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Deathwish

von

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Ich hörte das Raunen der Menge, als ich meine Hand hob und sie auf einen Teil des Publikums richtete. Ich war mir bewusst, dass dieser Abschnitt der Tribüne nicht weit von der Stelle entfernt war, an der Chichi und Bulma saßen. Einen Moment überlegte ich sogar, genau dorthin zu zielen, doch ich wusste, es wäre keine Lösung – man würde sie mit Hilfe von Shenlong ohnehin wiedererwecken. Und ich konnte es auch nicht, sah schon jetzt Son Gokus Gesicht vor mir und hatte ohnehin Angst davor, wie es sich gleich ändern würde. Wie vielleicht zum ersten Mal richtiger Hass seine Gesichtszüge verzerren würde. Doch mein Entschluss stand fest: Ich würde ihn dazu zwingen, gegen mich zu kämpfen. Und mich endlich dabei umzubringen. Er hätte mich damals nicht verschonen dürfen. Er hätte es Kuririn beenden lassen sollen, oder besser noch selbst. Er hätte mir mindestens die Ehre erweisen können, es selbst zu tun. Mir eigenhändig den Gnadenstoß zu geben. Aber er hatte mich am Leben gelassen. Er hatte Kuririn abgehalten und mich somit gerettet. Endlose Male schon. Und ich selbst hatte ihn auch schon aus der Schusslinie gestoßen – zu oft schon. Ich hasste mich selbst dafür. Und ich hasste diese Gefühle, die mich dazu brachten, es immer wieder zu tun. Mich immer wieder von Neuem und noch stärker zu hassen. Deshalb wollte ich, dass er es endlich beendete. Mein Leid, meine Scham, meinen Selbsthass und mein Selbstmitleid. Ich war es leid, jeden Morgen aufzuwachen und als Erstes an ihn denken zu müssen. An meine Niederlage, an meine Unterlegenheit, an meine Schwäche, an meine erbärmliche Situation. Und an diesen Planeten, den ich noch immer bewohnte – wegen ihm.

Er musste dem ein Ende setzen. Und jetzt war die beste Gelegenheit dafür. Mit dem Zeichen eines Majin auf meiner Stirn musste er glauben, dass ihm keine andere Wahl blieb, als mich zu töten. Er musste glauben, dass er keine Chance hatte, mich davon zu überzeugen, was gut und was böse war. Er musste einfach glauben, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Und so war er gezwungen zu handeln. Um die Menschen zu retten, die ihm am Herzen lagen. Und sich selbst.

Das Raunen schwoll immer weiter an, doch ich hörte nichts als dieses leise Geräusch, das entstand, als Son Goku seinen Mund öffnete und scharf die Luft einsog. Es war, wie ich es erwartet hatte: Meine Drohung wirkte. Er nahm sie ernst. Zum ersten Mal nahm er mich wirklich ernst.

„Vegeta, ich weiß genau, dass du das nicht willst“, versuchte er dennoch das Unmögliche: mich umzustimmen. „Du bist nicht so. Tief in deinem Innern bist du ein guter Mensch, das weiß ich.“

„Du hast doch keine Ahnung, Kakarott!“, schrie ich zurück. „Nicht, wer ich bin. Noch, wie ich bin. Du weißt nichts über mich.“ Über meine widersprüchlichen Gefühle, meine Ängste, meine Fantasien. „Nichts.“

Nach diesen Worten feuerte ich den Energiestrahl ab und ein sadistisches Grinsen durchkreuzte meine Gesichtszüge, als ich das Entsetzen in seinem Blick sah. Es wurde für einen kurzen Moment fast zu einem hoffnungsvollen Ausdruck und schließlich doch zu einer masochistischen Grimasse, als er eine Hand nach mir ausstreckte, um mich davon abzuhalten, das zu tun, was ich bereits getan hatte. Es war zu spät, er wusste das, und genau aus diesem Grund sank seine Hand auch gleich wieder und sein Blick wandte sich der Menschenmenge zu – oder dem, was von ihr und dem Stadion noch übrig war. Eine Sekunde lang starrte er auf die qualmenden Überreste, dann trafen seine Augen wieder auf meine, durchbohrten sie mit ihrer Wut und ihrem Hass.

Es tat weh, doch ich grinste. Ich hatte mein Ziel erreicht. Er erkannte die Gefahr, die von mir ausging. Er würde mich bekämpfen – und er würde mich beseitigen.

Wie erwartet – es verlief praktisch alles nach Plan – bat er mich, dafür den Schauplatz zu wechseln, und ich folgte ihm gerne. Wohin auch immer er mit mir fliegen wollte. Wahrscheinlich in den Tod. In meinen Tod.
 

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Ich starrte auf das M auf seiner Stirn, das dort prangte wie eine Warnung. Und das war es auch, denn so hatte ich sofort gewusst, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Und ich hatte schnell herausgefunden, was das war. Er selbst hatte es mir erklärt, dass Babidi das Böse in seinem Herzen zutage gefördert hatte; alles Gute in ihm war für den Moment vergessen. Wahrscheinlich wusste er gar nichts mehr davon, würde sich nie wieder daran erinnern, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte glauben, dass er dagegen ankämpfen konnte, dass er stark genug war, um sich zu widersetzen. Aber diese Hoffnung war erloschen, nachdem er in die Menschenmenge gefeuert hatte.

Er hatte dabei auch noch fast auf Bulma gezielt, die Mutter seines eigenen Kindes. So wenig er es auch nach außen hin zeigte, für Bulma schien er tatsächlich etwas zu empfinden. Niemals würde er sie absichtlich in Gefahr bringen. Er wusste nicht mehr, was er tat, da war ich mir jetzt sicher. Das Einzige, an das er noch denken konnte, war die Rache an mir. Die Revanche für seine Niederlage gegen mich. Das war wohl der dunkelste Kern, den Babidi noch in ihm finden konnte. Und das war für mich erst recht ein Beweis dafür, wie durch und durch gut Vegeta doch war. Er wollte nicht die Weltherrschaft. Er wollte nicht das ganze Universum beherrschen. Er wollte nicht alles zerstören, was existierte. Er wollte nur eine weitere Chance, mich zu besiegen, um seinen Stolz wiederherzustellen. Das war alles. Das war sein dunkelstes Verlangen. Diesen Wunsch würde ich ihm gerne erfüllen. Ich würde ihn außer Gefecht setzen und hoffen, dass Babidi dadurch sein Interesse an Vegeta verlieren und seinen Fluch von ihm nehmen würde.

Doch schneller als mir lieb war, wurde mir bewusst, wie viel stärker Babidis Magie Vegeta gemacht hatte. Sie verlieh ihm Kräfte, die ich nicht hatte und nicht kannte. Vegetas mir sonst so vertrauter Kampfstil schien mir verändert durch diese Überlegenheit seiner Stärke. Er hatte permanent dieses Lächeln im Gesicht, das mir zeigte, dass er es genoss, sich an der Oberhand zu sehen. Am breitesten wurde dieses Grinsen, als mich ein leuchtender Ring an eine Felswand hinter mir kettete. Erschrocken blickte ich zur Seite zu meinem Handgelenk, um das sich der glühende Halbmond gelegt hatte, der sich mit jeder Sekunde enger zusammenzog, bis er mir das Blut abschnürte. Noch bevor das jedoch passierte, spürte ich – einen nach dem anderen – drei weitere Ringe folgen und meine beiden Fußgelenke und auch noch das andere Handgelenk umklammern. Dann blickte ich zu Vegeta auf, der langsam – den Anblick meiner Hilflosigkeit sichtbar genießend – zu mir herabgeschwebt kam. Er landete mit der Leichtigkeit einer Feder vor mir und trat ganz an mich heran. Ein Mundwinkel zuckte und seine Hand schnellte hervor, doch er schlug nur leicht gegen meine Wange; es war selbst für eine Ohrfeige zu schwach.

„So, jetzt weiß also auch unser Held“, betonte er, „wie es sich anfühlt, unterlegen zu sein.“

„Ich war schon oft unterlegen und habe es nur geschafft, weil ich Freunde hatte, die mir geholfen haben“, erklärte ich ihm ohne Zögern. „Und dich habe ich zu diesen Freunden gezählt, Vegeta.“ Er starrte mich für einen langen Moment an, als war ihm gerade etwas klar geworden. Sein Grinsen war verblasst. Vielleicht zerrten meine Worte an dem Guten in seinem Herzen, zerrten es wieder nach vorne und ließen es den schwarzen Kern verdrängen. „Ich habe dich immer als einen Verbündeten gesehen, Vegeta“, fuhr ich fort, in der Hoffnung, mit Worten tatsächlich etwas bewirken zu können. „Einen starken Verbündeten, ohne den ich keine Chance gehabt hätte gegen Freezer oder gegen Cell. Und für Boo brauche ich auch deine Hilfe. Bitte Vegeta, kämpfe mit mir, nicht gegen mich.“ Etwas in ihm schien ebenfalls gegeneinander zu kämpfen. Vielleicht waren es der schwarze Kern und die weiße Masse.

