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Geschwisterliebe

Geschwisterliebe
von

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Nacht des Schreckens

Ich wünschte Philipp eine gute Nacht und kuschelte mich an ihn heran. Wir hatten uns am Abend vorher ausgesprochen und wieder versöhnt und waren gestern nach langem mal wieder gemeinsam ausgegangen. Den heutigen Tag über musste er arbeiten und so hatte es abends nur für einen Film gereicht. Da wir jedoch beide sehr müde waren, hatten wir beschlossen nicht allzu spät ins Bett zu gehen.

Ich nahm schon bald Philipps leises Schnarchen wahr und obwohl ich zwischenzeitlich gähnen musste, wollten meine Augen nicht zufallen.
 

Ein schriller Ton weckte ich und ich vermutet zuerst, dass es der Wecker war. Ich warf einen Blick auf die Uhr: 3.15 Uhr. Ich realisierte, dass es sich um unsere Klingel halten musste. Es klingelte noch einmal. „Philipp!“ rief ich. Er murrte leise und bewegte sich nicht. „Philipp!“ rief ich nun lauter und rüttelte ihn wach. Er sah mich verschlafen an. „Da ist jemand an der Tür.“, sagte ich. „Hast du mal auf die Uhr geguckt? Es ist mitten in der Nacht!“ Doch ich ließ nicht locker. „Bitte, komm kurz mit.“ Es klingelte schon wieder und dieses mal auch etwas länger. Ich hastete aus dem Bett, Philipp kam hinterher und öffnete die Tür. „Matt!“, rief ich überrascht. „Weißt du wie spät es ist? Es ist mitten in der...“ „Ist Mello bei dir?“ unterbrach Matt mich mitten im Satz. Irritiert schaute ich ihn an. „Nein, ich dachte der wollte gestern Abend wiederkommen.“ „Ist er aber nicht. Verdammt, ich hab ihn angerufen, mehrmals sogar, aber er geht nicht ran. Und sonst ist er auch immer pünktlich.“ Das stimmte. Wenn es etwas gab, worin mein Bruder wirklich gut war, dann war es Pünktlichkeit. „Komm rein.“, sagte ich und hielt die Tür auf. „Ich warte schon seit Stunden auf ihn. Du hast doch die Nummer von Rodd. Ruf ihn an. Bitte!“ Ich hatte Matt selten so besorgt gehört. „Ich kann doch nicht mitten in der Nacht da anrufen.“, erwiderte ich. „Doch, kannst du.“ Ich ging ins Wohnzimmer und kramte den Zettel mit Rodds Telefonnummer heraus. Mello hatte sie mir für den Notfall gegeben, falls er mal nicht per Handy erreichbar sein sollte. Also war das hier genau genommen ein Notfall. Ich wählte und wenig später ging ein Mann ran: „Hmm?“, war alles was er in den Hörer brummte. „Hier ist Julja Keehl. Ich bin die Schwester von Mihael Keehl.“ „Kenn ich nich'. Also Mihael Keehl, der Name is' mir neu.“ „Aber... er arbeitet doch bei Ihnen.“

„Bei mir arbeiten viele.“

„Er ist blond, eher schmächtig und nicht besonders groß.“

„Ach, du meinst Mello.“

„Genau. Wissen Sie wo er zur Zeit ist?“

„Schätzchen, woher soll ich wissen, wo sich irgendwelche kleinen Brüder und meine Mitarbeiter in der Nacht rumtreiben.“ So langsam wurde ich wütend. Warum konnte der Kerl denn keine vernünftigen Antworten geben! „Bitte, ich muss es wissen!“ Ich versuchte es nun auf die flehende Art und Weise. Ich hörte Rodd laut in den Hörer atmen, dann vernahm ich das klicken eines Feuerzeugs. „Na gut Schätzchen. Mello ist mit dem Motorrad nach Sandy Valley gefahren. Er hat dort 'nen Auftrag für mich zu erledigen.“ „Aber was denn für einen Auftrag?“ „Das musst du ihn fragen.“ Mit diesen Worten legte Rodd auf. Ich wandte mich an Matt: „Er ist in Sandy Valley. Das ist nicht so weiß von hier weg.“ Ich wollte gerade meine Jacke anziehen, als Philipp mich festhielt. „Moment mal, ihr wollt mitten in der Nacht dahin fahren?“ Ich drehte mich zu ihm um: „Philipp, Mello hat ein Talent dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen.“ „Dann komme ich mit.“, sagte er. „Nein, wir schaffen das auch alleine.“ Daraufhin zischte Philipp mich leise an: „Ich will nicht, dass du mit dem Kerl nachts alleine irgendwohin fährst. Ich traue ihm nach wie vor alles zu.“ Er warf Matt einen abschätzigen Blick. Dieser schien ihn jedoch gar nicht zu bemerken, weil er verzweifelt in seiner Jackentasche nach Zigaretten suchte. Ich war jetzt nicht in der Stimmung zu diskutieren, denn die Sorge um Mello überwog. „Na schön, dann komm mit.“, antwortete ich patzig.
 

