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Sieben Tage

Custos Mortis reminiscentia
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Zum 17. Todestag von H.
Hätte ich damals doch nur auch Holzhacken können - aber Basketball half mir auch beim Abreagieren. Komplett anzeigen

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5 – Tag II: Wut

Als Kieran seine Augen wieder öffnete, zuckte er erschrocken zurück. Allegra saß ihm gegenüber auf einem Sessel und beobachtete ihn mit einem zufriedenen Schmunzeln. Es war dunkel, lediglich Mondlicht erhellte den Raum, weswegen er zuerst nur ihr blasses Gesicht sehen konnte, das aussah als leuchtete es. Es dauerte einen Moment, bis er auch den Rest ihres durch die Kleidung, wesentlich dunkleren Körper erkennen konnte.

Er setzte sich aufrecht hin und schwang die Füße auf den Boden. Dabei bemerkte er, dass er auf sich ihrem Sofa befand, konnte sich aber nicht erinnern, wie er hierher gekommen war. „Was ist passiert?“

„Du bist eingeschlafen“, flötete Allegra vergnügt. „Ich wusste gar nicht, dass Geister das können.“

„Ich auch nicht.“

Er spürte Erleichterung, dass es ihr trotz seiner Abwesenheit gut ging, hätte doch in er Zwischenzeit ein neuer Dämon auftauchen können, der es auf sie abgesehen hatte. Oder einer ihrer inneren Dämonen, der sie in den Wahnsinn trieb.

„Habe ich lange geschlafen?“

Sie warf einen kurzen Blick zur Uhr. Es war eine große Standuhr aus dunklem Holz, die in der Dunkelheit kaum von der Wand oder sonst etwas in diesem Raum zu unterscheiden war. Aber Kieran hörte das Ticken, sah die metallenen Zeiger, die im einfallenden Mondlicht von draußen zu leuchten schienen. Anhand ihrer Position sah er, dass es ein Uhr in der Nacht war.

„Nur eine Stunde“, antwortete Allegra schließlich. „Ist dir inzwischen eingefallen, was du machen könntest?“

Auch das Gespräch mit Charon war nicht sonderlich gut verlaufen. Jedenfalls hatte er keinen neuen Hinweis bekommen. Vielleicht sollte er in der nächsten Nacht daran denken, das Gespräch eher in diese Richtung zu lenken. Aber er glaubte, Charon gut genug zu kennen, um zu wissen, dass er das nicht einfach zuließe, wenn es erst einmal soweit war.

Kieran stand vom Sofa auf und trat ans Fenster, ohne einfach hindurchzugehen. Draußen war alles still, einige der Straßenlaternen waren noch entzündet, aber sicher würde das Mitglied der Wache, das den Nachtdienst ausübte, diese auch bald löschen, um kein weiteres Öl zu verschwenden.

„Ich sollte mich draußen ein wenig umsehen“, bemerkte er. „Vielleicht fällt mir etwas auf, das mich zu diesem Dämon führt.“

Allegra erhob sich ebenfalls. „Ich begleite dich.“

Er wollte ablehnen, aber sie kam ihm bereits zuvor: „Die Stadtwache ist es gewohnt, dass ich nachts unterwegs bin und mit mir selbst spreche. Also ist das schon in Ordnung.“

Da sie bereits in Richtung Tür strebte, wusste er, dass jeder Einspruch erfolglos wäre, also ergab er sich seinem Schicksal und folgte ihr. Vielleicht wäre es auch wirklich besser, sie bei sich zu haben, dann müsste er sich keine Sorgen um sie machen – und möglicherweise wäre sie auch in der Lage, etwas zu sehen, das ihm entging.

Außer ihnen war niemand gerade unterwegs. Unter Allegras Schuhen knirschte der irdene Weg, da man in einem Ort wie Cherrygrove keinen Bedarf für einen Straßenbelag hatte. So waren auch Fußspuren besser auszumachen – wenn man davon absah, dass die Wege alle so oft benutzt wurden, auch von Pferden, dass man keine eindeutige Spur mehr ausfindig machen konnte.

Hinter den Fenstern der anderen Häuser war alles dunkel. Er hoffte, das galt auch für Nolans Haus. Gerade nach einem solchen Ereignis sollte der Junge versuchen, genug Schlaf zu bekommen.

Als Kieran bemerkte, dass Wind durch die Bäume zog, fragte er sich, wie er sich wohl anfühlte. Dass er ihn nicht spüren konnte, war ungewohnt, fast schon … nervenaufreibend. Jederzeit erwartete er eine plötzliche Woge, ein Frösteln, aber nichts.

