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Gebieter des Feuer und der Leidenschaft

von

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Das glühende Flammenmeer umgab Emmanline erneut, in dem sie schon ein paar Mal gewesen war. Am Anfang war sie davor zurück geschreckt und hatte sogar Panik dessen verspürt. Aber jetzt wusste sie, dieses Meer voller Flammen wollte ihr nichts antun, sondern vor etwas bewahren. Sie wusste zwar noch nicht wovor, aber vielleicht würde sie den Grund eines Tages erfahren.

Ungewöhnlich, aber sie hatte sich wirklich an diese Umgebung gewöhnt. Dieses Meer aus Feuer, was dennoch nicht wirklich brannte. Es sollte vor Hitze alles verbrennen, aber es war nur eine angenehme Wärme auf ihrer Haut. Sofern sie es spüren konnte. Als wäre ein wohliger Mantel um sie gelegt worden. Dabei trug sie nichts als einen dünnen Stoff am Leib, während sie mit nackten Füßen über heiße Kohle lief. Trotzdem verbrannte sie ihre Fußsohlen nicht.

Erwartungsvoll trat sie wieder zu dem Baum heran, der ständig nach ihr rief. Nicht mit Worten, eher so eine Art von magischen Schwingungen, mit einer starken Anziehungskraft.

Emmanline hatte tief in sich gespürt gehabt, das Lucien noch eine andere Aufgabe zu erledigen hatte und sie hielt ihn auch nicht auf. Das würde sie auch niemals tun. Es war seine Pflicht als ein König. Zumal hatte sie ihn auch fortgeschickt, damit sie alleine sein konnte. Würde Lucien sich noch immer mit ihr in einem Raum befinden, könnte sie niemals dem weiter auf dem Grund gehen, weswegen sie hier war. Sie wollte wirklich den Dingen auf dem Grund gehen, was dieser Rubin beinhaltete. Nur einen klitzekleinen Augenblick und er würde sie wieder zurück reißen, ohne das sie Erfolg auf neue Antworten hätte.

Alleine konnte sie viel mehr erreichen, auch wenn es Lucien nicht akzeptieren oder sehen wollte. Immerhin hatte er sie darum gebeten, ihm zu helfen. Das tat sie auch. Darum konzentrierte sie sich nur noch ausschließlich auf diesen Rubin.

„Was willst du von mir?“ Fragte sie flüsternd zu den Baum. Sicher konnte er ihr nicht antworten, aber das war nicht nötig. Nicht weil sie die Antwort wusste, sondern weil sie die eigentlich auch nicht brauchte und wissen wollte. Dies passierte aus einem ganz bestimmten Grund, den sie nicht hinterfragen würde.

Wieder ganz nahe trat sie an diesen Baum heran und schaute hinauf, der größer und größer wurde. Stetig wurden die Verzweigungen immer mehr und es war ihr immer noch ein Rätsel, wie er weiter wachsen konnte. Es konnte nur ein Phänomen in ihrem Traum sein und dennoch war es kein Traum. Dies mochte eine Erscheinung in ihrem Geist sein, aber es musste eine Bedeutung geben, welche sie heraus finden würde müssen.

Aufmerksam beobachtete sie dieses Monstrum und versuchte irgendwas heraus zu finden, womit sie anfangen könnte. Einen Anfang finden, wonach sie gehen könnte.

Emmanline kniff ihre Augen zusammen, als sie noch immer nach oben blickte. Jetzt fing sie an mit ihrer Stirn zu runzeln. Etwas stimmte da nicht. Sie blinzelte einmal. Noch einmal. Vielleicht noch ein paar weitere male. Sie trat noch einen Schritt an den Baum heran, um vielleicht besser sehen zu können, dennoch gab es keine bessere Sicht, aber sie brauchte keine weitere Sicht, oder gar einen weiteren Schritt. Etwas wirklich erstaunliches bot sich vor ihren Augen, woran sie nicht geglaubt hätte.

Sanft legte sie ihre beiden Handflächen auf die raue trockene Rinde des Baumes und konnte einfach nicht den Blick von oben abwenden. Was sie da sah, war nur ein einzelnes...Blatt? Ein grünes kleines Blatt.

Der Baum war trocken, die Umgebung heiß und es gab nichts, was zum Schutz diente. Voller Überraschung und Unglauben betrachtete sie dieses kleine grüne Blatt, das an einem der vielen verzweigten dürren Äste hing. Normalerweise hätte es darunter verschwinden müssen, dennoch stach es heraus, so außergewöhnlich war das. Sie hatte ja schon viele Dinge in ihrem Leben gesehen, aber dies wahrhaftig noch nicht. Sie brauchte sich nicht umblicken, wie abstrakt das aussehen musste. All dies konnte sie auf den Gespinst ihrer Phantasie schließen, der ihr einen Streich spielte. Einen Streich, der sich wiederholte und sich etwas neues hin zu spinnen, wie ein Spinnennetz, das stetig größer wurde.

Nichtsdestotrotz war es mehr als nur ein Gespinst ihrer Phantasie. All das was sich vor ihr abspielte, immer und immer wieder, war die Schuld des Rubins der Drachen. Es hatte etwas abgrundtiefes, wenn es sich so offenbarte. Sie konnte es spüren, tief in sich drinnen. Tief in ihrem Herzen, in ihrer Seele, wo sie berührt wurde. Jetzt noch fester und tiefer, als je zuvor.

Also wie konnte es sein, ein solch hellgrünes Blatt existierte in einem Meer von Flammen? Dieses Feuer mochte ihr nichts anhaben, aber war dennoch auch der Baum davon betroffen. Sicher stand er nicht in Flammen, aber das Feuer kam auch nicht an den Baum heran, weil es durch Gestein und Geröll geschützt war. Es war mehr als seltsam und sie konnte vermutlich so viel ihren Kopf zerbrechen wie sie wollte, sie würde darauf keine Lösung und Antwort bekommen. Vielleicht eines Tages. Oder auch gar nicht. Wer wusste das schon.

Nur was sollte sie jetzt tun? Schön, der Baum hatte ein grünes Blatt. Was hieß das jetzt? Wuchsen jetzt langsam neue Blätter? Würde der Baum zum neuen Leben erwachen? Würde hier in diesem Traum oder was auch immer etwas widersprüchliches entstehen? Leben würde zwischen etwas vernichtendes entstehen. Etwas würde zwischen Hitze und Flammen wachsen, was es zuvor noch nie gegeben hatte.

Gleichzeitig war es doch wieder nicht ungewöhnlich. Immerhin war es wie ein Traum. Eine andere Welt die existierte, wo alles möglich sein könnte. Sogar auch ein Leben in einem tosenden Feuer.

„Sie tun es.“

Erschrocken drehte sie sich blitzartig um. Ihr Herz setzte einen Schlag aus und ihre Augen waren geweitet. Dort in all den Flammen gehüllt, stand ein kleines Mädchen. Das kleine Mädchen mit blond goldenen Haaren und lila Augen. Es war die kleine Tochter von Linava und Cynder.

„Sie tun es.“ Wiederholte sie die gleichen Worte wieder. „Mama und Papa wollen es versuchen.“ Entstand auf dem kindlichen Gesicht solch ein herzerwärmendes Lächeln, was sie beinahe zu Fall brachte. Hoffnungsvoll und so voller Vertrauen. „Jetzt darf ich endlich gehen und wieder da sein.“

Emmanline wusste nicht wovon sie sprach, aber sie wolle auch nicht nachfragen. Sie wollte nichts von diesem Strahlen in ihrem Gesicht nehmen, was sie so bezaubernd und unschuldig machte. Doch wie kam sie auf einmal hierher?

„Ich muss jetzt gehen. Er ruft nach mir.“ Blickte Laila über ihr hinweg, zum Baum hinauf.

Wer rief nach ihr? Mit einem Blick nach hinten, blickten sie den Baum an, aber gleich wieder zu dem Mädchen, die bereits wieder verschwunden war. Das Einzige was sie noch erkennen konnte, waren aufsteigende Funken. Jetzt konnte sie etwas in Verbindung bringen.

Erneut wandte sich Emmanline wieder zum Baum um und schaute zum grünen Blatt hinauf. Könnte es möglich sein, das dieses Blatt, Laila war? Also könnte dieser Baum noch grüner werden, wenn jetzt schon eines daran wuchs. Dies könnte ein Grund sein, warum die Drachen keine Erlösung fanden, weil sie gefangen waren. Gefangen in einer Zwischenwelt, zwischen Leben und Tod. Dies musste ein Fluch sein, was sie daran hinderte, einen wirklichen Abschied zu nehmen. Lag es an ihr, ihnen allen zu helfen? Sah sie jetzt alle tote Drachen um sich herum?

Sie bekam jetzt schon eine Gänsehaut. Warum sah sie sie erst jetzt und nicht schon früher? Lag es vielleicht daran, sie akzeptierte jetzt erst ihre Aufgabe, was der blutrote Rubin ihr auftrug? Womöglich. Sollte es so sein und sie könnte sogenannte Geister sehen, dann könnte es sehr schwierig werden. Vor allem zu viel. Was würde ihr begegnen? Wer würde ihr begegnen? Was würden sie tun? Oder gar handeln?

Wie könnte sie mit all dem umgehen, ohne verrückt zu werden?

Mit einem Seufzer wandte sie sich von dem Baum ab, denn sie musste darüber nachdenken. Und zwar nicht hier.
 

Emmanline schlug mit einem Schlag ihre Augen auf, aber blieb so liegen und starrte die Decke an. Ihre Gedanken rasten. Was sollte sie jetzt tun? Das übersteigt alles, was sie kannte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stand sie auf. Lucien war noch nicht zurück gekehrt und es musste wirklich was wichtiges gewesen sein. Sie konnte auch nicht sagen, wie lange sie in dieser Art Traum gewesen war.

