To the new You
2. K A P I T E L
To the new You
- Ω -
Sie durfte das Atmen nicht vergessen. Sakura musste Atmen! Atmen musste sie. Doch stattdessen starrte sie ihr steinern Gegenüber. Ihr Gesicht spiegelte ihr Inneres wieder, ihre gesamte Fassungslosigkeit und Entsetzen. War das real? Sie zweifelte an ihrem Verstand. War der Sasuke, der nun vor ihr stand, echt? Passierte das wirklich?
Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben. Niemand rührte sich. Niemand sagte etwas. Niemand. Sie nicht. Er nicht. Sie sahen sich einfach nur an. Während er sie vollkommen gleichgültig aus seinen zwei verschiedenen Augen musterte, war ihr Blick unruhig und nervös. Wie hätte die Haruno aber auch nicht nervös sein können? Düster erinnerte sie sich daran zurück, was vor zwei Jahren geschehen war. Sie hatte ihm wieder ihre Liebe gestanden. Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr sie das Ganze verdrängt hatte. Sie hatte nie daran gedacht, was passieren würde, wenn sie ihm wieder gegenüber stehen würde. Diese Gedanken hatte sie stets unterbunden. Mal bewusst und unbewusst.
Sakura schluckte leicht und öffnete den Mund. Ihre Unterlippe zitterte. Sie war sich nicht sicher, ob sie einen Ton rausbringen würde. Ob sie ihm in die Augen sehen und etwas sagen würde. Sie zögerte. „W-was machst du... hier, Sasuke-kun?“, fragte sie atemlos und leise. Ihr unsicheres Stimmchen war nur ein Hauch, doch sie sich sicher, dass sie ihn erreicht hatte.
In ihr ging es drunter und drüber. Schon lange hatte sie nichts so sehr durcheinander gebracht! Sie hatte ihr Leben so schön geregelt gehabt und jetzt lief alles aus der Bahn. Unter anderem war er nun auch Schuld. Er, der vor ihr stand. Endlich. Nach zwei, ewig langen Jahren. Wie sehr sich die Zeit doch gezogen hatte.
„Ich hatte doch gesagt, dass wir uns wiedersehen würden“, antwortete der Schwarzhaarige ihr besonnen.
„Was ist, wenn ich dich darum bitte, dass du mich mitnimmst?“ Sakura sah beschämt weg, sie sah zu Boden, während sie sich immer mehr anspannte. Sie hatte es ausgesprochen. Sie hatte es ein erneutes Mal gewagt, ihn zu fragen, ob sie ihn mitnehmen würde.
„Diese Reise ist eine Art Erlösung für mich“, sprach Sasuke bedacht und schloss einen Moment seine Augen. „Meine Sünden haben nichts mit dir Zutun.“
Ihre Schultern sackten auf einmal ein und sie senkte den Kopf. Eine Abweisung. „Nichts mit... mir Zutun?“, murmelte sie tonlos vor sich hin und verkniff sich ein Seufzen. Wie hätte sie auch mit einer anderen Antwort rechnen können?
Sie hörte Schritte, die auf sie zukamen und hob zögernd den Kopf. Er stand vor ihr, hatte die Hand gehoben und tippte auf ihre Stirn. Seine Berührung war federleicht, aber dennoch so präsent. Sie blickte ihn überrascht an und spürte, wie ihre Wangen brannten. Die Mundwinkel des Uchihas hatten sich ganz leicht gehoben. Noch war es kein Lächeln, aber es war ein Anfang. „Wir sehen uns, wenn ich wieder da bin.“
Und er stand nun tatsächlich vor ihr, wie er es versprochen hatte. Nach zwei Jahren, in denen sie ihm selten einen Gedanken gewidmet hatte. Sakura presste die Lippen zusammen, während ihre Sicht allmählich verschwamm. Er hatte doch tatsächlich daran gedacht. An das Versprechen, an sie.
„Stimmt“, meinte sie mit einem gebrochenen Lächeln und nickte. „Das hattest du gesagt. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du dich auch daran halten würdest.“
Trotz ihres Widerstandes und ihrer gesamten Mühe rannen ihr einzelne Tränen über die Wangen, die sich schnell wegwischte, ehe sie sich seufzend hinkniete und begann, ihre Einkäufe wieder aufzusammeln. Selbst nach Jahren fand sie sich in Tränen wieder. Manche Dinge würden sich eben nie ändern.