Wir fuhren seit einer knappen halben Stunde durch die Dunkelheit. Philipp und ich saßen vorne und Matt hinten auf der Rückbank. Im Rückspiegel konnte ich beobachten, das Matt nervös auf seiner Unterlippe herumkaute und angestrengt aus dem Fenster nach draußen starrte, als könnte Mellos Gesicht jeden Augenblick an der Scheibe kleben. Im Radio lief ein alter Hit von David Bowie, den ich schon dutzende Male gehört hatte und ich schaltete den Sender um, während ich den Wagen über die verlassene Autobahn lenkte. Philipp war neben mir eingeschlafen. Das aktuelle Lied, war neu und ich hatte es noch nicht gehört, als es plötzlich von den Frühnachrichten unterbrochen wurde. „In Sandy Valley hat sich heute, in den frühen Morgenstunden eine Explosion in der Firma 'Harold's & Co' ereignet. Das Gebäude ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt und es gibt vier Tote, zwei Schwerverletzte und 7 Mitarbeiter die leicht verletzt sind. Die Toten, sowie einer der Verletzten konnten bereits identifiziert werden. Bei dem zweiten handelt es sich um einen jungen Mann zwischen 16 und zwanzig Jahren. Er hat blonde Haare und trägt eine Lederhose, sowie eine Weste aus Leder. Sollten Sie den jungen kennen, oder jemanden auf die Beschreibung zutrifft, dann melden sie sich bitte unter der Nummer...“ Bei dem Bericht hatte Matt aufgehört aus dem Fenster zu starren und war hochgefahren. „Mello“, wisperte er. Dann: „Scheiße man, Jul! Wir müssen dahin und zwar sofort!“ Ich hatte ihn noch nie so außer sich erlebt. „Gib mir mal dein Handy, ich ruf da jetzt an!“, rief er. Wenig später hatte er die Angaben über das Krankenhaus erhalten, in das man Mello gebracht hatte und nach weiteren zwanzig Minuten waren wir auch dort angekommen. Philipp schlief immer noch und das nervte mich tierisch. Wie konnte er schlafen, während ich in größter Sorge um meinen Bruder war? Wie konnte ihn das so kalt lassen? Ich hatte von ihm nie verlangt Mello zu mögen oder gar mit ihm befreundet zu sein. Das einzige, was ich mir wünschte war, dass er ihn endlich akzeptierte und einsah, dass das Leben nicht perfekt war. Aber das war schwer für jemanden, der aus gutem Elternhaus kam. Der bei Menschen aufgewachsen war, die er als 'Familie' bezeichnen konnte. Er hatte das, wonach ich mich immer gesehnt hatte und wonach ich all die Jahre gesucht hatte. Es gab zwar eine Zeit in der auch ich glücklich sein konnte mit dem, was ich hatte, aber es hat immer was gefehlt. „Hey, du musst hier rausfahren!“ Matt holte mich zurück aus meiner Gedankenwelt und ich riss mit Schwung das Steuer herum, dass der Wagen gefährlich quietschte. Ich konzentrierte mich auf jetzt auf die restliche Autofahrt und wenig später standen wir auf dem großen Parkplatz des Krankhauses, in das man Mello gebracht hatte.
 

Wir betraten, nun zu dritt, das große Gebäude und ich erkundigte mich an der Rezeption nach dem Jungen, dessen Beschreibung man im Radio durchgegeben hatte. Anstatt einer Antwort schickte man uns jedoch nur in das Wartezimmer der Notaufnahme.

