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Cold Winds

Der Tag, an dem eine Legende real wurde...
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Musiktipp zum Kapitel:
https://www.youtube.com/watch?v=PiFJTjr6vUc Komplett anzeigen

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Lutscherjacke

Gedankenverloren sah ich aus den mit Kaugummi verschmierten Fenstern des Busses und lauschte der Musik, die aus meinen Kopfhörern drang.

Es war ein wunderschöner, sonniger Morgen, wie immer am Frühlingsbeginn.

Heute standen noch nicht einmal besondere Fächer an, die mir Spaß bereiteten.

Ein kleiner Junge auf dem Sitz neben mir ließ mich mit seinem lauten Gebrüll kurz zusammenfahren und schreckte mich aus meinen Gedanken.

Ein bunter Lolli klebte in seinen zerzausten Haar, während seine Mutter energisch versuchte, ihn davon zu befreien. Plötzlich flog der Lutscher auf mich zu. Wären meine eigenen Haare etwas länger gewesen, hätte er bequem darin Platz gefunden. So fand er sich nur auf meiner langen, einst makellos schwarzen Jacke wieder, an der nun der Sabber des Kleinen klebte.

„Oh, entschuldige bitte, das war keine Absicht,“, sagte die Mutter des Kleinen besorgt. Ich lächelte nur verständnisvoll und nickte ihr zu, bevor ich mir ein Papiertaschentuch aus meiner Umhängetasche nahm und das Gröbste der Überreste fort putzte, die Mutter versuchte indes, den sich mit aller Gewalt sträubenden Jungen aus dem Bus zu befördern. An diesem Morgen standen viele Leute im Bus, die ich nie zuvor gesehen hatte. Das fiel auf, weil meist nur die üblichen Schüler die oft völlig überfüllte Stadtlinie benutzten. Ob heute Tag der offenen Tür war?

Dann ging die Fahrt endlich weiter und ich bemerkte, dass mein Lied nun zu Ende war. Ich drückte auf den wenigen Knöpfen des Musikspielers herum und sogleich klang mir ein wunderschönes, hauptsächlich auf der Gitarre gespieltes Melodiestück entgegen. „Gerudo Valley.mp3“ musste nun auf dem Bildschirm zu sehen sein, aber ich war mir so sicher, dass ich nicht nachzusehen brauchte, und blickte weiterhin auf den wundervollen Sonnenaufgang. Wieder einmal dachte ich an mein Lieblingsspiel. Ach ja, in Hyrule müsste man geboren sein. War ich verrückt oder begann mich die Schule bereits so zu langweilen, dass ich mir das wünschte?

Es war doch selbst für ein Scheidungskind wie mich nicht normal, sich in eine andere Welt zu versetzen. Oder etwa doch? Dabei besaß ich doch eine liebevolle Mutter und eine wundervolle Schwester, einen netten Stiefvater und zwei tolle Stiefgeschwister, sogar meine Großeltern und ein Teil meiner Urgroßeltern lebten noch, insgesamt also alles andere als eine kleine Familie. Meine Noten waren bis auf Mathe und Chemie sogar ein wenig überdurchschnittlich.
 

Das einzige, was ich mir eigentlich noch wünschen konnte, waren ein paar Freunde. Zwar hatte ich in der Schule einige Bekannte, mit denen ich mich gut verstand, aber eigentlich wusste ich, dass wir nicht auf der emotionalen Ebene standen, dass wir uns beste Freunde nennen konnten. Inzwischen allerdings hatte ich mich gewöhnt, dass meine eher stille Art Gleichaltrige aus meiner Gegend verschreckte, und fand mich damit ab, dass ich wohl einfach nicht für Interessen, die Mädchen in meinem Alter eben so hatten, nicht geeignet war. In den meisten Augen war ich einfach nur seltsam. Das wunderte mich nicht, aber was sollte ich dagegen tun?

Ich beschäftigte mich mit anderen Dingen, auch wenn es mir sehr missfiel, oft allein zu sein. Und trotz der vielen schönen Dinge darin, ich war nicht mit meinem Leben zufrieden. Nun, vielleicht war es auch nur eine Phase. Eine Phase, die irgendwann zu Ende gehen würde, obwohl sie nicht einmal richtig begonnen hatte.
 

Seit ich denken konnte, war ich immer von den Zeldaspielen berauscht gewesen, hatte mich von der Atmosphäre mitreißen lassen und mittlerweile galt in jeder Minute mindestens ein Gedanke diesem Spiel, weil ich eine etwas andere Beziehung zu ihm hatte als andere Leute... „Lutscherjacke, Lutscherjacke!“, erklang es laut hinter mir. Schon allein am Tonfall wusste ich, wer sich das über mich lustig machte.

Das hatte mir gerade noch gefehlt, dass ich den beiden Tölpeln aus meiner Klasse begegnen musste. Dennis und Kevin. Und wie immer versuchten sie mich diese eine kindische Art und Weise in Rage zu bringen. Was in aller Welt war denn schlimm daran? So etwas passierte nun einmal. Ich stellte mir vor, wie die beiden frischgebackenen Väter in ein paar Jahren auf dem Sitz hier saßen und Mühe hatten, ihre eigenen Kinder davon abzuhalten, andere Leute mit Lollis zu bewerfen. Kindsköpfe bis ins 18. Lebensjahr hinein… Ratternd kam der Bus zum Stehen. Zeit, auszusteigen. Die Jungen keines Blickes würdigend schritt ich aus dem Bus heraus, mitten in das Gedränge hinein, in das sich die Schüler meiner Schule verwandelt hatten. Das Übliche.
 

In der ersten und zweiten Stunde hatten wir in Sport eine Vertretungsstunde und unterhielten uns mit unserem angeschlagenen Sportlehrer über den Wintersport.

Ein Arbeitsblatt wurde mir angereicht.

Natürlich, Skier und Snowboards.

Dabei war das Beste am Wintersport doch eigentlich die tiefe Verbundenheit mit dem Schnee, die man dabei spüren konnte. Es musste sich toll anfühlen, schnell wie der Wind auf zwei Brettern über eiskalten Puder zu gleiten, wenn man das alles erst einmal konnte… „In Ordnung, Gina, weißt du, wie viele Snowboarder in dem Text ungefähr ums Leben kamen?“, hörte ich die Stimme meines Lehrers, die mich wieder aus meinen Träumen riss. „Ungefähr 16.000,“, antwortete ich teilnahmslos.

Textverständnis war das Mindeste, was man von einer Neuntklässlerin erwarten konnte, und davon besaß ich sowieso recht viel. Dabei hatten sie noch nicht mal geschrieben, wo oder wann 16.000 Snowboarder ums Leben kamen. Wo war denn der Sinn geblieben? „Nun, da hört ihr’s! Wenn ich euch einen Text zu lesen gebe, dann lest ihn doch bitte auch einmal sorgfältig durch und sitzt nicht einfach nur herum um nichts zu tun!“ Nachdem ich keinen abfälligen Kommentar über meine Antwort vernommen hatte, vermutete ich, dass sie wohl richtig sein musste, doch hatte ich keine Lust nachzusehen. Stattdessen sah ich auf das Bild vor mir. Mein einziger Winterurlaub lag solange zurück, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Ob man darauf wohl den Schnee gut erkennen konnte?Wahrscheinlich, schließlich war es eine Schwarz-Weiß-Kopie. Doch vom Schnee war nicht viel im Bild zu sehen.

Hauptsächlich war eine junge Frau, die stolz zwei lange Skier musterte, darauf abgebildet. Es waren Fischerskier, und obwohl ich das Logo der Firma bereits tausende Male gesehen hatte, musste ich unweigerlich an das Triforcesymbol denken, dass ich darin zuerst erkannte. Ob die Entwickler jemals Skier in ein Zeldaspiel miteinbeziehen würden? In „Twilight Princess“ hatte Link ja bereits ein Snowboardblatt ausprobiert, aber auf Skiern? Eigentlich konnte ich mich gut mit diesem Gedanken anfreunden, trotzdem musste ich schmunzeln, als ich mir daraufhin den massigen Yeto auf zwei kleinen Brettern einen Berg hinunter sausend vorstellte. Der Rest der beiden Stunden verflog wie im Flug.
 

In der Pause dann standen ein paar Mädchen aus meiner Klasse wieder zusammen und tuschelten über ihre ach so nichtsnutzigen Freunde, und wie sie ständig mit anderen Mädels rumzumachen schienen. Das war absolut nicht mein Thema, weshalb ich mich lieber auf den Weg zum Schulkiosk machte, um mir etwas zu trinken zu besorgen. Wieder ein Gedränge, schlimmer als im Bus, wimmelte vor dem kleinen Fenster herum, auf der Suche nach etwas Essbarem, und wie ein Rudel hungriger Wölfe fielen sie auf den armen Hausmeister ein, der möglichst schnell versuchte, alle zufriedenzustellen. Ich kam mir vor wie in einer Massenschülerhaltung. Leise und unbeachtet stellte ich mich an den Rand des Fensters und wann immer ein Schüler das Gedränge verließ, schlich ich mich einige Schritte näher zum Fenster. Schnell und wissend, was ich wollte, reichte mir der Hausmeister eine kleine Flasche Eistee und ich drückte ihm die Münzen in die Hand.

