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Kamigami ga waku waku da yo!

One Shot Sammlung Part II
von

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Operation "Rot" (Prudentshipping)

Von einem gedehnten Knarren begleitet, fiel die Tür zur Schulbibliothek in ihr Schloss zurück.

Schritte entfernten sich auf dem leeren Flur, klackend. Ein fröhliches Pfeifen lag in der Luft.

Auf dem Gesicht des jungen Mannes, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen den Weg zum Schulgelände aufsuchte, spielte ein schelmisches Grinsen.

 

„Guten Morgen“, grüßte Yui den Rest der Klasse. Sie war in Begleitung von Baldr, Apollon und Dionysos, die es ihr gleich taten und ebenfalls die restlichen Schüler begrüßten.

„Guten Morgen“, erwiderte Takeru, der über Lokis Pult lehnte. Die beiden Jungs hatten sich offenbar mit einem Freizeitmagazin beschäftigt, das vor ihnen aufgeschlagen lag.

„Guten Mohorgen“, entließ Loki, ganz der Schalk, fröhlich und setzte ein zufriedenes Grinsen auf.

Thor hinter ihm nickte nur. Von Hades' Platz aus war ein leises „Guten Morgen“ zu hören.

„Und was für ein besonders wunderschöner Morgen“, betonte der Schalk und ließ diese Worte melodisch klingen. Alles an ihm, seine Stimme wie sein Gesicht, bis hin zu seiner entspannten Körperhaltung wirkte an diesem Tag besonders fröhlich.

„Wie es scheint, geht es dir heute besonders gut“, bemerkte Baldr und lächelte besonnen zu seinem besten Freund hinüber.

„Ich würde so gern etwas von deiner guten Laune abhaben“, sprach Yui. In ihren Worten schwang ein Seufzen mit. „Ich bin ganz nervös wegen des anstehenden Tests. Ich fühle mich, als hätte ich die ganze Nacht kein Auge zugetan.“

„Ich bin auch aufgeregt“, gestand Apollon, der gerade seinen Platz einnahm. Seine Schultasche landete auf seinem Pult. „Es geht um Leben und Tod, hat Thoth-sensei gesagt. Wuah, ich habe solche Angst, den Test nicht zu bestehen. Ich will noch nicht sterben, ich will nicht!“

„Bist du ein Dummkopf, oder was?“, warf Takeru ihrem Schülersprecher seinen Argwohn entgegen. Seine Augenbrauen zogen sich tiefer über die zimtbraunen Augen. „Hast du dir allen Ernstes zu Herzen genommen, was dieser Typ gesagt hat? Mann, der wollte uns doch nur Angst machen und hat maßlos übertrieben, mehr nicht.“

„Bist du dir da auch ganz sicher, Take-Take?“

„Natürlich! Schalt dein Hirn ein, Idiot!“

„Na, na“, versuchte Yui verzweifelt den aufmüpfigen Wassergott zu beschwichtigen. Abwehrend hob sie die Hände und lächelte unsicher. „Nicht streiten, okay? Das macht meine Nervosität nicht gerade besser.“

„Man sagt“, meldete sich Dionysos hinter ihr zu Wort und hob belehrend den Finger in die Höhe, „gegen Nervosität hilft ein kräftiger Schluck reifer Rebe, wenn ihr versteht. Leider ist es ja verboten, Genussmittel für Erwachsene mit in den Unterricht zu nehmen.“

„Eeeh?“, bekundete Apollon jämmerlich. „Wie gemein von dir, Dee-Dee. Du weißt solche Dinge und teilst sie nicht mit uns? Das ist so gemein, so gemein!“

„Sorry.“ An seinen jüngeren Halbbruder gewandt hob Dionysos die Hand in eine entschuldigende Geste. „Fürs nächste Mal werde ich daran denken, wenn du es dann immer noch willst.“

„Ja, wirklich?“ Die grünen Augen des Sonnengotts nahmen ein kindliches Strahlen an. „Das wäre super. Vielen Dank, Dee-Dee!“

„Dionysos!“, mahnte Hades von seinem Platz aus.

„Na, na …“ Yui war sichtlich bemüht, die Runde friedlich zu halten, wie es sich für Schüler in einem Klassenraum gehörte. Als einzige menschliche Vertreterin fühlte sie sich nicht selten hilflos zwischen den ganzen Göttern, die alle ihre kennzeichnenden Eigenarten hatten. Die einen mehr oder minder schwer ausgeprägt.

