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Abbygails Abenteuer

Road to Lavandia
von

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Sticheleien (Jasmins Gerechtigkeit)

Die verbleibenden Tage bis zu meiner ersten Bezahlung verstreichen wie im Flug.

Training, Schwimmen, die Arbeit in Ivys Bar und einige kleine Konflikte mit Gabe und Kevin halten mich auf Trab und Montag kommt, bevor ich mich versehe.

Meinen freien Tag verbringe ich mit Toby und den anderen beim Training. Wir nehmen belegte Brote und Beerensaft mit und frühstücken auf einem nicht ganz so steilen Abhang, bevor unsere Pokémon an die Arbeit müssen. Jayjay ist inzwischen stark genug, auch ohne Hunters Unterstützung wilde Pokémon zu besiegen und so kann ich währenddessen Hunters Ausdauer ausbauen.

„Nochmal Schockwelle!“, rufe ich Jayjay von Hunters Rücken aus zu, der mit immer müder werdenden Flügelschlägen Kreise über der Wiese dreht.  „Nur noch zwei Minuten“, sporne ich ihn an und Hunter krächzt, bevor er seine Anstrengungen verstärkt.

Während ich den Wind in meinem Gesicht genieße und Jayjay Attacken zurufe, denke ich über das Notizbuch in meinem Rucksack nach. Nach meinem ersten Gehaltscheck habe ich mir das kleine Heft aus Gründen gekauft, die mir im Nachhinein sehr vage erscheinen.

Die Team Rocket-Problematik wird komplizierter, je weiter ich darin verwickelt bin und mit Zachs Spionage und der Einbindung der Biker fühlt es sich immer mehr so an, als würde ich den Faden verlieren, der sich als Verbindung durch alle Vorkommnisse spannt.

Und dann sind da noch Chris, Jayden und die mir noch unbekannten Trainer Gerard und Ronya, da sich untereinander kaum kennen und trotzdem ähnliche Ziele verfolgen. Wenn es überhaupt Ziele sind. Ronya und Chris verfolgen beide legendäre Pokémon, Jayden hat ein andersfarbiges Glurak und ob Gerard ein besonderes Pokémon hat, weiß ich nicht, aber die vier haben eines gemeinsam:

Sie sammeln keine Orden.

Nicht nur das. Zumindest Chris und Jayden hegen eine regelrechte Abneigung gegen die offizielle Anerkennung von Trainern, sei es durch Orden oder Turniere. Dennoch ist Jayden mit einem Arenaleiter befreundet. Chris mag Red nicht, aber nur wegen der Auswirkungen seiner Legende, nicht wegen seinen eigentlichen Handlungen.

Es geht also um das System.

Sind sie Rebellen? Freigeister? Kritische Denker?

Ich tätschele Hunters Hals und gebe ihm damit das Signal, aufzuhören. Er sackt fast augenblicklich mehrere Meter zu Boden, bevor er sich wieder fängt und mehr oder weniger sanft landet. Ich steige ab und geselle mich zu Jayjay, der stolz neben einem besiegten Mauzi steht und schnaubt. Ich tätschele seine Schnauze, kriege einen Schlag und muss mir sein schadenfrohes Wiehern anhören.

„Mach ´ne Pause“, sage ich und er galoppiert augenblicklich an mir vorbei zu Hunter, der sich dankbar auf seinen Rücken hockt und durch die Gegend tragen lässt.

Schmunzelnd setze ich mich zurück auf unsere Picknickdecke, auf der außer mir nur Toby ist. Er liegt auf dem Rücken und schnarcht leise.

Ich lasse mich neben ihm nieder und ziehe das kleine Heftchen aus meinem Rucksack, klaue mir einen von Tobys zahlreichen Kugelschreibern und beginne, alle meine Informationen über Team Rocket, die Biker, den Untergrund, Zach und die ordenlosen Trainer zusammenzutragen.

Als ich zufrieden mit den einzelnen Listen bin, male ich Diagramme, in denen ich Personen und Ereignisse miteinander verknüpfe.

Ein kühler Wind kommt auf und ich fröstele, aber ich ziehe nur meine Jacke enger und überfliege die vollgeschriebenen Seiten.

Team Rocket wird geführt von dem ehemaligen Vorstand, Atlas, der nach Giovannis Verschwinden (oder Tod?) die Führung übernommen hat. Sein Sohn, Dark, ist fünfzehn und ein Mitglied, aber Mel und Atlas vertrauen ihm nicht.

