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Das Rotkäppchen-Experiment

von

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Die Partition der Gleichgültigkeit

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Die Partition der Gleichgültigkeit


 

Ich gähne und schlurfe die schmale Treppe in den ersten Stock hinunter. Die erste Nacht in der neuen Wohnung habe ich gut überstanden, jedoch kann ich partout nicht mehr schlafen, und dass obwohl es draußen noch nicht einmal hell ist. Sagt man nicht, dass das, was man in der ersten Nacht in einem neuen Bett träumt, wahr wird? Oh je... dann freue ich mich doch schon jetzt auf den Moment, wenn ich unter Sherlocks Händen auf einem OP-Tisch erwache, weil er an mir eine Theorie überprüfen muss.

Auf halbem Weg nach unten zucke ich zusammen, da ein Knall die morgendliche Stille zerreißt. Ich strauchele und wäre beinahe die Treppe hinunter gestürzt, kann mich jedoch gerade noch am Geländer abfangen. War das... ein Schuss?

Alarmiert haste ich die restlichen Stufen nach unten und rutsche, in der ersten Etage angekommen, hart gegen die Wand im Flur, da meine dünnen Socken mir nur wenig Halt bieten. Ich benötige dringend ein paar ordentliche Hausschuhe. Irgendetwas mädchenhaftes. Pinkfarbene Hasen mit süßen Schlappohren oder so. Aber das ist gerade zweitrangig, beschließe ich, als ein weiterer Knall ertönt. Ja, definitiv ein Schuss.

Ich stürme durch die Tür, welche in die Küche führt, um das Überraschungsmoment auf meiner Seite zu haben und mache mir gar keine Gedanken darüber, wie ich weiter vorgehen will, wenn ich gleich in das Szenario eines Wohnungseinbruches platzen werde.

Gerade als ein weiterer Schuss im morgendlichen Dunkel des Wohnzimmers fällt, greife ich geistesgegenwärtig nach einem Schürhaken und sause, diesen über meinen Kopf erhoben und zum Schlag bereit, schreiend ins Wohnzimmer.

Ich sehe die dunkle Silhouette einer hochgewachsenen Gestalt direkt vor mir und erkenne außerdem deutlich den Umriss einer Schusswaffe, welche die Person in der kriminellen Hand hält.

Gerade hole ich zum Schlag aus, als Mrs. Hudson die Bühne betritt und das Wohnzimmerlicht einschaltet. Mein Schrei verstummt und ich halte in der Bewegung inne, gerade als Sherlock in einer meisterhaften Verrenkung auf die gegenüberliegende Wand mit dem Smiley schießt.

»Kinder, was ist das für ein Lärm am frühen Morgen? Was sollen denn die Nachbarn denken?«, fragt Mrs. Hudson verwirrt und noch ganz schlaftrunken, aber das ist mir egal, denn mir platzt augenblicklich der Kragen, als Sherlock sich gelangweilt vor mir aufbaut. Da kann sein blauer Morgenmantel noch so schön um seine Beine wehen.

»Sind Sie noch ganz bei Trost?«, keife ich ihn an und lege den Schürhaken beiseite, bevor ich mich nicht mehr beherrschen kann und doch noch ein Unglück passiert. »Was tun Sie denn da?«

»Langweilig«, sagt er nur, rafft seinen Morgenmantel und nimmt den direkten Weg zur niedrigen Couch, steigt dabei über den kleinen Wohnzimmertisch und lässt sich theatralisch in die Kissen fallen.

»Ich hätte Ihnen beinahe mit dem Schürhaken eine übergebraten!« zetere ich weiter, während Sherlock sich mit der Handfeuerwaffe am Kopf kratzt. »Ich dachte, Sie wären ein Einbrecher!«

»Ich gehe dann wieder ins Bett«, wirft Mrs. Hudson ein und verlässt den Raum, wovon ich jedoch kaum Notiz nehme.

»Ich bin schwer enttäuscht, Hazel«, äußert Sherlock und sein Gesichtsausdruck bringt mich dazu, meinen Wutpegel etwas zu senken. Daran, dass er sich meinen Namen nicht merken kann, habe ich mich bereits gewöhnt.

»Wieso?«, höre ich mich allen Ernstes gereizt fragen und versuche, durch eine Atemübung wieder etwas herunter zu kommen.

