Ein schwerer Tag für Kai
Zwölftes Kapitel
-Ein schwerer Tag für Kai-
Kai war es nicht entgangen, dass Rei sich seltsam verhielt und beobachtete
ihn, wie er den Brief öffnete und die wenigen Zeilen dort las.
"Ich soll in den Himmel zurück."
Kai beobachtete Rei, wie er die Anordnung in den Umschlag zurücklegte und ihn
unter sein Shirt versteckte. Er sah nicht gerade so aus, als ob er sich darüber
freuen würde, wieder nach Hause zu kommen, aber es sollte den Grauhaarigen
nicht weiter interessieren. Es sollte ihn eigentlich nicht weiter kümmern.
"Tja, es müssten schon mindestens drei Monate vergangen sein, seit ich für
diese Mission aufgebrochen bin. Ich denke, ich werde meine freie Zeit Zuhause
verbringen." Der Engel wollte sich gerade auf den Weg machen, wenn Kai ihm diesen nicht versperrt hätte.
"Geh mir aus dem Weg. Gott möchte mit mir sprechen.", lächelte Rei und wollte an dem anderen vorbei, doch dieser blieb hartnäckig.
"Du scheinst nicht wirklich davon begeistert zu sein, dich mit ihm zu treffen." Okay, Rei war kein guter Schauspieler, aber musste Kai unbedingt so offen sein?
Der Chinese sah ihn verblüfft an, war sich nicht sicher, was er sagen sollte,
bis die beiden eine ziemlich nervige laute Stimme vernahmen, die sich ihnen mehr
und mehr näherte:
"Reiii! Wo biiiist duuuu?!?"
'Oh nein! Das ist Mariah!' Rei drehte sich nach links und nach rechts, doch es gab keinen Ausweg außer jener, der aus dem Stadium rausführte und Kai gerade blockierte, und den anderen, auf dem das pinkhaarige Mädchen in weniger als einer Minute auf sie zukommen würde. Was glaubt ihr, welchen Weg er jetzt
wählen würde?
Als er Kai zur Seite schob, rannte er auf das Licht am Ende des Ganges zu,
nahm die Fußschritte hinter sich nicht wahr.
"REIII! Wohin läufst du weg?!", erklang Mariahs Stimme erneut.
'Nein! Sie kommt näher!' So schnell wie möglich erreichte er den Ausgang und bog um die Ecke, während er sich auf eine Beschwörung konzentrierte, die er leise vor sich hinmurmelte, um die Erde zu verlassen. Ein weißer Dunst erschien und umhüllte ihn oder besser gesagt, er rannte direkt hinein. Bald würde er wieder an dem Ort sein, was er auch Heimat nannte.
Plötzlich ergriff jemand sein immer noch vorhandenes Handgelenk und ließ ihn
erschrocken herumwirbeln, sah Kai mit seinem emotionslosen Gesicht und diesen
harten Blick in seinen karmesinroten Augen.
"Was!"
Mehr konnte er nicht mehr verlauten, weil er schon vollkommen in diesem Nebel verschwunden war und unfreiwillig seinen Captain mit hineinriss.
Als beide Bladebreakers sich buchstäblich in der Luft auflösten, erschien
Mariah am Ausgang und war zu sehr verwirrt, Rei nicht mehr in ihrem Blickfeld zu
haben.
"Wo sind Rei und dieser widerwärtige Kerl, der ihm nachlief?!"
Tja, das würden wir auch gerne wissen.
~~In der Arena~~
"Und der Sieger ist: MAAAAAX!!!!", gab DJ den Zuschauern kund mit seiner
heiteren Stimme und beglückwünschte unseren blonden Liebling zu seinem Sieg
gegen Emily.
"Ma~~~x!", rief Tyson aufgeregt seinem Freund zu und rannte direkt in seine Arme, um ihn gleich in die Höhe zu schwingen.
"WAI! Tyson! Lass mich runter! Was sollen die Leute bloß denken!!"