Die ersten Anzeichen ihres Comebacks waren vor zwei Jahren, aber es gibt Anhaltspunkte, dass sie bereits vor fünf Jahren Kontakte mit dem Untergrund (und vielleicht den Bikern?) geknüpft haben. Möglicherweise waren sie an dem Tod von Eva Stray beteiligt, Carolines und Zachs älterer Schwester. Zach ist deshalb vor einem Jahr Team Rocket beigetreten, um sie von innen auszuspionieren und die Verantwortlichen zu finden. Es ist seine persönliche Rache. Vor einigen Wochen ist sein Doppelleben aber aufgeflogen und jetzt wird er von der Polizei gesucht.

Bis hierhin sind mir die Verbindungen klar.

Mik und Alina, die Anführer der Teak Biker, sind geflohen. Mel (Melanie), Teal, Lee, Cory und Craig sind Rockets, welchen Rang sie belegen, weiß ich nicht. Juan und Eliza wurden bereits festgenommen, genauso wie einige andere Rockets, die unvorsichtig waren.

Aber was ist ihr Ziel?

Ich lasse mich nach hinten kippen und starre in den Himmel. Dicke, weißgraue Wolken ziehen über das klare Blau und die Sonne strahlt durch einige dünnen Wolkenschwaden auf mich herab. Ich schließe meine Augen.

Team Rocket ist bekannt für grausame Motive und für die wichtigen Gebäude, die sie im Prozess der Umsetzung unter ihre Kontrolle bringen.

Die Silph Co. Der Radioturm.

Was wollten sie bezwecken?

Wütend schlage ich die Augen auf. Ich brauche mehr Informationen. Wie soll ich ihre jetzigen Handlungen verstehen, wenn ich nicht mal weiß, was sie in der Vergangenheit erreichen wollten?

Sie stehlen Pokémon. Sie verkaufen illegal Pokémon. Geld? Macht?

Höhlen sprengen passt überhaupt nicht in ihr Profil.

Ich stehe auf und winke Hunter und Jayjay zu mir, die widerwillig in meine Richtung traben.

„Genug gefaulenzt“, sage ich und kraule Hunters warmes Brustgefieder, bis er von Jayjay herabflattert und mich aufsitzen lässt. „Zurück an die Arbeit.“

 

Am späten Nachmittag verabschiede ich mich von den anderen, die noch die Taurosherde aufspüren wollen, um sich eins der Pokémon zu fangen und mache mich mit Sku und Gott neben mir auf den Weg zum Pokécenter.

Seit dem Kampf auf dem Indigo Plateau hat die Rivalität der beiden sich etwas entschärft. Manchmal geraten sie noch in kleine Kämpfe, aber die sind nie ernst und im Allgemeinen bleibt Gott fast so entspannt wie wenn er mit mir alleine ist.

Vielleicht hat Sku ihre Rangstellung gefestigt oder vielleicht hat Gott einfach begriffen, dass sie beide auf derselben Seite stehen. Sei es, wie es sei, ich bin froh, die beiden so friedlich nebeneinander herlaufen zu sehen. Ich lasse Gott nicht gerne so lange in seinem Pokéball, aber er ist aggressiv.

Als ich ankomme, ist genauso viel Betrieb wie schon die ganze Woche. Ein oder zwei Trainer haben Jasmin besiegt, aber dafür sind mindestens vier nachgekommen. Es sieht nicht so aus, als würde der Leuchtturm sich bald leeren und die Stimmung unter den Trainern ist miserabel.

Ich stehe fast eine halbe Stunde in der Schlange und bereits nach den ersten fünf Minuten würde ich am liebsten weglaufen, so sehr gehen mir die Gespräche vor und hinter mir auf die Nerven.

Jasmin hat geschummelt, Jasmin ist scheiße, ihr Stahlos ist zu stark, man müsste sie anzeigen, es sollte verboten sein, und so weiter und so fort.

Chris´ Stimme taucht ungebeten in meinem Kopf auf, als ich einem besonders nervigen Mädchen vor mir zuhöre.

„Ich meine, sie ist Arenaleiterin, sie darf nicht mit ihrem echten Team kämpfen!“, zetert sie und es ist nicht mal, was sie sagt, das mich so aufregt. Es ist die Art und Weise, wie sie es sagt. „Wie soll man bitte gegen sie gewinnen, wenn sie schummelt?“

Ihre Freundin nickt und ich verdrehe die Augen. Langsam kann ich Chris´ Standpunkt nachvollziehen. Es ist der nächste Satz, der mich überrascht.

