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Bambino Fingono

Pretender Fanfiction
von

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Titel: Bambino Fingono

Autor: ZoeP

Rating: PG-13

Categories: R, A

Spoiler: Staffel 1-4 (die Filme nicht)

Short-Cut: Jarod versucht, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren und krempelt dabei nicht nur das Centre gewaltig um...

Pairing: Alle ;-)

Disclaimer: Die Charas von Pretender und die Vorgeschichte gehört nicht mir. Jedoch ist der gesamte Inhalt samt den neuen Charas, den ich hier fabriziert habe, mein geistiges Eigentum

E-Mail: janni@feix-jena.de

Anmerkung: Dieser Teil ist einer der Schlüsselteile, in dem es sehr viel um Miss Parker und ihren Wandel, ihre Gefühle geht. Irgendwie war mir gerade danach zumute. Ich hoffe, die Melancholie stört euch nicht. Jemand hat mir geschrieben, er wolle, dass Jarod und Jessy zusammen kommen. Ich habe eigentlich ganz andere Pläne mit ihr... Bitte schreibt mir, was ihr davon haltet! Ich widme diesen Teil Jarod Parker, denn ihm und seinem Feedback habt ihr es zu verdanken, dass ich mich endlich mal wieder ran gesetzt habe.
 

Bambino Fingono Teil 7

von ZoeP
 

Teil 7
 

"Sydney Green." Die Stimme am anderen Ende der Leitung blieb für einen Moment still, atmete dann tief ein und meldete sich.

"Hallo Sydney."

Einen Moment lang herrschte Stille.

"Jarod!" Sydney wechselte den Hörer auf die andere Seite und verlagerte das Gewicht. Sein Schützling hatte sich lange nicht gemeldet, eigentlich viel zu lange. In den letzten Tagen war Sydney wieder einmal mehr bewusst geworden, dass Jarod wirklich nicht mehr zum Center gehörte, und wenn er wollte, könnte er ihm und allem, was mit dem Center zu tun hatte, den Rücken kehren. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke nicht, dass Jarod für immer aus seinem Leben verschwinden könnte, wenn er wollte.

"Bist du noch dran?" Jarods Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück.

"Ja..." Kopfschüttelnd lehnte sich Sydney an den Fensterrahmen und sah in den Wolkenverhangenen Himmel. "Du hast lange nichts mehr von dir hören lassen." Sydney wusste nicht, wie er ein Gespräch in Gang bringen konnte.

"Nein... Ich habe nicht viel Zeit. Was ist mit Parker los?", kam Jarod zu seinem Anliegen.

"Wieso? Was ist denn mit ihr?" Sydney zog es für einen winzigen Moment in Erwägung, Jarod die Wahrheit über Miss Parkers Verschwinden zu sagen. Jarod schien weit weg zu sein, wenn er über die neusten Ereignisse nicht informiert war. Eine große Entfernung bedeutete gleichzeitig Sicherheit, und die wollte Sydney nicht gefährden.

"Ich habe schon mehrmals versucht, sie zu erreichen. Aber sie geht nicht ans Telefon und ihr Handy ist ausgeschalten. Und dann diese seltsame Nachricht heute Morgen... Macht sie Urlaub?" Jarod grinste.

"Ja", erwiderte Sydney.

"Sydney", meinte Jarod ungläubig, "das war nicht ernst gemeint... Parker hat noch nie Urlaub gemacht!"

"Einmal ist immer das erste Mal." Sydney seufzte. Jarod machte sich schon wieder zu viele Sorgen um Andere.

"Also gut, wo ist sie hin?", startete Jarod erneut.

"Das weiß ich nicht. Ihr Vater übrigens auch nicht." Ein Schatten huschte über Sydneys Gesicht.

"Aha." Jarod verstummte. Sydney vernahm ein Rascheln und leises Gemurmel.

"Hast du Besuch?", fragte er Jarod.

"Nein, ich bin der Besuch." Aus Jarods Stimme war ein Grinsen heraus zu hören. Dann räusperte er sich. "Sydney?"

"Ja?" Sydney beobachtete die grauen Wolkenmassen, die sich am Horizont auftürmten.

"Ich muss dann auflegen."

"Seit wann warnst du mich vor, wenn du unser Gespräch beenden willst?" In seiner Stimme schwang Ironie mit. "Ich will dich nicht aufhalten. Melde dich mal wieder." Es war eine einfache Bitte, die Sydney aussprach.

"Mach ich. Machs gut, Syd." Jarod wartete gar nicht erst eine Antwort ab und legte auf. Sydney legte den Hörer auf seinen Tisch und setzte sich. Die Hände zusammengefaltet starrte er ins Nichts.

***

"Und?" Jessys neugieriger Blick ruhte auf dem Hörer, den Jarod in seiner Hand hielt.

"Was, und?" Jarod grinste. Jessy war einfach zu wissbegierig, genau wie er selbst. Es war irgendwie ungewohnt, einen zweiten Pretender um sich zu haben.

"Wo ist deine geheimnisvolle Freundin?" Jessy zog ihre Augenbrauen nach oben.

"Wer, Miss Parker?" Er blinzelte kurz. Jessy nickte, und Jarod lachte auf. "Also erstens bin ich hier der Geheimnisvolle und zweitens ist sie nicht meine Freundin. Sie jagt mich!"

Jessy zuckte mit den Schultern. "Dann eben nicht." Es entstand eine Pause, ehe sie fortfuhr. "Das war also Sydney."

Jarod nickte. Seine Gedanken flogen zu dem Gespräch, das er eben geführt hatte. Der Hörer lag noch immer in seiner Handfläche und war schon ganz warm. Irgendwie hatte es ihm gut getan, mit seinem Mentor zu reden. Aber ihn ließ das Gefühl nicht los, dass Sydney besorgt war. War es wegen ihm? Jarod schüttelte unmerklich den Kopf. Irrte er sich, oder hatte Sydney ihm nicht die Wahrheit gesagt? Er kannte ihn schon zu lange, um sich täuschen zu lassen. Irgend etwas war nicht in Ordnung, etwas, das Sydney verändert hatte. Jetzt galt es, herauszufinden, was das war.