Plötzlich traf mich eine Faust in den Unterbauch. „Halt’s Maul, Kakarott!“

Als der Schmerz sich verflüchtigte, öffnete ich die Augen wieder, doch ich sah das Sonnenlicht nicht mehr. Etwas tauchte mich in Schatten. Ich begriff erst, was es war, als eine Hand an meinen Haaren zerrte, meinen Kopf nach oben riss und ich Lippen auf den meinen spürte.

Meine weit aufgerissenen Augen sahen verschwommen Vegetas angestrengt geschlossenen, als hätte er Schmerzen bei unserer Berührung. Als wäre sie qualvoller als alle Schläge, die er je hatte einstecken müssen. Als zwang man ihn dazu. Doch weshalb sollte Babidi das tun? Um sich zu versichern, dass er Vegeta vollkommen in seiner Gewalt hatte?

So sehr ich auch geglaubt hatte, dass Vegetas Lippen nicht mehr gewaltsamer gegen meine gepresst werden konnten – er überzeugte mich vom Gegenteil. Noch nie hatte man mich mit einer solchen Wucht geküsst. Die Finger seiner Hand krampften sich so stark um meine Haare, dass es wirklich schmerzte, doch sie waren zugleich auch das einzige Polster, das ich hatte, das meinen Kopf vor den scharfen Kanten des Felsens bewahrte, gegen die mich sein Mund ansonsten gepresst hätte. Und auch der Druck seiner Lippen war zugleich hart und weich. Die Berührung schien so verzweifelt, als wäre es sein letzter Ausweg, seine einzige Überlebenschance, doch seine Lippen waren so zart, dass ich gar nicht verstand, wie ich neben dieser Weichheit zur selben Zeit auch an Härte hatte denken können.

Irgendwann ließ der Druck nach, seine Hände lockerten sich um meine Haarsträhnen und seine Lippen entfernten sich, gaben meine wieder frei. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Ich hatte nur Vegetas heißen Atem an meiner Wange gespürt und wohl erwartet, dass er für uns beide atmete.

Seine Augen waren nun geöffnet, starrten mich an, als wäre ich es gewesen, der ihn unerwartet geküsst hatte. Ich konnte es hinter seiner Stirn arbeiten sehen, sah, wie er selbst versuchte zu begreifen, was eben passiert war. Sein Blick senkte sich allmählich – er hatte längst durch mich hindurch geschaut – und dann entdeckte ich die Veränderung in seinem Gesicht: Das Zeichen Babidis war verschwunden.

Was hatte das zu bedeuten? War das etwa gar nicht Babidis Werk gewesen, sondern das von einem Teil Vegetas? Unwillkürlich fragte ich mich, ob es denn dann der schwarze oder der weiße gewesen wäre. Wollte er mich damit erniedrigen, seine Macht demonstrieren, mir zeigen, dass er alles mit mir tun konnte, was er wollte? Oder wollte er mir seine Zuneigung, seine Freundschaft, seine Zugehörigkeit beweisen? War es sein Plan gewesen, das bisschen Kontrolle, dass er vielleicht durch meine Worte wiedererlangt hatte, zu nutzen, um sich Babidi zu widersetzen? Ich verstand es nicht. Und egal, wie es tatsächlich war, Vegeta schien es ebenso zu gehen. Er starrte noch immer meine Füße an.
 

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„Alles in Ordnung, Vegeta?“, fragte er mich vorsichtig, als fürchtete er, dass ich erneut über ihn herfallen könnte.

Ich hatte es gespürt, wie Babidis Zeichen von meiner Stirn verschwunden war. Ich wusste nur nicht, ob Babidi es von mir genommen hatte oder ob ich es selbst von mir gelöst hatte. Unabsichtlich. Durch das, was ich eben getan hatte. Das, was ich noch immer nicht glauben konnte.

Ich war mir zwar bewusst, dass Son Goku sich nicht einmal hätte wehren können – selbst wenn er gewollt hätte, hätte er mich nicht von sich stoßen können –, ich war mir aber auch ziemlich sicher, dass er das gar nicht versucht hätte. Wenn überhaupt hätte er mich sanft von sich geschoben. Zu allem anderen war er wahrscheinlich überhaupt nicht fähig. Dazu war er viel zu gutmütig, zu selbstlos, zu mitfühlend. Und was auch immer er gerade dachte, Wut oder Hass war längst kein Bestandteil mehr davon. Besorgt sah er mich an. „Vegeta?“, wiederholte er zaghaft, als hätte er Angst, mich zu erschrecken. Ich wusste nicht, ob er es bereits bemerkt hatte, dass das M auf meiner Stirn verschwunden war, doch es spielte auch keine Rolle. Er würde es ebenso wenig verstehen können wie ich, was geschehen war.

„Bist du wieder du selbst?“, fragte er schließlich und beantwortete mir damit immerhin eine meiner tausend Fragen. „Kannst du dich erinnern, was passiert ist?“, stellte er gleich seine nächste Frage und warf dabei noch ein paar mehr auf.

Mein Puls raste. Ich musste etwas tun. Ich konnte nicht länger hier herumstehen und auf den Boden starren. Er erwartete eine Antwort – wahrscheinlich mehrere. Und ich wollte sie ihm nicht geben – keine.

Innerhalb von Sekundenbruchteilen war mein Plan gefasst: Ich würde gegen Boo kämpfen. Und mit etwas Glück oder Ungeschick würde ich dabei mein Leben verlieren, das Son Goku mir nicht nehmen konnte und jetzt auch nicht mehr nehmen würde. Dann müsste ich all seine Fragen nicht mehr beantworten.

„Nein!“, antwortete ich etwas verspätet und schlug gezielt auf seine Körpermitte, auf die Stelle, die ihm Besinnungslosigkeit und mir einen ausreichenden Vorsprung bescheren würde. Ich sah noch die Überraschung in seinen Augen, bevor sie sich schlossen; er war bewusstlos.

Ich ließ eine Hand vorsichtig seinen Kieferknochen entlang fahren und zog sie dann mit etwas Anstrengung zurück. Es gab weder die Zeit noch einen Weg, um sich von ihm zu verabschieden.

„Nein“, wiederholte ich noch einmal leise. „Nichts ist in Ordnung.“
 

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Ich schlug die Augen auf und sah eine öde Felslandschaft. Ich verstand zuerst nicht, wo ich mich befand und was ich hier tat, doch dann spürte ich die Hindernisse an meinen Armen und Beinen, wandte den Kopf zur Seite, zu meinem rechten Handgelenk, und erinnerte mich schlagartig wieder: der Kampf mit Vegeta, seine Fesseln, seine Lippen, sein starrer Blick, das fehlende M auf seiner Stirn – der Schlag seiner Faust, auf den Schwärze folgte.

Ich schaute mich flüchtig um, doch ich wusste es, spürte es, dass er nicht mehr hier war. Er hatte mich einfach hier zurückgelassen – allein, gefesselt, wehrlos. Um was zu tun? Und warum hatte er mich nicht umgebracht, als er die perfekte Gelegenheit dazu gehabt hatte? War das denn nicht sein Ziel gewesen? War es das nicht mehr, seit Babidi sein Zeichen von ihm genommen hatte? Was war dann sein neuer Plan? Ich fühlte in mich hinein und fand seine Aura – am selben Ort wie die Boos.

Er würde doch nicht gegen ihn kämpfen wollen!? Er hatte nicht die geringste Chance – mit oder ohne Babidis zusätzliche Kraft. Ich musste ihm helfen, unbedingt. Ich musste zu ihm, sofort.

Ich leitete all meine Energie aus meiner Körpermitte in meine Glieder und befreite sie alle vier gleichzeitig mit einem Ruck, wandte mich um und schlug einen Felsen nach dem anderen von meinen Gelenken, bis nur noch die Ringe an ihnen zurückblieben wie Brandmale. Dann legte ich zwei Finger an meine Stirn und teleportierte mich nicht weit von Vegetas und Boos Aura.

Als ich ankam und panisch um mich schaute, erblickte ich Vegeta, wie er kaum seine Augen aufhalten konnte – am Ende seiner Kräfte, sein Körper übersät mit Verletzungen – und nicht sah, dass Boo ihn gleich von hinten angreifen würde.

Ohne nachzudenken, schoss ich auf Vegeta zu, griff um seine Hüfte und zog ihn mit mir aus der Schusslinie. Ich hörte Vegeta überrascht nach Luft schnappen – sicherlich hatte er im ersten Moment geglaubt, Boo hätte ihn von der Seite gepackt – und seine Augen suchten von meinen Händen, über meinen Arm hinauf, bis sie mein Gesicht fanden. Dann starrte er mich an. Er schien verblüfft, dass ich hier war, vielleicht am meisten darüber, dass ich es so schnell oder überhaupt geschafft hatte, mich aus seinem Gefängnis zu befreien. Und im nächsten Moment schien er verärgert, das ich ihm geholfen und mich in seinen Kampf eingemischt hatte.

Er stieß mich von sich und ich ließ freiwillig von ihm ab, löste meine Hand von seiner Hüfte, um die sie noch immer locker gelegen hatte, obwohl ich ihn bereits auf dem Boden abgesetzt hatte.

