Zum Inhalt der Seite

Das Possessiv-Kollektiv.

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Possessiv-Kollektiv.

Ich gehörte nie zu den Menschen, die schnell Bekanntschaften schlossen oder in der Lage waren, Freundschaften heranzuzüchten. Züchten nenne ich es, weil man einen Ableger der Gesellschaft in einen anderen Topf versetzt. Mit Aufmerksamkeit und Fürsorge lässt man die keimende Freundschaft zu einer Pflanze mit tiefen Wurzeln, starken, fleischigen Blättern und zarten Blüten gedeihen. Vielleicht liegt es an meiner Kontaktscheue, dass ich schon seit vielen Jahren mehr mit der Natur anfangen konnte als all den Menschen, die meine Gefährten hätten werden können.

Meine Freunde fanden mich. Ein Pulk emotional kreativer Individuen, die sich zu einer festen Einheit entwickelt haben; eine liebevolle und fürsorgliche Symbiose eingegangen waren. Wir kümmerten uns um jeden unserer Kleinstarmee, andere Menschen bekamen die Rolle der Randphänomene zugesprochen, weil unser Kern immer das wichtigste war: Wir hatten uns und das war genug. Meine Zurückgezogenheit begann sich über viele Stunden im sicheren Rahmen dieser Freundschaft aufzulösen, dennoch konnte ich anderen Gegenüber meine Geißel nie ablegen. Aus diesem Grund war das Auftauchen Finns in meiner Welt eine Naturkatastrophe – ein Ausnahmezustand der besonderen Art. An dieser Stelle beginnt die letzte Episode meiner Geschichte. In jenen Tagen begannen meine Pflanzen einzugehen. Die Fäulnis hatte sich an den Wurzeln festgesetzt, als ahnten sie meinen Untergang noch bevor ich es tat.
 


 

Es hätte ein normaler Freitagabend werden können. Einer Gewohnheit folgend, wäre ich zuhause geblieben und hätte den Abend strickend vor dem Fernseher verbracht wie ein in die Jahre gekommenes Tantchen. Meine Freundinnen hatten mich jedoch überredet, mich stattdessen vorzeigbar zu machen, um mit ihnen auf eine Party einer Studentenwohngemeinschaft feiern zu gehen. Tatja, deren Mutter ihr den Namen Tatjana gegeben hatte und die ihren slawischen Wurzeln gerne nivellierte, kannte dort jemanden, der ebenfalls Gast sein würde. Sie erklärte uns fieberhaft, dass fünf weitere Besucher nicht ins Gewicht oder gar auffallen würden. Wir hatten unsere Bedenken, dennoch hatte uns das feierwütige Sehnen in ihren Augen weichgekocht. Ich bin offen: Ich hatte keine Lust dazu. Große Menschenmengen auf die Fläche einer Wohnung verteilt, entsprach keiner meiner Vorstellungen eines gelungenen Abends. Hätte ich allerdings das dritte Mal in Folge abgesagt, hätten sie sich Sorgen um mich gemacht. In ihrem Verständnis war der Fall in eine depressive Laune ungebremst. Um der Laientherapie zu entgehen, entschied ich mich schließlich für eine Tasche, die für ein Buch zu klein war, mein Matrosenkleid mit den goldenen Knöpfen und dem weißen Kragen. Da ich keinen Elan hatte, meine Locken zu glätten, trug ich nur einen blauen Haarreif und sah schlussendlich aus wie meine Puderquaste.

Ich kam in Begleitung Tatjas zur Feier, die anderen nahmen eine Straßenbahn später. Wieso ich mir Sorgen um Pünktlichkeit gemacht hatte, verlor an Sinnhaftigkeit. Neben Tatja fühlte ich mich auf vielen Ebenen kleiner. Das hatte nicht ausschließlich etwas mit meiner geringen Körpergröße zu tun, sondern auch das Maß an Zugänglichkeit. Meine Freundin, die um Längen extrovertierter war als ich, stellte sich schon auf der Suche nach ihrem Bekannten verschiedenen Leuten vor, die sie in ihren Vorlesungen gesehen hatte. Dass jene sichtbar irritiert auf ihre vertrauliche Art reagierten, war ihr noch nie aufgefallen. Einige junge Frauen, die etwas abseits standen, begannen über uns zu tuscheln. Immer wieder schielten sie zu uns ohne sich im Dialog zu unterbrechen. Manchmal konnten auch Blicke ausgestreckte Zeigefinger sein, kam es mir in den Sinn. Doch Tatja war ihrer heiligen Mission verschrieben. Sie eilte mit der Gewohnheit, ich würde folgen, durch die Menschentrauben. Ich weiß nicht, was mich an diesem Abend dazu veranlasst hatte, ihr einmal nicht zu nachzulaufen und die Wohnung selbst zu erkunden, doch es war eine brillante Entscheidung. So stieß ich mit Finn an der Badezimmertür aneinander. Gedankenlos hatte ich die Filmplakat-Galerie des Flures betrachtet, obwohl Pulp Fiction und Trainspotting kein origineller Ersatz für geschmackvolle Tapete waren – in einer WG gehörte es jedoch zum Standardrepertoire. Heftig stieß ich gegen einen Rücken, der die gleichen Maße besaß wie die Poster, die mich abgelenkt hatten. Ich hatte mich schwungvoll umdrehen wollen, um den Blick auf meine Füße zu richten. Nicht nur der Moment unseres ersten Aufeinandertreffens hätte einer Leinwand entsprungen sein können, sondern auch die Zeitlupenaufnahme seines in die Höhe schwingenden Becherinhaltes, der mit der Geräuschkulisse eines Schwimmbades auf dem weißen T-Shirt seiner Begleitung landete. Ihrem zum Schrei aufgerissenen Mund entwich nur noch ein erschrockenes Zischen. Mit spitzen Fingern zog sie sich den nassen Stoff vom Busen, dann suchten ihre Augen den Schuldigen. Um uns herum hatten die Gäste zu lachen angefangen.