Jarod erhob sich und ging zur Tür. Im Gehen drehte er sich noch einmal um. "Danke übrigens, dass ich dein Telefon benutzen durfte. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, eine abhörsichere Leitung zu installieren."

Jessy nickte nur.

***

Das Gebäude war ein zweistöckiger, altmodischer Bau mit Vorbauten und Erkern in jedem Winkel. Parker schob sich die Sonnenbrille von der Nase, um das Schild zu lesen. Seniorenheim am Peribonca. Sicherlich würde der Name einmal in die Geschichte eingehen. Seufzend rückte Miss Parker ihre Brille wieder zurecht und betrat das Gebäude.

Sie ließ ihren Finger auf die Klingel schnippen und lehnte sich an die Rezeption. Während sie wartete, hatte sie die Zeit, sich umzusehen. Eigentlich war es hier recht gemütlich. Hohe Topfpflanzen und freundliche Gemälde lockerten die Atmosphäre, die ein typisches Altenheimflair ausstrahlte, etwas auf.

"Kann ich Ihnen helfen?"

Miss Parker blickte auf. Vor ihr stand ein lächelnder, junger Mann in einer Pflegeruniform.

"Ähm... Ja. Mein Name ist Parker. Ich suche jemanden." Sie setzte eines ihrer falschen Lächeln auf.

"Und wen, wenn ich fragen darf?" Der Mann stützte sich auf die Theke und kramte nach einem Notizblock. "Parker, richtig?"

Parker nickte. Als er sie wieder ansah, antwortete sie ihm. "Er heißt Raines. Es ist... mein Onkel." Vielleicht würde die Nummer mit der Familie ja noch einmal funktionieren. Einen Versuch war es wert.

"Er ist mit Ihnen verwandt? Einen kleinen Moment bitte..." Der Pfleger suchte in einer Schublade mit Kärtchen nach dem richtigen Namen. Nach einer Weile zog er eine Karte hervor und legte sich auf den Tisch.

"Raines, William. Vor einer Woche eingewiesen aufgrund von Altersschwäche. Ist er das?" Er blickte fragend zu Parker auf.

Die nickte flüchtig und sah auf die Karte. Außer den gewöhnlichen Daten war nur an den Rand gekritzelt, dass Raines unter leichtem Alzheimer litt. Bestimmt hatte Lyle nicht damit gerechnet, dass jemand hinter sein kleines Geheimnis kommen könnte und diesmal nicht sonderlich viel Aufwand betrieben. "Dürfte ich vielleicht zu ihm?"

"Verzeihung, aber können Sie sich auch als Verwandte ausweisen?"

Verdammt! Damit hatte Parker nicht gerechnet. Sie überlegte kurz, wie sie es noch versuchen könnte. "Nein, aber wenn er mich sieht, wird er es Ihnen bestätigen." Hoffentlich ging er darauf ein, das war ihre einzige Chance.

"Nun ja, so einfach ist das nicht." Er sah etwas verlegen zu Boden.

"Seine Krankheit ist noch nicht so stark, dass er mich vergessen hat. Ich kann mit seinem Alzheimer umgehen. Lassen Sie mich zu ihm, mein Besuch wird ihm sehr gut tun", meinte sie und lächelte noch mehr. Raines würde ihren Besuch mit Sicherheit nicht vergessen, dafür würde sie schon sorgen.

"A-also gut", gab der Pfleger nach. Vielleicht hatte es ihn überzeugt, dass sie von seiner Krankheit wusste. "Wenn er zustimmt, dass Sie zu ihm gehören, dürfen Sie sich eine halbe Stunde mit ihm unterhalten. Und wundern Sie sich nicht, wenn er manchmal wirres Zeug redet." Er öffnete den Durchgang zur Rezeption, trat auf den Flur und führte Parker durch das Gebäude. Raines Zimmer lag ziemlich Abseits im ersten Stock. Viele Fragen gingen Parker durch den Kopf. Ob er wirklich an Gedächtnisschwund litt? Oder war das nur ein Vorwand von Lyle, um den Versuchen von Raines, etwas über das Center zu erzählen, zuvorzukommen? Und wieso war Raines überhaupt hier! Ihr Vater hatte ihn doch erschossen - vor ihren Augen...

Während sie durch die hellen Gänge liefen, wurde Parker erst klar, was überhaupt passiert war. Und dass sie ein ziemliches Glück gehabt hatte, bis hierher zu kommen. Das Heim hatte keine aufwändigen Sicherheitsvorkehrungen. Aber wahrscheinlich rechnete man hier in dieser gottverlassenen Gegend nicht mit besonderen Zwischenfällen. Wer interessierte sich schon für einen Haufen altersschwacher Leute? Trotzdem musste Parker sich ein triumphierendes Grinsen verkneifen, als sie an Lyles Nachlässigkeit dachte. Wenigstens den Nachnamen hätte er ändern können...

"Hier ist es." Der Pfleger wies auf eine Tür. Parker sah ihn fragend an.

"Warten Sie bitte einen Moment." Er verschwand in dem Zimmer und Miss Parker hörte leise Stimmen. Dann wurde sie hereingebeten. Das Zimmer war erstaunlich freundlich, nicht so steril, wie sie es erwartet hatte. Ein schlichter Tisch mit zwei Stühlen, Gemälde und Pflanzen zierten das Zimmer. Das Bett war vom Rest des Raumes abgetrennt. Als Parker Raines erblickte - er saß in einem der Korbstühle - musste sie sich zurückhalten, um sich nicht zu verraten. Der Pfleger hockte neben Raines.

"Kennen Sie diese Frau?", fragte er und deutete auf Miss Parker, die noch im Türrahmen stand. Raines' Kopf hob sich langsam an. Miss Parker sah vor sich einen alten, gebrechlichen Mann mit einem Schlauch in der Nase. Als er sie erblickte, weiteten sich seine Augen.