"Das ist mir scheißegal! Niemand wird mir jetzt das Glück nehmen, das ich mit dir teile!"
"Tyson... " Max errötete bei Tysons Worten und sah in sein strahlendes Gesicht. "Du bist so leicht, als hättest du Flügel!"
"Ha. Ha. Sehr witzig.", antwortete Max sarkastisch und gab seinem Geliebten eine leichte Kopfnuss, was ihn dazu veranlasste, ihn wieder auf den Boden abzusetzen. "Wollen wir zu deiner Mutter gehen?", fragte der Blauhaarige und deutete auf die gegnerische Mannschaft, tauschte mit Max ein kurzes Näseln. Dieser nickte freudig und zog Tyson an der Hand hinter sich her, während er seiner Mutter glücklich zuwinkte.
~~Irgendwo hoch oben~~
Der weiße Nebel, der die beiden Jungen eingehüllt hatte, lichtete sich wieder
und eröffnete dem Grauhaarigen ein Bild einer völlig anderen Gegend. Mit einem
sehr weichen Boden, wie der Dämon feststellte. Auf wackeligen Beinen stand Kai
auf diesem leicht einsinkenden Untergrund, weswegen er sich immer noch an Rei's
Handgelenk festhalten musste, um nicht peinlicherweise auf die Schnauze zu
fallen. Der Engel dagegen gaffte nur seinen Teamkameraden entgeistert an, Mund offen stehend und Augen so groß wie Teller, und konnte gerade so noch seine Füße
positionieren, um nicht von Kai umgerissen zu werden.
"Wa..wawa.was tust du HIER?!?"
Es war für Rei vollkommen unverständlich, wieso Kai plötzlich seine Hand ergriffen hatte und einfach so mitgegangen war! Er hatte geplant, allein
nach Hause zurückzukehren und nicht, dass ausgerechnet ER ihn auf seiner
kurzen Rei'se begleitete.
Ein Dämon, im Himmel! So was hat es bestimmt noch nie gegeben! Die Befürchtung
war nahe, fürchterlichen Ärger zu bekommen, wenn seine Mitengel erfahren würden, dass er einen Dämon mit in ihr Reich geschleppt hatte. Zwar war es nichts Ungewöhnliches, hin und wieder einen Höllenbewohner anzutreffen, da jene oft aus geschäftlichen Gründen bei ihnen zugegen waren, jedoch aber nie einfach so aus Spaß. Und bei Kai konnte man das gleich ansehen.
Rei fasste sich an die Stirn und wusste nicht recht, was er nun tun sollte.
Währenddessen hatte Kai es geschafft, sich endlich an die Oberfläche zu
gewöhnen, wobei es sich herausstellte, dass es einfache weiße Wolken waren,
worauf sie standen. Kein Wunder, dass er sich unsicher fühlte, darauf Halt zu
finden geschweige denn zu gehen. Doch es war noch lange kein Grund, Rei's Hand
noch länger festzuhalten.
"KAI!! Bist du noch ganz bei Trost?!?! Was hat dich dazu geritten, dich mir nichts dir nichts an mich dranzuhängen?!"
Doch Rei bekam nichts als einen finsteren Blick als Antwort vom Russen und er
schreckte zurück. Er verstand die Welt nicht mehr! Er verstand diesen Jungen
überhaupt nicht mehr! Als hätte er es je zuvor getan...
"Meister?" Rei drehte sich um und erblickte einen hochgewachsenen schlanken
Mann, Haare so weiß wie Schnee, die ihm über die Schultern gingen, und ein
Gesicht, das anscheinend stets besorgt um einen war. Hier war es um Rei.
"Jun, wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich nicht mit 'Meister' anreden
sollst!"
"Aber Meister! Ich wurde Ihnen nun mal zugeteilt und soll Sie in allem
unterstützen!"
"Ach Jun..."
Kai beobachtete die beiden und konnte sich denken, dass dieser Mann niemand
anderes war als dieser kleine Bote, der Rei diese Mitteilung übersandt hatte.