Sie griff auf dem Bett nach einer dünnen braun gelben Decke, die sie sich um die Schultern legte, bevor sie das Zimmer verließ. Am Tage war sie eingeschlafen und jetzt war es dunkel, sowie die Gänge, die vollkommen leer waren. Egal ob sie nach links oder rechts schaute. Hinter sich schloss sie die Tür und machte sich auf dem Weg zu Luciens Arbeitszimmer, welchen Weg sie gut kannte. Sie kannte alle Gänge gut und wohin sie führten.

Gerade als sie um die letzte Ecke biegen wollte, hörte sie eine Tür öffnen und sah Luciens Schwester Jade aus seinem Arbeitszimmer kommen. Anscheinend bemerkte sie sie nicht und es war vielleicht auch besser so. Irgendwas schien sie zu beschäftigen, denn sie konnte es, an ihrem Gesichtsausdruck erkennen.

„Wo hast du gesteckt, Fenni?“ Klang ihr Ton tadelnd.

Da erkannte sie, neben ihr erschien ein kleiner Zwerg. Sie hatte ihn schon oft an ihrer Seite gesehen.

„Ach wirklich? Wo?“

Am Anfang hatte sie nicht verstanden, wie Jade sich mit diesen Zwerg verständigen konnte, aber nach der Zeit hatte sie es herausgefunden, ohne das sie nachfragen musste. Lucien hatte ihr zu Beginn erzählt, Fenni besaß keine Zunge mehr und konnte somit nicht mehr sprechen. Dennoch verstanden sie sich, denn zwischen ihnen bestand ein Band. Entweder sie besaßen einen magischen Gegenstand oder ein magisches Zeichen. Dies wollte sie auch nicht wissen.

„Führe mich dort hin?“ Befahl Jade den Zwerg im strengen Ton und sie verschwanden augenblicklich.

Einen Augenblick wartete sie noch, bis sie sich wieder in Gang setzte und sich Luciens Arbeitszimmer näherte. Leise klopfte sie an, aber sie bräuchte es eigentlich nicht, denn er wusste es auch vorher schon, als er sie herein bat. Ohne weiteres trat sie ein.

Als sie ihn jetzt so sah, sah er sehr müde und erschöpft aus. Seine Kräfte schienen ihn verlassen zu haben und es gefiel ihr nicht. Ohne zu zögern ging sie auf ihn zu. Ohne das er seine Hand heben musste und sie darum bat.

Emmanline ging um den Schreibtisch herum und ergriff seine Hände, die er ihr hinstreckte. Sie fühlten sich zwar warm an, aber doch etwas kühler als sonst.

„Du solltest doch schlafen, meine Vahdin.“ Lächelte er sie warmherzig, aber müde an.

„Was du jetzt auch tun solltest.“ Entzog sie ihm eine Hand und strich ihm eine verirrte dunkelbraune Strähne aus seinem erschöpften Gesicht. „Du siehst sehr müde aus, Lucien.“

Er lachte leise. „So fühle ich mich auch. Ziemlich im Eimer.“ Zog er sie an sich. Aber auf einmal war er zu ruhig, als er sie nur in seiner Umarmung hielt.

„Lucien, was ist los?“ Er antwortete nicht. Emmanline schlang ihre Arme um seinen Hals, als wüsste sie, er könnte es jetzt gebrauchen.Sie könnte jetzt noch einmal fragen, was los war. Erstens würde er ihr wieder nicht antworten und zweitens wusste sie, was die Antwort war.

„Es geht um mich, nicht wahr? Ich bin das Problem.“ Und sie hatte genau den Punkt getroffen, weil Lucien zusammenzuckte. „Deine Schwester Jade hat dir das berichtet, das man mich sucht, nicht wahr?“

Wenn Lucien sie nicht festgehalten hätte, wäre sie nach hinten gefallen, so schnell wollte er sie anschauen. Er stieß sie nicht von sich, wollte sie nur anschauen. Jetzt wusste sie Bescheid und bedachte ihn mit einem Lächeln, was jetzt viel leichter von ihren Lippen fiel.

„Ich bin nicht dumm, Lucien.“
 

Bei weitem nicht.

Gestand Lucien sofort ein, denn sie war keinesfalls dumm. Emmanline war für eine nicht Drachin, die selbstbewusste und klügste Frau, die er je begegnet war. Emmanline war etwas besonderes und kein Wunder das sein Drache sich zu solch einer besonderen Frau hingezogenen fühlte, die außergewöhnlich war. Die einem mitfühlend schwach machen konnte, wenn sie nur bezaubernd lächeln konnte, wie jetzt. Gut das er saß, denn er wirkte jetzt schon in ihrer Gegenwart wackelig auf den Beinen.