"A-aber das ist ja... Miss Parker!" Als er sich von der Überraschung erholt hatte, blickte er den Pfleger an. "Ja, ich kenne diese Frau..."

"Hallo Onkel Willie", begrüßte Miss Parker ihn und bemühte sich, freundlich zu klingen. Sie musste zugeben, dass ihr das schwer fiel, zu viele Fragen formten sich in ihren Gedanken.

"Wieso nennen Sie sie dann Miss Parker, wenn Sie die Frau kennen?", fragte der Pfleger argwöhnisch.

"Ich... ich habe ihren Namen vergessen." Raines schüttelte betrübt den Kopf. Sah Miss Parker richtig, oder spielte er seine Betroffenheit nur? "Sie ist... meine Nichte."

"Mmh." Der junge Mann sah von Parker zu Raines und von Raines wieder zu Parker. "Also gut, wenn das so ist!", meinte er schließlich und schritt zur Tür. "Eine halbe Stunde, nicht länger."

Die Tür fiel ins Schloss und Miss Parker stand da, unfähig, etwas zu sagen oder sich zu bewegen.

"Was soll ich davon halten?", begann Raines und man hörte deutlich die Erschöpfung aus seiner Stimme.

"Das könnte ich Sie auch fragen." Miss Parkers Stimme hatte wieder ihren kalten Tonfall angenommen. "Wieso sind sie hier? Wieso sind sie noch am Leben?"

"Das wüsste ich auch gerne", war die knappe Antwort. "Ich dachte, das wüssten Sie alles, wo Sie doch extra meinetwegen hergekommen sind."

"Ich bin nicht im Auftrag des Centers hier. Auch nicht im Auftrag von Lyle. Mein Besuch ist... privat." Parker setzte sich auf den Stuhl, der noch frei war und saß nun direkt gegenüber von Raines.

"Und nun erzählen Sie mir, was Sie hier zu suchen haben?" Ihre Worte klangen hart.

"Ich... Lyle..." Raines überkam ein Hustenanfall. Gedächtnisschwund hatte er nicht, aber körperlich schien es ihm nicht sehr gut zu gehen. Als der Husten nachließ, setzte er erneut an.

"Lyle hat mich hierher gebracht." Seine Stimme war flach und heiser.

"Wieso?", wollte Parker wissen.

"Nachdem Mr. Parker mich fast erschossen und in der Zelle liegengelassen hatte, kam Lyle zu mir. Er hatte alles über die Kameras beobachtet." Raines räusperte sich kurz. "Ich war nicht tot, aber schwer verwundet. Und so sorgte Lyle dafür, dass ich in ein anderes Sublevel verlegt wurde und dort versorgte er mich mit dem Nötigsten. Die Schusswunde verheilte, jedoch nur, weil ich Lyle alles gesagt hatte was ich wusste. Über den Aufenthaltsort von dem Baby und Brigitte, über Mr. Parker und das Triumvirat... Ich wusste nicht was Lyle vorhatte."

Ein neuer Hustenanfall schüttelte Raines und Miss Parker stand auf, ging zum Waschbecken und nahm sich von der Ablage darüber ein Glas, das zwischen irgendwelchen Pillen und Tabletten stand. Nachdem sie es zur Hälfte mit Wasser gefüllt hatte, gab sie es ihm. "Erzählen sie weiter."

Raines nahm ein paar Schluckte und setzte es dann auf dem Tisch ab. "Als ich mich von den Verletzungen erholt hatte, brachte er mich hierher. Er hatte mich unter ein starkes Psychopharmaka gesetzt, und so glaubten ihm die Pfleger sofort, dass ich nicht klar denken könne. Er ließ mich hier zurück, und als ich mich von den Wirkungen des Medikamentes erholt hatte, fand ich mich in einem Heim in Kanada vor!" Raines lachte kalt auf, was eine Welle des Hustens auslöste.

"Aber wissen sie was?" Er sah Miss Parker direkt in die Augen. Sie sah ihn fragend an, und er blickte auf das Glas in seiner Hand. "Er meinte es nicht... böse."

Parker glaubte, sich verhört zu haben. Stand Raines noch immer unter dem Einfluss von Medikamenten, oder meinte er das ernst, was er hier von sich gab? Lyle erpresste ihn nach unendlichen Qualen, ließ ihn hier einsperren und meinte es nicht böse? Parker war sich nicht einmal sicher, dass Lyle überhaupt etwas tat, das er nicht böse meinte.

Sie unterdrückte die Wut auf ihren Halbbruder, die in ihr aufstieg und wandte sich wieder an Raines. "Also schön. Smalltalk beiseite - ich bin hier, um Antworten auf ein paar Fragen zu finden."

Raines hustete erneut. Parker wurde langsam ungeduldig, deshalb ignorierte sie den Anfall. "Sie wollten mir etwas sagen, bevor... mein Vater auf sie geschossen hat." Parkers Gedanken schweiften kurzzeitig zu dem Moment zurück. Sie war so nah dran gewesen, zu erfahren, welche Geheimnisse ihre Mutter ihr noch mitteilen wollte. Der, der alle Geheimnisse kennt, ist... Das waren seine letzten Worte gewesen. Sie musste es wissen.

"Raines, bitte..." Miss Parker betonte das Wort, als hätte sie es das erste Mal in ihrem Leben gehört. "Bitte sagen Sie mir, wer diese eine Person ist, von der Sie mir damals erzählen wollten." Ihre dunklen Augen schienen die seinen zu durchdringen. Ihr Blick fesselte Raines mit einer ihm unbekannten Macht. Er holte tief und rasselnd Luft. Miss Parker bemerkte erst jetzt aus den Augenwinkeln heraus die Sauerstofflasche, die neben seinem Korbsessel stand. Sie wiederholte ihre Frage: "Wer ist der Schlüssel zu den Geheimnissen des Centers?"

