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Ein Tanz zwischen den Sternen

von

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Sternennarben

Nichts regte sich. Nicht einmal Vogelgezwitscher war zu hören zu dieser frühen Stunde. Penelo lag noch in ihrem Bett, konnte aber wegen der Hitze bereits am frühen Morgen nicht mehr schlafen. Und weil Vaan unruhig schlief. Er hatte irgendwann angefangen, im Schlaf zu reden, als es gerade dämmerte. Seitdem lag die junge Frau wach und starrte an die Decke.

„Wie gut, dass ich wenigstens meine Pluderhose eingepackt habe“, murmelte sie.

Sie setzte sich auf und rieb sich einmal über die Augen. Nichts rührte sich in ihrem Zimmer und auch von außerhalb gab es keine Zeichen des Lebens. Penelo zog sich ihre Reisetasche heran und öffnete sie. Sie kramte zuerst nach ihren Waschutensilien. Gestern war sie schlichtweg zu müde gewesen, um sich noch groß zu waschen, das wollte sie heute nachholen. Nachdem sie neue Kleidung und einige Handtücher hervorgekramt hatte, schlenderte sie ins großzügig gestaltete Bad hinüber.

„Die lassen sich hier auch nicht lumpen...“

Die Blondine sperrte die Tür hinter sich zu und entledigte sich dann ihrer Kleidung. Schnell hüpfte sie unter die Dusche und stellte das Wasser an, das eiskalt aus dem Duschkopf hervor prasselte und sie zu einem erschrockenen Schrei veranlasste.

„Schnell wärmer stellen...“

Nachdem sie eine angenehme Temperatur eingestellt hatte, drehte und wendete Penelo sich unter dem Wasserstrahl. Statt die Hygieneartikel zu benutzen, die den Gästen scheinbar automatisch zur Verfügung gestellt wurden, griff sie nach ihrer eigenen Seife, die nach Galbana Lilien roch. Die junge Frau rieb sich einmal ordentlich ein und ließ den Schaum dann vom Wasser abspülen. Ein Klopfen an der Tür verriet ihr, dass Vaan ebenfalls wach sein musste.

„Ich bin gleich fertig“, rief sie.

„Beeil dich!“, mahnte er, „Ich möchte auch noch duschen und es ist schon 7:00 Uhr!“

„Was, schon so spät?“, fragte sie erschrocken.

In Windeseile wusch Penelo sich die Haare und stieg dann aus der Duschkabine. Schnell wickelte sie sich in eines ihrer Handtücher und fing dann an, mit dem anderen ihre Haare trocken zu rubbeln. Aus dem Schlafzimmer war nichts zu hören und so vermutete sie, dass Vaan gerade dabei war, irgendwas auszuhecken. Nachdem die Blondine ihre Haare soweit trocken hatte, dass kein Wasser mehr daraus hervor tropfte, griff sie zu ihrer Bürste und flechtete danach ihre üblichen Zöpfe. Schnell schlüpfte sie in die rote Pluderhose und das dazu passende Oberteil. Penelo kam aus dem Bad hervor und sah dann, dass Vaan gerade dabei war, ihre Reisetasche zu durchstöbern.

„Was soll das denn?!“, rief sie entrüstet, „Was fällt dir eigentlich ein?!“

Wütend warf sie ihre Schlafklamotten nach ihm und zog dann ihre Tasche aus seinem Griff.

„Ich hab nur geschaut, ob du Sonnencreme eingepackt hast...“, entschuldigte er sich.

Empörtes Schweigen.

„Natürlich habe ich die eingepackt! Was glaubst du eigentlich?“

„Ist ja gut! Kann ich nachher etwas davon haben?“

Penelo sah ihn ungehalten an.

„Mach, dass du unter die Dusche kommst, sonst werden wir nicht rechtzeitig fertig!“, schimpfte sie.

„Unglaublich“, murmelte sie, nachdem Vaan mit hängendem Kopf an ihr vorbei ins Badezimmer geschlurft war, „Je älter er wird, desto unselbständiger scheint er zu werden.“

Sie setzte sich kurz auf ihr Bett und überlegte, während nun doch ein Vogel zu hören war, der sein Morgenlied kläglich gegen Maschinengeräusche anzustimmen versuchte. Zweifelsohne waren bereits zahlreiche Luftschiffe unterwegs, Archadis schlief scheinbar nie. Die junge Frau nahm ihr Gepäck zur Hand und wühlte darin herum. Schnell hatte sie die Sonnencreme zu Tage gefördert und stellte sie dann auf ihr Nachttischchen. Danach machte sie halbwegs ordentlich ihre Betten. Nebenan plätscherte noch immer das Wasser.

„Vaan, beeil dich!“

Keine Antwort. Penelo zuckte mit den Schultern und sammelte dann ihre Wertsachen zusammen, um für den Tag gerüstet zu sein. Glücklicherweise hatte sie vor ihrem Abflug eh beabsichtigt, in Archadis einkaufen zu gehen, daher hatte sie genügend Geld mit dabei. Sie fragte sich nur, wer sie heute bei dem Ausflug begleiten würde.

Täuschte sie sich oder hatte sie gerade etwas gehört? Vaan stellte das Wasser ab und kurz darauf war zu hören, wie die Tür der Duschkabine heftig zuschlug. Nein, das war es definitiv nicht gewesen. Penelo horchte in die Stille hinein und bekam dann einen Schreck, als das Geräusch erneut erklang. Das musste definitiv Basch sein, der an ihr Zimmer klopfte. Schnell flitzte sie hinaus und öffnete ihm die Tür. Dahinter stand der Hauptmann, nach wie vor in ziviler Kleidung.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie.

„Morgen. Komm doch herein, Vaan ist leider noch nicht fertig.“

Basch kicherte kurz.

„Das war er damals auch nie.“

„Das hab ich gehört!“, rief der Gescholtene von drinnen.

Die beiden ignorierten ihn und Penelo musterte Basch.

„Was ist jetzt schon wieder?“, fragte er.

„Nichts“, meinte sie unschuldig, „Was hast du heute vor? Wieder den ganzen Tag Larsas Sicherheit garantieren?“

„Nein. Es gibt schließlich auch noch andere, die Larsa als geeignet für diese Aufgabe erachtet.“

„Ach, tatsächlich? Und da fügst du dich so einfach?“

„Wenn es sein muss... Ich habe ja schließlich auch noch andere Aufgaben.“

Penelo wollte noch etwas sagen, wurde aber von Vaan unterbrochen, als dieser aus ihrem Schlafzimmer gestapft kam.

„Hab ich ‘nen Kohldampf... Oh, guten Morgen!“

„Alte Schlafmütze!“

„Hast du dich eingecremt?“, fragte die Blondine.

„Ja, hab ich.“

„Hast du auch alle deine Sachen zusammengepackt?“

„Ja!“

„Na, dann kann es ja losgehen. Larsa wartet schon!“

Die drei verließen die Räume wieder.

„Ich finde die Pflanzen hübsch. Die geben dem Palast doch etwas Heimeliges“, meinte Penelo nach einiger Zeit.

„Hat der Kaiser vor einigen Monaten auch gemeint.“

„Oh.“

„Fühlst du dich eigentlich wohl hier?“, fragte Vaan.

Er und Penelo warfen sich einen Blick zu, als Basch nicht darauf antwortete. Die kleine Gruppe war wieder zu den Privaträumen des Kaisers zurückgekehrt. Und wie am Vorabend taten auch dieses Mal wieder einige Imperiale ihren Dienst, aber es schien sich dabei nicht um Krakku und seine Leute zu handeln. Sie grüßten den Hauptmann kurz und ließen sie dann hinein. Anders als am Tag zuvor war das Frühstück draußen im Garten aufgebaut und Larsa saß bereits am Tisch. Der Junge kehrte ihnen den Rücken zu und schien sich über den Tisch zu beugen. Er war allein. Basch ging mit den beiden hinüber und klopfte kurz an den Rahmen der Tür, die zum Garten hinausführte. Der Kaiser wandte sich von dem ab, was gerade seine Aufmerksamkeit gefordert hatte und stand auf.

„Da seid ihr ja. Guten morgen.“

„Guten Morgen!“

Penelo strahlte ihn an.

„Morgen.“

Vaan winkte kurz, Basch lächelte einfach nur.

„Habt ihr gut geschlafen?“, erkundigte sich Larsa.

„Penelo wollte gar nicht aufstehen“, erwiderte der Pilot spitz, was ihm einen Schlag in die Seite einbrachte.

Der Kaiser seinerseits schüttelte grinsend den Kopf.

Immer das gleiche mit ihnen‘, dachte Basch.