Allegra hatte sich ein graues Wolltuch um die Schultern geschlungen und hielt es mit einer Hand vorne geschlossen. Ansonsten ließ sie sich nicht von dem Wind irritieren.

„Du weißt also gar nichts über diesen Dämon?“, fragte sie plötzlich.

„Ich weiß nur, dass er noch irgendwo hier ist und dass er von Menschen Besitz ergreifen kann. Das ist aber auch schon alles.“

Nachdenklich legte sie ihre Hand an ihr Kinn. „Das ist wirklich nicht viel. Gibt es nicht ziemlich viele Dämonen, die so etwas können?“

Mehr als Kieran sich wünschte. Derartige Dämonen waren stets schwer zu vernichten, wenn man nicht gleichzeitig dem Menschen schaden wollte, von dem sie Besitz ergriffen hatten.

Aber im Moment kam es auch nur darauf an, dass sie diesen einen Dämon fanden, der noch immer hier war, in dieser Stadt.

Während Kieran noch darüber nachdachte, wie sie am besten anfangen sollten, hörte er das dumpfe Schlagen einer Axt, die auf Holz traf.

„Was ist das?“, fragte Kieran.

Allegra neigte den Kopf. Sie schien nicht darauf geachtet zu haben, da sie das Geräusch gewöhnt war, so wie er. Aber in der Stille der Nacht stach es derart unangenehm heraus, dass auch sie darauf aufmerksam wurde, nachdem er es erwähnt hatte. Sie deutete in die entsprechende Richtung. „Es kommt von dort drüben.“

Kieran folgte ihrem Fingerzeig und zog die Brauen zusammen. Es war Farens Haus, auf das sie deutete, und das erfüllte ihn nicht mit einem sonderlich guten Gefühl.

Zusammen liefen sie hinüber und entdeckten an der Stelle, an der die Familie ihr Feuerholz zu spalten beliebte, tatsächlich jemanden. Faren war damit beschäftigt, immer wieder einen Holzscheit aufzustellen, ehe er mit Wucht einen unsauberen Schlag ausführte, um ihn zu spalten. Was ihm mit dieser geringen Präzision natürlich nur selten gelang. Meistens schlug er nur kleine Streifen ab, die lediglich helfen könnten, das Feuer ein wenig zu füttern. Davon ließ Faren sich aber nicht beirren, sondern versuchte es immer weiter aufs Neue, bis es ihm gelang.

Kieran war sich nicht sicher, wie lange sie so dastanden und ihn beobachteten, aber irgendwann ließ Faren die Axt schwer atmend sinken, so dass der Kopf auf dem Boden stand. Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Stirn, ehe er sich ihnen zuwandte – aber natürlich sah er nur Allegra, weswegen er einen ablehnenden Gesichtsausdruck trug. „Was ist los?“

Kieran bemerkte besorgt die Schweißperlen auf seinem Gesicht. Es durfte nicht sonderlich gesund sein, bei diesem kühlen Wetter mitten in der Nacht in Schweiß zu geraten.

„Warum hackst du mitten in der Nacht Holz?“, fragte Allegra.

Farens abweisendes Gesicht deutete darauf hin, dass er eigentlich gar nicht antworten wollte, aber vermutlich hatte er sonst niemanden, mit dem er darüber reden könnte und ließ sich deswegen rasch dazu überreden: „Ich konnte nicht schlafen. Und ich dachte, es wird mir helfen, wenn ich mich ein bisschen abreagieren kann.“

Warum war Faren wütend? Das einzige, was Kieran dazu einfiel, wäre ein Streit mit Kenton, Farens Sohn, der vollkommen anders war als sein Vater. Machte er das hier dann öfter?

Allegra ließ ihn diesen Gedanken aber auch sofort wieder verwerfen: „Oh? Was könnte denn passiert sein, dass du nicht mal schlafen kannst? Sonst schläfst du doch sogar während des Diensts?“

Sie lächelte kokett, Farens Mundwinkel sanken nach unten, mehr als jemals zuvor. Kieran kannte Faren vor allem als den dauerlächelnden Kerl in seinem Freundeskreis, der die ernsten Seiten seines Lebens liebend gern ausblendete und sie durch gute Laune und Freude ersetzte. Ihn nun aber so zu sehen machte Kieran unsicher.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“

Faren schüttelte mit dem Kopf. „Nicht direkt. Aber mir gefiel dein allgemeines Verhalten gerade nicht. Kieran ist tot. Macht dir das denn gar nichts aus?“

Seine Stimme klang derart bitter, dass es Kieran vorkam als lege sich eine Kupferschicht auf seine Zunge, ja, er glaubte regelrecht, schmecken zu können, dass es Faren nicht gut ging.