„Wenn das so weiter geht, werde ich mich bei Ruth beschweren“, sagt das Mädchen und zurrt ihren Zopf fester. „Ihre Familie hat sehr viel Einfluss in der Stadt. Ich wette, sie könnten Jasmins Ruf zerstören, bis sie gefeuert wird.“

„Warum sollte Ruth dir helfen?“, frage ich laut und das Mädchen dreht sich zu mir um. Sie trägt nur die besten Markenklamotten, irgendeine Trainerkollektion, und schaut mich herablassend an.

„Und aus welchem Erdloch bist du gekrochen?“, fragt sie stattdessen.

„Komisch, den Satz höre ich dauernd“, sage ich. „Habt ihr reichen Kids keine anderen Sprüche parat?“

„Oh, du glaubst, Schlagfertigkeit, rettet dich?“, fragt sie und ich entscheide instinktiv, dass sie schlimmer ist als Ruth. Ich mag Ruth nicht unbedingt sympathisch finden, aber ich habe eine Seite von ihr gesehen, die ich hier eindeutig nicht finden werde.

„Du bist ein Trainer“, sage ich. „Du hast kein Recht darauf, einen Orden zu erhalten, nur weil du antrittst. Die Championship ist kein Scherz, verdien dir deinen Weg an die Spitze oder halt die Klappe.“

Sie kneift die Augen zusammen. Ein perfekt getrimmter, brauner Pony fällt in ihre getuschten Wimpern. Ich spüre alle Augen auf uns. Es fühlt sich nicht schlecht an.

„Die Zolwyks haben ein geschäftliches Interesse daran, meine Familie nicht zu verärgern“, sagt sie bedrohlich. „Und du hast ein Interesse daran, dich nicht mit mir anzulegen, sonst entzieht man dir deine Protrainer-Lizenz, ehe du dich versiehst.“

„Zu schade, dass ich kein Protrainer bin.“ Ich schaue ihr starr in die Augen. „Es ist nicht Jasmins Schuld, wenn du zu schwach bist, gegen sie zu gewinnen. Vielleicht solltest du nächstes Mal deine feinen Designerklamotten zu Hause lassen und deine Pokémon ernsthaft trainieren. Aber sei vorsichtig, dass du dir keinen Nagel abbrichst.“

Hinter mir ertönt leises Gelächter.

„Lass sie, Becci“, sagt ihre Freundin und wirft mir einen warnenden Blick zu. „Sie ist nur neidisch.“

„Pff, worauf denn bitte?“, frage ich grinsend. „Auf ihren Charakter ganz sicher nicht.“

Becci schaut mich einen Moment länger an, dann hüstelt Schwester Joy. Wir drehen uns nach vorne. Zwei leere Meter trennen den Tresen von den Mädchen und Becci geht los, um ihre Pokébälle abzugeben.

Ich bin nach ihr dran und frage danach, ob ich einen der Computer verwenden kann, der nicht für das Lagersystem gebraucht wird. Schwester Joy nickt und zeigt mir einen kleinen Raum neben der Küche, in dem drei Computer auf Tischen stehen. An der linken Wand steht eins der Videotelefone, welche in jedem Pokécenter vorhanden sind.

Außer mir ist niemand hier und ich lasse mich an den mir nächsten Computer sinken. Ich gebe die Zugangsdaten ein, die Joy mir auf einem kleinen Zettel gegeben hat und durchsuche dann die Nachrichtenarchive der letzten zwölf Jahre.

Nach etwa zwei Stunden Recherche ist meine Informationsmappe vier Seiten länger und ich noch unzufriedener als zuvor. Team Rockets Verhalten macht jetzt noch weniger Sinn.

Wenn Team Rocket wirklich an der Erschaffung des mysteriösen Mewtu beteiligt war und die Silph Co übernommen hat, um an einen Meisterball zu kommen, dann war ihr Motiv eindeutig Macht. Macht und Geld.

Drei Jahre später ging es um die zwanghafte Entwicklung von Karpador mit Hilfe von Radiowellen. Deshalb haben sie den Radioturm unter ihre Kontrolle gebracht, und natürlich um ihrem Boss Giovanni mitzuteilen, dass er bitte zurückkommen soll.

Beide Male wurden sie von einem einzelnen Trainer aufgehalten. Red und Gold. Die beiden Legenden.