Raines Augen weiteten sich, sein Atem ging schneller. Parker war sich nicht sicher, aber es wirkte, als hätte er Angst vor ihr. Sie sah eine Ader an seiner Schläfe heftig pulsieren, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Schließlich brachte er röchelnd hervor: "First Child. Fragen Sie First Child, Catherine. Ich will meinen Seelenfrieden finden." Seine Augen zuckten unruhig hin und her. Parker zog ihre Augenbrauen nach oben - hatte er sie Catherine genannt? Kopfschüttelnd stellte sie fest, dass er anscheinend doch noch unter der Wirkung irgendwelcher Medikamente stand. Trotzdem beunruhigten ihn seine Worte. First Child war die Person, die alles wissen sollte? Die Frau, die Jarod irgendwo in Europa gefunden hatte? Eine innere Unruhe breitete sich in Miss Parker aus. Langsam stand sie auf, strich sie ihre Kleidung glatt und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch ein letztes Mal um und ihr bot sich ein mitleiderregendes Bild: Raines saß zusammengesunken in seinem Sessel und zitterte. Sein Atem ging noch immer schwer. Parker dachte an all die Dinge, die er getan hatte - dieser Bastard hatte ihre Mutter ermordet! Trotz allem tat er ihr Leid, als sie ihn so sah.

"Danke, Raines. Ich hoffe, Sie finden ihren...Seelenfrieden." Mit diesen Worten öffnete sie die Tür drehte sich endgültig um. Sie ging mit festem Schritt den Gang zurück, den sie vor knapp einer halben Stunde gekommen war. In der Eingangshalle nickte sie dem Pfleger flüchtig zu und murmelte ein "Auf Wiedersehen", bevor sie sich auf den Weg zu ihren Auto machte.

***

"Es geht nicht mehr. Heute nicht. Vielleicht nie mehr." Er sah ihr in die Augen und erkannte die Enttäuschung. Sie zog ihre Knie an und lehnte ihren Kopf an die Wand. Er setzte sich zu ihr und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Es tut mir Leid."

Sie hatte geahnt, dass es soweit kommen würde und nickte nur stumm. Sie verlor alle Personen, die sie liebte - und nun auch noch ihn.

"Ich werde gleich weggebracht." Er senkte seinen Kopf, um sie nicht ansehen zu müssen.

"Wohin?", fragte sie leise, monoton.

Er hob unwissend die Schultern, und ließ sie traurig wieder sinken. "Ich weiß nicht."

"Hoffentlich bringen sie dich bald zurück." Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und eine Träne lief ihr über die Wange.

***

"Verdammt!" Parker riss das Lenkrad herum und versuchte, den Wagen zum Stehen zu bringen. Das war ein schwieriges Unterfangen, denn die Straße war nass und glatt. Schließlich gelang es ihr und sie hielt entsetzt die Luft an. Was war das gewesen? Warum überfielen diese Visionen sie immer so plötzlich? Sie stieß die Luft wieder aus und schloss die Augen. Langsam beruhigte sich ihr Puls und ihr Atem ging wieder flacher. Der Regen prasselte auf das Auto und die Scheinwerfer gaben ein monoton ratschendes Geräusch von sich. Parker ließ ihren Kopf in den Nacken fallen und presste die Lippen zusammen. Was spielte Jarod für ein Spiel mit ihr? Diese Visionen hatten erst begonnen, nachdem er ihr dieses Rätsel aufgegeben hatte. Bambino Fingono. So fremd und doch so vertraut.

Parker fühlte sich plötzlich einsam. Sie saß hier draußen im Niemandsland in ihrem Auto, hätte es eben beinahe in den Straßengraben befördert und um sie herum war nichts. Nichts außer grauen Nebelschwaden, durchzogen von prasselndem Regen. Eine Welle der Hilflosigkeit übermannte sie. Was wollte sie jetzt tun? Was erwartete sie eigentlich? Die Flucht kam so überstürzt und ungeplant, dass sie es schon fast bereute. Sie hatte alles aufgegeben - ihre Sicherheit, Sydney und Broots... Ihr Leben. Doch dann dachte sie an Baby Parker. Nur für ihn hatte sie das doch alles getan. Ihre Augen wurden glasig und eine einsame Träne bahnte sich einen Weg über ihre Wange. Die Spur, die sie hinterließ, fühlte sich wie eine Brandwunde an.

Ein verzerrtes, energisches Hupen holte Parker zurück in die Realität. Erschrocken sah sie sich um. Im Rückspiegel entdeckte sie schließlich einen roten Pickup, in dessen Innerem die unscharfe Kontur einer Person wild und wütend zu gestikulieren schien. Parker blinzelte ein paar mal. Dann registrierte sie, dass sie ja mitten auf der Straße stand - quer. Noch etwas benommen drehte sie den Zündschlüssel herum und wendete den Wagen. Noch immer hupend setzte sich der Pickup in Bewegung und der Fahrer schüttelte fluchend den Kopf, als er an ihr vorbeibrauste.

Miss Parker wischte sie die inzwischen getrocknete Tränenspur aus dem Gesicht und machte sich auf den Heimweg. Als sie das Hotel erreicht hatte, lenkte sie den Wagen in die Tiefgarage und bestieg den Fahrstuhl. Das beklemmende Gefühl, dass sie immer in Fahrstühlen hatte, schien diesmal stärker zu sein. Unruhig fuhr sie sich durchs Haar und beeilte sich, auf ihr Zimmer zu kommen. Baby Parker würde sie später aus dem hauseigenen Kindergarten abholen, wenn sie sich geduscht und umgezogen hatte.

Seufzend und mit zittrigen Händen schloss sie die Tür auf. Erschöpft lehnte sie sich von innen dagegen. Aber die Erschöpfung kam nicht durch das Wetter oder die Fahrt, sie kam von ganz tief innen. Der Drang, auf die ungeklärten Fragen eine Antwort zu erhalten, schien sie zu erdrücken. Miss Parker streifte sich die Schuhe von den Füßen und schmiss sie achtlos in eine Ecke. Ihre nassen Sachen landeten auf dem Weg zum Bad erst auf dem Boden vor ihrem Bett und dann auf den Fließen des beheizten Badezimmers.

Parker drehte die Dusche auf und wartete, bis das Wasser eine wohlig warme Temperatur angenommen hatte. Sie genoss die fließenden, fast schon tröstlichen Berührungen des weichen Wassers auf ihrer Haut und schloss langsam die Augen. Bilder formten sich in ihrem Kopf, die Ereignisse des Tages strichen an ihr vorbei und verdeutlichten ihr immer wieder, dass sie keine Antworten finden würde, wenn sie nicht herausfand was dieser andere Pretender wusste. Parker versuchte, sich zu entspannen. Sie ließ die Tropfen an sich herunterperlen und befreite ihren Kopf von den wirren Bildern. Sie dachte an gar nichts, ließ sich einfach nur von der Wärme und Geborgenheit verwöhnen. Irgendwann schweiften ihre Gedanken doch ab. Parker wusste, wohin sie gleiten würden, doch diesmal ließ sie es zu. Sein Gesicht tauchte vor ihr auf und sie lächelte still. Jarod. Ihre Gedanken wanderten zu jenem Abend, an dem er sie in ihrem Badezimmer überrascht hatte und sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Gerade als sie damals dabei war, sich über ihre Gefühle für ihn etwas klarer zu werden, musste er sie so verwirren. Was bezweckte er damit? Sie wusste es nicht.

Seufzend öffnete Parker ihre Augen und starrte an die weißmelierten Kacheln, mit denen die Wände der Dusche bedeckt waren. Sie stellte das Wasser ab, zog achtlos das flauschige Handtuch von der Stange und wickelte sich darin ein. Mit nassen Füßen tapste sie aus vom Bad zu dem Kleiderschrank. Da fiel ihr ein, dass sie ja noch nicht einmal zum Auspacken gekommen war. Die Hälfte ihrer Sachen befand sich noch im Koffer, als sie heute früh so plötzlich aufgebrochen war. Parker begann, sich abzutrocknen und sammelte nebenbei ihre nasse Kleidung von Boden des Zimmers auf, um sie über die Heizung und die Handtuchstange im Bad zu hängen. Schließlich zog sie sich an und machte sich mit nassen, ungekämmten Haaren auf den Weg in die zweite Etage, wo sich der Kinderhort befand.

Seltsam. Als sie noch für das Center gearbeitet hatte, wäre sie niemals so unter Leute gegangen. Stets musste ihre Make-up perfekt sitzen, mussten ihre Haare ordentlich frisiert sein. Doch es hatte sich so vieles Verändert! Sie selbst hatte sich verändert. Sie wusste nicht, ob es gut war, aber sie fühlte, dass es nicht falsch war.

Schwungvoll öffnete sie die Tür und betrat einen hellen, bunt eingerichteten Raum. Ein bisschen erinnerte er sie an das Wartezimmer einer Kinderarztpraxis. Kopfschüttelnd bahnte sie sich einen Weg durch die lautstark spielenden Kinder und platzierte sich im Türrahmen, der zu dem Raum für die "kleineren" Generationen führte. Eine junge, blonde Frau kam ihr lächelnd entgegen.

"Hallo, Miss Parker", grüßte sie.

Parker nickte nur und sah sich um. In einem niedlichen Wiegenbettchen entdeckte sie ihren kleinen Bruder.

"Sie sind sicherlich hier, um Jarod abzuholen." Die Frau wandte sich in Richtung des Bettchens, um den Kleinen zu holen.

"Was?", meinte Miss Parker verblüfft, bis es ihr wieder einfiel. Als man sie heute früh nach dem Namen ihres Bruders gefragt hatte, den sie für ihren Sohn ausgegeben hatte, kam ihr auf die Schnelle nur ein Name in den Sinn und sie hatte kurzerhand "Jarod" gesagt.

"Ja... Natürlich." Sie setzte ein gequältes Lächeln auf und nahm den kleinen hoch.

"Er war wirklich unglaublich brav." Die Frau ging neben Parker her durch die anderen Kinder und führte sie zur Tür.

"Ich weiß. Er ist ein kleiner... Schatz." Sie nickte der jungen Frau zu und verließ den Kinderhort. Baby Parker wachte kurz auf und sah sie verschlafen an, dann drückte er sich ganz fest an sie und schlief wieder ein. Parker musste lächeln und ihr wurde warm ums Herz. Wie hatte sie auch nur für diesen kurzen Augenblick denken können, die Flucht wäre falsch gewesen?

In ihrem Hotelzimmer angekommen legte sie ihn vorsichtig auf in die Mitte des großen Bettes und deckte ihn sanft zu. Sie stricht ihm mit der Hand über das kleine Köpfchen. Wie gut, dass er nicht wusste, wie ungerecht die Welt noch war. Sie würde für ihn kämpfen, dafür sorgen, dass er ein besseres Leben bekam. Um jeden Preis.

***

Das Wetter zeigte sich heute unglaublich freundlich. Jarod sah in den Himmel und legte eine Hand über die Augen, damit er nicht geblendet wurde. Die meisten Kinder hatten noch Unterricht, doch bereits in wenigen Minuten würde es einen Ansturm ungeheuren Ausmaßes geben - Jarod hatte noch nie verstanden, wieso Kinder immer überallhin rennen mussten. Als würden sie etwas verpassen, wenn sie auch nur Bruchteile von Sekunden später auf dem Spielplatz wären. Er schmunzelte und machte sich auf den Weg zum Essenssaal.

"Hallo Jarod!", rief ihn jemand von hinten. Er drehte sich um, aber eigentlich wusste er bereits, dass es Jessy war.

"Hey, ich dachte du hättest noch zu tun?", begrüßte er sie.

Sie schüttelte den Kopf. "Ging doch etwas schneller. Ich musste noch Papierkram wegen Kat regeln", meinte sie mit gedämpfter Stimme. Als Jarod sie fragend ansah, zuckte sie mit den Schultern. "Das ist jeden Monat einmal fällig."