Die Grünäugige räusperte sich, versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. „Bleibst du dieses Mal auch?“, fragte sie weiter und sah nicht auf, sondern stopfte die frischen Tomaten, die sie sich gekauft hatte, in die weiße Tüte. Sie wollte nicht, dass er mitbekam, wie sie weinte. Aber sie war sich andererseits sicher, dass er es erahnen konnte.
Sie nahm wahr, wie er ihr näherkam. „Scheint so“, erwiderte Sasuke und es hörte sich irgendwie nachdenklich an. Als wäre es eine Entscheidung gewesen, bei der er sich nicht ganz sicher gewesen war. Als hätte es ihn viel Überwindung gekostet. Beinahe, als hätte er seine Zweifel gehabt. Letztlich war er eben auch nur menschlich.
Die Haruno verstaute noch die letzte Dose Bohnen, ehe sie ihre zwei Tüten packte und langsam aufstand. Er blieb nun genau vor ihr stehen und sie merkte, wie sie zu ihm hoch sehen musste. Ihre hellgrünen Augen glänzten feucht, doch sie lächelte ehrlich. Aus ganzem Herzen. „Willkommen zurück, Sasuke-kun.“ Ihre Hände verkrampften sich. Es fiel ihr so schwer, nicht einfach grundlos in Tränen auszubrechen. Sie konnten diesen Druck in ihrer Brust kaum in Worte fassen, es nahm ihr die Luft zum Atmen.
„Danke, Sakura.“ Seine Stimme klang tiefer. Männlicher. Vertraut und fremd zugleich, so dass sie sich einen Moment fragen musste, ob sie diesen jungen Mann vor ihr wirklich kannte oder nicht. Aber natürlich kannte sie ihn. Mehr als nur das.
Alte Gefühle holten sie ein, wurden belebt durch sein Auftauchen. Eine Flut von Erinnerungen überkam sie. Einzelne Bilder spielten sich vor ihrem inneren Auge ab. Es war so viel passiert, dass sie nun endlich an diesem Punkt angelangt waren. So viele Dinge waren geschehen. Und sie bereute nichts von alldem, nichts würde sie ändern wollen.
Sakura lächelte noch ein letztes Mal, ehe sie sich umdrehte und ging. Einfach so, als hätten sie nicht mehr zu bereden. Ihr Gespräch war beendet und sie würde ihm nicht überschwänglich um den Hals fallen. Nicht jetzt. Und auch nicht in naher Zukunft.
Team Sieben war älter geworden. Das hatte sie nun endgültig begriffen.
- Ω -
„Wow“, war Inos knapper Kommentar, nachdem die Rosahaarige ihr die Geschehnisse des letzten Abends geschildert hatte. Sie saßen zusammen auf der Couch der Blonden, tranken Tee und sollten eigentlich über Gott und die Welt reden, lachen, vielleicht etwas lästern – und nicht über Uchiha Sasuke reden.
„Wow? Willst du nicht vielleicht etwas mehr dazu sagen?“, schnaufte Sakura aufgebracht und verzog verzweifelt das Gesicht. Ihre beste Freundin könnte ruhig mehr zu der ganzen Sache äußern, denn ein einzelnen Wow brachte sie nicht großartig weiter.
„Naja“, begann die Yamanaka vorsichtig und grinste schief, ehe sie sich räusperte. „Das Ganze ist doch gut. - Oder?“
Ihre rosahaarige Freundin stutzte. War das jetzt gut oder schlecht? Anscheinend wusste Ino darauf auch keine Antwort, denn sie hatte ihre Aussage samt einem fragenden oder beendet.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte sie und strich sich frustriert über die Stirn. Und sie wusste es wirklich nicht. Eigentlich sollte sie sich freuen und glücklich sein, aber sie hatte ihre hier und da Zweifel. Zweifel, die sie nicht erklären konnte. Zweifel, die sie nicht in Ruhe lassen wollten.
„Aber das Gute ist doch, dass du ihn jetzt ganz für dich alleine hast“, meinte Ino vielsagend und lächelte sie heiter an. „Ich kapituliere!“
Sakura grinste trocken und verdrehte die Augen. Natürlich würde die Blonde kapitulieren. - Sie war ja auch seit einem Jahr mit Sai zusammen. Vor einigen Monaten waren sie sogar zusammengezogen. War ja klar, dass sie der Haruno Sasuke freiwillig überlassen würde. Allerdings war das auch das kleinste Problem. Sie hatte noch keinen Gedanken an ihre früheren, pubertären Wünsche verschwendet.