„Ich hoffe, ihr habt Hunger. Die Küche hat es leider mal wieder völlig übertrieben, als sie das Frühstück vorbereitet hat. ... Als ob vier Leute jemals so viel essen könnten“, meinte Larsa ratlos.

Der Hauptmann lachte.

„Also unser Vaan hier kann auf jeden Fall viel essen“, gluckste er, „Vor allem dann, wenn es umsonst ist.“

Der Gescholtene klappte einmal den Mund auf und wieder zu und wurde dann rot im Gesicht. Der Kaiser ließ Penelo und Vaan den Vortritt beim Buffet. Als die Blondine beim Obst ankam, riss sie erstaunt die Augen auf.

„So viele exotische Früchte jetzt um diese Jahreszeit?“, fragte sie und platzierte sich zwei Scheiben Karambole und drei Stückchen Ananas auf ihrem Teller.

„Sind alle aus Rozarria importiert“, erklärte Larsa grinsend und bediente sich selbst bei den Früchten.

„Aha?“

Die beiden gingen zum Tisch, während Vaan und Basch noch ratlos vor dem Frühstücksangebot standen. Der Kaiser räumte einige Papiere, einen Stift und Siegelwachs zur Seite und setzte sich dann.

„Nun, langsam aber sicher nehmen die Handelsbeziehungen wieder Fahrt auf“, erzählte er, „Da bin ich ziemlich froh darüber.“

„Das glaube ich. Ansonsten sind eure Beziehungen hoffentlich auch nicht die schlechtesten, oder?“

„Ganz im Gegenteil“, meinte der Kaiser und strich sich Butter aufs Brot, „Unser alter Freund Al-Cid wird in den nächsten Wochen mal hereinschneien. Wir beabsichtigen, die Handelsbeziehungen beider Länder weiter auszubauen. Das wird nicht nur unseren Finanzen gut tun sondern auch der Wirtschaft. Schließlich kann man ja noch mit mehr als nur Obst und Gemüse handeln.“

„... Zum Beispiel mit extravaganter Mode“, lachte Penelo.

Sie hatte den Rozarrier noch gut in Erinnerung, wie er sie in Bur-Omisace aufgesucht hatte in einer weißen Stoffhose mit braunem Lederbesatz und dem Schnürjackett, das den Blick auf seinen Oberkörper zuließ. Zusammen mit seiner wilden Mähne und dem südländischen Teint hatte er recht exotisch gewirkt.

Basch und Vaan nahmen nun auch endlich Platz, wobei letzterer dabei hochkonzentriert wirkte. Er balancierte zwei Teller. Penelo schüttelte ungläubig den Kopf, als diese auf dem Tisch standen.

„Solche Berge mit Essen macht man nicht“, meinte sie tadelnd.

„Aber Larsa hat doch gemeint...“

„Trotzdem. Man kann auch mehrmals gehen.“

„Lass ihn ruhig, Penelo“, meinte der Hauptmann.

Unwillig sah der Pilot seine Begleiterin an, bevor er anfing, die Sachen in sich hinein zu schaufeln. Aufmerksam kaute er auf allem herum, was ihm zwischen die Zähne geriet.

„Ich muss doch alles probieren“, meinte er während dem Kauen.

Penelo verdrehte die Augen gen Himmel und widmete sich dann wieder Larsa, der mittlerweile auch beim Obst angekommen war.

„Aber sag doch mal, was hast du denn für heute geplant?“

Der Kaiser trank einen Schluck Saft und wischte sich dann den Mund mit einer Serviette ab, ehe er antwortete.

„Nun, der Vormittag ist ja schon verplant. Basch wird dich in die Stadt begleiten, wo du dich neu einkleiden kannst. Wenn alles glatt geht, kann ich mir heute Nachmittag ein paar Stunden freinehmen, die wir gemeinsam verbringen können. ... Hast du spezielle Wünsche, was du gern tun würdest?“

„Bis jetzt noch nicht“, murmelte sie.

Der Hauptmann folgte kommentarlos der Unterhaltung. Er glaubte eh nicht daran, dass Larsa tatsächlich allzu viel Zeit würde erübrigen können. Dafür bot sein Termin mit den Piraten von Balfonheim jetzt am Vormittag viel zu viel Streitpotential.

„Wie wär’s, wenn du dem Kaiser nachher die Ausbeute deiner Einkäufe präsentierst?“, meinte Basch hilfreich und kicherte in seinen Bart.

Penelo sah wenig erfreut aus, erwiderte aber nichts. Sie stand auf und ging noch mal zum Buffet hinüber. Larsa seinerseits wandte sich den Papieren zu, die er davor zur Seite gelegt hatte, griff sich das oberste und las es. Als er fertig war, faltete er es zusammen und steckte es in einen Umschlag.

„Wollt Ihr es nicht versiegeln?“, fragte der Hauptmann.

„Lieber nicht. Bei der Hitze würde das Wachs nicht lange halten.“

Basch nickte. Als er vorhin mit den beiden Gästen den Garten betreten hatte, musste er feststellen, dass es für diese frühe Uhrzeit schon wieder viel zu warm war. Überhaupt schien es während der Nacht nicht wirklich abgekühlt zu sein, was zweifelsohne auch an der Architektur der Stadt lag. Hohe Bauten aus Ziegel und Beton waren wie geschaffen dafür, die Wärme des Tages zu speichern und sie nachts wieder abzugeben.

„Vaan“, meinte Larsa, „Könntest du bitte diesen Brief Ashe persönlich übergeben?“

Der Kaiser reichte dem Piloten den Umschlag über den Tisch. Dieser nahm das Dokument entgegen und schaute kauend darauf hinab.

„Bestehst du auf eine Antwort?“, fragte er, als er seinen Bissen hinunter geschluckt hatte.

Der Schwarzhaarige wechselte kurz einen Blick mit Basch.

„Nun, es wäre mir tatsächlich lieber, so bald wie möglich zu wissen, wie sie zu meinem Angebot steht.“

Vaan steckte sich den Brief in eine Hosentasche.

„Ich möchte aber nichts versprechen“, meinte er dann, „In Rabanastre herrscht wahrscheinlich Chaos und ich weiß nicht, wie bald ich von da wieder weg kann. ... Möglicherweise kann ich eine Nachricht über Bhujerba schicken.“

„Das wäre nicht schlecht.“

Penelo kam zurück an den Tisch, sie hatte sich noch einmal bei den Früchten bedient.

„Wie fliegt sich eigentlich dein neues Luftschiff, Vaan?“, fragte Basch, als er sein Frühstück beendet hatte.

Der Angesprochene ließ den Bissen wieder auf den Teller sinken.

„Sie ist natürlich etwas ganz anderes als die Galbana“, antwortete er, „Nachdem sich mein erstes Luftschiff leider in Rauch aufgelöst hat...“

„... von einem Erdbeben zerstört wurde...“, berichtigte Penelo.

„... und die Galbana damals komplett ohne Besatzung davongeflogen ist, musste ich ziemliche Einschränkungen machen. Die Reks ist viel kleiner, dafür aber auch wendiger und sie braucht bei weitem weniger Energie als die Galbana. Jedenfalls solange man sie nicht auf voller Leistung laufen lässt.“

„Ah ja“, meinte der Hauptmann, „Mich wunderte es ja, dass du dir überhaupt noch einmal eines organisieren konntest.“

„Was soll das denn bitte heißen?“, fragte Vaan pikiert, „Ich habe hart dafür gearbeitet. Außerdem...“

Kurz sah er auf die Blondine.

„... stottere ich jetzt langsam meine Schulden bei Penelo und den anderen ab.“

Basch sah ihn nur mitleidig an.

„Vielleicht solltest du Auftragsflüge annehmen?“, schlug Larsa vor, „Damit könntest du dir bestimmt etwas dazuverdienen, solange du nur günstiger als die öffentlichen Luftfahrtunternehmen bist.“

Vaan machte kein glückliches Gesicht, denn mit Zahlen und Verhandeln hatte er es nicht so.

„Ich werde es mir überlegen“, meinte er nichtsdestotrotz, „Jedenfalls, wenn ich meine Schulden abbezahlt habe, möchte ich mir Geld für einen Flugstein ansparen.“

„Oha, da hast du dir ja ordentlich etwas vorgenommen“, meinte der Hauptmann.

„Was hilft einem ein Luftschiff, wenn es nur in bestimmten Regionen von Ivalice fliegen kann?“, konterte Vaan.

„Stimmt wohl.“

Die vier hatten ihr Frühstück beendet, selbst der Pilot schien pappsatt zu sein.

„Ich werde mich dann wohl besser auf den Weg machen“, erklärte er und stand auf.

