Zum Inhalt der Seite

Iramon - Die Katze des Königs

Eine Pokemon Geschichte von Kanto
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 8

>>>Nerina<<<
 

"Wir sollen also ein Schiff segeln, ja?", fragte Texomon ein wenig ungläubig, als er und Nerina von der Quaimauer aus auf das kleine und schon ziemlich mitgenommen aussehende Fahrzeug hinunterblickten. Zwei Rasaff turnten in den Takelagen und vom Krähennest aus hielt ein Nokchan skeptisch Ausschau nach dem fremden Mädchen und dem Iramon, die nun schon seit guten zehn Minuten unschlüssig den Quai auf und abstreiften. Instinktiv wich Nerina seinem Blick aus. Sie wusste natürlich, dass Nokchan, genau wie Sniebel oder Pantimos nur menschenähnliche Pokemon waren, doch fiel es ihr jedes Mal aufs Neue schwer, in ihre Gesichter zu blicken und etwas anderes als Menschen in ihnen zu sehen - seltsame Menschen zugegeben, mit übertriebenen Muskelkräften und einer enormen Ausdauer - aber trotzallem Menschen. "Tja, wie es aussieht, sollen wir diese zwölf Kampfpokemon auf die Walross-Insel zu einer Fischfang-Station transportieren", entgegnete sie, ebenso ratlos, wie ihr Iramon, während sie noch einmal Sunnys Notizen und die sorgsam laminierte Seekarte überflog, die das einzige waren, womit Sunny noch herausgerückt hatte, bevor sie und Abra, das sie herteleportiert hatte, sich erneut in kalte, graue Schneeluft aufgelöst hatten, "Im Austausch gegen sie bekommen wir dann in der Station den Aufenthaltsort von Siegfried genannt..." "Hm... Warum teleportiert sie sie nicht einfach? Klingt ansich schon, wie eine Art Prüfung", murmelte Texomon und starrte misstrauisch auf die hangelnden Rasaff. Nerina zuckte mit den Schultern. "Sunny ist alles zuzutrauen", brummte sie seufzend. Sunnys nebulöse Tipps und Andeutungen hatten ihr mehr Fragen als Antworten beschert und außerdem ging ihr die gesamte Entwicklung der Ereignisse ein wenig schnell. Laut der Seekarte befanden sie sich in Glaza, einer winzigen Hafenstadt im äußersten Norden Kantos, von der Nerina noch nie zuvor gehört hatte. Noch viel merkwürdiger war allerdings, dass an diesem seltsamen Ort irgendwie die Tageszeiten verrutscht zu sein schienen, denn statt dem Mond stand nun eine trübe Wintersonne am Himmel. Es mochte gerade erst Mittag sein. "Ich dachte eher an Siegfried", sagte Texomon und riss sie jäh aus ihren Gedanken, "Ob er uns testen will?" "Er will vielleicht einfach nicht, dass ihn jeder findet", entgegnete sie so optimistisch sie konnte, "Und laut der Karte ist es auch gar nicht so schrecklich weit. Wir müssen nur immer weiter nach Norden bis wir diese kleine Inselgruppe hier erreichen. Von dort aus fahren wir dann nach Nordwesten weiter, bis wir da sind. Das einzige Problem ist... Ich hab keine Ahnung, wie man ein Schiff segelt", gestand sie ein wenig kleinlaut. Texomon kaute beunruhigt auf einer Krallenspitze - eine ungute Angewohnheit, die er in letzter Zeit immer häufiger zeigte. "Ich könnte uns ja ziehen", schlug er ein wenig halbherzig vor, "Auch wenn es hier wirklich ziemlich kalt ist..." Mit fröstelnd eingezogenen Schultern lief er zu der breiten Treppe, die am Ende des Quais hinab ins Wasser führte und steckte mit ungewohnter Vorsicht einen Fuß in das dunkle, graue Wasser der nördlichen See. Nerina musterte ihn stirnrunzelnd. Texomon hatte schon seit geraumer Zeit nicht mehr soviel Wasser aufeinmal gesehen und eigentlich hatte sie erwartet, dass er sich ohne zu zögern hineinstürzen würde, sodass seine Vorsicht sie einigermaßen verwunderte. Ob ihre Abenteuer in der Wüste ihn wohl ein wenig erwachsener gemacht hatten oder setzte ihm einfach nur die schneidende Kälte des Nordwindes zu? Kurz paddelte er unentschlossen mit dem Fuß durchs Wasser, dann sprang er mit hängenden Ohren die Treppe wieder hinauf, einen angewiderten Ausdruck auf dem sonst so fröhlichen Echsengesicht. "Es ist viel zu kalt zum schwimmen", verkündete er so entrüstet, als sei dieser Umstand ein Unding der Schöpfung, "Selbst Seedraking würde festfrieren, noch ehe wir den Hafen verlassen hätten..." Bibbernd drängte er sich an sie und sofort schlug Nerina ihren Mantel um ihn, um ihn warmzuhalten. Als das Drachen-Iramon, das er war, setzten Eis und Kälte ihm mehr zu als alle anderen unwirschen Zonen des Planeten und eine Woge von Ärger durchflutete ihren Körper. Wenn jemand um die Anfälligkeit von Drachenpokemon gegen die Kälte wusste, dann doch wohl am ehesten ihr eigener Arenaleiter! Warum hatte er sich keine Aufgabe in der Wüste ausdenken können? Doch mit einem Schulternzucken schüttelte sie den Gedanken ab. Siegfried hatte ihnen nuneinmal diesen eisigen Pfad vorgezeichnet und wenn sie ihn überhaupt finden wollten, blieb ihnen nicht viel anderes übrig, als ihm zu folgen. "Vielleicht wissen diese Kampfpokemon ja, wie man das Schiff segelt?", schlug sie vor, als Texomon wieder unter dem Mantel auftauchte, "Die Rasaff und das Nokchan scheinen mit der Sache ja ziemlich vertraut. Möglicherweise müssen wir ihnen nur den Kurs sagen..." "Lass es uns wenigstens versuchen", stimmte Texomon seufzend zu und Hand in Hand überquerten sie die schwankende Gangway. Sofort kam hektische Bewegung in die Rasaff in den Takelagen und auch von unter Deck strömten Kampfpokemon hervor, um die Fremden in Augenschein zu nehmen, die da unaufgefordert ihr Schiff betraten. Nach kurzem, unschlüssigem Gemurmel trat ein Machollo vor. Offenbar war es der Anführer der Kampfpokemon, denn es war das gr9ßte und kräftigste unter ihnen und um seinen Hals trug es ein breites Lederband, in das ein großer, dunkelblauer Stein durchzogen von einem feinen Muster weißer Linien und Punkte, eingearbeitet war. "Ma-Ma-Chollo-Llo?", fragte es und Texomon übersetzte: "Wer seid ihr?" Unsicher sah Nerina in die Reihe fragender Gesichter und erneut spürte sie, wie ihr eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Sie wusste aus diversen Geschichten, dass Kampfpokemon nichts aggressiver machte, als ein unsicheres Auftreten, zeugte das schließlich von Schwäche. Mit aller Willenskraft und hinter dem Rücken geballten Fäusten hielt sie dem Blick der zwölf glühenden Augenpaare stand ohne zu Blinzeln. "Ich bin Nerina und das ist Texomon", verkündete sie so selbstbewusst wie möglich, "Wir wurden zu euch geschickt, um dieses Schiff mit euch zur Walross-Insel zu segeln, wo man um eure Unterstützung gebeten hat." Prüfend musterte sie die verschlagenen Gesichter, doch ließ sich unmöglich erkennen, ob die Kampfpokemon ihre Nachricht gleichmütig hinnahmen oder schlichtweg nicht verstanden hatten, denn ihre Mienen blieben unbeeindruckt steinern und Nerina spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Texomon schien ihre Nervosität zu spüren. Schützend trat er einen Schritt näher und wie zufällig rutschte seine Krallenhand über ihre verkrampften Finger. 'Du schaffst das!', hörte sie das wohlvertraute Zischeln in ihren Gedanken. Sie schluckte heftig, gab sich dann aber einen Ruck. "Wir nehmen an, dass ihr wisst, wie das Schiff zu segeln ist?", fragte sie streng und als die Kampfpokemon mechanisch nickten, ließ sie in einer befehlenden Geste eine Hand auf ihren Schenkel fallen und ergänzte: "Na, worauf wartet ihr dann noch? Auf eure Plätze! Macht das Schiff bereit zum Ablegen!" Mit einem Ruck kam Leben in die unnahbaren Kreaturen und auf Deck entstand ein hektisches Durcheinander. Die beiden Rasaff kehrten in die Takelage zurück, das Machollo und zwei Kicklee besetzten die Seilwinden und drei Menki machten sich an den dicken Tauen zu schaffen, die das Schiff am Quai vertäuten. Mit heftig pochendem Herzen, aber bemüht wachsamem Blick beobachtete Nerina ihre Arbeit in der verzweifelten Hoffnung, sie mögen nicht bemerken, dass sie nichts davon verstand. Texomon tat es ihr gleich. Mit düsterer Miene lehnte er an der Reling. Sein Schwanz schlug dumpf auf die Planken und dann und wann schossen winzige Stichflammen aus seinen Nüstern. "Keiner besetzt das Steuer", bemerkte er nach einer kleinen Weile düster, "Und diese beiden Kicklee dort scheinen nicht allzu beschäftigt." Nerina nickte nachdenklich, dann löste sie sich von der Reling und schritt erhobenen Hauptes und düsteren Blickes auf die beiden, kleinen Kampfpokemon zu. "Hee, ihr da", begrüßte sie sie scharf, "Warum seid ihr nicht auf Position?" "Kick-Lee-Kick!", erwiderte eines und Texomon übersetzte in ihrem Kopf: 'Sie sind Springer.' "Na, wenn das so ist, dann wirst du Texomon erklären, wie auf diesem Schiff das Steuer funktioniert", befahl Nerina, "Und du wirst mir das Schiff zeigen, damit ich mit ihm vertraut bin, falls es Schwierigkeiten gibt." Die beiden Kicklee tauschten verwirrte Blicke, offenbar glaubten sie, Nerina hätte ihre Sprache auf Anhieb verstanden. Dann liefen sie wortlos davon, Texomon folgte dem ersten, Nerina dem zweiten.

Das Schiff war weniger behaglich denn zweckmäßig eingerichtet. In einem großen Raum an seinem Heck hingen zwölf Hängematten neben- und sogar übereinander und in einem halboffenen Schrank an der Rückwand standen Boxhandschuhe, Stiefel mit Stahlkappen, Kettenhemden, Helme und lederne Schutzanzüge offenbar zur allgemeinen Verfügung. Der Raum mündete in eine Art winzige Kombüse mit einem Pokeriegel- und Kraftfutterspender, einem Wassertank mit schmutzigen Trinknäpfen und einem Tank mit ekelerregend stinkendem Walfett, das offensichtlich die Feuerstelle speiste. Für menschliche Besucher schien das Schiff eher ungenügend eingerichtet zu sein, aber dennoch entdeckte Nerina in einer staubigen Ecke einige Konservendosen, sowie eine kleine handvoll Packen Astronautennahrung, sowie einen ramponierten Topf und etwas, das in seinen guten Zeiten wohl mal eine Gabel gewesen war. Nebenan befand sich die Kajüte des Kapitäns, ein düsteres, spinnenwebendurchzogenes Loch mit einer weiteren Hängematte, sowie einem staubigen Schreibtisch, den zu untersuchen Nerina auf ein ander Mal vertagte. "Was ist mit den anderen Räumen?", fragte sie Kicklee stattdessen, dass stumm auf die Treppe zum Deck deutete. "Kick-Lee-Lee", entgegnete Kicklee und schüttelte den Kopf, woraus Nerina schloss, dass die verbleibenden zwei Luken nicht zugänglich waren - und sie sie auf eigene Faust würde inspizieren müssen, falls etwas an Bord fehlte. Doch die nächsten Stunden vergingen nahezu ereignislos. Texomon stand wie selbstverständlich am Steuer und Nerina hielt neben ihm die Stellung, verglich die Angaben des großen Kompasses mit denen auf ihrer Seekarte und hoffte inständig, dass die Navigation auch tatsächlich so funktionierte, wie sie es sich zusammengereimt hatten. Die Kampfpokemon hielten geduldig ihre Positionen und das sanfte Schaukeln der Wellen wiegte Nerina und Texomon alsbald in eine trügerische Siegesgewissheit. "Dann ist Siegfrieds Auftrag also doch nicht so schwer, wie wir gedacht haben", frohlockte Nerina, als die letzten Strahlen der Abendsonne matt das letzte Stückchen Weg beleuchteten, das noch bis zu der winzigen Inselgruppe verblieben war, an der Nerina den Kurs neu setzen würde müssen. Texomon nickte und rieb die Hände aneinander, um sie warm zu halten. "Das einzige Problem ist die Kälte", murmelte er durch zusammengebissene Zähne und Nerina sah, wie er zitterte. Tatsächlich war der schneidende Wind über den Tag hinweg noch aufgefrischt und die Temperaturen schienen ständig zu sinken. Kurz sah Nerina zu den Kampfpokemon, die allesamt eine Art von Rüstung zu tragen schienen und deutete dann auf die Treppe. "Im letzten Raum gibt es ein paar Kleider", murmelte sie zurück, "Ich glaube nicht, dass du sie magst, aber vielleicht halten sie dich ja etwas warm." "gute Idee...", entgegnete Texomon und trottete steifbeinig davon. Während sie wartete, ließ Nerina ihren Blick über das dunkle Wasser um sie herum schweifen, das das letzte Licht des Tages wie schwarze Tinte zu verschlucken schien. Schwarze Schatten huschten unter seiner Oberfläche dahin, Robben oder Delfine vielleicht, vielleicht aber auch gefährlichere Kreaturen der See, Haie oder Meerespokemon wie Garados. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und hilfesuchend sah sie hinauf in den eisgrauen Himmel. Schwere Wolken trieben darüber hinweg, Wolken voller Schnee. Sie trieben tief - ungewöhnlich tief und verschlangen das eben noch so strahlende Licht der Sonne. Einige Herzschläge lang starrte Nerina blinzelnd zu ihnen hinauf, konnte nicht begreifen, was sich da vor ihren Augen zutrug und als sie endlich begriff, war es bereits zu spät. "Alle Segel streichen!", brüllte sie über das Deck und hastig kamen die Pokemon auf ihre entsprechenden Posten gestürmt, doch sie waren nicht schnell genug. Die gigantische Windhose erfasste das Schiff frontal und ließ es ächzend zur Seite kippen. Voller Panik krallte Nerina sich am Steuerrad fest, während die Kampfpokemon ihrem Beispiel folgten und sich an Mast oder Reling klammerten. "Was ist los?", rief Texomon erschrocken von unter Deck. Einige laute Tritte verrieten Nerina, dass er sich anschickte, die Treppe hinaufzuspringen, dann kam er mit der Gewalt einer Kanonenkugel aus dem Treppenschacht gesaust, glitt auf dem inzwischen fast aufrechtstehenden Deck aus und schlidderte über die Planken, bis seine Klauen zwischen den Brettern Halt fanden und er, einem Gecko gleich an der Wand klebte. "Ma-Chollo-Choll!", brüllte Machollo über den Sturm und Texomon übersetzte atemlos: "Wir müssen die Segelleinen lösen, sonst wird das Schiff umfallen!" "Aber wie nur?", rief Nerina verzweifelt zurück und hätte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen, wenn sie sie hätte von dem wild rotierenden Steuer nehmen können, "Wer auch immer sich loslässt, wird abstürzen! Probier's vielleicht mal mit Feuer?" Texomon nickte, holte tief Luft und versuchte eine Stichflamme, doch das Tau, auf das er gezielt hatte, war zu nass, um zu brennen. Stattdessen schickte er nur ein kleines Dampfwölkchen in den tobenden Sturm. "Ich brauche den Eisenschweif!", rief er verzweifelt zurück, "Aber wie soll ich nur dort hinunterkommen?" "Nok-Nok!", rief Nokchan aufgeregt, das nur noch mit einer Hand am Rande des Krähennestes baumelte und deutete auf eine lange Leine, die frei aus der Takelage schwang, offensichtlich von ihrem ehemaligen Bestimmungsort abgerissen. "Ist das nicht viel zu riskant?", fragte Nerina unsicher, doch Texomon gab nur ein unwilliges Knurren von sich. "Im Notfall kann ich immernoch besser schwimmen als jeder von euch", sagte er düster, duckte sich ganz dicht über die Balken und sprang. Mit einem lauten Knirschen gruben sich seine Klauen ins Holz, als er sich abdrückte, dann segelte er, flach ausgestreckt wie eine seltsame Flugechse, über den gähnenden Abgrund. Wild schlug die Leine im Sturm hin und her, unberechenbar, unerreichbar. Texomon zischte erbost, als sie seinen Klauen um Haaresbreite entkam, er abstürzte... Nerina schrie erstickt auf, als sie ihr Iramon den Wellen entgegenfallen sah, sah, wie die graue See ihn zu verschlingen drohte - da warf eine weitere, todbringende Welle das Schiff herum. Texomons ausgestreckter Fuß bekam die Reling zu fassen, er stemmte sich hoch, sprang erneut und diesmal trieb der Wind die Leine genau in seine ausgestreckten Pfoten. Ein kollektiver Schrei der Begeisterung erscholl vom Deck, als er, von seinem eigenen Schwung getragen, auf die Haltetaue des Großsegels zusauste. Als er sie fast erreicht hatte, packte er die Leine mit den Füßen, ließ die Hände los, sodass er kopfüber in der Luft baumelte und trennte die Taue mit seinem Eisenschweif sauber durch. Augenblicklich fiel das Segel ein, das Schiff legte sich stöhnend auf seinen Bauch zurück, immernoch hin und hergeworfen von den Wellen, doch wenigstens außer Reichweite des Windes. "Legt euch alle Sicherheitsleinen an!", befahl Nerina, während sie mit unsicheren Schritten über das Deck stolperte, um Texomon aufzufangen, der mittlerweile mit seiner Leine über dem Wasser pendelte. Sie fing ihn in ihren Armen, als die nächste Welle ihn herüberschwingen ließ. "Das hast du toll gemacht!", flüsterte sie ihm begeistert zu. Texomon seufzte, presste kurz das Gesicht in ihren Mantel, dann richtete er sich erneut auf. "Woher kam der Sturm?", fragte er misstrauisch. Nerina zuckte mit den Schultern. "Er war einfach da", entgegnete sie wohlwissend, wie unrealistisch es war, "Wie Seedrakings Windhose..." "Und er dürfte uns ziemlich weit von unserem Weg wegblasen", ergänzte Texomon grimmig. Nerina nickte seufzend. "Ich fürchte, dagegen können wir nicht viel tun..."

Nachdem die Kampfpokemon das Schiff sturmfest gemacht hatten, hockten sie alle dicht zusammengedrängt unter Deck. Die Pokemon diskutierten hitzig, während Nerina versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Der Sturm trieb sie nach norden, soweit, sogut. Leider trieb er sie keinen Millimeter nach Westen, sondern in östliche Richtung, genau auf den Packeisgürtel an Kantos nördlichster Spitze zu. "Gott bewahre, dass wir nicht dort hineintreiben", murmelte sie düster, "Die Eisberge werden uns schneller zu Sülze zerquetschen als wir unsere Namen buchstabiert haben... Möglicherweise machen wir lieber gleich das Rettungsboot klar." Tatsächlich war ein solches Bestandteil des Schiffes, wie die Kampfpokemon nach einiger Diskussion widerwillig zugaben. Es lag hinter einer der verbotenen Luken verstaut und konnte jeder Zeit durch eine Klappe in der Außenhaut des Schiffes ins offene Wasser geschoben werden. Wie sie hoch und heilig gelobten hatte es alle Ausrüstung bereits an Bord, doch Nerina raffte dennoch einige der wärmsten Kampfausrüstungen, einige Hände voll Pokeriegel und Menschennahrung, sowie einen kleinen Vorrat an Tauen und Segeltuch zusammen, die sie hinter der zweiten, verbotenen Luke fand und verstaute alles unter der Ruderbank des kleinen Rettungsbootes - nur für Notfälle, natürlich. Nach getaner Arbeit schickte sie alle Kampfpokemon bis auf zwei Kicklee in ihre Hängematten und folgte selbst ihrem Beispiel. Zwar fühlte sie sich nicht wirklich müde, doch wusste sie, dass sie schlafen mussten. Den warmen Schlafsack bis unter die Nase gezogen und Texomon wärmend in den Armen fiel sie schließlich in einen unruhigen, schaukeligen Schlaf...

