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Kiss me hard before you go

von

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Wahrheit wird Pflicht

Kapitel 30 Wahrheit wird Pflicht
 

„Nur eventuell?", hakt Antony lachend nach. Ich gebe ihm nur ein leichtes Zucken zur Antwort und bin fast traurig als Antony schönes Lachen verstummt. Er mustert mich mit eine eigenartigen Ruhe. Seine langen schlanken Finger verweben sich in dem Stoff meiner Jacke.

„Was muss ich tun um aus dem Eventuell ein Definitiv zu machen?", fragt mein Gegenüber in einem sanften, flirtenden Tonfall. Es folgt ein leichter Ruck, der mich noch etwas dichter zu ihm positioniert. Er streicht mit dem Daumen meinem Hals entlang, während er meinen Kragen richtet und seinen Blick nicht von meinen Lippen nimmt. Seine schönen Augen wecken mein Verlangen. Es strömt in mich hinein. Durch jede Pore. In jede noch so winzige Zelle meines Körpers. Dabei reden wir nur über das Teilen von Popcorn.

Seine Lippen sind mir so nah. Ich kann ihn förmlich schmecken. Ich denke nicht lange darüber nach, sondern presse alsbald meinen Mund auf seinen. Etwas härter als gewollt, aber mit all der Erregung, die sich in mir aufgebaut hat. Unser Kuss ist intensiv und tief. Ich spüre seine Zunge, die sich zwischen meinen Lippen bewegt. Jedes Stupsen, jede noch so kleine Berührung löst ein heftiges Prickeln in mir aus. Ein Teil davon verebbt in meinen Zehen und den Fingerspitzen, doch der Löwenanteil bündelt sich in meinen Lenden. Ich merke, wie mich Antonys starke Arme dichter an sich heran drücken. Sein Becken schmiegt sich gegen meines. Auch ihn lässt es nicht kalt und ich spüre jedes Mal wieder Freude und Erleichterung. Der Kuss endet nach einer Ewigkeit. So fühlt es sich jedenfalls an und ich möchte nichts lieber, als das es niemals endet. Doch ich warte vergebens darauf, dass sich die wohligen Lippen wieder auf meine senken. Als ich meine Augen öffne, sehe ich, dass auch Antonys geschlossen. Er genießt den Moment, so wie ich.

„Wir sollten langsam reingehen", flüstere ich, versuche den letzten Funken dieses Augenblicks in mich einzusaugen und zu bewahren. Mit einem Lächeln auf den Lippen nickt er, legt seinen Arm um meine Schultern und deutet zum Eingang.
 

Wir treten durch einen schweren Vorhang hindurch und ich habe das Gefühl eine Zeitreise zu machen. Die Innenräume des Kinos sind klein und schummerig. Die Luft ist dicker und es liegt ein süßlicher Geruch darin. Nicht nur nach Popcorn, sondern allerhand anderem. Die Wände sind überzogen von alten, antiquarischen Filmplakaten. Gesichter, die ich nicht kenne. Filmnamen, die ich noch nie gehört habe. Irgendwo erklingt das leise Poppen des klassischen Kinosnacks. Der Geruch von karamellisierten Zucker wird deutlicher. Ein Rascheln und ich sehe zu dem Tresen, an dem eine ältere Frau steht und uns aufmerksam mustert. Sie scheint das jüngste hier zu sein und das obwohl ihre Haare durch und durch weiß sind. Sie trägt eine ausgewaschene Uniform, die mit noch weniger Farbe einem Schwarzweiß Film entsprungen sein könnte. Sie lächelt, als sie meinen Blick bemerkt und ich fühle mich seltsam ertappt. Antony löst sich von mir und geht auf sie zu. Ich kann nicht ausmachen, ob sie sich kennen oder ob sie nur das allgemeine Geplänkel vollführen. Ich bin an Ort und Stelle stehen geblieben. Meine Augen wandern über die vielen Plakate. Ich suche nach den Namen, die mir Antony vorhin genannt hatte, aber ich bringe sie schon wieder durcheinander. Das wenige Licht lässt alles etwas verrucht wirken. Irgendwie aufregend.

„Ben..." Antony ruft mich zu sich heran. Ich komme der Aufforderung nach, bleibe neben ihm stehen. Ich darf die Größe des Popcorns aussuchen und entscheide mich grinsend für die Megaportion. Wohlwissend, dass ich es niemals schaffen werde es aufzuessen und garantiert Hilfe brauche.

Im Kinosaal selbst habe gerade einmal fünfundzwanzig, maximal dreißig Leute Platz. Es riecht nach altem Polsterstoff und ranzigem Öl.

Noch ist niemand anderes hier. Ich wünschte es würde so bleiben. Die Sitzreihen sind aus Holz, die alten Polster zum Teil angesengt und aufgerissen. Es wirkt wenig einladend. Antony zieht mich in eine der vorderen Reihen und sucht uns zwei mittige Plätze aus. Ich drücke vorsichtig die Sitzfläche meines Platzes nach unten und verliere dabei etwas Popcorn.

„Oh...", entflieht es mir und ich drehe mich ruckartig ein paar Mal um meine eigene Achse. Ohne Erfolg. Sie sind so weit unter die Sitze gekullert, dass sie erst hinter uns wieder auftauchen. Erst nachdem ich mich mit dem Knie auf den Sitz stütze und dann nach hinten beuge, erkenne ich die klebrigen aufgepoppten Maiskörner.

