten. Thorin wirkte müde und erschöpft, frustriert und beinahe hätte der Mut sie wieder verlassen. Es musste doch nicht heute sein, nicht wahr? Es konnte auch morgen sein, irgendwann… aber es würde dann auch nicht leichter mit ihm zu sprechen.

„Thorin?“, sie löste sich zögernd aus dem Schatten. Der Hüne schien nicht überrascht. Vielleicht verbarg er es nur gut, vielleicht hatte er sie längst bemerkt. „Kann ich…“, fuhr sie, eingeschüchtert durch sein Schweigen und den alles andere als freundlichen Blick fort. Er hörte ihr zu, musterte sie durchdringend und Ishara schluckte. „Kann ich kurz mit dir sprechen? Ich denke ich… würde gerne nach Mortimer suchen. Weißt du ich…“

Erneut unterbrach sich die Halbelbe, irgendetwas in seinem Gesicht brachte sie dazu und dazu einen halben Schritt zurück zu weichen. Thorin trat auf sie zu, noch immer schweigend, bis er vor ihr stand und der Impuls zu flüchten beinahe übermächtig war. Was für ein Unsinn. Als ob er ihr etwas tun würde… und doch fühlte es sich beinahe so an wie damals in Arnands Keller…

„Nein“, erklärte der König schließlich schlicht, ehe sie fortfahren konnte. Ishara tat sich schwer seinem jetzt finsteren Blick zu begegnen.

„Du hast daran mitgewirkt, dass mein Hintern wieder auf diesem Thron gelandet ist. Also wirst du mir auch mit dem Rest helfen und dich nicht einfach aus der Affäre ziehen“ erklärte Thorin mit festen Worten und in einem Ton, der keinen Widerspruch erlaubte.

Erneut kehrte Schweigen zwischen ihnen ein, weil er gesagt hatte, was zu sagen war und sie sich kaum daran erinnerte, wie man überhaupt sprach. „Aber…“, brachte die Halbelbe schließlich mühsam hervor, völlig aus dem Konzept gebracht. Nicht nur, weil er sie so leicht durchschaut hatte, sondern auch von diesen Worten. Und weil sie das, was sie dabei empfand nicht einmal benennen konnte. Sie hatte gewusst, dass er sie nicht einfach sich selbst überlassen würde. Aber dies… war ihr wie ein guter Kompromiss vorgekommen. Lileth fühlte sich klein unter diesem Blick.

Es ging ja nicht darum, dass sie nicht helfen wollte aber… wie denn? Der Gedanke mochte ihr am Gesicht abzulesen sein, denn seines wurde etwas weicher, als er sie betrachtete.

„Du warst in letzter Zeit zu viel allein. Das bringt dich nur auf dumme Gedanken“, knurrte er noch immer etwas verstimmt. „Ab morgen wirst du mich begleiten, zu… diesem ganzen Kram. Du wirst dich wahrscheinlich zu Tode langweilen, aber wenn das nötig ist, um dich von solchem Unsinn abzuhalten… und jetzt komm, ich bin am verhungern.“

Er griff nach ihr, wollte sie mit sich ziehen und Lil ließ es geschehen. Folgte ihm ein paar Schritte wie benommen. Das war… falsch. Das war nicht, was sie erwartet hatte… schon wieder… oder immer noch? Widerstand, gewiss, aber das hier war keine Abwehr, das war Kompromisslosigkeit. Und gewiss nicht, weil er auf wirkliche Hilfe hoffen konnte. Das musste Thorin doch wissen…

Vielleicht, war es ihm egal. Die Tatsache, dass er sie bei sich haben wollte bedeutete noch immer mehr, als sie hätte ausdrücken können. Aber sie war nicht sicher, ob das wirklich etwas besser machte, oder etwas änderte. Vielleicht hieß es nur, dass es zu früh war. Dass sie noch ein wenig warten musste. Es würde weh tun, sehr wahrscheinlich, aber… das würde es ohnehin in jedem Fall. Wenn sie also noch ein wenig mehr Zeit leihen sollte, damit es für ihn leichter würde… als könnte sie es jemals ablehnen.

„Thorin?“, fragte Ishara schließlich mit leiser Stimme und er hielt inne, wandte sich um. Der Blick fragend, aber misstrauisch. Doch es ging nicht darum jetzt darüber zu diskutieren, im Gegenteil. Sie hatte ihm nie wirklich danken können, nie ausgesprochen, was er für sie getan hatte.

„Ich…“, sie stockte, Hitze schoss ihr ihr in die Wangen. Sie wollte, wollte wirklich, aber sie konnte einfach nicht in Worte fassen, was sie empfand, was es ihr bedeutete. Immer noch nicht, vielleicht nie. Aber vielleicht verstand er es trotzdem, denn plötzlich hellte sich die Miene des Hünen auf und er bedachte sie mit einem breiten Grinsen, dass ihr die Röte nur noch stärker ins Gesicht trieb.

Familie… trotz allem spürte sie, wie ihre Mundwinkel sich verzogen und sie das Grinsen mit einem vorsichtigen Lächeln erwiderte.

Familie.



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