Nerina erwachte jäh, als ein schrecklicher Ruck durch den Bauch des Schiffes lief und sie und Texomon samt Schlafsack aus der Hängematte fallen ließ. Noch ehe sie Zeit hatte, sich benommen aufzurichten, folgte dem Ruck ein markerschütterndes Knirschen und irgendwo unter ihr begann es zu Gluckern. Mit einer verzweifelten Anstrengung kämpften Nerina und Texomon sich gleichzeitig aus dem Schlafsack frei, was diesen leider in Fetzen riss, doch Nerina würdigte ihn keines Blickes. Sie mussten hier raus und zwar so schnell wie möglich. Ohne lange nachzudenken schnappte sie ihre Hose, ihre lädierten Turnschuhe und ihren dicken Mantel und drückte sie Texomon in die Arme. "Bring das ins Boot und schau, ob du die Luke aufkriegst!", wies sie ihn hektisch an und Texomon flitzte ohne ein weiteres Wort davon, während Nerina die Seekarte vom Schreibtisch schnappte und zu den Mannschaftsquartieren stürmte. "Alle ins Rettungsboot!", befahl sie und schlug in Ermangelung einer Notfallsirene mit der Gabel auf den Walöltank. "Machollo!", rief Machollo aufgebracht und gestikulierte in Richtung einiger Werkzeuge und Konservenbüchsen auf einem staubigen Regal, doch Nerina schüttelte den Kopf. "Erst bringen wir euch in Sicherheit und dann können wir immernoch das Leck suchen!", sagte sie streng und scheuchte alle hinaus zu dem Boot, das Texomon gerade mit der Hilfe der beiden recht schuldbewusst dreinblickenden Wachkicklee in das aufgewühlte Meer zu schieben versuchte. Wellen schlugen ins Innere des Schiffes - es war bereits erheblich gesunken und hatte begonnen, sich auf die Seite zu neigen. "Helft ihnen!", brüllte Nerina über das Tosen der Wellen, während bereits eisiges Wasser ihre nackten Füße umspülte, "Erst die Kicklee und Menki, dann Nokchan und Rasaff. Machollo, du hilfst Texomon und mir, das Boot festzuhalten!" Während sie sprach sah sie sich hastig in der kleinen Küche nach irgendetwas Brauchbarem um, doch auf die Schnelle wollte ihr nichts in den Sinn kommen. So riss sie nur den Walöltank aus seiner Halterung und schleifte ihn mit sich zur Spitze des Rettungsbootes, die Texomon und Machollo verzweifelt festzuhalten versuchten, doch das Heck des kleinen Bootes, das bereits frei in den Wellen schaukelte, übte einen enormen Druck auf den noch im Schiff gefangenen Rest aus und außerdem lag das Schiff bereits so schief im Meer, das der Boden zu einer einzigen Rutschbahn wurde und die eisigen Fluten Texomon schon bis zum Bauch reichten. Mit einer übermenschlichen Anstrengung wuchtete Nerina den Tank in das Rettungsboot, wo zwei Menki ihn entgegen nahmen und auf die hinterste Bank verfrachteten, dann packte sie das etwas verängstigt aussehende Nokchan um die Hüften und warf es kurzerhand den wartenden Rasaff in die Arme. So schnell sie konnte zählte sie die Besatzung - es waren zehn. "Einer fehlt!", rief sie verzweifelt, während eine eisige Welle ihr bis über die Brust schlug und ihr alle Luft aus den Lungen presste, "Wo ist das dritte Menki?" "Ich gehe ihn suchen!", verkündete Texomon, "Geht schonmal raus!" Kurz überlegte Nerina, ob sie diskutieren sollte und offenbar geisterten auch in Machollos Kopf ähnliche Gedanken herum, aber dann sprangen sie doch beide ins Boot und die beiden Rasaff begannen, es mit den Rudern, die sie in den Händen hielten, Stück für Stück ins Freie zu schieben. Texomon half ihnen mit einem Doppelkick gegen den Bug, dann stürmte er platschend durch das Wasser davon. "Rudert!", brüllte er und die Rasaff gehorchten. Beinahe bewegungsunfähig vor Kälte und Angst sah Nerina zu, wie das kleine Boot sich vom Schiff entfernte, gerade noch rechtzeitig, bevor dieses in einem Schwall aus Luftblasen zu sinken begann. "Texomon!", brüllte sie verzweifelt und wollte aufspringen, doch die raue See warf sie erbarmungslos auf den Boden zurück, "Texomon! Texomon!" "Nok!", rief Nokchan aufgeregt neben ihr und deutete auf den Bug des sinkenden Schiffes. Tatsächlich schien sich in der Takelage des Glyvers etwas zu bewegen, etwas hangelte aufwärts, offenbar vor dem Wasser fliehend. Im nächsten Augenblick schoss ein zweiter Umriss aus dem schwarzen Wasser hervor, das inzwischen den Treppenschacht überflutete. Texomons Klauen mussten sich knirschend in das Holz des Mastes und in die Taue graben, so schnell, wie er kletterte, doch zu hören war nur das Tosen der Elemente. Gebannt beobachteten sie, wie Texomon Menki einholte, es sich über die Schultern warf und ohne viel Federlesens hinab in die wirbelnde Tiefe sprang. Graue Wellen schlugen über ihnen zusammen und für unendliche Sekunden sahen sie nur zu, wie das Schiff immer schneller in den Fluten versank. Dann ließ ein Keuchen alle zwölf Köpfe gleichzeitig herumfahren. Texomons Kopf tauchte nur Zentimeter neben der Bordkante auf. Seine Nüstern waren blau vor Kälte und er atmete schnell und stoßweise. "Nehmt Menki!", fauchte er die Kicklee an, die nach seinen Armen greifen wollten und erst, als sie Menki sicher neben dem Öltank gebettet hatten, kletterte Texomon selbst mit zitternden Armen und Beinen aus dem Wasser. "Das war knapp", murmelte er außer Atem, während Nerina ihn in ihren dicken Mantel einwickelte und verzweifelt versuchte, seine Arme und Beine warmzureiben, "Diesem verdammten Sog zu entkommen ist bestimmt schon schwer genug, wenn man nicht grade festfriert." "Oh Texomon...", murmelte Nerina den Tränen nahe, "Ich dachte schon..." "Macho?", mischte Machollo sich mit belegter Stimme in ihre Konversation und deutete vielsagend nach allen Seiten und als Nerina seiner Geste folgte, sah sie das Meer zum ersten Mal mit einem klaren Blick. Es war keineswegs leer. Überall um sie her trieben Eisblöcke im Wasser, große, kleine, platte und spitze. Sie waren im Packeisgürtel gelandet. "Wir müssen hier raus!", knurrte sie durch zusammengebissene Zähne, "Wir müssen nach Süden - aber wo ist Süden?" Immernoch trieben dicke Wolken vor dem Nachthimmel und nahmen Nerina die Chance, aus den Sternen wenigstens eine Richtung zu erahnen. Außerdem warfen die Wellen das Boot gefährlich hin und her und schon einige Male hatten die rudernden Rasaff nur noch knapp eine weitere Kollision verhindern können. "Wir müssen auf eine Eisscholle", überlegte sie leise vor sich hin, "Wir dürfen das Boot nicht auch noch verlieren!" "Men-ki-ki-Me!", rief das gerettete Menki mit zittriger Stimme und deutete auf einen großen, flachen Eisklotz einige hundert Meter hinter ihnen. Nerina nickte langsam. "Ja, der sieht groß genug aus...", überlegte sie langsam, dann begann sie, in dem Bündel aus Tauen, Segeltuch und anderen Ausrüstungsgegenständen unter den Bänken zu wühlen. Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte: Einen robust aussehenden Enterhaken aus schwarzem Stahl. Mit zitternden Fingern befestigte sie ihn am Ende eines Taues, dann drückte sie ihn Machollo in die Hände. "Wirf ihn so fest auf den Eisblock, dass er steckenbleibt", befahl sie ihm hastig, "Dann können wir am Seil entlang hinaufklettern. Kicklee, nehmt euch zwei Paddel und taucht sie so tief ins Wasser, wie ihr könnt, damit wir merken, wann wir dem Eisblock zu nahe kommen. Unter Wasser sind sie größer!" Als die Kicklee schließlich auf Grund stießen, klaffte zwischen Boot und Eisberg immernoch eine Lücke von guten zehn Metern. Bedächtig richtete Machollo sich im Boot auf, holte aus und schleuderte den Haken nach dem Eis. Mit einem leisen Knirschen verschwand er beinahe völlig darin. "Ich klettere als erster rüber", meldete sich Texomon bibbernd zu Wort, "Dann kann ich den Haken festhalten, während Machollo den Kicklee hilft, das Boot vom Eis fernzuhalten." Noch ehe Nerina protestieren konnte, sprang er über Bord. Mit den Händen am Tau hangelnd und die Fußklauen ins Eis rammend kraxelte er mühsam vorwärts, die glatte Flanke des Eisberges hinauf, bis er bei dem Haken zu sitzen kam. "Es geht ganz leicht!", rief er mit stockender Stimme, "Kommt! Menki!" Unter den Menki brach ein unschlüssiges Gemurmel aus. Texomon bebte am ganzen Körper und es gehörte nicht viel Fantasie dazu um zu sehen, dass er log. Doch dann stemmte sich das Menki, das er gerettet hatte, mühsam auf die Beine, ergriff das Seil und folgte ihm rutschend und platschend hinauf aufs Eis. Quälend langsam folgten die anderen seinem Beispiel, bis nur noch Nerina und Machollo im Boot kauerten und es mit schmerzenden Armen vom Eis fortzuhalten versuchten. Gerade wollte Nerina Machollo auffordern, zu folgen, als Texomon ihr von oben ein Zeichen gab. "Wenn ich die Seite des Eisberges aufschmelze, kriege ich vielleicht eine Rutschbahn hin", rief er zu ihr hinab, "Dann können wir euch mitsamt Boot heraufziehen!" "Aber das ist viel zu anstrengend für dich!", protestierte Nerina atemlos. Texomon schnaubte hilflos. "Du kannst nicht durch das Wasser, ohne zu erfrieren, Nerina!", rief er zurück, "Das ist schon für ein Pokemon schwer und wir halten mehr aus. Macht das Seil am Bug fest und bringt euch auf Abstand!" Nerina zögerte noch, doch Machollo nahm ihr kurzerhand die Entscheidung ab, indem er das Seilende von der Ruder-Dolle löste und an dem Ring im Bug befestigte. Texomon kauerte sich nieder, holte tief Luft und blies Feuer. Sein Flammenwurf fraß eine Spur der Verwüstung in die Flanke des Eisberges, eine lange, schmale Bahn schmolz auf und rann als Sturzbach hinab ins Meer. Was sie zurückließ, was spiegelglattes Eis. "Jetzt zieht!", rief Texomon und im nächsten Augenblick fühlte Nerina sich nach hinten geworfen, als das Boot seinen Bug aus dem Wasser schob und langsam und mit unangenehmen Schleifen nach oben gezogen wurde. Mit einem lauten Knall kippte der Tank um und schlug die hinterste Bank heraus. Dann waren sie oben - endlich in Sicherheit.

Durchgefroren und mit klammen Händen holten sie Segeltuch aus dem Boot, damit sie nicht auf dem blanken Eis sitzen mussten. Machollo schlug eine Mulde ins Eis, in die sie etwas von dem Walfett schütteten und einen Strick als Docht hineinhängten, sodass sie wenigstens ein wärmendes Lagerfeuer hinbekamen, um das sie sich zusammendrängten, um sich zu wärmen. Vor dem Sturm waren sie hier oben einigermaßen sicher, doch zeichnete sich bald ab, dass sie den Eisklotz auch so bald nicht würden verlassen können. Zu hoch waren immernoch die Wellen und zu gefährlich die mahlenden Eismassen um sie her. "Wir müssen warten, bis sich der Sturm gelegt hat", sinnierte Nerina nach einigen Minuten des dumpfen Schweigens, "Ohne Sonne und Mond und einigermaßen ruhige See schaffen wir es nie nach Süden... Wie wäre es, wenn wir uns bis dahin eine Unterkunft bauen?" Also rappelten sie sich alle wieder mühsam auf die tauben Füße. Im Handumdrehen schlugen die Kampfpokemon Blöcke aus dem Eis und schichteten sie unter Nerinas Anweisungen zu einem kleinen, grimmigen Iglu auf, dann spritzte Texomon seine Hydropumpe darüber, um die Lücken zu schließen und schließlich verstauten sie alle ihre Habseligkeiten im Inneren und bedeckten den Boden mit Segeltuch. Es dauerte nicht lange, bis ihre eigene und die Wärme des Feuers das kleine Eishaus soweit aufgewärmt hatte, dass sie wenigstens aufhörten, zu zittern. Doch die Stunden verrannen ereignislos und weder ließ sich die Sonne blicken, noch nahm der Wellengang merklich ab und mit jeder verrinnenden Sekunde wurde die Stimmung gereizter. Bereits am ersten Abend gingen ihnen die Pokeriegel aus und Nerina schickte zwei der Menki und das Nokchan zum Angeln, doch sie kamen praktisch mit leeren Händen zurück und die wässrige Suppe, die Nerina aus den paar kleinen Fischen und einer Konservendose Linseneintopf zusammenköchelte konnte den Hunger nur ungenügend stillen. Die Nacht war wenig erholsam und verstrich in dumpfen Grübeleien, wie schon der Tag zuvor. Der Sturm ließ die Eismassen bedrohlich aneinander reiben und zu allem Überfluss begann Texomon ein äußerst heftiger Husten zu quälen, der ihn in unregelmäßigen Abständen Stichflammen in alle Richtungen schnauben ließ. Am Morgen verteilte Nerina die einzige Packung Milch, die sie besaßen, doch das heiße, nahrhafte Getränk führte alsbald zu Streit zwischen den Rasaff, was schließlich darin mündete, dass die letzten Tropfen verschüttet wurden, worauf sich ein wütendes Geschrei erhob. Texomon knurrte erbost. "Habt ihr nichts besseres zutun?", fauchte er, sprang zwischen die prügelnden Rasaff und trat dem einen mit seinem Doppelkick in den Bauch, während das andere seinen Eisenschweif zu spüren bekam. Danach herrschte erneut betretenes Schweigen, bis Nerina es nicht mehr aushielt. "Wollen wir was spielen?", fragte sie halbherzig, "Vielleicht Flaschendrehen oder so?" Zunächst hatte keins der Kampfpokemon wirklich Lust, doch nachdem Machollo pflichtschuldig auf einem Bein ums Iglu gehüpft und dazu wie ein Taubsi gezwitschert hatte, kam die Sache in Fahrt und als am späten Nachmittag endlich die Wolkendecke aufriss und die trüben Strahlen der Nachmittagssonne auf ihren Eisberg fielen, war die Stimmung beinahe ausgelassen.

Im Laufe der Nacht flaute der Sturm endgültig ab und als Nerina am dritten Morgen ihrer unfreiwilligen Expedition vor ihr Iglu trat, schien ihr eine blasse, nordische Sonne schüchtern auf die durchgefrorenen Glieder und das Meer lag glatt wie ein Spiegel vor ihr. "Ich denke, wir sollten aufbrechen", sagte Texomon neben ihr und schnaubte eine Stichflamme. Sein Husten hatte sich noch um ein gutes Stück verschlimmert und auch die dicken und unhandlichen Kampfkleider, die er nun trug, schienen der Kälte wenig Abbruch zu tun. Besorgt musterte Nerina sein blassblaues Gesicht und fragte sich unwillkürlich, ob es für ihn wohl besser wäre, hier zu bleiben, statt sich erneut dem kalten Wind der See auszusetzen, doch andererseits war das wohl ihre einzige Chance auf Rettung und früher oder später würde ihnen sowieso das Walfett ausgehen. Seufzend nickte sie. "Machollo", wandte sie sich an den Anführer der Kampfpokemon, der griesgrämig hinter ihnen stand, "Packt bitte alles, was noch von Wert ist in unser Boot und such zwei der leichteren Pokemon aus, die im Boot sitzen bleiben können, während wir es runterschieben." Machollo und seine Leute gehorchten nur zu gerne. Zwar hatten Nerina und Texomon sie einigermaßen bei Laune halten können, doch war ihnen heute Morgen vollständig das Essen ausgegangen und ohne Frühstück im Magen wuchs ihre schlechte Laune sekündlich. "Na dann mal los!", rief Texomon, als das Boot endlich gepackt und auf seine Startposition geschoben war, und wollte schon anfangen, selbst zu schieben, als Nerina ihn zurückhielt. "Lass mich das machen", sagte sie leise. Texomons dunkle Augen blickten verständnislos. "Das Wasser ist viel zu kalt für dich!", protestierte er, "Du solltest ins Boot gehen!" "Du solltest ins Boot gehen!", widersprach Nerina eindringlich, "Du bist krank!" "Mir geht’s gut!", erwiderte Texomon grimmig und entblößte in hilfloser Wut die Zähne. Doch Nerina ließ nicht locker. Mit einem entschlossenen Schritt vertrat sie ihm den Weg und sah ihm fest in die schwarzen Augen. "Bitte, Texomon!", sagte sie leise wennauch fest, "Damals bei der Wasserprüfung, da hast du mich gebeten, dir zu vertrauen - und das habe ich getan, seit damals und bis heute. Aber jetzt ist es an dir, mir zu vertrauen. Bitte geh ins Boot, wickel dich warm ein und versuch, dich auszuruhen. Wir werden deine Kräfte früh genug brauchen!" Kurz starrte Texomon sie an, als habe er einen Geist gesehen, doch dann senkte er betreten den Blick und kletterte über die Bordwand ins Innere.

Das Boot glitt mit einem lauten Platschen ins Wasser zurück und johlend, spritzend und frierend folgten die Kampfpokemon und Nerina an ihrem Seil, während die beiden Kicklee im Boot es vom Eis fernhielten. Als alle unten waren, riss Machollo mit einem gewaltigen Ruck das Seil frei, dann stemmten sich die beiden Rasaff in die Ruder. Sie kamen langsam voran, soweit Nerina das auf ihrer Seekarte beurteilen konnte. Der eisige Wind stach wie mit Nadeln in ihre Hände und Gesichter und das Packeis wollte und wollte kein Ende nehmen. Nach einiger Zeit begann Nerina, etwas von ihrem Trinkwasser in alte Konservendosen zu schütten und Texomon erwärmte es zu Tee, der dankend von einem zum anderen gereicht wurde. Auch war die Freude groß, als die beiden angelnden Menki tatsächlich einen kleinen Fisch zu Tage förderten, den sie ohne viel Federlesens mit Kopf und Greten verschlangen, Nerina bemühte sich, nicht hinzusehen. Als die Sonne bereits wieder im Sinken begriffen war, begannen sich endlich die Konturen festen Felsens vor ihnen im Dunst abzuzeichnen. Aufgeregt sprang Nerina auf, die Seekarte in der Hand. "Oh, wir haben es geschafft!", rief sie begeistert aus, nachdem sie die Umrisse der Küste mit der Karte verglichen hatte, "Das muss die nordöstliche Spitze der Walross-Insel sein! Wir müssen zwar auf ihre andere Seite, aber das ist nicht so weit! Nur noch ein paar Kilometer und wir sind da!" Sie erreichten die nördlichsten Ausläufer der Insel im letzten Licht des Tages und Nerina wies die Kicklee, die gerade ruderten, an, das Boot gen Westen zu drehen, als das Fahrzeug wie von selbst herumwirbelte und in rasender Geschwindigkeit in Richtung der steinigen Küste gezerrt wurde. "Eine Strömung!", schrie Texomon erschrocken auf, "Schnell!" Nun sprangen auch Nokchan, Machollo, Nerina und er selbst den müden Kicklee zur Hilfe, doch die Ruder schlugen nutzlos durch das aufgewühlte Wasser. Ihre kleinen Blätter konnten nichts gegen den schrecklichen Sog ausrichten. "Schnell, Nerina!", rief Texomon panisch, "Ich muss Seedraking werden, sonst werden wir an den Felsen zerschellen!" "Aber du bist doch viel zu schwach!", protestierte Nerina ängstlich. Dann jedoch sah sie den Blick in seinen Augen und nickte stumm. Mit einem Satz sprang Texomon über Bord ins eisige Wasser der See. Noch im Flug hüllte er sich in Evotationsblasen. Die Kampfpokemon schnappten erschrocken nach Luft, als sie den langen, starken Körper unter der Wasseroberfläche bemerkten, doch als Seedraking sich mit aller Macht gegen die Strömung stemmte, das Boot wie einen übergroßen Ball vor sich hertreibend, feuerten sie ihn mit aller Kraft an. Tatsächlich gelang es Seedraking, das kleine Boot von den Felsen fortzuschieben, doch sah Nerina, dass er entkräftet war und kaum hatten sie sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone begeben, als seine wilden Bemühungen schwächer wurden und er atemlos zuließ, dass die Wellen das kleine Boot an den körnigen Strand warfen, ehe er selbst hinterherschwamm, zu Texomon wurde und sich mit einem heftigen Hustenanfall in Nerinas ausgestreckte Arme fallen ließ. "Ich bin müde, Nerina", murmelte er, während Hustenkrämpfe ihn schüttelten, "So müde..."