„Alles klar?", fragt Antony schmunzelnd, während er mich dabei beobachtet, wie ich über die Lehne gebeugt, versuche die Teile aufzuklauben. Ich versuche die Packung Popcorn nicht noch weiter im Raum zu verteilen und dank Antony gelingt es mir. Er nimmt mir die Süßigkeit aus der Hand und steckt sich ein gepufftes Korn in den Mund. Ich höre, wie er kaut und es knuspert. Nun sehe ich zu ihm und gebe ein empörtes Geräusch von mir. Seine Augenbrauen wandern neckend nach oben, während seine schlanken Finger ein weiteres Popcorn nehmen. Er legt es sich auf die Zunge und seine schönen Augen blicken mich intensiv an.

„Hey, das ist mein Popcorn...", kommentiere ich entrüstet, aber sanft.

„Dann hol es dir zurück", sagt er auffordernd und legt sich die Süßigkeit auf die Zunge. Der Anblick meines älteren Freundes ist so unfassbar verlockend. Ich weiß nicht, was süßer schmecken würde. Er oder das Popcorn. Noch immer auf dem Sitz hockend beuge ich mich zu ihm runter. Antony beobachtet jede meiner Reaktionen und blickt mir erwartungsvoll entgegen.

Ich hauche einen sanften Kuss auf die präsentierten Lippen und schmecke genau das, was ich erwartet habe und so vieles mehr. Es ist eine perfekte Mischung und ich liebe es.

Ich lasse die heruntergefallenen Popcornteile wo sie sind und setze mich neben meinen attraktiven Dozenten, der mir lächelnd und anstandslos die Packung reicht.
 

Kurz bevor der Film beginnt, treffen doch noch ein paar andere Kinobesucher ein. Ein älteres Paar. Ein junger Mann mit ungewöhnlicher Frisur. Ich meine sogar Make up um seinen Augen herum zu erkennen. Zwei Frauen, die sich angeregt unterhalten. Ein wirklich bunt gemischter Haufen. Es wird dunkel und ich identifiziere nur noch hereintretende Schatten. Antony legt seine Hand auf meine, als er merkt, dass ich abgelenkt bin. Ich spüre die Wärme seiner Haut, drehe meine Hand unter seiner herum und verschränke unsere Finger ineinander. Mit der freien gönnen ich mir ein erstes Popcorn teil. Das Karamell schmilzt auf meiner Zunge und die Süße breitete sich in meinen Mund aus. Ich halte auch Antony eines hin, der es dankend entgegen nimmt. Es gibt kaum aktuelle Werbung, sondern viele kleine Clips, die eindeutig aus dem vorigen Jahrhundert sein müssen. Waschmittel. Coke. Dieses nostalgische Flair ist bezaubernd. Der Film beginnt und ich versuche mich bestmöglich darauf zu konzentrieren. Es fällt mir nicht leicht. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich statt auf den Film zu achten auf unsere Hände blicke oder wie ich das berauschende Gefühl seiner Nähe in mich einsauge, wie ein Süchtiger. Genauso, betrachte ich immer wieder Antonys Profil. Bis er mich einmal ertappt.

„Langweilt dich der Film?", flüstert er fürsorglich.

„Nein", erwidere ich lächelnd und reiße mich dann noch etwas zusammen. So oder so, alles an dem Abend lohnt sich. Egal was es ist.

Als der Film endet, hatte ich wirklich spaß daran. Er ist witzig, spritzig und einfach nicht mit den heutigen Sachen zu vergleichen. Wie bei so vielen Dingen. Wir verlassen den Saal als letztes und nachdem wir uns den Abspann angeschaut haben. Die ganze Zeit über hält er meine Hand und erzählt mir Szenen aus anderen Filme, mit denselben Schauspielern. Seine Augen leuchten während er spricht und ich kann einfach nicht aufhören zu lächeln. Auch nicht, als wir aus dem Kino nach draußen treten. Ich atme die frische Luft ein und schließe kurz die Augen. Es fühlt sich gut an. Alles. Antony kommt auf mich zu und bleibt dicht vor mir stehen. Er küsst meine Wange. Meinen Hals. Mich erfasst ein erregter Schauer, als sich sein Kuss hinabarbeitet.

„Hast du Hunger?", fragt er mich und atmet heiß gegen meine Haut. Ich fange fast augenblicklich anzulachen.

„Fragst du mich das wirklich nach der riesigen Portion Popcorn?" Ich halte ihm den fast leeren

Behälter entgegen. Aber es freut mich, dass er unseren gemeinsamen Abend noch nicht enden lassen will. Mir geht es genauso, denn ich genieße jede Sekunden, wenn auch ab und an mit Bauchweh.

„Wir könnten noch etwas trinken gehen...", sagt er lächelnd.

„Ja, unglaublich gern...", sage ich ohne zu zögern. Als ich seinen Vorschlag bejahe, zaubert es wieder dieses angenehme und zärtliche Lächeln auf seine Lippen.

„Gut, dann...", setzt er an und sieht sich um, „...müssen wir nur noch etwas finden..." Auch ich beginne mich umzusehen, doch abgesehen von ein paar geschlossenen Läden ist nichts zu erkennen.

„Das ist nicht gerade eine Partygegend...", kommentiere ich nach den ersten ernüchternden. Eindrücken. Antony lacht auf, streicht sich durch die Haare und greift nach seinem Handy.

„Ich habe irgendwo so eine App. Vielleicht kann die uns helfen?"

„Eine App, ja?"

„Ja, so macht das doch die Jugend von heute, oder?" Nun ist an mir zu lachen. Die einzige App, die ich besitze, ist die, die mir das Wetter vorhersagt und das nur mit einer Genauigkeit von 1: 10000. Schon öfter stand ich mit angesagtem Sonnenschein im Regen. Und einmal auch im Hagel. Auf dem Weg hierher bin ich an einem Späteinkauf vorbei und der erscheint mir gerade, als die bessere Lösung als eine App zu befragen.