„Also was mich anbelangt“, meldete sich Loki zwischen ihnen zu Wort. Die Sorglosigkeit in Person, kippelte er auf den Hinterbeinen seines Stuhls und war sich nicht zu fein, die Beine lässig auf seinem Pult zu überschlagen. „Ich bin kein Stück aufgeregt. Nicht das geriiingste bisschen.“

„Wie kommt es?“, wandte sich Takeru ihm zu. Skeptisch verzog er die Miene. „Sag bloß, du hast zur Abwechslung einmal was gelernt?“

„Tze, tze, woran denkst du?“ Abfällig winkte Loki ab und belächelte die Vermutung des Japaners neben ihm. „Für wen hältst du mich? Natürlich habe ich keine Sekunde damit vergeudet, meine Nase in irgendwelche Notizen zu stecken. Keeeine einzige. Aber ich habe ein sehr gutes Gefühl, was den heutigen Tag anbelangt.“ Daraufhin grinste er verheißungsvoll. „Vor allem, was unseren lieben Lehrer anbelangt“, flötete er scheinheilig.

„Wieso? Was ist mit Thoth-sama?“, wollte Yui wissen.

„Sagt mal“, lenkte Apollon auf ein anderes Thema um, „wo ist eigentlich Tsuki-Tsuki?“

„Vorhin war er noch mit uns anderen beim Schülerrat zusammen“, überlegte Baldr laut und legte sich nachdenklich eine Hand an die Wange. „Sagte er nicht, dass er noch etwas erledigen müsse, bevor der Unterricht beginnt?“

„Huh? Ist er nicht zu Takeru zurückgegangen?“ Müde blinzelte Dionysos zu besagtem Jungen hinüber.

„Ich habe meinen Bruder seit heute Morgen nicht mehr gesehen“, erklärte dieser.

„Ich glaube, dass Tsukito-san gesagt hatte, dass er noch etwas in die Bibliothek zurückbringen müsse.“

„In die Bibliothek?!“ Für einen Moment verlor Loki das Gleichgewicht auf seinem Stuhl, welcher nach vorn wegrutschte und den Feuergott polternd zu Boden schickte. Fluchend rappelte er sich zurück auf die Beine, rieb sich den schmerzenden Hintern, während er sich mit vor Schreck geweiteten Augen an das Mädchen wandte. „Bist du dir ja auch wirklich sicher? Bist du dir sicher, dass du dich nicht nur verhört hast?“

„J-ja.“ Sie schluckte den Unmut herunter und nickte entschieden. „Ja, ich bin mir ganz sicher. Aber wieso? Was ist denn los, Loki-san?“

„Mist.“ Er wandte den Blick von ihr ab, zischte einmal zwischen den Zähnen hervor und hob sich den Daumen an den Mund, um auf dessen schwarzlackierten Fingernagel nervös herumzukauen. „Hoffentlich ist der Depp erst nach ihm dort aufgeschlagen, ansonsten ist mein schöner Streich –“

In dem Augenblick wurde die Tür zum Klassenzimmer lautstark aufgeschoben und zog die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf die Person, die soeben eingetreten war.

„Setzen!“, herrschte die erhobene Stimme ihres Lehrers, der offenbar keine Zeit verschwenden und so schnell es ging zur Tat schreiten wollte. Ein Berg voller Papierbögen, vermutlich die Testfragen, landeten krachend auf seinem Tisch. „Wir gehen zu Beginn wie gehabt die Anwesenheit durch, danach erfolgt der heutige Test. Wer für Störungen oder Verzögerungen dieses Tagesplans sorgt, wird umgehend der Klasse verwiesen. Haben wir uns soweit verstanden? Ich dulde keine Widerrede!“

„Nein!“, rief Loki aus, noch ehe er sich beherrschen konnte. Im selben Moment schlug er mit beiden Händen auf seinen Pult, lehnte sich vor und deutete ungläubig auf den ägyptischen Gott, wobei er stammelte: „D-das glaube ich jetzt nicht! W-wieso bist du nicht …? Ist dieser Kerl also wirklich …?“

„Loki Laevatein“, schnitt Thoths Stimme ungemütlich durch das gesamte Klassenzimmer. Seine Hand landete laut aufschlagend auf der Platte seines Lehrerpults vor ihm. „Gibt es ein Problem? Ich habe dich nicht aufgerufen!“

„J-ja! I-ich meine … nein?“ Schnell ließ er sich zurück auf seinen Platz sinken, stützte die Ellenbogen auf und raufte sich die roten Haare. Immer wieder gab er ein leises Gemurmel von sich, das wie ein „Wieso, wieso?“ klang.