„Bitte“, flehte ich mit rastlosen Augen, die von Verletzung zu Verletzung sprangen und mich automatisch die Schmerzen, die er haben musste, spüren ließen. Am Rücken seiner rechten Hand entdeckte ich feinste Kratzer. Ich glaubte, dass sie Spuren waren, die die scharfen Kanten des Felsens hinter meinem Kopf bei unserem Kuss hinterlassen hatten. „Lass mich gegen ihn kämpfen.“

„Nein!“, brach es aus Vegeta heraus. „Das ist mein Kampf und ich bringe ihn auch zu Ende!“ Er wandte sich um, schien wieder voller Energie und Tatendrang, aber ich hielt ihn am Oberarm zurück.

„Bitte, Vegeta.“ Meine Stimme war flehend, mein Blick ebenso. Die Wut in seinem Gesicht stieg ins Unermessliche, was bei ihm nur eines bedeuten konnte: Ich hatte seinen Stolz verletzt.

Er riss wortlos seinen Arm aus meinem Griff und schoss auf Boo zu, der uns nur verwirrt und neugierig angeschaut hatte, seit der Kampf unterbrochen worden war. „Vegeta!“, rief ich ihm nach und wollte ihn abermals zurückhalten, doch ich hielt mich selbst davon ab. Ich respektierte seinen Stolz. Und ich respektierte seine Entscheidung, weiterkämpfen zu wollen – allerdings nur solange, bis mir endlich klar wurde, dass er versuchte, sich umzubringen.
 

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Ich spürte Son Gokus Augen nur allzu deutlich auf mir. Irgendetwas an dieser Tatsache schien mich von meinem Vorhaben abbringen zu wollen, doch ich kämpfte dagegen an. Ich wollte nicht mein ganzes Leben von ihm bestimmen lassen. Lieber wollte ich es beenden. Und genau das war ich im Begriff zu tun.

Ich attackierte Boo mit neuer Energie, Kraft, die ich nur durch Son Goku und den Frust, den er verursachte, erlangt hatte. Doch egal wie oft ich es auch noch versuchte, keine Schläge, keine Tritte, nichts zeigte Wirkung. Nicht einmal Energiesträhle taten mehr, als meinen Gegner kurzzeitig in Fetzen zu reißen, die sich aber schnell wieder zu einem Ganzen zusammenfügten. Und danach schien er in keinster Weise schwächer als vorher. Im Gegenteil. Er war wütender und dadurch stärker. Jedes Mal, wenn er daraufhin zum Angriff ansetzte, wich ich automatisch zurück und hasste mich dann umso mehr für meine Feigheit.

Voller Wut auf mich selbst, stürzte ich mich jetzt erneut auf Boo, der wie jedes Mal nicht einmal auszuweichen versuchte, aber dieses Mal konterte er sofort, als war er es leid, gegen so einen Schwächling wie mich zu kämpfen. Wahrscheinlich konnte er Son Gokus Aura spüren und freute sich bereits auf einen richtigen Gegner. Mich brauchte er dann nicht mehr.

Er traf mich mit seiner massigen Faust frontal in den Bauch und schleuderte mich fort. Das Letzte, was ich spürte, waren starke Arme, die mich auffingen.
 

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Ich sah widerwillig dabei zu, wie Vegeta erfolglos gegen Boo kämpfte, und ich wusste, dass ich früher oder später einschreiten würde. Seinem Stolz zuliebe würde ich das jedoch nicht tun, bevor er bewusstlos sein und es somit nicht mehr mitbekommen würde. Ich könnte ihm dann später – wenn es denn ein Später für uns alle gab; nach dem, was ich hier beobachten konnte, war Boo ein alles andere als einfacher Gegner – erzählen, dass Boo ihn einfach liegen gelassen und stattdessen mich angegriffen hatte.

Aufmerksam verfolgte ich das Geschehen, ständig bereit einzugreifen und mich schützend vor ihn zu werfen, sollte es notwendig sein. Ich wartete gezielt auf den Augenblick, in dem er das Bewusstsein verlor, und wurde mir immer stärker bewusst, dass ich – wenn es so weiterging wie bisher – nicht so lange würde warten können.

Ich sah zu, wie er einen Treffer nach dem nächsten einstecken musste, wie das Blut aus seinem Mund spritzte und seine Lippen benetzte. Ich erwartete, dass er seine Zunge darüberfahren ließ, wie er es in einer solchen Situation immer tat, doch dieses Mal schien er es gar nicht zu bemerken. Diese Tatsache beunruhigte mich. Und als ich schließlich sah, wie er die Augen schloss, kurz bevor Boo ihn erreicht hatte, da war die Entscheidung gefallen, der Moment endlich gekommen; ich zögerte nicht mehr, schoss los und dennoch musste ich zusehen, wie Boos Angriff Vegeta ungemildert traf, denn er wehrte ihn nicht ab, tat einfach nichts, wartete nur auf sein Ende.

Ich flog in Vegetas Flugbahn, die Boos Angriff für ihn bestimmt hatte, und fing ihn auf, bevor er auf den Felsen aufschlug. Als ich ihn in meinen Armen hielt, spürte ich, dass er bereits bewusstlos war. Sein Körper lehnte schwer gegen meine Brust und hing leblos in meinen Armen. Vorsichtig legte ich ihn ab, wobei mein Blick immer wieder zu Boo herüberging, um mir Gewissheit zu geben, dass er mich nicht angreifen würde, während ich mich um Vegeta kümmerte. Und jedes Mal, wenn ich wieder zu Vegeta hinabschaute, stellte ich erneut fest, wie schwer es gerade war, meinen Blick von seinem Gesicht zu nehmen. Von den nun friedlich geschlossenen Augen, der entspannten Stirn ohne M und ohne Wutfalte, und der leichten Öffnung dieser Lippen, die mich erst vor ein paar Minuten, wie es mir schien, geküsst hatten.

Als Boo etwas sagte, schaute ich auf, erschrocken darüber, dass er nicht weit neben mir stand. Ich hatte es offensichtlich letztlich nicht mehr geschafft, meine Augen von diesen Lippen zu nehmen. Hatte es nicht einmal bemerkt, wie Boo sich genähert hatte.

„Ist er tot?“, fragte Boo mich unerwartet; es wirkte nahezu mitfühlend, als wusste er genau, welchen Schmerz das für mich bedeutet hätte.

Ich überlegt zuerst, ihn anzulügen, sodass er Vegeta vielleicht vergaß und somit verschonen würde. Aber irgendetwas ließ mich trotzdem die Wahrheit sagen: „Nein.“ Vielleicht war es, weil ich es nicht ertragen hätte, diese Worte laut auszusprechen und auch nur so zu tun, als wäre es tatsächlich so. Ich wollte die bloße Vorstellung gar nicht erst aufkommen lassen. „Zum Glück noch nicht.“ Boo schaute lange auf Vegetas regungslosen Körper hinab, als erinnerte er sich an etwas, dann bewegte er sich auf Vegeta zu und ich stellte mich sofort schützend vor ihn, breitete meine Arme aus.

„Nein“, sagte ich bestimmt. „Ich bin dein Gegner, Boo.“ Seine Miene änderte sich schlagartig, zeigte wieder Wut, und ich hob langsam vom Boden ab, wollte sehen, ob er sich so von hier und von Vegeta weglocken ließ. Ich musste mich dabei zwingen, nicht selbst wieder zu Vegeta hinunterzublicken.

Es hätte meinen Tod bedeutet, denn im nächsten Moment griff Boo mich an. Ich versuchte, ihm so gut wie möglich auszuweichen, bis ich meine Gedanken ein wenig sortiert und meinen Plan gefasst hatte. Ich wollte mit Vegeta fusionieren, glaubte, dass das der einzige Weg sein könnte, Boo zu besiegen. Es würde nicht einfach sein, das war mir klar, doch was konnte ich anderes tun, als es zu versuchen?

Ich tat es Vegeta gleich und zerlegte Boo in viele kleine Wolken, die am Himmel zuckten. Dann eilte ich zu Vegeta, der noch immer bewusstlos, in sicherer Entfernung vom Kampfgeschehen – dafür hatte ich gesorgt – hinter einer Felsreihe lag, auf der er schmerzhaft – wenn nicht tödlich – aufgekommen wäre, hätte ich ihn nicht abgefangen. Ich griff schon auf dem Weg zu ihm nach dem Beutel Magischer Bohnen, in dem sich noch eine letzte befand, wie ich mich während dem Kampf zwischen Vegeta und Boo in einem geistesgegenwärtigen Moment versichert hatte. Irgendwie hatte ich zuerst angenommen, dass Vegeta sie mir entwendet haben würde, nachdem er mich K.O. geschlagen hatte, doch das hatte er nicht getan. Diese Tatsache bestätigte mir nur noch, dass er nie ernsthaft geglaubt hatte, Boo besiegen zu können, sondern dass er tatsächlich vorgehabt hatte, sich das Leben zu nehmen und auf seine ehrenwerte Art und Weise im Kampf zu sterben. Eine Verzweiflungstat, die ich einfach nicht nachvollziehen konnte. Und wollte.