„Lass uns einfach in einen Späti gehen und die schöne Nacht genießen", schlage ich vor und greife nach seiner Hand. Sie fühlt sich kühl am, aber umschmeichelt meine, wie es keine andere könnte.

„In einen Späti? Sind das diese winzigen, überteuerten Läden, die 24/7 offen haben und überwiegend von Studenten heimgesucht werden?" Ich schmunzele über seine Beschreibung.

„Ganz richtig!! Nicht schick, aber durchaus nützlich", sage ich und lasse mich nicht von seinem kritischen Tonfall irritieren. Lächelnd ziehe ich ihn hinter mir her. Meine Erinnerung ist richtig. Nach einer Ecke und einem Straßenseitenwechsel können wir bei dem Geschäft ausmachen. Als wir ihn betreten, werden wir für einen kurzen Moment komisch beäugt. Mehr Antony als ich, doch keiner von uns beiden reagiert darauf.

„Ich war noch nie in so einem Laden", gesteht er mir, nachdem wir bei den Kühlschränken mit den Getränken stehen bleiben. Dafür beugt er sich dichter an mein Ohr und ich spüre, wie sein warmer Atem zärtlich über meinen Hals streicht.

„Wirklich noch nie?", flüstere ich und schließe meine Augen um diesen Moment etwas mehr zu genießen.

„Nein!" Er schüttelt seinen Kopf und schmiegt sein Gesicht dann kurz in meine Halsbeuge. Es passt auch nicht zu ihm. Mein werter Dozent ist mehr Cabernet Sauvignon, als Radler. Eben exquisite. Bei dem Gedanken schleicht sich ein amüsiertes Lächeln auf meine Lippen. Wir sind so unterschiedlich, doch stört es mich nicht.

„Worauf hast du Lust?", fragt er mich, schiebt sich hinter mich und schlingt seine Arme um meinen Bauch. Mein Blick wandert über die vielen verschiedenen Flaschen in den Kühlschränken, aber auch in die normalen Regale.

Früher haben Anni und ich immer diese klassische Alkopopzeug gekauft. Hauptsache süß und mit dem Geschmack von Brause. Später waren es die günstigsten Sorten, die man finden konnte, schließlich hat man als Schüler fast so wenig Geld, wie als Student. Ich greife mir ein einfaches Schwarzbier und halte es so, dass Antony es erkennen kann.

„Vollmundig und erfrischend", erkläre ich meine Wahl.

„Wenn du das sagst..." Der Portugiese lässt mich nicht los, während er sich ebenfalls eines der dunklen Biere nimmt und dann die Tür zufallen lässt. Ich drehe mich in seiner Umarmung um, um mir einen Kuss zu stehlen. Danach spaziere ich mit beiden Flaschen zum Kassierer, ignoriere dessen noch immer eigenartigen Blick und bezahle die beiden Getränke.
 

Draußen sehe ich mich kurz um und ziehe Antony in eine Seitenstraße, die nach einer Weile in einen kleinen Park mit Zugang zum Kanal endet. Die Grünanlage ist nicht gut beleuchtet und sehr schlecht gepflegt. Doch gerade ist es mir egal.

Ich lehne mich an das Gelände und sehe meinem gutaussehenden Dozenten dabei zu, wie er langsam auf mich zukommt. Die Bierflasche liegt locker in seiner Hand.

„Hast du auch einen Plan, wie wir die Flaschen aufbekommen?" Dicht vor mir bleibt er stehen. Ich schließe die Augen und atme seinen Duft ein. Er riecht betörend. Trotz meines offensichtlichen Rausches atme ich aus, statt erneut ein und drehe mich um. Den Kronkorken hake ich über das Geländer, mache eine schnelle Bewegung mit der Hand und höre, wie es im Inneren der Flasche zu zischen beginnt. Der metallische Verschluss landet im Grün. Mit meinem offenen Getränk in der Hand, wende ich mich wieder zu Antony um.

„Wow...", kommentiert er erstaunt. Lachend drücke ich ihm meine Flasche in die Hand und nehme ihm seine ab.

„Ja, zur Not macht es auch immer ein Schlüssel..." Ich mache das gleiche noch mal. Diesmal klappt es nicht auf Anhieb und ich höre Antony hinter mir leise lachen.

„Irgendwie beruhigend, dass du kein Bierflaschen-Öffnungsexperten bist."

„Vielleicht bin ich es trotzdem und...das gerade war nur Taktik...", gebe ich ernst von mir und muss sofort unernst kichern. Antony schließt die kleine Lücke zwischen uns und neigt sein Gesicht in meine Halsbeuge. Sein heißer Atem legt sich wohltuend auf mich. Doch erst als ich seinen warmen Lippen auf meiner Haut spüre, endet mein albernes Lachen.

„Du hast also keine schmuddeligen, improvisierten Partynächte erlebt, während des Studiums?", frage ich neugierig und streiche ihm eine dunkle Haarsträhne zurück. Ich weiß ihm Grunde so wenig über ihn. Und ich will alles wissen.

„Was soll ich sagen? Ich war ein ganz braver und sittsamer Student", sagt er auffällig unverdorben und grinst schuldlos.

„Wirklich?" Ich glaube ihm kein Wort.

„Ja, nur hin und wieder gediegene, ganz harmlose Sektabende", erklärt er mit einem verschmitzten Augenbrauenzucken und scheint seine Vergangenheit selbst zu belächeln. Ich nicke verstehend und kann mir ein leises Lachen nicht mehr verkneifen.

„Nichts als Langeweile, also", fährt er fort, „Aber sag doch...woher kennst du denn solche Partynächte?" Seine Augen funkeln mir neckisch entgegen und lassen mir keine Chance für Ausflüchte.

„Na ja, ich kenne eher die abgeschwächte Schülerversion...Ein bisschen Bier...billiger Schaumwein...geschwänzte Schulstunden und heftige Kopfschmerzen inklusive", erläutere ich und versuche die vielen Erinnerungen zu verdrängen. Ich denke nicht gern daran zurück, da es keine schöne Zeit für mich gewesen ist. Sie war einfach nur betäubend und erdrückend. Anni kann von einigen meiner Eskapaden ein Lied singen.

„Wie ungezogen...", murmelt er.

„Nein, nur etwas aufmüpfig", relativiere ich. Auch, wenn das eindeutig untertrieben ist. Antony lächelt mir zu, nimmt einen schnellen Schluck aus der Flasche und verursacht ein Aufschäumen. In letzter Sekunde schafft er es das Überlaufen zu verhindern, indem er seinen Mund auf die Öffnung presst.

„Herrje..." Ein Tropfen, der von seiner Lippe perlt, landet dennoch auf dem Revers seines Mantels. Mein Dozent enttarnt sich damit selbst als definitiver Nichtbiertrinker und fährt sich überfordert übers Kinn.

„Machst du auch das zum ersten Mal?", frage ich fröhlich neckend. Mit dem Daumen entferne ich den schaumigen Rückstand auf seiner Jacke. Der Ältere schaut mir dabei zu und als ich wieder aufsehe, küsst er mich. Er ist ganz sanft und einfühlsam. Ich schmecke das herbe Aroma des Gerstensaftes, welches auf seinen Lippen hängt und schließe meine Augen, als es immer süßer wird. Antony fasst mir an die Hüfte und zieht mich dichter an sich heran. Ich versinke in diesem wunderbaren Gefühl und will nicht, dass es endet. Zärtlich bewegen sich seine Lippen auf meinen. Mit jeder Berührung, mit jedem Ertasten werden sie fordernder, leidenschaftlicher und ich öffne gierig meine Lippen um den Kuss noch intensiver zu gestalten. Seine Zunge bettelt und ich stupse ihr entgegen, spüre das heftige Kribbeln als sich die empfindsamen Oberflächen treffen. Wieder und wieder. Jedes Mal explodiert es mit einem sanften Prickeln in meinem Unterleib. Ich lasse meine eigene spielerisch in seinem Mund gleiten und werde energisch empfangen. Ich koste es vollkommen aus, streiche mit der Zunge sanft über die Innenseite seiner Oberlippe und werde erneut in die verführerische Höhle gelockt.
 

Ich weiß nicht, wie lange wir küssend beieinander stehen. Es ist mir auch egal. Es ist dunkel und wir stehen fern ab jeglichen normalen Lebens. Hier steppt sowieso nicht der Bär. Als Antony den Kuss löst, raune ich enttäuscht auf. Ich bleibe am Geländer gelehnt stehen, stelle meine Bierflasche darauf ab und greife nach dem Saum seines Mantels. Ich schließe den untersten Knopf. Es ist kühl. Ich schließe den zweiten. Dritten. Ich will nicht, dass er friert. Als ich beim letzten ankomme, sehe ich ihm tief in die Augen.

Antony haucht mir einen weiteren Kuss auf die Lippen und nimmt dann lächelnd einen Schluck aus seiner Flasche. Er stellt sich neben mich und lehnt sich mit dem Gesicht zum Kanal vor auf das Geländer. Auch ich trinke einen großzügigen Schluck, genieße das malzige Aroma, welches auf meiner Zunge prickelt und nehme die gleiche Position ein, wie er. Ich beobachte einen Gassigeher samt Pudel auf der gegenüberliegenden Straßenseite bis der Portugiese mir sachte mit seiner Schulter gegen meine stupst.

„Wollen wir weiterlaufen? Es wird langsam ganz schön frisch", merkt er an. In der Nähe von Wasser ist es sowieso immer etwas kälter. Ich nicke, sehe erst nach links und dann nach rechts. Ich entscheide mich für die erste Variante, weil diese uns näher zu unseren Wohnrichtungen führt. Antony scheint das Bier zu schmecken, denn er leert es als erster. Vorbildlich stellt er die Flasche nicht irgendwo ab, sondern sucht einen Müllereimer. Bevor er sie darin entsorgen kann, halte ich ihn zurück und stelle sie daneben. Ich erkläre ihm, dass es immer jemanden gibt, der sie wegen des Pfands einsammelt. Lächelnd nehme auch ich die letzten Schlucke etwas schneller, spüre, wie sich die Scheinwärme des Alkohols in meinem Adern ausbreitet. Ein Kilo Popcorn ist keine wirklich gute Grundlage. Meine Flasche stelle ich neben seine.
 

Als eine Autotür zu knallt, sehe mich erschrocken um und halte unweigerlich Ausschau nach einem dieser schwarzen Luxuskarosserien. Es macht mich jedes Mal wieder kribbelig. Der Gedanke an Mateo und dessen deutliche Warnung geistert unentwegt meinem Kopf umher, auch wenn ich schon den ganzen Abend mit Ablenkung dagegen wirke. Er ist immer da.

Ich sollte es ihm sagen. Aber ich will nicht, dass er es als Anlass nimmt sich wieder zurück zu ziehen. Nicht nach heute. Nicht nach diesen wunderbaren Momenten. Ich möchte nichts sehnlicher, als das er sich mir weiter öffnen kann, ohne den dunklen Schatten in seinem Rücken. Vielleicht sollte ich es nicht tun? Aber es sollte auch nicht zwischen uns stehen. Es ist nie gut Geheimnisse zu haben und das haben wir beide bereits zu spüren bekommen. Antonys Eifersucht. Der Schmerz, als ich erfuhr, dass Mateo zwischen uns steht. Es brennt auch jetzt. So eine Szene möchte ich nicht noch mal erleben. Ohne es wirklich zu bemerken, halte ich ihn zurück eher er sich zu weit von mir entfernt.