Haben sie aus ihren Fehlern gelernt? Bisher ist es nicht gelungen, Team Rocket auszuschalten, obwohl die Zahl beteiligter Trainer größer ist, denn je. Sie scheinen vorsichtiger zu sein.

Was also haben sie mit dem Sprengen der Höhlen vor? Zumal die Explosionskraft laut Holly nicht groß genug ist.

Frustriert mache ich mich auf den Rückweg zum Leuchtturm, drehe nach wenigen Schritten um und gehe stattdessen zum Strand. Wenn ich jetzt nicht eine Runde schwimme, werde ich nie im Leben einschlafen.

 

Dienstag hält eine böse Überraschung für mich bereit.

Ich komme gerade die Treppen in Ivys Bar herunter, Putzeimer und Staubwedel im Arm, als ich an einem der Tische weiter hinten zwei mir sehr unliebe Besucher entdecke.

Gabe sitzt mit dem Rücken zu mir, aber ich erkenne ihn sofort an seinen grünen Haarsträhnen und Kevin ist nur schwer zu übersehen. Ich passe einen Moment ab, als er mit der Speisekarte beschäftigt ist und verschwinde dann in der Küche. Mein Glück hält natürlich nicht an.

Ivy schickt mich keine fünf Minuten später los, um Bestellungen aufzunehmen und so hole ich einmal tief Luft, bevor ich mein Kellnerlächeln aufsetze und mit Block und Stift in der Hand in den Hauptraum gehe.

Noch bevor ich den Tisch der beiden erreiche, werde ich entdeckt. Während ich Getränkebestellungen einer Gruppe Matrosen aufnehme, sehe ich Gabes feixenden Gesichtsausdruck.

Mit eisernem Lächeln auf den Lippen gehe ich zu den beiden und schaue stur auf meinen Notizblock.

„Kann ich euch was zu trinken bringen?“, frage ich und hoffe, die Erniedrigungsprozedur schnell hinter mich zu bringen. Vergeblich.

„Sieh mal an, du arbeitest also hier“, sagt Gabe und wartet, bis ich seinen Blick erwidere, bevor er fortfährt. „Wenn wir das gewusst hätten, wären wir schon früher hergekommen.“

„Es freut mich, dass euch das Lokal gefällt“, sage ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Habt ihr schon entschieden, was ihr möchtet?“

„Es ist ihr peinlich, Gabe“, sagt Kevin breit grinsend. „Aber das scheint bei armen Schluckern immer so zu sein.“

„Eure Bestellung?“, frage ich ein drittes Mal, jetzt ohne Freundlichkeit in der Stimme.

„Zwei Bier“, sagt Gabe und als ich in die Küche zurückehre, höre ich ihr Lachen jeden Schritt meines Weges.

„Freunde von dir?“, fragt Ivy, als ich griesgrämig zurückkomme und die Biere zapfe. Ich gebe ein humorloses Glucksen von mir.

„Eher das genaue Gegenteil.“

„Soll ich sie rauswerfen?“, fragt Ivonne und ich schaue zu ihr auf. Allein das Angebot gibt mir neue Kraft.

„Nein, noch haben sie nichts angestellt“, sage ich. „Außerdem“, füge ich grinsend hinzu, „kommen sie vielleicht öfter wieder, um mich zu ärgern. Das Geld können wir gebrauchen.“

Ivy klopft mir auf die Schulter. „Sag Bescheid, sollte es ernst werden.“

Ich lächle und bringe den Matrosen ihre Getränke, bevor ich zu Gabe und Kevin gehe.

„Zwei Bier, bitteschön“, sage ich und stelle die kalten Gläser auf den Tisch. Kondenswasser rinnt die Außenseite des Glases herab, bevor Gabe es hebt und einen Schluck nimmt.

„Danke, Puppe“, sagt er. Ich mache augenblicklich kehrt und gehe in die Küche zurück.

Obwohl sie auch den restlichen Abend friedlich bleiben, muss ich jede Menge Sticheleien über mich ergehen lassen und so atme ich erleichtert aus, als sie kurz vor zehn Uhr angetrunken das Lokal verlassen.

Leider scheinen sie Gefallen an dem Ganzen gefunden zu haben, denn als ich am nächsten Abend aus der Küche komme, sitzen sie bereits am Tisch und grinsen mich unverschämt an. Im Normalfall verhalten Gabe und Kevin sich unauffällig, aber wenn es die Besucherzahl gering und Ivy in der Küche beschäftigt ist, muss ich jede Menge subtile Beleidigungen über mich ergehen lassen.

