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Engelstränen

Ich gehöre euch
von

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Auf der Schwelle des Todes

Am Abend schaffe ich es halbwegs, das Geschehene zu verdrängen. Auch das Abendessen überstehe ich, ohne dass sich die Sorgen und die Angst in meiner Miene widerspiegeln.

Während ich Musik höre und mich bettfertig mache, denke ich schließlich gar nicht mehr an den Schrecken des Nachmittags. Erst, als ich im Bett liege, die Sonne schon längst hinter den Häusern verschwunden ist und ich bereits fast eingeschlafen bin, kündigt mein Handy durch den gewohnten Piep-Ton eine neue SMS an.

Ich murre leise und greife dann nach dem Handy. Das Licht des Displays blendet mich, als ich die Tastensperre löse. Eine neue Nachricht von Marcel. Ich seufze leise und überlege, ob ich sie öffnen soll, was ich schließlich auch tue. Wenn er mich schon weckt, möchte ich auch wenigstens wissen, warum.
 

»Bye.«
 

Bye? Das ist alles? Ich hatte irgendwie mehr erwartet. Irgendetwas anderes.

Doch macht sich ein sehr schlechtes Gefühl in mir breit, und so schreibe ich zurück, wenngleich ich ein wenig verärgert bin.
 

»Warum bye? Was ist los? Du kommst Montag doch wieder zur Schule?«
 

Ich schicke die SMS ab und schloss die Augen. Ich wollte versuchen, wieder zu schlafen, konnte aber irgendwie nicht. Ein böser Gedanke schlich sich in meinem Kopf von hinten an, wuchs und wuchs, bis er ein Ungeheuer wurde, welches mich von innen verspeiste, bis…

Piep!

Eine neue SMS.

Hastig öffnete ich sie.
 

»Nein, wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle nicht.«
 

Wie er es sich vorstellt? Was soll das heißen!?

Genau das schreibe ich mit schnellen Fingern zurück.
 

»Wie du es dir vorstellst? Wie meinst du das?«
 

Mein Herz schlägt wie verrückt. Hoffentlich ist es nicht das, was ich denke, was es ist. Ich wage kaum zu denken, was alles los sein könnte. Ich verklicke mich vor lauter Nervosität viel zu oft, um die nächste SMS so schnell zu öffnen, wie ich es gerne will.
 

»Ich habe gerade eine Überdosis von einem Medikament genommen.«
 

Mein Herz setzt einen Schlag aus, während sich meine Befürchtung langsam zur Wahrheit bestätigt. Ich brauche einen Moment, bevor ich zurück schreiben kann.
 

»Was für ein Medikament? Willst du dich umbringen!?«
 

Ich hoffe nicht. Ich hoffe so sehr, dass all das nicht wahr ist. Ich klammere mich an mein Handy und bete leise, bete zu irgendjemandem, bete, dass all dies nur ein schrecklicher Traum ist. Ich hoffe viel zu sehr, dass all meine Befürchtungen nicht wahr sind.
 

»Das Medikament ist Methylphenidat wegen meinem ADHS und ja«
 

Ja.

Ja, er will sich umbringen.

Ich schluchze laut auf, Tränen dringen aus meinen Augen hervor. Ich krümme mich in meinem Bett und schluchze und weine leise.

Eigentlich müsste ich doch sogar glücklich sein, schließlich hatte ich mir so etwas vor noch zwei Tagen gewünscht! Doch ich verspüre nichts anderes als eine gigantische Angst, die wie ein Stein in meiner Brust anschwillt und mich bewegungsunfähig macht.
 

»Das kannst du doch nicht machen! Du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir!«
 

Ich tippe die Zeilen hastig in mein Handy ein. Dabei verschreibe ich mich oft, weil der Tränenschleier vor meinen Augen mir die Sicht nimmt. Wieder verlässt ein Schluchzer meine zittrigen Lippen. Ich wünsche mir jetzt nichts mehr, als dass jemand mir sagt, dass das nicht wahr ist.

Eine neue SMS.

Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist. Bitte sag, dass das nur ein doofer Scherz ist.
 

»Es ist zu spät jetzt. Ich habe das Medikament schon genommen. Aber schön, dass ich mit dir schreiben kann, während ich sterbe.«
 

Dieses Arschloch!

Ich heule laut auf. Wie kann er nur? Tränen kullern über meine Wangen, es sind unzählbar viele. Ich schluchze und weine, während ich mit zittrigen Fingern versuche, eine weitere SMS zu schreiben.
 

»Aber warum? Warum tust du das?«
 

Ich schniefe. Ich wünschte, ich wäre jetzt nicht alleine, ich wünschte, es wäre jemand bei mir. Während ich schniefe und schluchze und weine höre ich, wie eine Tür auf geht. Danach hastige Schritte auf dem Flur.

„Louise?“, fragt Mama besorgt. Mama. „Alles in Ordnung?“

Ich schluchze. „Er will sich umbringen“, bringe ich irgendwie hervor.

„Wie bitte?“ Mama setzt sich zu mir ans Bett. „Louise, was ist passiert? Wer will sich umbringen?“

Ich schniefe. „Marcel“, antworte ich unter meinem kleinen Tränenmeer, welches über meine Wangen rinnt.

Mama stutzt einen Moment. „Echt jetzt?“

Ich nicke und ignoriere den Eingang einer weiteren SMS.

Mama deutet auf das Handy. „Ist er das?“

Ich nicke ein weiteres mal und nehme das Handy in meine Hand. Ich löse die Tastensperre und sehe nach, was er geschrieben hat.

„Was schreibt er?“, fragt Mama.

Ich halte ihr das Handy hin.
 