„Natürlich macht es mir etwas aus“, erwiderte Allegra ruhig. „Kierans Tod ist tragisch. Aber ich habe schon so viele andere Personen in meinem Leben verloren, ich bin das gewohnt.“

Und außerdem war sie ohnehin kaputt und gequält genug. Jedenfalls war es mit Sicherheit das, was sie nun nicht erwähnt, aber zumindest gedacht hatte. Kieran sah es an ihrem undurchdringbaren Gesichtsausdruck.

„Tja, ich bin das nicht gewohnt“, erwiderte Faren. „Und ich möchte mich auch gar nicht daran gewöhnen, wenn ich ehrlich sein soll.“

„Du bist also wütend, weil Kieran tot ist?“

Faren schnaubte. „Natürlich bin ich das. Kieran war unser Freund, ohne ihn wird jetzt für immer etwas fehlen. Und dann auch noch die Art, auf die er gestorben ist ...“

Als Mitglied der Stadtwache hatte Faren natürlich die Einzelheiten erfahren und sie mussten ihm mehr zugesetzt haben, als Kieran je gedacht hätte. Es schmerzte ihn, dass Faren wegen ihm litt.

„Würde es dir helfen, wenn du wüsstest, dass es ihm gut geht?“

Faren zuckte mit den Schultern. Allegra warf Kieran einen kurzen Blick zu, worauf dieser zu seinem Freund hinüberschritt. Er stand noch immer da, mit einer Hand auf dem hölzernen Stiel der Axt, und sah direkt durch ihn hindurch. Kieran hob die Hand und legte sie behutsam auf Farens Schulter ab. Er glaubte, zu spüren, wie sein Freund ein wenig zusammenzuckte, aber er war sich nicht vollkommen sicher und wollte sich auch keiner falschen Hoffnung hingeben.

„Es ist alles in Ordnung, Faren“, hauchte Kieran. „Mir geht es gut. Ich bin immer noch hier.“

Die Gesichtszüge des anderen entspannten sich nicht, aber er wirkte durchaus ein wenig gefasster, seine braunen Augen waren nicht mehr so dunkel wie zuvor.

„Vielleicht hast du recht, Allegra“, sagte Faren, mit einer Überwindung, die ihresgleichen suchen dürfte. „Wenn ich daran glaube, dass es ihm jetzt gut geht, dann geht es mir auch besser. Aber ich werde noch eine ganze Weile wütend auf diese ganze Sache bleiben. Auch auf ihn.“

Das konnte Kieran gut verstehen und wollte er ihm auch nicht verbieten. Deswegen sagte er nichts dagegen, genausowenig wie Allegra.

Als weitere Reaktion lehnte Faren die Axt gegen den Holzklotz, der ihm als Unterlage für das Hacken diente. „Ich denke, ich sollte ins Bett gehen. Ich habe morgen früh Dienst.“

Kieran nickte und trat einige Schritte zurück, auch wenn er sich gerade nur ungern von seinem Freund entfernte. „Guten Nacht, Faren.“

„Gute Nacht, Faren“, echote Allegra.

Während er wirklich davonging, um ins Haus zu kommen, sah Kieran ihm mit einem bitteren Lächeln hinterher. Er hätte wirklich niemals geglaubt, dass sein Tod Faren so nahe gehen könnte, nicht einmal nachdem sie sich in der letzten Zeit zumindest ein wenig besser verstanden hatten – und immerhin war es Faren bewusst gewesen, dass er ein Lazarus war, also war für ihn doch immer mit einem derartigen Tod Kierans zu rechnen gewesen.

Und doch …

„Wie süß~.“

Kieran zog die Brauen zusammen und sah Allegra an. Sie erwiderte seinen Blick mit einem Zwinkern. „Ihr beiden würdet wirklich süße beste Freunde abgeben – oder gleich ein Paar.“

An ihrem verträumten Blick erkannte er, dass er ihre Gedanken lieber nicht näher erläutert haben wollte. Also setzte er seinen Weg rasch fort. „Wir haben einen Dämon einzufangen, vergiss das nicht.“

Sie folgte ihm mit einem vergnügten Summen und auch einem lockeren Schritt. „Ich weiß gar nicht, warum du jetzt ablenken willst. Überleg doch nur mal, wie süß ihr zusammen wärt~.“

Während er den Weg fortsetzte, dachte Kieran betrübt darüber nach, wie gern er nun an Farens Stelle wäre, der hoffentlich einen ruhigen, traumlosen Schlaf hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Allegra ist in jeder Welt eine Shipperin. ♥ Komplett anzeigen

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