Ich legte eine Hand an Vegetas Brust und versuchte, ihn wachzurütteln, doch er reagierte nicht, erwachte nicht aus seiner Bewusstlosigkeit. Ich legte meine andere Hand an seine Wange, übte leichten Druck auf sie aus, beobachtete fasziniert, wie meine Hautfarbe sich von seiner unterschied, und schüttelte dann den Kopf, riss mich selbst aus meinem Tagtraum. Ich nahm dazu automatisch meine Hand zurück und da begannen seine Augenlider zu flattern.

„Vegeta?“, fragte ich leise, um den Prozess zu beschleunigen und seine Aufmerksamkeit zu bekommen; seine Augen öffneten sich, doch fokussierten noch nicht. „Hier, iss“, sagte ich und schob die Magische Bohne zwischen seine weiche Lippen, auf denen das Blut zu einer dünnen aber harten Kruste getrocknet war. Seine Augen fielen wieder zu, doch seine Kieferhälften bewegten sich von selbst und er schluckte unwillkürlich, als ihm die Brocken in den Rachen fielen.

Ich schaute zurück zu Boo, dessen Einzelteile sich wieder zusammenzusetzen begannen. „Komm schon, Vegeta“, drängte ich und tatsächlich setzte in diesem Moment die Wirkung der Magischen Bohne ein. Die Schwellungen und offenen Wunden in seinem Gesicht und an seinen Gliedern gingen zurück und verschwanden schließlich gänzlich. Er atmete erleichtert aus; die Schmerzen mussten aufgehört haben. Und dann schlug er die Augen auf und schaute mich an, fragend, verwirrt. Es vergingen ein paar Sekunden, bevor etwas passierte.

„Es war deine letzte“, war das Erste, was er erstaunt feststellte.

„Ich weiß“, antwortete ich nur und schaute ihn an, wartete auf eine weitere Reaktion. Sie blieb aus. Er starrte mich nur an.

Ich warf einen Blick zu Boo zurück, der wieder vollständig hergestellt war und sich suchend nach uns umsah. Er entdeckte mich auch sofort, blickte jedoch neugierig an mir vorbei zu Vegeta.

Schnell stand ich aus der Hocke auf und hielt ihm meine Hand entgegen, um ihn vom Boden hochzuziehen, doch augenblicklich änderte sich Vegetas Blick, sein Gesicht wurde zu einer Maske aus Zorn. Er sprang auf, schlug meine Hand fort, stieß mich nach hinten und fuhr mich wütend an: „Was soll das, Kakarott?!“ Er kochte vor Wut. „Warum verschwendest du deine letzte Bohne für mich?“

„Das ist keine Verschwendung“, sagte ich ruhig. „Ich will, dass wir versuchen, ihn mit vereinten Kräften zu schlagen. Vielleicht ist das die Lösung. Vielleicht können wir ihn so besiegen.“

Zuerst schaute er mich fassungslos an, dann den unversehrten Boo. „Du siehst doch, dass das alles nichts bringt!“, schrie er mich an und flog an mir vorbei, direkt auf Boo zu.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wusste nicht, wie ich ihn aufhalten sollte. Selbst wenn ich es schaffen würde, ihn festzuhalten, würde ich nur ein leichtes Ziel für unseren Gegner aus uns machen. Damit war ich dazu verdammt, hilflos dabei zuzusehen, wie Vegeta kämpfte, als wäre es sein letzter Kampf. Als gäbe es kein Später. Und ich begriff, dass seine Strategie sich nicht geändert hatte. Für ihn war der Kampf noch immer nicht vorbei – sein Selbstmordversuch noch immer die einzige Lösung. Er zog es nicht einmal in Erwägung, mir zu helfen. Er hatte bereits aufgegeben. Den Kampf. Und sein Leben.

„Vegeta!“, rief ich ihm schließlich nach und folgte ihm. Ich sah die blinde Wut in seinem Blick, die blanke Verzweiflung über allem, überall. Als sein Blick das nächste Mal auf mich traf, bekam ich fast Angst vor ihm. Er schien jetzt zu allem fähig. Wie ein in die Enge getriebenes Tier.

VERSCHWINDE, KAKAROTT!“, schrie er aus vollem Halse – es war seine letzte Warnung. Ich wusste nur nicht, wovor. Dennoch hielt ich unmittelbar inne.

Ich sah zu, wie er Boos Arme packte, sie hinter dessen Rücken zog, um sie dort festzuhalten, und ich ahnte, was er vorhatte, flog auf ihn zu, wollte Boo aus seinem eisernen Griff herausschlagen und ihm so die Möglichkeit nehmen, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, doch als Vegeta zu mir zurückschaute, sein Gesicht von Panik gezeichnet, er die verweifelten Augen fest verschloss und zu schreien begann, wusste ich, dass ich nicht hätte zögern dürfen.

„Nein!“, schrie ich. „Vegeta, NEIN!“ Ich beschleunigte, doch da blendete mich bereits das gleißende Licht der Explosion.

Ich schützte mein Gesicht mit meinen Unterarmen und ließ mich von dem Druck der Energiewelle fortschwemmen. Ließ mich treiben durch das Nichts. Durch den leeren Raum, den Vegeta hinterlassen hatte.
 

~
 

Ich öffnete die Augen, sah nichts als weiße Wolken. Ich war im Jenseits. Es war vorbei. Jetzt gab es nur noch den Weg vor mir bis zum Tor, hinter dem Gut und Böse getrennt wurde. Und ich erwartete nicht, ins Paradies zu kommen.

Ich hatte das Gefühl, die Zeit verging hier langsamer als auf der Erde – als ich noch lebte. Es war eigenartig, aber ich fühlte mich nicht sonderlich verändert, nur leichter. Mein Körper zumindest. Meine Seele war noch immer beschwert durch all meine Erinnerungen, all meine Gedanken an Son Goku. Ein Teil von mir wollte zurück, wollte ihm helfen, doch ein anderer war erleichtert, dass ich endlich erlöst war.

Ich sah sein Gesicht vor mir, als ich ihn anschrie, er solle verschwinden. Er war so schockiert gewesen, nahezu verängstigt. Wenn er näher bei mir gewesen wäre, hätte ich es wahrscheinlich nicht tun können, was ich getan hatte. Ich hätte das Gefühl gehabt, sein Leben in Gefahr zu bringen. Aber er hatte auf mich gehört, hatte innegehalten und mir den Vorsprung gegeben, den ich gebraucht hatte. Dabei konnte ich sein Leben gar nicht mehr aufs Spiel setzen. Er war längst tot. Sieben Jahre hatte ich auf der Erde verbracht – zu feige, mich umzubringen, zu stolz, um auch nur um seinen Tod zu trauern oder irgendjemandem meine Gründe dafür zu offenbaren, weshalb ich das wollte. Weshalb ich überhaupt noch hier auf der Erde war.

Ich hatte gewartet, auf einen Grund, auf eine Chance, etwas Gutes zu tun, das vielleicht meine Schuld begleichen und mich zu ihm ins Paradies bringen würde. Doch ich hatte es nicht geschafft, hatte nichts gefunden, mit dem ich annähernd für meine Sünden hätte bezahlen können. Auch mein kläglicher Versuch, Boo zu vernichten, war eigentlich nur ein egoistischer Schachzug gewesen, um mich selbst zu erlösen. Mit der schwachen Hoffnung, dass diese Aufopferung meine Weste reinwaschen könnte. Aber schon als ich erfahren hatte, dass Son Goku für einen Tag zurück auf die Erde kommen würde, wusste ich eigentlich bereits sicher, dass meine Seele keine Rettung mehr finden würde.

In dem Moment, in dem er wieder vor mir stand, flehte ich ihn an, mit mir zu kämpfen, doch das Turnier war ihm wichtiger, seine Zeit zu wertvoll. Und für ihn gab es keine Rechnung mehr zu begleichen. Für ihn war das Thema „Vegeta“ abgeschlossen. Ich war nichts als ein ehemaliger Gegner für ihn, einer von vielen, von dem keine Gefahr mehr ausging.

Als ich das Ende des Pfades erreicht hatte, erreichte ich auch das Ende einer Warteschlange, die aus körperlosen Seelen bestand, die an kleine Wolken erinnerten, die mich sofort an den Kampf mit Boo zurückdenken ließen. An das Gefühl von Son Gokus Armen, die mich auffingen, bevor alles leicht und schwarz wurde. Der Tod war ähnlich wie Bewusstlosigkeit, nur konnte man weiterhin alles klar und deutlich sehen. Ich schaute auf meine Hände, um mich aufs Neue davon zu überzeugen. Dann blieb ich stehen, schaute wieder zu den Seelen vor mir und zurück zu meinen Händen. Ich fasste mit der einen Hand nach dem anderen Arm und konnte ihn spüren. Mein Körper war da. Ich war nicht einfach nur eine gestaltlose Seele wie all die anderen vor mir. Ich hatte meinen Körper noch. Was hatte das zu bedeuten? Hatte nicht Son Goku erzählt, dass es bei ihm ebenso gewesen war? Dass man ihm erlaubt hatte, seinen Körper zu behalten wegen all seiner Taten für die Erde? Doch was hatte ich schon getan? Im Vergleich zu ihm.

Als ich meinen starren Blick von meinen Händen endlich lösen konnte, war die Schlange vor mir verschwunden, der Eingang seelenleer. Ich trat die letzten Schritte durch das große Tor und fand mich vor einem riesigen Schreibtisch wieder, hinter dem ein noch massigerer gehörnter Oger saß. Er hatte ein Buch aufgeschlagen vor sich liegen und einen Stempel in der Hand. Neben ihm schwebte eine Hexe, die im Kontrast geradezu winzig aussah.

„Das ist er, Enma Daioh“, sagte sie und schaute zu dem Richter der Toten herüber.

„Gut“, antwortete dieser. „Dann nimm ihn eben vorerst mit, Uranai Baba.“

Ich schaute von ihm zu der kleinen Hexe zurück. „Du wirst auf der Erde gebraucht, Vegeta“, waren ihre ernsten Worte, die einige Fragen für mich aufwarfen.

Kämpften Son Goku und Boo denn nicht mehr? Hatte er es etwa nicht geschafft? Aber müsste er dann nicht hier sein? Ich warf unwillkürlich einen Blick über meine Schulter. Doch niemand stand hinter mir. Nur in der Ferne glaubte ich, kleine weiße Wolken über den schmalen Pfad wandern zu sehen.

Ich wandte mich wieder Uranai Baba zu, die mich traurig ansah, als wüsste sie mehr, als sie mir sagen wollte. Aber zu meiner Erleichterung beantwortete sie mir meine wichtigste Frage, indem sie verdeutlichte: „Son Goku braucht deine Hilfe.“
 

~
 

Mein Rücken prallte schmerzhaft gegen eine Felswand und mein linker Arm schlitzte sich an einer scharfen Kante auf. Benommen, völlig entkräftet, drehte ich den Kopf zur Seite und konnte das Blut mein Handgelenk hinabrinnen sehen. Als ich meinen Arm in meiner Benommenheit drehte und wendete, sah ich das Blut es umschließen wie einen leuchtend roten, schimmernden Ring. Sofort dachte ich wieder an Vegeta. An die leuchtenden Halbmonde, die mich an die Felswand genagelt hatten. Sie waren verschwunden, seit das Licht der Explosion mich nicht mehr geblendet hatte.

Ich schaute zurück zu Boo, dessen Gestalt sich seitdem bereits mehrere Male verändert hatte. Die größte Veränderung war zu sehen gewesen, als er das Gute von sich abgespalten hatte. Jetzt war er ein noch schwierigerer Gegner, dessen Attacken brutaler und hinterhältiger waren. Das Training mit meinen Söhnen hatte nichts genützt, die Fusion von Son Goten und Trunks war auch nicht stark genug gewesen. Boo hatte sie alle einfach absorbiert, was ihn nur noch stärker und meine Seite noch schwächer gemacht hatte. Jetzt kämpfte ich wieder vollkommen allein.

Ich spürte, dass mich allmählich meine Kräfte verließen, und ich dachte daran, dass das Opfer des Kaioshin von vor 15 Generationen vergebens gewesen sein würde, wenn ich letztendlich doch nichts gegen Boo ausrichten konnte. Dann hatte er mir umsonst sein Leben geschenkt.

Boo griff erneut an und ich wusste nicht mehr, woher ich die Kraft nehmen sollte, um ihn abzuwehren oder auch nur auszuweichen. Ich schloss die Augen und wartete auf den Schmerz, dachte an Vegeta zurück, der dasselbe getan hatte und konnte ihn jetzt verstehen. Auch er hatte keine Hoffnung mehr gehabt. Und jetzt war er im Jenseits, im friedlichen Paradies. Ich sehnte mich nach diesem Frieden. Und ich sehnte mich nach Vegeta.

Ich wusste, dass es nicht fair war aufzugeben. So viel hing von dem Ausgang dieses Kampfes ab, so vieles war bereits verloren und geopfert worden. Doch ich fühlte mich machtlos. All die Wut, die Vegetas Tod ausgelöst hatte, war mittlerweile der Trauer gewichen. Trauer, die eine endlose Schwere in meinen Armen und Beinen zur Folge hatte.

Nie hatte ich eine solche Ungerechtigkeit verspürt wie in dem Moment, als Vegeta sich umgebracht und ich nach dem ersten Schock über diese Tatsache festgestellt hatte, dass sich Boo einfach wieder regenerierte wie all die Male zuvor auch. Vegetas Opfer war vollkommen unnötig gewesen. Der Verlust so schmerzhaft. So sinnlos. So ungerecht. In den ersten Stunden danach hatte ich pausenlos weitergekämpft und hätte Boo auch sicherlich besiegen können, wenn er ein gewöhnlicher Gegner aus Fleisch und Blut gewesen wäre, dessen Kräfte ihn irgendwann verließen. Aber so war es nicht und so hatte ich vorerst aufgegeben, hatte nach einem Weg gesucht, um Vegeta zu rächen und sein Opfer zu würdigen, wenn ich es schon nicht nicht umsonst gewesen sein lassen konnte.

Aber auch das hatte ich noch immer nicht geschafft. All meine Versuche waren gescheitert und meine Hoffnung sowie meine Kräfte fast versiegt. Ich hatte alles verloren – nur mein Leben hatte ich zurückgewonnen. Ein Leben, mit dem ich nun nichts mehr anfangen konnte.

Ein Schatten huschte über mich hinweg und ich öffnete die Augen, um zu sehen, wie etwas Boos Flugbahn änderte. Ich hörte den Aufprall einer Faust auf Boos Körper und kurz zuvor den mir nur zu gut bekannten Ausruf, der anzeigte, mit wie viel Kraftaufwand Vegeta zuschlug. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen und meinen Augen noch weniger, die nur verschwommen, circa zwanzig Meter vor mir, seine Gestalt wahrzunehmen schienen. Ich blinzelte das Blut aus meinen Augen, versuchte, meine geschwollenen Lider nach oben zu ziehen, und war mir sicher, dass es tatsächlich Vegeta war, den ich vor mir sah.

Hatte jemand überlebt, die Dragonballs gesucht und Shenlong gebeten, ihn wiederzubeleben? Es war fast unmöglich und es war mir egal; er war hier und mein Körper fühlte sich mit einem Mal wieder leichter an. So erschöpft ich auch noch immer war, jetzt vergaß ich meine Kraftlosigkeit einfach und war sogar in der Lage, wieder zu lächeln. In diesem Moment wandte Vegeta sich zu mir um und schaute mich mit einem seltsamen Ausdruck an. Ich wusste ihn nicht zu deuten.

Mit letzter Kraft schwebte ich zu ihm hinauf und er schaute mich nur an. Er schien so viele Dinge sagen zu wollen, dass er zum Schweigen verdammt war. Und mir ging es nicht anders. Ich erkannte den hellen Ring über seinem Kopf, der meine Freude wieder etwas dämpfte. Er war also nur für kurze Zeit hier, maximal 24 Stunden, genau wie bei mir – bevor man mir ein anderes Leben geschenkt hatte. Dieses Wissen schmerzte, doch allein seine Anwesenheit machte mich so glücklich, dass ich den Schmerz vorerst ausblenden konnte.

„Du bist zurück“, sagte ich schließlich schwach, als ich ihn erreicht hatte. Diese Feststellung war eigentlich unnötig, doch es war für mich die wichtigste Tatsache.

„Hier“, sagte er knapp, wandte den Blick ab und hob seine Hand. Ich folgte zuerst seinem Blick in die Richtung, in die Boo von seinem Schlag fortgeschleudert worden war, aber er war noch nicht wieder zu sehen. Dann erst, als Vegeta wieder zu mir zurücksah und seinen Arm weiter zu mir ausstreckte, bemerkte ich, dass er mir etwas geben wollte. Ich hielt meine offene Handfläche unter seine Faust und er öffnete sie, ließ eine Magische Bohne in sie fallen. Ich lächelte ihn dankbar an und er wandte schon nach einem kurzen Augenblick wieder den Blick ab, als ertrug er meinen Anblick nicht. Ich aß hastig die Bohne und schaute zu Boo herüber, der sich uns wieder näherte.

„Ich konnte auch nichts ausrichten“, ließ ich Vegeta wissen, als ich heruntergeschluckt hatte. Dabei spürte er wohl selbst, dass Boos Kräfte sogar noch angestiegen waren. „Ich sehe nur noch einen Weg“, sagte ich und er schaute mich aufmerksam an. „Wenn wir unsere Kräfte vereinen, haben wir vielleicht eine Chance.“

„Vereinen?“, echote er nur.

„Mit einer Fusionstechnik“, erklärte ich vage.

„Du willst mit mir fusionieren?“, fragte er ungläubig. Ich wusste nicht, ob ihn die Vorstellung, das zu tun, so schockierte, oder meine Bereitwilligkeit dazu.