Nun sah auch sie sich um. Ähnliche Gedanken schienen ihr durch den Kopf zu gehen, wie Jarod gerade eben, denn sie seufzte theatralisch mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. "Ach ja, und gleich ist die Ruhe vorbei."

Ohne weitere Worte folgte sie Jarod zum Speisesaal und lehnte sich an die Theke der Essensausgabe. "Hast du eine Ahnung, was wir heute bekommen?", fragte sie ihn.

"Pudding", meinte Jarod und strahlte, als er ihr antwortete. "Und Grießbrei mit Apfelmus."

Jessy verzog ihr Gesicht zu einem Grinsen. "Du meinst Grießbrei und als Nachtisch Pudding."

"Ist doch egal." Er zuckte gleichgültig mit den Schulter und nahm seinen Teller entgegen, wartete auf Jessy und gemeinsam schlenderten sie zu ihrem Stammtisch. Fasziniert beobachtete Jessy, dass Jarod tatsächlich zuerst den Pudding aß.

"Jarod, das Zeug nennt sich nicht umsonst Nachtisch!" Ihr Blick haftete noch immer auf seinem inzwischen geleerten Schälchen.

"Da, wo ich aufgewachsen bin gab es weder Vorspeisen noch Nachtisch. Ich konnte das noch nie auseinanderhalten." Sein Grinsen verriet ihr, dass er das nicht wirklich ernst meinte. Jessy lächelte kopfschüttelnd.

Plötzlich unterbrach sie sich selbst beim Essen und sah erst erschrocken, dann lächelnd über seine Schulter. Jarod drehte sich fragend um und grinste ebenfalls. der Unterricht war vorbei, und wie er geahnt hatte, stürmten die Kinder jetzt entweder zum Spielplatz oder zum Essen.

"es ist doch immer das Gleich, und..." Doch weiter kam Jessy nicht, denn die Tür wurde aufgerissen und Kat stürmte herein. Sie strahlte zu Jarod und Jessy und ihre Mom zwinkerte ihr kurz zu. Dann stellte sich Kat an der Essensausgabe an und unterhielt sich angeregt mit Ann und Sophie, die kurz nach ihr gekommen waren.

"Wie hast du das nur gemacht?", schnappte Jarod einen Gesprächsbrocken auf. Sophie sah Kat fragend an.

"Ich weiß nicht. Eigentlich war es doch ganz einfach. Du musstest nur den Wechselstrom im verzweigten Stromkreis mithilfe einer Leuchtdiode...", begann Kat zu erklären, doch Ann unterbrach sie. "Jaja, verschon uns mit den Einzelheiten. Wir meinen, wie du das nur gemacht hast, wo du doch sonst in Physik überhaupt nicht gut warst!" Kat verkniff sich ein Grinsen. Es hatte schließlich zu Jessys Plan gehört, dass sie in der Schule nur mittlere und durchschnittliche Leistungen erzielen sollte, ganz besonders in Naturwissenschaftlichen Fächern.

"Ich hatte eben Nachhilfe", meinte Kat und die kleine Gruppe machte sich mit ihrem Essen auf den Weg zu einem freien Tisch. Jarod schüttelte amüsiert den Kopf. Jessy schien das Gespräch ebenfalls mitbekommen zu haben und schielte zu ihrer Tochter hinüber.

"Keine Angst", meinte Jarod, der die drei Falten auf ihrer Stirn mitbekommen hatte, die sie immer besaß, wenn sie zweifelnd oder beunruhigt schaute. "Sie weiß, was sie tut."

Jessy nickte langsam. "Lange bleiben wir ja nicht mehr hier. Da kann sie jetzt auch einmal zeigen, was sie drauf hat - aber sie sollte es nicht übertreiben."
 

Als Jarod und Jessy ihr Mittagessen beendet hatten, schlenderten sie gemeinsam in Richtung ihrer Appartements.

"Sag mal", begann Jessy und schaute ihn von der Seite an. "Wie hast du es eigentlich geschafft, aus dem Center zu entkommen?"

Jarod sah sie erstaunt an. Es freute ihn, dass sie begann, sich für das Center zu interessieren. Sie hatte so viele Talente und mit ihr zusammen konnte er bestimmt so Einiges herausfinden. Doch sie musste auch bereit dazu sein.

"Ich hatte herausgefunden, dass sie meine Simulationen missbrauchten. Und als sie dann ein letztes Mal mein Vertrauen missbrauchten..." Jarods Gedanken schweiften zu Damon und Kenny. Noch immer fühlte er sich schuldig und zugleich so hilflos, wenn er an Kennys Ermordung dachte. Er hatte Damon, dem angeblichen Pretender, doch geglaubt. Er schloss kurz die Augen und vertrieb die Erinnerungen. Als er sie wieder geöffnet hatte, erzählte er weiter. "Ich war nicht bereit, auch noch eine einzige Simulation durchzuführen. Meinen Plan hatte ich schon lange vorbereitet. Und dann bin ich ausgebrochen. Als ich draußen war, traf ich einen wildfremden Mann, der mich im Auto mitnahm. Und ab da war ich... frei." Jarod lächelte leicht. Freiheit. Es stimmte nicht. Er war nicht wirklich frei - er würde niemals frei sein. Nicht, solange es das Center gab. Jessy nickte stumm und versuchte, sich vorzustellen, was Jarod im Center alles durchmachen musste.

"Jarod?", brach sie nach einiger Zeit das Schweigen.

"Mmh?"

"Du sagst, du hast deine DSA Überwachungsdiscs mitgenommen..."

Er ahnte worauf sie hinauswollte und erwiderte nichts.

"Kannst du mir zeigen, was genau eine Simulation ist?" Sie sah ihn vorsichtig an. Er schien auf diesem Gebiet so undurchdringlich zu sein, als hätte er eine Mauer aufgebaut. Um zu vergessen, was geschehen war. Und um nicht verletzbar zu sein. Ob er soviel Vertrauen in sie hatte, ihr mehr von sich preiszugeben?