Während Rei versuchte, seinem 'Diener' klarzumachen, dass er sein Freund war und nicht sein Untergebener, versuchte Kai sich auf diesem schwammigen Boden zu bewegen, auch wenn das ziemlich unbeholfen aussah. Als er langsam Gefühl dafür bekam, sah er sich genauer um. Überall war nur diese weiße Landschaft zu sehen, aus der Torbögen und wenige vereinzelten Häuser wie Blumen aus dem Boden heraussprossen. Es fehlte dem Ganzen nur Farbe...
'Was ist das?', fragte er sich, als er ein Feld wenige Meter vor sich fand, was
seine Meinung unverzüglich änderte. Ein mittelgroßes rosafarbenes Quadrat war wie eingestanzt im Boden vorzufinden, mitten in diesem weißen Meer. Als er sich dem näherte und direkt davor stand...:
'Das ist ja ekelhaft. Der reinste Augentod.'
Man konnte wohl sagen, dass das nicht gerade seine Lieblingsfarbe gewesen war.
Gerade wollte Kai weitergehen, als er die Stimme von Rei hinter sich hörte.
"Nicht, Kai!!! Keinen Schritt weiter!" Doch der Russe hörte nicht auf ihn und betrat diese ungewöhnliche Fläche. Ts, als ob er sich etwas sagen ließ.
Auf einmal ging ein Kribbeln über seinen Rücken, veranlasste ihn, stehen zu
bleiben, und ohne dass er es wollte, tauchten seine Flügel im Stand-by-Modus
auf. Doch etwas war anders an ihnen.
"So! Das hast du nun davon, wenn du dich stur stellst und nicht auf mich hören
willst!"
"Was zur Hölle...!" Da blieb Kai die Spucke weg.
Denn es war nicht schwer zu erkennen, dass Kais normalerweise schwarze Flügel
plötzlich in dem allertuffigsten Rosa erstrahlten, dass das schon in den Augen weh tat.
"Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber diese Farbe wirst du bis zum
nächsten Farbenfeld behalten." Auf einmal wurde der Chinese ziemlich grob
am Kragen gepackt und etwas in die Höhe gehoben, so dass es ihm ein wenig die Luft abschnürte und seine Füße gerade so den Boden berührten.
"Mach. Das. Weg.", zischte Kai mit leiser drohender Stimme und näherte sich Rei's Gesicht. Der Engel wand sich in Kais Griff, legte seine Hände um die des anderen und versuchte sie von sich zu lösen.
"Ich..*hust* ich kann nicht. Das ist eins von Gottes Werken zur Belustigung der Neulinge. LASS MICH LOS!"
"MEISTE~~R!!!" Jun kam zur Hilfe angelaufen, als er sah, was Kai gerade mit seinem kleineren Herrn anstellte, und riss ihn aus den Klauen des Dämons weg.
"Wagt es ja nicht, meinen Meister noch einmal anzurühren!"
"Jun, hör auf!" Rei ließ eine Hand an seinen Hals wandern, so fest war das schon gewesen.
"Aber Meister!"
"Und hör endlich auf, mich 'Meister' zu nennen!" Rei schaute wieder auf Kais pinke Flügel und konnte sich schwer das Lachen verkneifen. Es sah echt zu komisch aus! Auch wenn Kai ziemlich überreagiert hatte...
"Jun, bevor ich zu unserem Herrn gehe, werde ich zuerst noch bei mir zu Hause
vorbeischauen. Bitte teile das dem Herrn mit."
"Ja, mein..."
"Ju~~~n...!!"
"Ähm, ja, Rei-san."
"Na ja, besser als vorher. Ach ja, und flieg bitte zu Max runter und sag ihm Bescheid, dass ich hier oben bin und fürs erste auch hier verweile." Jun nickte mit einem unterwürfigen Lächeln und einer dazugehörigen Verbeugung und wandte sich von den beiden ab.
