Zum Inhalt der Seite

Engelstränen

Ich gehöre euch
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Gefahr des Alltags

In den Pausen versucht Marcel mehrmals, mit mir zu reden, doch ich kenne ihn zu gut. Ich weiß, dass er viel zu schüchtern ist, um mich anzusprechen, wenn ich mit meinen Freundinnen zusammen bin. Also klebe ich mich am Anfang jeder Pause direkt an Layla, dann an Eva und Christy. Oder an alle drei. Auf jeden Fall bleibe ich nicht alleine. Auch wenn ich mich frage, ob das eine wirklich gute Idee ist. Marcel lauert mir wie ein Raubtier auf, wartet nur auf eine Gelegenheit, dass ich ihm Schutzlos ausgeliefert bin.

Natürlich bemerkt Eva, dass ich von ihm verfolgt werde. Bei ihrem scharfen Blick hätte es mich auch sehr gewundert, wenn sie es nicht gesehen hätte. Aber in meiner grenzenlosen Naivität hatte ich gehofft, dass sie nichts merkt.

„Sieht aus, als hättest du einen Stalker“, meint Eva jetzt witzelnd.

Ich sehe mich um als hätte ich ihn noch immer nicht gesehen. „Wie, Marcel?“

„Klar wer sonst?“

Ich zucke mit den Schultern. „Soll er doch.“

Doch in mir drin brodelt es. Warum kann er mich nicht in Frieden lassen? Ich möchte meine Pausen gut genießen können, mich wenigstens zwanzig Minuten ein wenig erholen.

Was dank Eva ohnehin nicht möglich ist.
 

Der Rest der Woche verläuft ruhig. Ich fliehe vor Marcel, er verfolgt mich. Und ich kann mich die ganze Zeit über vor ihm verstecken.

Bis auf Freitag.

Ich habe mich für den Nachmittag mit Layla verabredet, wir wollten zusammen ins Kino und einen Film gucken.

„Wartest du kurz?“, fragt sie, während sie ihren Stuhl auf den Tisch stellt. „Ich muss noch mal auf Toilette.“

„Klar“, antworte ich und gehe mit ihr aus dem Klassenzimmer. Ich lehne mich an die Wand und betrachte ihren Rücken, während sie in der Toilette verschwindet.

Ein unachtsamer Moment.

„Louise.“

Ich erschrecke mich fürchterlich, als ich Marcels Stimme auf einmal so nah neben mir höre. Ich fahre herum und merke viel zu spät, wie nah er wirklich ist. Nur wenige Zentimeter trennen sein Gesicht von dem meinen.

„Was machst du hier?“, stoße ich hervor. Ich wollte eigentlich laut und selbstbewusst sprechen, doch ist bringt mein Hals nicht mehr als ein brüchiges Flüstern hervor.

„Ich hole meine Antwort. Du hast mich schon viel zu lange warten lassen.“ Ich rieche seinen Mundgeruch, er riecht eindeutig nach Alkohol. Das kann sogar ich sagen, obwohl ich den Geruch nur von ein paar wenigen Festen kenne.

„Habe ich das nicht?“, stottere ich. Ich halte das nicht aus, so nah, wie er mir ist, viel zu nah! Ich versuche, zurückzuweichen, doch er kommt mir zuvor.

„Nein, hast du nicht“, antwortet er bestimmt und stemmt seine Hände links und rechts neben meinen Kopf. Er bückt sich zu mir herunter.

Ich kippe meinen Kopf zur Seite. Ich würde ihn nur zu gern wegschubsen, ihn schlagen, doch ich kann mich nicht bewegen. „Lass mich“, bringe ich angsterfüllt über meine Lippen.

„Erst deine Antwort. Bist du jetzt meine Freundin oder nicht? Ich habe schon viel zu lange gewartet, dich das zu fragen.“ Marcel ist stur, unnachgiebig. Und er stinkt nach Alkohol.

„Hör auf, du bist betrunken!“, sage ich, so laut ich es momentan kann. Das ist nicht ehr laut.

„Ja, aber ist das nicht egal?“ Es hört sich nicht wie eine Frage an. Er schiebt sich noch näher an mich und dreht meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen muss.

Scheiße. Er kommt näher und näher und ich kann mich nicht wehren und es dauert nicht mehr lange bis…

„Was genau … Macht ihr da?“

Layla kommt gerade im richtigen Moment.

Marcel weicht zurück und tut so, als sei nichts gewesen, wie immer.

Ich beuge mich erstmal keuchend nach vorne, froh über den Platz, der mir dank Marcel verwehrt wurde. „Ich hasse dich“, zische ich ihm leise zu, so leise, dass Layla nichts davon hörte.

Marcels Gesichtsausdruck wird leicht überrascht. Er weicht noch ein Stückchen zurück, ausnahmsweise ist er mal sprachlos.

„Ich hasse dich“, widerhole ich und richte mich wieder auf. Ich werfe keinen Blick zurück, als ich mich zu Layla umdrehe und sie mit den Worten „Ist nichts, komm“ mit zum Ausgang nehme. Sie ist zwar ein wenig misstrauisch, aber ich kann sie glücklicherweise überzeugen und zudem noch das Versprechen abnehmen, dass sie niemandem etwas sagen wird.

Den ganzen Film über kann ich mich nicht konzentrieren. Die ganze Zeit über bin ich in Gedanken bei diesem Moment, diesem Moment, in dem Marcel mich beinahe geküsst hätte.

Ich hasse ihn.

Und ganz weit unten schleicht sich ein Gedanke an die Oberfläche, ein Wunsch, den ich mit aller Mühe unterdrücke.

Ich wünschte, Marcel wäre tot.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück