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Die Freiheit zu weinen

Naruto x Sasuke
von

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Naruto?

Es fröstelte ihn und seine Hand tastete zitternd über das kühle Bettlaken ohne auf ernstzunehmenden Widerstand zu treffen.

Schlaftrunken suchte er eine Weile, bevor er schwerfällig die Augen öffnete und mit verklebter Sicht und lichtempfindlichen Pupillen versuchte, die verfluchte Decke zu finden. Der nahestehende Wecker teilte ihm mit, dass das Zimmer nur etwa eine Temperatur von 14° C aufwies und als er den Stoff schließlich neben dem Bett auf dem Boden ausgemacht hatte, ergriff er die Decke blitzschnell und schlang sie um den frierenden, zusammengerollten Körper.
 

Als er mit der Zeit ein wenig wacher wurde, registrierte er, dass jemand einen kleinen, weißen Zettel unter den Wecker geklemmt hatte. Sich überwindend tastete er mit den eiskalten Fingern danach, um diese ohne zu zögern wieder halb unter die Decke zu ziehen, den Zettel vors Gesicht haltend.
 

Ruf mich bitte nicht mehr an
 

Ein hörbares Seufzen entfloh seinen kalten Lippen. Er selbst wusste nicht so recht, ob es ein erleichtertes oder eher ein trauriges Seufzen war. Vermutlich von beidem etwas. Die Botschaft war unmissverständlich und kompromisslos. Typisch, dachte er, so typisch. Er wollte lachen, laut und kraftvoll, doch nur ein röchelnder Huster verließ seine Lippen. Es war ihm kalt und er wollte schlafen. Nun erst recht.
 

Seinen schweren Kopf auf das Federkissen bettend, schloss er erneut die Augen und versuchte vergeblich seine umherirrenden Gedanken zu sortieren. Was war gestern eigentlich passiert? Womit hatte es angefangen?
 

Dunkel erinnerte er sich, dass ihn gestern Abend seine Mutter angerufen hatte. Er hatte den Hörer abgenommen und seinen Namen genannt.

"Ich bin es, Mutter - du kennst dich doch mit Computern aus, oder?"

Er bejahte es und fragte sich, ob seine Mutter denn noch recht bei Trost war, wenn sie ihn nach Monaten zum ersten Mal anrief, nur um ihm eine rhetorische und irgendwie auch ziemlich belanglose Frage zu stellen.

"Ich möchte gerne eine Lied vom Computer auf CD brennen, für die Beerdigung deines Vaters", sie machte eine kurze Pause, die Stimme vermittelte ihm weder Trauer noch Freude, "wusstest du eigentlich, dass er letzte Woche gestorben ist?"

Nein, erwiderte er, das habe er nicht gewusst.

Ohne näher nachzufragen, erklärte er die Bedienung des CD-Brenners, um nach kurzer Verabschiedung das Telefon mit zitternder Hand auf die Kommode zu legen. Er ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder, vergaß jedoch nicht das kochende Wasser vorher herunterzuschalten und die Spaghetti in den Topf zu befördern.
 

An sich war es ja gar nicht sein Vater gewesen. Das war der erste Gedanke, der ihm zu dem kurzen Telefonat einfiel. Ein Vater, der keiner gewesen war. Eine Mutter, die eine war und ihm dennoch wie eine Fremde erschien.

Er verlor keinen Gedanken darüber, ob sie ihn angerufen hatte, um ihn zu informieren und einen Vorwand gesucht hatte um es zu tun oder ob sie tatsächlich rein pragmatisch darüber nachgedacht hatte, wie ein CD-Brenner funktionierte.

Für einen Moment dachte er stattdessen über den Mann nach, der letzte Woche verstorben war. An die Schokoladenbrötchen, die er jeden Morgen vom Bäcker geholt hatte, als sie noch zusammenwohnten. An die Standpauken, er sollte mehr lernen und fließiger sein. Und vor allem daran, dass sie sich bei ihrer letzten Begegnung nichts versprochen hatten. Keine uneingelösten Versprechen.

"Wie...", er suchte nach einem Wort, um die Misere klarer zu definieren ohne jedoch fündig zu werden. Das Gefühl, dass er verspürte, sprengte den Horizont seiner Worte und als ihn diese Erkenntnis ereilte, erhob er sich und kippte die halbgaren Spaghetti samt des köchelnden Wassers in den Mülleimer.
 

Danach zog er sich Schuhe und Jacke an, lief die Treppen des Altbaus hinunter und trat hinaus auf die nachthelle Straße. Keine Sterne, dafür altmodische Straßenlaternen erhellten die Umgebung und der Wind trug Gesprächsfetzen und Gelächter an sein Ohr heran. Ein lauer Frühlingstag, zu schön, um daheim zu sitzen, zu bitter, um sich in billigem Wein zu ertränken.
 

Letztendlich war er über die Schweller einer der Kneipen gestolpert, die er häufig frequentierte, hatte zwei oder drei Gläser Bier getrunken und mit dem einen oder anderen Stammgast über Bedeutungslosigkeiten sinniert. Etwa beschäftigte sie sehr, wie und ob man im fernen China wohl Katzen oder Hunde zubereitete.

Angetrunken verließ er nach einiger Zeit diesen Ort wieder um sich mehr oder minder gradlinig nach Hause zu begeben, wo ihn bereits seine On-Off-Beziehung auf der Couch erwartete.

"Wir waren verabredet", erboste sich sein Partner mit einer scharfen Geste in Richtung der Wanduhr.

"Tatsächlich? Das habe ich wohl - vergessen", ein wenig müde kratzte er sich am Kopf und gähnte unter vorgehaltener Hand.

"Wo warst du?", lautete die Erwiderung, die er mit einem schiefen Lächeln beantwortete, "Du hast getrunken."

Letzteres war lediglich eine erstaunlich nüchterne Feststellung.
 

Was genau danach geschah, konnte er jedoch im Nachhinein nur schwerlich rekonstruieren. Vermutlich waren dem einige Gläser billiger Wein, belanglose Gespräche und unbefriedigender Geschlechtsverkehr gefolgt. Wie sooft. Wahrscheinlich hatte sein tendenziell eifersüchtiger und beinahe schon anstrengender Partner nun auch verstanden, dass sein nun Verflossener so gar nicht den Vorstellungen einer romantischen Liebschaft entsprach und dass eine Beziehung auf Basis einseitiger Emotionen keine reelle Zukunft hatte.
 

Es war besser so. Wobei es aller Wahrscheinlichkeit noch besser gewesen wäre, wenn sie überhaupt keine Beziehung geführt hätten. Von Anfang an. Nun gut, es hatte immerhin einige Monate überdauert und der Sex war zumindest in der Kategorie 'in Ordnung' einsortierbar gewesen, jedoch hatte er bereits nach einigen Tagen ebenso verstanden, dass es vorwiegend eine einseitige Beziehung gewesen war, die sie zusammengehalten hatte. Eine Mischung aus einseitiger Liebe, Mitleid und Charakterschwäche, wie er nun vorbehaltlos einräumen musste.
 

Nachdem er seine Erinnerungen soweit sortiert hatte, streckte er sich aus und gähnte noch einmal herzhaft, bevor er sich erhob und zusammenzuckte als die Türklingel schellte.

"Wer ist das das nun wieder?", überlegte er und hoffte, es handele sich nicht um seinen reuigen Verflossenen.

Schnell zog er sich wahllos einige Sachen über, bevor er sich kurz mit der Hand über die Haare fuhr und annährend präsentabel die Tür öffnete: "Ja bitte...?"

"Naruto!", rief eine weibliche Stimme laut, die man sicherlich im halben Treppenhaus hatte vernehmen können.

"Ach du bist es, Sakura", seufzte der Angesprochene und trat ein Stück beiseite, damit das Mädchen eintreten konnte.

"Kankurou hat mich verständigt, ihr habt euch getrennt?" Die Frage war natürlich rein rhetorischer Natur, denn vermutlich hatte sein Ex-Freund ihr längst sämtliche Details des Dramas offenbart. Von daher verzichtete Naruto auch auf eine Antwort und stellte stattdessen eine Gegenfrage -

"Was willst du hier?"

"Deinen nicht vorhandenen Kummer trösten", erwiderte sie und ließ sich auf dem orangegemusterten Sofa nieder.

Natürlich hatte sie ihn längst durchschaut, dämmerte es Naruto, im Grunde hatte er auch nichts anderes von ihr erwartet. Sakura war kein naives Mädchen, das der vermutlich ziemlich dick aufgetragenen Soap Opera, die ihr Kankurou aller Wahrscheinlichkeit nach aufgetischt hatte, ernsthaft Glauben schenken würde. Sie wusste recht genau wie viel diese Beziehung Naruto bedeutet hatte - nämlich nichts - und wenn man auf die Champagnerflasche schaute, die aus ihrer Handtasche hervorlugte, konnte man sich ausmalen, dass sie nicht hier war, um ihn zu bemitleiden, sondern um sein frisches Singledasein gebührend zu feiern. Auf solche Ideen konnte nur Sakura Haruno kommen. Er selbst würde nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden dasselbe bei ihr zu versuchen, im Gegenteil, jener Versuch würde vermutlich eher tödlich für ihn enden und trotz allem hing er am Leben.
 

"Mein Kopf bringt mich zwar gerade um, aber ich schätze du möchtest mir suggerieren, ich solle doch zwei Gläser holen", sagte er schließlich mit leicht näselnder Stimme.

"Mich dünkt du hast es kapiert", antwortete Sakura mit einem breiten Lächeln, bevor sie die Beine übereinander schlug und sich zurücklehnte.
 

Als seine beste Freundin war sie schon oft hier gewesen und es kam nicht selten vor, dass sie ihn - wie heute - spontan aufsuchte, um Belanglosigkeiten auszutauschen oder ihn auf Trab zu halten. An sich war er natürlich kein inaktiver Mensch, jedoch fiel es ihm ab und an schwer, dem quirligen Mädchen hinterherzukommen. Wie heute. Er schüttelte mit dem Kopf.
 

Sakura sah ihrem besten Freund hinterher, wie er in der Küche verschwand und seufzte leise. Trotz allem hatte sie den leisen Verdacht, dass Narutos Zurückhaltung nicht nur mit dem Ende seiner unnötigen Beziehung zusammenhing, sondern dass es tiefergehende Gründe gab. Jedoch wusste sie auch, dass ihr Drängen, wenn sie denn nachfragte, kaum beantwortet werden würde. Naruto war durchaus jemand, den sie als offenherzig und unkompliziert und bezeichnen wagte, dennoch kam es vor, dass er Gedanken und Probleme zurückhielt und es vorzog, sie mit niemandem zu teilen. Auch nicht mit ihr. Er war und blieb eben ein Mann.
 

Für Sakura hatte die Art von Feststellung keine sexuellen Hintergründe, im Gegenteil, sie konnte sich eine etwaige Beziehung mit Naruto absolut nicht vorstellen. Eher hätte sie ihre achtzigjährige Nachbarin geehelicht, bevor sie auf die Idee gekommen wäre, Naruto den Hof zu machen. Vermutlich dachte er ähnlich darüber. Nicht, dass er etwas gegen Beziehungen mit anderen Frauen gehabt hätte, nein, Naruto hatte durchaus eine Auswahl an Freundinnen gehabt in den vergangenen Jahren, aber die Beziehung zu Sakura war anderer Natur. Zum Glück. Schließlich hatte kaum etwas im Leben mehr Wert als ein guter Freund. Egal wie viele Männer bei ihr kommen und gehen würden, bei einigen hatte sie gar den Namen verdrängt, Naruto würde ihr erhalten bleiben. Das wusste sie - oder sie hoffte es zumindest und wollte gar nicht daran denken, dass es anders aussehen könnte eines Tages.
 

Kurz darauf kehrte Naruto mit zwei Gläsern zurück, die er auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa abstellte.

"Schwedische Originale", kommentierte er und zog die Flasche aus Sakuras Handtasche, um ihn zu entkorken.
 

Minuten später saßen sie schweigend nebeneinander und genossen den mehr oder minder edlen Tropfen. Sakura blickte ihren Freund neugierig von der Seite und als dieser ihren Blick bemerkte, hob er spöttisch die Augenbrauen.

"Hast du dich in mein wunderschönes Anlitz verliebt oder was beschäftigt dich?"

"Spinner", antwortete sie zunächst lachend, um dann doch innezuhalten, "nein, ich frage mich, was du jetzt vorhast."