Die anderen folgten seinem Beispiel und erhoben sich ebenfalls. Mittlerweile war eine Stunde vergangen und die Temperatur jagte ihnen wieder Schweißperlen auf die Stirn.

„Sollen wir das wegräumen?“, fragte Penelo.

„Nein nein, es kommt gleich jemand, sobald wir weg sind“, antwortete Larsa.

Er lächelte ihr zu und griff dann lediglich nach seinen Schreibutensilien, die nach wie vor auf dem Tisch lagen. Sie traten gerade wieder ins Vorzimmer, als jemand an die Tür klopfte und dann von den beiden Soldaten ins Zimmer gelassen wurde.

„Eure Majestät, bitte verzeihen Sie die Störung“, bat der Neuankömmling.

„Senator Amelo, Sie sind aber schon früh auf den Beinen“, meinte Larsa.

Der alte Herr, der neu in den Senat berufen worden war und von dem Basch wusste, dass er für irgendeinen eher unwichtigen Themenbereich zuständig war, schaute verunsichert auf die beiden Besucher.

„Ich fürchte, wir müssen uns jetzt schon trennen. Das Gesicht des Senators verrät mir, dass er mich in ernsten Angelegenheiten so früh aufsucht.“

„Schade, aber dann kann man es wohl nicht ändern“, meinte Vaan.

Der Kaiser hielt ihm zur Verabschiedung die Hand hin und der Pilot ergriff sie.

„Vaan, es hat mich gefreut, dich mal wieder zu sehen. Auch wenn es nur für kurz war. Ich hoffe, wir können das später mal nachholen... Komm gut nach Rabanastre zurück und vergiss nicht den Brief!“

„Werde ich nicht.“

„Penelo, wir sehen uns dann später.“

„Ja. Ich hoffe, die Sache löst sich schnell.“

Larsa nickte Basch einmal zu und letzterer verließ mit den beiden Gästen die kaiserlichen Gemächer. Sie hatten sich etwas entfernt und bogen dann auf eine Treppe, die einige Stockwerke nach unten führte.

„Kommt das häufig vor, dass kurzfristig jemand etwas von ihm will?“, fragte Vaan.

Der Hauptmann nickte nur.

„Immerhin haben die meisten den Anstand zu warten, bis der Kaiser Zeit für sie hat... Aber dass der Senator so unangemeldet und so früh bei ihm erscheint...?“

Selbst Basch wusste sich darauf keinen Reim zu machen. Fieberhaft dachte er darüber nach, für welches Ressort der Alte zuständig war. Bei den Diskussionen im Plenum beteiligte er sich selten, folgte ihnen nur aufmerksam und warf hier und da einen Gedanken ein.

Der Hauptmann kratzte sich am Bart, während er mit Vaan und Penelo zum Privatterminal ging. Als erstes würden sie den Piloten wieder bei seinem Luftschiff absetzen und danach die Stadt unsicher machen. Niemand war zu sehen, als sie auf den geländerlosen Balkon hinaustraten. Ein laues Lüftchen wehte.

„Müssen wir etwa warten?“, fragte der Pilot verdutzt.

„Natürlich“, antwortete Basch, „Schließlich sind wir ja nicht irgendwelche hochrangigen Regierungsangehörige. Lediglich für den Kaiser und die Senatoren hat ein Shuttle bereit zu stehen, wenn sie in der Stadt zu tun haben.“

„Und für Richter?“, fragte Penelo.

„Für die auch... meistens.“

„Aha. Für dich etwa nicht?“

„Ich bestehe nicht darauf, eines der privaten Shuttles der Regierung zu nutzen. Das jetzt ist lediglich eine Ausnahme.“

„Dann dürfen wir uns ja richtig geehrt fühlen“, zwinkerte Vaan.

„Dank lieber dem Kaiser dafür. Ich hätte euch lieber in eines der öffentlichen Taxen gesteckt, aber er wollte, dass ihr euch wohl fühlt, solange ihr in der Hauptstadt seid.“

Penelo und Vaan sahen sich an.

„Hast du was gegen uns?“, fragte der Pilot, während sie weiter auf ihre Transportmöglichkeit warteten.

„Nein, das natürlich nicht“, beschwichtigte Basch, „Aber wenn einer aus dem Senat spitz kriegt, wie der Kaiser private Gäste in den Regierungsshuttles herumfliegen lässt, gibt es wieder eine Debatte über den Missbrauch von Amtsbefugnissen.“

„... Haben die sonst nichts Besseres zu tun?“, fragte Penelo.

„Diese Frage habe ich mir auch schon häufiger gestellt.“

„Da bin ich froh, dass ich mit der Politik nicht viel am Hut habe“, murmelte Vaan.

„Hah! Was meinst du denn, was der Kampf gegen das Imperium von vor zwei Jahren war? Oder Lemurés letztes Jahr? Das hat alles die Politik beeinflusst, wenn letzteres auch nur eher teilweise und dafür sehr subtil.“

„Wie meinst du das jetzt?“

„Nun ja. Ihr werdet ja selbst wissen, dass der Untergang von Lemurés eine große Katastrophe war. Selbst im Senat ist sie heiß debattiert worden, wenn auch mit anderem Hintergrund.“

„Dachten die etwa an so etwas wie ... Rohstoffe?“, fragte Penelo verunsichert.

„Einige Stimmen taten das durchaus.“

Die beiden Besucher schüttelten ungläubig die Köpfe. Sie warteten seit etwa fünf Minuten auf ihr Shuttle, hatten es aber durch das Gespräch komplett vergessen. Mittlerweile kam die Sonne hinter einem der Hochhäuser hervor und warf ihnen ihre unbarmherzige Hitze entgegen. Penelo hatte wieder angefangen, sich mit dem Fächer Luft zu zu wedeln.

„Was hat Larsa dazu gesagt?“

„Er war selbstverständlich dagegen“, erzählte Basch, „Allerdings hatte er im Senat keine Mehrheit erreicht.“

„Und nun?“, fragte der Pilot.

„Nun darf er zusehen, wie er die Piraten von Balfonheim dazu bringt, kaiserliche Wissenschaftler und imperiale Truppen in ihrer Stadt zu akzeptieren. Der Senat scheint davon überzeugt zu sein, dass man die Rohstoffe des versunkenen Kontinents doch noch irgendwie bergen könnte.“

„Das ist doch ein Witz!“, rief Vaan aus, „Lemurés ist wie tief ins Meer gesunken? Und da wollen die runter, oder wie?“

„Offensichtlich. Ich persönlich hege ja die Hoffnung, dass sich das Unternehmen als Fehlschlag herausstellt und Larsa die Wissenschaftler und Soldaten baldmöglichst wieder abziehen lassen kann.“

„Das kostet bestimmt auch viel.“

„Natürlich. Das wissen die Damen und Herren vom Senat auch, noch dazu, dass Archadia sowieso schon Geldprobleme hat.“

„Und da wollen die so eine Expedition starten?“

„Tja, Vaan. Das ist Politik!“

Penelo starrte den Hauptmann nur fassungslos an. Sie wollte etwas erwidern, aber in dem Moment flog ein Shuttle heran und landete vor ihnen.

„Nun denn. Wir wollen den Piloten nicht warten lassen.“

Basch und seine beiden Begleiter flitzten zu dem Flugobjekt hinüber und kletterten hinein, nachdem sich die Luke für den Passagierbereich geöffnet hatte. Von einer Stewardess oder Erfrischungen war weit und breit nichts zu sehen und so begnügten sich die drei damit, aus den spärlichen Fenstern zu blicken. Ohne ein Wort zu sagen flogen sie durch die Häuserschluchten und waren nach einigen Minuten beim Flugschiffterminal angekommen.

„Los, raus mit euch!“

„Ich auch?“, fragte die junge Frau verwirrt.

„Natürlich. Wir werden von hieraus weiterlaufen und danach eines der öffentlichen Taxen nehmen.“

Penelo zuckte mit den Schultern und folge dann Vaan ins Terminal hinaus. Der Hauptmann kam als letzter und gab dann dem Shuttlekapitän ein Zeichen. Das Flugobjekt hob wieder ab.

„Also dann, melde dich bitte, sobald du etwas von den anderen weißt. Und versuch, Ashe dazu zu bringen, Larsas Hilfe anzunehmen. Vielleicht können wir dann ja selbst mitkommen“, meinte Penelo.

Sie umarmte Vaan einmal zum Abschied, während Basch ihm wie bei ihrer Begrüßung auch auf den Rücken schlug.

„Kannst du das lassen?“, keuchte der Pilot

Er klopfte einmal seinen gesamten Körper ab und vergewisserte sich, dass der Brief des Kaisers nach wie vor in seiner Hosentasche war.