So verfliegt der Rest meiner Woche.

Morgens und manchmal abends schwimme ich im Meer, trainiere mittags Hunter, Jayjay und Gott und gehe dann zu meiner Schicht in der Bar.

Jeden Abend verlassen sie das Lokal betrunken und stecken sich Zigaretten an, kaum dass sie vor der Tür stehen. Das haben sie schon einmal in der Bar versucht, aber Ivy unterhält eine strikte Nicht-Raucher-Agenda in ihrem Lokal und hat die Beiden sofort zu Recht gestutzt.

Seitdem beginnen sie noch vor der Eingangstür mit Rauchen und werfen uns durchs Fenster düstere Blicke zu.

Meine nächtlichen Spaziergänge mit Sku werden kürzer, weil die Anstrengung des Tages mich auf die Dauer ziemlich auslaugt, aber manchmal sitzen wir bis Mitternacht auf dem Leuchtturmbalkon und beobachten in Decken gewickelt die Sterne.

Danach rufe ich sie jedoch immer zurück. Im vierten Stock ist es eng genug, auch ohne, dass Sku zusätzlichen Platz einnimmt.

 

Am Sonntag, dem 9. November, ist wie immer All-You-Can-Eat und wie schon in der vergangenen Woche ist es voll wie sonst nie. Letztes Mal war ich durchgängig mit Geschirr spülen beschäftigt, doch dieses Mal arbeite ich effizienter und Ivy belohnt mich mit einigen Barschichten, während derer ich Getränke zapfe und Unterhaltung der hier sitzenden Matrosen betreiben darf, während Ivy für mich das Kellnern übernimmt.

Nur, dass heute nicht nur Matrosen an der Bar sitzen.

Stanz hat mich vorgewarnt, dass auch Jasmin sonntags in Ivys Bar zu finden ist, aber über den Stress der letzten Woche ist mir dieses kleine Detail völlig entgangen.

Nun stehe ich mit offenem Mund vor ihr und starre sie. Ihr hellbraunes Haar fällt seidig glatt über ihre Schultern und sie trägt ein pastellfarbenes Kleid mit rosa Strickjacke gegen die Novemberkälte.

„Ein Eistee“, sagt sie und ich schließe hastig meinen Mund. „Und das All-You-Can-Eat.“

Ich nicke und gieße ihren orangeroten Eistee in ein hohes Glas. Dann rufe ich Ivy die Bestellung zu, die wenige Minuten später mit einem großen Teller voller gegrilltem Gemüse, überbackener Käsebrötchen, Reis mit Ei und gewürzten Tofuspießen an die Theke kommt und ihn Jasmin serviert.

Ich bediene den Rest der Matrosen und stelle mich dann unauffällig gegenüber von Jasmin auf, um Gläser zu trocknen.

Obwohl sie so schlank ist, isst sie wie ein Scheunendrescher. Teller um Teller wird von Ivy gebracht, die Jasmins Essengewohnheiten kennt und weiß, wie schnell die Arenaleiterin isst. Nach vier gigantischen Portionen lehnt Jasmin sich auf ihrem Barhocker nach hinten und trinkt ihren zweiten Eistee in einem Zug.

„Möchten sie noch einen?“, frage ich vorsichtig. Jasmin öffnet träge ein Auge, dann lächelt sie und setzt sich wieder aufrecht hin.

„Ich bitte darum.“ Sie betrachtet mich genauer, während ich ihr das dritte Glas einschenke. „Arbeitest du schon lange hier?“

„Erst seit anderthalb Wochen“, erkläre ich. „Ich bin mit einigen Freunden hergereist.“ Jasmin trinkt einen tiefen Schluck und atmet entspannt durch, also wage ich eine weitere Bemerkung. „Da wir uns ohnehin auf einen längeren Aufenthalt vorbereiten müssen, habe ich mir einen Job gesucht.“

Jasmin lacht. „Deine Freunde müssen mich hassen“, sagt sie dann und stützt ihr Kinn auf eine delikate Hand.

„Nicht hassen… aber die Stimmung der Trainer ist nicht besonders gut“, gestehe ich. „Viele fühlen sich ungerecht behandelt.“

„Ungerecht behandelt… hm.“ Jasmin nimmt einen Schluck Eistee. „So habe ich mich auch immer gefühlt. Als ich noch eine junge Arenaleiterin war, hatte ich kein Selbstvertrauen. Ich wollte niemandem im Weg stehen. Ich habe gestottert, gegen einen Großteil der antretenden Trainer verloren und ich dachte, so würde sich jeder Arenaleiter fühlen.“

Ich halte im Glasputzen inne.

„Ich habe eine Freundin in Kanto, Erika. Sie ist ebenfalls Arenaleiterin.“ Jasmin schaut nachdenklich auf das Glas, das sie in ihrer Hand hält. „Sie ist zart besaitet, freundlich, leise und gerecht. Aber Trainer haben Respekt vor ihr. Sie ist eine starke Trainerin, auch wenn sie schwach wirkt.“

Ich nicke. Ich habe Erika nie kennen gelernt, aber ich weiß, dass sie Arenaleiterin in Prismania City ist. Agnes hat sich immer positiv über ihren Kampfstil geäußert. Ihre Pflanzenpokémon bereiten jedem Trainer Kopfschmerzen.

„Ich wollte ebenfalls anerkannt werden“, fährt Jasmin fort. „Ich wollte nicht mehr der Spielball der Trainer und der Indigo Liga sein. Ich reizte meine Levelerlaubnis aus, ohne sie zu überschreiten. Ich stellte mich meinen Gegnern bewusst in den Weg. Von hier an erwarten Trainer große Hindernisse. Und spätestens gegen Sandra können nur die stärksten der Starken bestehen. Und nur jene mit einem reinen Herzen und einem guten Verhältnis zu ihren Pokémon und Mitmenschen.“

„Also haben sie nie mit ausgemusterten Pokémon gekämpft?“, frage ich. Bei Gerüchten muss man immer vorsichtig sein, aber irgendwie kommt mir Jasmin nicht wie eine Regelbrecherin vor.

„Oh doch, das habe ich.“ Sie lächelt und nimmt einen weiteren Schluck. „Aber ich bin nicht die einzige. Wenn Trainer Ärger machen oder ich sie für nicht geeignet halte, dann mache ich ihnen das Leben schwerer als anderen. Die Liga vertraut meiner Einschätzung in diesen Belangen, so wie sie auch den anderen Arenaleitern vertraut. Außerdem habe ich herausgefunden, dass eine große Herausforderung und lange Wartezeiten den wahren Charakter eines Trainers zeigen.“ Sie lehnt sich vor. „Jammern sie nur? Beschweren sie sich bei Höherstehenden? Verbreiten sie Gerüchte? Werden sie vielleicht sogar gewalttätig? Oder tun sie das einzig Richtige und trainieren härter als je zuvor?“

„Zu viele Trainer nehmen ihre Orden für selbstverständlich“, stimme ich nach einer Weile zu. „Vielleicht wird es Zeit, dass die Championship wieder so respektiert wird, wie sie es verdient.“

„Wie heißt du?“

„Abby.“

„Halt die Augen auf, Abby“, sagt sie dann, trinkt ihren Eistee aus und legt Geld auf den Tresen. „Ich habe einige Trainer kennen gelernt, die mir nicht gefallen. Und deine Einstellung könnte sie provozieren. Einen schönen Tag noch.“ Sie winkt und verlässt Ivys Hafenbar.

Keine Sorge, denke ich grimmig und sammle das Geld ein. Diese Becci kann mir nichts anhaben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Kerstin-san
2017-04-14T14:38:09+00:00 14.04.2017 16:38
Hallo,
 
tja da hat Abby doch schon mal Ansätze für ne Art Reportage: Die Schattenseite des Protrainertums. Na ja, aber relaistishc gesehen denke ich, dass Chris & Co keinerlei Interesse daran haben, weil sie ja dann in den ganzen medienrummel mit reingezogen werden würden. Bisschen sorglos von Abby das alles uncodiert und ungesichert aufzuschreiben, oder? Wenn ihr das Heftchen mal abhanden und in die falschen Hände kommt, ist die Hütte aber am brennen. Aber prinzipiell finde ich es gut, dass sie versucht mehr herauszufinden und all die losen Enden irgendwie sinnig miteinannder zu verknüpfen.
 
Und Abby macht sich neue Feinde. Tja, auch die scheint sie magisch anzuziehen. Oho, in der Bar hab ich eindeutig ein Ruth-déjà-vu... Aber Abby hat was aus der Zeit in Azalea City gelernt. Immer schön lächeln und freundlich sein.
 
