1. Tag
Müde reckte sich die Halbasiatin, als der Wecker sie aus ihrem wohlverdienten Schlaf riss. Brummend setzte sie sich schließlich auf und sah sich schlaftrunken im Zimmer um. Es war dunkel, da sie die Rollläden immer herunter ließ, ehe sie schlafen ging. Sie konnte einfach nicht gut schlafen, wenn sie wusste dass die Sonne ihr am nächsten Tag ins Gesicht scheinen würde. Durch die Schlitze trat dennoch gedämmtes Licht und ließ sie wissen, dass das Wetter draußen gut zu sein schien. Nach einigen Minuten stand sie schließlich auf und schleppte sich ins Badezimmer, wo sie sich fertig machte und das Gesicht wusch. Wenig später saß sie bereits in der Küche und versuchte, wenigstens eine Kleinigkeit herunter zu bekommen. Sie war niemand, der am Morgen viel essen konnten, doch wusste sie, dass das Frühstück mit am wichtigsten war, um den ganzen Tag überhaupt überleben zu können. Motivationslos knabberte sie an ihrem zuvor geschmierten Brot herum und sah gedankenverloren aus dem Fenster. Hoffentlich würde die heutige Vorlesung nicht allzu lange andauern, denn wirklich Lust auf das Geplapper dieses Professors hatte sie nicht. Er war einfach zu hochgestochen und tat so, als würde er alles wissen, scheiterte aber an der einfachen Frage, wieso er seinen Beruf überhaupt gewählt hatte, wenn er nicht wirklich mit anderen Menschen umgehen konnte.
Eine gute halbe Stunde später hatte sich die Dunkelhaarige ihre Tasche geschnappt und war auf dem Weg zur Uni, als sie ein Mädchen im Bus anrempelte. "Hey, kannst du nicht aufpassen?", brummte sie die Blondine an, musste aber feststellen dass diese ihr nicht zuhörte. Mit genervtem Blick und trüben Augen stand sie da und schien sich nur auf die Musik zu konzentrieren, die ihr durch die Kopfhörer in die Ohren gedröhnt wurde. Mit verachtendem Blick musterte Mikasa die junge Frau, ehe sie aussteigen musste. Solche Menschen konnte sie absolut nicht leiden. Keinerlei Respekt vor anderen, geschweige denn Rücksicht. Dieses Wort schien ihnen fremd zu sein, besonders diesem Mädchen. Nicht einmal umgedreht hatte sie sich, um sich zu entschuldigen, dabei hatte sie sie fast umgerannt. Doch damit nicht genug. Gerade war Mikasa ausgestiegen und war einige Schritte gelaufen, als die Blondine an ihr vorbeizog und sie dabei beinahe schon wieder fast zu Boden riss. "Jetzt reicht's", brummte die Dunkelhaarige zu sich selbst, folgte der jungen Frau mit schnellen Schritten und packte sie an der Schulter. Das konnte sie nicht einfach so ignorieren.
"Was willst du denn?", kam es nur zischend von der anderen, nachdem sie sich tatsächlich zu Mikasa umgedreht hatte. Diese wurde langsam aber sich wirklich sauer und konnte sich nur noch schwer zurückhalten. "Kannst du nicht mal gucken, wo du hingehst? Du hast mich zwei Mal fast umgerannt, du bist nicht der einzige Mensch auf diesem Planeten!", fuhr sie die Blondine an und verlor dabei beinahe die Geduld und Kontrolle über sich selbst. Wie konnte man nur so mit sich selbst beschäftigt sein? "Ich hab keine Zeit für sowas", kam es nur von der anderen, ehe sie sich wieder umdrehte und wieder im Gehen befand. Kurz blickte sie noch einmal über ihre Schulter und sah der Halbasiatin in die Augen. "Pass du doch lieber auf, wo du hingehst. Dann passiert dir sowas auch nicht." Mit diesen Worten ließ sie sie stehen und steuerte auf das Unigebäude zu. "Dass sich sowas Student nennen darf..", ging es Mikasa durch den Kopf, ehe sie ebenfalls auf das Gebäude zusteuerte, in dem sich ihr Lesungssaal befand.
Noch immer genervt von dem Zwischenfall, ließ sie sich schließlich neben Eren nieder, welcher bereits bemerkt hatte, dass Mikasas Laune nicht die beste war, weswegen er außer einem "Guten Morgen" auch gar nicht weiter versuchte, sich mit ihr zu unterhalten. Ein gutes hatte diese Vorlesung ja doch. So hatte sie genug Zeit, um sich wieder zu beruhigen und von nervigen Menschen wie ihr abzulenken. Nach einigen Minuten betrat auch schon der Professor den Saal. Eigentlich nichts ungewöhnliches, doch als Mikasa seine Begleitung erkannte, wollte sie ihren Augen nicht trauen. "So, bevor wir heute beginnen möchte sich ein Neuankömmling von dieser Universität vorstellen. Mrs. Leonhardt wird uns ab jetzt in diesem Kurs beiwohnen und bereichern." Mit geweiteten Augen sah die Halbasiatin die junge Frau an. Diese Hexe sollte jetzt jedes Mal mit dabei sein? Ausgerechnet in ihrem Kurs? Das konnte doch wirklich nicht wahr sein! "Suchen sie sich bitte einen freien Platz", wandte sich der Professor noch einmal an Annie, welche nur nickte und sich dann kurz im Saal umsah. Auch Mikasa ließ ihren Blick umherwandern. Es waren noch einige Plätze frei, doch steuerte dieses Biest ausgerechnet auf den rechts neben ihr liegenden Stuhl zu. Womit hatte sie das denn nun wieder verdient?
Stahlblaue Augen
Annie setzte sich und für einen Moment herrschte eine unheimlich erdrückende Stille zwischen den beiden jungen Frauen. Was sie tauschten waren verachtende Blicke, ehe sie sich wieder voneinander abwandten und sich der Vorlesung widmeten. Doch aus irgendeinem Grund musste sie aus dem Augenwinkel immer wieder zu ihr sehen. Sie schien nicht wirklich an irgendwelchen Freundschaften oder Gesprächen interessiert zu sein, das verriet ihre Körperhaltung. Stark und ablehnend zugleich. Plötzlich wurde die Tür zum Lesungssaal aufgerissen, was zur Folge hatte, dass alle sich in diese Richtung umdrehten - selbst die gleichgültig wirkende Blondine. In der Tür stand ein Mädchen mit rotbraunem Haar und einer Kartoffel in der Hand. Völlig außer Atem lehnte sie am Türrahmen und nuschelte ein unverständliches "Entschuldigung... dass if zu fpät bin..". Mikasa musste schmunzeln. Es war doch wirklich jedes Mal dasselbe mit ihr, sie lernte einfach nicht dazu, doch um etwas zu essen fand sie immer Zeit, ganz egal wie spät sie auch dran war. "Ja Ja.. Schon gut, kommen sie rein Mrs. Braus", sprach ihr Professor und rieb sich die Schläfe. Für alle im Raum war es nichts Neues mehr, dass Sasha oft zu spät kam, doch wollte er es einfach nicht aufgeben, sie umkrempeln zu wollen. Schnell hechtete diese nun los und ließ sich auf einem der wenigen noch freien Plätze nieder.