"Und du, Kai, wirst mit mir kommen. Ich kann dich ja schlecht hier im Himmel
allein rumlaufen lassen."
Und so machten sich der Chinese und seine unfreiwillige Begleitung auf den Weg,
vorbei an Wolkenhäusern und dekorativen Torbögen; und gaaanz weit weg von dem rosa Quadrat.
Wie sie so nebeneinander hergingen, konnte Kai seinen Kopf nicht vom Engel
abwenden. Er machte sich immer noch Gedanken darum, was Rei's Seele so aufwühlen
ließ, denn er spürte diesen Sturm von Zeit zu Zeit, der von ihm ausging. Wie
Rei ausgesehen hatte, als er den Brief öffnete und ihn stumm las...
"Hm, ist was?"
Der Russe drehte seinen Kopf von Rei weg und zeigte sich desinteressiert, wenn
ihn doch nicht ein Gedanke noch in den Sinn gekommen wäre...
'Moment...'
"Wie komme ich eigentlich wieder zu meinen schwarzen Flügeln?!"
Rei, der bis jetzt immer still neben Kai lief und sich immer noch über seine
Flügel amüsierte, sah ihn auf einmal sehr erstaunt an.
"Oh oh..." Das hieß nichts Gutes für Kai.
"Was heißt 'oh oh', Kon? Raus mit der Sprache!"
"Ähm, na ja, ich habe das nie so richtig bedacht."
"Was hast du nicht bedacht?" Langsam sank Kais Stimmung wieder und er blieb mitten auf dem Weg stehen.
"Es..es ist so, Kai...", Rei kam fürchterlich ins Stottern, "Ich..ich habe bis
jetzt noch nie..ähm..schwarze Wolken hier gesehen."
"WIE BITTE?!" Rei zuckte bei Kais Ausbruch zusammen und trat etwas zurück, während Kais Flügel in ihrem schreienden Pink auf den Jüngeren herabsahen und die Wut des anderen unterstrichen.
"Sa..sagen wir so. Schwarze Wolken sind in der Gegend sehr selten."
'Beten wir zu Gott, dass sich das nicht bewahrheitet.'
"Das will ich auch für dich hoffen, Kon.", fügte Kai noch drohend hinzu und
ging weiter. Rei dagegen trottete eingeschüchtert hinterher und hielt Ausschau
nach einer noch so kleinen dunklen Wolke. Er hatte schon beinahe die Hoffnung
und somit sein Dasein aufgegeben, wenn auf einmal etwas in seine Augen stach.
"DA! Dort drüben Kai!"
'Danke, lieber Gott! Ich darf noch einen Tag weiter leben...'
Sofort ging Kai darauf zu, betrat sie und sah über seine Schulter auf seine
kleinen Flügel, die endlich wieder ihre alte Farbe besaßen.
"Und keine Sorge, sie werden jetzt nicht weiß, wenn du dich auf normalen Boden begibst.", gab Rei noch zur Information und deutete Kai auf ein Haus, das nicht allzu weit von den beiden entfernt war.
"Da wohne ich!"
"Hn."
Dort angelangt, öffnete Rei die Tür und rief:
"Ich bin wieder zu Hause!" Doch keiner antwortete und niemand war zu sehen, der
ihn zurückgrüßte. Rei betrat sein Haus und verschwand erstmal in eins der
anliegenden Zimmer, während Kai sich weiter in dieser kleinen Behausung aus
einfachen weißen Wolken umsah. Es war eingerichtet wie in einer normalen
Wohnung, ausgestattet mit einem Sofa und zwei Sesseln, einem Tisch und einem
großen Schrank, der sich über die ganze Wand ausbreitete. Ansonsten war nichts
zu sehen wie Bilder oder Blumenvasen. Eigentlich selbstverständlich, wenn Rei
doch stets auswärts war und 'arbeitete'.