Ich saß auf einem der harten grünen Stühle und starrte geradeaus. Philipp hielt meiner Hand und strich mit seinem Daumen darüber. Matt saß etwas abseits von uns und konzentrierte sich auf seine PSP, die er mit schnellen Handgriffen bediente. Auch wenn er einen gelangweilten Eindruck machte, wusste ich es doch besser: Im inneren seines Kopfes ratterte es und er war mit seinen Gedanken bei Mello, wenn es denn Mello war, der in diesem Augenblick operiert wurde. Der Himmel wurde schon wieder hell, als ein älterer Mann das Wartezimmer betrat und uns fragte, ob wir zu dem Jungen gehörten, der diese Nacht eingeliefert worden war. Bevor er uns jedoch zu Mello ließ, zeigte er uns ein Foto. Ich schaute mir diese Bild lange an und, ehrlich gesagt, hätte selbst ich Mello nicht erkannt, wenn ich nicht den Rosenkranz um seinen Hals gesehen hätte. Seine blonden Haare waren staubig und vom Blut dunkelrot eingefärbt. In seinem Gesicht konnte ich nicht unterschieden, wo er verletzt war und wo nicht. Die Haut auf dem Gesicht wirkte verbrannt und mit Ruß bedeckt. Mein Blick wanderte weiter bis zu dem schmalen Oberkörper, den man freigelegt hatte, um das volle Ausmaß der Verletzung. Mein Magen meldete sich, als ich mit meinen Augen das aufgerissene Fleisch, sowie die großen und teilweise schon aufgeplatzten Brandblasen betrachtete, aus denen eine helle Flüssigkeit lief. Ich stand auf und wankte durch das Zimmer um eines der großen Fenster zu öffnen. Ich setzte mich wieder hin und der Arzt stellte uns einige Fragen: „Sie wissen also, um wen es sich bei dem Jungen handelt.“

„Ja,“, hauchte ich. Fragend sah mich der Arzt an. „Mihael Keehl, er ist mein Bruder. Ich heiße Julja Keehl.“ „Wie alt ist Ihr Bruder?“ „16.“ „Wann hat er Geburtstag?“ „Am 13. Dezember 1989.“ Der Arzt vor mir setzte an, um eine weitere Frage zu stellen, als Matt plötzlich aufsprang: „Verdammt Sie können mich mal, mit ihren Fragen! Ich will zu Mello! Warum können Sie uns nicht einfach sagen wie es ihm geht?“ „Matt.“ Ich sah Matt flehend an. Ich wollte jetzt nicht noch Ärger mit irgendwem bekommen. In dem Moment schien auch Philipp aufzutauen und seine Worte verwunderten mich: „Wir werden Ihnen alle weiteren Fragen beantworten, aber ich möchte Sie bitten uns, oder zumindest Julja zu ihrem Bruder zu lassen.“ Mit ernstem Blick sah er den Arzt an. Dieser zeigte sich glücklicherweise kompromissbereit und führte mich über einen langen Gang in eines der Krankenzimmer. „Bitte fassen sie den Patienten nicht an und desinfizieren sie sich vorher hier ihre Hände und ziehen Sie den Mundschutz auf. Außerdem darf sich der Patient nicht bewegen, da er zwei gebrochene Rippen hat.“ Ich zog mir den Mundschutz auf und hielt meinen zitternden Hände unter den Spender. Dann betraten wir den Raum.
 

Mir schlug ein Geruch entgegen, sodass ich unwillkürlich würgen musste. Es war eine Mischung aus Schweiß, Rauch, Desinfektionsmittel und Blut.

An einer Wand stand ein Bett und darum war ein grüner Vorhang gezogen, den der Arzt langsam zur Seite schob. „Es wird kein schöner Anblick sein.“ Meine Augen weiteten sich vor Schreck, als ich Mello da liegen sah. Sein Gesicht zur Hälfte einbandagiert, sein Oberkörper vollständig. An seiner Armbeuge hing ein Tropf, der Morphium enthielt. Der Verband nahm an manchen stellen schon einen blassroten Farbton an und es zeichneten sich teilweise gelbe Flecken ab. Das Blut war noch nicht vollständig von Mellos Haaren abgewaschen worden und auch in seinem Gesicht klebten noch Reste, zusammen mit Eiterresten. Der Anblick machte es mir unmöglich, mich zu rühren, aber dennoch brachte ich noch zitternd hervor, dass ich alleine sein wollte. Kaum hatte sich die Tür hinter mir geschlossen, wurden meine Augen feucht und die Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Ich ließ mich in eine Ecke des Raumes fallen und fühlte mich wieder in die Nacht vor drei Jahren zurückversetzt. Die Bilder kamen in mir hoch, zusammen mit dem Bild, wie Mello hier lag. Mello blutüberströmt auf dem Bild. Der Geruch von Rauch. Feuer. Desinfektionsmittel. Der penetrante Geruch der Mischung drang wieder tief in meine Nase und ich spürte wie mir schlecht wurde und mein Magen kurz davor war zu kollabieren. Ich vergrub meine Hände wieder in den Haaren und schaukelte mich vor und zurück. Es wurde nicht besser. Ich sprang auf, lief zur Tür hinaus, riss mir den Mundschutz vom Gesicht und übergab mich mitten auf dem Flur, wo ich heulend zusammenbrach. Während mir schwarz vor Augen wurde, wimmerte ich Mellos Namen vor mich hin...



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