„Ja“, antwortete ich ihm. „Es ist vielleicht die einzige Möglich– Vorsicht!“ Boo schoss auf uns zu, so schnell, dass ich keinen anderen Ausweg sah, als Vegeta mit mir zu ziehen und uns wegzuteleportieren, nicht lange bevor Boo uns erreicht hätte. Wir kamen ein paar Kilometer weit entfernt über einem See wieder zum Vorschein und Vegeta starrte mich an. Ich gab ihm einen Moment Zeit, um zu begreifen, dass Boo uns vorerst nicht mehr angreifen konnte, dann ließ ich seine Schulter los, was ihm ein Gefühl von Sicherheit geben sollte, und meinte: „Wir haben nicht die Zeit dafür, um die Fusion einzustudieren, aber ich habe diese Potaras hier bekommen, mit denen man auch so fusionieren kann. Es ist ganz einfach; du musst ihn nur an dem einen und ich meinen an dem anderen Ohr tragen.“

„Das ist alles?“, fragte er nach einer Weile.

„Ja, mehr nicht“, sagte ich lediglich und hielt ihm einen der Potaras hin. Er nahm ihn mir aus der Hand, schaute ihn sich von allen Seiten an, als wäre es ein äußerst suspekter Gegenstand in seinen Augen.

„Wo ist der Haken?“, wollte er dann wissen und schaute nun mich mit diesem misstrauischen Blick an.

Ich zögerte, ihm zu antworten, überlegte, uns weiter von hier und somit von Boo fortzuteleportieren, denn ich spürte seine schwarze Aura näherkommen, doch ich hoffte, dass der Entscheidungsdruck Vegeta nicht die Zeit ließ, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen, und er deshalb einfach einwilligte.

„Die Fusion ist endgültig“, rückte ich schließlich dennoch mit der Wahrheit heraus und Vegetas Augen weiteten sich.

„Was?“, war alles, was er dazu sagen konnte.

„Aber vielleicht funktioniert es auch gar nicht, schließlich lebst du nicht mehr. Und wäre es nicht besser, mit meinem Körper verschmolzen zu leben, als überhaupt nicht zu leben?“ Ich hatte damit gerechnet, dass er von meinem Vorschlag nicht begeistert sein würde, aber ich hoffte natürlich, dass meine Argumente ihn überzeugten. Ich wollte die Hoffnung noch nicht aufgeben, aber er starrte mich nur an, als verstand er meine Frage nicht. Als war sie so absurd, die Antwort so eindeutig.
 

~
 

Nichts – absolut nichts – könnte meinem Leben noch einen Sinn geben, einen Zweck, einen größeren Lichtblick als diese Fusion, diese Verschmelzung mit dem, was ich am meisten begehrte: diese Stärke, diesen Körper, diese Seele – und all das wollte er mir geben. Von sich aus. Bereitwillig. Mit der Gefahr, nie wieder zurücknehmen zu können, was eigentlich ihm allein gehörte.

Und erneut wurde ich mir bewusst, dass sein Heiligenschein verschwunden war. Ich wusste nicht, wie er es geschafft hatte, aber er wandelte wieder unter den Lebenden. Jetzt schien mein Tod erst recht sinnlos gewesen zu sein. Jetzt waren wir wieder nicht auf gleicher Stufe. Er war mir einfach immer einen Schritt voraus. Doch er wollte das ändern. Er wollte uns auf dieselbe Stufe stellen, zusammen in einem Körper.

Ich starrte ihn nur an, noch immer fassungslos vor Glück, bis er seinen Blick abwandte und sagte: „Boo wird jeden Moment hier sein, Vegeta. Entscheide dich.“

„Dann mach schon“, meinte ich nur und versuchte eilig, den seltsamen Ohrring anzulegen. Ich sah Son Gokus überraschtes und vorfreudiges Lächeln. „Ist das gut so?“, fragte ich ihn noch und drehte meinen Kopf so, dass er mein linkes Ohr sehen konnte.

„Ja. Es ist wundervoll, Vegeta“, sagte er, legte seinen eigenen Potara an und lächelte, seine Augen permanent auf mich gerichtet.

Im nächsten Moment spürte ich den Sog, der mich ergriff und ihm entgegenschleuderte. Auch er kam auf mich zu, als würden wir eine unglaubliche Anziehungskraft aufeinander ausüben. Als wären wir Magneten verschiedener Pole. Wir schleuderten so schnell aufeinander zu, dass ich erwartete, gleich den schmerzhaften Aufprall zu spüren, doch alles, was ich fühlte, war ein warmes Licht, das mich zu schmelzen schien, und einen sanften Druck, als seine Zellen sich zu meinen drängten, bis sie durch die Wärme miteinander verschmolzen. Bis wir eins waren.
 

~
 

Ich schlug die Augen auf und wusste, dass ich in Boos Körper war und unsere Fusion sich aufgelöst hatte. Ich wusste jedoch nicht, ob ich es bedauern sollte, oder ob ich mich freuen sollte, dass ich Son Goku ein weiteres Mal sehen durfte, um ihm für diese Erfahrung zu danken.

„Siehst du, ich habe es schon fast geahnt, dass es bei uns nicht für ewig hält.“ Er strahlte mich an und ich wusste nicht, wie ich reagieren, wie ich mich nun noch bedanken sollte, wenn er so glücklich war, dass es vorbei und er wieder allein in seinem Körper war. „Und jetzt lass uns schnell die anderen und den Ausgang finden.“

Die Erinnerungen, die wir zusammen als Vegetto gemacht hatten, erschienen mir traumähnlich, doch alles, was daraufhin folgte, nachdem unsere Fusion wieder aufgelöst war, war nicht weniger surreal. Es war wie ein langer Traum, der anstrengend aufrechtzuerhalten war, aber so schön, dass man ihn nicht beenden wollte. Doch leider wusste ich, dass früher oder später etwas meinen Schlaf stören würde. Und gerade in dem Moment, in dem ich nicht mehr daran dachte, war es soweit.

Boo war besiegt. Son Gokus Genkidama mit der gebündelten Kraft der gesamten Erde hatte ihn vernichtet. Und ich war stolz darauf, dass auch meine Energie Teil davon gewesen war.

Son Goku ließ sich erschöpft vom Himmel schweben wie ein Engel ohne Flügel und streckte einen Daumen in die Höhe. Ich schaute zu ihm auf, hob einen Arm und spiegelte sein Zeichen des Sieges oder Lobes, was auch immer es war. Ich konnte das Lächeln nicht von meinen Lippen verbannen. Ohne meine Augen von ihm abzuwenden, stand ich aus dem Staub auf und ging auf ihn zu, der mittlerweile Boden unter den Füßen hatte.

„Wir sind unschlagbar als Team“, sagte er lächelnd, als ich ihn erreichte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Du allein bist schon unschlagbar“, korrigierte ich ihn und es störte micht nicht, das zuzugeben, oder zu ihm aufschauen zu müssen. Ich konnte ihn anlächeln.

„Ohne dich hätte ich es nicht geschafft, Vegeta“, sagte er dankbar und schaute mich aufmerksam an. „Danke“, fügte er dann noch hinzu und schien keine passenden Worte mehr zu finden. Aber sein Lob war schon genug für mich. Und ich wusste nicht, wie ich ihm dafür danken sollte.

Lange schauten wir uns nur an und ich spürte die Anspannung, die sich aufbaute. Ich sah die vielen Fragen in Son Gokus Gesicht und glaubte, die Dinge, die ihm – wie auch mir – gerade durch den Kopf gingen, zu kennen. Ich wusste, ich könnte einige davon mit einem Schlag anhalten, den Kreislauf unterbrechen, einige Fragen mit nur einer Geste beantworten, aber ich zögerte, wusste nicht, ob ich ein weiteres Mal wagen sollte, was ich schon einmal gewagt hatte. Doch jetzt war der beste Zeitpunkt dafür. Jetzt, da mein Platz nicht mehr auf der Erde war. Jetzt, da ich vielleicht nie wieder einen solchen Zeitpunkt finden würde.

Ich trat die uns noch trennenden zwei Schritte zwischen uns nach vorne, schluckte einmal trocken, ließ eine zitternde Hand – ich hoffte, dass er diese Schwäche auf meine Erschöpfung schieben würde – seine Halsseite entlang in seinen Nacken fahren, ließ dabei seinen Gesichtsausdruck nicht aus den Augen, suchte nach einem Zeichen von Widerwillen, konnte aber nichts außer Überraschung erkennen und nahm mir somit das Recht, seinen Kopf zu mir hinunterzuziehen und ihn zu küssen.

Nie hatte ich mich mutiger gefühlt als in diesem Moment. Bei keinem Kampf, bei keiner Rettungsaktion. Nie hatte ich mich so frei gefühlt, so uneingeschränkt, so ungebunden. Es war, als könnte ich alles tun an diesem Ort, an den ich nicht mehr gehörte. Als wäre mir alles erlaubt. Als galten die Regeln dieser Welt nicht mehr. Nicht für mich.

Ich verstand nicht, wie es mir auch ein zweites Mal noch so schwerfallen konnte, wie es mich noch immer so viel Überwindung kosten konnte. Zwar war es mir auch mit Babidis Zeichen auf der Stirn nicht allzu leicht gefallen, aber irgendwie schien es mir, als hätte ich da eine Maske getragen. Einen Schutz für meinen Stolz. Einen Schleier für meine Taten, meine Motive. Jetzt war dieser Schleier fort, doch die Gewissheit, dass Son Goku nicht viel Zeit oder Gelegenheit dazu haben würde, mich für meine Tat zu verachten oder meine Gesellschaft zu meiden, gab mir einen neuen solchen Schutz. Und ich beschloss, dass er ausreichte und dass es das Risiko wert war, sollte es nicht so sein.