Doch Kai entdeckte auf dem Tisch einen kleinen Bilderrahmen und näherte sich
dem. Darauf sah er zwei Personen abgebildet, vermutlich Rei's Eltern, beide
glücklich und sorglos aussehend. Wieso war Rei aber nicht auf dem Bild?
"Wahrscheinlich ein Bild vor seiner Geburt.", murmelte Kai vor sich hin.
Plötzlich wurde er auf ein Geräusch aufmerksam, was sich als das Öffnen einer
Tür identifizierte.
Heraus trat Rei in einer weißen Robe mit grauem Saum und chinesischen
Ornamenten bestickt, passend zum ärmellosen Bolero dadrüber. Unter der Robe
trug er eine weiße weite Hose, die an eine Kampfsporthose erinnerte. Nur seine
Schläppchen blieben gleich mit der Ausnahme, dass sie weiß waren.
Kai musterte den Chinesen von oben bis unten und konnte sich irgendwie nicht
sattsehen. Diese Kleiderkombi passte zu ihm wie angegossen, er sah wirklich gut
darin aus.
"Dir gefällt wohl mein Aufzug.", meinte Rei freundlich und lächelte Kai an. Dieser löste seinen Blick von ihm und ließ seine Arme vor seiner Brust verschränken. Daraufhin musste unser Engel leise kichern und forderte Kai auf, ihn weiter zu Gott zu begleiten, bei dem er eine Audienz hatte.
Im Palast angekommen, bat Rei Kai, auf dem Gang übern Hof auf ihn zu warten,
was der Phönix ohne Murren auch tat. Hinter einem großen weißen Tor verschwand der Dunkelhaarige und ließ Kai für eine kurze Weile allein.
~~Im Saal Gottes~~
"Ah, Rei! Ich habe dich erwartet!"
"Ihr habt mich gerufen, Herr?"
"Ja, denn ich möchte dich endlich bezüglich deiner Mission aufklären." Rei merkte sofort den Ernst in der Stimme seines Herrn und fühlte die Anspannung in seinen Schultern. Unbewusst hielt er den Atem an und wartete auf die Antwort seiner ihm brennenden Frage, seit er vernommen hatte, was auf ihn am Ende seines Auftrages blühte.
"Nun hör mir gut zu, Rei, denn dein gesuchter Schützling ist..."
~~Außerhalb der Gemäuer~~
Draußen vor der Tür stand Kai und sah sich auf dem Hof genauer um. Es hatte
ihn sowie so schon stutzig gemacht, warum sie bis jetzt niemanden außer Jun
begegnet waren, und er fragte sich, wo sie alle abgeblieben sein konnten. Und
als hätten sie seine Gedanken gelesen, kamen sie urplötzlich in Scharen aus dem Palast und aus jeder Ecke auf den Hof, um sich dort die Beine vertreten zu können und mit Freunden über die neuesten Neuigkeiten zu quatschen. Im Grunde genommen kein bisschen anders als das Volk der Unterwelt. Unerwartet öffnete sich das riesige Tor hinter ihm wieder und heraus trat ein recht fröhlich aussehender Rei.
Zumindest sah es so aus, denn Kai wusste, dass Rei nicht besonders gut war, was
das Verbergen von Gefühlen anging. Doch etwas hatte sich im Inneren des Engels
verändert. Er wusste zwar nicht, was den Chinesen immer noch so erschütterte,
aber er spürte, dass ihm die Angst vor der Sache genommen worden war.
"Gehen wir, Kai. Ich möchte einen alten Freund noch besuchen." Was blieb dem Russen übrig, als sich Rei anzuschließen und ihm zu folgen, ignorierte die
Blicke der anderen Engel, die ihn wohl wegen seiner 'bunten' Kleidung anstarrten. Doch dies vergaß sich, sobald sie Rei erblickt hatten und ihn herzlichst grüßten. Anscheinend war er sehr bekannt und sehr beliebt unter seinen Leuten.