„Also dann, man sieht sich.“

Vaan lief zu dem Gang, der zu den privaten Luftschiffen führte und zeigte dem dortigen Personal seine Papiere. Als er sie passiert hatte, winkte er Penelo und Basch noch einmal und war dann verschwunden. Die beiden verließen das Terminal wieder und traten auf den Vorplatz, der noch im Schatten lag.

„Mach dir keine Sorgen“, meinte der Hauptmann, als er Penelos besorgten Blick bemerkte, „So wie ich eure Freunde kennen gelernt habe, wissen sie auf sich aufzupassen.“

„Das hoffe ich.“

Penelo blieb nach einigen Metern wieder stehen und sah sich um. Damals hatten sie Archadis aufgesucht, um im Draklor-Laboratorium den sich dort befindlichen Abend-Splitter zu zerstören. Sie hatten nicht viel Zeit gehabt, die Hauptstadt zu erkunden und hatten nur die unbedingt notwendigen Einkäufe erledigt. Nachdem sie von dem Informationshändler Julius dann noch auf Knospenjagd geschickt worden waren, hetzten sie weiter zum Laboratorium, nur um danach von Reddas nach Balfonheim verschleppt zu werden.

„Wo wollen wir als erstes hin?“, fragte Penelo.

„Du wolltest doch Kleidung kaufen“, meinte Basch, „dann sollten wir am besten zum Hiria-Bezirk. Da sollte es auch was für kleinere Geldbeutel geben.“

„Aha? Das scheint wohl weiter weg zu sein?“

„Ja. Wir werden ein Taxi nehmen müssen, aber keine Sorge.“

„Für Richter ist deren Benutzung kostenlos?“

„Das auch.“

Basch hielt ihr triumphierend eine Schwarzfeder entgegen, die man nur erhielt, wenn man sehr viele Weißknospen angesammelt hatte.

„Hast du die von Larsa bekommen?“

„Nein. Tatsächlich hatte er mir eine angeboten, aber ich wollte sie mir lieber selber erarbeiten.“

„Und wie lange hast du dafür gebraucht?“

„Einige Tage nur. Aber das trifft nur auf mich zu. Wenn jemand wie ich Zugang zu höchsten Regierungskreisen hat, fällt einem das Weißknospensammeln leichter.“

Die Blondine nickte. Sie schlenderten weiter und Penelo blieb immer wieder einmal stehen, um die Leute zu beobachten oder die Aussicht zu genießen. Selbst wenn der Riana-Bezirk, in dem sie sich derzeit befanden, eher tief in der Stadt angesiedelt war, war selbst von hier aus der Blick auf die Häuserfronten einmalig. Nur wenn man direkt vor einem der Hochhäuser stand, konnte einem mulmig werden. Die beiden bogen um eine Ecke und folgten dann dem Straßenverlauf. Archadis hatte sich nicht allzu sehr verändert. Nach wie vor waren edel gekleidete Erstbürger angemessenen Schrittes unterwegs, während weniger gut betuchte Zweitbürger zwischen ihnen hin und her hetzten. Doch ab und zu erspähte Penelo jemanden, der komplett fehl am Platz wirkte.

„Sag mal Basch, Archadis scheint sich doch gewandelt zu haben“, stellte sie fest.

„Wie meinst du das?“

Die Blondine blieb wieder stehen, blickte auf einen Bangaa, der an einer Straßenecke stand und in ein Gespräch mit einem Zweitbürger vertieft war. Sie sah ihren Begleiter an. Der zuckte nur mit den Schultern.

„Larsa meinte, es sei wohl nicht verkehrt, die Hauptstadt auch für andere Rassen zu öffnen. Seitdem versuchen Bangaas und andere ihr Glück.“

„Und?“, hakte Penelo nach.

„Wie ‚und‘?“

„Hat die Integration denn Erfolg?“

„Hm. Nun, es kommt definitiv auf die Rasse an. Mogrys zum Beispiel haben sich sehr schnell eingegliedert, während andere ihre Schwierigkeiten haben.“

„Der Seek im Terminal scheint es jedenfalls zu etwas gebracht zu haben.“

„Ja. Der ist wirklich ein Paradebeispiel. Sowas gelingt auch nur mit viel Fleiß und gutem Willen. ... Und den entsprechenden Informationen. Jedoch tut sich die archadische Hume-Bevölkerung schwer, Bangaas und Seeks zu akzeptieren.“

„Liegt wohl an ihrem Äußeren?“, vermutete Penelo.

„Das wird wohl der Hauptgrund sein. Die Archadier sind ja doch ziemlich oberflächlich“, flüsterte er ihr zu.

Sie hatten den Nirvas-Bezirk erreicht und blickten auf den unbesetzten Taxistand. Basch seufzte und setzte sich mit Penelo auf die Treppen, um dort zu warten.

„Von den Viera waren sie doch recht angetan, wie ich gehört habe“, meinte er dann.

„Ach tatsächlich?“

„Ja. Allerdings waren die Damen davon eher weniger begeistert und hatten sich irgendwann wieder aus Archadis zurückgezogen.“

„Es wird vermutlich noch sehr lange dauern, bis sich die hiesigen Hume vollständig mit den anderen Rassen vermischt haben.“

„Wenn es überhaupt jemals dazu kommt. Archadis Gesellschaft ist seit Jahrhunderten in das hinein gewachsen, was sie jetzt ist. Starre Denkmuster und Vorurteile gegenüber anderen lassen sich nur schwer wieder aufbrechen, da sie auch schon kleinen Kindern vermittelt werden. Selbst kaiserliche Erlasse würden da wenig bringen, weil sie die Bürger in etwas hineinzudrängen versuchen, wozu sie noch nicht bereit sind.“

„Aber wie ist es denn mit der Armee?“, fragte Penelo, „Dort könnte man sicher den ein oder anderen Bangaa unterbringen.“

„Das ist keine schlechte Idee. Vielleicht solltest du das Larsa nachher vorschlagen, er kann sich bestimmt dafür begeistern“, erwiderte Basch, „Jedenfalls werden wir nicht um einen schleichenden Prozess herumkommen, in dem sich die anderen Rassen beim archadischen Volk beweisen können. Sollte der Kaiser das Thema noch weiter verfolgen wollen.“

Mittlerweile war ein Taxi an den Stand gekommen und Basch zeigte seine Schwarzfeder vor.

„Zum Hiria-Bezirk“, wies er den Piloten an.

Die beiden stiegen ein, Penelo setzte sich ans Fenster und sah hinaus. Der Flug zu dem anderen Bezirk dauerte bei weitem länger als jener vom Palast zum Terminal und erstaunt stellte sie fest, dass sie das Zentrum hinter sich ließen.

„Und wie fühlst du dich in dieser scheinbar nie schlafenden Stadt?“, fragte die junge Frau.

Basch murmelte etwas Unverständliches.

„Was denn?“

„Nichts. Ich meinte nur, entweder man wird in diese Stadt hineingeboren oder man bleibt auf immer ein Fremder. Wirklich wohl fühle ich mich nur, wenn ich mit Larsa unter vier Augen bin oder in meinen eigenen vier Wänden.“

„Hast du denn gar keine Kontakte geschlossen?“

„Mit wem denn? Mit den anderen Leuten, die ich um mich herum habe, möchte ich ehrlich gesagt lieber nichts zu tun haben.“

„Nicht mal mit den anderen Richtern?“

„Hah! Wenn das nur so einfach wäre.“

„Warum denn?“

„Üblicherweise rekrutieren sich die Richter aus verdientem Militärpersonal, welche den Rang von Rittern bekleiden. Und die...“

„... gehen meist an archadische Adelige?“, beendete Penelo den Satz.

„Genau. Sie erwecken zwar einen höflichen Anschein und leisten auf ihre Weise gute Arbeit, aber privat mit denen zu tun zu haben, möchte ich ehrlich gesagt lieber nicht.“

„Gib’s zu, du vermisst uns!“

Basch nickte und sah verlegen zur Seite.

„Ich gebe es ungern zu, aber ja. Deine Zankereien mit Vaan, Ashes Sturheit... selbst Balthier und Fran vermisse ich“, gab er bekümmert zu.

„Vielleicht sollte ich Larsa bitten, dir mal Urlaub zu geben. Oder anfangen, dir auch Briefe zu schreiben?“, schlug die Blondine vor.

Das brachte den Hauptmann nun wieder zum Lachen.

„Larsa gibt mir sowieso jeden deiner Briefe zu lesen.“

„Wie bitte?!“

„Ich weiß bestens Bescheid!“

Penelo sah Basch geschockt von der Seite her an, während dieser nur in seinen Bart hinein schmunzelte.

„Da muss ich ja in Zukunft darauf achten, was ich schreibe...“, meinte sie.