Ein Drache war eines der mächtigsten Kreaturen der Mythenwelt und verbreiteten nur Schrecken wohin sie auch nur kamen. Ihr Feuer hinterließ nur Tod und Asche, wenn sie ihrer freien Natur freien Lauf ließen. Drachen besaßen die schärfsten Klauen, die alles auseinander reißen konnten. Drachen besaßen rasiermesserscharfe Zähne, die alles zerfleischen konnten, ihr Kiefer so stark, die alles zermalmen konnten. Ihre Muskelkraft war unermesslich, die Luft ihr Revier. Drachen besaßen harte Schuppen, die einiges aushalten konnten. Drachen hatten viele Stärken und viel Macht, wenn sie ein Teil von Magie besaßen, wenn es auch nicht viel war.

Genau all das verkörperte Lucien, all diese Macht in einem Wesen. All dies und dennoch machte eine kleine winzige Frau ihn schwach und zähmte seine wilde und tödlichste Bestie in sich, dass er sich vor ihr verneigte. Sein Drache senkte vor Emmanline sein Haupt, nur damit sie ihm die volle Aufmerksamkeit schenkte und niemals Angst vor ihm verspürte, weil er ihr vollstes Vertrauen haben wollte. Sie sollte ihr Leben in seine Klauen legen, damit er sie für immer beschützen konnte. Sein ewiges Leben für die Seine. Für immer,... wie es ein Schwur bezeugte. Ein Schwur, der bezeugte, für alle Ewigkeit die Frau zu beschützen, für die er geboren wurde und allein aus diesem Grund lebte. Für seine Seelengefährtin. Der Drache spürte und wusste es besser, als der Mann es selbst wusste.

Niemand hatte eine Ahnung was er in Emmanline sah. Niemand kannte sie, wie er sie kannte. Niemand sah sie, wie er sie sah. Wie wunderschön und klug sie war. Sie bewegte etwas, was er noch nicht genau benennen konnte, aber es veränderte sich einiges, seit sie hier war.

„Ich weiß was Jade ist. Ich kenne solche wie sie, die als Spione arbeiten. Auch wenn deine Schwester es auf ihre ganz andere Art und Weise tut, ist sie dennoch eine. Du musstest es mir nicht einmal verraten.“ Blickten ihre tiefen silbernen Augen in seine.

„Seit wann wusstest du das?“

„Kurz nach dem ich sie das erste Mal gesehen habe und die Verhaltensweisen deiner Schwester hat mich darauf gebracht.“

Er konnte einfach nicht anders, als einfach herzhaft anfangen zu lachen und konnte auch so schnell nicht mehr damit aufhören. Sein Lachen hallte von den Wänden wieder.

„Was gibt es da zu lachen? Hör auf damit.“ Legte sie ihre Hände auf seine Brust und versuchte ihn dadurch schubsen zu wollen, aber sie besaß die Kraft nicht dazu, was ihn nur noch mehr zum lachen brachte.

„Hör auf.“ Klang es von ihr schon etwas strenger.

„Schon gut. Schon gut. Ich höre auf.“ Gluckste er noch einmal. „Doch das musst du mir noch einmal genauer erklären. Welche Verhaltensweisen meiner Schwester haben dich darauf gebracht eine Spionin zu sein?“

„Lucien, muss das sein?“

„Oh ja, durch aus. Ich bestehe darauf. Ich bitte dich sogar darum.“ Lächelte er sie verschmitzt an. Sofort unterdrückte er ein weiteres Lächeln, als er sah, wie finster sie ihn anstarrte. So verdammt sexy und verführerisch.

„Na fein.“ Versuchte sie sich los zu machen, aber er ließ sie nicht gehen und sie gab schnell auf. War auch gut so, denn er wollte sie weiterhin spüren und berühren.

Die Decke um ihren Schultern war schon längst überflüssig geworden und lag vergessen auf dem Boden, während er sie an sich heran gezogen hatte. Seine Hände legten sich auf ihre Hüften. Mittlerweile stand sie zwischen seinen Beinen, ihre Hände lagen noch immer auf seiner Brust. Ihre Finger, zart und feingliedrig wie sie waren.

„Deine Schwester versucht es gut zu überspielen, in dem sie viele auf die sogenannten Nerven geht. Mir ist es sehr oft aufgefallen. Niemand erkennt es, was für ein grünes Feuer in ihren Augen lodert. Durch ihr Aussehen kann sie viele und vieles manipulieren. Viele wissen wie klug sie ist, aber nur wenige scheinen zu wissen, wie gerissen sie ist. Genau das scheint sie auszunutzen, um andere an ihrer Nase herum zu führen, wobei sie daran den größten Spaß zu haben scheint.“

„Den hat sie in der Tat.“ Murmelte er. Lucien betrachtete Emmanline ausgiebig. Er lauschte ihren Worten, aber noch mehr betrachtete er sie. All das was sie sagte, zu seiner Schwester, stimmte. Jade war eine kluge Frau, aber keiner wusste die Raffinesse von ihr. Jade könnte sie jeden zeigen, der sie für Schwach hielt, aber sie tat es nicht. Würde je einer Jade für einen schwachen Drachen halten, würde seine kleine Schwester denjenigen nicht vom Gegenteil überzeugen. Sie würde es nur mit einem Schulterzucken hinnehmen und meinen... Dann sei es so. Oder... Narren sind der Mühe nicht Wert, für die ich meinen königlichen Hintern bewegen werde. Sollen sie denken und sagen was sie wollen, das juckt meinen königlichen Hintern nicht.