Freundlich winkte Rei zurück, empfing mehrere Umarmungen und erhielt viele
Küsschen von jüngeren Engeln auf die Wange, sehr zum unbemerkten Leid des
Grauhaarigen. Doch dieser erwähnte nichts und blieb stets auf den Fersen des
anderen.
Nach einer Weile stillen Schweigens erreichten beide einen wandlosen Torbogen, durch den sie eintraten und vor einem unsichtbaren Rand stehen blieben.
An ihren Füßen runter lagen ein halbes Dutzend weißer Skulpturen, gebettet in
nestähnlichen Büschen. Sie erinnerten einen an...
"Eier?" Der Phönix kniete sich vor eines, hatte einen kurzen misstrauischen
Blick darauf geworfen und klopfte zweimal dagegen, während Rei neben ihn trat.
"Nein, Miniraumschiffe für Anfänger, weißt du." Der Tiger konnte seinen
Zynismus nicht zurückhalten.
"Natürlich sind das Eier! Besser gesagt Engelseier." Er drohte Kai mit dem Zeigefinger.
"Fass sie nicht an."
Somit ließ er den anderen für einen Smalltalk mit dem Wächter zurück, ein Mann mit Haar wie Ebenholz und einer kleinen runden Brille auf seiner Nase.
"Oh! Rei! Lange nicht gesehen!" Neugierig sah er ihm über die Schulter.
"Und wer ist dein Freund da drüben!"
Erstaunen brach über Rei's Gesicht bei dem Wort 'Freund' und er bekam ein flaues
Gefühl im Magen.
"Ähm... er ist einer von meinen Teamkameraden auf der Erde."
Dass er ein Dämon war, ließ er aus. Na ja, seine Kleidung verlieh ihm aber
auch nicht gerade eine engelhafte Erscheinung. Nur jetzt war es irrelevant. Er
konnte fürs erste gut darauf verzichten, irgendwelche Fragen zu beantworten, da
er auch wusste, dass viele Engel auf Dämonen nicht unbedingt gut zu sprechen
waren. Doch wieso machte Rei diese Frage so... Argh! Egal!
Ein auffallendes Geräusch zog die Aufmerksamkeit beider auf besagt Person.
*~Kais POV~*
'Was mache ich nur hier? Ich sollte im Training sein oder zumindest zu Hause!
Stattdessen bin ich im Territorium meiner Gegner, kniee vor ein paar zukünftigen
Spiegeleiern und... Sorry... nehm's zurück.' Ich tätschelte auf dasselbe von
vorhin, bis ich mich selbst sah, wie ich innehielt.
'Jetzt habe ich voll einen an der Klatsche! Ich streichel ein Ei! Seit wann bin ich so gefühlsduselig?!?'
In diesem Augenblick vernahm ich ein knisterndes Geräusch. Meine Augen wanderten zu dem weißen Objekt, zu welchem ich mal nett war, und sah, wie es mehr und mehr Risse bekam. Starr vor Schreck wich ich zurück, Augen stets darauf gebannt. Ein kleines "Woah!" stahl sich von meinem Lippen. Dieser Anblick überwältigte mich zutiefst.
"Kai!", hörte ich Rei aufgeregt nach mir rufen, während er auf mich zurannte.
"Bedeck deine Augen! SOFORT!" Ich gehorchte seinem Befehl wie aus Reflex. Gleich danach durchflutete ein gewaltiges helles Licht die Gegend und erfüllte die Luft für ein paar Sekunden mit Wärme. Es hüllte mich so atemberaubend ein, dass es bei mir einen Schauer über meinem Rücken verursachte und mir für einen Moment das Gefühl der Schwerelosigkeit gab. Da war er wieder, der Geruch von Rapsblüten,
nur frischer. Aber auch irgendwie anders.
Nach diesem Spektakel verlor ich jegliche Spannung und versuchte, einen Blick
auf das Engelsei zu riskieren. Eine kleine Kreatur saß zwischen den
Eierschalen, meines Erachtens ein Junge, mit kleinen weißen Flügeln auf seinem
Rücken, welcher eine weiße ärmellose Robe trug. Sofort wandelte sich mein Schock
in mein übliches kaltes Benehmen, wollte keine Schwächen darlegen.