Anstatt mich wie ein normaler Mensch mit ausgeprägten social skills bei ihr zu entschuldigen, ihre Beschwerden unter Beteuerungen mit Geduld hinzunehmen, entschied sich das neuronale Programm meines Hirns für die Flucht. Auf den Fersen machte ich eine rasche Drehung und war im Begriff die Szenerie zu verlassen als sich Breitkreuz besann und mich gewaltsam an meinen Handgelenken zurück auf die Bühne zog. Wie ich es häufig unter Stress tat, versteinerte ich vor aller Augen. Die Braunhaarige mit dem weißen Top stierte fühlbar meinen Rücken an, als wolle sie Messer hinein bohren; meine Gelenke begannen unter dem unnachgiebigen Druck seines Schraubstockgriffs zu schmerzen.

„Geht's noch? Entschuldige dich wenigstens!“, zischte mich der Mann an. Mein Kopf war schon längst zu jener Salzsäule erstarrt, wie meine restliche Erscheinung. Das einzige, das nicht den Dienst quittierte, waren meine Stresstränen – so hatte ich die Salzwasserdestillate genannt, die ungebremst aus meinen Augenwinkeln schossen, wenn ich sozial oder emotional überfordert war. In diesem Moment traf beides zu. Ich wandte meinen Gesicht zu meinem Häscher und nickte.

„Lass' sie. Ist ja nichts schlimmes passiert.“, fuhr das eigentliche Opfer dazwischen. Sie hatte die Situation schneller eingeschätzt, als ich ihr zugetraut hatte. Verschwommen sah ich am Rand meines Gesichtsfeldes, dass sie mich anlächelte. Mein Gegenüber war hingegen noch im Erkenntnisprozess gefangen, unbeweglich wie ich und mit einem ergründenden Blick aus braunen Augen. Immer wenn Finn nachdachte, schob er seine Brauen aufeinander zu bis eine kleine Falte auf seiner Nasenwurzel entstand; so tat er es nun auch.

Es kam mir vor als habe jemand die Sekunden, die dieses Verhängnis andauerte, mit Kleber gestreckt, doch noch immer wollte er mich nicht freigeben. Jede Faser meines Seins wollte türmen, um nach einem vertrauten Gesicht zu suchen. Tatsächlich war ich sogar schon im Begriff gewesen, meine Sohlen vom harzigen Boden zu lösen; als Breitkreuz rückwärtsgehend auf Augenhöhe kam.

„Wer bist du?“

Erst Stunden später sollte mir klarwerden, dass es sich bei Finn um einen der Gastgeber handelte. Die Braunhaarige war seine Mitbewohnerin Nicole, die Augenblicke später grinsend mit einem roten Shirt aus dem Zimmer kommen würde.

„Bevor du sie ausfragst, solltest du ihr etwas zu trinken geben.“, wies sie ihn mit keckem Lächeln hin. Finn besann sich und entwendete einem seiner Freunde, der gerade mit einer frischen Bierflasche aus der Küche gekommen war, seine Errungenschaft, um sie mir in die Hand zu geben. Unter unablässigem Kopfschütteln verließ der unwissende Bierlieferant den Flur für einen zweiten Versuch.

„Nun?“, insistierte Finn.

Ich schluckte, mein Hals fühlte sich an wie Schleifpapier, während ich ihn anstarrte als habe ich eine Erscheinung. Den Schreck hatte ich noch nicht verwunden und in meinem Hirn rieben sich noch immer die Steine. Nicht einmal meine Tränen wollten versiegen.

„Eve.“ Beinahe versagte meine Stimme. Finn nickte und ersparte mir die Frage, was ich auf seiner Party zu suchen hatte. So einsilbig wie sein Name, war auch auch meiner und trotzdem konnte ich mir keine schönere Buchstabensymphonie vorstellen, als Finn. Ich hatte eine Schwäche für seinen Namen, noch ehe ich eine Schwäche für seine klugen Augen entwickelte. Selbst für mich war das Gefühl und seine Beschreibung haltlos klebrig, doch andere Worte kamen mir dafür nicht in den Sinn.

„Warum weinst du?“

Seine Stimme hatte einen gedämpften Ton bekommen, sofort fühlte es sich persönlich an, weswegen sich mein Organismus noch einmal für die Flucht entschied. Als habe er es geahnt, versperrte er mir den Weg, sodass ich mich zu einer Antwort gezwungen sah um mich freizukaufen.

„Das ist...“, ich überlegte, wie man es verständlich machen konnte, „krank.“

Zuerst wollte ich verrückt sagen. Vermutlich hätte er das für eine Floskel gehalten und nicht für die Wahrheit. Er sah mich erneut an als sei ich die Sphinx. Die Situation war für mich derart angespannt und befremdlich, dass ich unter meinen Stresstränen anfing, zu lachen.

„Ich kann nicht aufhören.“, setzte ich hinzu, bewusst um den Irrsinn meines Auftretens. Doch damals wusste ich noch nicht, dass Finns Schwäche kaputte Dinge waren. Er besaß kaputte Instrumente, kaputte Uhren, kaputte Radios, Tassen mit Sprung - ich wünschte ich könnte sagen, dass er sie mühevoll reparierte – die Wahrheit war aber, dass er sie einfach nur gern hatte dafür, dass sie kaputt waren.