»Sie sind jetzt schon über zwölf Stunden hier und es ist noch nichts Aufregendes passiert.«

Ich reiße die Augen auf und blinzele den Mann ungläubig an.

»Haben Sie das etwa ernst gemeint?«

»Vielleicht sind Sie ja kaputt.«

»Mit mir ist alles in Ordnung.«

»Möglicherweise brauche ich einen neuen Mitbewohner.«

»Jetzt hören Sie mal!«

Sherlock hält in seinem Monolog inne und sieht mich an, als würde ihm erst jetzt auffallen, dass ich überhaupt anwesend bin. Ich fühle mich genötigt, meine Kehle durch ein Räuspern zu leeren.

»Also...«, beginne ich stammelnd, da mir diese plötzliche Aufmerksamkeit unangenehm ist. »Ich fand das gerade sehr aufregend.«

»Ein Zeichen dafür, wie stumpfsinnig Sie sind«, konstatiert der Consulting Detective im blauen Nachtrock und erhebt sich, um einen Tisch weiter zu ziehen und sich hinter seinem Laptop verkriechen zu können.

Eingeschnappt wende ich mich ab und begebe mich in die Küche. Es ist zweifelhaft, ob ich es hier lange aushalte. Andererseits sitze ich hier an der Quelle für neue Romanideen. Hach, es ist verzwickt.

Ich knipse das Licht an und mein abwertender Blick gleitet über die ganzen Apparaturen und Behälter, die sich auf dem Küchentisch sowie auf jeder erdenklichen Arbeitsfläche stapeln. Mikroskope, Trägerflüssigkeiten, Reagenzgläser. Mich würde es nicht einmal wunder, wenn sich hier hin und wieder etwas spontan selbst entzünden würde. Wird hier jemals gekocht? Was ich wohl in der Mikrowelle vorfinden werde?

Missmutig krame ich neben der Spüle einen Wasserkocher hervor und bereite schnell ein kleines Frühstück vor.

»Wollen Sie auch etwas?«, frage ich laut. Ich bin einfach viel zu gut erzogen.

Es ärgert mich schon gar nicht mehr, dass ich keine Antwort erhalte. Ich zucke nur kurz mit den Schultern und bahne mir den Weg zum Kühlschrank. Bevor ich diesen jedoch öffne, weckt der ungewöhnliche Blumentopf auf dem Fensterbrett des Küchenfensters meine Aufmerksamkeit.

Mein Fahrradhelm, denke ich weinerlich und hoffe, dass das kleine Bonsai Bäumchen sein neues zu Hause zu schätzen weiß. Wenn es um Zimmerpflanzen geht, beliebt Sherlock wahrlich nicht zu scherzen.

Seufzend finde ich mich damit ab und ziehe am Kühlschrankgriff. Kaum kann ich einen Blick in das Innere des Kühlschrankes werfen, knalle ich die Tür, einen Aufschrei unterdrückend, wieder zu und brauche ein paar Sekunden, bis ich mich wieder gefangen habe. Ich atme ein paar Mal tief durch und starre auf die geschlossene Kühlschranktür.

»Da«, beginne ich, muss jedoch abbrechen, da meine Stimme bricht. Ich räuspere mich und beginne erneut. »Da ist ein Skorpion im Kühlschrank!«, sage ich etwas lauter und hoffe wenigstens dieses eine Mal auf eine Antwort.

»Androctonus australis«, reagiert Sherlock auf meinen entsetzten Ausruf und ich versuche, das Bild des ockergelben Tierchens in einem Plastikgefängnis aus meinem Gedächtnis zu verdrängen.

»Was macht er da?«, will ich wissen und beschließe, dass ich meinen Tee schwarz trinken werde und mir auf dem Weg zur Arbeit ein Sandwich gönne.

»Existieren«, informiert Sherlock mich und ich warte darauf, dass das Wasser zu kochen beginnt.

»Ich meine... wieso ist er da?«, präzisiere ich meine Frage und schalte den Wasserkocher ab, sobald er zu zischen beginnt.

»Experiment«, kommt die knappe Antwort und ich fühle mich in meiner Vermutung bestätigt.

Klar, was sonst.