Jasmin sammelt bei mir einige Sympathiepunkte, weil sie selbstbewusst zu ihrem Kampfstil steht und man ihr Verhalten auch besser nachvollziehen kann. Es scheint ja so zu sein, dass die genau beobachtet wer fleißig trainiert um sie zu schlagen und wer nur am meckern und motzen ist. Das sie diesen Leuten das Leben schwerer machen darf und das Recht dann auch nutzt, zeigt, dass sie genau abwägt und sich ihrer verantwortung bewusst ist.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  _Risa_
2015-09-03T18:02:51+00:00 03.09.2015 20:02
>Sind sie Rebellen? Freigeister? Kritische Denker?
Paah, nichts davon. Lampenfieber wird es sein,okay vll. eher nicht xD

>Ich meine, sie ist Arenaleiterin, sie darf nicht mit ihrem echten Team kämpfen!“, zetert sie und es ist nicht mal, was sie sagt, das mich so aufregt. Es ist die Art und Weise, wie sie es sagt. „Wie soll man bitte gegen sie gewinnen, wenn sie schummelt?“<
Langsam kann ich Chris auch verstehen xD
Die sind alle zu schwach, nicht Jasmin unfair. Looooseer! :D

>„Warum sollte Ruth dir helfen?“, frage ich laut und das Mädchen dreht sich zu mir um. Sie trägt nur die besten Markenklamotten, irgendeine Trainerkollektion, und schaut mich herablassend an.
„Und aus welchem Erdloch bist du gekrochen?“, fragt sie stattdessen.
„Komisch, den Satz höre ich dauernd“, sage ich. „Habt ihr reichen Kids keine anderen Sprüche parat?“<
Lol, die sind ja alle sympathisch. Nur Geld bringt einem kein Talent, was für ein Pech :D

>„Die Zolwyks haben ein geschäftliches Interesse daran, meine Familie nicht zu verärgern“, sagt sie bedrohlich. „Und du hast ein Interesse daran, dich nicht mit mir anzulegen, sonst entzieht man dir deine Protrainer-Lizenz, ehe du dich versiehst.“
„Zu schade, dass ich kein Protrainer bin.“ Ich schaue ihr starr in die Augen. „Es ist nicht Jasmins Schuld, wenn du zu schwach bist, gegen sie zu gewinnen. Vielleicht solltest du nächstes Mal deine feinen Designerklamotten zu Hause lassen und deine Pokémon ernsthaft trainieren. Aber sei vorsichtig, dass du dir keinen Nagel abbrichst.“
Hinter mir ertönt leises Gelächter.<
Boah danke, du hast mich grad auf eine Idee zu Ruri vs. Jenny 2.0 gebracht x'D
Aber meine Rede, Abby. ^^

>Außer mir ist niemand hier und ich lasse mich an den mir nächsten Computer sinken. Ich gebe die Zugangsdaten ein, die Joy mir auf einem kleinen Zettel gegeben hat und durchsuche dann die Nachrichtenarchive der letzten zwölf Jahre.
Nach etwa zwei Stunden Recherche ist meine Informationsmappe vier Seiten länger und ich noch unzufriedener als zuvor. Team Rockets Verhalten macht jetzt noch weniger Sinn.<
Abby übt das Reporterdasein. XD

>„Kann ich euch was zu trinken bringen?“, frage ich und hoffe, die Erniedrigungsprozedur schnell hinter mich zu bringen. Vergeblich.
„Sieh mal an, du arbeitest also hier“, sagt Gabe und wartet, bis ich seinen Blick erwidere, bevor er fortfährt. „Wenn wir das gewusst hätten, wären wir schon früher hergekommen.“
„Es freut mich, dass euch das Lokal gefällt“, sage ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Habt ihr schon entschieden, was ihr möchtet?“
„Es ist ihr peinlich, Gabe“, sagt Kevin breit grinsend. „Aber das scheint bei armen Schluckern immer so zu sein.“
„Eure Bestellung?“, frage ich ein drittes Mal, jetzt ohne Freundlichkeit in der Stimme.
„Zwei Bier“, sagt Gabe und als ich in die Küche zurückehre, höre ich ihr Lachen jeden Schritt meines Weges.<
Ohje, das ist ja ein wahres Flashback für die arme Abby :(