Und jedes mal hörte er das Gelächter seiner kleinen Schwester, wenn sie diesen Spruch immer von sich gab. Vor allem, wenn sie von ihrem eigenen Hintern sprach. Dabei ging es ihm am Allerwertesten vorbei.

„Deine Schwester redet, redet, redet und redet, um alles von dem abzulenken, was sie überhaupt tut. Je mehr sie redet, je mehr stört sie andere und umso mehr ignorieren andere sie. Ich habe schon einige Spione gesehen, aber nicht so eine wie sie. Nicht wie ihre Herangehensweise. Das macht sie zu einer guten Spionin.“

Sein Lippen verzogen sich zu einem liebevollem Lächeln. „Du hast ein erstaunliches Auffassungsgabe, was mich sehr beeindruckt. Niemand könnte Jade je so einschätzen wie du. Wenn ich ehrlich bin, nicht einmal ich selbst. Jedenfalls nicht so ausgiebig wie du.“ Berührte er ihre Wange. Er liebte es ihre Haut zu berühren, weich und geschmeidig. „Du bist eine stille Beobachterin.“ Was keine Anklage war, sondern eine gute Eigenschaft, wenn er das bemerken durfte.

Emmanline schaute ihn für einen tiefen Augenblick in die Augen. „Dafür hatte ich eine lange Zeit, um es zu lernen. Still zu beobachten.“ Fuhr sie mit ihren Händen über seine Brust zu seinen Schultern hinauf, während sie mit ihren Gedanken irgendwo anders war.

Diesmal schwieg er, ohne sie darauf aufmerksam zu machen, sie könne mit ihm reden, wenn sie es möchte. Er wusste sowieso, sie täte es nicht. Wer weiß, ob sie es jemals tun würde.

„Ich war fünf gewesen, als Culebra mich so viele Male zu sich in seine eisige Räume gerufen hatte.“ Fing sie an. „Ich wusste, was mich erwartete. Nur wusste ich nie, wie und was es sein würde. Culebra machte sich immer einen Spaß daraus, wie er mich töten oder quälen würde. Er dachte sich stets etwas neues aus. Wenn er es tat, vergaß er mich stets und ließ mich liegen. Culebra wusste, ich würde wieder neu auferstehen. So viele Male, wie er mich schon getötet hatte, so viele Male konnte ich beobachten und lernen, wenn er andere um sich hatte. Egal ob seine Wächter, Mitstreiter oder Verbündete. Nie hatte er gedacht, ich würde je aus seinen Klauen verschwinden.“

Fünf Jahre? Er war mehr als schockiert, als sie anfing zu erzählen. Über sich, aber die Offenbarung war das Schlimmste. Sie vertraute ihm etwas an, was tief in ihr drinnen verborgen lag und zum ersten Mal erzählte sie ihm etwas. Er fühlte sich nicht glücklich dabei. Nicht wenn es um etwas so grausames ging. Nicht wenn es um ein damaliges verlorenes Kind ging. Es tat ihm tief in der Seele weh, doch vor allem im Herzen. Er blutete für seine Seelengefährtin.

„Daher kommt auch meine Panik vor dem Fliegen, Lucien.“ Wurde ihre Stimme leiser und wandte ihren Blick ab.

Erst verstand er nicht, bis ihm dann ein Licht aufging und sein Herz setzte einen Schlag aus. „Emmanline, es tut mir leid, ich...“

„Du konntest es nicht wissen.“ Biss sie sich auf ihre Unterlippe. „Jedes mal, wenn du es mir anbietest zu fliegen, oder jemand anderes, bekomme ich panische Angst. Ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. In der Gefangenschaft haben sie sich oft den Spaß daraus gemacht, mich von ganz weit oben fallen zu lassen, ohne mich vorher wieder aufzufangen. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich diesen Tod ins Auge geblickt habe.“ Wurde ihr Blick immer verbitterter und es war um ihn geschehen. Es gab ihm den Rest.

Mit einer Bewegung zog er sie auf seinen Schoß und lehnte sich mit ihr auf seinen Stuhl zurück, während er beschützend seine Arme um sie legte. Sie schlang ihre Arme sofort um seinen Hals und vergrub ihr Gesicht in seine Halsbeuge, als würde sie sich in ihm vergraben wollen. Dies könnte sie jederzeit tun.

„Ich werde dich nie wieder danach fragen. Nie wieder.“ Versprach er ihr.

„Er wird niemals aufgeben, Lucien.“ Antwortete sie stattdessen. „Culebra wird alles daran setzen, um mich zu bekommen.“

„Ich weiß, das ich keine Antworten auf die Fragen bekomme, warum Culebra dich unbedingt haben will, aber dennoch will ich eines wissen, wie sehr hängt dein Leben davon ab?“ Klang er vollkommen ernst.