„Der erste Schwachkopf ist also anwesend.“ Thoth stieß ein abfälliges Schnauben aus. In einer Geste der Selbstbeherrschung richtete er sich das Monokel vor seinem rechten Auge. „Fahren wir direkt fort. Wer als Nächstes unaufgefordert den Mund aufmacht, fl... –“

Ein weiteres Mal wurde die Tür zum Klassenzimmer aufgeschoben. Weniger gewaltvoll als beim letzten Mal, doch wie schon zuvor, richteten sich auch jetzt wieder alle Augenpaare auf den Ankömmling.

„Anii*!“

Zeitgleich mit Takeru schob auch Apollon seinen Stuhl zurück und sprang auf. „Tsuki-Tsuki! Wie siehst du denn aus? Was ist passiert?“

Aus den hinteren Bankreihen schlug sich Loki hörbar gegen die Stirn, ein leises „Autschi“ ausstoßend.

„Tut mir leid, dass ich zu spät zum Unterricht komme“, sprach Tsukito an Thoth gewandt und verneigte sich ehrfürchtig mit geradem Rücken vor dem Lehrer. Den aufgeregten Zurufen der Freunde schenkte er keinerlei Beachtung.

Mit seiner Geduld schon fast am Ende, wandte sich der Ägypter seinem Schüler zu. Sein griesgrämig versteinertes Gesicht lockerte sich auf, als er das seltsame Bild bemerkte, das der Mondgott vor ihm an der Tür ergab.

Überrascht oder skeptisch, das war nicht fest zu bestimmen, hob er eine Augenbraue und musterte den Jungen von oben bis unten. „Hey, Totsuka Tsukito … Kannst du mir diesen Aufzug irgendwie erklären?“

Aufgeforderter richtete sich in eine gerade Haltung auf und begegnete frei jeglicher Emotion dem abschätzigen Blick des Lehrers. Man hätte annehmen können, dass er selbst nicht bemerkt hatte, in welch unschicklicher Verfassung er vor der Klasse stand.

Der Körper des jungen Japaners war von oben bis unten mit roter Farbe bedeckt. Streichfarbe, so viel war anzunehmen, wie man sie für das Bestreichen von Wänden oder anderweitig großen Flächen verwendete. Kein anderer Farbakzent setzte sich mehr darunter durch, weder das hellviolette Haar noch die blasse Haut, auch nicht die blütenweiße Schuluniform mit ihrer goldenen Verzierung, der blauen Krawatte und der schwarzen Weste, die er darunter trug. Bis auf die graue Hose und den hohen, schwarzen Stiefeln war er über und über versehen mit diesem dominanten Rot, das ausnahmslos eines Fleckes an ihm haftete. Lediglich die goldbraunen Augen blickten in ihrer üblichen Teilnahmslosigkeit heraus.

„Ich bin in die Bibliothek gegangen“, erklärte er unbeteiligt, als erstatte er lediglich einen Zeugenbericht. „Als ich die Tür aufgeschoben und einen Schritt hineingesetzt habe, fiel es auf mich herab. Im nächsten Moment habe ich nur noch Rot vor meinen Augen gesehen.“

Im Anschluss an seiner Erzählung trat er näher auf den Lehrer zu und hielt ihm mit beiden Händen einen kompakten Stapel Bücher entgegen, die in exakt demselben Zustand waren wie er selbst. „Ich wollte diese Bücher zurückbringen. Ich konnte nicht verhindern, dass sie etwas abbekommen. Tut mir leid.“

Thoths Mundwinkel zuckte verdächtig. Während sein Blick auf dem tiefroten Stapel in Tsukitos ebenso roten Händen ruhte, verdüsterten sich seine Gesichtszüge von Sekunde zu Sekunde mehr.

„Raus“, bebte seine Stimme bedrohlich. Er ließ dieser Aufforderung eine ausladende Armbewegung in Richtung Tür folgen. „Dafür, dass du zu spät zum Unterricht erschienen bist, verweise ich dich des Klassenzimmers. Raus!“

„Thoth-sama!“, sprang Yui von ihrem Platz auf. „Das können Sie nicht tun! Er kann doch nichts dafür. Er –“

„Ich habe nicht nach deiner Meinung gefragt!“, schnitt er ihr scharf das Wort ab.

„Aber das ist nicht fair …“

„Als Schülervorsitzender muss ich ebenfalls widersprechen!“, versuchte Apollon das Mädchen zu unterstützen, indem er ebenfalls das Wort erhob. „Tsuki-Tsuki ist –“

„Ist heute Tag der Heuschreckenplage?!“, herrschte Thoth zurück. Wütend schlug er mit beiden Händen auf seinem Lehrerpult auf, aus seinen dunkelblauen Augen blitzte es gefährlich. „Ihr könnt ihm gern Gesellschaft auf dem Schulflur leisten. Ich habe kein Problem damit, euch allesamt durchfallen zu lassen und euch an diesen Ort für die Ewigkeit zu binden!“

„Anii!“ In der Klasse war das Chaos bereits ausgebrochen, so hielt Takeru nichts mehr auf seinem Platz und er eilte an die Seite seines unglücklichen Bruders. „Anii, ist alles in Ordnung mit dir? Ist dir etwas passiert? Bist du verletzt?“

„Mir geht es gut“, sprach er genauso anteilslos wie zuvor schon.

„Wer hat dir das nur …“ Die Antwort auf diese unvollständige Frage lag auf der Hand. Sein Blick heftete sich instant auf den Feuergott in den hinteren Bankreihen. „Loki, du verdammter Bastard! Ist das dein Werk? Hast du das meinem Bruder angetan?!“

„Huh, ich?“ Der junge Norde mit dem feuerroten Haar setzte eine Engelsmiene auf. „Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich hatte nicht vor, ihn damit zu treffen, wenn du verstehst“, säuselte er scheinheilig zu ihm herüber.

„Loki“, sprach Baldr wehmütig zu seinem Freund und schenkte ihm einen enttäuschten Blick. „Hast wirklich du das getan?“

„Hey, was soll dieser Ausdruck in deiner Stimme, Baldr?“ Jeglicher Frohsinn entwich ihm, als er den Blickkontakt zu dem Freund erwiderte. „Es ist nicht so, als hätte ich ihn umgebracht. Überhaupt, ein so läppischer, harmloser Kinderstreich bringt keinen um.“

„Wie kannst du es nur …?!“, polterte Takerus erboste Stimme durch den gesamten Raum, wurde jedoch in jeglicher weiterer Ausführung unterbrochen, als ein lauter Schlag gegen die Tafel für ein allgemeines Aufschrecken unter den Anwesenden sorgte.

„Genug!“, verkündete Thoth, donnernd. „Der Unterricht ist gestrichen! Ihr pubertären Gören mit dem Hirn einer Erbse versteht den Ernst der Lage nicht. Ich bin es leid, mich mit euch Nichtsnutzen herumzuplagen.

Loki Laevatein!“ Er richtete seinen Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger unmissverständlich auf den nordischen Feuergott. „Du kommst mit mir!“

„Eeeeh?“, stieß dieser einen gedehnten Laut der Ungläubigkeit aus. „Aber wieso denn ich? Ich habe doch gar nichts –“

„Ich dulde keine Widerrede! Sofort, Schwachkopf!“

„Moah …“ Widerwillig schob er seinen Stuhl zurück und erhob sich. Die Hände lustlos in den Hosentaschen vergraben, setzte er sich in Bewegung, um den ägyptischen Gott nicht noch mehr zu verärgern, als er es ohnehin schon getan hatte. Reue empfand er keine, sein Ziel hatte er dennoch erreicht. Wenn auch nicht auf die Art, auf die er es geplant hatte.

„Hey“, sprach ihn Takeru von der Seite an, gerade als Loki an ihm vorbei auf den Schulflur treten wollte. „Entschuldige dich gefälligst bei meinem Bruder!“

„Wieso?“, warf er ungerührt zurück und schenkte ihm einen verständnislosen Blick. „Ist doch nicht meine Schuld, wenn er mir in die Quere kommt und alles vermasselt.“

„Was sagst du?!“

„Na, na, reg dich nicht künstlich auf“, winkte Loki ab und zuckte halbherzig mit den Schultern. Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen hob er den Zeigefinger empor. „Davon abgesehen, was dein lieber Bruder da an sich hat, ist keine gewöhnliche Farbe. Es ist –“

„Genug Geschwätz!“, fuhr ihm Thoth dazwischen, der ihn wenig geduldig voranstieß. Bis zum Äußersten gereizt wandte er sich an Takeru: „Wenn euer kleiner Kaffeeklatsch nicht warten kann, kannst du dich genauso gut nützlich machen. Mitkommen!“

„Was?! A-aber –“

„Muss ich mich erst wiederholen?!“

Takeru wandte den Blick ab, ein protestierendes Aufbrummen unterdrückend. Wütend warf er einen Blick auf den Schalk, welcher wenig Bedauern zeigte und ihm nur schadenfroh die Zunge herausstreckte. Frei nach dem Motto: „Mitgehangen, mitgefangen.“

„Anii, es tut mir leid …“

„Mach dir keine Sorgen“, war es Baldr, der sich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen und Thor im Rücken zu den japanischen Brüdern gesellte. „Wir werden uns um Totsuka-san kümmern.“

Zweifelnd sah Takeru zu dem Norden mit dem langen, hellblonden Haar auf. Es widerstrebte ihm sichtlich, seinen Bruder in der Obhut anderer zu überlassen, dennoch nickte er langsam.

„Ich vertrau ihn euch an“, gab er nach, verbeugte sich flüchtig, ehe er sich noch einmal an Tsukito wandte. „Ich komm‘ zu dir, sobald ich kann. Solange pass bitte auf dich auf.“

Tsukito nickte, schon wurden Takeru und Loki unsanft vorangeschoben und aus dem Klassenraum gedrängt. Thoths wüstes Geschimpfe, vermischt mit Lokis Protesten und Takerus Schuldzuweisungen, war noch lange Zeit zu hören, während sie sich entfernten.

„Also“, begann Baldr zwanglos und wandte sich Tsukito zu, „am besten beginnen wir, indem wir dich sauber machen. Würdest du mich bitte zu den Herrentoiletten begleiten?“

Erneut nickte er anteilslos, doch dieser Plan sollte bald scheitern, kaum dass sie sich der Tür zugewandt hatten. Da der heutige Unterricht offiziell abgesagt worden war, sahen sich auch die übrigen Schüler nicht länger in der Pflicht, auf ihren Plätzen zu verweilen, und schon hatten sie Baldr wie eine dichte Traube umgeben, die es ihm unmöglich machte, sich von seinem Fleck zu bewegen.

„Beruhigt euch, beruhigt euch“, hörte man Apollon von der anderen Seite rufen, der verzweifelt versuchte, die übrigen Schüler zu beruhigen, die ihn als Vorsitzenden des Schülerrates umzingelt und begonnen hatten, ihn mit aufdringlichen Fragen zu löchern, was sie denn nun tun sollten. Allein war er mit der chaotischen Situation überfordert, weswegen Yui versuchte, ihn nach Leibeskräften und mit gewandter Überredungskunst zu unterstützen.

„Scheint, als bliebe es an mir hängen“, bemerkte Thor nüchtern, als er feststellte, dass sich Dionysos an seinem Platz bereits wieder dem Schlaf der Gerechten übergeben hatte und Hades in seinem üblichen Hapern gefangen war, das ihn daran hinderte, irgendetwas zu tun.

Geschlagen seufzte er, woraufhin er sich Tsukito zuwandte. Zwei ausdruckslose Augenpaare trafen aufeinander. „Ich helfe dir, die Farbe wieder loszubekommen. Ich kenne Lokis Streiche von klein auf und weiß, was zu tun ist.“

Abermals nickte Tsukito. „Gut. Was soll ich tun?“

„Zuerst würde ich dich bitten, deine Kleider zu wechseln. Anschließend kommst du mit der betroffenen Kleidung und allem anderen zu uns aufs Zimmer.“

 

Wenig später klopfte es an der Tür, die zu den Wohnräumen der nordischen Götter führte. Sie wurde nach innen geöffnet und zum zweiten Mal an diesem frühen Tag trafen zwei ausdruckslose Augenpaare aufeinander.

„Du bist es“, stellte Thor trocken fest und trat zur Seite, um den Besucher hereinzulassen.

„Danke“, verneigte sich Tsukito höflich und trat ohne Umschweife ein. Derweil hatte er, wie ihm angeraten, seine Schuluniform in seine Alltagskleidung umgewechselt und trug das rote Kleidungsbündel unter seinem Arm. In der anderen Hand hielt er seine Schultasche, die ebenfalls Zeuge seines morgendlichen Unfalls trug und nichts mehr von ihrem tiefen Dunkelblau aufwies. Das Rot dominierte noch immer: an dem Stoff, an Tsukitos Haar sowie auf seiner Haut von Gesicht, Halsbereich und Händen. Es sah albern aus. Jetzt, da er frische Kleidung und somit wieder etwas mehr Farbe an sich trug, noch mehr als zuvor.

„Ich habe versucht, es abzuwaschen“, erklärte er, während er dem nordischen Donnergott in den gemeinsamen Wohnbereich folgte. „Es ging nicht ab. Weder mit kaltem noch mit warmen Wasser. Seife hat auch nichts genützt.“

„Wundert mich nicht“, entgegnete Thor wenig überrascht, ohne ihn anzusehen. „Was du dort an dir hast, ist keine gewöhnliche Farbe. Ich erkenne es am Geruch. Es riecht nach Gummi.“

Dem stillen Wissensdrang folgend, hob sich Tsukito das rote Kleiderbündel ans Gesicht und roch an dem von Rot getränkten Stoff. „Gummi“, wiederholte er leise. – Das war es also, so nannte man diesen eigentümlichen Geruch. Er speicherte diese neue Information in seinem Gedächtnis ab.

„Setz dich“, forderte Thor ihn auf und deutete auf einen der gepolsterten Holzstühle, die um den runden Tisch mittig des Gemeinschaftsraumes aufgestellt waren. „Ich bereite eben alles Notwendige vor. Warte solange hier. Deine Sachen nehme ich mit. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“

Wortlos nickte Tsukito und überreichte Thor sein Hab und Gut. Sobald dieser es entgegengenommen hatte, wandte er sich ab und verschwand zu einer Seite des Raumes hinter einer Tür. Stille kehrte im Zimmer ein.

Es war das erste Mal, dass Tsukito einen der anderen Wohnräume seiner Schulkameraden, die sie zu diesem Zeitpunkt waren, betreten hatte. Leider hielten sich Interesse und Neugierde bei ihm generell in Grenzen.

Ihm waren natürlich sofort einige Besonderheiten aufgefallen. Offensichtliche Dinge wie die überwiegend helle Raumgestaltung mit dunklen Veredelungen, der dunkelrot ausgelegte Teppichboden und einige typisch westliche Einrichtungen, die dem zusätzlichen Komfort dienten. Alles in einem war der Wohnbereich der nordischen Götter anders als jener, den er mit seinem Bruder Takeru im typisch traditionell-japanischen Stil bewohnte. Ungewohnt, befremdlich.

Es interessierte ihn wenig. Statt seinen Blick in der neuen Umgebung schweifen zu lassen, saß er nur reglos auf seinem Stuhl. Wartend, wie man es ihm aufgetragen hatte.

 

Minuten verstrichen, bis das Klacken einer Tür zu hören war, welchem schwerfällige Schritte folgten.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, hörte Tsukito Thor sagen und hob seinen Blick zu dem hochgewachsenen Norden, der vor ihm zum Stehen gekommen war. In seinen Händen hielt er eine Schüssel mit einem Gegenstand darin, wovon er nur den hölzernen Griff erkennen konnte. Außerdem trug er einen durchsichtigen Überwurf bei sich, welchen er ihm reichte.

„Zieh das über“, forderte er ihn auf und zog sich einen der freien Stühle heran, auf welchen er sich vor dem Japaner sinken ließ. „Ich schätze, ich muss mich bei dir für Loki entschuldigen. Sein Streich sollte nicht dir gelten.“

Ohne unnötiges Zögern oder etwas auf das Gesagte zu erwidern, schob Tsukito seinen Kopf durch das Loch des Überwurfs. Thor half ihm, indem er den Bund über die eingelassene Schnüre festzog, sodass die Plasteschürze fest, aber nicht drückend saß und die Kleidung schützend bedeckte.

„Leg bitte die Ärmel zurück und streck mir deine Hand entgegen.“

Er kam der Aufforderung nach. Mit ruhiger Hand krempelte er den beige-weiß verlaufenden Stoff seines Alltagskimonos zurück, wodurch die blasse Haut seiner Unterarme in Erscheinung trat. Neben dem intensiven Rot, das seine Hände bis zu jener Stelle am Handgelenk bedeckte, wo die Ärmel seiner Schuluniform endeten, bildete sie einen deutlich abhebenden Kontrast.

Thor nahm die Hand entgegen, die der Japaner ihm reichte, und hielt sie am Gelenk im festen Griff. Für einen kurzen Moment ließ er den Blick auf den langen, schlanken Fingern ruhen. Tsukitos Hand war wesentlich kleiner als seine eigene, das Handgelenk ungewöhnlich schmal für das eines Mannes. Es wirkte recht feminin auf ihn, was ihn verblüffte. Vielleicht kam ihm das aber auch nur so vor und es war für japanische Verhältnisse ganz normal, das wusste er nicht. Er ließ es auf diesem Gedanken beruhen.

Mit der freien Hand langte er nach dem Holzgriff in der Schüssel, welche er vor sich auf dem Tisch abgestellt hatte. An dem breiten Pinsel haftete eine dicke, weiße Flüssigkeit, die den Anschein machte, als handle es sich dabei ebenfalls um Farbe.

„Kalt“, bemerkte Tsukito monoton, als sein Gegenüber begonnen hatte, die weiße Flüssigkeit auf seiner Haut aufzutragen. Dicht und nicht zu zimperlich, bis sie die rote Farbe unter sich verdeckte. Über seinem Unterarm breitete sich eine Gänsehaut aus.

„Lässt sich nicht vermeiden“, entgegnete Thor ruhig und setzte seine Arbeit fort. „Die Masse darf beim Auftragen 13° Celsius nicht übersteigen. Aber keine Sorge, du wirst dich schnell daran gewöhnen. Durch deine Körperwärme wird es in wenigen Sekunden nicht mehr so schlimm sein. Zum Glück sind nur vereinzelte Bereiche deines Körpers betroffen.“

„Was ist das? Farbe?“

„Deine andere Hand“, forderte er, nachdem er die linke Hand Tsukitos fertig behandelt hatte. „Halte sie bitte in der Luft. Es muss einwirken.“

Tsukito nickte verstehend, reichte dem Norden die andere Hand und ließ die fertige entspannt über der Stuhlarmlehne hängen.

„Um es kurz zu machen“, kam Thor auf die Frage zurück, „es handelt sich um ein spezielles Gemisch aus konzentriertem Kalziumpulver. Es ist ungefährlich, zieht in Mischkunstmittel ein und löst sie. Das ideale Gegenmittel für Schlangenfarbe.“

„Schlangenfarbe?“

„Ja. Loki verwendet sie gern für seine Streiche, um anderen einen Schrecken einzujagen. Lässt sie glauben, es handle sich um richtige Farbe, die sie nicht mehr losbekommen können.“

„Was ist das?“

„Schließ die Augen“, wies Thor erneut an, gab die fertige Hand frei und erhob sich. Aus der Jackentasche seiner Schuluniform zog er eine durchsichtige Haube heraus und machte sich daran, sie dem Japaner aufzusetzen. Dabei gab er Acht, möglichst alle Haare zu erwischen, die zu dem Zeitpunkt nichts von ihrer eigentlichen Farbe überhatten und wie eine einzige rote, pappige Masse aneinanderklebten.

Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren und er noch einmal alles überprüft hatte, machte er sich schließlich daran, das Gesicht des Mondgottes zu behandeln. Angefangen am Kinn.

„Schlangenfarbe, so nennt Loki es. Es handelt sich um eine künstliche Farbe. Sie verhält sich wie Schlangenhaut, bleibt für einige Tage haften, bis sie sich von selbst wieder löst und abfällt. Waschen und Schrubben bewirkt rein gar nichts, man muss warten, bis die Zeit verstrichen ist.

Eine Kalziumbehandlung beschleunigt diesen Vorgang. Wärme lässt die Farbe haften, durch die niedrige Temperatur der Masse wird eine Art Erstarrung ausgelöst. Das Kalzium zieht ein, löst die Stoffe auf und lockert so die Farbschicht. Später, wenn die Masse gehärtet ist, kann sie mitsamt der Farbe abgestreift werden.“

„Schreib es mir auf.“

„Hm?“

„Ich kann auf die Art meine Hände nicht bedienen“, erklärte Tsukito und nickte vielsagend zu seinen eingeweißten Händen. „Deswegen schreib du es bitte für mich auf.“

„Beweg deinen Kopf nicht.“ Thor trug neue Masse auf seinen Pinsel auf und setzte seine Arbeit an den Wangenkonturen des Japaners fort. „Wozu willst du das aufgeschrieben haben? Das sind keine notwendigen Informationen, die du irgendwann noch einmal gebrauchen könntest.“

„Man kann so etwas nie vorher wissen.“

„Beweg dich bitte nicht.“

 

Die nächsten zehn Minuten setzte Thor seine Arbeit fort. Sorgfältig bestrich er das Gesicht mit der weißen Masse und ging über zum Hals-Nacken-Bereich. Er ließ nicht den kleinsten Millimeter aus, bis nichts mehr von der roten Farbe zu sehen und komplett von dichtem Weiß überdeckt war.

„Lass es noch ein paar Minuten trocknen“, riet er, wobei er die bis auf einen kleinen Rest geleerte Schüssel auf dem Tisch abstellte. Leise seufzend ließ er sich auf seinen Stuhl sinken, verschnaufte einen Moment und nahm sich die Zeit, sich sein Werk noch einmal ausgiebig zu betrachten.

Tsukito schlug derweil die Augen auf. Zum wiederholten Male an diesem Tag begegneten sich die beiden Augenpaare. Ausdruckslos, nichtssagend.

„Was ist?“, war es Tsukito, der nach einiger Zeit das andauernde Schweigen zwischen ihnen brach. Noch immer hielten sie den Blickkontakt.

„Nichts“, entgegnete Thor ruhig. Er erhob sich von seinem Platz, langte nach der Schüssel und machte Anstalten, sich zu entfernen. „Ich dachte nur, dass die Situation seltsam ist.“

„So?“

Er nickte.

In der Tat war es seltsam. Thor konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so viel Zeit mit jemand anderem als Loki und Baldr verbracht zu haben. Mehr noch, er kam auch nie jemandem wirklich nahe. Nicht, dass ihn das störte; er war es gewohnt. Umso mehr irritierte ihn diese Gesamtsituation, die er Loki zu verdanken hatte – mehr oder minder.

„Du kannst dich jetzt waschen gehen“, sprach er zu Tsukito, ohne sich nach ihm umzudrehen. „Das Badezimmer ist dort drüben. Ich habe dir schon alles bereitgestellt. Es steht eine graue Sprühflasche mit weißem Etikett am Waschbecken, verwende sie bitte für deine Haare. Sie müssen gleichmäßig eingesprüht werden, bis ein Film darüberliegt. Fünf Minuten einwirken lassen, anschließend mit kaltem Wasser gründlich ausspülen. Wiederhole das bei Bedarf noch ein, zwei Mal, dann dürfte alle Farbe aus den Haaren raus sein.“

„In Ordnung.“

„Solltest du Hilfe brauchen, ruf mich.“

„Verstanden.“

 

Thor seufzte leise.

Und das alles nur, weil Loki den Test nicht schreiben wollte.

 

 

* „Anii“ oder „Ani“ ist die Kurzform zu „Aniki“, was so viel  wie „großer Bruder“ bedeutet. Um Takerus Beziehung zu Tsukito besser  darzustellen, wird diese japanische Ansprache gelegentlich übernommen, da im  Deutschen seltener nach dem „großen Bruder“ ausgerufen wird.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Gedanken zum Pairing:
Prudent, ja. Ich bin froh, es von meiner Liste zu haben. Dank Loki war es mir möglich, ein Szenario vorzubereiten, um die beiden Emotionsklotze auf einen Meter zueinander zu bekommen. Ich glaube, anders wäre jegliche Annäherung unmöglich gewesen. Keine. Chance.
Wer dieses Pair shippen kann, hat meinen Respekt. Ich kann es nicht. Mehr war wirklich nicht drin so auf den Pfiff.

Das nächste Pairing wird mir Erenya vorgeben. Ich bin gespannt, welches es werden wird. Hoffentlich kommen wir bald zu einem entspannenden Pair, haha. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Monyong
2014-08-05T19:12:42+00:00 05.08.2014 21:12
Hallo :)

Thor und Tsukito: Meine Meinung kennst du zu den beiden sicherlich schon ^^° Aber ich finde es trotzdem so gut umgesetzt! Diese chemisch-physikalische Idee passt so gut zu Tsukito.
Wenn Erenya und du mir Tsukito weiterhin so schmackhaft macht, dauert es nicht mehr lange bis ich ihn mag.

Außerdem ist dein Loki klasse :) Ich musste ihn für seine Art innerlich leicht anschmachten... ^^°

Liebe Grüße
Antwort von:  Shizana
06.08.2014 00:00
Kihi, na das freut mich doch. Thor und Tsukito sind wirklich … eigen. Zusammen noch mehr als einzeln. Aber hey, sie alle haben doch irgendwo ihren ganz persönlichen Charme. ;)

Dann werden wir uns mal anstrengend, dass du auch weiterhin so viel Freude an Tsukito haben wirst. Und Loki sowieso, ne?

Danke dir sehr für deine Meinung und die lieben Worte. So gehe ich jetzt mit einem Schmunzeln ins Bett. ^.^
Von:  Erenya
2014-06-15T07:39:37+00:00 15.06.2014 09:39
Ach ich liebe die Idee. XD
Auch wenn die Hints echt minimal sind. Aber so ein Sexy Tsukito über und über mit Thors Weiß hat schon was XDD
Mission erneut complete, auch wenn du mich nun ein Leben lang mit der Freizeitzeitschrift ärgern wirst. XDD

Ich finde gut, dass dieses Mal soviele Charaktere bei dir Text bekommen haben. Sogar unser heiß geliebtes Schnittchen Apollon XDD


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