„Ach was. Da müsste Vaan sich mehr Gedanken darüber machen, wenn er Briefe schreiben würde.“

Sie schwiegen wieder. Das Shuttle bewegte sich noch immer mit unverminderter Geschwindigkeit fort, aber der Hauptmann schätzte, dass sie jeden Moment im Hiria-Bezirk ankommen würden. Vermutlich würde Penelo von der Masse von Leuten, die sich üblicherweise dort aufhielten, erschlagen werden. Anders als das Zentrum wurde dieser Stadtteil mehrheitlich von Zweitbürgern bevölkert. Nur sehr selten verirrte sich einmal ein Erstbürger dort hin. Dementsprechend geschäftig ging es dort zu. Der Pilot verringerte ihr Tempo und hielt dann an einem Taxistand, jenem im Nirvas-Bezirk nicht unähnlich. Die Passagiere stiegen aus und traten zur Promenade hinauf.

„Das ist ja unglaublich!“

Penelo klang überwältigt. Sie versuchte, sich ein Bild über die nähere Umgebung zu machen, wurde aber von der Masse an Leuten überwältigt. Und das, obwohl bei weitem weniger los war, als Basch es gewohnt war. Die Architektur, die sich der jungen Frau bot, war weniger pompös als im Zentrum, wirkte aber nichtsdestotrotz edel. Zwischen den vielen umher flanierenden Gestalten konnte sie auch vermehrt Bangaas und Seeks ausmachen. Scheinbar konnten sie in den Bezirken, die von Zweitbürgern bewohnt wurden, leichter Fuß fassen.

„Und jetzt?“, fragte sie, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte.

„Tja. Jetzt sehen wir uns um. Vielleicht siehst du ja in einem der Schaufenster etwas, das dir gefällt?“

Penelo nickte und die beiden gingen los, die Stadt unsicher machen.
 

* * *
 

Es war Nachmittag geworden. Larsa saß in seinem Audienzsaal und fächelte sich Luft zu, während er gestresst auf die kleine Partie blickte, die vor ihm auf bequemen Polstersesseln lungerte. Doch nicht sie waren der Auslöser seines Ärgers, sondern vielmehr die Nachrichten, die sie mitgebracht hatten. Rikki, Elza und Razz waren ein seltsames Gespann, aber das konnte man wohl von allen Luftpiraten sagen. Momentan saßen sie dem Kaiser gegenüber und machten sich über die Gaben her, die Rikki lautstark verlangt hatte, nachdem ihnen die Bediensteten schon die Stühle herbeigeschleppt hatten.

„Ehrlich, ich muss gestehen, dass mich Eure Kunde nicht wirklich aufheitert“, meinte Larsa deprimiert, „Algen?“

Er warf dem Richter, der neben ihm stand und der die Piraten hergebracht hatte, einen Blick zu, aber Zargabaaths Helm gab nicht frei, was sein Träger dachte.

„Aber wenn ich’s dir doch sage!“, meinte der Pirat während dem Kauen.

Ein Kekskrümel fiel ihm dabei aus dem Mund und in den Schoß und erschrocken fing er an, danach zu suchen. Elza, die einzige Frau des Trios, schüttelte ungehalten den Kopf und begann, in ihrer Tasche zu kramen.

„Wieso seid überhaupt Ihr da und nicht Euer... Bürgermeister?“, fragte der Kaiser neugierig.

„Hat mit der Plage zu tun... Meinte, er kann nich‘ weg und so.“

Rikki hatte den Krümel wiedergefunden und schob ihn sich in den Mund.

„Meinte nur, der kleine Kaiser auf seinem hohen Sessel soll erst mal zeigen, dass er’s ernst meint und uns nicht übers Ohr hauen will.“

„Stimmt. Ungefähr so hat er sich ausgedrückt“, fügte Razz an.

Larsa sah wieder auf seinen Richter, der sich bei der respektlosen Äußerung nun wohl doch gezwungen gesehen hatte, eine drohende Haltung einzunehmen. Die zwei Imperialen, die an der Eingangstür Stellung bezogen hatten, blieben still. Elza ihrerseits schien mittlerweile gefunden zu haben, wonach sie in ihrer Tasche gesucht hatte. Sie holte ein kleines Glasfläschchen hervor, das sorgfältig mit einem Korken verschlossen war. Darin befand sich ein ekelig grüner Brei.

„Falls Ihr es nicht glaubt...“

Sie ließ es quer über den Tisch gleiten und Larsa fing es ein, bevor es ihm auf die Oberschenkel fallen konnte. Wenigstens sie schien so etwas wie Respekt vor ihm zu haben. Neugierig betrachtete der Kaiser den Inhalt und stellte es dann vor sich auf den Tisch.

„Das ist bestimmt etwas für unsere Wissenschaftler. ... Und Ihr sagt, das ganze Meer sei voll davon?“, hakte er nach.

„Soweit das Auge reicht“, bestätigte Rikki, „Die ganze Sache stinkt außerdem bis nach Bhujerba! Wenn du keine Lösung für das Problem findest, war’s das mit leckeren Austern aus Balfonheim für die hohen Herren in Archadis.“

„Außerdem...“, wollte Elza hinzufügen, wurde aber unterbrochen.

Zargabaath hatte klappernd die Arme verschränkt und schaute die drei Piraten streng an, was dank seines Helms aber die Wirkung verfehlte.

„Ein bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf“, murmelte er blechern.

Larsa hatte den Blick wieder auf das Fläschchen geheftet. Es war nachvollziehbar, dass sich die Bewohner Balfonheims in ihrer Not an ihn wandten. Auch wenn ihre Hafenstadt zum archadiaischen Territorium gehörte, verwalteten sie sich komplett selbst. Es gab zwar Aero-Choc-Verbindungen mit anderen wichtigen Städten, aber das Heft hielten Luft- und Seepiraten in der Hand. Kein Wunder also, dass eine Algenplage sie überforderte. Ihre eigene Versorgung mit Nahrungsmitteln stand auf dem Spiel, nicht nur die Austernzucht, die findige Geschäftsleute vor einiger Zeit ins Leben gerufen hatten.

„Es hilft alles nichts, ich werde mir wohl besser vor Ort ein Bild der Lage machen“, meinte der Kaiser und stand auf.

Zargabaath nahm wieder Haltung an, während die drei Piraten verdutzt von einem zum anderen sahen.

„Ey, das war aber nicht abgesprochen, dass du nach Balfonheim gehst“, meinte Razz und kletterte von seinem Stuhl, „Überhaupt, was soll unser Boss sagen, wenn wir mit dir ankommen?“

Larsa verschränkte die Arme. Razz war hinter dem großen Tisch nicht mehr zu sehen.

„Wie soll ich eine Entscheidung treffen, wenn ich überhaupt nicht weiß, was vor sich geht? Meeresbiologen müssen sich erst einmal einen Überblick über die Situation verschaffen und mir dann berichten, wie ernst die Lage wirklich ist.“

„Ey ey ey“, fuhr Rikki aufgebracht dazwischen, „willst du damit etwa sagen, dass wir lügen?“

„Ihr seid Piraten! Außerdem kann ich die Dringlichkeit der Situation besser einschätzen, wenn ich es selbst gesehen habe.“

Die drei sahen sich erneut an, während der Kaiser wieder auf seinem Stuhl Platz nahm.

„Das ist aber nicht nett!“, meinte Elza, „Wir sind ehrliche und einfache Leute, wenn die Situation nicht etwas anderes erfordert.“

„Also, Ihr wollt, dass ich Euch die Algen vom Halse schaffe, aber Ihr duldet weder Wissenschaftler und imperiale Soldaten zu ihrem Schutze noch mich in Eurer Stadt.“

„Seit wann sind Soldaten mit im Spiel?“, fragte Rikki wütend.

Er war ebenfalls aufgesprungen und hatte seine geballte Rechte erhoben. Der Kaiser warf einen kurzen Blick auf Zargabaath.

„Eigentlich müsste ich ja einen hohen Richter schicken, der die ganze Mission leitet... Ich meine, wie stellt Ihr Euch denn vor, dass meine Hilfe aussieht?“

Die drei sahen sich perplex an.

„Irgendwer muss das Zeugs wegräumen... Außerdem gibt es da noch das ein oder andere Problemchen“, murmelte Razz.

„Welches ‚Problemchen‘?“, fragte Larsa.

„Na ja...“

Der Kaiser sah sie der Reihe nach an. Er wollte schon seufzen, unterließ es aber.

„Könnt Ihr die Algen nicht selber wegschaffen?“

„Na ja doch... Ein paar Hände mehr würden aber nich‘ schaden.“

„Und für sowas kommt Ihr hierher?“, fragte Zargabaath.