Emmanline schien überrascht zu sein, als sie sich zurück lehnte, um ihn anzuschauen. „Lucien?“

Sein Blick wurde schmal. „Ich akzeptiere es, wenn du nicht darüber sprechen kannst oder willst, aber ich akzeptiere es nicht, wenn es bezüglich um dein Leben geht. Ich werde dich vor ihm beschützen und ich will das du es annimmst. Mehr will ich nicht von dir. Culebra soll dir nie wieder Schmerzen bereiten. Verstehst du das nicht, ich will dich einfach nur beschützen.“ Fühlte er sich nur noch müder, als er seinen Kopf senkte und an ihre Schulter lehnte.

Für kurze Zeit musste Schweigen zwischen ihnen geherrscht haben, da Emmanline die Erste war, die sprach. „Es ist nicht, das ich nicht darüber sprechen will, Lucien, sonder, ich kann es nicht. Doch, ich akzeptiere es, das du mich beschützen willst und ich werde auch niemals mehr von dir verlangen, was du mir geben kannst. Tue was du kannst um mich zu beschützen, aber wage es ja nicht mich einzusperren.“

Drohte sie ihm?

Verwundert lehnte er sich zurück, damit er ihr ins Gesicht schauen konnte und sah in drohende silberne funkelnde Augen. Ja eindeutig, sie drohte ihm. Dies bezüglich brachte ihm zum schmunzeln und er musste ihr einen Kuss rauben.

„Nein, ich werde dich nicht einsperren.“ Versprach er ihr. Das meinte er auch ernst. Am liebsten und am einfachsten wäre es, aber am Ende keine Lösung. Er würde sie somit nur verlieren. Da würde er sich was einfallen lassen.

„Nun lass uns aber ins Bett gehen.“ Schlug Emmanline vor, während sie mit ihren Fingern sanft über seine Wange strich. Ihr Blick so weich, warm und zärtlich.

Jetzt kenne ich die Bedeutung, wenn einige vom süßen Tod sprachen. „Gibst du mir noch einen Augenblick?“ Lächelte er sie an. Wenn er jetzt aufstand, würde er sich vor ihr zum Deppen machen. Er hatte doch jetzt glatt weiche Knie bekommen und würde sonst sofort wie ein nasser Sack zu Boden stürzen. „Aber ich lasse dir den Vortritt.“ Schob er sie von seinem Schoß runter und gab ihr einen kleinen Klaps auf ihren knackigen Hintern, wo er ein kehliges Knurren hinterher gab. Er liebte und betete ihren Hintern an.

Emmanline machte ein empörtes Geräusch, blickte ihn finster über ihre Schulter hinweg an, während sie ihren Hintern rieb. Er wusste, sie tat nur so, denn so fest hatte er nicht zu gehauen. Er könnte ihr niemals wehtun.

„Gut, dann lass uns gehen.“ Stand er auf, da er sich nun sicher fühlte. Eindeutig, diese Frau machte ihn schwach.

Gemeinsam gingen sie in ihr Zimmer, welches sie gemeinsam bezogen hatten, zurück. Ohne Umschweife lagen sie eng beieinander und er hielt sie in seinen Armen, während ihr Kopf auf seiner Brust lag und eine Hand auf seinem Bauch, wie sie es mittlerweile jede Nacht tat. Er hatte sich schon so sehr daran gewöhnt, das er es nicht mehr missen wollte. Nie wieder.

Es dauerte wirklich nicht lange und sie beide schliefen sofort ein, ohne sich noch weitere Gedanken zu machen.
 

Ohne wirklich zu wissen wo Lucien sich befand, versuchte er sich zu orientieren. Das erste was er wahrnahm, war diese eisige Kälte. Es war eigenartig. Er war ein Feuerdrache, aber er hatte in seinem ganzen Leben noch nie so gefroren, wie in diesen Augenblick. Eisige Kälte kroch in seinem Körper hoch, das bis tief in seine Knochen eindrang. Es fühlte sich an, als würde in ihm überhaupt kein Feuer existieren. Nichts wärmte ihn von innen her und es beunruhigte ihn. Es machte ihn nervös.

Im ersten Moment tappte er im Dunkeln, als er langsam Klarheit bekam, vernahm er ein blendendes kaltes Licht, was ihn fast in den Augen weh tat. Er wollte die Arme heben um seine Augen zu bedecken, aber seine Arme fühlten sich bleischwer an. Doch durch einen ziehenden Schmerz, wusste er mehr. Wunderlich bemerkte er, er war an seinen Handgelenken mit einem dicken Strick festgebunden. Seine Handgelenke waren aufgeschürft und blutverschmiert, als hätte er ständig versucht sich aus diesen Fesseln zu befreien. Dabei hätte er sich ohne jegliche Mühe daraus befreien können. Er war ein Drache und es war nur ein Strick, der kein Hindernis für ihn darstellte. Dennoch schaffte er es nicht. Nicht einmal in diesem Augenblick.