Auf dem Weg in die Freiheit, weg vom Kiosk, rempelte mich ein älterer Blonder an.

„Oh, verzeih mir, das wollte ich nicht,“, hörte ich ihn sagen, doch da hatte ich mich auch schon aus dem Gedränge befreit und konnte frische Luft schnappen. Puh. Gerade wollte ich mein Rückgeld einstecken, da merkte ich nur noch einen kräftigen Stoß von hinten und lag schon der Nase lang im Dreck, während mein Geld haltlos über den Boden kullerte. „Hoppla!“, hörte ich eine höhnende Stimme hinter mir. Wie oft wollten die mir heute denn noch über den Weg laufen?
 

Aus irgendeinem Grund war ich mehr genervt als ungehalten darüber, dass diese Idioten, die mit Schimpfwörten mehr um sich warfen, als mancher Karnevalsjecke mit Konfetti, mir ständig Probleme bereiteten. Da sah ich auch schon, wie kurze, dreckige Fingernägel mein Taschengeld aufhoben. „Gehört das etwa dir?“, hörte ich den Kerl fragen.

Kevin war so schmal wie sein Kumpel breit war.

Sein dünnes Gesicht war unter der weiten Kapuze eines für ihn viel zu großen Hoodies versteckt, während seine mit einem Gürtel nicht sonderlich gut befestigte Baggyjeans fast auf den Knien hing. Nichts gegen Baggyjeans, aber warum musste ausgerechnet ein Kerl, dem die trendy pinke Unterwäsche aus der Hose herausschaute, sich über mich lustig machen? „Schau mal, Dennis, die Kleine hat Geld!“ Die Kleine? Also das wurde jetzt wirklich albern. Seelenruhig stand ich auf und wischte mir den Dreck von der Jacke. Eigentlich hatte ich nicht sobald vorgehabt, mir eine Neue zu kaufen, doch anscheinend wurde es langsam nötig. „Komm doch und hol dir das Geld, du fette F*tze!“, rief Kevin vor mir, der provozierend mit meinem Geld in der Hand spielte. Eigentlich hatte ich es wirklich nicht nötig, wegen der kleinen Summe mich mit ihnen anzulegen, aber es ging nicht darum. Es ging nur um das Prinzip, denn wo kämen wir denn hin, würde ich mir soetwas einfach gefallen lassen? „Ich habe nicht die Absicht, meinem Geld nachzulaufen.“, sagte ich gelassen, „Aber meinetwegen kannst du’s behalten, vielleicht reicht es, damit du dir deine Gehirn-Implantation leisten kannst.“ Einge Momente fassungslose Ruhe. Oder mussten die beiden erst noch nachdenken, bevor sie verstanden, was ich gerade gesagt hatte?

„Boaaah, Kevin, hast du gehört, was sie über dich gesagt hat?“, sagte der stämmig gebaute Junge namens Dennis gespielt beeindruckt. Er war einen halben Kopf kleiner als ich und hatte mehr Pickel im Gesicht als ein Streuselkuchen Streusel.

„Nun, ich hätte dasselbe gesagt, wenn ich zu faul wäre, für mein Geld zu arbeiten.“, meinte Kevin gelassen.

„Das Geld hat sich meine Familie bereits erarbeitet, falls du es noch nicht bemerkt hast, vielleicht ist das bei dir nicht so üblich,“, sagte ich kalt.

„Du dreckige F*tze, wenn du meine Familie beleidigst, kannst du was erleben!“, schrie der Typ zornig. Ich hatte doch lediglich… Genervt verdrehte ich innerlich die Augen und wollte an dem Jungen vorbei, doch er versperrte mir den Weg.

„F*tzen kommen hier nicht durch, du kleine Missgeburt!“, sagte der Junge gehässig.

Was denn nun? Diese Nervensäge war so etwas von kindisch, dass er sich nichteinmal für ein Schimpfwort entscheiden konnte.

„Wie bitte, sag das noch einmal, das habe ich nicht verstanden.", sagte ich leicht in einem verwirrten Tonfall und grinste frech. Sicher konnte er diese Wörter nichteinmal buchstabieren. Wie konnte man nur so fasziniert von solchen Schimpfwörtern sein? Kevin wirkte äußerst amüsiert und sagte noch lauter: „Ich sagte, dass ich kleine Schl*mpen wie dich hier nicht durchlasse.“

„Was hast du da gesagt?“, fragte ich gekünstelt empört klingend. Meine Augen waren auf einen Punkt hinter den beiden fixiert.

Kevin kringelte sich fast vor Lachen, als er wiederholte: „Ich lasse dich kleine H*re hier nicht vorbeigehen!“

Doch da wurde er schon von der Lehrerin hinter ihm an den Ohren gepackt.

„Was ist mit mir? Gelte ich auch als kleine H*re oder darf ich hier durch?“, fragte die kleine Schmidt. Die kleine Schmidt war mit ungefähr 1,40 m Körpergröße nicht nur die kleinste der drei Schmidts an unserer Schule, sie war auch Sportlehrerin und äußerst streng noch dazu. Dass sie so klein war, wusste sie gut dadurch auszugleichen, dass sie, wann immer ihr etwas nicht passte, auf ihre Trillerpfeife blies. Und das schien sich wohl auch außerhalb des Sportunterrichts so gut bewährt zu haben, dass sie diese Methode nun in allen Lebenslagen einsetzte.

Seitdem machten sich einige Schüler einen Spaß daraus, wann immer sie die Pfeife hörten, laut „Abseits!“, zu brüllen und sich danach nur so vor Lachen zu kugeln.

Ich nahm mein Geld aus der nach oben gerichteten Hand. „Danke.“, meinte ich stichelnd, während ich an ihm vorbeiging und die beiden nun ihrem Schicksal überließ. Irgendwie gelang es mir immer wieder, sie auszutricksen.
 

Und dann sah ich auf dem Weg zum Klassenzimmer vor mir auf einmal den Blonden von eben stehen, der mich freundlich anlächelte. „Ich wollte mich nur noch einmal bei dir dafür entschuldigen, dass ich dich eben ziemlich grob behandelt habe. Es ist keine Absicht gewesen.“ Seltsam, auf einmal kam er mir gar nicht mehr so groß vor. Er war genauso groß wie ich, vielleicht ein paar Zentimeter größer und hatte wunderschöne dunkelblaue Augen, die einen klaren Blick erkennen ließen. Ich sah sie mir einen Moment an und konnte die Treue fühlen, die er mir mit seinem Blick entgegenwarf. Ein Aspekt an Menschen, auf den ich besonders achtete, weil es mir gefiel, wenn sie ihn aufweisen konnten. Seine goldblonden Haare waren leicht zerwuschelt und ein wenig länger als die meiner anderen Mitschüler. Ein kleiner, runder Ohrring steckte an seinem langem, linken Ohr, er hatte genau dasselbe Blau wie seine Augen. Er wirkte mir auf Anhieb sympathisch, und obwohl ich ihn gar nicht kannte, glaubte ich ihn irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Wo nur?

Ich nickte ihm nur verwundert zu. Kein Problem. Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass sich irgendwer einmal so offenherzig dafür bei mir entschuldigen würde, mich angerempelt zu haben. „Ich habe dich im Bus gesehen. In der Stadtlinie, nicht wahr?“, fragte er und blickte mich freundlich an. „Ja, ich fahre immer mit dem Bus…“, meinte ich etwas verdattert.

Es kam mir vor, als würde ich diese Stimme seit Ewigkeiten kennen, aber mir wollte einfach nicht einfallen, woher…

„Wenn es dir nichts ausmacht, können wir ja vielleicht gemeinsam fahren?“, schlug der Junge vor.

„Ja, gerne,“, sagte ich. Warum eigentlich nicht?

„In Ordnung, ich muss jetzt aber gehen. Ich habe noch vier Stunden,“, sagte ich und fragte: „In welche Klasse gehst du, wenn ich fragen darf…? Ich meine, ich habe ich hier noch nie zuvor gesehen.“

„Ich bin neu. Ich werde diese Stunde meiner neuen Klasse zugeteilt.“, sagte der Junge froh. „Also sehen wir uns dann hier? Nach der Schule?“

„Na dann bis nachher.“, sagte ich beschwingt und verabschiedete mich noch von ihm, bevor ich zur Stunde ging. Warum in aller Welt glaubte ich auf einmal, wildfremde Menschen zu kennen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  shadow-queen
2014-08-10T21:22:07+00:00 10.08.2014 23:22
Super fanfic!! Ich liebe sie jetzt schon. Aber wer ist bloß dieser blonde junge Mann, der ihr so bekannt vorkam? *schmunzel*
Gruß, shadow-queen
Antwort von:  Yunavi
16.09.2014 00:58
Ja, wer nur? :'D
Danke! Und tut mir leid, dass ich erst jetzt antworte, ich habe mich länger nicht eingeloggt... ^^"


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