„Ich glaub‘ das lassen wir lieber...“, meinte Elza zu ihren beiden Begleitern, „Hier kriegen wir keine Hilfe...“

Rikki hatte die Hand wieder sinken lassen, von Razz war nach wie vor nichts zu sehen.

„Du hast Recht, wie immer...“

Die drei wandten sich zum Gehen. Larsa griff nach einem Papier und wandte sich dessen Inhalt zu.

„Es ist Euer Problem, nicht meines...“

Er wartete, bis sie samt imperialem Anhang sein Audienzzimmer verlassen hatten und warf den Zettel dann wieder von sich. Er hob seinen Zeigefinger gegenüber Zargabaath.

„Wenn davon nur ein Wort nach außen dringt!“, drohte er.

Der wich einen halben Schritt zurück und schüttelte dann schnell den Kopf. Besser, er hätte es nicht getan, denn seine herab stehenden Hörner prallten dadurch gegen seine Rüstung und erzeugten ein fröhliches ‚bling, bling, bling‘.

Larsa ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken und sah an die Decke. Die drei Piraten taten ihm leid, aber es war auch die Schuld des Bürgermeisters von Balfonheim. Wieso musste er irgendwelche Unterhändler schicken, die nicht verhandeln konnten? Oder besser gesagt, nicht wollten? Schließlich war es ja nicht so, dass der Kaiser seine Hilfe verweigern wollte. Er wollte ja helfen, aber mit dem Senat im Rücken musste er die Balfonheimer dazu kriegen, Zugeständnisse zu machen, damit sie Regierungsmitarbeiter, egal ob zivil oder nicht, in ihrer Stadt duldeten. So hätte man unter dem Deckmantel von Hilfsmaßnahmen unauffällig nach Lemurés forschen können. Von daher kam dem Kaiser diese Algenplage, so schlimm sie auch war, wie ein Wink des Schicksals vor. Nur warum ausgerechnet Rikki, Elza und Razz?

Basch hatte irgendwann mal von den dreien erzählt und gemeint, dass sie durchaus hilfreich waren, wenn sie wollten. Dass man ihnen jedoch nicht allzu viel Gespür für komplexe Angelegenheiten zutrauen sollte, wenn sie sich außerhalb ihrer Denkweise befand. Irgendwie so hatte er sich ausgedrückt. Mittlerweile verstand Larsa, wie er es gemeint hatte. Die meisten Piraten, die der Junge in seinem Leben kennen gelernt hatte – es waren eh nicht viele – gingen nach demselben Prinzip vor. ‚Schaue, welchen Nutzen du selbst davon hast!‘ Meistens forderten sie irgendwelche Kostbarkeiten für ihre Dienste, aber dass sie ihrerseits etwas geben mussten, wenn sie Hilfe erbaten, darauf waren sie scheinbar nicht vorbereitet. Oder die drei hatten sich erhofft, die Bezahlung könne mit Materiellem erfolgen. Und das beim archadiaischen Kaiser!

„Ich hoffe, Ihr wollt nicht mich nach Balfonheim schicken...“, kam es leise von seiner linken.

Der Richter hatte seinen Helm abgenommen. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

„Nein, keine Sorge, Zargabaath. Ich werde selber gehen... Ich habe mit ihrem Bürgermeister noch andere Dinge zu besprechen, nicht nur ihr Algenproblem. Das mache ich lieber selbst.“

Der Richter kratzte sich am Hinterkopf.

„Nein, ich werde die Odin nehmen. Hauptmann Basch wird mich begleiten. Und Ihr...“

Larsa musterte ihn einmal von Kopf bis Fuß.

„... überlegt Euch, wie Ihr Euch bei dieser Hitze am besten abkühlen könnt.“

Zargabaath sah verlegen zur Seite.

„Ehrlich, wenn das mit den Temperaturen so weitergeht, kriegen wir selber die größten Schwierigkeiten. ... Da darf ich schauen, wie ihr euren Dienst tun könnt, ohne in euren Rüstungen zu braten!“

„Vielleicht kühlt es in einigen Tagen wieder ab“, meinte der Richter hoffnungsvoll.

„Ich bete, dass Ihr Recht behaltet.“

Zargabaath setzte seinen Helm wieder auf.

„Habt Ihr eine Ahnung, welches andere Problem sie noch haben?“

Der Richter schüttelte erneut den Kopf.

„Benötigt Ihr mich noch?“, fragte er.

„Hier nicht mehr, nein. Aber ich wäre Ihnen verbunden, könnten Sie der ersten kaiserlichen Flotte ausrichten, dass ich in etwa einer Stunde nach Balfonheim fliegen möchte.“

Zargabaath nickte leicht und entschuldigte sich dann. Larsa brummte, als er alleine war. Ein flaues Gefühl im Magen erinnerte ihn daran, dass er bisher nur gefrühstückt hatte. Erfreulicherweise musste der Kaiser nicht lange warten, ehe ein Bediensteter die Tür zu seinem Amtszimmer öffnete und sich nach seinen Wünschen erkundigte.

„Erst Amelo, jetzt Balfonheim...“, murmelte der Junge, als der Bedienstete wieder abgezogen war, „Heute scheint Tag der negativen Schlagzeilen zu sein. Ich frage mich, was als nächstes kommt...“

Larsa hatte das unbestimmte Gefühl, dass er das große Ganze hinter den einzelnen Problemen noch nicht erkannt hatte. Die Hitzeglocke, die seit Tagen über Archadis hing, war scheinbar viel größer, als er anfangs angenommen hatte. Nicht nur die Hauptstadt war davon betroffen, sondern auch das Hinterland, das vor allem von der Landwirtschaft lebte. Der Senator hatte ihm am Vormittag davon berichtet, dass der seit Tagen ausbleibende Regen die Ernte negativ beeinflussen würde, wenn sich nicht bald etwas tat.

Amelo, seines Zeichens Gutsbesitzer, war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Agrarwirtschaft. Was er die ganze Zeit tat, bekam Larsa üblicherweise immer erst dann mit, wenn der Senator neue Richtlinien für Viehzucht oder Getreideanbau vorschlug und diese mit stichhaltigen Argumenten und anschaulichen Beispielen für themenfremde Personen darlegte. Meistens klang es schlüssig und fair gegenüber den betroffenen Parteien. Und nur selten wurde im Plenum darüber diskutiert, was aber vermutlich auch daran lag, dass die anderen Senatoren selbst nicht viel Ahnung von der Thematik hatten.

Nachdem Amelo ihn wieder allein gelassen hatte, hatte der Kaiser sich eine Notiz gemacht, sich dringend mehr mit der hiesigen Landwirtschaft zu beschäftigen. Besser, die Bauern wussten, dass ihr Kaiser an sie dachte.

Larsa setzte sich wieder aufrecht hin, als die Tür aufging und der Bedienstete von vorhin mit einem kleinen Anrichtewagen herein gerollt kam, gefolgt von Penelo und Basch. Der Hauptmann hatte einige Einkaufstüten in den Händen und sah nicht besonders glücklich aus.

„Da seid ihr ja!“, begrüßte der Kaiser die beiden, während Speis und Trank aufgebaut wurden, „Habt ihr Hunger?“

Der Bedienstete machte ein erschrockenes Gesicht, aus Angst einen Fehler gemacht zu haben. Penelo ihrerseits schüttelte grinsend den Kopf.

„Schon gut...“, meinte Larsa beschwichtigend.

Eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und ein klapperndes Rennen mit dem Anrichtewagen später waren die drei wieder unter sich.

„Habt Ihr bis jetzt nichts gegessen?“, fragte Basch streng.

„Na ja...“

Entschuldigend fing der Kaiser an, Essen in sich hinein zu schaufeln.

„Wollt ihr sicher nichts?“, hakte er noch mal nach, als er die ersten paar Bissen geschluckt hatte.

„Nein. ‚Onkel Basch‘ ist mit mir Essen gegangen“, gackerte die Blondine.

Dabei legte sie besonders viel Betonung auf das Wort ‚Onkel‘. Zum Glück hatte der Hauptmann einen Sonnenbrand im Gesicht, da fiel es nicht so auf, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg. Genervt drückte er Penelo die Tüten in die Hand.

„‚Onkel?‘“

„Das wollen wir gar nicht wissen!“ entschied Basch und verschränkte die Arme.

„Och!“

Larsa aß weiter.

„Vielleicht erzähl ich’s dir, wenn er nicht da ist...“, meinte Penelo immer noch grinsend.

„Hah!“

Der Hauptmann drehte sich um. Er schien beleidigt zu sein. Der Kaiser schüttelte nur ungläubig den Kopf.

