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Bellua

von

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Das Erwachen

Alles was sie sehen konnte, war ein weit entferntes Licht. Sie spüre nichts, außer der Kälte. Das war nicht ihr Zimmer. Ihr Zimmer war immer hell, immer warm. Dieser Ort fühlte sich unvertraut an. Wie war sie hierher gekommen? Immer wenn sie aufwachte, lag sie in ihrem Bett. Selbst wenn die weißen Männer sie abholten und sie auf ein anderes Bett legten. Sobald sie die Augen aufmachte, erblickte sie dieselben Wände wie jeden Tag, auch wenn sie sich in diesen Fällen danach lange schwach fühlte und ihr noch Stunden schwindelig war. Nur heute war es anders. Was war geschehen? Selbst der Boden war seltsam, wie sie feststellte als sie ihre zitternden Finger darüber streichen ließ. Er war an manchen Stellen weich, an manchen hart und vor allem war er sehr uneben und unbequem. Leider konnte sie aufgrund der Dunkelheit nichts erkennen und ihre Erinnerung teilte ihr keine Information mit, die zu dieser Art Untergrund passte.
 

Nur mit Mühe schaffte sie es aufzustehen und sich auf ihren wackeligen Beinen zu stemmen. Die nackten Füße fanden nur wenig Halt, so dass das Mädchen schließlich ungeschickt zur Seite kippte und an einer harten, rauen Wand abwärts schlitterte. Kniend legte sie ihre rechte Hand an den linken Oberarm, welcher leicht zu schmerzen begann. Tastend versuchte sie heraus zu finden, ob Blut heraus getreten war, doch es fühlte sich nicht feucht an und war scheinbar nur eine Schürfwunde. Zum Glück, denn die Strafe bei einer solchen Unachtsamkeit war sehr streng. Beim letzten Mal hatte sie sich nur einen Zeh gestoßen, der darauf blau anlief, was zur Folge hatte, dass ihre Lieblingspuppe für ganze 2 Tage aus ihrem Zimmer entfernt wurde. Es waren zwei lange und kalte Nächte in denen sie sich geschworen hatte, ab sofort besser aufzupassen und jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Selbst wenn dies hieße einen weiten Bogen um Ecken und Kanten zu machen.

Sich an der Wand stützend schaffte sie es nach einem weiteren missglückten Versuch aufrecht zu stehen und wagte einen Schritt vorwärts. Ihre Beine fühlten sich kraftlos und müde an, als würde irgendetwas sie lähmen. Doch jeder Schritt ließ sie sicherer werden, bis sie endlich erleichtert festen Boden berührte. Wenn sie wenigstens ihre Pantoffeln oder ein paar Socken hätte, die ihre Füße wärmen würden. Eine solche Kälte wie hier hatte sie lange nicht gespürt, vor allem weil sie nur in ein weißes Stück Stoff, das ihre Brüste bedeckte und eine weiße Unterhose gekleidet war. Jedoch empfand sie es momentan als noch unangenehmer, nicht zu wissen wo sie war und wie sie sich zurecht finden sollte. Noch nie war sie auf sich selbst angewiesen oder musste eigene Entscheidungen treffen. Sollte sie vielleicht einfach hier bleiben und auf Anweisungen warten? Oder war es sinnvoller sich diesem Licht in der Ferne zu nähern? Das Mädchen entschloss sich für die zweite Variante, denn zum einen vermittelte diese Finsternis ihr ein mulmiges Gefühl und zum anderen war Helligkeit immer etwas Positives gewesen. Wenn jemand auf sie wartete, dann mit Sicherheit dort.
 

Vorsichtig begann sie sich auf den entfernten Ort zuzubewegen und wandte ihren Blick nicht von dem hoffnungsvollen Leuchten ab. Es kamen ihr glücklicherweise keine weichen oder harten Objekte mehr in den Weg, über die sie stolpern konnte. Jetzt wo sie sich der Lichtquelle näherte, wurden seitlich die grauen Wände erkennbar, doch ansonsten sah sie nichts Erwähnenswertes. Immer weiter kam sie ihrem Ziel, bis nur noch wenige Meter zwischen ihm und ihr lagen und sie von oben herab angeleuchtet wurde. Die Augen wanderten nach vorne, weg von dem blendenden Strahlen und fielen auf eine fast versteckte Tür, deren metallener Griff das Licht reflektierte. Unsicher legte sie einen Daumen an die Unterlippe und starrte auf die Pforte, als würde sie sich von selber öffnen, wenn sie nur lange genug wartete. Sie wusste was zu tun war, aber bisher hatte sie noch nie alleine einen Raum verlassen, auch nicht ihr eigenes Zimmer. Ihre rechte Hand bewegte sich langsam in Richtung Griff und schwebte eine Zeit lang darüber, während sie versuchte gegen ihre Zweifel und Ängste anzukämpfen.

Als sie sich endlich überwand und vorsichtig durch die Tür hindurch trat, begutachtete sie erstaunt das Bild, das sich ihr auf der anderen Seite bot. Ein dunkler Raum, mit einem entfernten Licht zur ihrer Rechten, nichts unterschied sich zum vorherigen. Ohne wirkliche Alternative schritt sie weiter, dieses Mal ein wenig schneller. Das alles könnte ein Test sein, fiel ihr ein. Zwar hatten alle Prüfungen bisher in ihrem Zimmer oder in einer kleinen, beleuchtenden Halle statt gefunden und sie wurde auch jedes Mal vorher darüber informiert, aber die Möglichkeit bestand. Warum sollte man sie ansonsten ganz allein hier herum irren lassen? Der Zweck wäre ihr unschlüssig, wenn dies zutreffen würde, aber das war bei den früheren Experimenten ja nicht anders gewesen. Eine weitere Tür erschien vor ihr, die sie dieses Mal bereits nach wenigen Sekunden öffnete. Vorsichtig zog sie an dem metallenen Griff und sah vorsichtlich seitlich durch den Spalt.
 

Vor Schreck hätte sie die Tür fast wieder zugeschlagen. Das plötzliche Licht schmerzte in ihren Augen und verhinderte, dass sie im ersten Moment überhaupt nur irgendwas erkennen konnte. Erst als ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnten, ergaben die grünen und braunen Schemen ein deutliches Bild ab. Ungläubig und wie von Zauberhand geführt verließ sie den dunklen Raum und schritt hinaus in diese Welt, die sie bisher nur aus den Lehrbüchern kannte. „Baum“ sagte sie mit leiser, aufgeregter Stimme und hob den Kopf zu den hohen Ästen und den weit entfernten Baumkronen. Sie konnte sich nicht erinnern einmal etwas so schönes gesehen zu haben. Pflanzen hatte es bei ihr nicht gegeben, nicht einmal kleine. Erst jetzt sah sie herunter zu ihren Füßen und erkannte, worin sie dort stand. „Erde“ entfuhr ihr mit einem sich zögerlich bildenden Lächeln und mehrmals stapfte sie auf den weichen Boden unter ihr. Nur wenige Male hatte sie ein wenig Erde oder Sand bekommen, mit dem sie sich beschäftigen konnte. Es waren einige ihrer angenehmsten Erinnerungen, selbst wenn sie sich manchmal noch Tage danach kränklich im Bett lag.
 

Momentan herrschte in ihrem Kopf ein Zwist zwischen Neugier und Vernunft. Sie wusste nichts über diesen Ort und warum sie hier war. Also wäre es am besten sich einfach zu setzen und abzuwarten. Aber all diese neuen Eindrücke, die Farben, die Gerüche … es zog sie magisch an! Erst jetzt fand ihr Blick den blauen Himmel, der sich sogar noch weit über den höchsten Bäumen befand und sie für mehrere Minuten fesselte. Es bestand kein Zweifel. Das hier war die Außenwelt. Ein Platz, von dem sie oft geträumt hatte und den sie schon besuchen wollte, seitdem sie in der Lage war sich Dinge zu wünschen. Alles, was sie aus ihren Büchern kannte sollte sich hier befinden, auch alles was gefährlich war und sie verletzen konnte. Deswegen war der Zugang im Normalfall auch nicht gestattet, zumindest wurde es ihr so jedes Mal mitgeteilt, wenn sie nachfragte. Dass sie sich jetzt hier wiederfand, ohne dass irgendjemand auf sie aufpasste oder sie aufhielt, gab ihr ein mulmiges Gefühl. Vielleicht war es aber auch einfach nur die Aufregung, die sie tief in ihrem Innern verspürte.
 

Die langen, roten Haare hinters Ohr streichend, entfernte sich das Mädchen weiter und weiter von der Tür, die von hier aus nur schwer als solche zu erkennen war, da sie als einziges Objekt inmitten eines großen Hügels stand, in dem sich der Tunnel befand, den sie gerade noch entlang gewandert war. Mehrmals blickte sie zurück und tippte die Fingerspitzen aneinander, während ihr Verstand all diese neuen Eindrücke verarbeitete. Ihre Lippen öffneten sich leicht, als sie ihre flache Hand an die Rinde eines der größeren Bäume legte und über die raue Oberfläche streichelte. Längst hatte sie die Kälte vergessen, die die Härchen an ihrem Arm aufrecht stehen ließ und konzentrierte sich stattdessen völlig auf die Wärme, die dieser Baum ausstrahlte. Deutlich spürte sie das Leben, das in ihm steckte und von außen unmöglich zu erkennen war. Ruhig atmend lehnte sich das junge Mädchen an den Stamm und schloss die Augen.
 

Ein lautes Geräusch ließ sie aufschrecken. Es war ein dunkler, abgehackter Laut, den sie nicht einordnen konnte. Verunsichert starrte sie in die Richtung, aus der es zu kommen schien und machte mehrere Schritte rückwärts, bis sie an den nächsten Baum stieß. Noch war der Ursprung dieses Klanges weit entfernt, doch es kam bedrohlich schnell näher und wurde mit jeder Sekunde lauter. Dann hörte sie die Stimmen. „Diese Richtung! Sucht dort hinten!“ Sie kannte alle Stimmen der weißen Männer, die ihr immer gut zuredeten, ihr Dinge erklärten und begleiteten und diese gehörten nicht dazu. Zu aggressiv, zu fordernd wirkten sie und vermittelten ihr ein Gefühl von Furcht. Zusätzlich dazu hatten die kurzen, lauten Geräusche sie fast erreicht, doch sie konnte nichts erkennen aufgrund der vielen Pflanzen und Büsche die den Boden bedeckten. Ihre Hände krallten sich feste in die Rinde des Baumes und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Starr war ihr Blick vorwärts gerichtet, wo sich zwei braune Wesen aus den Pflanzen heraus bildeten. Der Mund des Mädchens formte zitternd ein einziges Wort. „Hund.“
 

Irgendetwas in ihr sagte „Renne!“ und sie rannte. Sie musste darüber nicht nachdenken. Das Knurren der Hunde und die furchteinflößenden Zähne hatten ihr übriges getan, so dass ihr Instinkt alles weitere übernahm. So schwach sich ihre Beine bis gerade eben noch anfühlten, nun schienen sie über erstaunlich viel Kraft zu verfügen. Von der Panik angetrieben jagte sie über die Blätter und Pflanzen, sauste an den dicken Stämmen vorbei und sprang über Wurzeln, jedoch würd es letztendlich nicht ausreichen. Jedes Mal wenn sie nach hinten blickte, waren die Verfolger ein wenig näher gekommen und sie war sich sicher, dass es sehr unangenehm werden würde, sollten diese Wesen sie erreichen. Was sollte sie nur tun? Wohin sollte sie gehen? Klettern hatte sie nie gelernt. Verstecken konnte sie sich nicht. Und vor ihr waren nichts als Bäume. War das noch immer ein Test? Sollte sie einen Ausweg finden? Aber wie? Sie konnte noch nicht einmal richtig nachdenken! Tränen begannen sich in ihren Augenwinkeln zu bilden, als sie merkte wie ihre Beine langsam nachgaben und ihr nicht mehr gehorchen wollten. Es war zwecklos.
 

Aufschreiend stolperte sie über einen liegenden Ast und konnte gerade noch verhindern, dass sie mit dem Gesicht auf einem Stein aufschlug. Beide Arme federten den Sturz ab und drehten sie sofort herum. Die Hunde verfolgten sie noch immer! In wenigen Sekunden würden sie sie erreichen und wahrscheinlich ihre Zähne benutzen um sie in ihr Fleisch zu bohren! Schluchzend und wimmernd aus Angst vor dieser Vorstellung kroch das Mädchen auf dem Rücken weiter voran und hielt den rechten Arm ausgestreckt. „Stopp!“ flüsterte sie leise, die Wangen bereits völlig benässt. Doch nichts geschah. „Stopp!“ sagte sie diesmal etwas lauter, mit brechender Stimme. Es hatte keinen Zweck, sie hörten nicht auf sie. Mit diesen Wesen konnte man sich nicht verständigen, das wusste sie. Aber ihr Geist rebellierte gegen ihren Entschluss aufzugeben und trieb sie an obwohl alles hoffnungslos erschien. Ein letztes Mal holte sie Luft, presste die Augen zusammen und schrie. „Stopp!!“

Ein schmerzvolles Janken und Jaulen ertönte in ihren Ohren nachdem sie das Wort ausgesprochen hatte. Der Schmerz blieb aus, obwohl sie sekundenlang darauf wartete. Und als sie die Augen wieder öffnete, wich die Angst vor dem Horror, den sie mitansehen musste. Sich windend und leidend lagen die beiden Hunde auf dem Rücken, eingehüllt in lodernde Flammen. Das Mädchen schaffte es nicht sich abzuwenden oder die Lider wieder zu verschließen. Die kurzen Beine strampelten hilflos in der Luft, bis die Tiere schließlich ihr Leben aushauchten und jede Bewegung einstellten. Die Tränen flossen nicht mehr, denn aufgrund des Schocks schaffte sie es nicht einmal zu weinen. „Warum?“ kam unverständlich aus ihrer Kehle, bevor sie sich endlich umdrehte und nicht mehr auf die verkohlten Überreste, deren beißender Geruch ihr in die Nase stieg, starren musste. Immer wieder gruben sich die Finger in weiche Erde und mühsam kroch das Mädchen um sich so weit wie möglich von diesem Ort zu entfernen.
 

Ihr leerer Blick war unentwegt auf den Untergrund gerichtet und erkannte nicht was vor ihr lag. Die Beine und Arme schürfte sie sich an den herumliegenden Steinen und Wurzeln auf, ohne die Schmerzen wirklich war zu nehmen. Auch, dass sie inzwischen aufwärts krabbelte fiel ihr nicht auf. Erst als sie das Gleichgewicht verlor und haltlos den Abhang herunter rollte, begann sie die Welt um sich herum wieder zu registrieren, jedoch zu spät. Mehrmals prallte sie ungebremst gegen Holz, riss Pflanzen mit sich und schaffte es nicht Halt zu finden. Am Ende der sich drehenden Welt schlug sie mit einem dumpfen Geräusch auf und konnte nicht einmal mehr genug Kraft mobilisieren um den Kopf zu heben. Blätter bedeckten ihren halbnackten Körper und schienen sie begraben zu wollen. Die Gedanken kreisten nur noch um den Grund, warum all das hier geschehen war. Sie hatte sich falsch entschieden. Sie hätte einfach warten sollen. Das hier war ihre Strafe. Ihre letzte Hoffnung war, einfach wieder in ihrem Zimmer aufzuwachen nachdem sie eingeschlafen war.



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