Sie entzündeten aus ihrem letzten Walfett ein kleines Feuer am Strand, um das sie sich zusammenkauerten. Manche der Kampfpokemon kauten Seetang und Nerina streifte noch eine gute Stunde über die Klippen, um Texomon eine handvoll Muscheln zu besorgen, die er dankbar aber wortkarg aufaß, um dann in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Der nächste Tag brachte wenig Erfreuliches. Zwar war das Wetter nach wie vor gut, dafür mussten sie feststellen, dass ihr Boot kaum ins Wasser zurückzubringen war. "Wir werden laufen müssen", brummte Nerina übellaunig. Texomons Zustand wollte und wollte sich nicht verbessern und sie machte sich allmählich gewaltige Sorgen um ihn. Die anderen Pokemon guckten nicht minder düster aus ihren Lederharnischen und schweigsam raffte jeder die wenigen Habseligkeiten zusammen, auf die er nicht verzichten mochte. Dann stapften sie los, einen langen und vereisten Felsgrad hinauf. Der Weg zog und zog sich in die Länge und immer wieder glitten ihre Füße auf dem spiegelglatten Eis ab, rutschten die Kampfpokemon ineinander oder kullerte eines hilflos den Berg hinab. Texomon kletterte mit zusammengebissenen Zähnen neben ihr, seine Klauen hinterließen tiefe Spuren im Eis. Den ganzen Tag schleppten sie sich müde und Verwünschungen murmelnd voran, bis sie gegen Nachmittag den Gipfel des Berges erreicht hatten. Im schwachen Licht der Wintersonne blitzte ihnen einladend das rotweiße Dach der Fischfang-Station entgegen. Es lag gute zehn Kilometer entfernt und sicher einen unter ihnen. "Mamacho?", meldete Machollo sich heiser zu Wort und deutete an, wie sehr er auf dem Pfad ausrutschen würde. Nerina nickte schwer. "Wir werden schlichtweg runterrutschen", murmelte sie ernüchtert, "Da brechen wir uns alle Knochen!" "Außer, wir rutschen richtig!", entgegnete Texomon verschnupft und deutete auf einen der hohen, schlanken Tannenbäume, die hier und da aus dem Eis ragten, "Wenn wir daraus ein Brett machen könnten, wie das Sandbrett, dann könnten wir runterfahren, oder?" "Klingt verrückt genug, es zu machen!", versetzte Nerina schulterzuckend und müde schleppten sich Machollo und eins der Rasaff zu einem Baumstamm. Sie fällten ihn mit einem Turmkick und Texomon trennte mit müden Eisenschweifen die Äste ab, dann nahmen sie alle hintereinander auf dem seltsamen Schlitten platz und Nerina stieß ihn vom Boden ab. Das Gefährt bekam beängstigend schnell Fahrt und schreiend und johlend, erst vor Angst und schließlich Vergnügen, warfen sich die Pokemon in die Kurven, gruben die Füße ins Eis, um zu bremsen und rissen triumphierend und im Geschwindigkeitsrausch die Arme hoch. Erst, als sie um die letzte, steile Biegung schossen bemerkte Nerina den Knackpunkt an ihrem Plan. "Wir können nicht bremsen!", schrie sie auf und unter lautem Geschrei rasten sie die Einfahrt der Station hinauf, krachten holzsplitternd durch die schwere Eingangstür und blieben benommen auf dem blanken Marmorboden der Halle liegen. "Lieferung angekommen", verkündete Nerina nur noch müde dem völlig übertölpelten Sekretär der Station, der nach einigen Schrecksekunden bleich hinter seinem Schreibtisch auftauchte. Der Mann starrte sie an. "Kann man wohl so sagen", entgegnete er dann lachend, "Auch wenn wir euch so stürmisch nicht erwartet hätten!" "Na wenn sie wüssten", murrte Texomon, rappelte sich auf und lief zu ihm hinüber, "Wir sind durch Sturm und Wellen und Eis hierhergekommen, um diese zwölf Kampfpokemon zu euch zu bringen. Nehmt ihr sie an?" Das Grinsen des Mannes wurde noch eine Spur breiter. "Oh, wir brauchen sie verzweifelt! Und ihr wollt sicher wissen, wo Siegfried steckt, hab ich recht?" Mit einer vielsagenden Geste deutete er auf eine kleine, lilafarbene Platte in der Ecke des Raumes. "Noch so ein Teleporter!", stieß Nerina überrascht aus, dann wandte sie sich an die Kampfpokemon. "Ihr wart eine tolle Mannschaft! Viel Glück und passt auf euch auf!" "Ma-Machollo!", entgegnete Machollo ernst, dann trat er vor, löste das Halsband mit dem wunderschönen Lapis Lazuli von seinem Hals und legte es Nerina in die zum Gruß gehobenen Hände. "Nimm das als Zeichen unserer Ehrerbietung", übersetzte Texomon gerührt und mit Tränen der Rührung und der Erschöpfung in den Augen traten sie abermals auf die Teleporterplatte.

"Oh weia, wie seht ihr denn aus?" Müde sah Nerina auf und direkt in zwei neugierige, blaue Augen. "Evoli, wie...", begann sie müde, unterbrach sich jedoch, als sie das Gesicht näher in Augenschein nahm. Es hatte nach wie vor Evolis verspielten Züge, doch schauten die blauen Augen ernster und überlegener drein und zwischen ihnen saß ein leuchtender, orangefarbener Stein, der geheimnisvoll im Licht des Mondes glitzerte und einen wunderschönen Kontrast zu dem sonst zartfliederfarbenem Fell bildete. Als Psiana Nerinas überraschten Blick bemerkte, trat sie einen Schritt aus dem Schatten heraus und präsentierte den Neuankömmlingen stolz einen hochbeinigen, schlanken, wennauch muskulösen Katzenkörper, dessen Fliederfell so weich und kuschelig aussah, wie die Decke, die Nerina sich seit Tagen gewünscht hatte. Ihren langen Schwanz hielt sie stolz erhoben, die beiden Enden zitterten leicht im schwachen Wind. "Du siehst toll aus!", flüsterte Nerina voller Wärme, streckte die Hände aus und nahm Psianas weiches Katzengesicht zwischen die kalten Handflächen, "Ist alles gut gelaufen?" Psiana nickte, kam noch einen Schritt näher und legte wärmend den immernoch leicht buschigen Schwanz um den bibbernden Texomon. "Ja. Die Prüfung war wirklich sehr anstrengend und Neru schläft schon und Sunny und Siegfried auch. Morgen wollen sie mit unserem Training beginnen!" Sie sprach das Wort so widerwillig aus, dass Nerina unwillkürlich lachen musste. "Und du?", fragte sie leise, "Bist du nicht müde?" "Oh", entgegnete Psiana geheimnisvoll und Nerina glaubte, in ihren Augen ein warmes Blitzen zu erkennen, "Ich hatte so ein Gefühl, dass ich kommen würdet - und, dass ihr vielleicht eine kräftige Vital-Glocke vertragen könntet..."
 

>>>Neru<<<
 

Als Neru die Augen aufschlug, ging eine rote, heiße Sonne gerade hinter den Pyramiden auf. Es war noch kühl und die Strahlen der Sonne hatten noch nicht viel Kraft, doch würde es nicht mehr lange dauern, bis sie erbarmungslos auf sie niederbrennen würde. Neru streckte seine Glieder und sah sich in ihrem kleinen Lager um. Zwei weitere Gestalten lagen in dem Kreis rund um das Feuer. Neru richtete sich halb auf und konnte Texomon und Nerina erkennen, die eng aneinandergekuschelt dalagen. Nerina sah ein wenig bleich aus und hustete im Schlaf, während sich Neru wunderte, wie er bei dem Krach, den Texomon veranstaltet hatte, überhaupt hatte schlafen können. Kleine Rauchkringel verließen seine Nüstern und die Decke sah danach aus, als hätte sie schon heißere Dinge als das in der Nacht ertragen müssen. Gestern sahen sie noch so lebendig aus, schoss es ihm durch den Kopf, und heute sehen sie aus, als hätten sie eine Woche am Nordpol verbracht. Neru kam dieser Gedanke im Spaß und er musste ein wenig auflachen. Ein großer, lilaner Schatten neben ihm hob nun den Kopf und sah ihn mit fragenden Augen an. Neru fühlte Psianas wärmenden Körper neben sich und konnte nicht umhin, die neuste Evotation von Evoli zu bewundern. Stolz sah sie nun aus, ihr Körper war mit langen Beinen ausgestattet, doch wirkte ihre Gestalt nicht so stämmig wie die von Aquana oder Folipurba. Neru mochte sogar darauf wetten, dass Psiana ein ganzes Stück kleiner war, doch so genau hatte er das noch nicht sehen können. Psianas lilane Ohren zuckten und ihr orangener Stein auf der Stirn leuchtete kurz auf. "Sie sind gestern Nacht spät hier angekommen", erklärte sie. Neru nickte und folgte ihrem Blick zu den beiden hinüber. "Sie sehen gar nicht gut aus", flüsterte Neru. Psiana nickte und ihr Schwanz schwang belustigt durch die Luft. "Texomon hat einen Schnupfen", erklärte sie, "Ich hab ihn gestern niesen sehen. Die Stichflamme war anderthalb Meter lang." Neru musste bei dem Gedanken lächeln. "Es wird ihnen bald wieder besser gehen", erklärte er, "Würde mich nur interessieren, wie sie es geschafft haben, sich so zu erkälten." "Och, eine Woche in Eis und Schnee wirken da Wunder", meinte Nerina und zog die Nase hoch. Neru hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon wach war. Nun setzten sich auch die anderen am Lagerfeuer auf: Sunny, die etwas schräge Arenaleiterin, die Neru gestern nach dem Horror in der Pyramide kennen gelernt hatte, und Siegfried, der Arenaleiter der Drachenpokemon. Während Sunny einen etwas schrägen Stil hatte, ihre Arena zu leiten - Das Merkwürdigste war, dass sie auf Fragen antwortete, noch bevor sie gestellt wurden -, war Siegfried von Kopf bis Fuß durchgängig eine Respektsperson. Sein Auftreten wirkte edel, doch er spielte sich nicht in den Vordergrund. Neru ging auf, dass er kaum etwas über den hochgewachsenen Arenaleiter wusste, doch er war in der Lage, sich allein durch seine Anwesenheit Respekt zu verschaffen. So kam es, dass Siegfrieds ruhige, aber durchdringende Augen sich auf Texomon richteten und dieser noch eine Nuance bleicher um sein Horn wurde. Neru konnte es ihm nicht verdenken. Die mutigsten Menschen und Pokemon würden unter dem Blick dieses Mannes zusammenbrechen. Doch Texomon hielt dem Blick tapfer stand und richtete sich sogar zu seiner vollen Größe auf. "Bist du Siegfried?", fragte er. Siegfried nickte zur Bestätigung und ein Lächeln spielte um seine Lippen. "Wir sind über eine Woche durch Eis und Wasser gegangen, sind fast auf Eisschollen festgefroren oder von ihnen erschlagen worden. Haben wir die Drachenprüfung nun verdient?" Neru wusste gar nicht, dass Texomon so ernsthaft seinen Standpunkt vorbringen konnte. Doch musste er Texomon dennoch anstarren, als wäre er verrückt geworden. Texomon neigte in seinen Worten normalerweise nicht zu übertreiben, doch etwas stimmte hier doch nicht. Wie konnte es sein, dass er behaupten konnte, dass er eine Woche fort gewesen wäre, während erst ein Abend vergangen war? "Wir haben euch während der letzten zwei Tage beobachtet", erklärte Sunny, "Und wissen über euer beider Prüfungen bescheid." Neru wandte nun ihr den Kopf zu. Dass sie Unsinn sprach, konnte er sich schon viel mehr vorstellen als bei Texomon. "Vor zwei Tagen kannten wir uns noch gar nicht", entfuhr es ihm unwillkürlich. "Vor zwei Tagen waren wir noch auf hoher See", erklärte Nerina. Sunny lachte. "Psiana", richtete sie nun ihren Blick auf Nerus Ex-Evoli, "Kannst du mir erklären, wie das Ganze zusammenhängt?" Psiana starrte sie entgeistert an. "Wie sollte ich?", erwiderte sie, "Wir sind gestern Morgen an der Pyramide angekommen und haben darin die Psycho-Prüfung absolviert, das hat nicht länger als ein paar Stunden gedauert." Sunny sah sie prüfend an und schüttelte dann den Kopf. "Ich dachte, du hättest es schon verstanden. Zeit ist...", begann sie, doch dann leuchtete in der Mitte des Feuers ein grüner Lichtblitz auf und ein anderes Pokemon erschien. Es schwebte nur wenige handbreit über dem Feuer, doch verbrannte es sich nicht. '... nur eine Illusion', vervollständigte es Sunnys Satz. "Die Zeit drängte", begann nun Siegfried, die Sache aufzuklären, "Die Drachenprüfung ist für etwa sieben Tage angesetzt, die Psychoprüfung -", Damit warf er Sunny einen Blick zu, "- jedoch nur für einen Nachmittag. Damit Nerina nach ihrer Prüfung auch noch eine Verschnaufpause und ein wenig Training bekommen kann, haben wir für euch beide -" Ein Zirpen erklang, dann korrigierte er sich: "- Hat Celebi für euch beide separate Zeit-Spuren erschaffen." Texomon fixierte das Pokemon. "Was soll das heißen? Niemand kann die Zeit kontrollieren!" 'Zeit ist nur eine der konstant variablen Größen des Multiversums', erklärte das grüne Pokemon in ihrer aller Köpfe, 'Sie bewegt sich wie ein Strom durch die Singularität der Raumzeit und ist den Gesetzen der Massen unterworfen. Wer mit Materie als eine variable Größe spielen kann und in mehreren Zeitzonen zugleich existiert, kann die Zeit mit Hilfe von Materiefeldern kontrollieren.' Texomon kratzte sich am Kopf und Psiana ließ die Ohren hängen. Neru, Texomon, Nerina und Siegfried starrten das fremdartige Pokemon an, dann verschwand es so plötzlich, wie es erschienen war. "Genau so ist es", beschloss Sunny damit Celebis Satz, "Doch für alle Kräfte braucht man einen Ausgleich. Deswegen hat deine Zeit in der Pyramide zwei Tage gedauert, wohingegen Nerinas Prüfung ebenfalls nur zwei Tage gedauert hat. Das war die einzige Möglichkeit, wie wir euer Training möglichst gleich lange halten können und ihr noch genug Zeit habt, Gringo vor seinem Aufbruch zu Mews Versteck abpassen könnt. Hättest du deine Prüfung abgeschlossen, Nerina, ständest du jetzt schon in der Arena." Nerina schluckte und Texomon nieste unüberhörbar ins Feuer.

"Wenn das also die Drachenprüfung war", setzte Texomon an, "Bekomme ich dann jetzt meinen Drachenstein?" Bei diesen Worten brach Siegfried in ein schallendes Gelächter aus. "Du trägst ihn bereits um den Hals", erklärte er dann, "Das einsetzen könnt ihr jetzt auch noch übernehmen." Fassungslos vor Überraschung starrten Nerina und Texomon den wunderschönen, blauen Stein an, der in einer kunstvollen Brosche um Texomons Hals hing. "Der Lapis Lazuli von Machollo?", fragte Texomon. Siegfried nickte immernoch lächelnd. "Nur, wer die Aufgabe löst, bekommt ihn", erklärte er, "Und ich vertraue Machollo." Behutsam nahm Texomon die goldene Kette ab und reichte sie Nerina. Nerina zog ebenso behutsam den Lapis Lazuli aus der Brosche und hielt ihn in die Luft. Unwillkürlich hielten alle die Luft an und Nerinas Hand senkte sich hinunter zu ihrer eigenen Brosche, in die sie den wunderschönen, blau-silbern schimmernden Stein einsetzte. Die Welt um sie herum verdunkelte sich und ein silberner Strahl schoss vom Himmel herab und erfasste Texomon, hüllte ihn in silbernes Licht und blaue, braune und goldene Funken hüllten ihn komplett ein. Die Wand aus Funken wurde größer und immer größer. Nerina, Neru und Psiana sowie die beiden Arenaleiter wichen zurück, als der Funkenregen sich zu einer noch größeren Form ausdehnte. Dann plötzlich war es vorüber und auf der Lichtung stand ein riesiger, blauer Drache mit silbernen Zeichnungen. Die bernsteinernen Augen blickten ruhig, freundlich, aber immernoch voller Kraft aus dem Gesicht des riesigen Drachen. Große Hornkämme ragten wie Augenbrauen über seinen Augen auf und schlossen in geschwungenen Hörnern. Doch der Bauch des großen Drachen war immernoch genau so gelb, wie der von Texomon. Schon komisch, dachte Neru, irgendein Merkmal übernehmen sie doch immer von ihrer vorherigen Form. Soweit Neru wusste, war der Drache größer als Glurak und reichte bestimmt schon an die Größe von Lugia heran, wobei Neru nicht einmal wusste, wie groß Lugia wirklich war. Sein langer Schwanz endete in sieben Fingern, die in den Farben des Regenbogens schimmerten und kleine bunte Funken hinter ihm durch die Luft segeln ließen. Texomon sah etwas prüfend an seinem Körper hinunter und spreizte probehalber die riesigen Flügel und Neru kam es vor, als sei die Nacht wieder hereingebrochen und er könnte über sich die Zeichnung des Sternenhimmels sehen. Glutaro war wirklich beeindruckend. 'Und ich dachte schon, ich sei stark', hörte er eine etwas verschreckte und verschnupfte Stimme in seinem Kopf und Neru musste unwillkürlich grinsen.
 