„Sagt mal, was ist denn los, ihr beiden? Habt ihr euch gestritten?“

„Nein. Das nicht... allerdings...“

Penelo warf einen amüsierten Blick auf den Rücken, der ihr zugewandt war. Basch wandte sich ihnen wieder zu und sah erst wütend auf Larsa, dann zu Penelo.

„Ich versteh‘ nach wie vor nicht, wie der drauf kam, dass wir ein Paar sein sollen!“, schimpfte er gereizt, „Das sieht man doch, dass ich viel zu alt bin.“

Der Kaiser verschluckte sich fast am Essen und bekam einen fürchterlichen Hustenanfall.

„Jetzt sieh nur, was du angerichtet hast!“, meinte die Blondine.

„Ich?! Du wolltest die Geschichte unbedingt erzählen.“

Basch überlegte kurz, ob er dem jungen Kaiser auf den Rücken schlagen sollte, damit dieser seinen Bissen wieder hervor bekam, entschied sich dann aber dagegen. Lieber Penelo half ihm.

Dann kann man ihr die Schuld geben, wenn... Obwohl...

Schnell schüttelte er den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Larsa hustete noch ein paar Mal und hatte sich dann wieder halbwegs gefangen. Er atmete mehrmals tief ein und wieder aus, um seinen Puls zu normalisieren und trank einen Schluck.

„Sag sowas nie wieder, wenn ich gerade am Essen bin...“, keuchte er.

Der Hauptmann sah beschämt drein.

„Entschuldige...“

„Aber wie ist es denn zum ‚Onkel‘ gekommen?“, hakte der Kaiser nach.

Er schien trotz allem die ganze Geschichte hören zu wollen. Basch verschränkte die Arme und sah wieder genervt zur Seite.

„Er hat mich als seine Nichte ausgegeben...“, meinte Penelo.

„... Aha...“

Larsa musterte den Hauptmann, ohne was dazu zu sagen. Langsam aß er weiter. Die junge Frau fing an, in ihren Einkaufstüten zu kramen.

„Aber gut, dass ihr gekommen seid...“

Der Kaiser legte Gabel und Messer beiseite und tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab.

„... Ich hab vor, heute nach Balfonheim zu fliegen... Der Termin heute... nun ja, er war eher kontraproduktiv.“

Basch zog eine Augenbrauche nach oben.

„Es sind Piraten.“

„Das hab ich ihnen auch gesagt. Das schienen sie irgendwie persönlich genommen zu haben. Tja, ich hatte so meine Schwierigkeiten mit Rikki, Elza und Razz. Ihr kennt sie ja selber.“

Penelo ließ ihre Sachen wieder sinken. Natürlich kannte sie die drei nur zu gut und es freute sie, mal wieder über Umwege was von ihnen zu hören.

„Ging es nicht um die Rohstoffe auf Lemurés?“, fragte der Hauptmann seinerseits misstrauisch, „Warum schickt der Bürgermeister da die drei?“

„Tja. Gerade da liegt das Problem.“

Larsa griff nach dem kleinen Fläschchen, das nach wie vor auf seinem Tisch stand und reichte es Basch.

„Davon ist das Meer vor Balfonheim voll, wenn man ihren Worten glauben kann.“

Die Blondine verfolgte das Gespräch nun ebenfalls aufmerksam.

„Sind das Algen?“, fragte sie.

„Richtig. Rikki meinte, dass ihre Versorgung mittlerweile davon beeinflusst würde. Deshalb hat ihr Bürgermeister die drei geschickt, um bei mir Hilfe für das Problem zu erbitten. Er selbst habe in der Hafenstadt alle Hände voll damit zu tun.“

„Hm. Dann ist es wohl tatsächlich besser, wenn Ihr Euch die Lage vor Ort anschaut.“

„Eine weitere Herausforderung, der ich mich stellen muss. Sie wollen weder mich, noch Wissenschaftler, geschweige denn imperiale Soldaten in ihrer Stadt haben. Und als ich meinte, ich müsse eigentlich einen hohen Richter schicken, der die Lage vor Ort sondiert, war es ganz aus. Weshalb die drei unverrichteter Dinge wieder abgezogen sind.“

„Das war ja vorher zu sehen. Ihr wisst doch selber, welches Ansehen die Richter mittlerweile in Ivalice genießen“, antwortete Basch.

Larsa nickte verdrießlich.

„Und du willst trotzdem nach Balfonheim fliegen?“, fragte Penelo.

„Na ja. Ich kann ja schlecht die Augen davor verschließen. Selbst wenn man die Piraten dazu zwingen muss. Unabhängig davon ist nach wie vor archadiaisches Staatsgebiet davon betroffen. Ich möchte nicht am nächsten Tag in den Zeitungen lesen müssen, der Kaiser habe seine Untertanen. vernachlässigt.“

Die Blondine sah dabei nicht besonders glücklich aus, während der Hauptmann sich nur nachdenklich über seinen Spitzbart strich.

„Wann brechen wir auf?“, wollte er wissen.

„Sobald ich mit Essen fertig bin und mich umgezogen habe. Zargabaath hat die erste Luftschiffflotte verständigt, sie wird uns hinbringen.“

„Er wollte Euch nicht selber hinbringen?“, fragte Basch erstaunt.

„Nein. ... Er scheint eine Abneigung gegen Balfonheim zu haben.“

„Seltsam. Sonst kann ihn meist nichts bremsen, Euch zu Diensten zu sein.“

„Könnten wir das Gespräch auf später verschieben?“

Der Hauptmann nickte nur.

„Dann werfe ich mich lieber in Schale. Ich hol Euch dann ab“, meinte er und setzte sich in Bewegung.

Larsa wollte noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Basch würde länger damit beschäftigt sein, seine Rüstung anzuziehen. Besser, er fing zeitig damit an.

„Und was soll ich solange machen?“, fragte Penelo, als die beiden alleine waren.

„Ich hatte eigentlich gehofft, mir den Nachmittag freinehmen zu können, aber das wird leider nichts. Möchtest du stattdessen nicht lieber mitkommen?“

„Ist das denn in Ordnung?“

„Ja, warum denn nicht?“

„Basch hat heute mal was von ‚Amtsmissbrauch‘ erwähnt.“

„Oh. Na ja. Aber es ist auch unhöflich, wenn man für seine Gäste keine Zeit hat.“

„Das stimmt. Aber ich möchte nicht, dass du wegen mir Ärger mit dem Senat bekommst“, meinte Penelo verlegen.

„Ach was. Ich würde doch sowieso fliegen, ob ich da noch jemand Ziviles zusätzlich mitnehme, das hat die nicht zu interessieren.“

„Wenn du es sagst. ... Aber ich hätte vielleicht mit Basch mitgehen sollen. Jetzt stehen meine Einkäufe hier herum.“

„Die kannst du solange zu mir ins Zimmer stellen. Los, wir beeilen uns lieber.“

Penelo nickte und sie verließen in Begleitung der beiden imperialen Soldaten als Eskorte das Audienzzimmer.
 

* * *
 

Einige Wolken waren hier und da zu sehen, die träge über das Firmament zogen. Dazwischen brannte die Sonne auf die Tchita-Ebene herab. Das Land flog nur so dahin und Penelo gelang es nicht, größere Einzelheiten zu erkennen. Alles war wie eine verschwommene braune Masse. Und das beunruhigte sie, denn um diese Jahreszeit sollte es hier eigentlich saftig grün aussehen. Seit etwa einer viertel Stunde waren sie nun unterwegs.

Larsa und der Hauptmann standen einige Meter hinter ihr auf der Brücke und hatten sich am Anfang mit dem Kommandeur der Odin unterhalten. Vermutlich besprachen sie ihre weitere Reiseroute, denn der Kaiser beabsichtigte, nach Balfonheim noch die auf den Steppen lebenden Bauern zu besuchen.

„Wir brauchen vielleicht noch zehn Minuten“, meinte Basch, der zu ihr hingetreten war.

Penelo warf ihm einen kurzen Blick zu, nickte und sah dann wieder aus dem Panoramafenster.

„Es ist ganz ungewohnt, auf Einladung des Imperiums in einem Luftschiff mitzufliegen. Ohne dass man dabei Gefangener ist. Das letzte Mal... Das letzte Mal waren wir auf einem imperialen Luftschiff, um die Bahamut zu zerstören.“

„Ich kenne das Gefühl, ich hatte es anfangs auch. Man fühlt sich furchtbar fehl am Platz, noch dazu, wenn einem die Crew immer wieder verstohlene Blicke zuwirft.“

„War es wirklich so schlimm?“, wunderte sich Penelo.

„Ja. Was meinst du, was los war, als Larsa damals mit mir im Schlepptau auf der Alexander angekommen ist? Der alte Zargabaath war mehr als nur misstrauisch und schien nur deshalb nichts zu sagen, weil er es sich mit dem zukünftigen Kaiser nicht verderben wollte.“

„Ah ja? Beruht die Abneigung denn auf Gegenseitigkeit?“, hakte die Blondine nach.

Basch nickte.

„Ich muss zugeben, dass ich mit ihm auch meine Schwierigkeiten habe“, murmelte er ihr zu, so dass es sonst niemand verstand, „Aber lass uns nicht hier darüber sprechen.“

„Seht Euch das an“, meinte Larsa, der nun ebenfalls ans Fenster getreten war und gen Horizont deutete.

Dort, wo man üblicherweise tiefblaues Meer glitzern sehen konnte, waberte nun eine giftig grüne Masse. Ein Crewmitglied, das in ihrer Nähe stand, murmelte etwas Unverständliches. Er schien genauso geschockt zu sein bei dem Anblick wie sie selber.

„Dann hat Rikki also nicht gelogen“, meinte Basch, als sie sich einigermaßen von dem Schock erholt hatten.

„Üblicherweise sind die drei ehrlich“, kommentierte Penelo, „Außerdem hätte es ihnen wohl nichts gebracht, eine solche Geschichte zu erfinden.“

Der Hauptmann kratzte sich am Hinterkopf.

„Die Athmos wird in Kürze bereit sein, Eure Majestät“, verkündete der Kommandeur.

„Nun, dann machen wir uns lieber auf den Weg“, meinte Larsa, „Die Piraten dürften mittlerweile auch registriert haben, dass sie den Himmel nicht mehr für sich alleine haben.“

Basch stimmte ihm zu und zusammen mit Penelo verließen die beiden die Brücke. Zwei komplette Trupps standen bereit, als sie bei ihrem Transportmittel ankamen.

„Mehr habt Ihr nicht antreten lassen?“, flüsterte der Kaiser erstaunt.

„Ich kann auch noch eine zweite Athmos bereitmachen lassen“, konterte der Hauptmann, „Oder wir überladen diese mit einem weiteren Trupp Soldaten.“

„Nicht nötig.“

Die Blondine grinste verschmitzt vor sich hin. Basch schien ziemlich pingelig zu sein, wenn es um die Sicherheit des Kaisers ging. Und scheinbar hatten sie sich deswegen schon öfter in die Wolle gekriegt, wenn man Larsas sarkastischen Unterton von gerade eben richtig deutete.

Das Übersetzen mit der Athmos dauerte nicht einmal drei Minuten und schnell hatten sie das Terminal betreten. Bereits hier war es zu riechen. Penelo gab ein würgendes Geräusch von sich und hielt sich dann eine Hand über Mund und Nase. Die anderen tat es ihr gleich, soweit es ihnen möglich war.

„Das ist ja widerlich“, meinte Basch.

Er klang furchtbar nasal und machte ein höchst angeekeltes Gesicht. Der Kaiser enthielt sich eines Kommentars. Stattdessen holte er ein unbenutztes Stofftaschentuch hervor und band es sich vor das Gesicht.

Jetzt sieht er aus wie ein Verbrecher...‘, dachte Basch.

Er tat es im gleich. Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung und wurde dabei von zahlreichen Blicken taxiert. Penelo fand die Situation ähnlich wie damals, als Larsa und Basch sie am Luftschiffterminal in Archadis abgeholt hatten. Damals hat das Gemurmel der Öffentlichkeit auch hauptsächlich ihnen gegolten. Aber im Gegensatz dazu war das Verhalten der Bevölkerung jetzt eher abschätzig und misstrauisch. Und durch die Tatsache, dass sich die Einheimischen auch alle einen provisorischen Atemschutz vor ihre Gesichter gebunden hatten, konnte einem ziemlich mulmig werden.

Der Kaiser verließ mit seinem Anhang das Terminal. Bis jetzt hatte sich noch niemand bemüßigt gefühlt, sie willkommen zu heißen. Larsa hatte das zwar gar nicht erwartet, aber dass alternativ auch niemand fragte, was sie hier zu suchen hätten, wunderte ihn schon etwas.

„Ich schlage vor, wir laden uns selbst ein, Majestät“, meinte Basch.

„Wird wohl besser sein. Wo müssen wir hin?“

„Folgt mir.

Sie folgten dem Straßenverlauf. Der Hauptmann stellte erstaunt fest, dass ziemlich wenig los war in den Straßen. Vermutlich waren die meisten mit den Algen beschäftigt. Basch wollte den Kaiser gerade um eine Ecke führen, da kam ihnen Rikki wutschnaubend entgegen. Auch er hatte ein Tuch vor den Mund gebunden. Basch stellte sich halb schützend vor seinen Herrn, als er etwas von ‚aufgeblasenem Gockel‘ vernahm und sah den Piraten streng an.

„Oh!“, machte dieser aber stattdessen, als er Penelo sah, „Das ist aber eine Überraschung.“

„Ganz meinerseits“, meinte die Blondine hinter vorgehaltener Hand, „Wie geht es Euch denn so? Abgesehen von Eurem kleinen Problem?“

„Ganz gut. Ich muss schauen, wo die andern zwei stecken, die wollten mithelfen, das Zeug aus der Stadt auf’s Hinterland zu bringen. Sind aber längst überfällig die beiden...“

Basch räusperte sich.

„Ja was denn?“, schimpfte Rikki, „Darf man denn nich‘ alte Bekannte begrüßen?“

„Bitte?“, fragte der Hauptmann pikiert.

Der Luftpirat wandte sich an Larsa:

„Kannst gleich wieder abziehen! Wir kommen hier sehr gut selbst zurecht!“

„Das sehe ich. Ich bin aber eigentlich in einer anderen Angelegenheit hier.“

„Tatsächlich? Warum?“, wollte Rikki wissen.

„Das klär ich lieber mit Eurem Bürgermeister. Ist er denn zu sprechen?“

Sein Gegenüber warf ihm einen beleidigten Blick zu.

„Er ist gerade am Strand unten und hat eine Schaufel in der Hand, wenn du’s genau wissen willst. Anders als in Archadis packt der Chef hier nämlich noch selbst mit an.“

Der Kaiser stöhnte innerlich.

„Hättest Du wenigstens die Güte, uns hinzuführen?“, fragte er höflich.

„Nein!“, antwortete Rikki brüsk, „Geh selber hin! Die Residenz ist ja schließlich nicht zu verfehlen! Ich such lieber weniger komplizierte Gesellschaft...“

Damit stürmte er davon. Larsa sah ihm verblüfft hinterher, während Basch und Penelo nur simultan die Köpfe schüttelten.

Der wird sich wohl nie ändern...‘, dachte der Hauptmann.

Sie setzten sich wieder in Bewegung. Nach einem längeren Fußmarsch, bei dem sie immer wieder mit schimmeligen Algen vollbeladenen Wägen ausweichen mussten, hatten sie das Ende der Stadt erreicht. Die Zitadelle war noch genauso, wie Basch sie in Erinnerung hatte. Oder zumindest fast genauso. Die riesigen grünen Berge vor dem Gebäude wirkten definitiv fehl am Platz und auch die pinkfarbenen Wimpel, die vom Dach herabhingen, ließen auf einen eigentümlichen Geschmack schließen, den der neue Hausherr haben musste.

„Wir fragen am besten da drüben mal nach“, meinte der Kaiser und deutete auf einen der Algenberge, den einige Leute in die Karren schaufelten.

Als Larsa samt Gefolge bei den Arbeitern ankam, hörten diese von selbst auf und musterten die Neuankömmlinge von oben bis unten. Ein muskelbepackter Bangaa mit einer großen Schaufel in der Hand drehte sich nach einem kurzen Moment um.

„Ey Boss! Der Kaiser is‘ da‼“, brüllte er.

Basch verschränkte die Arme, enthielt sich aber eines Kommentars. Besser, man reizte die Piraten nicht zu sehr. Was Larsa dachte, war ihm nicht anzusehen. Lediglich Penelo machte ein neugieriges Gesicht. Sie mussten nicht lange warten, bis der hiesige Bürgermeister hinter einem der Algenhaufen hervor trat. Synchron klappten bei den dreien die Kinnladen runter, was aber nicht zu sehen war.

„Das... Das ist...“, stotterte Basch.

Der Kaiser seinerseits starrte immer noch mit offenem Mund auf die Person vor sich, ohne ein Wort rauszubekommen.

„Sie sind...?“, versuchte Penelo.

„Ja was denn?“, schimpfte der Bürgermeister ungehalten, „Ist das denn so abwegig, oder was?“



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