Die Lesung verlief weitestgehend ruhig und wie immer war es nicht besonders spannend aus der Sicht der Halbasiatin. Das einzige war ihr nicht so recht aus dem Kopf gehen wollte, war ihre neue Kurskameradin, die sie die ganze Zeit nur ignorierte. So wie sie es mit allen tat. Als die Lesung schließlich endlich vorbei war, kramte Mikasa ihre Sachen zusammen und wollte gerade aufstehen und den Saal verlassen, als Annie sich ihr in den Weg stellte und sie mit herablassendem Blick musterte. "Nur um das nochmal klar zu stellen, pass in Zukunft besser auf, wo du hingehst, klar?", meinte sie und stellte die Geduld der Dunkelhaarigen auf eine harte Probe. Einen Moment sahen sich die beiden in die Augen, doch im Gegensatz zu den meisten anderen Augen, wirkten die von Annie auf sie irgendwie heller und stechender. Sie schienen einen förmlich zu durchbohren und das obwohl sie stets denselben gelangweilten Gesichtsausdruck trug. Beinahe hätte sich Mikasa in diesen rätselhaften Augen verloren, hätte sie sich nicht selbst daran erinnert, mit wem sie hier eigentlich versuchte zu sprechen. "Hast du nichts anderes zu tun, außer Menschen im Weg herum zu stehen"?, fauchte sie nach kurzem Kopfschütteln dann jedoch nur zurück und drängte sich an der Blondine vorbei, zum Ausgang des Saals.
"Was ist denn mit denen los? Kennen sie sich?", wandte sich derweil Eren an Sasche, welche mit einer neuen Kartoffel im Mund nur den Kopf schütteln konnte. "Ich habe diese Blone hier noch nie gesehen", kam es plötzlich hinter ihnen von Armin, welcher dem Streit wohl ebenfalls zugehört hatte. "Ich kann mir aber auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich kennen. Vielleicht stimmt einfach die Chemie zwischen ihnen nicht. Dieses Mädchen macht mir einen ziemlich genervt Eindruck, schon seit sie reinkam." Hätte Mikasa diese Worte gehört, hätte sie definitiv zugestimmt. Es war nicht nur eine Chemie, die nicht stimmte. Es war eine Chemie, die die Luft beinahe explodieren zu lassen drohte, sobald sich die beiden jungen Frauen über den Weg liefen. Im Bus angekommen, ließ sie sich auf einem der Sitze nieder und knirschte mit den Zähnen. Diese Frau war wirklich das aller Letzte! Wieso musste ausgerechnet sie in ihrem Kurs sein? Und wieso kümmerte es sie überhaupt? Sie konnte sie doch einfach ignorieren, so wie sie es mit allen machte, mit denen sie sich nicht arrangieren konnte. Das war einfach alles so widersprüchlich! Genervt stieg die Dunkelhaarige schließlich an ihrer Haltestelle aus und sah dem Bus hinterher. Gut nur, dass sie morgen keine Lesung hatte, sonst würde sie mit Sicherheit noch die Fassung verlieren, wenn Annie ihr erneut so gegenüber trat.
Nach einigen Minuten des Laufens war sie schließlich endlich in ihrer kleinen Wohnung angekommen, warf ihre Tasche in die Ecke und zog sich im Gehen die Jacke aus, ehe sie sich auf ihrem kleinen, schwarzen Sofa niederließ und den Kopf in den Nacken legte, nur um einen Moment lang die Decke betrachten zu können. Tief atmete sie durch und schloss die Augen, doch das erste was sie sah, waren die stechend blauen Augen der Blondine. Eine Tatsache, die Mikasa sich die Haare raufen ließ. "Verdammt! Raus aus meinem Kopf, du mieses Stück", knurrte sie zu sich selbst und stand auf, um in die Küche zu gehen und sich etwas zu Essen zu machen. Sicher würde sie das wenigstens ein bisschen ablenken. Dieses Weib war es einfach nicht wert, über sie nachzudenken. Definitiv nicht. Und tatsächlich, als sie wenig später mit etwas Futtern vor dem Fernseher saß, schien sie endlich ihre Ruhe zu haben. Genüsslich aß sie ihr zuvor zubereitetes Sushi und konzentrierte sich ganz auf die Serie, die gerade lief. Eigentlich war sie kein Mensch der viel fernsah, doch hatte sie heute einfach nichts mehr zu tun und außerdem schlicht und ergreifend keine Lust noch rauszugehen. Es hatte zu regnen begonnen und ab und an war ein leises Grollen zu hören, was auf ein baldiges Gewitter schließen ließ. Noch ein Grund mehr, sich lieber drinnen zu beschäftigen.