>>>Nerina<<<
 

"Dann war der Drachenstein also die ganze Zeit bei uns", sinnierte der gewaltige Drache mit einer tiefen, wennauch interessanterweise nicht ganz so mächtigen Stimme wie Seedraking oder Arkani. Sie war voll, warm und weich wie eine warme Brise im Sommer, doch gleichzeitig klangen auch hellere und jugendlichere Elemente in ihr mit, die Nerina unwillkürlich an Texomons verspielte Art erinnerten und als sie langsam aufstand, um dem großen Pokemon ins Gesicht zu blicken, sah sie ebendiese Mischung auch in seinen wunderschönen Bernsteinaugen wieder. Lange Zeit, so schien es, standen der Drache und das Mädchen sich Aug in Aug gegenüber. Es bedurfte keine Worte, nicht einmal telepathischer Natur, um zu verstehen, was sie dachten. Mit Tränen der Rührung in den Augen trat Nerina einen Schritt vor, streckte sich, schlang die Arme um den Hals ihres Drachen und schmiegte das Gesicht an seine warme, schuppige Haut. "Wir haben es geschafft, oder?", fragte Glutaro so leise, dass sie seine Stimme eher spürte als hörte und Nerina nickte stumm, ehe eine Präsenz hinter ihr sie den Kopf heben ließ. Sie hatte Siegfried weder kommen sehen noch hören, doch er stand direkt hinter ihr, die dunklen Augen voller interessierter Bewunderung auf Glutaro gerichtet. "Nach den alten Zeichnungen hatte ich angenommen, dass er groß sein würde", sagte er leise, "Aber dieses Ergebnis ist gelinde gesagt erstaunlich! Er dürfte gut und gerne sechs Meter messen!" "Aber er ist doch ein Glutaro, oder?", fragte Nerina, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Siegfried lächelte geheimnisvoll. "Was auch immer er sein mag", sagte er ruhig, "Er ist kein Pokemon, das derzeit unter dieser Sonne wandelt und die Ähnlichkeiten sind nahezu erschlagend. Wir wollen ihn also Glutaro nennen." "Du siehst aus, wie der Sternenhimmel", sagte Psiana schüchtern und Glutaro sah überrascht an seinen Flügeln hinunter. "Eher wie Machollos Lapis Lazuli", überlegte er, "Er hat mir schon damals gefallen..." Probehalber schlug er mit den Flügeln, hob aber keinen Zentimeter vom sandigen Boden der Oase ab. "Wofür sind sie gut, wenn man nicht hochkommt?", fragte er enttäuscht. Siegfried brach in schallendes Gelächter aus. "Nun gut", sagte er, "Dann lasst uns gehen, und es herausfinden! Die Zeit drängt!" "Warum eigentlich?", fragte Neru, der sich wohl ein paar Gedanken über das merkwürdige Zeitproblem gemacht hatte, "Woher wollt ihr wissen, wann wir gegen Gringo kämpfen müssen?" "Nun, das ist nicht weiter schwer", verkündete Sunnys melodische Flötenstimme, "In genau sechs Tagen will Gringo von der Drachenarena in Edenholzstadt aus aufbrechen, um das legendäre Pokemon Mew zu fangen. Wenn er es in die Finger kriegen sollte, wird er nahezu unzerstörbar werden, die Professoren und wir sind daher der Meinung, dass ihr Gringo in fünf Tagen in der Arena von Edenholzstadt herausfordern solltet - und bis dahin gibt es noch viel zutun! Psiana, du besitzt bereits eine ausgezeichnete Anwendungsbereitschaft deiner Fähigkeiten, aber in Sachen Konzentration könntest du ruhig noch einen Ticken zulegen!" "Und herauszufinden, welche Macht Glutaro besitzt, ist unsere Aufgabe, Nerina!", schloss Siegfried feierlich. Damit ging er mit wenigen, langen Schritten zu seinem Lagerplatz hinüber, verschwand kurz in dem kleinen, orangegemusterten Zelt und kehrte mit einem in Geschenkpapier geschlagenen Bündel zurück. Ein Rabenschwarzes Gewissen machte sich in Nerina breit, als sie es erkannte. Es war das Geschenk, das Vater ihr vor ihrem Ausflug in die Vulkane gegeben hatte. Sie hatte sich zwar wahnsinnig darüber gefreut, es aber über all der Aufregung wegen Texomons Streit mit ihr und Evoli und der bevorstehenden Feuerprüfung ganz und gar vergessen. Siegfried grinste, als er ihren belämmerten Blick sah. "Yamato ging offenbar fest davon aus, dass Texomon nach der Feuerprüfung als Glurak heimkehren würde. Aber dann wurde es doch kein rücksichtsloser Flammenwerfer sondern ein treuer Hund und Yamato schickte das Paket an Breezy, die Luftarenaleiterin. So gelangte es also über Umwege in meinen Besitz." Feierlich drückte er Nerina das Paket in die Arme. "Was ist da drin?", fragte Glutaro und schnüffelte neugierig an dem roten Papier. Als Nerina es auseinanderschlug, glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Auf den ersten Blick sah das, was sie da in den Händen hielt, wie ein Bündel dicker, weicher Ledergürtel aus, doch als sie die breiten Bänder vorsichtig entwirrte, erkannte sie, dass es ein Reitgeschirr war, ein Sattel für einen Drachen und ein Harnisch für seinen Reiter. "Es ist aus Seeschlangenleder", bemerkte Siegfried zufrieden, "Das reisfesteste Leder, das es auf dem Planeten gibt - und dazu noch absolut wasserbeständig!" Mit zittrigen Fingern trat Nerina an Glutaros Schulter, die etwa auf ihrer Kopfhöhe war und warf ihm den Sattel über den Rücken, genauso, wie sie es einmal auf der Zeichnung eines Glurakreiters gesehen hatte. "Was machst du da?" Interessiert bog Glutaro den Hals, um zu ihr hinüberzuschielen, "Warum brauche ich das?" "Damit du dich beim Fliegen nicht darum kümmern brauchst, mich nicht runterzuwerfen", erklärte Nerina atemlos, "Fliegen ist wie schwimmen, nur, dass ich mich nicht festhalten kann, wenn du auf dem Rücken liegst." Mit einem leisen Klicken rasteten die letzten Haken sicher ein und Glutaro kauerte sich nieder, sodass Nerina auf seinen Rücken klettern konnte. Unsicher befestigte sie ihren eigenen, an einen Klettergurt erinnernden Harnisch an den dafür vorgesehenen Ringen an Glutaros Schulter- und Bauchgurt. "Okay...", sagte sie dann unsicher und erneut richtete sich der gewaltige Drache zu seiner vollen Größe auf. Ein wenig unsicher sah Nerina um sich. Sie war nicht unbedingt weiter vom Boden entfernt, als wenn sie auf Arkanis Rücken gesessen hätte, doch ließ der Anblick des mächtigen Drachen ihr vor Aufregung das Herz in die Kehle springen. Gerade wollte sie vorschlagen, dass Glutaro eine Runde laufen sollte, als Siegfried begeistert auf den Rücken eines Dragoran kletterte, das er soeben aus seinem Pokeball entlassen hatte. "Dann stell dich mal hin!", rief er Glutaro zu. Der Drache zögerte. "Ich stehe doch!", entgegnete er verwirrt. Siegfried schüttelte den Kopf. "Auf deine Hinterbeine! Damit wir sehen, ob Nerinas Geschirr auch richtig sitzt!" Probehalber richtete Glutaro sich einige Zentimeter weit auf und Nerina schrie erschrocken auf, als die Schwerkraft sie zurück zerrte und grub die Hände in die Halteschlaufen an Glutaros Schultergurt. Sofort ließ er sich zurück auf alle Viere fallen und verdrehte den Hals, um sie anzusehen. "Alles in Ordnung?" "Der geht’s gut", entgegnete Siegfried grob an Nerinas statt, "Hat sich nur erschreckt. Nochmal!" Doch Glutaro reagierte nicht. 'Geht es dir wirklich gut?', fragte er, zum ersten Mal in einwandfreier Sprache in ihren Gedanken. Nerina war so verblüfft, dass sie nickte. "Ich denke schon...", sagte sie dann unsicher und hielt sich lieber gleich etwas stärker fest, als Glutaro sich mit einem mächtigen Schwung auf die Hinterbeine erhob. Mit zusammenbebissenen Zähnen rutschte Nerina im Sattel herum, bis sie den Gurten weit genug vertraute, um eine Hand loszulassen und Neru stolz zuzuwinken, der erschreckend weit unter ihr zu stehen schien. Siegfried nickte. "Na dann!", sagte er voller Elan, "Springe in die Luft und schlage mit den Flügeln! Und du, halte dich gut fest, Nerina! Der erste Versuch wird meistens ein Bauchplatscher." "Bauchplatscher! Pah!", grummelte Glutaro, während Sunny, Neru und Psiana sich hastig außer Reichweite seiner Flügel, Klauen und Schwanzspitze brachten, dann stieß er sich kraftvoll vom Boden ab und begann, wie wild mit den großen Flügeln zu schlagen. Für einen winzigen Herzschlag stand er in der flirrenden Wüstenluft, dann plumpste er unsanft auf den Sand zurück. Der Wucht des Aufschlages presste Nerina alle Luft aus den Lungen. "Es geht nicht!", jammerte er betreten. Siegfried lachte nur vielsagend. "Alles eine Sache des Trainings!", sagte er und ließ Dragoran sanft vom Boden abheben, "Schau genau zu, wie sie ihre Flügel bewegt und versuche, es nachzumachen. Aller Anfang ist schwer! Los!" Zaghaft versuchte Glutaro ein weiteres Mal sein Glück. Diesmal schaffte er es sogar bis zu den Spitzen der Palmen, ehe die Schwerkraft ihn auf den Boden zurückzerrte und Nerina klatschte begeistert in die tauben Hände. "Super! Glutaro!", rief sie ermutigend, "Du schaffst es!"

Die nächsten Stunden jedoch stellten Nerinas Wirbelsäule auf eine harte Probe. Glutaros Flugversuche wurden immer erfolgreicher, doch mit ihnen wuchs leider auch die Höhe, aus der sie zurück auf den Boden klatschten und ein ums andere Mal betastete sie verstohlen ihren Rücken und fragte sie, wie um alles in der Welt sie jemals wieder ihre Knochen sortieren sollte. Doch sie brachte es einfach nicht übers Herz, ihr tapferes Glutaro zu entmutigen und als die Sonne ihren höchsten Punkt gerade überschritten hatte, war es endlich soweit. Mit einem eleganten Sprung schwang Glutaro sich in die Lüfte, gewann mit rasch schlagenden Schwingen an Höhe und ging dann in einen eher gemächlichen Gleitflug über die regenbogenfarbenen Dünen der Wüste über. Jubelnd riss Nerina die Hände in die Luft. "Wir fliegen! Wir fliegen!", schrie sie begeistert und das Gefühl purer Freude überdeckte alle blauen Flecken mit einem Mal rückstandslos, "Oh Glutaro! Wir können tatsächlich fliegen!" "Nicht so schnell!", rief Siegfried lachend zu ihnen hinüber, während das alte Dragoran näherkeuchte, "Wo wollen wir denn hin?" "Immer geradeaus!", versetzte Glutaro voller tiefer Glückseligkeit, "Der Himmel ist so groß und frei und jetzt gehört er uns!" Voller überschäumender Freude streckte er seinen langen Drachenkörper soweit er konnte und wurde noch ein ganzes Stückchen schneller, bis die vielfarbigen Fünkchen, die aus seiner Schwanzspitze perlten, sich zu einem kräftigen Regenbogen formierten, der ihnen folgte und auf dessen Spitze Nerina zu reiten schien. Überglücklich brach sie in Gelächter aus. "Oh, Fliegen ist ja so herrlich!", rief sie aus. Siegfried ließ ihnen für eine Weile ihre Freude. Ruhig segelte er auf Dragorans Rücken neben ihnen her, bis aus dem fernen Dunst vor ihnen die Küste des Meeres auftauchte. "Dort ist das Meer!", rief Glutaro begeistert, "Komm! Wir wollen baden gehen!" Doch als er über den friedlich schaukelnden Wellen des Meeres tiefer ging, hob Siegfried rasch eine Hand. "Nun versuch mal eine Rolle, Glutaro!", rief er aus und Nerina dankte ihm inständig dafür, mit dieser Übung bis zu einem großen und tiefen Wasserbecken gewartet zu haben. Doch einmal in der Luft, war Glutaro nicht mehr zu stoppen. Mit einem Freudenschrei wirbelte er herum, klappte einen Flügel ein und rollte sich schwungvoll zur Seite herum, wie er das im Wasser so gerne getan hatte. Zwar kostete ihn das Manöver einige Meter an Höhe, doch kam er rechtzeitig wieder auf dem Bauch zu liegen, um ihren Sturz aufzuhalten. Siegfried nickte anerkennend. "Und einen Looping?", fragte er herausfordernd. Auch diesen bewältigte Glutaro ohne dabei abzustürzen, auch wenn er so tief kam, dass die Gischt Nerina ins Gesicht schlug. Siegfried nickte erneut. "Und kannst du auch rückwärts fliegen?" Glutaro versuchte es, doch diesmal schien er mehr Probleme zu haben, denn statt wirklich rückwärts zu gleiten, blieb er einfach mitten in der Luft stehen. "Oh, das ist auch nicht übel", kommentierte Siegfried, ehe er Glutaro erst rückwärts, dann auf dem Rücken und schließlich sogar aufrechtstehend fliegen ließ und dann damit begann, alle Manöver immer und immer wieder in schneller Folge zu wiederholen, bis Glutaro bei einem doppelgeschraubten Dreifachsalto die Kontrolle über seine Flügel verlor und in einer meterhohen Fontaine ins warme Wasser des Meeres stürzte. "Hups!", machte er entschuldigend und erneut schüttelte ein heftiger Husten seinen großen Körper, der einige, kleine Wellen vor ihm erzeugte. Müde streichelte Nerina ihm den Hals. "Das hast du trotz allem wirklich toll gemacht, Glutaro! Du willst nicht wissen, wie tollpatschig die meisten Gluraks aussehen, wenn sie zum ersten Mal den Boden unter den Füßen verlieren!" "Danke", murmelte Glutaro, streckte sich in den Wellen und legte die Flügel an, "Ich hoffe nur, er macht mal 'ne Pause, der Husten kommt zurück und ich will nicht nochmal Sunnys Schuh an den Kopf kriegen, weil ich aus Versehen ihr komisches Flitterzelt angesengt habe..." Mit einem leisen und Erdteileerschütternden Drachenseufzen begann er, zu schwimmen. Seine breiten Pfoten und sein mächtiger Schwanz schienen wie gemacht zum Schwimmen und mühelos glitt er durch die Wogen zurück zum Ufer, wo Siegfried auf sie wartete.

"Das war doch schonmal gar nicht übel", kommentierte er, als sie ihn erreicht hatten und Glutaro schnurrte geschmeichelt. "Was machen wir als nächstes?", fragte er eifrig, doch Siegfried warf nur einen vielsagenden Blick zur bereits tiefstehenden Sonne. "Wir sollten morgen früh weitermachen", verkündete er ohne erkennbare Emotion in der Stimme, "Als nächstes würde ich gerne deine Drachenwut sehen und dazu solltest du besser ausgeruht sein - und keine Angst! Ich habe nicht vor, dich zu schonen! Den Fehler haben schon zu viele mit dir und Drachen deinesgleichen gemacht!" Damit warf er Nerina einen strengen Blick zu, die gleich schützend eine Hand auf Glutaros Nacken legte. "Er ist sehr tapfer und man muss ihn manchmal bremsen", widersprach sie scharf. Siegfried warf ihr einen belustigten Blick zu. "Er ist ein Drache, Nerina! In ihm steckt mehr Kraft als du dir träumen kannst und es ist bitter nötig, sie einmal auszureizen. Starke Pokemon werden oft in ihrer Entwicklung gebremst, weil ihnen alles, wofür andere arbeiten müssen, in den Schoß fällt. Aber damit ist jetzt Schluss! Ab Morgen wird trainiert, wie es einem Drachen gebührt. Du wirst erstaunt sein, wie viel Kraft in ihm steckt, Nerina!" "Aber wir haben schon so oft hart gearbeitet", entgegnete Glutaro mit hängendem Kopf, während es sich aus dem Wasser schnellen ließ und sich mit einem mächtigen Flügelschlag in die Luft schwang, "Die Drachenprüfung war jedenfalls härter als alles, was wir oder die anderen sonst so haben machen müssen!" "Das liegt daran, dass sie auch etwas anderes abprüfen soll", erklärte Siegfried geduldig, während Glutaro und Dragoran Flügelspitze an Flügelspitze in Richtung ihres Lagers glitten, "Ihr wisst doch sicher, wie die Arenen ursprünglich konzipiert waren, oder?" "Nein...", gestand Nerina verlegen. Siegfried betrachtete sie kurz nachdenklich, dann fuhr er fort: "Die Normalprüfung beschrieb einst die grundständigste Grundausbildung. Sie testete, ob ein Trainer überhaupt in der Lage war, ein Pokemon auszubilden. Nach ihr folgten die Grundprüfungen Erde, Wasser, Feuer und Luft, die ein Verständnis für die vier Elemente und Erfahrungen mit ihnen verlangten. Hatte ein Trainer diese Grundausbildung beendet, schlossen sich die vier höheren Prüfungen Elektro, Pflanze, Psycho und Unlicht an. Sie stehen über den Elementprüfungen, weil sie Wissen aus ihnen voraussetzen und prüfen, in wie weit es auf die entsprechende Situation angewendet werden kann. So benötigt Psycho die geistige Stärke der Erde und die Ruhe und Kreativität des Wassers, um zu funktionieren. Die Psychische Macht kommt aus der Erde, sie ist ein Geschenk des großen Netzes allen lebenden. Drache hingegen ist nicht einfach nur eine Fähigkeit. Ein Drachenpokemon vereint die vier Elemente in sich und sollte auch über die höheren Arenen in ihren Grundzügen verfügen. Ein Drachenpokemon also in einer dieser Fähigkeiten zu testen, würde ihm kaum gerecht werden. Darum testet die Prüfung eher Eigenschaften und innere Stärken, wie Willenskraft in Anbetracht einer ausweglosen Situation, die Fähigkeit, Pokemon zu führen, ihre Kräfte zu nutzen ohne sie auszunutzen, Aufopferungsbereitschaft und die Kraft ab, weiterzumachen, auch wenn man an seine Grenzen stößt. Es sind die Fähigkeiten eines Anführers, Nerina und Glutaro. Die Stärke muss man bei einem Drachen nicht erfragen, eher, wie er gedenkt, sie einzusetzen."
 

>>>Neru<<<
 

Psiana hockte auf ihrem Hintern, die Augen geschlossen, das Gesicht und ihre ganze Haltung entspannt. "Sehr gut", bemerkte Sunny, "Fühle den Stein, spüre, wie er mit dem Boden verbunden ist. Fühle, wie die Erde an ihm zerrt und ihn nach unten zieht." Psiana atmete tief durch, auf ihrem Gesicht zuckte Anstrengung und Konzentration, bevor es sich wieder entspannte. "Und wieder atmen", wiederholte Sunny wohl heute zum tausendsten Mal, "Mache deine Gedanken ganz leer und konzentriere dich auf gar nichts. Versuch, deinen Geist vollkommen zu leeren. Das gilt auch für dich!", fuhr sie zu Neru herum und hastig schloss dieser ebenfalls wieder die Augen, "Auch wenn du kein Psychopokemon bist, kann dir ein bisschen Meditation nicht schaden." "Aber", setzte Neru an, doch Sunny antwortete wieder, bevor er die Frage überhaupt gestellt hatte. "Es gibt nichts, wobei du gerade helfen könntest. Auch du musst lernen, deinen Geist zu disziplinieren." Psianas Ohren zuckten, doch sie öffnete die Augen nicht. Das war wahrscheinlich auch klüger. In seinen Gedanken hörte Neru ihre Stimme. 'Was für eine Schreckschraube.' Nun musste Neru sich das erste Mal an diesem Tag wirklich disziplinieren, um nicht prustend loszulachen, oder gar eine Miene zu verziehen, sonst konnten sie sich einen weiteren Vortrag anhören. Auch wenn Neru manche der Trainingsmethoden der Psychopokemon Arenaleiterin etwas merkwürdig vorkamen, so zeigten sie doch ihre Wirkung. Sunny hatte ihnen erklärt, dass sie in der Arena keine wirklichen Psycho-Fähigkeiten eingesetzt hatten, sondern, dass ihr Psiana ihre Gedanken gelesen und nach der Gedankenstärke gehandelt hatte. Sie hatte jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass auch Nerus Psiana bald dazu in der Lage sein würde, doch bis dahin war es ein langer Weg. "Psycho ist nicht wie jedes andere Element", hatte sie erklärt. Das Element des Lichtes und das Element der Geisteskraft, wie sie es auch zu nennen pflegte, befasste sich nicht nur damit, welche Muskeln bewegt werden mussten, um Feuer zu erzeugen oder Steine regnen zu lassen, sondern befasste sich mit den tiefen Zusammenhängen in der Welt. Neru hatte sich schon gefreut, als der Theorieteil an diesem Tag nach scheinbar unendlichen Stunden beendet war, doch nun saßen sie schon seit Stunden hier herum und atmeten und versuchten, ihre Köpfe zu leeren. Neru verstand zwar, dass ein gutes Basistrainung nötig war, um es zur Meisterschaft mit den Psychoattacken zu bringen, doch allmählich konnte er sich nicht mehr entscheiden, ob die Vorträge über die Zusammenhänge der Welt oder das endlose Meditieren langweiliger waren. Endlich sprach nun Psiana seine Gedanken aus. "Wir haben nun schon seit Stunden geatmet, könnten wir..." "Willst du etwa aufhören zu atmen?", fuhr sie Sunny an. Psiana starrte sie perplex an, dann schlossen sie und Neru wieder artig die Augen und versuchten, sich auf die absolute Leere zu konzentrieren. Neru spürte daran, welche Körperteile die Sonne verbrannte, wie sie langsam vom Zenit ins Meer hinuntersank und Psiana hatte heute noch nicht viel mehr getan, als Steine, den Sand, die weite Ebene, Neru, die Menschen und als letztes auch noch Nerina und Texomon zu spüren, wie sie um sie herumstanden, wo sie verbunden waren und, welche Kräfte an ihnen zerrten. "So, ich denke, das genügt für heute", erklärte Sunny gut gelaunt, "Wir haben doch schon einige Fortschritte gemacht." Dankbar streckte Neru seine steifen Glieder, verzichtete auf eine Antwort und massierte sich stattdessen die eingeschlafenen Beine. Nerina sah ihnen mit leuchtenden Augen entgegen. "Wir sind heute geflogen!", erklärte sie ganz stolz. "Ja!", rief Texomon ebenso begeistert, "Ich kann jetzt einen dreifach geschraubten Looping, beinahe...", fügte er noch ganz leise hinzu." Was heißt denn 'beinahe'?", fragte Psiana mit der spitzen Stimme, die man von Evoli gewöhnt war. Sie legte ihren gegabelten Schwanz um Neru und sah Texomon interessiert an. "Nun ja...", verlegen scharrte dieser im Sand herum." Er ist abgestürzt", erklärte Nerina. Neru sah sie entgeistert an. "Und dann?" "Dann sind wir geschwommen", erklärte Texomon immernoch glücklich und Nerina und Texomon gaben abwechselnd einen Bericht ihres Tages ab. "Und was habt ihr so getrieben?" Psiana schien auf einmal mächtig mit ihrem gegabelten Schwanz beschäftigt zu sein und Neru hüstelte verlegen. "Nun, wir haben meditiert", erklärte er langsam. Nerina legte den Kopf schief. "Das haben wir gesehen und davor?" Glücklicherweise löste Siegfrieds laute Stimme vom Lagerfeuer die Situation und dankbar gingen die vier hinüber, um nach dem langen und anstrengenden Tag nun doch auch mal etwas zu essen.