Wenig später balanciere ich meine Teetasse in das Wohnzimmer und platziere mich auf der Couch, direkt unter den Einschusslöchern. Ich erschrecke, als ich mich auf die Waffe setze, krame diese unter meinem Hintern hervor und verstecke sie kurzerhand in der Sofaritze.

»Wenigstens«, beginne ich und puste auf meinen Tee, »bewahren Sie keine Körperteile im Kühlschrank auf.«

Sherlock blickt alarmiert von seinem Bildschirm auf und ich blicke ebenso alarmiert zu ihm zurück.

»Sehen Sie lieber nicht ins Gefrierfach«, teilt er mir freundlicherweise mit und greift zu seinem Telefon, als dieses ein Geräusch von sich gibt.

Oh Gooooott...

Ich greife zur gestrigen Tageszeitung vor mir auf dem Couchtisch und versuche, jede Absonderlichkeit, die sich in den letzten Minuten ergeben hat, zu verdrängen. Oh hier, ein schöner Raubmord in Greenwich, tödlicher Verkehrsunfall in Hackney mit Fahrerflucht, eine Entführung in Kingston. Grundgütiger, und das alles an einem Tag. Scheinbar schläft das Verbrechen nie. Wie auch immer...

Ich leere genüsslich meinen Tee, blättere abwesend durch die Seiten und beschließe, dass es an der Zeit ist, ein bisschen Geld zu verdienen, als es draußen langsam dämmert. Also schlage ich die Zeitung zusammen und schicke mich an, die Wohnung zu verlassen.

»Ich gehe auf Arbeit«, sage ich verabschiedend und meine Stimme hallt ungewöhnlich laut in der aufgekommenen Stille des Raumes wider.

Ich bin schon fast im Flur, als das stetige Tippen auf Sherlocks Tastatur unterbrochen wird und seine Stimme mich aufhält.

»Nein.«

Nein? Was soll das heißen? Will er mir jetzt etwas verbieten zu arbeiten?

»Wie bitte?«, frage ich so gelassen, wie es mir möglich ist und mache, auf Antwort wartend, dementsprechend große Augen.

»Es würde keinen Sinn machen, Ihren Arbeitgeber aufzusuchen. Man hat Ihnen gekündigt.«

Ich glaube, mich verhört zu haben und schnappe ratlos nach Luft.

»Das kann nicht sein«, sage ich und bin mir keiner Schuld bewusst. Sherlocks Informationen sind falsch, das müssen sie einfach sein.

»Sie haben Recht«, stimmt er mir zu und lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück. »Vielmehr haben Sie selbst gekündigt.«

Ich blinzele. Einmal. Zweimal. Dann entsteht diese steile Falte zwischen meinen Augen wie von selbst.

»Habe ich nicht«, gebe ich zu verstehen. »Das wüsste ich aber.« Ich leide doch nicht an geistiger Umnachtung.

Sherlock erhebt sich und holt in einer routinierten Bewegung sein Smartphone aus der Tasche seines Morgenmantels. Während er auf das Display sieht, deutet sein ausgestreckter Finger auf den kleinen Beistelltisch zwischen Küche und Wohnzimmertür.

»Da ist ein Fax für Sie.«

Auf das Äußerste verwirrt und auch ein klein wenig neugierig, kehre ich ins Wohnzimmer zurück und nehme das angekommene Fax aus dem Gerät. Sofort fällt mir das Logo meines Arbeitgebers ins Auge. Sehr geehrte Miss Flynn, bla bla. Mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, bla bla. Fristlose Kündigung, bla bla. Mit sofortiger Wirkung, bla.

Verständnislos lasse ich die Hand, welche den Brief hält, sinken und blicke ins Leere. Dabei kann es sich nur um einen Irrtum handeln. Ich habe nicht gekündigt.

»Hierbei muss es sich um ein Versehen handeln«, sage ich leise und überfliege das Schreiben erneut. Woher haben die überhaupt die Faxnummer? Ich werde diese Kündigung gleich mitnehmen und die Sache klarstellen.

»Das hat schon alles seine Richtigkeit«, mischt Sherlock sich ein und tippt wild auf seinem Telefon herum, ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Ich habe in Ihrem Namen gekündigt.«

Er... hat...

»WAS?!?!« Vor Schreck ist meine Stimme eine ganze Oktave höher als sonst.