*~Normal POV~*
Endlich erreichte Rei Kai und besah sich den Neugeborenen.
"Wow! Ich habe noch nie so ein grelles Licht bei der Geburt gesehen!", stellte er erstaunt fest. Kai sah zu ihm auf.
Du meinst, das passiert JEDES Mal?!" Er bekam ein Kopfnicken als Antwort. Um sein Desinteresse zu zeigen, kreuzte er seine Arme vor seiner Brust und verhielt sich wie immer verschroben. Im Augenwinkel machte er ein paar Bewegung von diesem Engeljungen aus und im selben Moment wurde er nach hinten geworfen.
"Eh..Hallo?!" Rei konnte seinen Augen nicht trauen. Das Neugeborene... saß auf
der Brust des Dämonen mit einem breiten Grinsen, das sich in seinem Gesicht
auszeichnete! Mit einem "Bruuuuuder" fing es an, Kai heftig zu knuddeln.
Der Geknuddelte hatte es schwer, sich auf seine Ellbogen aufzustützen und warf
einen ziemlich verblüfften Blick auf das recht leichtgewichtige Etwas auf ihm.
'Bruder?!'
"Was zur...?!?", wollte er gerade ihn anfahren, als Rei ihm den Wink gab, sich wieder zu beruhigen. Mit einem fiesen Lächeln amüsierte sich der Tiger bei diesem Anblick: "Tja, ja, ich denke, das war Liebe auf den ersten Blick!"
Er bekam ein Knurren von Kai zu hören, kombiniert mit einem Todesblick. Der
Engel erhob seine Hände zur Beschwichtigung, konnte aber hin und wieder kein
Kichern vermeiden: "Du solltest froh sein, dass er dich nicht 'Papa' gerufen
hat!"
"Hn.", gab der Grauhaarige zurück und wandte seinen Blick zurück auf das an
ihn schmiegende Ding auf ihm. Letztendlich riss er sich abrupt hoch auf seine
Füße, so dass das Neugeborene herunterpurzelte und seinen 'Bruuuuder' mit
einem blanken Ausdruck, der einem Fragezeichen ähnelte, ansah. Doch alles, was der 'kleiner Bruder' bekam, war ein unsanfter Blick auf ihn herab.
Kai wollte nicht anziehend sein, besonders nicht für einen Engel!
'Jetzt kann ich mich von diesem nervtötenden Balg befreien und zur Erde zurückkehren.', dachte er zufrieden; wieder mal ein steinerndes Gesicht aufgesetzt. Er hatte genug von diesem Ort und wollte nur so schnell wie möglich von dort fort.
Seine Todesblicke hatten immer bei den Menschen gewirkt, wenn er keine um sich
haben wollte. Oder sollte ich eher sagen fast immer?
Er hatte das Unerwartete nicht erwartet. Von der einen Sekunde zur anderen
sprang der kleine Strolch auf und haftete sich an ihn wie eine Klette. Ich
denke, bezüglich seiner Todesblicke lag er falsch.
"Du...!", begann Kai zu grollen und wollte dieses Balg von sich ziehen. Er ging ihm wirklich auf die Nerven!
Aber er rührte sich kein Stück. Stattdessen klammerte er sich immer mehr an
ihm fest, als wäre er seine Rettungsleine.
Mit einem Seufzen gab der Russe auf.
Dieses Verhalten überraschte Rei sehr, weil so was noch nie in deren Engelära
zuvor passiert war. Und warum ausgerechnet ER? Warum hatte das Schicksal
ausgerechnet Kai ausgewählt?! Er konnte nur seinen Kopf verständnislos
schütteln.
Es dauerte etwas, als der Wächter sie erreichte. Er beeilte sich kein Stück,
um diese milde Atmosphäre nicht zu stören. Er grinste von einem Ohr zum
anderen und berührte das Neugeborene leicht an der Schulter.