Der nächste Tag begann genau so, wie der vorherige angefangen hatte. Nerina und ihr riesiges und prächtiges Glutaro schwangen sich in die Weiten der Lüfte empor, während sich Psiana und Neru wieder am Feuer niederließen. "Die Zeit drängt", erklärte Sunny, "Wenn Mew gefangen wird, gibt es kaum noch eine Hoffnung, Gringo zu besiegen. Zu viele Pokemon hat er sich nun schon einverleibt und lässt sie für sich kämpfen. Wir müssen in den nächsten Tagen ein Training bewältigen, für das normalerweise Wochen bis Monate benötigt werden." Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "Wieso ändert Celebi denn dann nicht wieder die Zeitspuren?", fragte Psiana vorlaut. Neru warf ihr einen interessierten Blick zu, doch ihre Frage war berechtigt. Erstaunt stellte Neru fest, dass Sunny an diesem Morgen ihre Fragen nicht schon beantwortete, bevor sie gestellt wurden. Das erleichterte die Konversation schon gewaltig, doch seine Hoffnungen auf einen schöneren Tag wurden zerstört, als sie seine Frage, warum Mewtwo nicht ebenfalls diese Fähigkeit einsetzte, schon im Voraus beantwortete. "Die Zeit zu verändern ist eine Fähigkeit, die nur Celebi beherrscht und zu deiner Frage, Psiana: Ich konnte Celebi mal bei einer Sache vor langen Jahren helfen und es war bereit, in den Verlauf der Zeit einzugreifen, um bei eurer Mission zu helfen, doch gewährt es seine Gunst nur einmal und außerdem kann ich es nirgends finden. Wer weiß, in welcher Zeitspur und in welcher Dimension es sich zurzeit aufhält." Neru starrte sie an, sagte jedoch nichts. Es frustrierte ihn, nicht mehr selbst fragen stellen zu dürfen, sondern sie immer, wenn er dazu ansetzte, bereits beantwortet zu bekommen. "K...", machte Psiana, wurde jedoch von Sunny unterbrochen und Neru wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte." Ja, Celebi kann beliebig in der Zeit reisen, aber jetzt löchert mich nicht mit Fragen." Psiana und Neru wechselten einen empörten Blick. 'Als ob wir so viele stellen würden', entrüstete sich Psiana in seinem Kopf und Neru dachte im Stillen dasselbe. Wie konnte man jemanden löchern, wenn derjenige einen nicht mal die Frage sagen ließ? Doch Sunny schien von diesen Einwänden gar nichts mitzubekommen. Fröhlich fuhr sie fort, Psiana in die Theorie der Psychopokemon einzuführen, erklärte ihr, wie man diese oder jene Attacke ausführte und, wie wichtig es dafür sei, einen klaren Kopf und einen disziplinierten Geist zu haben. Danach ging der Tag denselben Gang, wie der gestrige. Sunny setzte sie wieder auf den heißen Wüstensand, gab Neru noch einen Mantel gegen die Sonne und wieder saßen sie da und meditierten. Bei allem Ärger, den Neru das Meditieren bereitete, verfehlte es jedoch seine Wirkung nicht. Es tat gut, einfach mal über seine ganzen Gefühle und Gedanken nachzudenken. Das Wirrwarr in seinem Geist lichtete sich merklich und er spürte, wie sein Geist wieder in klareren Gedanken zu kreisen begann. Immer wieder zuckten Gedanken wie, er müsse nach dem Feuer sehen oder etwas nachlesen, durch seinen Kopf, doch versuchte er, die Gedanken von sich fern zu halten und sich ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Wieder atmete er tief durch und auch Psiana atmete langsam und gleichmäßig. Für Stunden, so kam es Neru vor, saßen sie auf dem heißen Wüstensand und ließen alles über sich hinwegziehen. Seine Beine beschwerten sich schon länger. "Das machst du sehr gut", vernahm Neru plötzlich Sunnys Stimme in seiner Nähe. Er hatte sie gar nicht kommen gehört. "Fühle nun den Stein vor dir, fühle, wo er in die Erde übergeht und fühle auch, was noch Stein und was schon Sand ist. Spürst du den Übergang?" Neru öffnete die Augen und sah Psiana nicken. "Jetzt stell dir vor, wie er langsam in die Luft steigt." Psiana nickte wieder und Neru konnte sehen, wie ihr Fell nass vor Schweiß wurde. Der Stein auf dem Boden vor ihnen begann zu wackeln, als wäre es ein Ei, aus dem bald etwas schlüpfen wollte. Mit vor Spannung angehaltenem Atem verfolgte Neru, wie sich der Stein unendlich langsam anhob. Eine Hand breit über dem Boden jedoch schien er sich wieder seines alten Gewichts zu erinnern und stürzte zu Boden. "Sehr gut!", rief Sunny glücklich aus, "Du hast den ersten Schritt gemacht." Neru starrte erst auf den Stein, dann auf sein vor Anstrengung zitterndes Psiana. Wieder schloss sich eine Meditationsphase an, nach der Psiana den Stein schon doppelt so hoch steigen lassen konnte. "Das war sehr, sehr gut. Normalerweise braucht man länger", erklärte Sunny, als sie im letzten Licht des Tages wieder zurück zu ihrem Lager gingen. Nerina und Texomon saßen schon am Feuer und tauschten Informationen über Texomons neuste Attacke aus. "Ommm", machte Texomon, als Psiana in den Lichtschein des Feuers trat. Sie hielt die Nase hoch in die Luft und beachtete ihn gar nicht weiter. Texomon setzte sich mit verschränkten Beinen hin und machte nochmal: "Ommm." "Wie war euer Tag?", fragte Neru möglichst laut, um Texomons Meditationsversuche zu übertönen, und Nerina begann, ihm von den ersten Versuchen mit der Drachenwut und von einem ominösen Wind zu erzählen.
 

>>>Nerina<<<
 

"Ommmmm", machte Texomon in sakralem Ton und stupste Psiana mit einem Finger auf die Nase. Das Psycho-Pokemon öffnete genervt ein Auge und funkelte ihn an. "Oh, was soll das?", fauchte sie, "Ich hätte fast meinen Rekord gebrochen!" "Bitte vielmals um Verzeihung", grinste Texomon zur8ck, ließ sich auf seinem Hintern nieder und verknotete möglichst umständlich alle Körperteile. "Ommmmm!", machte er wieder. Diesmal glomm ein Fünkchen echter Wut in Psianas blauen Augen auf. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie anstrengend das ist, den ganzen Tag zu meditieren, vor allem, wenn jemand die ganze Zeit irgendwelche Berge zerlegen und Krach machen muss!" "In der Sonne sitzen und an gar nichts denken?" Texomon legte nachdenklich den Kopf schief, "Klingt nicht so kompliziert für mich..." "Wäre es wohl auch kaum", konterte Psiana mit gesträubten Schweifhaaren, "Du denkst insgesamt nicht viel!" Genervt warf Nerina ihrem Bruder einen müden Blick zu. Die beiden Pokemon hatten über die letzten Tage beachtliche Fortschritte gemacht, doch hatten die doch sehr unterschiedlichen Trainingsmethoden schon vermehrt zu Neckereien geführt, welche sich nun, in Anbetracht des wachsenden Stresses, als perfektes Ventil entpuppten. "Er meint es nicht so", murmelte Nerina, "Er ist nur ziemlich fertig. Siegfried bringt ihn regelmäßig an seine Grenzen - und darüber." Neru nickte düster. "Ich kann ihn verstehen", seufzte er, "Für ihn muss es wirklich so aussehen, als säßen wir im Sand herum und bekämen immer mal wieder eine göttliche Eingebung, während Siegfried ihn halb tot rackert." "Dabei würden wir ganz sicher verrückt werden, wenn wir hier meditieren müssten, während die Zeit drängt und -" "Ach, wenn du wüsstest, was das bringt...", knurrte Psiana in diesem Augenblick gereizt und mit einem erschrockenen Aufschrei verlor Texomon den Boden unter dem Hintern. So, wie er gesessen hatte, hob er ab, tanzte kurz wie eine Schneeflocke im Wind und blieb dann vier Meter über Psianas Kopf reglos inmitten der freien Luft hängen, hilflos zappelte er mit Armen, Beinen und Schwanz, was jedoch nur zur Folge hatte, dass er sich mehrmals um sämtliche Achsen drehte. Es war, als hinge Texomon im schwerelosen Weltall, mit nicht einmal Luft, durch die man hätte schwimmen können. "Hey, was soll das?", fauchte er erschrocken und schoss eine Stichflamme nach Psiana, die ihn rasch außer Reichweite schweben ließ. "Na?", fragte sie neckisch, "Na? Bringt meditieren nun was - oder nicht?" "Mir bringt es jedenfalls nicht besonders viel...", jammerte Texomon von über ihren Köpfen und warf sich hilflos nach hinten, woraufhin er sich gleich dreimal überschlug. Nerina sah, wie Psianas Flanken zitterten vor Anstrengung, ihre Augen wurden glasig. "Sie hat super Fortschritte gemacht", flüsterte sie Neru zu. Dieser nickte. "Das Kunstst8ck sehe ich jetzt allerdings auch zum ersten Mal", raunte er zurück. Texomon hatte indes nicht aufgehört, sich wild hin und herzuwerfen und dabei ein ordentliches Gezeter zu veranstalten. "Lass mich runter!", fauchte er ein ums andere Mal, "Ich bin kein Spielball!" Dann geschah plötzlich etwas Seltsames. Eine winzige Blase aus tintenblauem Licht entspross seiner wild rudernden Krallenhand. Sie wurde rasch größer, bis sie seinen strampelnden Körper ganz und gar umschlossen hatte. Psiana schrie erschrocken auf und prallte so heftig zurück, dass sie schmerzhaft an den Stamm der nächsten Palme rempelte, während Texomon Kopf voran in den Sand stürzte. Belämmert rieb er sich die Schnauze. "Das war aber nicht besonders nett von dir", grollte er und setzte sich halb auf, "Kannst du nicht ein bisschen aufpassen, wo du deine Sachen hinschmeißt?" "Irgendwas hat meine Psychokinese geblockt!", erwiderte Psiana mehr erschrocken als verletzt, "Da war etwas ganz kaltes in der Verbindung..." "Es nennt sich Schattenschild", stellte Sunny sachlich fest, als beide verblüfft zu ihr hinübersahen, "Es ist eine recht seltene Spezialfähigkeit mancher Wasserpokemon. Hier, in Kanto, gibt es zwar keines, das sie besitzt, aber ich habe davon gelesen, dass manche Wasserpokemon auf anderen Kontinenten dazu in der Lage sein sollen. Aus irgendeinem Grund sind Wasserpokemon häufig zu Psychoattacken in der Lage. Vermutlich haben andere Wasserpokemon den Schattenschild entwickelt, um sich vor ihnen zu schützen. Jedenfalls blockt er Psycho-Attacken, allerdings anders, als es die Unlicht-Pokemon tun. Es ist noch nicht sehr gut erforscht." Unwillig stellte Psiana die Nackenhaare. "Das ist nicht fair!", reklamierte sie, "Jetzt ist er ja schon wieder stärker als ich!" "Och, mach dir nichts draus", brummte Texomon, konnte jedoch seine Erleichterung über diese neuerliche Wendung der Ereignisse kaum verbergen, "Gegen mich brauchst du ja schließlich auch nicht kämpfen." Mit einem aufgeregten Schwanzzucken wandte er sich wieder an Sunny: "Bringt die Fähigkeit denn... viel?", fragte er hoffnungsvoll. Sunny schürzte die Lippen. "Sie blockiert Angriffe", sagte sie übertrieben deutlich, "Das heißt, du bist immun gegen sie, wie auch ein Unlicht-Pokemon das wäre. Zum Angriff nutzen lässt sich der Schattenschild allerdings nicht. Er ist rein defensiv." "Oh, na wenn das so ist...", brummte Texomon, stand schulterzuckend auf und stapfte auf wackeligen Beinen zu Nerina, "Dann lass uns lieber nochmal das mit der Flutwelle üben. Das ist mir irgendwie alles etwas vage..."

Zunächst war Siegfried enttäuscht gewesen über Glutaros Attacken. Tatsächlich schien es keine einzige, wirkliche Attacke zu besitzen, abgesehen von ein paar lahmen Sandstürmen, die seine schlagenden Schwingen aufwirbeln konnten und seinem bloßen Gewicht, das ein kleines Pokemon bei einer Bruchlandung sicher zerquetscht hätte und auch die erwartete Drachenwut blieb weitgehend beschaulich. Dann und wann perlte unter enormer Anstrengung ein wenig blaues Feuer aus seinem Maul, dabei blieb es. Das einzige, was Glutaro konnte, war brüllen. Zunächst klang das merkwürdige Geräusch wie das Quaken eines überdimensionalen Ochsenfrosches, dann wurde es lauter, baute Druckwellen vor seiner Schnauze auf, Druckwellen aus Schall und komprimierter Luft. Während Siegfried noch staunte, hatte eine davon eine komplette Düne um einige Meter verschoben, eine zweite ein kleines Wäldchen entwurzelt und die Bäume wie Zahnstocher durcheinandergewirbelt. "Es muss eine Drachenattacke sein, die unsere heutigen Drachenpokemon nicht mehr beherrschen", hatte Siegfried skeptisch notiert, "Wir wollen sie... den Drachenwind nennen. Lasst uns sehen, wie mächtig er ist..." Wie sich im Laufe der nächsten Tage herausgestellt hatte, war der Drachenwind mächtig. Er konnte Sand und Wasser zu gigantischen Wellen aufpeitschen, Bäume und wahrscheinlich auch Häuser wegblasen und somanchen Felsen oder Berg um ein paar Tonnen Fels erleichtern. Heute Abend jedoch hatte Siegfried mit ihnen eine ganz besondere Übung durchgeführt. "Weiter", kommentierte er nun, als er mit Dragoran neben ihnen in der Luft stand, "Weiter, immer weiter!" Unsicher drehte Glutaro den mächtigen Kopf. Mondlicht rann über seine glänzenden Schuppen wie flüssiges Silber und ergoss sich auf die meterhohen Wellen der sonst so ruhigen See. "Ich weiß nicht...", knurrte er, "Sie sind schon so hoch..." Siegfried ballte die Fäuste. "Hast du Angst vor deiner eigenen Macht, Glutaro?", fragte er abfällig, "Das solltest du nicht! Nerina muss dich dein Leben lang verzärtelt haben! Los, zeig, was in dir steckt! Weiter!" Gehorsam senkte Glutaro wieder den Kopf und brüllte hinab in das aufgepeitschte Wasser. Eine weitere Welle erhob sich, eilte ihren Kameraden nach auf das zerklüftete Kliff zu, auf dessen Gipfel Neru, Psiana und Sunny andächtig ihrer Übung zusahen. "Weiter! Kräftiger!", feuerte Siegfried Glutaro an, "Trau dich! Trau dich deine Kräfte zu entfesseln, Glutaro! Ja, so ist es recht... Und nun, gehe tiefer und brülle, so fest du kannst, über das Wasser dahin. Wir brauchen eine flache Welle, die die anderen ineinander schiebt. Flach und stark, Glutaro! Los!" Nerina krallte unwillkürlich die Hände fester in das Fluggeschirr, als Glutaro sich tiefer sinken ließ und zitternd Luft holte. Seine Flanken bebten unter ihr, mächtige Muskeln spannten sich. Dann brüllte Glutaro - ein letztes, vernichtendes Brüllen, das eine flache und rasend schnelle Druckwelle über das Wasser sandte. Wie Siegfried es vorhergesagt hatte, schob sie die anderen Wellen ineinander, türmte sie zu einer riesigen Flutwelle, einem ganzen Tsunami. Immer höher und höher streckte sich die Wand aus Wasser in den nächtlichen Himmel und über ihr Rauschen meinte Nerina, ihre Zuschauer aufschreien zu hören - oder war es sie selbst, die schrie? Die Welle raste auf das Cliff zu, prallte dagegen und zermalmte die vordersten Felsen zu handlichen Kieseln, ehe sie donnernd in sich zusammenbrach und Glutaro rasch an Höhe gewinnen musste, um nicht von dem zurückströmenden Wasser erfasst zu werden. Außer Atem wandte er sich an Siegfried. "Das war mal 'ne Welle", kommentierte er, offenbar selbst noch ganz benommen. Siegfried nickte zufrieden. "Ja, ich denke, du bist jetzt bereit für euren großen Auftritt übermorgen", sagte er feierlich, "Deine Drachenwut ist mehr ein Totenfeuer, aber mit dem Drachenwind solltest du Gringo gut einheizen können..." "Wahnsinn, dass er so stark geworden ist", sinnierte Nerina, während sie gemächlich den Heimweg zu ihren verängstigten Zuschauern antraten, "Das ist... unglaublich!" "Er hat gut trainiert", versetzte Siegfried und Nerina wurde sich dunkel der Tatsache bewusst, dass dies das erste, echte Lob war, das der Drachentrainer ihnen hatte zuteil werden lassen, "Aber außerdem liegt es wohl auch am Mond", fuhr Siegfried nachdenklich fort, "Er ist fast voll." "Und das hilft?", fragte Glutaro überrascht. Siegfried nickte. "Der Mond und das Meer waren vom Anbeginn der Zeiten her Brüder, Glutaro. Der Mond ist es, der die Gezeiten macht und die Drachen sind in erster Linie Geschöpfe des Meeres. Wie das Meer, zehren auch sie von den Kräften des Mondes. Das ist übrigens auch der Grund, warum du dich immer in Mondlicht hüllst, wenn du zu Glutaro evotierst." Sie erreichten das Cliff und Glutaro ging in einem sanften Bogen neben den drei anderen zu Boden, ehe er sich mit einem silbernen Lichtwirbel in Texomon zurückverwandelte und einfach aus dem viel zu weiten Geschirr stieg, während Nerina schmerzhaft auf den Knien landete. "Das war gut, oder?", fragte Texomon stolz in die Runde. "Zugegeben...", murmelte Psiana und Neru und Sunny nickten nur stumm." Damit sollten wir übermorgen gegen Gringo bestehen können", sagte Neru hoffnungsvoll und Psiana nickte. "Ich hänge ihn in die Luft und du pustest ihn weg", bot sie großzügig an und Texomon nickte. "Na dann", verkündete Sunny feierlich und schüttelte Neru die Hand, "Es war mir eine Freude, euch zu unterrichten und ich hoffe doch sehr, dass ich übermorgen in Edenholzstadt einen tollen Kampf zu sehen bekommen werde!" "Aber lasst bitte auch noch etwas von meiner Arena stehen", ergänzte Siegfried lachend, ehe er Nerina und Texomon je eine schwere Hand auf die Schulter legte. "Um ehrlich zu sein", begann er und es kostete ihn offensichtlich einige Mühe, "War ich dieser ganzen Iramonsache gegenüber nicht gerade zugetan, als die Professoren uns Arenaleiter darauf ansprachen. Ich war der Meinung, dass ein Psycho-, Unlicht- oder Drachen-Pokemon nicht einfach in einer Prüfung entwickelt werden kann. Man kann lernen, Wasser zu spritzen oder Feuer zu speien, aber man kann nicht einfach so lernen, ein Psycho- oder Drachenwesen zu sein. Ich muss mich in aller Form für meine Skepsis entschuldigen. Psiana, Gluvapo - ihr seid Prachtexemplare eurer Familien. Wenn du kein Sonnenwesen bist, Psiana, dann ist es niemand und wenn du kein Geschöpf der vier Elemente und des Mondes bist, Gluvapo, dann habe ich noch keines gesehen. Geht nun! Geht und erobert zurück, was uns gehört, was euch gehört. Euch und allen Kindern Kantos. Eine Zukunft." Damit trat er einen eleganten Schritt zurück und Abra erschien in ihrer Mitte. Stumm und wie auf Kommando traten sie näher, jeder streckte eine Hand oder Pfote nach ihm aus, dann verschwand das Meer, das Cliff und der Sternenhimmel im farbigen Nebel. Als sie sich wieder materialisierten, standen sie im fackelhellen Hof der Bodenarena von Marmoria. Die großen, wuchtigen Tore waren geschlossen und Wachen patrouillierten auf den Zinnen. In der Mitte des Hofes brannte ein prasselndes Feuer und Nerina fühlte sich jäh ins Innere einer mittelalterlichen Burg versetzt - einer belagerten, mittelalterlichen Burg. Mit einem "Braaaaa" löste Abra sich auf, noch ehe Nerina wirklich begriffen hatte, wo sie sich befanden und Ella stürmte mit wehendem Haar auf sie zu. "Gott sei Dank", rief sie, "Da seid ihr ja endlich! Ich hatte dauernd an euch geschrieben, aber ihr wolltet euch ja nicht melden, wir dachten schon -" Sie brach ab, musterte Psiana mit großen Augen und sah dann beinahe ehrfürchtig zu Neru hinüber. "Dann habt ihr es geschafft?", hauchte sie beinahe andächtig, "Ihr habt Sunny gefunden?" "Und nicht nur das", erwiderte Neru stolz, "Sie hat uns auch trainiert! Sieh mal!" Mit einer großen Geste zog er vier Äpfel aus den weiten Taschen des Beduinenmantels, den Sunny ihm gegen die Hitze verordnet hatte und warf sie in die Luft. Psianas Schwanzspitzen zuckten, als sie sie sozusagen auffing, denn sie blieben mitten in der Luft hängen und begannen dann sogar, wie kleine Monde um Nerus Kopf zu kreisen, formten einen Ring, dann eine dreiseitige Pyramide und hüpften schließlich in alle Richtungen davon und wieder zurück, sodass es aussah, als sei Neru ein hochtalentierter Jongleur. Begeistert klatschte Ella in die Hände. "Dann kann sie sogar schon die Psychokinese", kommentierte sie, "Die werden wir übermorgen bitter brauchen..." "Dann habt ihr also auch beschlossen, dass es übermorgen losgeht?", fragte Nerina beruhigt. Ella nickte. "Wir wollten morgen früh ein Video mit der Herausforderung drehen und an Poke-News schicken", erzählte sie, immernoch wie gebannt den tanzenden Äpfeln nachsehend, "Sandy meinte, ihr würdet schon noch kommen..." Ein Apfel näherte sich bedächtig Texomons Schnauze und sprang erschrocken zurück, als dieser zubeißen wollte. Erbost setzte Texomon der widerspenstigen Frucht über den Hof nach und Nerina und Neru warfen sich ein gequältes Grinsen zu. "Das machen sie schon die ganze Zeit", erklärte Nerina schulternzuckend, "Er wird sich nie dran gewöhnen..." "Wie steht es eigentlich bei dir?", fragte Ella nun interessiert an Nerina gewandt, "Warst du bei Breezy?" Nerina schüttelte den Kopf. "Ich hatte gar keine Gelegenheit mehr", versetzte sie seufzend, "Leider... musste uns Siegfried genügen." Ellas Augen wurden groß und rund wie kleine Monde. "Dann hast du... Ist er..." "Das war eine ganz schöne Plackerei!", verkündete Texomon, der endlich seinen Apfel gefangen hatte und stolz in den Pfoten trug, "Diese Äpfel von heute! Ja, und das andere auch", setzte er noch hinzu, als Ella ihn fragend anblickte. Ella brach in leises Lachen aus. "Dann kannst du jetzt fliegen, ja?" Er nickte stolz. "Soll ich ...?" Doch Nerina legte rasch einen Arm um ihn. "Nein!", rief sie rasch und mit einem vielsagenden Blick auf die hohen Mauern, die Feuer, die Tische und Bänke und vielen Menschen, "Nein, ich glaube, wir zeigen Ella Glutaro ein anderes Mal. Es ... wäre doch schade, wenn Sipho gar nicht dabei wäre, oder?"