„Nicht Emma, du machst es nur noch schlimmer. So werden deine Handgelenke nicht heilen.“ Sprach eine sanfte Frauenstimme, die so liebevoll und sanft klang, um jemanden zu beruhigen. Es klappte und er hörte auf.

Aber, Emma?

Verwirrt schaute er an sich herab und bemerkte erst jetzt, das es nichts seine Hände waren, die er betrachtete, sondern es waren Kinderhände. Nicht Kinderhände eines Jungen, sondern eines jungen Mädchen. Eines sehr jungen Mädchens. Er sah noch weiter an sich herab, bemerkte kleine nackte Füße und entblößte kleine Beine, der kleine Körper in einem dünnen Fetzen gehüllt. Genaustens übersetzt, mit einem Hauch nichts am Leib. Wenn er jetzt befürchtete, was hier geschah, dann brauchte er sich nicht wundern, warum er hier diese eisige Kälte verspürte und sein eigenes hitziges Feuer nicht.

Eigentlich war ihm in Erinnerung geblieben, dass er sich mit Emmanline in ein warmes Bett begeben hatte und mit ihr eingeschlafen war. Friedlich und seelenruhig, ohne an etwas zu denken. Er hatte sie an sich gezogen und sie in seinen Armen gehalten, bis sie eingeschlafen war und ihr dann versprochen sie jederzeit zu beschützen. Egal wo sie sein würde. Überall.

Zuvor hatte Lucien auch immer wissen wollen, was Emmanline in Culebras Gefangenschaft hatte erleiden müssen, nur um zu wissen, was er ihr alles angetan hatte. Er wollte es wissen, damit sie darüber sprach und nicht alles in sich einschloss und in all ihrer Dunkelheit ertrank. Er wollte sie dadurch nicht verlieren, aber er konnte sie dazu nicht zwingen, nur weil er es wissen wollte.

Jetzt, aus einen unerklärlichen Grund befand er sich hier, in Emmanlines Erinnerungen. In ihren Körper. In ihrer Vergangenheit. Er wusste es irgendwie, das es so war.

„Aber es tut so weh, Momma.“ Schluchzte Emmanline leise.

„Ich weiß.“

Lucien riss sich aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf das jetzige was vor ihm lag. Er wollte die Wahrheit wissen, was geschehen war. Alles was Emmanline betraf.

Nun nahm er auch die Frau vor ihm wahr. Ihm stockte der Atem. Diese Frau war das genau Ebenbild von Emmanline selbst. Nur war sie etwas größer und schlanker. Ihr Haar noch länger. Ihre Ausstrahlung war fast die gleiche. Emmanline hatte etwas sonniges und einen Hauch von den ersten Sonnenstrahlen eines Morgen an sich, aber diese Frau etwas vollkommen anderes. Es war etwas am frühen Morgen, was ihn an den morgendlichen Tau erinnerte. Frisch und rein.

Sie war zwar im Gesicht mit Dreck und Blut verschmiert, aber ihre Schönheit wurde um nichts vermindert. Keineswegs.

Ihm fiel auf, das ihre Mutter genauso gefesselt war, wie Emmanline selbst auch. Jeder saß an der gegenüberliegenden Wand. Um sie herum befand sich nur Eis, was er bis zu den Knochen spüren konnte. Es gab einfach nichts, wie er sich vor der Kälte schützen konnte.

Lucien bemerkte, der Ausgang besaß keine Tür, sondern war nur ein einfacher Durchgang wie in seiner Höhle. Emmanline hatte in der Ratssitzung erwähnt, er blieb nie lange an einem Ort, sondern wanderte. Da würde er sich wegen Türen keine sonderlichen Gedanken machen.

Wieder konzentrierte er sich auf die zwei weiblichen Personen in diesen Raum, die so tief miteinander verbunden waren.

„Ich will, dass du wiederholst, was du niemals vergessen darfst.“ Sprach ihre Mutter plötzlich auf mentaler Ebene mit Emmanline. Es kam so schnell, das es ihn überraschte.

„Ich darf niemanden vertrauen und mich niemanden nähern. Ich muss mich stets unsichtbar machen und ich darf keine Aufmerksamkeit auf mich erregen. Das ist sehr wichtig. Niemand darf wissen wer und was ich bin, sonst werden sie mich jagen bis aufs Blut und nicht eher ruhen, bis sie das haben was sie wollen. Ich werde es niemals vergessen, wie du es mir gesagt hast, Momma.“

Ihre Mutter fing an warmherzig zu lächeln. „Richtig. Ich bin sehr stolz auf dich, meine Filia.“

Was willkürlich auch ein Lächeln auf Emmanlines Gesicht zauberte, aber es erstarb sofort wieder. Er konnte es nur erahnen warum, als er die Schritte auf dem Gang hörte. Er konnte spüren, wie sein Herz anfing zu rasen. Nein, nicht seines, sondern das von Emmanlines. Schließlich steckte er in ihrem Körper fest. Er fühlte nun alles, was sie fühlte. Ihren rasenden Herzschlag, den schnellen Puls, den überflüssigen Adrenalinschub und die wachsende Panik.