»Sie können mir später danken.«

»Sie haben was getan?«

Endlich blickt er von seinem blöden Telefon auf und sieht in mein aufgebrachtes Gesicht.

»Ich habe für Sie gekündigt. Hören Sie nicht zu?«

»Das... das... das dürfen Sie nicht! Das ist nicht rechtens! Sie Betrüger! Haben Sie meine Unterschrift gefälscht? Sie haben doch nicht mehr alle Nadeln an der Tanne, Sie... Sie... Soziopath!«

Okay, sage ich mir selber und beginne im Zimmer auf und ab zu laufen. Das kriegen wir schon wieder hin. Sherlock muss einfach nur mitkommen und die ganze Sache aufklären, dann ist alles wieder geritzt.

»Sind Sie jetzt fertig?«, fragt er genervt und ich halte erbost in meiner Bewegung inne.

»Wie soll ich, Ihrer Meinung nach, nun meinen Teil zur Miete beisteuern? Das haben Sie wohl nicht bedacht, Mr. Neunmalklug?«

»Geben Sie es zu«, sagt er ohne auf meine Frage einzugehen und ein Piepen seines Mobiltelefons verrät, dass er soeben eine Nachricht erhalten hat. »Sie haben es gehasst. Eher würden Sie sich den Bauch mit einem Küchenmesser aufschlitzen, als diese Arbeitsstelle wieder anzunehmen. Ihr Nacken wird es Ihnen danken.«

»Mein Nacken tut jetzt überhaupt nichts zu Sache!«, schreie ich fast und muss mich arg zurückhalten, um nicht mit den Füßen zu stampfen, wie ein bockiges Kind. »Ich muss doch von irgendetwas Leben, Geld verdienen, ich muss...- Oh, ich muss mich setzen. Ich kriege gleich einen Nervenzusammenbruch.«

Mir wird schwindelig und ich halte mich wankend am Türrahmen fest, während ich überlege, wie ich meinem Chef die Geschichte hier verklickern soll, ohne dass er mich für geisteskrank hält. Ich fühle mich, als wäre ich gestern Abend mit Lindsay Lohan um die Häuser gezogen.

»Unsinn«, sagt Sherlock schroff und hält mir das Display seines Telefons unter die Nase. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Sie haben einen Auftrag.«

Häh?

Ich fokussiere meinen Blick auf den Nachrichtentext. Ein paar Anweisungen und die Adresse eines Auktionshauses. Unterzeichnet ist die SMS mit -MH.

»Ich soll die Uhr an Ihren Bruder liefern«, vermute ich und bekommen fast schon Dollarzeichen in die Augen, als ich die Summe meiner Bezahlung für diesen Dienst vor Augen habe. »Hier steht, dass sich mein Honorar verdoppelt, wenn ich bis neun Uhr da bin. Das sind noch 34 Minuten. Keiner fährt diese Strecke unter 40.«

Alle Gedanken an meine verlorene Arbeit sind verflogen. Für diese horrende Summe müsste ich mindestens drei Monate in die Pedale strampeln. Mit einem Lächeln steckt Sherlock sein Telefon wieder weg und sieht überprüfend auf seine Armbanduhr.

»Ich sagte Mycroft, Sie brauchen 38.«

Blitzschnell gehe ich gedanklich die Straßenkarte Londons durch und lehne mich weit aus dem Fenster, als ich sage:

»Ich schaffe es in 37.«

Ehrgeiz steigt in mir auf, als ich quasi sofort auf dem Absatz kehrt mache und in das Erdgeschoss hinunter haste.

»Nehmen Sie das Geld an, welches er Ihnen anbieten wird«, ruft Sherlock mir hinterher. »Wir können es uns teilen.«

Was zum-?, denke ich, aber nur kurz, denn in Gedanken gehe ich bereits eine alternative Route durch, die mich weitere zwei Minuten einsparen lässt.
 

~ Ende des 8. Kapitels ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  KiraNear
2014-08-17T12:56:41+00:00 17.08.2014 14:56
Ein Scorpion im Kühlschrank? Oh Sherlock XD
Von:  Atina
2014-08-04T20:43:05+00:00 04.08.2014 22:43
Herrlich! Nichts macht er, sagt meist nur ein Wort und dann kündigt er für sie... Sherlock, Sherlock... Kopf schüttel...


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