"Habt ihr schon eine Ahnung, was auf dem Video drauf sein soll?", fragte Nerina Ella und Sipho, als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch saßen. Sandys Leute hatten großartig aufgetischt und trotz der Anspannung und ihrer Nervosität hatten die Zwillinge und ihre Iramon ordentlich zugelangt und Schinken, Eier, Obst und all die anderen Leckereien genossen, auf die sie in der Wüste hatten verzichten müssen, denn Sunny und Siegfried schienen vollauf mit Zwieback, Pökelfleisch und ein paar getrockneten Streifen Kokosnuss zufrieden zu sein. Nun balgten Texomon und Raichu sich fröhlich in einer Ecke des Raumes, während Taubsi auf dem Tisch herumhopste und Krümel aufpickte. Psiana hielt die Augen geschlossen und tat, als Tagträume sie vor sich hin, doch entging Nerina keineswegs, wie sich Stück für Stück das dreckige Geschirr in die Lüfte erhob und munter hinüber zur Spüle trudelte. "Dein Psiana ist echt praktisch", brummte Sipho mit noch vollem Mund, ehe er sich an Nerina wandte. "Naja, wir dachten, dass wir uns einfach alle nebeneinanderstellen, die Iramon vor uns und dann tritt jemand einen Schritt vor und sagt ein Sprüchchen auf, sowas wie: 'Wir, die vier neuen Iramon-Trainer Kantos fordern am morgigen Tage Gringo in der Drachenarena in Edenholzstadt zum Kampf heraus' oder so." "Hm, nicht ganz schlecht, aber irgendwie so... unspektakulär", entgegnete Nerina und kaute nachdenklich an einem letzten Stückchen Melone, "Wie wär’s mit: 'Für die Zukunft aller kommenden Pokemontrainer Kantos fordern wir, die vier Iramon-Trainer den selbsternannten Herrscher der Pokemonwelt -" "Hui, bleib mal auf dem Teppich!", brummte Neru belustigt, "Ich denke, Siphos Spruch ist schon nicht schlecht, aber wir könnten einen spektakulären Hintergrund wählen, wie die Regenbogenwüste oder die Vulkane von Zinobia oder so." "Und wo sollen wir den hernehmen?", fragte Ella und zog belustigt die Nase kraus, "Euer Abra ist ja wohl irgendwie abhanden gekommen und einfach so zu Fuß die Arena zu verlassen wäre Unsinn!" "Probieren wir es doch einfach mal", schlug Nerina seufzend vor, "Wo ist die Kamera?" Sipho deutete auf ein bereits aufgebautes Stativ auf der Küchenanrichte. "Wir dachten, wir tragen den Tisch raus und stellen uns vor die weiße Wand da." Mit vereinten Kräften wuchteten sie den Tisch und die Stühle beiseite und Sipho und Ella räumten die letzten Spuren des gemütlichen Esszimmers fort, während Neru die Kamera justierte und Nerina die Vorhänge zuzog. Dann stellten sie sich alle Schulter an Schulter vor der Wand auf, Neru mit Psiana neben sich ganz links, Sipho mit Nidoran und Ella mit Taubsi an ihren Füßen neben ihm und Nerina ganz rechts, die Texomon mühsam vor sich zu drängeln versuchte. "Ich will nicht ganz alleine in der ersten Reihe stehen!", motzte er, doch da ließ Psiana die Erbse, die über dem Auslöser geschwebt hatte fallen und die Kamera schaltete auf Empfang. Nerina spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Einige Sekunden lang wechselten sie unentschlossene Blicke, dann trat Ella so abrupt nach vorn, dass Taubsi sich mit einem Satz in Sicherheit bringen musste. "Wir, also die vier Iramon-Trainer Kantos fordern Gringo hiermit zum Kampf heraus", sagte Ella ein wenig unsicher in die Linse, "Morgen um zwölf, in der Drachenarena in Edenholzstadt!" Die Kamera wackelte, dann hopste die Erbse erneut und das Projektil fuhr zu. Alle acht brachen sie in unsicheres Gelächter aus. "Also, das war ja mal gar nichts", prustete Sipho, "Klang, als würdest du Werbung für einen Film machen, so wie 'Der finale Kampf - ab Dezember, nur hier im Kino!'" Ella rammte ihm wütend einen Ellenbogen in die Seite. "Immerhin haben wir jetzt was zum Auswerten", schnappte sie, stapfte zur Kamera und ließ den Film abspielen. Nerina spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, als sie sah, wie unsicher sie alle herumdrucksten und wie Texomon und sie immernoch um den Stehplatz in der ersten Reihe rangelten. "Es sieht aber echt so aus, als wäre Texomon unser Frontsprecher", sagte Neru in diesem Augenblick, "Er ist einfach viel größer als die anderen. Er sollte lieber neben dir stehen, Nerina." "Und Taubsi solltest du lieber auf die Schulter nehmen, Ella", warf Nerina ein, als Ella dem armen Taubsi beinahe auf den Flügel trat. Ella nickte rasch. "Und Sipho sollte Nidoran auch neben sich stellen, am besten tauscht ihr beide die Plätze, Neru." "Aber wo stehe dann ich?", fragte Psiana verdrießlich, "Ich bin viel größer als Nidoran!" "Wie kommt’s überhaupt, dass du nicht Evoli bist?", brummte Texomon in diesem Augenblick, "Seit der Drachenprüfung hab ich dich nicht mehr als Evoli gesehen!" "Oh, wirklich?" Verlegen kratzte Psiana sich mit der Hinterpfote die Wange, "Nun, ich weiß auch nicht. Psiana fühlt sich... irgendwie gut an!" "Für das Video solltest du trotzdem Evoli werden", sagte Neru beschwichtigend, "Dann sieht Gringo nicht gleich unseren Trumpf im Ärmel und du kannst auf meiner Schulter sitzen." "Na dann, Klappe die zweite", verkündete Sipho und steckte die Kamera auf ihr Stativ zurück, "Und vielleicht sollten wir den Spruch doch nochmal etwas dramatischer machen." "Na fein, ich versuchs", nickte Ella ergeben und fuhr kurze Zeit später an die Kamera gewandt, fort: "Im Namen aller zukünftigen Pokemontrainer Kantos fordern wir, die vier Iramon-Trainer, den sogenannten Obersten Trainer und selbsternannten Herrscher über die Pokemonliga Kantos zum Kampf heraus. Er hat sich mit unrechtmäßigen Mitteln in sein Amt erhoben und sein Regiment gefährdet die Grundzüge der ... ähem... Gesetzgebung der Liga, deren Grundsäulen Gerechtigkeit und Wettbewerb sind. Wir fordern Gringo auf, ... also... Wir fordern ihn dazu heraus, uns morgen in einem fairen Wettkampf in der Pokemonarena von Edenholzstadt zu begegnen und ... ja und... und diesen Kampf über die Zukunft Kantos entscheiden zu lassen. So." Mit schweißnassem Gesicht stürmte sie zur Küchenanrichte und knipste die Kamera aus. Nerina, Texomon und die anderen applaudierten verhalten. "Super Rede", lobte Nerina sie überrascht, "Woher kannst du sowas?" "Och, wenn man 'nen Professor als Opa hat, lernt man das", druckste Ella herum und sah prüfend ihren Bruder an. Dieser legte den Kopf schief. "Die Zeit fehlt", sagte er schroff, "Und die ganzen ähems müssen noch raus, aber ansonsten ganz passabel." Ella schnitt ihm eine Grimasse. "Ich komme einfach immer durcheinander, wenn fünf Evolis hinter der Kamera Polka tanzen und dauernd Flammenzungen ins Bild zucken!" "Ich wollte bloß das Drama unterstreichen!", protestierte Texomon. "Das ist dramatisch genug", sagte Nerina rasch und legte ihm eine schwere Hand auf die Schulter. Sie hatte das Feuer nicht einmal bemerkt. "Dann probieren wir's nochmal", sagte Neru rasch, "Ella, kriegst du das nochmal zusammen?" "Was hab ich denn gesagt?" Seufzend spulte Sipho den Film zurück.

Es dauerte noch geschlagene sieben Versuche, bis einjeder mit Ellas Rede, den Lichtverhältnissen, ihrer Körperhaltung und nicht zuletzt dem eigenen, dämlichen Gesicht zufrieden war und nachdem sie das fertige Video endlich an Professor Eich geschickt hatten, der es den Nachrichtensprechern von Poke-News, dem größten Nachrichtensender, weiterleiten wollte, war es bereits Mittag und allmählich stieg die Anspannung ins Unermessliche. Ella schlug vor, noch eine kleine Runde in der Arena zu trainieren und eine Weile lang sahen sie zu, wie Psiana wahlweise Steine, Sand oder auch mal Raichu durch die Luft fliegen ließ, dieser dann mit Elektroschocks konterte und sich immer mal wieder von einem Psystrahl durch die Luft wirbeln ließ. Zu allem Übel flitzte Arkani durch den aufgewühlten Sand und versuchte, Kramurx zu jagen, doch keiner von ihnen wollte sich so recht konzentrieren, sodass sie das Training bald abbrachen. "Ehe sich noch einer wehtut", seufzte Ella, sammelte ihr Taubsi auf, das versehentlich von Raichus Donnerschock geröstet worden war und schlurfte mit hängenden Schultern hinaus auf den Hof. Nerina folgte ihr, einen quengeligen Texomon im Schlepptau. "Ich will schwimmen!", jammerte er, "Das Meer hat mir schon immer geholfen und in dem ganzen, verdammten Haus gibt es nichtmal 'ne Badewanne!" Nerina lächelte nervös, als sie seine Krallenhand drückte und schweigend bugsierte sie ihn auf die Bank am Feuer, auf der auch Ella sich niedergelassen hatte. Eine Weile starrten sie stumm in die prasselnden Flammen, dann sagte Ella leise und ohne aufzublicken: "Dann geht es also morgen los... Unglaublich, oder? Ich kann mich noch sogut daran erinnern, wie wir in Eichs Garten saßen und die Iramon wählen sollten... Ich habe euch beiden damals für... ein bisschen dämlich gehalten... und Texomon für etwas, was es gar nicht geben dürfte... Wie kurzsichtig ich damals noch gewesen bin und dabei ist es erst drei Monate her..." "Und ich hab dich für ganz schön eingebildet gehalten, dabei hätte ich noch so viel von dir lernen können", entgegnete Nerina mit einem nervösen Lachen. Wieder entstand eine kurze Pause, dann fragte Nerina leise: "Meint ihr, wir können es schaffen?" "Wir werden unser bestes geben!", sagte Taubsi fest und Texomon ergänzte: "Wir sind schon mit soviel fertig geworden!" "Trotzdem habe ich ein bisschen Angst", gestand Ella, "Nicht nur vor Gringo, sondern auch vor den vielen Leuten, die zuschauen werden. Opa hat geschrieben, dass er, Eich und eure Eltern auch kommen werden, Nerina - und dann all die Arenaleiter und so viele andere, die uns geholfen haben, die auf uns zählen..." "Die ganzen Trainer, die uns damals in Marmoria geholfen haben", fügte Nerina hinzu, "Und Mando. Wie geht’s ihm eigentlich?" Ihr Herz sank ihr in die Hose, als Ella wegsah. "Sie haben ihn aus dem Krankenhaus geholt", sagte sie leise, "Zwei Ärzte waren plötzlich Team Rocket Mitglieder. Sie haben ihn mitgenommen..." "Was für ein Ärger, dass wir damals noch kein Psiana hatten", seufzte Texomon, "Ihre Vitalglocke ist klasse, die weckt Tote auf!" "Vitalglocke?", fragte Ella überrascht, "Ich dachte, die lernt sie gar nicht...?" Gerade hob Nerina an, zu erklären, dass Psiana die Vitalglocke als eine Art Bonus-Attacke bei der Evotation erhalten haben musste, als besagtes Psiana in weiten Zickzacksätzen über das Pflaster geflitzt kam, unsichtbaren Attacken ausweichend und sich wild hin und herwerfend. "Nein! Nicht die Pilze!", rief sie schrill, "Nicht meine schönen lila Frühstückspilze! Nun nimm endlich diese hässliche Zunge weg! Das ist ja ekelhaft! Hilfe! Ein Schiff! Na wo kommt das denn nun schon wieder her? Vorsicht! Alle ducken! Es sinkt! Es... verwandelt sich in rosa Seifenblasen! Ohhhh!" Mit einem langen Satz sprang sie über das Feuer, knallte gegen Nerinas Bein und blieb schweratmend liegen. Besorgt beugten sie, Texomon und Ella sich zu ihr hinab. "Geht’s dir gut?", fragte Nerina perplex. "Der Stress muss ihr auf den Verstand geschlagen haben! Oh nein!", flüsterte Ella, da kam schlussendlich auch Neru mit langen Schritten über das Pflaster gespurtet. "Psiana! wo steckst du? Bleib stehen!", keifte er und ließ sich dann schwer neben ihnen nieder, als Nerina auf das zusammengerollte Psiana deutete. "Was ist mit ihr?", fragte sie skeptisch, "Ist sie... gaga?", fragte Texomon. Neru schnitt ihm eine Grimasse. "Nein! Sie musste unbedingt die verfluchte Konfusion üben und das auch noch vor einem Spiegel! Hätte mir ja denken können, dass das nach hinten losgeht!" "Wer geht nach hinten?", fragte Psiana matt vom Boden, "Oh und bringt er Kekse mit?" "Also, du solltest jetzt reingehen und dich ausruhen", sagte Texomon ernst und deutete auf die breite Flügeltür, "Wird dir guttun..."