"Nun, komm mit mir mit. Bist du nicht auf deine Eltern gespannt?" Der Angesprochene sah zögernd zu ihm auf, löste seinen Griff von Kai etwas, hing aber nichtsdestotrotz an ihm wie Klebstoff. Der Wächter nahm sanft eine Hand und führte es auf ein anderes Level dieser wolkigen Ebene.
"Tschüß, Bruder!", winkte es überglücklich zurück.
Kai konnte nur ein leises genervtes "Mistbalg" von sich geben, als er aus
dem ihm eigentlich verbotenen Ort herausging.
"Kai! Warte auf mich!", rief Rei hinter ihm her und verabschiedete sich im
Vorbeilaufen von seinem alten Freund, welcher ihm freundlich zurück winkte und
seine Brille wieder zurechtrückte.
Kai wollte wieder zu Rei's Haus zurückgehen, denn dort konnte er mehr für sich
sein als bei diesen verrückten Engeln. Ts, und einer hatte ihn umarmt.
'Widerlich...'
"Hey Kai! Nun warte doch mal!" Rei holte endlich den Russen ein und ergriff
seinen Arm. Dieser riss ihn wieder grob aus seinen Händen und ging stur weiter.
Er wusste nicht, was mit Kai los war, und lief neben ihm weiter. Wieder
herrschte Stille zwischen beiden Bladebreakers und niemand wollte mit einem
Gespräch anfangen, bis Rei etwas in den Sinn kam, worüber er sich schon
früher Gedanken gemacht hatte, aber es für belanglos hielt.
"Kai?" Der Angesprochene antwortete nicht, sah nicht mal auf. Also sprach der
Chinese weiter.
"Weißt du, als ich damals in die Hölle gegangen bin, um dich zurückzuholen, ist mir im Nachhinein eine Sache aufgefallen." Endlich erhob sich der Kopf des Grauhaarigen und sah Rei kurz mit verstohlenen Augen an. Also hatte er ihn doch etwas neugierig gemacht.
"Nun, es war ja Kaz, der mich bei den Thermalquellen aufgelesen und in dein Haus
geschleppt hatte. Mir ist das Herz stehen geblieben, als ich erfuhr, dass er
bereits schon von meiner wahren Existenz Bescheid wusste." Immer noch sagte der
Phönix nichts.
"Doch wieso konnte er sich nicht an mich erinnern? Wir hatten uns doch eine Woche vorher in der Nacht, wo er dir diese Nachricht überbracht hatte, doch schon getroffen!"
"Er ist schizophren. Das heißt, gewisse Informationen werden zwischen beiden Bewusstseinen ausgetauscht oder auch nicht."
Rei blieb abrupt stehen und stierte Kai wie ein Pferd an.
"WAS?!"
"Außerdem, weil du ihn in der Nacht mit deinem Blut gefüttert hast, konnte er dich auch als Engel identifizieren."
"A..ha."
'Hätt' ja nicht gedacht, dass Kai soviel auf einmal sagen kann.'
"Das habe ich 'gehört'."
Trotz Kais Seitenhieb musste Rei innerlich auflachen. Dann wurde sein Blick weicher und verlor sich auf dem Wolkenboden.
Nach nur kurzer Zeit kamen beide wieder an Rei's Haus an, wo Rei dann eine
Nachricht auf dem Tisch liegen sah, die wahrscheinlich Jun vorbeigebracht hatte.
Als er sich den Umschlag genauer besah, die mit seinem Namen versehen war,
öffnete er ihn und meinte überrascht: "Oh, eine Einladung. Zu Gottes
allwöchentlichen Party! Und du darfst auch mitkommen."
"Hn." Es schien Kai nicht sehr zu kümmern, aber seltsam war es doch für ihn, zu einer Feier der Engel eingeladen worden zu sein.
"Gut! Ich bin ausgehfertig! Und du?"
"Ts."
...
Fortsetzung folgt