>„Möchten sie noch einen?“, frage ich vorsichtig.
Sie ^^

>„Ungerecht behandelt… hm.“ Jasmin nimmt einen Schluck Eistee. „So habe ich mich auch immer gefühlt. Als ich noch eine junge Arenaleiterin war, hatte ich kein Selbstvertrauen. Ich wollte niemandem im Weg stehen. Ich habe gestottert, gegen einen Großteil der antretenden Trainer verloren und ich dachte, so würde sich jeder Arenaleiter fühlen.“<
Ich liebe es, dass du auch auf diese Seite eingehst und die Canoncharas nicht 24/7 persönlichkeitslos in ihrer Arena rumstehen. :D

>Und nur jene mit einem reinen Herzen und einem guten Verhältnis zu ihren Pokémon und Mitmenschen.
Reinem Herzen? Ohje, da greift sie tief inne Klischeekiste xD
"Ich hab kein Talent, ABER ein reines Herz!!11"

>Die Liga vertraut meiner Einschätzung in diesen Belangen, so wie sie auch den anderen Arenaleitern vertraut. Außerdem habe ich herausgefunden, dass eine große Herausforderung und lange Wartezeiten den wahren Charakter eines Trainers zeigen<
Da dürfte sie wieder Recht haben :D

>Keine Sorge, denke ich grimmig und sammle das Geld ein. Diese Becci kann mir nichts anhaben.
Wenn das in einer Geschichte der letzte Satz ist, ohoo
Antwort von:  yazumi-chan
04.09.2015 01:28
Na, auf das 2.0 freue ich mich :D Bitchfights haben ja schon was.
Von: abgemeldet
2015-05-06T18:09:31+00:00 06.05.2015 20:09
Wie ich vermutet habe, bewegt sich Jasmin in der juristischen Grauzone, die die Azalea-Joy (oder war es Kai selbst?) mal angesprochen hatte. Alle Punkte betrachtend ist es sehr logisch, dass so viele Trainer gegen sie verlieren. Zum Einen ist Stahl ein sehr mächtiger Typ und nur mit Boden, Feuer und Kampf wirklich beizukommen - das wird Jasmin aber mit sicherheit zu verhindern wissen. Zum Anderen ist sie eben Orden Nummer 6, was viele zu ignorieren scheinen. Die werden sich bei Hartwig dann wohl doch ziemlich langweilen, sollten sie Oliviana je verlassen.
Ich mag Jasmin.
Antwort von:  yazumi-chan
06.05.2015 20:34
Ich mag Jasmin auch :)
Von:  Kalliope
2015-04-09T18:43:28+00:00 09.04.2015 20:43
Wieso bekommt Abby von Jayjay einen Schlag, Hunter aber nicht, dafür (vermutlich) die anderen Pokémon im Kampf? Wieso ist Jayjay überhaupt immer aufgeladen? Es hat ja nicht Statik als Fähigkeit, da könnte ich das noch verstehen.

Na ja, vielleicht kann Becci ihr doch Probleme machen und dann ist sie auf Ruths Hilfe angewiesen.
Antwort von:  yazumi-chan
09.04.2015 20:45
Ob sie einen Schlag bekommt, oder nicht, ist meist zufällig. Vielleicht kann Jayjay das aber auch kontrollieren und piesackt sie gerne, aber das würde ich ihm nie unterstellen wollen ;)
Von:  Nali
2014-09-02T19:11:01+00:00 02.09.2014 21:11
Ich liebe Abby einfach (sie scheint probleme wirklich anzuziehen) und ich bin super froh das jayjay in ihrem team ist. Freu mich schon wie es weiter gehen wird (sicherlich ein neues problem :DD)
Antwort von:  yazumi-chan
02.09.2014 23:43
Aber immer :D Ohne Probleme wird es schließlich langweilig ;) Freut mich, dass du es bis hierhin geschafft hast :D
Von:  Hexenhund
2014-09-01T15:14:17+00:00 01.09.2014 17:14
abby sucht ja geradezu probleme... das wird bestimmt noch in einer Aussernandersetzung kommen, aber nunja, wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Jasmin ist mir irgendwie total sympatisch, und was mit Becci, gabe und Kevin passieren wird, werde ich ja bestimmt bald sehen.
Mach fleissig weiter ! :3
Antwort von:  yazumi-chan
01.09.2014 17:33
Auseinandersetzung? Wie kommst du denn auf die Idee? :DD
Die gute Abby, immer gerät sie in Schwierigkeiten und ich muss sie wieder rausboxen ;)


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