Der Nachmittag zog sich unnatürlich in die Länge und einer nach dem anderen folgte Psianas Beispiel, doch während Taubsi und Nidoran freiwillig einsahen, dass sie ins Bett gehörten, flitzte Texomon wie ein aufgescheuchtes Huhn durch Hof, Arena und Gänge und Nerina musste ihn dauernd davon abhalten, die Regenrinne hinaufzuturnen, diverse Treppengeländer als Rutsche zu missbrauchen oder Sandys kleines Bad zu fluten, um ein Schwimmbecken herzustellen. Irgendwann war sie verzweifelt genug, ihn bei den Holzhackern abzugeben, die ihn geduldig dicke Stämme in Sägemehl zertrümmern ließen. Als endlich die Sonne hinter den Horizont sank, schien die Spannung beinahe greifbar. Neru kam, um ihnen bescheid zu sagen, dass ihr Video nun im Fernsehen laufen würde, doch Nerina schüttelte den Kopf. "Ich will es nicht sehen", flüsterte sie und drückte seine Hand so fest, dass seine Finger kalt wurden, "Ich halte das nicht mehr aus! Was meinst du, Neru? Können wir es schaffen? Sind Texomon und Evoli stark genug? Sind wir stark genug? Oh, und was, wenn wir verlieren? Vater wird so enttäuscht sein!" "Ich denke, das wird er nichtmal", entgegnete Neru sanft, "Er und die anderen wussten, dass wir nur ein Versuch sind und sie wissen, dass wir unser Bestes gegeben haben..." Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich auf die Zinne neben derjenigen sinken, auf der Nerina nun schon seit einer geschlagenen halben Stunde hockte, den halb schlafenden Texomon im Arm und gemeinsam starrten sie eine ganze Weile lang in den Hof, ohne ihn wirklich zu sehen. Viele Lichter kleinerer und größerer Feuer flackerten vor sich hin und warfen ihr warmes Licht an die Wände des Burghofes. Der Geruch von gegrilltem Fleisch und frischgebackenem Brot stieg zu ihnen herauf und die vielen Stimmen der herumeilenden Menschen verschmolzen zu einem angenehmen Summen. "Es ist, wie in einem Traum, oder?", fragte Neru nach einer Weile und Nerina nickte stumm. "Hätten wir uns das jemals träumen lassen, dass wir mal etwas so besonderes sein würden?" "Aber trotz dem ganzen Stress hätte ich nicht tauschen mögen", entgegnete Neru fest und wieder nickte Nerina heftig. "Ich würde Texomon für nichts auf der Welt mehr eintauschen und egal, was morgen geschieht, ihn kann Gringo mir nicht wegnehmen! Trotzdem komisch", fügte sie nach einer Weile hinzu, "Dass unsere große Reise morgen vorüber sein soll, oder? Da sind wir soviele Tage durch die Gegend gelaufen, haben so verrückte Prüfungen und so viele Kämpfe hinter uns gebracht... und morgen soll all das einfach vorbei sein? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein wird, wieder ein normales Leben zu führen..." "Oh, das wirst du kaum", antwortete Neru lächelnd, "Du gehst schließlich zu Dew in die Lehre!" Nerina nickte langsam, wobei ihr leise zu dämmern begann, dass sie in all der Aufregung vergessen haben musste, Dew ihre Zusage zu schicken. "Und du?", fragte sie langsam, "Wohin wirst du gehen? Willst du immernoch Pokemon-Champion werden, wie wir es uns immer erträumt haben?" Doch Neru schüttelte lachend den Kopf. "Nein, ich habe meine beste Pokemonreise schon erlebt und das beste Pokemon, das ich mir nur wünschen kann. Nein, ich möchte Forscher werden, wie Vater. Unsere langen Streifzüge und das Lernen über die Pokemon haben mir von Anfang an mehr Spaß gemacht, als das Kämpfen selbst und Evoli ist der perfekte Begleiter dafür." Eine Weile lang sahen sie einander schweigend an, plötzlich begreifend, dass ihre Kindheit sich heimlich und über Nacht verabschiedet haben musste - ohne, dass einer von ihnen es auch nur bemerkt hätte. "Ich werd dann jetzt mal schlafen gehen", sagte Neru dann und stand auf, "Psiana ist zwar wieder fit, aber ich will nicht, dass sie aufwacht und allein ist..." Mit einem raschen Nicken verschwand er um die Ecke in seinem Turmzimmer. Kaum war er verschwunden, als Texomon träge den Kopf hob und zu ihr aufsah. "Warst du eigentlich zufrieden mit mir?", fragte er leise, "Wirst du... sehr enttäuscht sein, wenn wir morgen verlieren?" "Aber Texomon!", hauchte Nerina, der plötzlich Tränen in den Augen brannten und noch ehe sie sie zurückhalten konnte, schien all die Anspannung sich endlich einen Weg nach draußen zu bahnen. Texomon sah sie besorgt an und als eine Träne auf seiner Schnauze landete, fing er sie geschickt mit der Zunge und schien prüfend zu schmecken. "Salzig, wie das Meer", sagte er fasziniert und durch ihre Tränen musste Nerina lächeln. "Oh, Texomon!", sagte sie so warm wie selten, "Durch dich hab ich soviel gelernt, soviel Schönes und soviel Tröstendes und ich habe es immer so genossen, die Welt durch deine Augen zu sehen, dir Dinge zu erklären und kleine Spiele zu erfinden! Ich will dich um nichts in der Welt hergeben, Texomon und egal, was morgen passiert, ich bin stolz auf dich!" "Ich werde alles geben, was ich habe, Nerina!", versprach Texomon feierlich, "Weil ich euch helfen und allen beweisen will, dass Gluvapo noch lange nicht tot ist! Aber vor allem will ich es für dich tun, Nerina! Du hast mir so oft geholfen, hast extra Trainings für mich gemacht, weil ich so übermütig war, hast mich verstanden, sogar in diesem Einkaufsladen und später, als ich mit dem Feuer nicht zurecht kam. Ich möchte dir so gerne für alles danken und deshalb kämpfe ich morgen für dich! Alles wird gut werden! Verlass dich auf mich!" "Ja", flüsterte Nerina fest und nahm stolz seine Hand, "Alles wird gut werden! Lass uns ganz fest daran glauben!"
 

>>>Neru<<<
 

Mit einem leisen Plopp erschienen die vier Iramontrainer in der Arena. Das Plopp war ein sehr leises Plopp, ein Plopp, mit dem Seifenblasen platzen würden. Doch seine Wirkung war sehr viel größer. Im ersten Moment wurden sie noch nicht entdeckt und konnten sich in Ruhe in der Arena umsehen. Die Arena der Drachenpokemon war größer als alle anderen und die Tribünen umschlossen sie komplett. Zwei kleine Podeste waren am Rande der Arena aufgestellt worden, um den Kämpfenden einen größeren Überblick zu gewähren und den Pokemon ihre Kommandos oder Ratschläge zu erteilen. Der Arenaboden wurde durch eine Mittellinie zwischen den beiden Podesten geteilt. Auf der einen Seite befand sich normaler, staubiger und sandiger Boden, auf der anderen ein großes Becken mit Wasser. Die Tribünen rund um den Kampfplatz waren voll besetzt und hier passten locker tausend Menschen hinein. Neru konnte den Anklang, den dieser Kampf haben musste, nur zu gut verstehen. Immerhin waren sie die ersten seit langer Zeit, die Gringo herausforderten und die Geschichten von ihren Abenteuern und Taten hatten in ganz Johto und Kanto die Runde gemacht, doch wäre es Neru in diesem Augenblick, als sich alle Augenpaare auf sie richteten und ein großes Jubelgeschrei anhob, doch lieber gewesen, wenn nicht so viele Leute an den Pokemonkämpfen Interesse gefunden hätten. Inmitten der Menschen konnte Neru die Professoren Lind und Eich, sowie ihre Eltern und ein paar der Arenaleiter entdecken. Das Abra, das sie sich von Sunny ausgeliehen hatten, war bereits wieder verschwunden, sodass es für die meisten Zuschauer so aussehen musste, als wären die vier Trainer einfach aus dem Boden gewachsen. Neru versuchte, den Kopf möglichst hoch zu tragen und nicht rot zu werden. Evoli, die er im Arm hielt, ließ ganz schnell den Kopf unter ihrem buschigen, braunen Schwanz verschwinden. Da ist Evolis Form dann doch nochmal praktischer, dachte Neru und der Gedanke heiterte ihn für einen Moment auf, doch seine Beine zitterten und er versuchte, sich ganz auf die Arena zu konzentrieren. Sipho stand da mit einem eisigen Gesicht, als könne sein Blick selbst Gringo vereisen, während Ella und Nerina zu den Indianern zu konvertieren schienen und ihre Gesichter die Farbe von Tomaten annahmen. Texomon hielt sich scheu hinter Nerinas Rücken verborgen, von Nidoran konnte Neru überhaupt nichts mehr sehen und Taubsi machte sich so klein wie möglich. "Kommt schon", meinte nun Ella aufmunternd. Sie hatte ihr Gesicht offenbar noch nicht gesehen. "Wir müssen vortreten und wenigstens stark aussehen." Neru straffte seine Schultern. "Ich fühl mich aber gar nicht stark", erwiderte Evoli. "Reiß dich zusammen", zischte ihr Texomon zu. "Streck deine Federn, Taubsi und du, komm da raus, Nidoran!", zischte er weiter, "Wir sind Iramon. Wir haben noch jeden Kampf bestanden! Der Heutige ist ein Klacks! Zeigen wir denen, was eine Harke ist!" Damit trat er entschlossen einen Schritt nach vorn und angetan von seinem Beispiel folgten ihm die anderen Iramon mit hoch erhobenem Haupt. Neru sah ihnen mit Stolz in der Brust nach, doch auch mit einem leichten Zweifel. War es richtig, Gringo jetzt schon herauszufordern? Immerhin war er seit über einem Jahr unbesiegt und kein Trainer hatte es im letzten Jahr gewagt, ihn herauszufordern. Waren sie wirklich schon bereit, es mit seinem Mega-Iramon aufzunehmen? Zu viert hatten sie eine Chance. Ein Raunen ging durch die Menge, als die vier Trainer vor dem Podium Aufstellung nahmen und sich die vier Iramon, Texomon in der Nähe des Wassers, Evoli am anderen, äußeren Ende mit Taubsi und Nidoran in der Mitte, in der Arena aufstellten. Sie waren bereit, ihre Herausforderung wahr zu machen. Sie waren nun bereit, den Kampf gegen Gringo aufzunehmen, gegen die Nummer Eins der Pokemonwelt. Die vier Iramontrainer mussten nicht lange versuchen, stark auszusehen. Am anderen Ende der Arena öffnete sich ein großes, mit Gold beschlagenes, zweiflügliges Eichentor zur Arena hin und ein einzelner Mann mit einem so klein und schwach wirkenden Snobilikat erschien in dem so groß und dunkel anmutenden Tor. Langsam und mit gemessenem Schritt kam er aus dem Tor geschritten und betrat ebenso wie die Iramon den Kampfplatz. "Ihr nennt mich unfair und einen Unterdrücker?", rief er laut über den Kampfplatz hinweg zu ihnen hinüber, "Und doch wollt ihr mit vier gegen einen antreten?" Unsicher sahen sich die Iramontrainer an. Gringo hatte Recht. "Ich fordere nur einen ehrlichen und fairen Kampf", erklärte der rechtmäßige Champion der Liga, "Einen eins zu eins Kampf scheint mir angemessener, wenn ich die Sache richtig sehe." Ein Raunen lief durch die Menge. Die Iramon kehrten zu ihren Trainern zurück. "Irgendetwas stimmt mit diesem Snobilikat nicht", erklärte Evoli, "Ich höre Stimmen." "Du leidest nur noch an deiner Konfusion", erklärte Texomon verschnupft, "Wollen wir anfangen, Nerina?" Nerina wirkte verunsichert. "Nein! Wir fangen an!", erklärte Ella, die nun rot vor Wut im Gesicht war, "Dem Kerl geb's! Mich einen unfairen Kämpfer nennen!" Neru beugte sich hinunter zu Evoli. "Was meinst du damit?", fragte er, "Was stimmt denn nicht mit Snobilikat?" "Die ganze psychische Front ist voll mit Stimmen. Ich glaube, wir können es schaffen. Ich hab da eine Idee." Neru sah sein kleines und immer so schwaches Evoli an. Er seufzte. "Evoli ist sich sicher, dass etwas mit Snobilikat nicht stimmt", erklärte Neru nun mit fester Stimme an die anderen gewandt, "Sie glaubt, dass wir das zu seinem Nachteil nutzen können, und ich vertraue ihr damit. Ich würde gerne den ersten Kampf wagen. Wenn wir verlieren, seid immer noch ihr anderen da und wir haben noch Glutaro." "Evoli beherrscht die Schnell-Evotation. Vielleicht klappt es", murmelte Ella. "Sie kann Psiana", gab Sipho zu bedenken. "Und sie hat viel gelernt!", erwiderte Nerina, "Also gut, Neru. Dann lass es krachen!" Nerina und Ella umarmten ihn noch einmal abschließend und sogar Sipho gab ihm einen Klaps auf die Schulter. "Mach ihn platt!", zischte er ihm ins Ohr, "Wir drücken euch die Daumen!" Damit warf er Evoli einen vielsagenden Blick zu und verließ mit den anderen den Kampfplatz, während Neru allein auf das Podest kletterte, auf dessen gegenüberliegender Seite der Arena ebenfalls Gringo auf sein Podest stieg. Die beiden Pokemon wirkten irgendwie verloren in der Weite dieser riesigen Arena, doch schritten sie entschlossen nach vorn und nahmen beide auf dem trockenen Streifen neben dem Wasser ihre Aufstellung. In Nerus Geist überschlugen sich die Gedanken. Was hörte Evoli denn da für Stimmen? Hatte ihr die Konfusion mehr zugesetzt, als es den Anschein gehabt hatte, oder hatte sie tatsächlich einen Plan? Für eine endlose Weile standen sich die beiden Kontrahenten in der Arena gegenüber. Neru wurde mit einem Schlag klar, dass die beiden Iramon ihr Timing würden selbst wählen würden und, dass seine Position als Trainer bestenfalls noch eine Formale war. Evoli war zu intelligent und mit der Geschwindigkeit, mit der sie in der Lage war, ihre Gestalt zu wechseln, konnte er nichtmal vom Sehen her mithalten, wie sollte er da Befehle geben können? Ein jeder Befehl würde sie nur aufhalten und ihr die essentielle Geschwindigkeit, die ihr großer Vorteil war, nehmen. Mit einem unsicheren Gefühl im Bauch wartete Neru, wissend, dass er am weiteren Verlauf kaum noch etwas ändern würde können. Wann hatte er Evoli das letzte Mal überhaupt Ratschläge in einem Kampf gegeben? Das musste noch in der Wasserarena gewesen sein. Kaum zu glauben, dachte er bei sich, wie lange das schon her ist. Wie lange das schon vergangen ist. Neru schloss für eine Sekunde die Augen und konnte wieder deutlich vor sich sehen, wie Evoli über die Welle hinwegsprang und in den Angriff überging. Der Kampf damals war auch verzweifelt gewesen. Als Neru die Augen wieder öffnete, hatten Snobilikat und Evoli damit begonnen, sich zu umkreisen und sie schienen peinlich genau auf jede Bewegung des Anderen zu achten, auf einen unachtsamen Moment zu warten. Auch den Kampf in der Wasserarena hatten sie bestritten und hatten ihn geschafft. Warum sollte das diesmal anders werden? Als Neru zu diesem Schluss kam, sah er über die Arena hinweg, in die Augen seines Kontrahenten, des Unterdrückers und Alleinherrschers der Pokemonwelt. Er sah direkt in Gringos Augen und konnte Häme und Siegesgewissheit darin funkeln sehen. Er würde noch sehen, dass er sie unterschätzt hatte, dachte Neru. In diesem Moment geschah es. Beide Kontrahenten begannen, sich in Evotationsblasen zu hüllen und leuchteten in grellen Farben auf. Ein greller Donnerblitz zuckte quer durch die Arena, doch Folipurba war einen Augenblick schneller und Dutzende von Blättern schossen unter dem Strahl aus grellem Licht hindurch auf ihren Angreifer zu. Doch bevor die Blätter auch nur ihr Ziel erreichen konnten, leckte eine riesige Flammenzunge nach ihnen und Evoli wechselte erneut die Gestalt, nur, um die Flammenstöße in einer gigantischen Flutwelle zu ertränken. Doch das Wasser leitete die elektrischen Energien sehr gut und auch Evolis Kontrahent schien das zu wissen. Mit einem wilden Sprung und einem violetten Leuchten sprang Psiana über das Wasser hinweg, um nicht von dem elektrisch geladenen Wasser berührt zu werden, und feuerte einen langen Psystrahl auf ihren Kontrahenten ab. 'Oh mein Gott!', schallte es in Nerus Kopf und Neru erkannte die Stimme seines Iramon. Doch schon ging das wilde Verwandeln und Attackenschleudern weiter. Gringos Snobilikat wechselte die Gestalt genau so schnell wie Evoli. Es wechselte ab zwischen Arkani, Elektek, Jugong, Garados und auch einmal kurz Mewtwo, der den Psystrahl von Psiana einfach aus der Luft pflückte und ihn gegen sie zurücklenkte. Nur um Haaresbreite gelang es dem kleineren Psychopokemon, ihrem eigenen Strahl auszuweichen und sie konterte mit einer weiteren Flutwelle, auf der Jugong einfach emporritt und ihr einen Eisstrahl entgegenwarf. Dieser jedoch wurde wieder von Psianas Psystrahl aus dem Weg geschleudert und ein Hagel von Blättern ergoss sich über das immernoch schwimmende Jugong, das einen Augenblick benötigte, um einen Eissturm heraufzubeschwören, der Folipurba das Fürchten lehren sollte. Neru verlor in dem ganzen Gewirr aus Attacken, Leuchten und Evotationen die Übersicht. Die Attacken folgten so schnell aufeinander und die beiden Kontrahenten schienen sich in einem abgedrehten und brandgefährlichen Kampf zu befinden. Schon ein Fehler konnte die Sache entscheiden. Doch Snobilikat hatte mehr Erfahrung und konnte auf die Kraft seiner Mewtwo-Entwicklung bauen. Eine Kombination aus einem Eissturm und einem Sandwirbel verdeckte für einen Augenblick die Sicht und der gewaltige Blitz von Elektek, der nun durch die Arena fauchte, hob Psiana von den Füßen und schleuderte sie einige Meter weit durch den kalten Sturm und in den Staub des Arenabodens. Elektek ließ höflich von ihr ab, verwandelte sich zurück in Snobilikat und schritt gemessenen Schrittes zurück zur Mitte der Arena. Psiana sprang fauchend auf, sträubte ihr Fell und ihren Schwanz und schritt ebenso gelassen auf das kleine Snobilikat zu. 'Etwas stimmt da nicht', erklärte Psiana noch einmal in Nerus Kopf, 'Es sind viele Stimmen im Raum. In Snobilikats Kopf!', ergänzte sie, 'Sie streiten und sind sich uneins. Doch eine Stimme steht über den anderen und befiehlt.' Neru schüttelte verwirrt den Kopf. Kamen diese Worte wirklich von Psiana? Sie ließ sich überhaupt nichts anmerken und ließ sich keck vor Snobilikat auf den Hintern sinken. Ein Leuchten ging von ihren Augen aus und plötzlich war Snobilikat umrundet von Dutzenden von Psianas, die langsam begannen, um sie herum im Kreis zu schweben. Neru hörte, wie Sipho nach Luft schnappte, als alle Psianas sich gleichzeitig nach vorne stützten und aus allen zugleich ein feiner, goldener Strahl, schneller als ein Gedanke, auf den Edelstein auf Snobilikats Kopf zuflog. Die Attacke schien Snobilikat nichts auszumachen, doch begannen Teile seines Körpers auf einmal, wild zu zucken. Plötzlich war die Luft über der Arena erfüllt von Lauten, Kreischen und Brüllen ertönte in den Namen der unterschiedlichen Pokemon, die Gringos Snobilikat schon in die Arena geführt hatte, aber auch das mächtige Rufen von anderen, die wild durcheinander schrien. "Beruhigt euch!", rief eine Stimme über die anderen hinweg. "Verwandel dich, Snobilikat! Mach Platz für Dragoran!", rief die Stimme. Das Zucken in Snobilikats Körper wurde stärker, der goldene Strahl wurde langsam dichter und das Zucken endete. Die Stimmen wurden leiser und dafür erhob sich ein anderes, zartes Stimmchen. "Snobi Snobilikat", erklärte es ganz leise und zaghaft. "Ich werde dir helfen", erklärte Psianas Stimme nun laut, "Du sollst nicht länger unterdrückt werden von dem Willen der anderen." Der goldene Strahl verdickte sich weiter und ein violettes Glänzen erhob sich. "Deine Evotation ist blockiert!", fuhr Psiana fort, "Wenn du willst, helfe ich dir, ich gebe dir die Kraft, die Störenfriede aus deiner Seele herauszubekommen." Der Strahl wurde dicker und das violette Leuchten nahm zu. Langsam verdrängt der violette Strahl den Goldenen. Snobilikat schloss die Augen und schien zu wachsen. Psianas Doppelgänger begannen zu flimmern und dann stand sie wieder alleine in der Arena, mit Snobilikat durch den goldenen Lichtstrahl verbunden. Plötzlich verstand Neru, verstand die ganze Tragweite dessen, was Psiana vorher gesagt hatte. Er verstand nun, was geschehen war. Die Evotationen von Snobilikat waren gar keine echten Evotationen, sondern nichts weiter als ein Gefängnis. Wie viele Pokemon musste Gringo in Snobilikats Seele gesperrt haben? Was musste das für sie für ein erdrückendes Gefühl sein, so von anderen kontrolliert zu werden? Von anderen Geistern wie Mewtwo, die ihren gesamten Geist vereinnahmen mussten und ihr die Kontrolle entrissen. Nun entlud sich das ganze monströse Potential, das in Snobilikats Geist getobt hatte. Wilde Lichter brachen aus seinem Geist hervor und die Luft war erfüllt von materialisierenden Körpern. Glurak und Dragoran, Garados und Turtok erschienen. Über ein Dutzend weiterer Lichtpunkte begannen sich erst jetzt zu materialisieren. Doch je mehr Punkte aus Snobilikat herausbrachen, desto schneller schien es zu gehen. Der Lichtstrahl wogte unablässig zwischen den beiden auf und Neru konnte sehen, wie Psiana anfing zu zittern und sich ihr Fell nass von der Anstrengung verfärbte. Mit einem gewaltigen Blitz brach ein Lichtpunkt heller als alle vorhergegangen aus Snobilikat hervor und schlug mit der Gewalt eines Erdbebens genau zwischen Psiana und Snobilikat ein. Der Lichtpunkt wurde für den Bruchteil einer Sekunde unterbrochen. Dann brach Snobilikat zusammen und ein zweibeiniges Wesen mit einem violetten Schwanz und blau glühenden Augen stand da und hielt den Lichtstrahl von Psiana in seinen Händen. Erbost blickte es sie an. "Du wagst es?", rief es und Psiana versuchte, den Kopf zu drehen, doch der Lichtstrahl hielt sie fest. "Wie du mir so ich dir." Mewtwos Augen glühten noch ein Stückchen mehr auf und aus beiden Enden des Strahls schossen von Psianas Seite ein blauer, von Mewtwos Seite ein grüner Strahl auf den jeweils anderen Kontrahenten zu, während rund um sie herum die Hölle losbrach. Die versprengten Seelen der Pokemon reckten die Glieder und besahen sich ihre Erzrivalen, mit denen sie für so lange Zeit einen so kleinen Platz wie Snobilikats Kopf hatten teilen müssen. Wild schlugen die Attacken der entfesselten, auf dem Arenaboden und rund um die Tribünen ein, doch Neru konnte seinen Blick nicht von Psiana und Mewtwo wenden. Die Mitte zwischen den Lichtstrahlen glühte in weiß und der weiße Punkt begann, sich langsam auf Psiana zuzubewegen. Sie fing an zu zappeln und versuchte, zu entkommen, doch Mewtwo erhöhte die Intensität seines Lichtstrahls und mit einem Donnern, als hätte sich ein Gewitter in der Mitte der Arena ausgetobt, traf die weiße Kugel Psiana und eine Explosion erklang. Psiana flog von der Macht Mewtwos unterstützt auf Neru zu, prallte, noch bevor Neru reagieren konnte, gegen seine Brust und sie flogen beide von dem Podest herunter und brachen auf dem Boden zusammen. Etwas rauchte. Neru sah an seiner Brust hinunter und sofort füllten sich seine Augen mit beißendem Dampf. Die Steine seiner Brosche schmolzen und tropften in langen Fäden aus dem goldenen Mantel heraus.