„Hey, warte kurz... Du hast mir bisher nicht erzählt, wie es vor ein paar Tagen mit Mateo gelaufen ist. Hast du..." Ich schlucke bevor ich den Satz beende."...Hast du ihm von mir erzählt?" Antony macht die zwei Schritte wieder auf mich zu und bleibt neben mir stehen. Seine Hände vergraben sich vollends in seinen Jackentaschen und wenn er könnte, würde er sie noch tiefer schieben. Die Thematik hätte er gern vermieden. Wahrscheinlich hat er deshalb nicht von allein davon begonnen

„Was hat er von dir gewollt?", frage ich weiter als Antony keine Anstalten macht. Ich muss es einfach wissen und so sehe ich ihn auch an. Kurz leckt er sich über die Lippen und senkt die Lider.

„Es war nur eine seiner Stippvisiten. Seine Art mich daran zu erinnern, wo ich stehe", erzählt er. Seine Antwort befriedigt mich nicht. Also sehe ich ihn weiterhin auffordernd an. Anscheinend so effektiv, dass er augenblicklich einknickt.

„Ich habe ihm nicht von dir erzählt, dass wäre nicht sehr schlau. Und es ist nicht so einfach... Ich sagte ihm schon so oft, dass ich diese Beziehung als beendet erachte. Herrje, ich bin sogar in ein anderes Land geflohen."

„Ich weiß...", flüstere ich. Seine kühlen und doch so sanften Augen sehen mir seltsam bittend entgegen. So als wollte er, dass ich wirklich verstehe, dass es nicht leicht für ihn ist. Das tue ich. Aber es ändert nichts daran, dass es so nicht weitergehen kann. Sein bedachtes Gerede hilft nicht. Mateo wird es so nie verstehen.

„Mateo war bei mir", sage ich nach kurzem Zögern und bereue es sogleich. Antony Mimik ändert sich schlagartig und er bleibt mitten im Schritt stehen.

„Was?", entflieht es ihm ungläubig. „Wann?" Alles an seiner Haltung hat sich gewandelt. Er wirkt angespannt, fast furchterfüllt. Auch er sieht sich kurz um. Sein Blick ist ernst und sorgenvoll.

„Als ich gestern nach Hause gekommen bin...Er wollte... Er hat...", stottere ich verlegen, „Ich wollte es dir eigentlich nicht erzählen." Antony schnauft und sieht mir entrüstete entgegen.

„Was? Wieso nicht?" ich zucke mit dem Schultern, weil ich nicht gestehen will, dass befürchte, dass Antony dann vollends das Weite sucht. „Wieso sollte ich es nicht wissen? Was hat er dir gesagt? Hat er dir irgendwas getan?", hakt er nach, als ich beharrlich auf etwas Uninteressantes am Boden starre. Ich ziehe lautlos viel Luft in meine Lunge und stoße sie aus, als ich wieder aufsehe.

„Ich soll mich einfach von dir fernhalten. Mehr nicht", sage ich gerade heraus, beinahe stur. Ich merke erst im Nachgang, wie absurd es ist, so zu reagieren. Antony fährt sich mit der flachen Hand über den Mund, streicht mit dem Daumen über die Lippen und schließt die Augen.

„Benedikt, das ist wirklich ernst. Mit Mateo ist nicht zu spaßen. Verstehst du das denn nicht? Er ist gefährlich." Eindringlich. Der Ernst in seiner Stimme verursacht mir Gänsehaut.

„Gut, dann lass uns zur Polizei gehen", rufe ich aus und sehe ihn ebenso bedeutungsvoll an, „Er bedroht dich und auch mich." Ich greife nach Antonys Hand. Aus einer Abwehrreaktion heraus versucht er sie mir zu entziehen, doch ich halte ihn eisern fest. Ich will ihn nicht verlieren.

„Das wird nichts bringen." Seufzend streicht er sich wieder mit der flachen Hand übers Gesicht. Ruhelos und zweifelnd.

„Woher willst du das wissen?"

„Weil die Polizei nichts tun kann, Ben."

„Natürlich. Es gibt Kontaktverbote und..."

„Und du denkst er würde sich daran halten? Sowas interessiert ihn nicht."

„Aber du könntest ihn anzeigen."

„Ben, ich... ich kann einfach nicht..."

„Wegen Professor Stroud? Denkst du wirklich, er würde dir schaden wollen, weil du..."

„Er ist es nicht allein, okay. Es ist die ganze verdammte verfahrene Situation", unterbricht er mich schnell und energisch.

„Aber du kannst nicht ewig davor weglaufen. Willst dauernd auf der Hut sein? Willst du jedes Mal wieder..." Ich stoppe mich selbst als ich daran denke, wie ich die beiden in seinem Büro gesehen habe. Wie er mir erzählt hat, dass er Mateo trotz Unwillen seine sexuellen Wünsche erfüllt. Es ist der Schmerz, der mir die Sprache verschlägt und der mich schwer Schlucken lässt. Ich brauche einen Augenblick um die Gedanken abzuschütteln. Auch Antony schweigt.

„Willst du, dass ich dein Geheimnis bleiben muss? Denn ich will das nicht!", äußere ich scharf nachdem ich mich gefasst habe. Ich spüre einen Ruck, der durch den anderen Körper geht und wie seine Hände meine stärker umfassen.

„Nein, natürlich will ich das nicht...Ich will..." Wieder bricht er ab. So als würden ihm einfach nicht die richtigen Worte in den Sinn kommen, um zu beschreiben, was er wirklich will. Seine Hände heben sich in die Lüfte. Resigniert lässt er sie wieder fallen.