"Jetzt?", erkundigte er sich und erntete ein zustimmendes Nicken, "Jetzt erhole ich mich erst einmal von den Strapazen deines Besuches."

"Witzbold", murmelte sie beinahe schon eingeschnappt, "ich dachte eher an dein schnödes Singleleben."

"Irgendwer wird schon kommen", erwiderte er langsam, ohne näher darüber nachzudenken. Irgendwen gab es immer irgendwo und so wie er Sakura kannte, durfte er einige der nächsten Abende in den Kneipen und Bars der Millionenstadt zubringen.

Nicht, dass er dagegen etwas einzuwenden hatte, er besuchte die Leute, die Szene, wie man sie nannte, recht gerne und ab und an tanzte er auch gern mal. Wie er wusste hatte auch Sakura ähnliche Interessen, sodass ihre Freizeitgestaltung allgemein sich recht kompatibel gestaltete.
 

In einem stillen Moment wanderten seine Gedanken jedoch wieder zum gestrigen Anruf. Er fragte sich wann die Beerdigung stattfinden und ob er hingehen sollte. Zwar mochte er diese Art von Zusammenkünften nicht besonders, vor allem nicht, wenn er sich ausmalte, wie alle beisammen sitzen, Kuchen in sich hineinstopften und dann positiv über die Vergangenheit und Gegenwart schwadronierten. Ebenso waren ihm diese aufgesetzten Trauerreden zuwider. Auf der anderen Seite war er es dem Verstorbenen wohl irgendwie schuldig, ihm sichtbar zu gedenken.

Sakura, die inzwischen ihren Redefluss unterbrochen hatte, merkte, dass ihr Freund ihr gerade nicht ernsthaft zuhörte und wohl irgendwie abgeschweift war. Dennoch hielt sie sich zurück und stellte keine Fragen. Nicht jetzt, dachte sie, noch nicht.
 

Zwei Wochen später stand er vor dem frischen Grab. Man hatte einen billigen, simpel gravierten Stein aufgestellt und einige Blumen und Kränze niedergelegt, die inzwischen schon wieder verwelkten. Auf die Beerdigung hatte er verzichtet, im Grunde hatte er auch gar keine Zeit gehabt, die Semesterprüfungen standen ihm bevor und dass er heute hier stand, hatte ihn bereits einiges an Überwindung gekostet.

Auch kostete es ihn einige Mühe, sich zusammenzureißen. Am liebsten hätte er hemmungslos geweint, hier und jetzt. Nicht darüber, dass er jemanden verloren hatte, der ihm nicht fremd gewesen war, das war es nicht, was ihn wirklich traurig machte. Vielmehr war es dieses lieblose Grab, die verwelkten Blumen und seine eigene Gleichgültigkeit, die ihn trauern ließen. Um sich, um ihn, um das, was sie verbunden hatte.

Frische Blumen hatte er nicht gekauft, aber er hob einige von den vollkommen Verwelkten auf und warf sie in den nahen Mülleimer am Wegesrand.

Er ertappte sich auch bei der Frage, ob sich seine Mutter kümmern würde, wohlwissend, dass sie es wohl irgendwie tun würde. Nicht, weil diese Verbundenheit so eine große Bedeutung für sie haben mochte, sondern weil es vielmehr pflichtgemäß dazugehörte.
 

Familienbande. Für immer und ewig. Naruto hatte immer ein dumpfes Gefühl von Sehnsucht verspürt, wenn er seine Freunde über ihre Eltern fluchen hörte. Du hast es gut, hatten sie zu ihm dagegen gesagt, du wohnst nicht daheim und musst dir das Gejammer anhören, wenn du mal zwei Stunden zu spät daheim bist und das Essen kalt geworden ist.

An sich wusste er auf solche Ausführungen nichts zu erwidern. Selbst zu der Zeit als er noch daheim gewohnt hatte, war das gemeinsame Essen eher ein besonders rares Ereignis gewesen. Etwas ohne tiefere Bedeutung für ihn.

Und jetzt war sein Vater dahingegangen ohne ein Versprechen und ohne, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte oder je ändern würde.
 

Er starrte auf den schlichten Grabstein herab und bewegte stumm seine Lippen, ungehört -
 

"Warum habe ich dich nicht geliebt?"



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