Jarod öffnete die Tür zu seinem Appartement und bedeutete Jessy mit einer Geste, einzutreten. Sie sah ihn mit einem warmen Blick an und er fühlte, dass es richtig war. Er schloss die Tür hinter ihr und nickte in Richtung der Couch, auf der sie vor wenigen Tagen gesessen hatten, als er ihr mitteilte, dass er über sie Bescheid wusste. Er ging in sein Schlafzimmer und holte den silbern glänzenden Koffer, legte ihn vor Jessy auf den Tisch. Ihre Fingerspitzen fuhren sanft, fast schon ehrfürchtig über die kleinen Verschlüsse. Dann sah sie ihn noch einmal fragend an.

"Du kannst dir ansehen, was du möchtest. Nur die letzten drei Discs bitte nicht. Nicht heute." Er schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Sie öffnete nickend den Koffer und zog wahllos eine Disc heraus, um sie zu starten. Gespannt konzentrierte sie sich auf das Geschehen vor sich. Jarod ging derweil in die Küchenzeile und goss sich etwas Wasser ein. Er nahm ein zweites Glas, füllte es und stellte es neben dem Koffer vor Jessy auf den Tisch.

"Danke", murmelte sie nur.

Er beobachtete sie, wie ihre Augen sich angespannt auf den Bildschirm richteten. Sie hatte die Simulation mit dem nachgestellten Fall der Apollo 13 erwischt, in der er eine Lösung finden sollte.

"Jarod, du warst damals erst elf! Wie hast du das wissen können?" Sie sah ihn kurz ungläubig an und schob die nächste Disc ein. Sie wählte eine aus dem Jahr 1969, um mehr über seine Kindheit zu erfahren.

"Ich wurde jeden Tag trainiert und unterrichtet. Diese Simulation war vergleichsweise harmlos." Er lehnte sich gegen die Couch, ihr den Rücken zugewandt, und nippte an seinem Glas. Er erkannte anhand der Geräusche, dass sie diesmal ausgerechnet eine Aufzeichnung mit Miss Parker erwischt hatte. Es war ihre erste Begegnung gewesen und er fühlte noch immer, wie sein Herz damals schneller Schlug und er nicht wusste, was er denken sollte. Sie war wunderschön. Er hatte noch nie ein Mädchen gesehen. Noch nie ein echtes.

Wieder drehte sich Jessy zu ihm um. "Wer ist das Mädchen?"

"Miss Parker", meinte Jarod leise.

Jessy nickte. Er hatte ja erwähnt, das sie früher im Center oft zusammen waren. Sie schien ihm wirklich viel bedeutet zu haben. Ob das heute anders war? Jessy wagte sich nicht, ihn danach zu fragen. So weit wollte sie nicht gehen. Noch nicht. Sie grinste.

Jarod ging kurz in sein Schlafzimmer und ließ Jessy mit den Aufzeichnungen alleine. Nach einer Weile kam er wieder, mit einem kleinen schwarzen Gegenstand. Er steuerte zielstrebig auf sein Telefon zu und legte es sich auf den Schoß. Jessy begriff schnell, was er vorhatte. Er konnte seine Telefonate ja schließlich nicht immer von ihrem Telefon aus vornehmen, also musste er eine Abhörsicherung installieren. Während er nach einer bestimmten Anschlussstelle suchte, widmete sie sich wieder dem grauen Bildschirm. Langsam wurde ihr klar, was Simulationen genau beinhalteten, und was man ihm im Center wirklich angetan hatte. Kurzzeitig hielt sie eine kleine Scheibe mit der Aufschrift "letzte Sim" in der Hand. Doch dann bemerkte sie, dass danach nur noch zwei Discs kamen, und sie legte die Scheibe zurück. Nein, sie würde sich diese Sachen nicht ansehen. Nicht, solange Jarod es nicht wollte. Sie wählte eine andere Aufnahme.

"Es tut mir übrigens Leid, Jessy", begann Jarod plötzlich und sie drehte sich zu ihm. "...dass ich neulich so hart war", beendete er seinen Satz. Sie schenkte ihm einen fragenden Blick.

"Du weißt schon, als ich dir und Kat all die Sachen an den Kopf geworfen habe. Ich wollte nicht so kalt sein. Aber ich war so aufgebracht, dass im Center soviel schmutzige Wäsche gewaschen wird und ich immer wieder neuen Dreck finde."

Jessys Mundwinkel hoben sich zu einem warmen Lächeln. "Ist schon okay, Jarod. Ich beginne, zu begreifen was du alles durchgemacht hast. Und wenn ich mir vorstelle, dass das Center inzwischen auch hinter mir her ist..." Sie fröstelte einen kurzen Moment lang. "Ich bin dir sogar dankbar, dass du es herausgefunden hast. Ich bin mit der Zeit zu sicher geworden. Vielleicht hätten sie mich doch eines Tages aufgespürt und würden all diese Dinge dann mit Kat tun." Schon allein bei dem bloßen Gedanken zog sich ihr Magen zusammen. Jessy schüttelte den Kopf. "Es ist gut so, wie es jetzt ist. Und ich werde herausfinden, wer meine Eltern sind. Wenn sie noch leben", fügte sie leise hinzu.

Jarod hatte seine Arbeit beendet und trat zu ihr. Er sah sie erleichtert und zugleich traurig an. Er wusste, wie sehr der Gedanke schmerzte, nicht zu wissen ob die eigenen Eltern noch lebten. Er setzte sich neben sie und sah ihr direkt in die Augen. Normalerweise waren sie dunkel und geheimnisvoll, doch im Moment drückten sie nur all die Angst aus, die Jessy empfand und die sie die letzten Jahre immer unterdrückt hatte. Sie presste die Lippen aufeinander und wandte ihren Blick von Jarod ab. Er kannte ihre Reaktion. Jessy war ihm so verdammt ähnlich.

"Hey, es ist in Ordnung." Er zwang sie mit seinen Worten, ihn wieder anzusehen. Ihre Augen waren glasig und ihre Pupillen geweitet. Ihre Unterlippe zitterte leicht. Jarod registrierte ihre verkrampften Fäuste und es tat ihm weh, sie so zu sehen. Er wusste, was sie fühlte und dachte. Ohne etwas zu sagen zog er sie zu sich und umarmte sie.

Jessy begann zu schluchzen. Die Anspannungen der letzten Tage und die Ängste der letzten Jahre schienen wie ein Schwall über sie hereinzubrechen. Ihre Fingernägel krallten sich hilfesuchend in Jarods Schulter und er fühlte, wie ihre Tränen sein Shirt durchnässten. Doch das war egal.

"Jarod, ich habe so große Angst!" Sie vergrub ihr Gesicht tiefer in seiner Schulter. "Seit ich nichts mehr von Catherine gehört hatte, fühlte ich mich so leer. Und als du mir dann sagtest, dass sie nicht mehr lebt... Oh Gott, und wenn meine Eltern auch nicht mehr am Leben sind - wenn das Center sie umgebracht hat! Jarod, ich fühle mich so einsam." Eine neue Welle des Schluchzens schüttelte sie. Jarod strich ihr mit einer Hand beruhigend über den Rücken.

"Es wird alles gut werden, Jessy. Ich weiß, was du gerade durchmachst. Aber du bist nicht alleine - du hast Kat, und ich bin auch noch da. Ich bin mir sicher, dass wir deine Eltern finden werden." Jarod wiegte sie sanft hin und her, wie ein kleines Kind, dass man nach einem schlimmen Alptraum beruhigen wollte. Langsam wurde das Schluchzen leiser und ihr Atem flacher. Sie löste sich von ihm und sah ihn mit roten, verquollenen Augen an.

Er musste sich bei ihrem Anblick ein Grinsen verkneifen, doch sie schien es zu bemerken. Jessy versuchte zu lächeln.

"Entschuldige. Ich muss furchtbar aussehen." Ihr Augen wanderten durch den Raum, als würde sie etwas suchen. Dann trafen sie wieder auf Jarods Blick. "Danke, Jarod." Sie wischte sich mit dem Handrücken die letzten Tränen aus dem Gesicht und lachte schließlich.

"Warum lachst du?", wollte Jarod wissen.

"Wenn Kat mich so sehen könnte! Für sie war ich stets nur die starke Frau, die immer alle Schutzbarrieren aufrecht erhalten hat. Wenn ich sie nicht hätte..." Ihr Blick verlor sich in der Ferne, und sie schien abzuwägen. "Ich glaube, ich hätte bereits angefangen, nach meiner Familie und meiner Vergangenheit zu suchen." Sie nickte, als wäre sie sich dessen eben erst bewusst geworden.

Jarod war froh, dass sie sich wieder gefangen hatte. Er wusste, wie diese plötzlichen Gefühlswallungen waren. Oft überkamen sie ihn unerwartet und so heftig, dass nur seine gute Ausbildung als Pretender ihn vor unüberlegten Handlungen schützen konnte.

"Ich glaube, wir sollten ein bisschen zu den Kindern gehen, was meinst du?", riss ihn Jessy aus seinen Gedanken und er stimmte ihr grinsend zu. Da war sie wieder, die lebensfrohe, vergnügte Frau mit dem wippenden braunen Pferdeschwanz und den dunklen, geheimnisvollen Augen.

***

"Sydney, ich habe schlechte Neuigkeiten." Ohne anzuklopfen war Broots in das Büro von Jarods Mentor eingetreten. Das war sonst gar nicht seine Art.

"Was ist passiert?", erkundigte sich Sydney.

"Ich habe zufällig ein Gespräch von Lyle und Mr. Parker mit angehört. Er..." der Techniker sah sich schüchtern um, als würde man sie belauschen. "Er sagte, Lyle solle sich sofort mit einem Sweaperteam auf den Weg machen und sie mit dem Baby zurückbringen. Verstehen Sie? Miss Parker hat das Baby mit sich genommen, und Lyle weiß, wo sie sind. Ich konnte nichts weiter damit anfangen, aber Lyle meinte, Hotelleiter wären doch so bestechlich, ebenso wie Tankstellenwärter. Wahrscheinlich war Miss Parker nicht vorsichtig genug." Broots war völlig durcheinander. Immer wieder erinnerte er sich an seine Unterschrift unter den Vertrag für einen Job als gewöhnlichen Sicherheitstechniker. Er hatte schnell begriffen, dass dieser Job alles beinhaltete, nur nicht das technische Umgehen mit Sicherheitsinstallationen und deren Wartung.

"Wissen Sie, wann Lyle abreisen wird?", wollte Sydney wissen. Er kratzte sich mit einer Hand an der Stirn und schien fieberhaft zu überlegen, wie sie Miss Parker helfen könnten.

"Ja. Der Jet startet in einer halben Stunde. Sydney, wir müssen etwas unternehmen!"

"Ich weiß Broots, ich weiß. Aber wir haben keinen Kontakt zu ihr." Er seufzte kurz.

"Und wenn wir irgendwie Jarod darum bitten?" Broots zog seine Stirn kraus.

"Selbst, wenn wir ihn irgendwie kontaktieren könnten", er betonte die Worte wie ein Ding der Unmöglichkeit, "hätte er auch keine Chance, Miss Parker zu warnen." Sydney schüttelte langsam den Kopf.

Broots sah ihn entsetzt an. "Heißt das, wir können nichts tun?"

Diesmal nickte Sydney und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nichts, als zu hoffen, dass Miss Parker es alleine schafft."
 

Ende Teil 7



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  straubi
2004-08-07T20:51:44+00:00 07.08.2004 22:51
meine schwester mag pretender! deshalb wird sie die kommis zu diesen schreiben. dauert leider auch bissl!


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