„Ich kümmere mich darum...", sagt er plötzlich eigenartig abschließend. Antony streicht mir mit den Fingerknöchel sanft über die Wange.

„Und wie?" Mit der Polizei auf keinen Fall, dass hat er deutlich klar gemacht.

„Ich lass mir etwas einfallen...das verspreche ich dir." Mehr sagt er dazu nicht. „Komm ich bring dich nach Hause", schlägt er mir vor. Doch ich rühre mich nicht vom Fleck. Auch nicht, als er mir an den Ellenbogen greift und versucht mich zum Gehen zu bringen.
 

„Kommst du bitte. Es ist wirklich ziemlich kalt geworden... Ben?"

„Bitte...bitte versprich mir, dass du keinen Rückzieher machst."

„Rückzieher? Wovon?", fragt er irritiert.

„Von uns", erläutere ich zurückhaltend. Er zögert, wendet seinen Blick ab und streicht sich mit der Handinnenfläche über den Mund. Es ist nur ein Augenblick, doch er verunsichert mich unglaublich.

„Glaub mir, ich möchte auf keinen Fall einen Rückzieher machen." Ich soll ihm glauben. Ich soll ihm vertrauen. Nichts anderes verlangt er von mir. Ich versuche es. Aber in meinem Inneren beginnt etwas zu glühen. Ein Funken Zweifel. Ein helles Lodern voller Bedenken. Ich schlucke sie runter und lächele. Er greift wieder nach meinem Arm und diesmal hake ich mich bei ihm ein.

„Kommst du noch mit hoch?", frage ich zurückhaltend und ungewollt flehend, als wie bei der WG ankommen. Die Stimmung ist zwar im Keller, daran kann ich nichts mehr ändern, aber ich möchte ihn einfach nicht so gehen lassen. Nicht einmal für diese Nacht. Ich will die Gewissheit, dass er bei mir bleibt. Auch wenn ich sie niemals in dem Umfang erhalten werden, wie ich sie mir wünsche.

„Und was ist mit deinen Mitbewohnern?"

„Was soll mit ihnen sein?"

„Sie könnten uns hören."

„Na und? Sie schlafen wahrscheinlich schon und bekommen nichts mit." Meine Stimme zittert aufgeregt. Als wäre es das erste Mal, dass ich ihn in mein Zimmer bitte. Antony überbrückt den Abstand zwischen uns. Seine Hände betten sich an meine Wangen und zärtlich hält er mein Gesicht darin. Ein sanfter, zarter Kuss trifft meine Lippen. Danach folgen weitere auf meine Wangen, nahe seiner Daumen. Meiner Stirn. Zum Schluss ein letzter auf den Mund. Ich lasse meine Augen die ganze Zeit über geschlossen. Auch noch, als er mich nur noch ansieht.

„Heute nicht."

Ich unterlasse weitere Versuche ihn davon zu überzeugen mit mir zukommen. Ich trete einfach nur dichter an ihn heran, strecke meine Hände nach seiner Jacke aus, so wie ich es heute schon mehrmals getan habe. Ein einfaches, nicht übermäßig glückliches Lächeln liegt auf meinen Lippen, als ich seinen vertrauten Geruch einatme. Antony greift mir ans Kinn und wir küssen uns. Auch der Kuss ist einfach. Nicht leidenschaftlich. Nicht aufregend. Sondern einfach nur warm und glanzlos liebevoll.
 

Als wir uns voneinander lösen, versichert er mir, dass er mir schreibt, wenn er zu Hause ist. Das er mir schreibt, wenn er am Morgen erwacht. All das, was einem Sicherheit vermitteln soll.

Leise schließe ich die Wohnungstür hinter mir, lehne mich dagegen, während ich mir die Schuhe über den Hacken abstreife. Es war die richtige Entscheidung Antony von dem Zusammentreffen mit Mateo zu erzählen. Ich wiederhole es mehrere Mal und seufze resigniert, als es auch danach nicht überzeugender klingt. Selbst als ich es laut ausspreche und nicht nur denke, wird es nicht besser, sondern eher trauriger. Es fühlt sich seltsam an. Die Unsicherheit frisst mich innerlich auf. Wenn auch langsam. Hoffentlich knickt er nicht ein und hält sein Versprechen.

Mit diesem Gedanken gehe ich duschen. Ich bleibe lange unter dem warmen Wasserstrahl stehen, lasse mir ihn mir direkt ins Gesicht fließen. Auch in den Mund. Einbisschen schlucke ich, den Rest spucke ich wieder aus. Als ich das Badezimmer verlasse, ist genügend Zeit vergangen, so dass Antony mittlerweile zu Hause sein könnte. Vor dem Schrank auf dem ich mein Telefon abgelegt habe, bleibe ich stehen. Mit stetig schneller schlagenden Herzen streiche ich mir mit dem Handtuch durch die feuchten Haare. Bei einer Nachricht würde das kleine Lämpchen blinken. Doch Nichts ist zu sehen.

Lila, das Blinken wäre Lila, geht mir nutzloser Weise durch den Kopf. Ich atme tief ein und schließe die Augen. Es hat gar nichts zusagen. Es gibt tausende Gründe, weshalb er mir noch nicht geschrieben hat. Ich gehen sie alle in meinen Kopf durch. Von einer einfachen roten Ampel-Chaos bis hin zu den schlimmeren Ursachen. Ich ziehe erneut scharf die Luft ein und greife nach dem Telefon. Als ich es berühre, beginnt es im oberen Bereich lila zu blinken. Ich halte die Luft an, aktiviere das Display und sehe in der Vorschau der Nachricht Antonys Namen. Ich lese nicht, was er geschrieben hat, sondern gehe mit dem Handy in mein Zimmer. Erst nachdem ich mich vollständig abgetrocknet und angezogen habe, lese ich den Text. Eine Bestätigung. Ein wenig Honig in Form von Wohlgefallen des vorigen Beieinanderseins. Eine gute Nacht. Es ist genau das, was ich von ihm verlangt habe. Nicht mehr und nicht weniger.
 