Ich berührte seine Lippen mit einer Leidenschaft, die ich selbst nicht kannte. Ich nahm meinen Arm und legte ihn an seinen Rücken, presste sein Schulterblatt mir entgegen, als wäre dessen Nähe überlebenswichtig für mich. Ich hörte ihn keuchen und fühlte mich, als würden mich all meine Kräfte verlassen. Ich wurde schwach, als zerfiel ich zu Staub. Mit einem Mal konnte ich meine Lippen nicht mehr spüren, und da erst begriff ich, was das bedeutete: Ich musste ins Jenseits zurück. Meine Zeit war um.

So schwer es mir auch fiel, löste ich meine tauben Lippen von den seinen, wich zurück und wartete. Ich spürte, was gleich passieren würde, aber ich hoffte, ich konnte noch eine Sekunde oder zwei im Diesseits verweilen, damit er noch ein letztes Mal meinen Blick erwidern würde. Ich schaute auf seine geschlossenen Lider und hoffte inständig, dass er sie noch einmal aufschlagen würde, damit ich ihm zum Abschied in die Augen sehen konnte.
 

~
 

Plötzlich spürte ich seine Lippen nicht mehr. Auch wenn ich gar nicht gespürt hatte, dass sie sich überhaupt entfernt hatten; sie schienen vom einen Moment auf den anderen einfach verschwunden. Ich wartete noch einen Augenblick, glaubte, dass sie wieder zurückkommen würden, wenn ich nur weiterhin stillhielt, hoffte, dass sie mich wieder so sanft und doch so fordernd – mich noch etwas überfordernd – berühren würden, doch als sie das nicht gleich taten und schließlich auch seine Hände von mir abließen, öffnete ich die Augen und sah, wie er mich traurig anlächelte.

Und dann bemerkte ich das Flimmern, als war er nur eine Erscheinung, als war er gar nicht mehr wirklich hier. Ich streckte automatisch eine Hand nach ihm aus, doch ich griff durch ihn hindurch, wirbelte den Staub auf, den er nur noch war, und auch dieser verschwand, wurde einfach zerstreut und fortgeweht vom sanften Wind.

Sofort verstand ich, was geschehen war, was ich für eine Weile einfach wieder vergessen hatte, weil ich es nicht akzeptieren wollte. Seine Zeit konnte noch nicht vorbei sein. Er durfte noch nicht gehen. Ich wollte nicht, dass er mich hier allein ließ. Ich wollte das Geschehene ungeschehen machen. Wollte, dass sein Selbstmord nie stattgefunden hatte. Wollte, dass unser erster Kuss nie geendet hatte.

Jetzt zog sich etwas schmerzhaft in mir zusammen. Etwas, das blieb, obwohl er nicht mehr hier war. Etwas, das schmerzte, obwohl die Ursache verschwunden war.

Ich hatte es gewusst, dass es so kommen würde, hatte es geahnt, dass es dennoch unerwartet wehtun würde. Aber auch dieses Wissen konnte den Schmerz nicht erträglicher machen. Das Einzige, was mir Hoffnung gab, war die Chance, dass er eines Tages zurückkommen durfte, die Möglichkeit, mein fester Glaube, dass ein heiliger Drache meinen Wunsch erfüllen, Vegetas gutes Herz erkennen und ihn zu mir zurückbringen würde.
 

~ The End ~
 

Epilog

Als ich später inmitten eines tiefen Kraters stand, an der Stelle, an der Vegeta sich das Leben genommen hatte, schloss ich die Augen und dachte an meine Freunde zurück, die sich auf die Suche nach den Dragonballs gemacht hatten, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Ich fragte mich, ob auch meine Welt wieder in Ordnung zu bringen war.

Ich hoffte es so sehr, dachte, so angestrengt ich konnte, an meinen eigenen Wunsch, bis ich die Erfüllung hören konnte: „Son Goku?“

Ich schlug die Augen auf und wandte mich dem Ursprung der Stimme zu. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie meinen Namen, den man mir auf der Erde gegeben hatte, aussprechen würde, doch das machte den Moment nur noch schöner. Ich erblickte Vegeta und etwas Seltsames schien mit meinem Gesicht und dem Rest meines Körpers zu passieren. Erstaunen und Glück und Erleichterung erfüllten mich mit einem Schlag, sodass ich fürchtete zu platzen vor Freude. Ich wusste nicht, was meinen Körper noch zusammenhielt, wie ich diesem Druck von innen und von außen, von allen Seiten gleichzeitig, standhalten sollte. Deshalb schoss ich nach vorne, schloss meine Arme um Vegeta und presste ihn an mich. Es verstärkte den Druck allerdings nur.

„Vegeta“, brachte ich als Einziges über meine Lippen. All die anderen Dinge, die ich zu ihm sagen wollte, wirbelten wild durcheinander in meinem Kopf und ließen sich nicht zu verständlichen Sätzen formen.

„Was tust du hier?“, fragte Vegeta schließlich fast atemlos. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ihm das Sprechen ebenfalls schwerfiel, oder daran, dass ich seinen Kopf und somit sein Gesicht gegen meine Brust gedrückt hielt.

„Ich habe auf dich gewartet“, antwortete ich ihm, wobei sich meine Stimme fast überschlug. Ich konnte es nicht begreifen, konnte es nicht fassen, welche starken Gefühle mich übermannten. Nur eines konnte ich daraus schließen. Doch auch das konnte ich nicht begreifen.
 

~
 

„Ich bin so glücklich, dass du wieder da bist“, hörte ich Son Gokus Stimme sagen und traute meinen Ohren kaum. Er presste mich an sich, als wäre ich das Kostbarste, das er besaß, das er verloren und gerade wiedergefunden hatte.

Er drückte mich so stark gegen sich, dass mir die Luft wegblieb. Mehr noch als das nahmen mir aber seine Worte den Atem. Er hatte auf mich gewartet. Hier, wo ich zuletzt lebend auf der Erde gewesen war. Hier, wo ich vor allem hatte fliehen wollen – am meisten vor meinen Gefühlen zu ihm. Gefühle, die mich jetzt wieder zu überwältigen drohten.

Mit einem Mal stellte ich fest, dass Uranai Baba überhaupt nicht bei mir gewesen war, und auch Enma Daio hatte mich nicht hergeschickt. Ich war einfach plötzlich hier erschienen und dachte, es müsste ein weiterer Traum sein, als ich Son Goku hier stehen sah. Aber es war kein Traum. Im Gegenteil, ich war lebendiger als zuvor. Mein Heiligenschein, der bis eben noch über meinem Kopf geschwebt hatte, war verschwunden.

Son Goku löste seine Arme von mir, trat zurück und entriss mir dadurch meinen Lebensinhalt. Mit einem Schock erkannte ich: Es würde wieder alles wie vorher sein. Mit dem Unterschied, dass ich nun wusste, wie es sich anfühlte, ihn im Arm zu halten, ihn an mich zu pressen und ihn zu küssen. Ich wusste nicht, ob das die Situation für mich nun besser oder nur noch schlimmer machte. Aber ich tröstete mich damit, dass er mich nicht dafür zu verachten schien, was ich getan hatte. Und dass ich ihn immerhin noch sehen konnte. Und er mich. Als wollte er das demonstrieren, schaute er mich von oben bis unten an und sagte: „Du bist wirklich wieder zurück. Ich wusste es, dass es funktionieren würde.“

Ich schnaubte, wusste nicht anders zu reagieren, und kombinierte: „Ihr habt wahrscheinlich Polunga darum gebeten, warum sollte es also nicht funktionieren?“

Es war eine rhetorische Frage, dennoch antwortete er mir: „Wir haben nur die mit reinem Herzen ins Leben zurückgerufen, um zu verhindern, dass wir wieder unerwünschte Gäste haben.“

Ich schaute ihn an. Dennoch hat er tatsächlich darauf gebaut, dass ich zurückkommen würde?, wunderte ich mich. Wie konnte er nur so optimistisch sein? Wie konnte er so viel Vertrauen in mich haben? Wie konnte er glauben, dass in mir noch ein reines Herz steckte?

„Ich wusste es einfach, dass du zurückkommen würdest“, sagte er nochmals. „Ich wusste, dass du ein gutes Herz hast.“ Er schaute auf meine Brust hinunter, als könnte er durch sie hindurch direkt auf mein Herz sehen, machte dann einen Schritt auf mich zu, legte eine Hand auf meine Schulter und zögerte.

Mein Körper erstarrte, meine Augen ebenfalls. Ich konnte ihn nur ansehen und warten, meinem Herzschlag lauschen und hoffen, dass er im Begriff war, das zu tun, was ich mir wünschte. Er zögerte lange, etliche Herzschläge lang – es waren mit Sicherheit fast zwei Sekunden.

Dann neigte er seinen Kopf zur Seite und zögerte abermals. Er schaute in meine Augen, auf meine Lippen, zurück in meine Augen, zurück auf meine Lippen – und küsste sie.