"Wer verstößt hier gegen die Regeln", schrie Ella über den Nebel, der von Neru und Psiana ausging hinweg und sie selbst, Nerina und Sipho stürzten vor, ihre Iramon begannen sich schon im Lauf zu verwandeln. Mit einem Donnerschlag verschaffte sich Mewtwo Ruhe im Saal. Neru hielt den Atem an. Das Psychopokemon wirkte etwas angeschlagen, offenbar hatte die Zerstörung der Brosche es doch mehr angestrengt, als Neru erwartet hatte. Nerina starrte es mit weit aufgerissenen Augen an, als ob sie nicht wüsste, ob dieses Monster nun einem Alptraum entsprungen sei oder der Kampf tatsächlich Realität war. Panzaeron ging direkt in den Angriff über und Glurak und Ibitiak erhoben sich, um es mit ihr aufzunehmen. Texomon ließ sich in einen Kampf mit einem Dragoran und einem Garados verwickeln und Nidoran versuchte, in seiner Raichu-Form, den anderen möglichst gut den Rücken freizuhalten und schoss einen Donnerblitz nach dem anderen durch den Saal. Das Chaos, das in der Arena losbrach, war überwältigend und wenn es schon schwer gewesen war, Evolis Kampf von vorhin vernünftig zu folgen, so war es jetzt ein reines Feuerwerk. Neru konnte nicht begreifen, dass auch nur eines der vielen Pokemon noch die Übersicht darüber hatte, wer gerade gegen wen kämpfte und welche Attacke für wen bestimmt gewesen war. Psiana lag auf Nerus Knien und rührte sich nicht mehr. Ihre so strahlenden und schönen, blauen Augen waren geschlossen und die Zunge hing ihr aus dem Maul. Sie war definitiv K.O. gegangen. Neru ließ den Blick über die Kämpfenden schweifen. In einer Wolke aus Feuer und Wasser konnte er Texomon erkennen. Gerade sprang er ins Wasser und verwandelte sich in Seedraking. Neru hatte diese Form schon länger nicht mehr bei ihm gesehen und die Wucht seiner Hydropumpe schien nicht nur ihn zu beeindrucken. Ein großer Drache stieß von der Luft über der Arena hinab auf das Wasser-Drachenpokemon. Seedraking warf sich, von seinem Kampf mit Garados abgelenkt, auf die Seite, ließ Garados, das gerade zu einer Drachenwutattacke ansetzte, an sich vorüberschnellen und pfefferte einen komprimierten Strahl Wasser in das dumme Gesicht des Glurak, das taumelnd über dem Becken mühsam versuchte, das Gleichgewicht zu halten und wieder weiter in die Höhe emporzusteigen. Nerina konnte wirklich froh mit ihrem Drachen sein. Ein Glurak war zwar eine wunderschöne Form, doch war das Feuer in der Hinsicht der Anwendung ziemlich eingeschränkt und seine Empfindlichkeit gegen Wasser machte es anfällig - Ein Vorteil, den Seedraking auszunutzen schien. Eine weitere Hydropumpe zischte hinauf zu dem großen Drachen, verfehlte ihn jedoch um Haaresbreite, im selben Moment schoss Garados' Kopf hinter dem großen Seepferd in die Höhe und der breite und weit offenstehende Schlund der Riesenschlange drohte Seedraking zu verschlucken. Neru hielt den Atem an. Garados war für seine Kraft berühmt und es war kaum zu glauben, dass sich dieser Gigant aus so einem Winzling wie Karpador entwickeln konnte. Garados zeigte nun, dass die Geschichten, die über seine Angriffe auf Schiffe erzählt wurden, keineswegs erfunden waren. Seedraking konnte gerade noch so ausweichen, bevor der riesige Schlund ihn getroffen und das Garados ihn sicher zwischen seinen Kiefern zerquetscht hätte. Mit einem lauten Brüllen fiel die Seeschlange ins Wasser und begann, schnell um ihre eigene Achse zu wirbeln. Die Luft selbst schien über dem Becken greifbar zu werden und immer schneller rotierten die Massen umeinander. Das war eine Windhose, wie sie nur die Drachenpokemon hervorrufen konnten, und mit Schrecken dachte Neru zurück an die Windhose, von der Nerina ihm erzählt hatte. War das die Attacke gewesen, mit der sie Nerinas Segelschiff vom Kurs abgebracht und es in die Eisschollen getrieben hatten? Immer höher schraubte sich die Windhose in die Luft und wurde von einem sich drehenden Gewirr aus Wolken empfangen. Unglaublich, dachte Neru, so groß, so viel Energie. Doch nun passierte etwas Merkwürdiges. Der ganze gesammelte Luftstrom begann, sich weißlich zu verfärben und Schnee begann zu fallen. Immer schneller schienen die Schneemassen sich umeinander zu drehen und Garados' Bewegungen wurden langsamer. Der Tornado hatte mittlerweile eine solche Kraft erhalten, dass er sich selbst am Leben erhalten konnte, und so sah man von Garados nur noch einen unsicheren Schemen, der langsam in den eisigen Fluten versank. Hinter dem Tornado konnte Neru den Ursprung für das Phänomen entdecken. Ein Jugong hatte einen Eisstrahl genau in die Mitte des Tornados geschossen und die Luft- und Wassermassen im Inneren begannen zu gefrieren. Eis war von je her der Feind der Drachenpokemon und gegen nichts waren sie so anfällig. Neru erinnerte sich genau an die Passage, die sein Pokedex zu diesem Thema ausgespuckt hatte. Texomon war in tödlicher Gefahr. Doch auch Texomon schien die Situation erkannt zu haben. Mit einem lauten Ruf sprang er aus dem Wasser und hüllte sich in rote Evotationsblasen. Nur wenige Sekunden später rannte Arkani durch ein Netz aus Blitz-, Wasser- und Feuerattacken und feuerte ein eigenes Flammenrad auf den Tornado ab. Langsam leckten die Flammen nach dem Fuß dieser gigantischen Urgewalt und die Flammen wanderten langsam in den wirbelnden Luftschichten empor, sodass irgendwann der ganze Tornado wie von einem Netz aus Flammen umgeben schien. Der Schnee schmolz und die Temperatur stieg fast sofort, doch noch etwas anderes konnte Neru erkennen: Der Tornado begann, sich langsam aufzulösen, erfasste dabei jedoch noch immer brennend ein ziemlich perplex aussehendes und auch ziemlich unflexibles Bisaflor, das sang- und klanglos zusammenbrach. Offenbar vertrug es die immensen Temperaturschwankungen nicht besonders gut und noch bevor das Jugong darauf reagieren konnte, beförderte ein Klauenhieb von Arkani es genau vor Raichus Nase, der ihm mit einem Donnerblitz den Garaus machte. Arkani setzte seinen Weg der Zerstörung fort, bis er wild Flammen in alle Richtungen schleudernd vor einem Turtok stand. Das riesige Schildkrötenpokemon war nicht gerade für seine Intelligenz bekannt und so dauerte es einen Augenblick, bis es die Augen zusammenkniff und seinen Gegner vor ihm erkannte. Seine Reaktion war rein intuitiv, wenn dadurch auch nicht weniger brutal. Langsam fuhr es die riesigen Kanonenrohre aus dem Panzer über seiner Schulter aus und maß Arkani mit einem abschätzenden Blick, während es zielte. Arkani saß in der Falle. Egal, wohin es gehen würde, die Hydropumpe würde es erreichen und der komprimierte Wasserstrahl würde es auf jeden Fall treffen. Rot glühten wieder die Evotationsblasen auf und es gelang Texomon gerade noch so, unter den beiden komprimierten Wasserstrahlen hindurchzutauchen. Verdutzt hielt das Turtok inne und besah ihn mit einem verblüfften Ausdruck in den kleinen, stumpfen Augen. Texomon hielt sich nicht lange mit Gaffen auf, sprang wieder auf die Füße und verpasste dem viel größeren und schwereren Turtok einen Schlag mit dem Eisenschweif auf die Brust, der es zurücktaumeln ließ. Ein weiterer Donnerblitz von Elektek, unter dem Texomon geistesgegenwärtig eine Rolle gemacht hatte, besiegelte auch diesen Kampf.

Neru fuhr zusammen, als ein langer und gellender Schrei erklang. Er hatte so auf den Kampf von Texomon geachtet, hatte seine schnellen Bewegungen und seine mächtigen Attacken begutachtet, die große Kerben in die Verteidigung der Pokemon Gringos geschlagen hatten und so erst den Angriff der anderen ermöglich hatten, dass er die anderen komplett aus den Augen verloren hatte. Mewtwo hatte Nerina gepackt und schien eine Teufelei im Sinne zu haben. Mit einem lauten Schrei stürzte Texomon nach vorn und erreichte Nerina just in dem Augenblick, als auch ihr Amulett in grellen Flammen aufging und Mewtwo sie zu Boden fallen ließ. Texomon versuchte, seine Trainerin zu fangen, doch wurde er von der Wucht von Nerinas Körper übermannt und beide fielen in einem Knäuel aus Armen und Beinen zu Boden. Doch es war zu spät. Nerinas Brosche war zerstört und damit Texomons einzige Möglichkeit für die Evotation. Neru sah, wie Texomons Augen gefährlich aufblitzten und wusste, dass er zu gerne seinen Schattenschild in Mewtwos Gesicht geknallt hätte, doch das Psychopokemon attackierte ihn nicht weiter, sodass auch dieser letzte Trumpf nutzlos blieb. Besorgt sah Neru zu Nerina hinüber. Er wäre seiner Schwester am liebsten zu Hilfe geeilt, doch auch Psiana lag noch wie tot auf seinen Beinen und Nerina begann sich schon wieder aufzurappeln. Machtlos mussten sie und Texomon zusehen, wie die beiden verbliebenen Iramon von den anderen Brutalos in die Mitte genommen und langsam und zermürbend geschlagen wurden. Kramurx hatte noch einmal seine große Stunde und schaffte es in einem Wirbel aus Attacken und mit der Hilfe von Nidoking, das gigantische, dinosaurierartige Despotar zu verwirren und schlussendlich in einer Fintenattacke zu schlagen. "Das ist nicht fair!", schrie Ella, als ihr Panzaeron, das in einem Wirbelsturm gefangen war, von mehreren Attacken gleichzeitig getroffen wurde, sich in Taubsi zurückverwandelte und langsam zu Boden sank. Ellas Taubsi hatte einen heroischen Kampf geleistet und die Kraft aller fliegender Pokemon auf sich gezogen. Für einen Moment schien es sogar so auszusehen, als würde sie sich gegen die vereinte Macht von Ibitak, Glurak und Dragoran durchsetzen. Doch der Sieg über Despotar hatte sie dann doch zu sehr geschwächt. Sipho schien den Tränen nahe zu sein. Eine Geisterattacke hatte Raichu für einen kurzen Moment die Orientierung verlieren lassen und so rannte es planlos in ein Relaxo hinein, das sich einfach auf ihn drauffallen ließ und somit das Ende ihres Kampfes besiegelte. Nidoran hatte zwar noch geistesgegenwärtig seine Grundform angenommen, doch es war zu spät. Der Körper des Relaxo war zu groß und zu unbeweglich. Mit einem gellenden Schrei hoben nun auch Ella und Sipho vom Boden ab. Mewtwo streckte seine Hand aus und allein seine Geisteskraft hielt die beiden hoch oben in der Luft. "Schwächlinge", erklärte er abfällig, während seine Augen blau aufglühten und zuerst Ellas und dann Siphos Amulett in Flammen aufgingen. "Eure Iramon wurden besiegt", erklärte er mit feierlicher Stimme, "Die Amulette wurden zerstört, somit sind sie auch nicht mehr in der Lage zu evotieren. Gesteht euch eure Niederlage ein." Die anderen Pokemon, die noch in der Lage war, zu laufen, stellten sich in einer Reihe hinter ihm auf und die Demonstration von Macht war erschlagend. Das durfte nicht sein, das konnte nicht sein! Neru fühlte sich schwach. Vor ihm begann der Körper von Psiana wieder leicht zu zucken, doch selbst wenn sie ihr Bewusstsein wiedererlangen würde, der Kampf war vorbei und eine zweite Chance würde es in diesem Falle nicht geben. Neru spürte, wie ihm Tränen über das Gesicht rannen. Ella schien einfach nur verzweifelt zu sein, während Sipho nur geschockt und perplex in der Arena herumstand. Nerina schien sich wieder erholt zu haben, doch auch das konnte das Unausweichliche nicht länger hinauszögern. Mewtwo schwebte schaurig über dem Staub, der über dem Arenaboden umherwaberte. "Nicht alle sind besiegt!", erklärte plötzlich eine feste Stimme und neben Nerina erhob sich ein blauer Schemen. Mewtwos Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze von Verachtung und Hohn. "Du?", fragte er abfällig, "Welche Chancen glaubst du denn, gegen mich zu haben?" "Mehr, als du denkst!", fauchte Texomon und trat entschlossen zum Mitte der Arena, "Ich mag nicht mehr evotieren können, aber auch dieser Körper ist gut genug! Da!" Mit einem Aufschrei riss er die Arme hoch und schoss eine Hydropumpe auf Mewtwo ab, doch das Psychopokemon schnippte nur seufzend mit den Fingern und im nächsten Augenblick flammte ein blauer Schild vor seiner Brust auf, der die Hydropumpe wirkungslos verpuffen ließ. "Das ist dein Ende", verkündete Mewtwo kühl und zielte mit seinem Psystrahl auf Texomon, der sich jedoch geistesgegenwärtig in tintenblaues Licht hüllte. 'Der Schattenschild!', flüsterte Psiana in Nerus Gedanken und dieser nickte. Aus dem Tritt gebracht prallte Mewtwo rückwärts, was Texomon sofort zum Anlass nahm, ihm einen Doppelkick auf den Brustpanzer zu schmettern, der Mewtwo allerdings nur zum Schmunzeln brachte. "Trotzdem vergebens", sagte er kühl. Texomon fauchte erbost. "Warum?", gab er patzig zurück, "Ich kann alle Psychoattacken blocken und die sind alles, was du kannst!" "So?", fragte Mewtwo gefährlich ruhig, "Kannst du denn auch Steine blocken?" Damit löste sich mit einem markerschütternden Grollen ein Hagel schwerer Steine aus dem Dach der Arena und prasselte schwer auf den überrascht aufschreienden Texomon hernieder. Als der Staub sich gelegt hatte, war Texomon verschwunden. Neru spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Offenbar musste einer der Steine Texomon nun doch noch K.O. geschlagen haben. Mewtwo schwebte stumm über dem Berg im hellen Schein des vollen Mondes, dessen Licht sich durch das neue Loch im Dach ungehindert über die Szenerie ergoss, wie flüssiges Silber. Er öffnete gerade den Mund, um seinen Sieg zu verkünden, da begann der Berg, zögerlich zu wackeln und einen Augenblick später kämpfte Texomon sich müde und zerschunden ins Freie, um breitbeinig vor ihm Aufstellung zu nehmen. "Noch bin ich nicht geschlagen, Mewtwo!", grollte er. Silbernes Mondlicht perlte auf seinen Schuppen und stolz reckte er das Kinn vor. "Er ist und bleibt ein Drache!", murmelte Psiana, "Unglaublich stark und gibt niemals auf!" Im nächsten Augenblick lief ein Raunen durch die Menge. Das Licht des Mondes schien sich zu verdicken und Texomon wurde komplett von ihm erfasst. Für einige Herzschläge schien er in einer Wolke aus weißem Licht gefangen, dann geschah ein Wunder... Mit einem Aufschrei, der durch die Äonen zu gehen schien, verwandelte Texomon sich ein letztes Mal, streckte sich in die Länge und Flügel sprossen aus seinen Schultern. Wenig später schüttelte Glutaro das gleißende Mondlicht wie lästigen Staub von seinem Körper und richtete sich auf die Hinterbeine auf. Riesig und gigantisch erhob sich das mächtige Drachenpokemon in der Arena und ließ die viel kleineren Dragoran wie nicht beachtenswertes Spielzeug erscheinen. Ein lautes Brüllen hob an und Mewtwo lachte auf. "Na schön", grollte er, "Dann bist du eben nochmal evotiert! Aber auch das wird dir nichts nützen!" Das Heer der Pokemon setzte sich langsam in Bewegung. Doch Glutaro richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Hals wiegte sich prüfend von der einen auf die andere Seite, dann legte er seinen Kopf nach vorne, streckte seine imposanten Flügel und seinen langen Körper komplett durch und ein Brüllen, als wollten einem jeden Menschen in der Arena die Trommelfelle platzen, hob an. Das Heer der Pokemon geriet ins Stocken und Risse zeigten sich im Arenaboden. Das leichteste der Pokemon flog, wie ein kleiner Ball quer durch die Arena und prallte heftig gegen die Tribüne, wo es geschlagen zusammenbrach. Das Brüllen hielt an und auch die anderen wurden vom Schicksal ihres leichteren Kollegen ereilt und flogen rückwärts gegen die Wand. Nur Mewtwo, der wieder seinen Schild aus reiner Energie um sich herum gelegt hatte, war in der Lage, der brutalen Attacke zu entgehen. Seine Augen glühten auf. "Ein würdiger Gegner", hallte es in der ganzen Arena wieder und die beiden Giganten begannen, sich vorsichtig zu umkreisen. Es ist wie bei Snobilikat und Evoli, schoss es Neru durch den Kopf, nur eine ganze Liga härter. So, als wären sie nur ein Geist in zwei verschiedenen Körpern hielten beide Kontrahenten Inne und aus Glutaros Schlund entstieg eine gigantische, blaue Flammensäule, die die ganze Arena zu erfüllen schien. Neru wurde von dem grellen Licht geblendet und musste die Augen schließen. Ein schreckliches Brüllen war zu hören und als die Zuschauer so wie auch Neru die Augen wieder aufrissen, war sowohl von Mewtwo als auch von dem Psystrahl, den er dem riesigen, blausilbernen Drachen entgegen geschleudert hatte, nichts mehr übrig und auch Glutaro war verschwunden. An seiner statt stand Texomon allein auf dem Trümmerhaufen aus geborstenem Stein. Das einziges noch kampffähige Pokemon in der Arena hob müde die Hände zum Sieg. "Wir haben es geschafft!", rief er müde in die ehrfürchtig schweigende Welt hinaus, dann brach er zusammen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück