Zum Inhalt der Seite

Doors of my Mind 2.0

Ihr Freund. Mein Geheimnis
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Heiter bis wolkig mit 90% Dramödienwahrscheinlichkeit

Kapitel 7 Heiter bis wolkig mit 90% Dramödienwahrscheinlichkeit
 

Am Morgen renne ich nur mit Shorts bekleidet durch die Wohnung. Während das Wasser für Kaffee und Tee kocht, durchforste ich meine Unterlagen am Schreibtisch. Ich habe mir die Folien für die heutigen Vorlesungen ausgedruckt und kann sie einfach nicht finden. Ich ziehe alle Schubladen auf und reiße die Blätter heraus. Ein Umschlag fällt mir entgegen und ich stocke. Ohne hineinzusehen, weiß ich, um welchen Umschlag es sich handelt. Darin habe ich nach Raphaels Abgang das Ahornblatt und die silberne Kette gefunden. Unbewusst führe ich ihn zu meinem Gesicht und rieche an dem trockenen Papier. Ich fühle mich von den Gefühlen des Vermissens und der Schuld übermannt.
 

Wieso taucht er immer wieder auf? Warum kommt er mir immer wieder in den Sinn? Ich zweifele mittlerweile an der Entscheidung, doch nicht weggegangen zu sein. An einer anderen Uni in einer völlig anderen Stadt wäre vieles einfacher.

Trotz meiner Gedanken lege ich den Umschlag nicht beiseite, sondern ziehe die Lasche aus der Öffnung. Es befinden sich nur noch rote Krümel darin, die einst das Ahornblatt gewesen sind. Während meines Umzugs ist es einem verzweifelten Wutanfall zum Opfer gefallen. Immer wieder gab es diese Momente, in denen mich der Gedanke an Raphael übermannte und an diesem Tag hat mich eine Welle der Gefühle überrollt. Alles zu gleich. Wut, Verärgerung, Trauer, Enttäuschung und Sehnsucht. Die Sehnsucht war die Schlimmste und ich wurde sauer. Ich riss ein paar Bilder von der Wand und dabei auch das Ahornblatt. Als ich es aufhob, zerbröselte es schlicht weg unter meinen Fingern. Trotz Wut und Ärger hatte ich nach kurzer Zeit ein schlechtes Gewissen und am Ende auch noch geweint. Die Überreste habe ich eingesammelt und sie in den Umschlag zurückgetan. Ihn wegschmeißen konnte ich nicht, genauso, wie ich es nicht schaffe Raphael aus meinem Kopf zubekommen.

Ich packe den Umschlag erst zur Seite als Jake aus dem Bad kommt.

„Uff, du hast aber gewütet", sagt er lächelnd und rubbelt sich das Gesicht trocken, während er sich im Zimmer umsieht. Ich schubse den Umschlag schnell in die Schublade und schiebe sie zu.

„Ich suche meine Unterlagen für die Uni und hatte, wie man sieht bisher noch kein Glück."

„Dann such mal weiter. Ich mache Frühstück", bietet er an. Ich nicke bestätigend. Als er angezogen an mir vorbeikommt, haucht er mir einen Kuss auf die Wange und verschwindet in die Küche. Ich starre auf meinen Schreibtisch. Mein Herz ist unendlich schwer und die Schuldgefühle zerfressen mich.
 

Ich bringe meine Vorlesungen auch ohne die Unterlagen hinter mich, auch wenn ich mir sicher bin, dass ich sie finde, sobald ich zu Hause bin. Ich verabrede mich zwischendurch mit Shari und Paul und bin auch als Erster an unseren Treffpunkt. Ich öffne die SMS, die ich nach jedem Treffen mit Jake bekomme. In diesen bedankt er sich für den schönen Abend und gesteht mir jedes Mal aufs Neue, wie sehr er es genießt, mit mir zusammen zu sein. Doch diesmal steht noch eine Ergänzung dabei. Er hofft, dass wir uns bald wiedersehen. Mein Herz schlägt hart und schwer in meiner Brust, als ich es wiederholt lese. Ahnt er etwas? Ich habe mich ein wenig komisch verhalten, das stimmt. War ich ihm gegenüber abweisend? Nein. Im Grunde viel zu freimütig.

Mit einem Mal spüre ich schlanke Arme, die sich um meinen Bauch schlingen. Fest, aber liebevoll. Der zarte Karamellton ihrer Haut harmoniert perfekt mit dem violetten Shirt, welches ich trage. Ein blumiger Duft weht mir entgegen, gepaart mit einer feinen süßen Note. Ich schließe meine Augen und merke, wie ihre Umarmung noch fester wird. Shari drückt ihr Gesicht in meinen Rücken und ich spüre das schwere Seufzen, welches ihren gesamten Körper zu durchdringen scheint. Meine Hände legen sich auf ihre Arme, streichen über die warme, weiche Haut. Sie scheint fast haarlos und eindeutig makellos. Es fühlt sich ganz anderes an, als die Haut der Männer, die ich sonst spüre.

„Was ist los, liten blomma?", frage ich meine kleine Blume auf Schwedisch und spüre erneut, wie ihr gesamter Körper seufzt. Wir bleiben einen Moment stehen und dann löst sie sich von mir. Ich drehe mich zu ihr um und sehe in ein traurig wirkendes Gesicht. Es passt nicht zu ihr.

„Hey, was ist los?", frage ich besorgt. Sie blickt auf und ich streiche ihr eine verirrte Strähne des offenen Haares zurück.

„Wenn ich es dir erzähle, wirst du stinkig", erklärt Shari mir und ihre Unterlippe schiebt sich dabei nach vorn, sodass sie eine leichte Schnute zieht.

„Ich habe erst gestern geduscht und mich heute noch keine drei Meter bewegt, so schnell stinke ich nicht." Mein Witz zieht nicht. Ihr Blick ist weiterhin getrübt. Ich lifte meine Augenbraue und gehe gedanklich bereits durch, welche Themengebiete mich bei Shari auf die Palme bringen können.

Vielleicht ihr mangelnder Sinn für gute oder überhaupt schaubare Filme. Sie favorisiert Liebesschnulzen oder Liebeskomödien. und ich möchte mir jedes Mal die Haare raufen.

Möglichkeit zwei, ist ihre Gabe mir mein Eis wegzufressen, ohne, dass ich es merke. Zu dem schafft sie es immer wieder, dass wir ihre Lieblingssorten kaufen und nie meine.

Oder ihre fehlenden Geografiekenntnisse. Ich war erstaunt, dass sie auf dem Globus Indien gefunden hat. Sie hatte aber auch eine Viertelstunde dafür gebraucht.

Raphael. Im selben Moment kommt mir auch Andrew in den Sinn. Beide Kerle sind im Moment rote Tücher für uns. Na gut, Andrew ist für mich nur ein rosa Tuch.

„Okay, nun sag schon?" Ich lege beschwichtigend meinen Arm um ihre Schultern und drücke sie sanft an mich. In derselben Art, die auch mein Onkel Thomas bei mir anwendet. Shari sieht mich aufmerksam an, als würde sie abwiegen, ob sie es mir wirklich erzählen soll. Sie drückt ihr Gesicht seitlich gegen meine Brust und brabbelt los.

„Ich h...A...w.. abgesa..." Ich verstehe nicht mal die Hälfte. Ich schiebe mit zwei Fingern, die ich ihr gegen die Stirn drücke, ihren Kopf hoch.

„Wie bitte?"

„Ich habe Andrew abgesagt", wiederholt sie murrend und ich nehme die Finger von ihrer Stirn. Diese fällt wieder nach unten und auf meine Brust. Eigentlich hat sie morgen eine Verabredung mit Andrew und nach unserem gestrigen Telefonat hat sie zuversichtlich und erfreut geklungen. Ich weiß um ihre Vorbehalte und ihre Ängste. Für sie existiert keine Möglichkeit Andrew jemals in ihr Leben zu integrieren, da sie befürchtet, dass ihre Eltern ihn niemals akzeptieren werden. Ich verstehe auch, warum sie sich der Vorstellung verschließt, auch nur einen Moment mit ihm glücklich zu sein. Ich mache ihr nicht gerade vor, dass das erfüllend ist. Schließlich ist das mit meinem langjährigen Objekt der Begierde ziemlich in die Hose gegangen und gut geht es mir dabei auch nicht.

Shari weicht meinem Blick aus und schmiegt noch immer ihre Wange an meine Brust. Ich drücke sie sachte an mich. Eine Weile bleiben wir so stehen.

„Warum hast du dich umentschieden?", frage ich und ziehe den Geruch ihrer Haare in mich ein. Diesmal schnuppern sie nach Apfel. Ein leichtes Zucken ihrer Schultern drückt meinen Arm nach oben, dennoch antwortet sie.

„Ich will ihn nicht enttäuschen. Ich weiß, dass du das anders siehst, aber...", sagt sie und bricht ihre Ausführung ab. Sie ist traurig. Ich bin mir sicher, dass sie ihre Entscheidung trotz aller plausiblen Ausreden bereut. Ich denke an Jake und daran, dass ich das Gefühl habe auch ihn zu enttäuschen. Shari löst sich von mir und sieht mich an. Sie erkennt den Ausdruck in meinem Gesicht. Sie liest mich, wie kein anderer. Manchmal ist es unheimlich gruselig, aber oft auch sehr befreiend, weil ich ihr nicht umständlich erklären muss, was ich empfinde.

„Du machst das Richtige, Mark. Jake ist gut für dich." Ich weiß, dass sie Recht hat, aber macht es das wirklich richtig? Ich bin unsicher. Für einen Moment mustere ich ihr Gesicht. Ich sehe Zuversicht. Vertrauen und einen Schimmer Melancholie.

„Und Andrew wäre gut für dich. Du darfst dich nicht isolieren und dich damit geißeln, allein zu bleiben, weil deine Eltern vielleicht etwas dagegen haben könnten."

„Sagt der, der sich nicht traut, seinen Eltern zu gestehen, dass er schwul ist." Shari verschränkt die Arme vor der Brust und ich fühle mir auf den Schlips getreten. Der Umstand, dass sie Recht hat, macht es nicht weniger schmerzhaft.

„Touché", sage ich etwas beleidigt, lasse sie aber nicht los.

„Tut mir leid", murmelt sie mir entgegen.

„Nein, es ist die Wahrheit. Ich bin ein Idiot und du ziemlich dämlich."

„Ich würde ja temporär intelligenzschwach bevorzugen."

„Temporär? Hättest du wohl gern", kontere ich bissig und Shari steckt mir ihre Zunge raus.

„Gib euch doch die Möglichkeit. Einen Versuch mehr nicht. Ich hätte vieles für eine richtige Chance getan", gestehe ich ihr leise. Sharis Blick wird wieder forschend. Sie löst sich von mir und verschränkt ihre Arme vor der Brust. Ich weiche ihrem Blick aus und sehe dabei Paul, der langsam auf uns zu gelaufen kommt.

„Wir hatten unsere Chance und ich habe für mich eingeschätzt, dass es nicht funktioniert. Er hat mehr verdient, als ein Vielleicht. Genauso wie du, Mark.", erläutert sie mir die beißenden Stimmen in ihrem Kopf. Darauf weiß ich keine Erwiderung und schweige.

„Hier, passt du bitte kurz darauf auf. Ich geh schnell zur Toilette." Shari hält mir ihre Tasche vor die Nase und dreht sich um als ich danach greife. Hinter ihr steht Paul. Shari quietscht erschrocken auf.

„Verdammt Paul, warum schleichst du dich so an?", kreischt Shari aufgebracht und springt Paul fast in sein amüsiert grinsendes Gesicht.

„Mark hat mich gesehen, aka ist es kein Anschleichen", erklärt Paul, schüttelt seinen Lockenkopf und es fehlt nur, dass er mir die Schuld gibt. Ich schubse den Finger zur Seite, den Paul gerade hinter Sharis Rücken auf mich richtet.

„Eure Logik will mal einer verstehen, Jungs. Ich habe für so was keine Zeit. Mark, bleib ein paar Minuten artig und Paul, du bleib..." Ihr fällt nichts ein. Paul wendet sich prompt zu mir und grinst übertrieben.

„Siehst du, ich bin so perfekt, dass ihr nichts...absolut nichts einfällt." Er macht mit seinen Armen eine dampflokbetreibende Bewegung und dreht sich im Kreis. Seine wuscheligen Haare wirbeln dabei lustig umher. Sharis Augenbraue zieht sich derartig nach oben, dass man jeden Moment glauben könnte, dass sie im Haaransatz verschwindet.

„Sie wusste nur nicht, womit sie anfangen soll. Die Liste ist endlos", kontere ich für die schöne Inderin. Die Tasche stelle ich neben mir ab.

„Ja, redet euch das nur ein. Im tiefsten Inneren wisst ihr, wie wahrhaftig und perfekt ich bin." Während Paul das sagt, verdrehen sich Sharis braune Augen und ich verkneife mir ein amüsiertes Lachen.

„Dein Ego braucht einen eigenen Personalausweis, weißt du das?" Sie macht eine Ich-hab-euch-im-Blick-Geste und verschwindet dann auf die Toilette.
 

„Manno man, verbreitet ihr schon wieder einen Schneesturm." Er sieht ihr nach und schüttelt seinen Kopf.

„So ist das nun mal. Einem Hochdruckgebiet folgt meistens ein Tiefdruckgebiet. So ist das Klima. Und wenn man genau hinschaut, schweben über Sharis Kopf lauter Cumulonimben ", gebe ich, wie ein Wetterfrosch von mir. Ich mache mit meinen Händen eine Wattegreifende Bewegung. Paul sieht mich schräg von der Seite an.

„Cumulonimben?", fragt er mit einem seltsamen Gesichtsausdruck.

„Gewitterwolken", erkläre ich und Paul legt seinen Kopf schief. Ich frage mich, ob er mich nicht versteht oder es nicht verstehen will.

„Möglich sind auch Nimbostratus oder Cirrocumulus." Bei der Erwähnung letzterer Wolkengattung denke ich wieder an Schafe und Irland. Paul schaut mich entgeistert an. Okay, er will es nicht verstehen.

„Du hast mit dem meteorologischen Vokabular angefangen", kontere ich.

„Woher nimmst du bloß immer diesen Kram?", fragt er mich perplex.

„Ich bin ein Füllhorn des unnützen Wissens." Meine Schultern zucken nach oben.

„Eindeutig. Hast du Shari schon wieder verärgert?", fragt er weiter. Natürlich bin ich schuld.

„Nicht mehr, als sonst."

„Was ist dann euer Problem?"

„Sie will einfach nicht fremdgehen", sage ich als Anspielung auf unsere Scheinbeziehung, die Paul immer deklariert.

„Ein Hoch auf eure offene Ehe", kommentiert er prompt.

„Sie hat einem Date mit Andrew abgesagt und ich finde das zugegebenermaßen echt blöd."

„Ist das der Kerl aus eurer Schule?" Paul kennt den kompletten Sachverhalt nicht. Wir füttern ihn auch nicht unbedingt mit allen Informationen. Zu seinem Glück.

„Ja, genau der." Ich lehne mich an die Wand und schließe einen Moment lang die Augen. Wie kann ich sie umstimmen? Wahrscheinlich gar nicht. Ich glaube dennoch, dass es ihr guttun würde.

„Und was ist ihr Problem? Wird er aufdringlich? Ist er ein Idiot?"

„Überhaupt nicht. Er ist nett, zuvorkommend und intelligent. Der perfekte Mann für sie."

„Klingt extrem langweilig", sagt er lapidar und schiebt Sharis Tasche aus dem Weg, als eine größere Gruppe an uns vorbeikommt. Die Tasche kippt dabei um und einiges vom lösen Inhalt rutscht heraus. Hefter. Blöcke. Krimskrams, deren Bedeutung nur Frauen kennen. Genauso, wie nur Frauen wissen, wieso sie das alles mitschleppen müssen. Ich boxe Paul hart gegen den Arm und hocke mich hin, um die Sache wieder einzusammeln.

„Autsch, Mark, was soll das? Sie muss allein wissen, was sie will und wenn sie mich nicht will, dann läuft sowieso etwas falsch." Aufgebracht reibt er sich die lädierte Stelle. Ich starre auf die verteilten Sachen. Ihr Handy ist ebenfalls herausgefallen. Ich räume schnell den anderen Kram zurück und greife danach. Ich starre auf das dunkle Display. Ich tippe es an. Shari hat tatsächlich keinen Keylock. Paul hockt sich zu mir.

„Was tust du da?", fragt er mich argwöhnisch und sieht vom Handy zu mir und wieder zurück. Ja, was mache ich hier? Ich suche das Telefonbuch.

„Verhindern, dass du dich doch noch an sie ranmachst!", kommentiere ich und bin mir selbst nicht sicher, was ich vorhabe. Mein Daumen bewegt sich von ganz allein über das Display, öffnet das Telefonbuch und bleibt über Andrews Namen schweben.

„Du willst doch nicht Andrew in ihrem Namen anschreiben?", fragt er mich perplex und für einen kurzen Augenblick zweifele ich. Ich schiele zur Damentoilette, doch Shari kommt noch immer nicht heraus.

„Ich wollte ihn eigentlich anrufen, aber du hast Recht, meine Shari-Imitation ist noch nicht perfekt." Paul schlägt mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.

„Autsch. Ach komm, sie soll Spaß haben und lieben. Mehr nicht", erkläre ich mit mir selbst zweifelnd.

„Alter, das fällt dir auf die Füße und ich bin dann ein Mittäter."

„So möge uns der zornige Tama gnädig sein", säusele ich und tippe eine plausibel klingende Nachricht, die halbwegs nach Shari klingt. Noch einmal zögere ich.

„Mensch Mark, das wird eine ganz klischeehafte Teenager-Missverständis-Dramödie! Du tust es aus Freundschaft und aus Gutherzigkeit und sie wird einfach nur sauer, weil du dich in ihr Leben einmischst. Bämm, der perfekte Schnulzenplot. Nur, dass aus euch am Ende kein Paar wird."

„Dramödie?"

„Kofferwort aus den Begriffen Drama und Komödie. Hauptsächlich für Fernsehserien verwendet, deren Inhalt sich durch einen ausgewogenen Anteil von Humor und Ernsthaftigkeit kennzeichnet", zitiert er auf perfekten wikipedianisch.

„Ja, klar. Du hast schon ein bisschen zu viel Langweile, oder?" Noch immer hocken wir beide im Flur vor einen Damenhandtasche und müssen selten dämlich dabei aussehen.

„Du anscheinend zu wenig, denn sie bringt dich um, Mark", gibt mir Paul zu verstehen und ich schwanke weiter. Wahrscheinlich hat er Recht, aber Shari hat es verdient, glücklich zu sein und ich glaube wirklich daran, dass sie ihn noch einmal treffen sollte. Eine zweite Chance hat jeder verdient. In Sharis und Andrews Fall ist es Shari, die eine zweite Chance gebrauchen könnte. Ich denke an Raphael. Übertrage ich meine Probleme auf Shari? Ich fühle mich plötzlich mehr als unsicher. Mein Finger schwebt über dem Display. Sie wird mich lynchen, ohne Zweifel.

„Ich hatte ein gutes Leben", murmele ich, aber mein zögernder Finger verhindert, dass ich die Nachricht abschicke.

„Ah, verdammt."

„Braver kleiner Lakai.", kommentiert Paul meinen Rückzug. Ich ziehe mein eigenes Telefon hervor. Schnell tippe ich Andrews Nummer ab und beginne den Text zu löschen.

„Alter, schnell, sie kommt." Paul stößt mich an. Schnell werfe ich das Telefon zurück in ihre Tasche, bevor sie endgültig aus der Tür tritt. Fast tänzelnd kommt sie auf uns zu. Sie wirkt erfrischter und ruhiger. Bevor sie bei uns ankommt, stehen wir hektisch auf. Nicht ohne uns gegenseitig eindeutige Blick zu zuwerfen. Paul ist schockiert und schüttelt den Kopf. Ich schaue panisch und nicke. Meine Finger deuten auf ihn. Seine auf mich. Shari sieht uns argwöhnisch an.

„Was ist los?", fragt sie skeptisch, „Irgendwas Peinliches passiert?"

„Nein", kommt es wenig überzeugend von uns beiden. Shari kichert.

„Habt ihr euch versehentlich geküsst?", bohrt sie weiter und legt ihre Hand vor dem Mund, um sich ein eindeutiges Grinsen abzuschirmen. Noch ein Dramödienklischee.

„Nein", sagt Paul relativ neutral. Ich hingegen laut und energisch. Beide sehen mich überrumpelt an. Ich starre ebenso erschrocken zurück.

„Also, das hätte ich jetzt von Paul erwartet und nicht von dir, Mark." Shari blinzelt mir entgegen.

„Aber echt. Ich bin gerade echt beleidigt." Paul stemmt beide Hände in die Seite und macht einen auf gekränkt. Dann führt er seine Hand zu seinen Augen, legt sie darüber und schnieft theatralisch.

„Sehe ich aus, als küsse ich jeden x-Beliebigen?", frage ich säuerlich.

„Schon!"

„Ein bisschen." Die beiden wollen mich doch verarschen. Ich sehe sie entrüstet an.

„Du findest mich also nicht attraktiv? Ich bin...ich bin zutiefst verletzt", gibt Paul weinerlich von sich und ich fühle mich langsam wirklich verarscht. Shari tätschelt ihm sachte den Rücken.

„Wahrscheinlich bist du ihm zu blond", gibt Shari zu bedenken. Paul streicht sich seine blonde Wuschelmähne zurück. Shari tätschelt ihm weiter mitfühlend die Schulter und ich sehe beiden mit hochgezogener Augenbraue zu.

„Ey, seid ihr blöd", kommentiere ich und schnappe mir meinen Rucksack. Ich lasse sie ohne ein weiteres Wort stehen. Shari ruft mir hinterher, doch ich schmolle demonstrativ und stecke ihnen nur die Zunge raus.
 

Verstimmt lasse ich mich draußen auf eine Bank fallen, lege meinen Rucksack beiseite und lehne mich zurück. Ich weiß nicht mal, warum es mich eigentlich ärgert. Im Moment bin ich einfach zu empfindlich. Wie ein kleines Mädchen. Wie Maya. Der Gedanke lässt mich erschaudern. Ich ziehe meinen Schal an den Enden fester um meinen Hals und tue einen Moment, als würde ich mich erwürgen.

„Aaah, sind die doof. Unfassbar", mache ich meinem Ärger laut Luft. Ich seufze Gedanken versunken und lasse meinen Kopf nach hinten fallen. Kühler Wind streift mein Gesicht und lässt meine Haare kitzelnd über meine Ohren gleiten.

Was habe ich mir nur dabei gedacht Sharis Handy zu nehmen. Ich habe ich das echt durchziehen wollen? Herrje, was läuft nur gerade falsch bei mir? Ich schiebe mir mit beiden Händen die Haare zurück und lasse sie einen Moment an meinem Kopf liegen. Meine Ellenbogen strecken sich dabei nach hinten. Ich gebe einen unwirschen Laut von mir und fahre mit meinen Händen weiter durch die Haare bis ich dabei gegen etwas Weiches stoße. Ich sehe auf und direkt in zwei wunderschöne grüne Augen. Raphael steht hinter mir und beugt sich zu mir hinab, sodass ich direkt in sein Gesicht blicke. Seine Hände fassen nach meinen Ellenbogen und er hält mich sanft fest. Das kurze Erschrecken stößt den Motor meines Herzschlags an. Doch es ist seine Nähe, die es vollends auf Touren bringt. Sein warmer Körper verströmt diesen vertrauten Geruch. Mein spontan angesetzter Abweisungsspruch formuliert sich nur halbgar und verliert sich in den Tiefen meiner Gedanken. Es ist diesen atemberaubenden Augen geschuldet. Sie greifen von mir besitzt und für einen kurzen Moment, schaue ich verträumt in sein Gesicht. Wenn er mich doch immer so anschauen könnte. Ich schelte mich innerlich für diesen Gedanken und zergehe zugleich darin.
 

„Hey", begrüßt mich Raphael leise und ich schließe meine Augen, versuche seinem Blick zu entkommen.

„Hi", erwidere ich. Doch es entflieht mir nur als Flüstern.

„Wie kommt es, dass du so betrübt aussiehst?" Obwohl ich für einen Augenblick erneut ausweichend antworten möchte, lasse ich es sein.

„Tue ich das?“, sage ich stattdessen und richte mich auf.

„Ja. Was ist passiert?", hakt er nach. Raphael stützt sich neben mir auf der Lehne der Bank ab. Sein Arm berührt meine Schulter. Ich spüre das Beben meiner Haut, obwohl wir uns noch nicht mal wirklich berühren. Mindestens 4 Schichten Stoff liegen zwischen uns und doch ist es der leichte Druck seines Körpers, der diese Reaktionen in mir auslöst. Ich fahre mit meinem Blick sein Profil entlang. So wie ich es schon oft getan habe. Ich kann ihn blind zeichnen. Die markanten Wangenknochen. Die etwas zu spitz zulaufende Nase. Die unwiderstehlichen Lippen. Was macht dieser Mann nur mit mir? Wie kann es sein, dass mich nur sein Anblick vollkommen aus der Bahn wirft? Die Ansätze seines Bartes sind diesmal ungleichmäßig. Wenn es nach mir ginge, hätte er den Bart, den er nach seiner Wiederkehr hatte, behalten können. Er sieht mich an. Mein Herz macht einen Satz. Ich versuche nicht einmal so zu tun, als hätte ich ihn nicht angestarrt.

„Nun?" Er gibt nicht nach.

„Ich war mal wieder typisch ich...", sage ich nur und schließe kurz die Augen, um nicht weiter in das attraktive Gesicht blicken zu müssen.

„Charmant und schlagfertig?", sagt er mit einem scherzhaften Schmunzeln.

„Haha", kommentiere ich nur.

„Du hast Dummheiten gemacht?", witzelt Raphael. Ich schnaufe verhalten.

„Ich habe ein Talent dafür."

„Willst du darüber reden?"

„Lieber nicht", sage ich und spüre, wie mich nur die Tatsache hemmt, dass es Raphael ist. Seine Nähe macht mich verrückt. Nach den Vorkommnissen seiner Rückkehr nur noch mehr.

„Angst, dass ich deine Dummheiten bestätige?"

„Könntest du Dummheit erkennen, würdest du dir mehr Gedanken über dich selbst machen", knalle ich ihn ungerührt vor den Latz. Ich erschrecke selbst vor der Verbitterung, die in meinen Worten mitschwingt.

Im Moment habe ich das Gefühl, dass wir die Positionen getauscht haben. Vor seinem Abgang war er es, der versucht hat, den aufkommenden Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Nun bin ich es. Irgendwie jedenfalls. Ich bestreite meine Gefühle nicht, aber das unpassende Drumherum hemmt mich ungemein. Ich spüre Raphaels Blick auf mir und sehe wieder zu ihm. Mir wird heiß und unbewusst löse ich den Schal ein wenig, den ich eben noch fester gezogen habe. Wie schafft er es nur mit seinem Blicken, so eine Reaktion in mir hervor zu kitzeln? Die Hitze arbeitet sich durch meinen ganzen Körper und bündelt sich in meiner Körpermitte. Unfassbar. Dabei gibt es nach der gestrigen Nacht keine Gründe dafür.

Sein Blick ist trotz der Beleidigung so unendlich weich. Ich habe das Gefühl, das mein Herz wimmernd nach ihm schreit.

„Warum bist du so abweisend?", fragt er mich flüsternd, lässt seinen Blick über meinen Körper wandern und sieht, wie ich mir unbewusst mit den Händen gegen meinen Bauch drücke. Er durchschaut mich. Raphael erkennt meine Handlungen als Abwehr. Sein Blick ist so beruhigend, dass es mich aufregt. Normalerweise schätze ich diese ruhige und analytische Art. Doch in diesem Moment offenbart sie meine Unzulänglichkeiten. Nicht gut.

„Reiner Selbstschutz." So ehrlich bin ich selten.

„Wovor?"

„Vor dir und deinem Wunsch nach einem normalen, einfachen Leben", wiederhole ich bitter. An seinem Blick erkenne ich, wie sehr ich den Kern der Wahrheit treffe. Allein die Tatsache, dass er sich noch immer nicht von Maya getrennt hat, zeigt mir, wie unsicher er noch immer ist. Raphael seufzt und seine Hand wandert zu seiner Brust. Er holt die Kette hervor und nimmt sie von seinem Hals.

„Bitte, nimm sie zurück, Mark. Sie war eigentlich immer für dich gewesen, auch wenn ich lange gebraucht habe, um das zu verstehen", sagt er leise und sieht mich an.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Ray-
2014-12-04T19:53:31+00:00 04.12.2014 20:53
Ich seh schon du machst die Sache sehr spannend. :) ich kann Jake viel abgewinnen, seine Art ist sehr sympatisch. Es täte mir sehr Leid wenn er in deiner Geschichte sehr verletzt wird. Ich hoffe die Sache eskaliert nicht und dein Mark bekommt noch die Kurve bevor er Jake mehr verspricht, als er halten kann. Ich persönlich kann ja "Fremdgeh-Dramödien" ;) nicht sonderlich leiden.
Das Wort find ich übrigens Super!
War sehr witzig und spannend, wie immer! Mach weiter so! Du kannst echt stolz auf das sein was du schaffst. Ich denke, wenn du irgendwann ein richtiges Buch schreiben willst, wirst du sehr kreativ sein und vielleicht wirklich erfolg haben :)

Liebe Grüße Ray


Zurück