Meine Augen weiteten sich kurz, bevor sie genießerisch zufielen. Eine Hand legte sich vorsichtig an meine Wange und ich konnte mich nicht länger zurückhalten, drängte mich ihm ungeduldig entgegen. Meine Arme schlangen sich zitternd um seinen Körper und pressten ihn an mich. Ich seufzte in den Kuss hinein und vergaß vollkommen, dass er mich hören konnte.

Er ließ daraufhin seine Hand behutsam in meine Haare fahren und seine andere langsam meine Schulter hinabgleiten, als wollte er sie beruhigen, das Zittern meines Körpers stoppen. Seine Bewegungen waren so sanft und noch so unsicher, als hatte er Angst, mich zu zerbrechen. Dabei könnte er das nur, indem er mich losließ.

Ich hatte das Gefühl, jemand hatte den Lauf der Zeit verändert. Ich glaubte, alles in Zeitlupe zu sehen, aber spürte alles im Zeitraffer.

Aneinandergeklammert, eng umschlungen, die Zeit vergessend, die Welt vergessend, standen wir da, mitten in dem Krater, der durch meine Verzweiflung in die Erdoberfläche gerissen worden war. Eine Vertiefung, die Platz geschaffen zu haben schien für das, was zwischen uns bisher keinen Raum gefunden hatte. Ein Mahnmal, das ihm bewusst gemacht hatte, was das zwischen uns sein und noch werden könnte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  reyhan
2014-06-30T19:57:01+00:00 30.06.2014 21:57
Wundervoll so schön geschrieben ich bin überwältigt unglaublich

Antwort von:  BondingTails
01.07.2014 00:52
Danke schön. ^//^ Das hört man immer gerne. Vom Schreibstil her müssten dir die anderen Storys dann eigentlich auch gefallen. Wäre also toll, wenn du mich das wissen lassen würdest. >.<
Von:  katzendrache
2014-03-18T10:45:05+00:00 18.03.2014 11:45
du schaffst es wirklich mich mit jeder von deinen geschichten total fertig zu machen o.O
ich glaube, das ist die version der boo-saga, die wir uns insgeheim alle gewünscht haben^^ so ähnlich is sie mir auch schon im kopf rumgespukt, aber ich hab mich nie getraut, sie aufzuschreiben. deine version wäre eh besser gewesen. :D

Antwort von:  BondingTails
18.03.2014 21:56
Du meinst "fertig machen" hier hoffentlich im positiven Sinne...? ^^°

Wenn du übrigens irgendwelche Fehler in meinen Geschichten finden solltest - seien es Rechtschreib- oder inhaltliche Fehler -, darfst du mir das auch gerne sagen. ^-^
Ich habe zwar eine Beta-Leserin hier vor Ort, aber bei mir muss es immer mehr als einen Korrekturdurchlauf geben. Leider übersieht man immer irgendwas. Selbst zu zweit.

Wieder mal danke für deinen Kommentar!
Ich bin schon gespannt auf deinen nächsten!
(In den letzten Monaten habe ich Fanfics zu einer anderen Serie geschrieben, aber momentan habe ich wieder richtig Lust auf "Gogeta", wie ich das Pairing liebevoll nenne. <3 Es kommt also bestimmt schon bald wieder etwas Neues. Und du wirst sicher wieder eine der Ersten sein, die es lesen wird. ^-^ *hug*)
Antwort von:  katzendrache
18.03.2014 22:19
klaro, da kannst du dir aber sicher sein, dass ich eine der ersten bin. :P
ich steh ja eher drauf die beiden als vegoku zu bezeichnen, weils "gogeta" ja als fusion wirklich gibt *grins* aber jedem das seine.

und ja, "fertig machen" im positiven sinne. das is wie emotionales achterbahnfahren :D
Von:  Zero_Kiryu
2014-03-18T08:41:55+00:00 18.03.2014 09:41
Die Fanfic hat mir sehr gut gefallen! Besonders die Art, wie du schreibst, hat mich regelrecht gefesselt und ich muss sagen, ich hätte gern noch mehr gelesen. *g* (Aber das ist bei guten Fanfics ja oft der Fall.)

An manchen Stellen war der Szenenwechsel vielleicht ein bisschen zu schnell. Ich denke da jetzt speziell an die Szene, wo sie die Portara Ohrringe benutzen und dann plötzlich in Boo sind und ein oder zwei Sätze später der ganze Kampf schon zu Ende ist. XD Ich meine, als eingefleischter Fan weiß man natürlich, was passiert, aber der schnelle Ablauf hat es mir doch kurzzeitig schwer gemacht, zu folgen. Oder ich habs nur nicht aufmerksam genug gelesen. XD

Das war eigentlich auch schon alles, was ich an Negativem zu sagen hab. Mir hat gefallen, wie du die Gefühle Vegetas beschrieben hast und ich finde, man kann durchaus nachvollziehen, warum er so gehandelt hat, wie er es tat. Und noch ein ganz wichtiger Punkt (zumindest für mich): Vegeta ist selbst durch den Kuss, den er Goku gab, nicht in dieses Weichei-Klischee abgerutscht. Ich mags nicht, wenn er so arg lieb wird, sobald er sich verliebt. XD Aber wie ich eben gerade gesehen hab, hatte ich das ja auch schon mal in einem Kommentar zu einer deiner anderen Fanfics geschrieben. XDD Ups. Naja, was solls. Ich glaub, ich werd dich mal als Autor abonnieren, dann krieg ich wenigstens gleich Bescheid, wenn du was Neues schreibst. ^^ Eine Fanfic hab ich ja noch vor mir, wie ich gerade festgestellt hab. *g*

lg Zero
Antwort von:  BondingTails
18.03.2014 21:40
Danke schön! Du darfst es so oft sagen, wie du willst, wenn dir etwas an meiner Story gefällt. :D
Und deine Kritikpunkte kann ich vollkommen nachvollziehen. Mir geht es genauso. Nur wusste ich nicht, womit ich die Lücken füllen sollte. Ich wollte nicht einfach das Original wiedergeben, schon gar nicht großflächig. Eben weil es damit alles so abgehackt wirkt - was ich selbst nämlich auch nicht mag - habe ich überlegt, die Geschichte gar nicht erst onlinezustellen. Aber dann dachte ich: Ach, was soll's - vielleicht hat hier ja der eine oder andere trotzdem Spaß daran, das hier zu lesen. Und glücklicherweise war das wohl der Fall. ^-^
Bei ein, zwei anderen Fanfics, die noch in Bearbeitung sind, geht es mir genauso. Es sind halt nur Shortfics, die sich relativ nahe am Original bewegen so wie diese Story hier.
In den nächsten Monaten habe ich hoffentlich genug Zeit, um eine wesentlich größere Story hochzuladen. Die allerdings ist dann eine Funfic. ^^° Hoffentlich bekomme ich euch damit nicht "nur" gefesselt, sondern auch noch zum Lachen! Das wäre echt schön!
Ich freue mich schon auf deinen nächsten Kommentar!
Antwort von:  Zero_Kiryu
18.03.2014 21:58
Okay, das kann ich verstehen. ^^ Ich tu mich auch immer schwer damit, Sachen direkt aus der Serie zu übernehmen. Aber meist eher aus Angst, ich könnte was vergessen, oder es falsch wiedergeben. Von künstlerischer Freiheit mal abgesehen. XD Ich meine, wie du es geschrieben hast, ist es ja vollkommen ok. Als sie sich vereint haben durch die Ohrringe, hätte ich es auch als "sie haben kein eigenes Bewusstsein mehr und erinnern sich nicht mehr so gut" durchgehen lassen. *g* Ich bin froh, dass du sie trotzdem hochgeladen hast. Man kann drüber hinweg sehen, wenn man nicht so übergenau wie ich ist. XDD
Was darf man sich denn unter Funfic vorstellen? XD Ich lache gern, wenn ich was lese. ^^ Es muss ja nicht immer alles total ernst und dramatisch sein. ^^ (Und auch Vegeta hat ja seine lustigen Momente. Ich denke da mit Freuden an die Boo-Saga zurück. XD)
Antwort von:  BondingTails
18.03.2014 22:09
Lass dich überraschen... Wahrscheinlich wird die Story unter dem Titel "Hoi-Poi ahoi!" erscheinen. Da du mich abbonniert hast, wirst du es ja nicht verpassen. ;)
Das ist schon mal gut, wenn du gerne lachst, denn diese Art von Story sollte nur gelesen werden, wenn man Humor hat. Den braucht man da wirklich dringend. (Ich hoffe auch, dass mein Ansehen nicht drastisch sinken wird, sobald das tatsächlich online steht... ^^°)
Antwort von:  Zero_Kiryu
18.03.2014 22:14
Haha, wenn du das so schreibst, kann man es ja mit der Angst zu tun bekommen. XD
Aber ich sag mal so: Wenn der Humor sich an den von DBZ anlehnt, dann ist das ja ok. ^^ die nehmen sich ja selbst oft auch nicht ernst. Besonders Goku nicht. XD
Ich bin aber echt gespannt. :D Und ich sag mal so: Wenn man es nicht mag, muss man es ja nicht lesen, aber deswegen einen Autor gleich zu verteufeln, davon halte ich nichts. Sollte doch jedem überlassen sein, wenn er experimentieren will. ^.~


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