„Und was ist mit Naruto?“, kam die verständnislose Frage aus der anderen Zimmerhälfte und die Rosahaarige schaute Sai verstört an, der zu ihnen rüber starrte, statt weiterzuzeichnen. „Ich hätte schwören können, dass ihr Zwei zusammenkommen würdet.“
Sai war somit der Einzige, der der Überzeugung war, dass irgendetwas in diese Richtung zwischen ihr und ihrem besten Freund laufen könnte, obwohl dieser glücklich mit Hinata zusammen war. Wieso er ausgerechnet auf diesen Vermutung kam, war ihr ein Rätsel, aber vermutlich hatte er sich das in der Zeit, in der sie alle zusammen in einem Team waren, zusammengereimt. Anders konnte sie sich das auch nicht erklären.
Ino seufzte entnervt. „Sai, das ist ein Frauengespräch, also halt dich da raus, wenn du nichts davon verstehst!“, wies sie ihren Freund in Schranken, welcher dezent die Stirn runzelte und dann kopfschüttelnd weitermachte.
Soviel dazu. Sakura stöhnte leise. Vielleicht sollte sie noch einmal mit Naruto darüber reden. Wer weiß, vielleicht würde ihr das mehr helfen.
- Ω -
Naruto fand sie wie sooft um die späte Mittagszeit auf dem Trainingsplatz. Heute war er alleine da und stoppte abrupt sein Training, um sie überrascht zu begrüßen. In letzter Zeit war es zu einer Rarität geworden, dass sie ihrem besten Freund unangekündigt einen Besuch abstattete.
„Sakura-chan!“, stieß er perplex aus und kam blinzelnd auf sie zu. Sein freundliches Lächeln behielt er auf. „Was machst du denn hier?“
Sie wich seinem fragenden Blick einige Augenblicke aus, sortierte ihre Gedanken, ehe sie leicht lächelte. „Nichts. Ich wollte nachsehen, wie es dir geht.“ Oh, das war aber wirklich weither geholt. Das würde sogar so ein Idiot wie Naruto merken, der war ja auch nicht vollkommen bescheuert.
„Ist etwas passiert?“, fragte er skeptisch und zog geschickt die rechte Augenbraue in die Höhe.
Die Grünäugige zögerte und zuckte mit den Schultern. Vielleicht war der direkte Weg doch besser. „Hast du ihn schon gesehen?“, fragte sie ihn hoffnungsvoll. Doch sie kassierte einen lediglich verwirrten Blick.
„Wen denn?“, was seine konsternierte Gegenfrage.
Sie blinzelte. „Du weißt es noch gar nicht!“, entwich es ihr verwundert und sie schlug sie mit der bloßen Handfläche gegen die Stirn. Wundervoll.
„Was weiß ich nicht?“ Sie merkte, wie unruhig er wurde. Wahrscheinlich malte er sich das schlimmste Szenario in seinem Kopf aus und rechnete nicht mehr mit der guten Nachricht, wegen der sie eigentlich hier war. Wer hätte gedacht, dass sie es ihm nun sagen würde. In ihrer Vorstellung war der Uzumaki es immer, der ihr diese Nachricht überbringen würde. Das war zu mindestens immer ihr Ideal gewesen.
Sakura holte tief Luft. „Sasuke ist wieder da.“ So, nun war es raus und ihr war ein Stein vom Herzen gefallen. Jedenfalls fühlte sie sich jetzt um einige Kilos leichter als zuvor.
Er erstarrte, seine blauen Augen hatten sich ein Stück geweitet. „Was?“, hakte er ungläubig nach. Nun ja, diese anfängliche Ungläubigkeit hatte sie irgendwie erwartet. Sie hatte ja nicht wirklich anders reagiert, als der Uchiha vor ihr gestanden hatte. Ironie.
„Sasuke ist wieder da“, wiederholte sie sich geduldig und nickte zur Bestätigung. „Ich... ich habe ihn gestern getroffen. Wir haben etwas geredet. Er bleibt dieses Mal. Endgültig.“
Die beiden besten Freunde sahen sich einige Sekunden stillschweigend an, bis sich ein breites Grinsen, für das er berühmt war, auf Narutos Gesicht bildete.
„Ich – ich bin gleich wieder da!“ Mit diesen Worten verschwand er und sie wusste ganz genau, dass er nicht gleich wieder da sein würde. Sie kannte ihn eben viel zu gut.
Und nun stand sie einsam und verloren auf dem Trainingsplatz. Sie war kein bisschen schlauer als vorher, hatte keine Lösung, keine Hilfe, keinen Rat gefunden. Stattdessen war ihr lediglich klar geworden, dass sie sich einem Gespräch mit Sasuke stellen musste. Ein Gespräch, das ihr Klarheit und Antworten bringen sollte.