»Weil niemand mich mag ich streite mich ständig in meiner Familie du hasst mich und jetzt soll ich auch noch weg von dir auf eine andere Schule das ertrag ich nicht«
 

„Er will sich umbringen“, murmelt Mama geschockt und starrt auf den Bildschirm. Sie schüttelt sich kurz, dann steht sie auf. „Wo ist das Telefon?“, ruft sie ins Schlafzimmer.

Ich höre, wie Papa sich im Bett aufrappelt und sich umsieht. „Hier“, kommt es zurück.

Dann wendet Mama sich wieder zu mir. „Bleib auf jeden Fall mit ihm in Kontakt. Kennst du die Telefonnummer von ihm zu Hause?“

Ich schüttele den Kopf. „Ich kann ihn aber fragen.“

„Tu das.“

Also schreibe ich zurück.
 

»Sieh das doch mal so: Du kannst da vollständig neu anfangen! Außerdem bin ich doch noch immer da… Wir können SMS schreiben! Sag mal, wie ist eigentlich deine Telefonnummer (Festnetz)?«
 

„Komm mit in unser Zimmer“, befielt mir Mama, was ich auch gerne tue.

Und während ich mich auf das Bett setze, kommt eine weitere Mitteilung.
 

»Weiß ich nicht aber falls das hilft ist hier meine Adresse«
 

Ich zeige die Nachricht Mama, und während sie sich das durchliest kommt eine weitere Mitteilung. Ich reiße ihr das Handy aus der Hand und lese.
 

»Willst du meine Eltern anrufen? Das bringt nichts, ich werde in den nächsten Minuten sterben«
 

Papa gähnt müde. „Was ist denn überhaupt los hier?“, fragt er, kurz vor dem Schlaf.

„Marcel will Selbstmord begehen“, erklärt Mama, als sei es das natürlichste der Welt, während sie im Internet nach der Adresse und der Telefonnummer sucht.

Plötzlich ist Papa hellwach. „Bitte was?“

„Du hast schon richtig verstanden. Louise, was für ein Medikament hat er genommen, weißt du das?“

„Moment“, antworte ich und tippe eine weitere Antwort.
 

»Nein! Gib mir noch Zeit! Halte durch!«
 

Senden und ich scrolle im Gespräch runter zu diesem komischen Wort. „Das hier“, sage ich und halte Mama das Display vor die Nase.

„Methylphenidat“, murmelt sie und sieht meinen Vater fragend an. „Weißt du was das ist?“

Papa schüttelt nur den Kopf.

Mama gibt das Wort bei Wikipedia ein. „Ruf bitte bei Marcel zu Hause an“, sagt sie zu Papa.

„Wie ist denn die Nummer?“

Mama diktiert ihm die Nummer. Ich habe also Gelegenheit, die neueste SMS zu lesen.
 

»Verstehst du nicht? Ich will sterben!«
 

Das tuten vom Telefon weckt nun auch noch meine Schwester, die ebenfalls in das Schlafzimmer kommt. „Was ist denn hier los?“, murmelt sie verschlafen.

„Pscht!“, zischt Mama sie an. Und dann zu Papa: „Geht jemand ran?“

„Nein, sie schlafen wohl alle.“

Ich tippe schnell.
 

»Aber du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir!«
 

„Okay, gib her.“ Mama nimmt das Telefon von Papa und gibt die Notrufnummer ein. Es folgt ein kurzes Gespräch, in dem Mama alle nötigen Informationen gibt.

Nach einigen Minuten unbehaglichen Schweigens kommt eine neue SMS.
 

»Du hast den Notruf gerufen, oder?«
 

Mir kommen die Tränen. Anscheinend sind nun die Ärzte da.
 

»Ja.«
 

Ich lehne mich an Mama an, welche den Arm um mich legt. „Sind sie da?“, fragt sie.

Ich nicke und eine weitere SMS findet ihren Weg zu meinem Handy.
 

»Ich glaube, ich werde gerade versorgt…«
 

Ich lache leise auf. Es würde alles gut werden. Marcel würde überleben.

„Morgen bleibt ihr zu Hause“, sagt Mama zu meiner Schwester und mir. „Das war ein ziemlicher Schock, was?“

Marie nickt.

Ich nicke.

Alles würde gut werden.

Ganz bestimmt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist jetzt etwas länger geworden als die anderen. Ich hoffe mal, es macht nichts weiter aus! ^^
Ich hoffe, es hat euch gefallen und ich freue mich wie immer über Kritik und Lob. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  _DrachenBlut_
2014-06-04T17:09:49+00:00 04.06.2014 19:09
Sehr ergreifende Story. Allerdings kommt mir das Ende ein bisschen kurz vor, als würdest du das schnell fertig machen wollen.
Ansonsten voll cool!!
Antwort von:  xXmusic-loveXx
04.06.2014 20:58
Ja, ich muss auch ehrlich sagen, dass ich nicht wusste, wie ich es enden lassen soll. :D
Von:  MangaMaria
2014-06-01T21:53:48+00:00 01.06.2014 23:53
Wow, was für eine Geschichte. Sehr ergreifend. Es ist so chaotisch beschrieben, so wie es in so einer Situation sicher wäre. Ich konnte richtig mit Louise mitfühlen und hatte selbst die Tränen in den Augen und Herzklopfen beim Lesen.
Antwort von:  xXmusic-loveXx
02.06.2014 11:27
Danke, es freut mich, dass dir die Geschichte gefällt! :)
Antwort von:  _DrachenBlut_
02.06.2014 18:43
Ja, ich muss dir recht geben.. Um ehrlich zu sein, hatte ich höllische Angst! Krass, dass du sowas schreiben kannst! Ich hoffe, dass es Louise und Marie dann bald auch gut geht. Ich bin gespannt auf das nächste Kapitel!


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