Am Morgen weckt mich eine Mail von Kaworu. Er bittet mich um ein Treffen morgen nach dem zweiten Block. Ich willige ein und sinke mit einem bodenlosen schlechten Gewissen zurück ins Kissen. Ich habe immer noch nichts für die Projektarbeit gemacht. Ich zwinge mich hoch, bevor ich noch zu spät komme.

Unkonzentriert bringe ich die Seminare hinter mich und lese nebenbei in den Unterlagen von Kaworu. Ich möchte nicht, dass er erneut den Eindruck bekommt, dass ich mich gar nicht für unser Projekt interessiere. Ich schaffe es mit hängen und würgen alles durchzuarbeiten und wenigstens mal darüber gelesen zu haben. Eine richtige Vorstellung von der Bedeutung von wirtschaftspolitischen Implikationen habe ich allerdings immer noch nicht.

Nach der Uni verschwinde ich in den nahegelegenen Supermarkt. Es wandern überraschender Weise fast nur gesunde Sachen in meinem Einkaufskorb. Tomaten. Salat. Äpfel. Haferflocken und Milch. Anscheinend schreit mein Körper nach Vitaminen und Ballaststoffen. Bei meinem momentanen Schrottessverhalten ist das kein Wunder. Wenn ich in der WG bin, werde ich meinen Körper dahingehend richtig schocken.

Mein Handy klingelt, während ich die Treppen zur Wohnung hochlaufe. Ich gehe ran ohne auf das Display zu schauen. Während ich es mir zwischen Schulter und Wange schiebe, verliere ich die Hälfte meines Einkaufs. Zum Glück ist nichts davon aus Glas oder spröder Plastik.

„Hallo?", frage ich abgelenkt und bücke mich zu den rumkullernden Lebensmitteln. Wieso sind Äpfel so rund? Ich sehe dabei zu, wie einer der beiden Kernobste Richtung Treppenstufe rollt. Daraufhin höre ich mit geschlossenen Lidern dabei zu, wie er sich über die Stufen nach unten verabschiedet.

„Ben, ich bins." Ich vernehme die Stimme meiner Schwester. Ich hätte nicht so schnell wieder mit einen Anruf von ihr gerechnet.

„Ist mit Mama alles okay?", sprudelt es besorgt aus mir heraus ohne sie angemessen zu begrüßen. Ich bin vor Schreck stehen geblieben und atme erst wieder aus, als mir Natalia beschwichtigend zu reden.

„Ja, mit Mama ist alles in Ordnung. Beruhig dich! Sie ist zu Hause. Müde und etwas wehleidig." Ich seufze erleichtert aus und streiche mir die Haare zurück. Ich mache mich auf die Suche nach dem Apfel, während mir meine Schwester berichtet, wie gut oder schlecht sich unsere Mutter wirklich schlägt. Danach schließe ich die Tür zur Wohnung auf.

„Sie ist bestimmt hell auf begeistert, dass sie nichts allein machen kann." In der WG ist es wie immer ruhig. Niemand scheint da zu sein. In der Küche angekommen, stelle die Einkaufstüte auf dem Tisch ab.

„Ja, sie ist überaus erfreut. Sie hat mir schon eine Liste mit Erledigungen gegeben." Neben dem Fenster bleibe ich stehen und mir fällt ein schwarzes Auto auf. Kann es Mateos sein? Meine Gedanken beginnen zu rasen, als ich mich einfach nicht mehr daran erinnern kann, was für einen Wagen er fährt. Er war groß. Aber so groß? Ich weiß es einfach nicht mehr. Das Vorderlicht geht aus und ich halte die Luft an. Ein älterer Herr mit grauen Haaren steigt aus.

„Benedikt!", formuliert sie meinen vollen Namen und holt mich zurück. Mein Herz schlägt hart und heftig.

„Ja, entschuldige...ich dachte nur gerade...", beginne ich und verstumme wieder. Ich spreche es lieber nicht aus. Wie sollte ich auch? Ich kann ihr schließlich nicht sagen, dass das verrückte Ex meines Freundes mir auflauert und Prügel androht. In der Liste der Seltsamkeiten, die sie mit mir schon erlebt hat, steht das nicht mal ganz oben. Vermutlich würde sie nur den Kopfschütteln und sich wiederholt fragen, was es ist, was bei mir schief läuft.

„Alles okay? Du klingst abgelenkt. Schlaflose Nacht gehabt?", fragt sie nach einem Moment seltsam scharf. Ich bekomme Gänsehaut und merke, wie mein Kopf automatisch ein paar Ausreden bereitstellt.

„Nur viel zu tun. Ich habe da so eine wirklich aufwendige Gruppenarbeit." Ich entscheide mich für die simple Variante. Schule und nun Uni war schon immer eine effektive Ausrede. Irgendwas gibt es schließlich immer. Eine Hausarbeit. Eine Klausur. Ein dämlicher Dozent. Bei dem Gedanken beginne ich unwillkürlich zu schmunzeln. Meiner ist nicht dämlich, sondern heiß und unglaublich sexy. Trotzdem beschert es mir nicht nur positive Reaktion.

„Was verheimlichst du? Macht dir die Uni Probleme? Kommst du nicht klar?" Murrend setze ich mich auf die Sitzbank und lasse die Einkaufstüten unbeachtet stehen.

