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Engelstränen

Ich gehöre euch
von

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Ein kleiner Horror

In dem Raum ist es dröhnend still.

Die Vögel zwitschern am Fenster, doch ich höre sie nicht.

Der kleine Ventilator am Pult brummt leise, doch ich nehme ihn nicht wahr.

Auch das flüsternde Rascheln von Papier dringt nicht zu mir vor.

Noch nicht einmal das deutliche Kritzeln, Schnaufen und Seufzen meiner Mitschüler will ich hören.

Ich blende sie einfach aus.

Ich blende sie aus, bis Stille herrscht.

Meine gesamte Aufmerksamkeit gilt dem Blatt Papier, welches vor mir liegt. Die Arbeit, die auf keinen Fall wieder so schlecht werden darf wie die Letzte. Das ist schwer und ich habe ein sehr ungutes Gefühl, denn ich bin müde und habe den Stoff kaum gelernt, geschweige denn verstanden.

Kaum gelernt, weil Eva mich überredet hatte, über das Wochenende bei ihr zu bleiben. Obwohl ich ihr sagte, dass ich lernen musste, aber sie ließ nicht mit sich reden. Sie meinte, meine sozialen Kontakte würden daran kaputt gehen.

Als ob ich das nicht wüsste.

Und müde, weil ich bis tief in die Nacht versucht habe, die Vokabeln und die Grammatik doch noch zu lernen.

Zwecklos.

Mit einem leisen Seufzen stehe ich auf und gebe mein Heft ab. Der prüfende Blick meiner Französisch-Lehrerin jagt mir einen Kälteschauer über den Rücken. Sie weiß, dass ich wieder viel zu schnell aufgegeben habe. Hastig werfe ich mir meine Tasche über die Schulter und gehe aus dem Raum. Ich laufe in die Bibliothek, wo ich mich mit meiner besten Freundin Layla nach der Arbeit verabredet habe.

Ich finde sie wie immer an der Heizung und in ein Buch vertieft.

„Hi“, begrüße ich sie und trete leicht gegen ihr Schienbein, wie ich es immer tue. Es ist das erste Mal heute, dass wir in Ruhe reden und quatschen könnten.

Doch Layla verzieht nur ihr Gesicht, bevor sie das Buch zur Seite legt. „Au“, brummt sie.

„Was ist los?“, frage ich sofort besorgt. Eigentlich wollte ich fragen, wie die Arbeit gelaufen war, doch ich spüre, dass irgendetwas nicht stimmte.

Layla zögert kurz unentschlossen. Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit, als sie langsam und behutsam ihre Jeans hochkrempelt.

Zum Vorschein kommen Schnitte.

Lange, hellrote Schnitte, die an den Rändern schon beginnen, zu verkrusten. Ihr gesamtes Schienbein ist voll damit.

Sie hatte sich wieder geritzt.

„Nein“, flüstere ich, weiche zurück, beuge mich wieder vor, knie mich zu Layla. Ein Rückschlag, das ist schlecht, sehr schlecht. Sie hat es doch ein ganzes Jahr ohne geschafft! „Was ist passiert?“

Sie zuckt mit ihren Schultern. „Weiß nicht“, nuschelt sie, „Streit mit Mama.“

Meine Finger schweben über den Wunden, dann ziehe ich sie wieder zurück. „Schon wieder?“

Sie nickt. „Schlimmer“, bestätigt sie. „Ich habe sie gebeten, weniger zu rauchen, es einfach mal zu probieren. Daraufhin meinte sie aber nur, ich solle erstmal weniger an den PC.“ Sie unterdrückt eine kleine Träne. „Ziemlich banal, was?“

„Bei so etwas ist gar nichts banal.“ Ich ziehe vorsichtig wieder ihre Hose über die Wunden. „Aber du brauchst Hilfe.“

Sie schnieft. „Ich bin doch schon bei einer Therapeutin.“

„Ich weiß“, antworte ich und lasse unbeholfen meine Hand auf ihrem Bein liegen. Eigentlich mag sie es nicht, berührt zu werden, aber ich weiß nicht, wie ich ihr sonst Mut machen könnte. „Hast du es schon mal mit Skills versucht?“

Sie nickt wieder. „Bringt bei mir nichts.“

„Weiß deine Mutter davon?“

„Ich will nicht, dass sie es weiß.“

Das sagte sie das letzte Mal auch. Ich seufze. „Wenn du darüber reden willst, ich bin da. Das weißt du?“

Sie nickt. „Ich fühle mich aber dann immer so schuldig…“

„Es ist okay.“ Ein Grinsen schleicht auf mein Gesicht. „Ich wäre doch wohl kaum deine Freundin, wenn ich nicht auch so etwas auf mich nehmen würde?“

Layla nickt dankbar, doch ich weiß, dass der Schmerz nicht weg ist, höchstens nur gelindert. „Wie war die Arbeit?“



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