Er lächele vielleicht aus diesem Grund verständnisvoll – was bei mir auf Verständnislosigkeit traf – und zog den Ärmelbund seines Sweatshirts über seine Hand. Ich beobachtete ihn fasziniert, mit Windstille im Herzen, wie er mir meine Tränen unbeholfen bis grob aus dem Gesicht wischte. Das war das schönste gewesen, das mir bis dahin jemand zugemutet hatte.

„Du ruinierst noch unser Parkett.“, erklärte er und deutete auf den schmutzigen PVC-Boden; ich lächelte.

So lernte ich Finn kennen und Finn lernte, dass ich ein leidenschaftlicher Wegläufer war.
 


 

Ist alles in Ordnung? Du hast dich seit Tagen nicht gemeldet, wir machen uns Sorgen, stöhnend vergrub ich mein Handy mit seiner neuesten Besorgnis-Textnachricht unter dem Kissen. Schwungvoll warf ich mich auf die Seite und traf auf sommerwarme Haut. Finn begann zu knurren, dann bewegte er sich träge. Mein Blick glitt über seinen Rücken hinaus zu meiner Monstera. In ihrem Topf hatten sich die Zigarettenstummel gesammelt – einen Aschenbecher besaß ich nicht. Das Sonnenlicht brach sich am Fensterkreuz und warf geometrische Muster auf seine Haut.

Es war perfekt. Es war unser Eden.
 


 


 

In unserer schummrigen Stammkneipe nahm alles seinen Anfang. Es war eines jener Lokale, die einen besonders urigen Eindruck erwecken wollten. Auf den Bänken und Schemeln ohne Lehnen lagen Kissen mit Bezügen aus Sackleinen oder Felle. Vom Gemäuer des Gewölbes zog die Kühle des Erdreiches hinein, wogegen auch das offene Kaminfeuer nichts ausrichten konnte. Wir hatten uns in die Lokal eigenen bestickten Decken gehüllt und genossen mit kalten Fingerspitzen tschechisches Bier und Honigwein mit Rum aus den pathetischen Tonbechern. Seit ein paar Sekunden hatte niemand etwas gesagt, vereinzelt starrten meine Freunde auf ihre Handys oder sie sahen verträumt einen unbestimmten Punkt im Raum an. Finn hatte außer einer Begrüßung nichts gesagt. Es war als wartete er auf etwas, vielleicht den Startschuss zum Heimweg. Unter dem Tisch hielt ich seine Hand und wappnete mich mit einem eisern-verliebten Lächeln gegen die frostige Atmosphäre. Doch das schien niemanden zu interessieren. Bea war die erste, die sich um ein Gespräch bemühte. Ich war dankbar, dass die unangenehme Stille gebrochen wurde.

„Was studierst du?“, wollte sie von Finn wissen. Er schien genauso erleichtert zu sein wie ich, weshalb er der unscheinbaren Brünetten ein verschämtes Lächeln schenkte. Mit Graphic Design konnten sie etwas anfangen, doch bei Typografie endete ihr Allgemeinwissen. Schnell hatten sie das Interesse verloren, während sich mein Freund mit gesenkter Stimme durch den Small Talk kämpfte. Tatja zog alles andere als wohlwollend eine Augenbraue nach oben, dann wechselte sie einen Blick mit Marie, der einzigen Blondine dieser Runde. Als sie mitbekam, dass es mir nicht entgangen war, senkte sie beschämt die Lider.

„Dann behandle unsere Eve gut.“, sagte Marie zusammenhangslos. Sie zupfte ihren Pony zurecht.

„Künstler stehen unter dem Generalverdacht, Herzensbrecher zu sein.“, ergänzte Bea mit einem Augenzwinkern, das der Aussage ihre Schärfe nehmen sollte. Wie beiläufig nahm sie Finns drahtige Unterarme in Augenschein. Das Aztekenmuster darauf schien ihr nicht zuzusagen. In ihrer Welt waren Leute, die den Hautstich gewagt hatten, immer mit Vorsicht zu genießen. Kinderheim, Gefängnis und Hipstertum waren in ihren Augen untereinander austauschbar, es gab keine Grauzonen in ihrem Verständnis der Welt. Finn, der nicht einschätzen konnte, ob es eine Beleidigung gewesen war, entschloss sich kommentarlos in seinen Bierkrug zu starren. Es war meine Aufgabe ihn zu erlösen, also räusperte ich mich und meinte:

„Genauso gut könnte ich sein Herz brechen.“

Tatja und Marie fingen an zu lachen, Bea zog ganze zwei Augenbrauen in die Höhe und spreizte dabei ihre Nasenflügel – doch alle blieben wortlos. Karolin, die die ganze Situation schweigend verfolgt hatte, lehnte sich nun nach vorn. Ihre schwarzen Haare fielen ihr dabei strähnig ins Gesicht. Erschrocken zuckte Bea zurück, als habe sie Karolins Anwesenheit vollkommen vergessen.

„Du bezeichnest dich als Künstler? Wegen deiner Gedichte?“, fragte sie mich mit rauchiger Stimme. Von allen Anwesenden war sie die einzige, die mich sofort richtig verstanden hatte.

„Ja?“, antwortete ich vorsichtig. Bei ihr wusste man nie, was sie dachte. Ihre Urteile hatten häufig mit der Wucht einer Atombombe eingeschlagen, selten hielt sie sich dabei an Taktgefühl.

„Cool.“, bemerkte sie mit Blick auf Finn und bemühte sich um ein künstliches Lächeln.

Als Finn und ich Stunden später auf dem Weg zu ihm waren, fühlten wir uns beide erlöst. Schon damals hätte ich es ahnen sollen, doch alles worum sich meine Gedanken drehten, war Finn; nicht meine Freunde.
 


 


 

Ungefähr zwei Wochen später bekam ich die Auswertung jenes Kennenlerntreffens in der Mensa serviert. Wir hatten uns zum traditionellen Waffelfrühstück getroffen, fast eine Woche lang hatte ich jenen Tag gemieden, was zur Folge hatte, dass dieses Frühstück den bitteren Beigeschmack einer Intervention bekam. Während sie mich gebeten hatten, zu schweigen und ihnen zuzuhören, eröffnete Bea mit der Feststellung, dass man sich zwar für mich freue, aber das meine Wahl auf einen komischen Typen gefallen war, der ziemlich arrogant zu sein schien. Meine Mutter hatte einmal gesagt, dass alles, was vor einem Aber gesagt wird, bedeutungslos sei. Die Botschaft jener Worte war nicht, dass sie sich freuten sondern dass sie meinen Freund nicht ausstehen konnten. In meiner Brust setzte sich ein schmerzhafter Druck fest und mit einem Mal kamen mir die Studenten um uns herum unerträglich laut und nah vor. Ein Stein lag in meiner Kehle, doch sie waren noch nicht fertig.

„Er hätte 'Danke für den Abend' sagen können oder zumindest, dass es schön war. Ich kam mir die ganze Zeit vor wie Luft für ihn. So lernt man sich doch nicht kennen.“, erläuterte Tatja weiter. Ihre Stimme hielt sie in künstlicher Beherrschung, lehrbuchhaft suchte sie Augenkontakt und sprach bewusst nur für sich selbst. Es war ihre Version des erfolgreichen, erwachsenen Streits, dessen einzig zulässiges Ergebnis war, dass ihr Gegenüber erkannte, wie Recht sie doch hatte. Ihr war nicht bewusst, wie ätzend ich es fand, wenn sie auf diese Art versuchte, mir ihre Meinung aufzuzwingen. Ich liebte Tatjana über alles und viel zu oft hatte sie mir geholfen über meinen Schatten zu springen. Mein Dulden war ich ihr schuldig, dachte ich.

„Finn sieht sehr gut aus. Ich bin ehrlich, weil wir Freundinnen sind: Ich glaube nicht, dass du ihn für dich alleine haben wirst. Turteln sieht anders aus.“, kam schließlich Marie an die Reihe. Ich fühlte mich elend, dann begann mir übel zu werden. Weinen verbot ich mir in diesem Moment, denn trotz der Beteuerungen, wie gut ihre Absichten seien, hatte ich tief in mir ein Gespür dafür, was sich gerade vor meinen Augen abspielte.

„Wir wollen nur, dass du glücklich bist, Eve. Vielleicht sollte sich Finn mehr Mühe geben, was meinst du? Schließlich sind auch wir Teil deines Lebens. Oder hat er irgendwas gegen uns?“, lenkte Bea ein.

Ich zuckte mit den Schultern, denn zu Worten war ich ohne Tränen zu vergießen, nicht mehr in der Lage. Gleichzeitig ging an der Geschirr-Rückgabe ein Teller zu Bruch, danach applaudierten einige Umsitzende. Das hätten auch meine Freunde sein können, dachte ich. Meine Waffel hatte ich nicht angerührt, auch der Kaffee löste nicht den Knoten in meiner Brust.

„Wir wollen doch nur dein Bestes, Süße.“ Tatja schenkte mir ein wohlwollendes Lächeln, das mir unendlich falsch vorkam. Das einzige Gefühl in mir bestand aus stillem Entsetzen – einer Sprachlosigkeit, die keine Vernunft beenden konnte. Ich erhob mich mit scharrendem Stuhl, griff meine Jeansjacke, meine Tasche und lief davon.

„Aber ja, wir bringen gern dein Geschirr weg.“, hörte ich Marie scharf sagen, dann war ich außerhalb der Reichweite ihrer giftigen Zungen. Fast wäre ich die Treppe hinunter gestürzt, doch jemand zog mich an meinem Taschenträger zurück, sodass ich hart auf dem Steißbein landete. Doch zwei Hände halfen meinen Schmerz gelähmten Beinen auf die Füße. Eilig wollte ich mich bedanken und verschwinden, als ich Karolin erkannte. Ihre Lippen hatten einen dunkelroten Strich gebildet, ihr Blick war rastlos und so zerknirscht wie ihre Lederjacke.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich nichts gegen dich oder Finn habe.“

Karolins Stimme war Balsam für meine wund gescheuerten Zweifel. Leider brachte ich nur ein Nicken fertig, doch nun wünschte ich, ich hätte sie umarmt oder zumindest „Danke“ gesagt.
 


 


 

Als ich einige Stunden später auf Finns Türschwelle strandete, war ich mental verwahrlost. Meine Stresstränen hatten sich ihr Territorium zurück erkämpft.

„Was ist passiert?“

Ich erzählte Finn, dass er sich nicht genug Mühe gab und dass meine Freundinnen ein fester Bestandteil meines Lebens waren; wie sehr ich mir wünschte, er gehöre ebenfalls dazu. Ich erzählte ihm auch, dass ich nicht gut darin war, eine Beziehung zu führen, aber dass ich besser werden wollte. Hauptsächlich darin, alles unter einen Fingerhut zu kriegen. - Wie leid es mir tat, dass ich so kaputt sei und das er einfach hätte „Danke“ sagen sollen, sagte ich ihm, dann wäre alles nicht passiert und auch das nicht, was folgen sollte. Mit unheimlicher Geduld sammelte er die Worte aus meinem Jaulen, er nahm mich sogar in den Arm als ich anfing zu zittern. Finn verstand, dass meine Freunde meine Welt waren, weil sie mich nahmen wie ich war – introvertiert – und mich nicht verändern wollten, doch immer begeistert und tatkräftig halfen, wenn ich glaubte mich ändern zu wollen. Das alles nahm er an, wie ich es ihm gab. Und da wusste ich, dass ich ihn lieben konnte und lieben würde.

„Das hast du nicht verdient.“, sagte ich. Er wiederholte dasselbe für mich mit einem ernsten Blick.

„Kommt es dir auch so vor, als seien deine Freunde obsessiv?“

Mein ganzes Weltverständnis kam zum Erliegen, alles verstummte und erst dann merkte ich, wie viel Krach mein Zusammenbruch gemacht hatte. Finn hatte Recht. Darüber hatte ich mir noch nie zuvor Gedanken gemacht. Bis zu dieser Sekunde hatte ich alles, was die Clique tat, für fürsorglich und liebevoll gehalten, schließlich hatten sie mir einen Hafen gegeben als ich in mir selbst keinen finden konnte. Sie hatten mich unter Menschen gebracht und sich um mich gekümmert, wenn ich eine depressive Laune hatte, wie sie es bezeichneten. Mir kamen diese Verstimmungen nie so unangenehm vor, wie es klang. Die Erkenntnis, dass sie mir nicht helfen wollten, sondern nur eine Aufgabe brauchten, traf mich hart. Ich hatte vor Jahren zugelassen, dass sie meine Krücken wurden, doch nun wollten sie mich nicht mehr selbstständig gehen lassen.

„Das muss aufhören.“ Meine Stimme war fest, Finn nickte bekräftigend. Ich hatte keine Angst, dass er selbst selbstsüchtige Absichten haben könnte, ich vertraute ihm. Er war ehrlich.
 


 


 

In den nächsten Tagen und Wochen distanzierte ich mich, was mir genauso oft falsch wie richtig vorkam. Ich lernte, dass das der Preis einer Entscheidung war: Zweifel. Weil ich nicht die Courage hatte, blieb mein Lösungsprozess passiv. Es kurz, aber schmerzhaft zu halten, klang nicht verlockend, schließlich waren es noch immer meine Freundinnen, auch wenn das Cliquen-Ideal für mich zu degenerieren begann. Finn versuchte mich in meinem Entschluss zu unterstützen indem er mich ablenkte und mir zuhörte, wenn ich meine Freundinnen vermisste. Inzwischen fühlte er sich so wohl zwischen meinen unzähligen Zimmerpflanzen, dass sein Arbeitsplatz schleichend zu mir gezogen war. Seinen Worten zufolge, konnte er sich in meiner Nähe am besten konzentrieren, weil unsere Stille nie unbequem wurde. Ihm machte meine Art nichts aus und ich genoss es, dass er mein Refugium mit Respekt behandelte.

Wir waren gerade dabei, die Pizzaschachteln zu schließen, nachdem wir unseren Mittag im Bett verbracht hatten, als ein Schaben am Eingang die Idylle aus dem Nichts in Bedrohung stürzte. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, dann wurde die Tür geöffnet. Alarmiert sprang ich auf und griff nach meinem Morgenmantel. Finn hielt mich zurück, nicht weniger in Aufruhr. Krachend fiel die Tür wieder ins Schloss.

„Eve?“, machte sich der Eindringlich bemerkbar. Meine Anspannung verschwand so abrupt wie sie gekommen war, als ich mit Erleichterung Beas Stimme erkannte. Doch neben mir stand Finn in Verteidigungsposition, seine Knöchel traten weiß hervor, so fest hatte er seine Faust geschlossen. Zuerst dachte ich, dass er die Stimme nicht zuordnen konnte, schnell begriff ich aber, dass er sehr wohl wusste, wer das war.

„Sie hat einen Schlüssel?“, zischte er mir zu.

„Ja, aber nur für den Not-“, begann ich, als sich Bea mit gedämpften Absätzen in Bewegung setzte. Sie durchquerte meinen Flur und stand genauso schnell vor uns. Meine Wohnung war sehr klein, deswegen gab es keinen Ausweg für Finn.

„Ich wollte nach dir sehen. Wir dachten, dir sei etwas zugestoßen.“, begann die Brünette ohne Begrüßungsworte. Ihre Augen nahmen nur mich in den Fokus, als befände sich niemand sonst im Zimmer.

„Was machst du in meiner Wohnung?“, fragte ich verwirrt, zu überrumpelt um ärgerlich zu werden.

„Wie ich schon sagte, wir haben uns Sorgen gemacht.“

„Der Schlüssel ist für den Notfall.“, stellte ich klar. Als ich sah, wie sich ihre Pfennigabsätze in den Teppich bohrten – in meiner Wohnung herrschte Schuhverbot – und anschließend ihre nach Selbstverständlichkeit klingende Stimme hörte, regte sich in mir Empörung.

„Es hätte ein Notfall sein können.“, verteidigte sie sich verwundert.

„Hier gibt es gleich einen Notfall.“, drohte Finn knurrend, der nicht mehr als eine Boxershorts trug. Sein düsteres Gesicht kleidete ihn vollständig.

„Hallo, Finn.“, bemerkte Bea mit spitzen Lippen, als habe sie ihn soeben erst gesehen.

„Kann es sein, dass du nichts mehr mit uns zu tun haben willst, seit es diesen Behelfsadonis gibt?“ Die Brünette machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung. Abschätzig betrachtete sie seine Aufmachung als handle es sich um ein zoologisches Kuriosum. Finn machte einen Schritt auf sie zu, instinktiv wich sie zurück. Er streckte seine offene Hand in ihre Richtung aus, doch Bea gab sich als schwer von Begriff. Verunsichert lächelte sie mich an.

„Du hast kein Recht hier einfach einzudringen.“, erklärte ich, bevor es mein Freund tun konnte. Ich klang nach jenem Bedauern, das einen ereilte, wenn man die Erkenntnis gewann, sich in den Menschen geirrt zu haben.

„Die Schlüssel“, drängte Finn. Sein Ton war zornig.

„Eve?“ Mein Eindringling wirkte noch immer so, als dämmere es ihr nicht.

„Gib ihm die Schlüssel.“ Ich blieb ruhig, auch wenn ich mich nicht danach fühlte. Als ich ihren anfänglich irritierten, dann enttäuschten Blick nicht mehr ertragen konnte, senkt eich die Augen. Es sollte endlich vorbei sein. Unentschlossen betrachtete sie erst mich, dann Finn, schließlich sog sie zischend Luft in ihre Lungen und schmiss den Bund so knapp vor Finns Füße, als habe sie ihn treffen wollen. Mit fliegenden Haaren machte sie auf dem Absatz kehrt und erstürmte die Tür, durch die sie eingedrungen war. Bevor sie sie zuschmiss, verkündete sie:

„Du bist nicht mehr zu retten.“
 


 

Drei Tage lang hatten Finn und ich Zeit, uns zu lieben und jene kostbaren Minuten einer jeden beginnenden Romanze auszukosten. Es waren drei meiner glücklichsten Tage, in denen ich seinen Freunden und Mitbewohnern vorgestellt wurde, wir ins Kino gingen und er nur meinetwegen den Botanischen Garten ansah.

Danach fingen die Anrufe an. Nachdem die Clique verstanden hatte, dass ich nicht darauf reagieren würde, folgten Textnachrichten, schließlich kleine Briefe, die unter meinem Türschlitz gesteckt wurden. Die Inhalte schwankten zwischen aufrichtiger Sorge und Manipulationsversuchen. Langsam wurde mir klar, dass ich unsere Freundschaft lange Zeit falsch eingeschätzt hatte. Mir wurde mitgeteilt, dass ich mich verändert habe, jedoch nicht zum Positiven, was sie sich für mich gewünscht hätten. Bea fragte mich handschriftlich, was ich an ihrer Stelle tun würde und was ich dachte, was geschehen würde, wenn Finn mich verließ – ich würde keine Freundinnen mehr haben, die mich aufbauten. Doch niemand fragte mich, warum ich mich so verhalten musste. Niemand wollte glauben, dass ich die Normalität genoss, die mir Finn gab. Mein Leben lang hatte ich mich entrückt gefühlt unter anderen, doch erst er hatte mir klarmachen können, dass auch kaputte Dinge Schönheit besaßen; dass Funktion nicht immer wichtig war.

Wir kamen aus der Nachmittagsvorstellung unseres Lichtspielhauses an jenem Tag. Als wir um die Ecke des Hausflurs kamen, sahen ich Karolin vor meiner Tür sitzen. Um sie herum waren zerdrückte Zigarettenstummel im Halbkreis verteilt, es stank wie unsere Stammkneipe. Als habe sie schon Stunden auf uns warten müssen, sprang sie auf. Nervös strich sie ihre ungebügelte Kleidung glatt bis sie erkannte, wie vergeblich dieses Unterfangen war. Noch ehe ein Wort zwischen uns gefallen war, hob sie entschuldigend die Hände:

„Ich komme nur in meinem Namen.“

Ich zögerte, dann ging ich an ihr vorbei und entriegelte das Schloss. Mit einem Nicken bat ich sie hinein. Noch blieb ich skeptisch. Schon mehr als einmal hatte sich hinter Karolinas Stirn Diabolisches zusammengebraut und schon mehr als einmal hatten mich ihre Worte verletzt. Karolina war immer eine schwierige Gefährtin gewesen.

„Hallo, Finn.“, verlautete sie über ihre Schulter hinweg, doch für mehr als ein Nicken reichte seine Zuneigung nicht. In seinen Augen war sie nichts anderes als ein weiterer Ableger meiner Privatterroristen der letzten Tage.

„Wie geht es dir?“, wollte die Schwarzhaarige von mir wissen. Vermutlich hatte sie beschlossen, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich antwortete knapp, doch es beruhigte sie ausreichend.

„Ich möchte dir nur sagen, dass sich alle furchtbar aufregen. Sie steigern sich in richtige Horrorvorstellungen.“, begann sie endlich ihr Anliegen vorzutragen. Indes hatte mein Freund beschlossen, sich so zu verhalten, als wäre Karolina nicht hier und machte sich unter unnötigem Krach eine Tütensuppe. Mit verschränkten Armen betrachtete ich meinen Gast, doch dann erinnerte ich mich an die Situation in der Mensa.

„Es tut mir leid, wenn es euch verletzt. Ihr geht mir einfach zu weit.“, sprach ich es das erste Mal aus. Nichts lag mir ferner, als eine Fehde anzuzetteln oder jemanden vor den Kopf zu stoßen.

„Ich weiß, wieso du das machst. Ich fühle mich genauso. Nur scheine ich nicht das Küken unserer Truppe zu sein und wirke bei weitem nicht so hilfsbedürftig.“

Finn hielt mit seinem Protestlärm inne. Dies waren die ersten aufrichtigen Worte, die wir seit Wochen von einer meiner Freunde gehört hatten, was mich in unendliche Dankbarkeit ausbrechen ließ. Mein Lächeln für sie war zaghaft, doch es bedeutete mir viel.

„Das muss aufhören, Eve. Vielleicht können wir neu anfangen. Sie meinen es doch nur gut, auch wenn sie es mit etwas viel Nachdruck sagen. Ich meine, du kennst uns – wir sind eigentlich nicht so.“ Karolina erschien aufgerieben zwischen den Fronten. Ich seufzte, weil auch ich empfand, dass es zu weit ging. Irgendwann musste man sich versöhnen, das lag in der Natur wahrer Freundschaft.

„Wenn sich Bea entschuldigt, bin ich bereit das Waffelfrühstück zu vergessen.“, lenkte ich schließlich ein. Mein Blick fiel auf meinen Ficus-Baum am Fenster. Er hatte sein Blattwerk zu früh abgeworfen.

„Richtest du es ihnen aus?“

Die Schwarzhaarige nickte mit einem gelösten Lächeln und versicherte, es ihnen morgen auszurichten, wenn sie sich treffen wollten, dann verabschiedete sie sich ohne Umschweife.

Doch das Nachrichtenbombardement fand an diesem Tag seinen unheimlichen Höhepunkt. Da ich kein Ende sah, beschloss ich erstmals darauf zu antworten. Eine Nachricht für alle außer Karolina. Im Anschluss trafen wir uns mit Finns Mitbewohnern in einer Kneipe. Das Handy gab ich in Finns Obhut, weil ich gar nicht erst wissen wollte, was sie dazu zu sagen hatten.
 


 

Als wir noch am selben Abend auf dem Weg zu meiner Wohnung waren, um mit Nicole – deren Shirt ich ruiniert hatte – noch einen Absacker zu trinken, bemerkten wir nicht sofort den Gestank, der durch die Straßen kroch. Sie war gerade darin vertieft, uns die Pointen ihrer letzten Beziehung zu berichten. Erst als das Blaulicht heller wurde, ahnte ich, dass es in meiner Straße gebrannt haben musste. Die Ersthelfer liefen wie ein Ameisenhaufen durcheinander und riefen sich knappe Anweisungen zu. Wir kamen immer näher ohne meinen Heimweg zu verlassen. In meinen Innereien machte mir ein mulmiges Gefühl zu schaffen, denn es war mein Mietshaus, das in Flammen stand. Sofort dachte ich an die Kleinfamilie, die unter dem Dach lebte und Frau Taschenberg, die mir immer einen bösartigen Zettel schrieb, wenn ich vergessen hatte das Treppenhaus zu wischen. Unbewusst passten sich meine Schritte dem Takt meines hämmernden Herzens an, bis ich den ersten Polizisten zu greifen bekam. Mein Blick fokussierte jedoch nicht ihn, sondern die ausgebrannten Fenster meiner Erdgeschosswohnung. Wie leere Augenhöhlen starrte mich die Fensterreihe an. Die geschmolzenen Fensterbretter gaben dem Desaster ein korrosives Lächeln. In der Wohnung über mir war der Balkon verkohlt, die Fenster rußschwarz und gesprungen.

„Ist jemand verletzt worden?“, schrie ich den Wachmann an, ohne dass ich es wollte. Er sah mich entsetzt an, dann zu Finn, der erbleicht hinter mir stand.

„Wohnen Sie in diesem Haus?“

Ich nickte. „Im Erdgeschoss.“ Besonnen führte er mich zum Beifahrersitz eines offenstehenden Polizeiautos und drängte mich Platz zu nehmen. Ich musste ausgesehen haben, als wolle ich augenblicklich in Ohnmacht fallen.

„Die Frau über Ihnen ist mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht worden.“ Ich nickte, denn das bedeutete, dass sie lebte.

„Und Familie Heimstätt?“

Als der Wachmann meine Schultern fasste und meinen Blick suchte, machte ich mich auf das Schlimmste gefasst.

„Wir haben sie angerufen, glücklicherweise waren sie nicht zuhause als das Feuer ausbrach.“ Die Sorge perlte wie ein warmer Regen von mir. Ich begann zu weinen, doch ich wusste nicht, ob vor Schreck oder vor Erleichterung. Meinem Hiob war es sichtbar unangenehm und er winkte Finn und Nicole heran.

„Sie können das Haus zur Zeit nicht betreten, Frau...“

„Ammersbach.“ Der Mann nickte.

„Haben Sie eine Schlafmöglichkeit?“ Finn mischte sich ein, bevor ich etwas sagen konnte und versicherte, dass ich mich in guten Händen befand.

„Weiß man schon etwas über die Ursache?“, erkundigte er sich weiter. Ich dachte darüber nach, ob Finn meinen Herd ausgeschaltet hatte, nachdem er seine Suppe gekocht hatte. Vielleicht dachte er in diesem Moment dasselbe.

„Ich weiß nur, dass ein Anwohner die Feuerwehr alarmierte, als er Flammen im Erdgeschoss bemerkte. Das Feuer hat offenbar auf die anderen Wohnungen übergegriffen. Leider kann ich keine genaue Aussage machen, so lange die Kripo noch nicht hier war.“, bedauerte er. „Allerdings vermuten die Löschkräfte, dass ein Brandbeschleuniger benutzt wurde.“

Finn sah mich eindringlich an und ich wusste, was er sagen wollte. Unmerklich schüttelte ich den Kopf, während mir der Polizist seine Karte gab und mich bat, mich am nächsten Tag bei ihm zu melden. Finn bedankte sich in meinem Namen und nahm mich an der Hand. Bevor wir den letzten Einsatzwagen hinter uns ließen, drehte er sich ein letztes Mal um.

„Meine Arbeiten waren da drin.“, bemerkte er vorwurfsvoll. Ich hatte jedoch kein Mitleid mit ihm, weil ich binnen weniger Sekunden mein Refugium verloren hatte. Noch immer hatte der Schock mein Hirn gelähmt, sodass mir das Ausmaß dieser Katastrophe nicht bewusst war. Inzwischen wagten sich nicht einmal meine Tränen zurück in mein bleiches Gesicht. Schweigend lief Nicole neben uns; unsicher, was sie nun tun sollte. In gespenstischer Gleichgültigkeit, überquerten wir erst eine, dann zwei Straßen und schlugen den Weg zu Finns Wohnung ein.

Lange Zeit war der Gleichklang unserer Schritte auf dem Asphalt alles, was ich hören konnte, schließlich unterbrach mich Finn in meiner Apathie:

„Was hast du ihnen geschrieben?“

Sofort wusste ich, was er meinte, doch ich schüttelte hastig den Kopf. Nein, das war nicht möglich und so sollte er auch nicht von der Clique denken. Um ihm zu beweisen, dass es nichts damit zu tun hatte, bat ich ihn um mein Handy und zeigte ihm das Display. Das kalte Licht ließ uns noch weißer aussehen.

„Freundschaft ist ein Geschenk“, begann ich mit zittriger Stimme zu lesen, „kein Knebelvertrag. Ich kann auch ohne euch leb-“

Nicole schrie auf, als reißen augenblicklich ihre Stimmbänder. Ein Motor heulte auf um sie zu bekräftigen. Zu erschöpft für schnelle Reaktionen, sahen wir in zwei auf uns zurasende Scheinwerfer.

Weglaufen war zwecklos.
 


 


 


 

- Ende.
 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Guardian
2016-04-02T18:57:31+00:00 02.04.2016 20:57
Hallo :)
 
Ich war sehr gefesselt von deiner Geschichte und fand ihre Darstellung schon, als auch Realtistisch. Ich meine, wären sie wirklichen Freunde, wie sie sich als solche Bezeichnen, hätten sie auch mal Eve gefragt, was sie für eine Meinung vertritt, sie mal angehört und nicht als solche Verurteilt. Lieder ist das keine Seltenheit und habe das auch schön erlebt. Ich habe mit dei em Charakter mitgefühlt. Das Ende hat einen scjönen Cliffhänger und sollte auch so bleiben, das macht es im gesamten Rahmen spannend.
 
Dein Schreibstil war schön lesbar und einfach Verständlich. ich bin eigentlich kein Freund von der Ich-Perspektive, fand sie in deinem Fall aber wirklich schön und erträglich, da du eine abwechselnde EWortwahl vertritts und dich nicht geläufigt wiedrholst, wie es leider häufig der Fall sein mag.
 
Im gesamten, toll gemacht
 
Liebe Grüße
Von:  _Myori_
2014-03-01T10:31:44+00:00 01.03.2014 11:31
Heftig.
Mehr fällt mir gerade nicht dazu ein...

Okay, zurück zum Anfang: dein Schreibstil ist toll! Ich musste zwar den einen oder anderen Satz langsamer oder doppelt lesen, weil deine Wortwahl doch sehr "ausgefallen" war, aber siehe das bitte nicht als Kritikpunkt! Ich fand jeden Satz und jeden Vergleich wirklich interessant und es hat Spaß gemacht, das alles zu lesen :)
Die Story ansich war sehr gut! Es fing relativ harmlos an und endete in einer wortwörtlichen Explosion, die mich echt sprachlos gemacht hat. Und ich befürchte, solche Leute gibt es wirklich, die von einer Sache so besessen werden und dann alles so eskaliert ... traurig.
Mich würde ja jetzt interessieren, ob Eve und Finn da noch heile rauskommen. Ich würde mir ja schon einen glücklicheren Ausgang für die beiden wünschen. Und was ist eigentlich mit Karolina? Hat sie zu ihren anderen Freundinnen gehalten oder sich bei der Aktion gegen sie gestellt? Ist sie jetzt das neue Ziel der Wut ihrer Freundinnen?
Deine Geschichte wirft Fragen auf und das finde ich gut so :)
Trotz des ernstem Themas und dem unschönen Ausgang habe ich deine Story gerne gelesen!

Liebe Grüße :)
Antwort von:  Asketenherz
01.03.2014 11:41
Vielen Dank für deinen Kommentar! :) Mit dem Ende war ich mir bis zum Ende (nein, bis heute) unsicher, aber ich habe es nun so gelassen wie in der ersten Version. Ich freue mich, dass du Spaß am Lesen hattest. Das mit dem "ausgefallenen" Schreibtstil ist mir noch gar nicht aufgefallen...vielleicht zu viele Hausarbeiten, die den Stil verhunzen... :D
Jedenfalls danke für das Feedback.


Zurück