„Keine Probleme. Es ist nur anders und viel."

„Okay, also ist das nicht das Problem? Also ist es jemand neues?" Sie sagt bewusst nicht 'neuer Mann'.

„Vielleicht."

„Ist es etwas Ernstes?"

„Vielleicht...", entflieht mir und ich stocke über meine eigene Wortwahl. „Ich hoffe es zumindest."

„Ich sag es dir, Ben, überlege dir gut wem du dein Herz schenkst und vor allem deinen Verstand."

„Macht das einen Unterschied?"

„Natürlich", sagt sie ohne es weiter auszuführen. Ich höre, wie Natalia am anderen Ende der Leitung seufzt. Anscheinend hat sie sich gerade auf die Couch niedergelassen. So resigniert und schwarzmalerisch habe ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Aber ich verstehe was sie meint. Allerdings bin ich mir nicht sicher, was von beiden schwieriger wieder zurückzuerlangen ist.

„Ich denke nicht, dass wir uns das immer aussuchen können", sage ich ermattet. Ein feines Klagen perlt als Antwort über ihre Lippen. Sie weiß wovon ich spreche. Nur zu gut. Sie liebt ihren Mann, auch wenn er nicht gut für sie ist.

„Die Mädchen und ich wollen morgen den Garten auf Vordermann bringen..." Sie atmet tief durch. „Möchtest du nicht auch kommen?"

„Es ist mitten in der Woche. Ich hab Uni und ...", beginne ich meinen typischen Ausredenmarathon.

„Du hast die Mädchen schon so lange nicht mehr gesehen, Ben. Sie sind mittlerweile bestimmt schneller als du und du würdest sie beim Fangen spielen nicht mehr..." Ihre Stimme wird mit dem letzten Teil immer leiser bis sie verstummt. Ich höre sie tief einatmen danach spricht sie gefasst weiter.

„Gut. Ben pass auf dich auf, hörst du!"

„Ich geb mein Bestes", murmele ich und überzeuge mich selbst nicht.

„Und melde dich, bitte.", redet sie mir ins Gewissen.

„Sicher. Grüß deine Mädchen und Mama."
 

Als ich auflege, höre ich, wie ein Schlüssel im Schloss dreht. Neugierig beuge ich mich zum Flur und sehe, wie Ricks dunkler Haarschopf durch die Wohnungstür wuselt. Er schubst seine Schuhe jeweils mit dem anderen Fuß von seinen Füßen und achtet nicht darauf, wo sie im Flur landen.

„Dir ist schon klar, dass dir Marie dafür eine Standpauke halten wird", rufe ich ihm von der Küche aus zu und sehe mit Erheiterung dabei zu, wie er zusammenschrickt.

„Himmel, Ben, wieso schleichst du hier so sitzend rum?", entflieht ihm und er greift sich theatralisch an die Brust, so als hätte er gleich einen Herzinfarkt. Ich hebe bei diesem eigenartigen Satz fragend meine Augenbraue und sehe an mir hinab und dann wieder zu meinem Mitbewohner.

„Hattest du dir den Satz wirklich durchdacht?"

„Kurz." Er streift sich die Jacke ab, hängt sie an die Garderobe und kommt zu mir in die Küche. Ich blicke ihn immer noch verwirrt an. Auch, wenn ich im nächsten Moment zu grinsen beginne.

„Okay okay...im ersten Moment wollte ich anschleichen sagen, aber dann sah ich, dass du sitzt...und dann war es vorbei", gesteht er grinsend und holt sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Ich kann mir ein leises Kichern nicht verkneifen. Danach bleibt er neben mir stehen und sieht verstohlen in meine Einkaufstüte, die noch immer auf dem Küchentisch steht.

„Du warst einkaufen?", fragt er neugierig und scheint sich zu verkneifen in der Tüte herum zu kramen. Das, was er sieht, findet er anscheinend eigenartig. Sein Gesichtsausdruck ist skeptisch, als er mich ansieht, um danach mit hochgezogener Augenbraue zurück in den Beutel zu schauen.

„Bist du jetzt auf dem Gesundheitstrip?"

„Ja, mein Körper hat mich vorhin fast angeschrien und ich dachte, ich sollte ihn nicht dauernd ignorieren."

„Vitaminmangel?", mutmaßt mein Mitbewohner ganz richtig.

„Kompletter Defizit." Ich setze noch eine Schippe drauf und lächele Rick an. Er lacht und setzt sich mir gegenüber. Draußen schlägt eine Autotür zu und ich schrecke augenblicklich zusammen.

„Bist du okay?", fragt er und ich nicke. Sicherer und fester, als ich es mir selbst zugetraut hätte.

„Ja, und selbst? Wie geht es Cora?", pariere ich mit Gegenfragen. Ganz der Anwalt scheint Rick meinen Versuch zu durchschauen, aber beantwortet brav meine Frage, um mich in Sicherheit zu wiegen. Cora ist auf eine mehrtägige Kursfahrt. Irgendwo an der Küste. Er führt es nicht genauer aus und mir fehlt auch das Interesse, es wirklich wissen zu wollen. Ich nicke brav und spüre ein verräterisches Ziehen in meine Brust, als eine weitere Autotür zugeschlagen wird. Diesmal bin ich nicht auffällig zusammen gezuckt, allerdings werfe ich einen kurzen Blick zum Fenster.

„Okay, was ist los?"
 

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PS: Auch hier geht es mal wieder weiter!!! Asche auf mein Haupt!
 

das del



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Morphia
2019-10-26T06:45:16+00:00 26.10.2019 08:45
🥰 es geht weiter!
Schönes Date. Aber Mateo macht mich auch schon ganz mürbe.


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