Emmanline versuchte mit ihren gefesselten Handgelenken von den Höhleneingang hinwegzukriechen, in eine hintere Ecke. Auch wenn sie wusste, es gäbe keinen Schutz, aber weiter weg. Kinder dachten anders als Erwachsene.

Gerade als Emmanline eine hintere Ecke erreicht hatte und zu dem Eingang blickte, standen dort zwei finster hochgewachsene Männer. Der Rechte trug nur eine Hose und Stiefel. Ihm schien die Kälte nichts auszumachen. Er hatte tiefbraunes Haar und sein ganzer Oberkörper war mit Narben bedeckt. Der erste Gedanke der ihm kam, war, er musste ein Drache sein. Der Linke trug mehr Tierfellkleidung, was ihn vermuten ließ, das es ihn vor der Kälte schützen sollte. Nach seinem Aussehen zu urteilen war er kein Drache. Er erkannte es an seinen Augen, die dumpf und schwarz erschienen. Er war ein Dämon.

In Lucien schrillten die Alarmglocken und sein Beschützerinstinkt schaltete sich ein. Er wollte sich die Beiden schnappen und fertig machen. Allein wie sie Emmanline ansahen, wusste er sofort Bescheid. Sie wollten ihr wehtun und das machte ihn unsagbar wütend. Sein Drache wollte aus ihm herausbrechen, aber er hatte keine Chance. Er konnte nichts tun, weil niemand ihn sah.

„Na, wen haben wir denn hier?“ Hallte Gelächter von den Wänden wieder.

Emmanline schien es zu wissen, denn er konnte es spüren. Ihr Körper zitterte vor Angst.

„Genau nach dir haben wir gesucht.“ Kamen sie auf sie zu, wobei sie sich immer weiter versuchte zurück zu drängen. Doch sie kam durch die eisige Wand nicht weiter.

„Nein.“ Schüttelte Emmanline mit panisch weit geöffneten Augen den Kopf.

„Lasst sie in Ruhe.“ Schrie die Mutter von Emmanline aus der anderen Ecke voller Wut, als er sie in einem Augenwinkel sah, wie sie sich versuchte wollte zu befreien. „Fasst sie nicht an. Nehmt mich. Bitte lasst sie in Ruhe.“

Auch er wollte schreien, sie sollen sie nicht mit ihren dreckigen Pfoten anfassen. Niemand dürfte das. Er würde sie jeden einzelnen abhaken.

Die beiden Männer schienen nicht auf ihre Mutter zu reagieren, geschweige auf ihn, sondern der eine Drache packte lachend mit seiner Hand grob in Emmanlines Haar und zog sie auf die Beine. Emmanline schrie auf, als der Schmerz durch ihren Kopf schoss, den er auch verspürte.

„Schneide ihre Fesseln los.“ Befahl der Drache den Dämon und er schnitt ihre Handfesseln los. Emmanline griff sofort mit ihren Händen nach dem des Drachen um sich aus seinen Griff zu befreien. Sie hatte keine Chance. Nicht bei einer solch rohen Kraft..

Wie ein Spielzeug schleiften sie hinter sich her, die schreiende Mutter entfernte sich zunehmend von ihnen. Innerlich bekam Lucien eine Gänsehaut, weil selbst für ihn die Ungewissheit zu schaffen machte. Vielleicht hätte es ihn in seiner wahren Gestalt nicht so viel aus gemacht, aber er steckte in Emmanlines Gestalt, in Emmanlines Vergangenheit, fest. Er fühlte und erlebte genau das mit, was sie erlebte, oder erlebt hatte. Er durchlebte genau das, was sie hatte erleiden müssen. Es brach ihm schier das Herz. Doch er wusste, es würde noch schlimmer kommen und er wusste, es würde noch ganz anders kommen.

Keine Frage, er litt mit Emmanline, aber es steigerte seine Wut nur noch mehr.

Wimmernd und kraftlos schliffen sie Emmanline weiter hinter sich her, als sie sie in eine riesige Höhlenkammer brachten, wo sich viele Drachen aufhielten. Viele waren verwandelt und ragten über ihnen auf. Aber auch viele andere Fraktionen und Völker wie Dämonen, Vampire, Hexen, Nymphen, Gestaltenwandler und sogar Inkubuse waren vertreten. Entweder sie kämpften gegeneinander, hurten oder hatten Sexorgien miteinander, oder sie besaufen sich einfach nur.

Inmitten all dieser, auf einem eisigen Thron saß dieser Verräter Culebra voller Stolz und Ehrfurcht, als gehöre ihm alles. Doch nach Jahrhunderten sah er ihn, diesen Verräter, zum ersten Mal wieder. Auch wenn es aus Emmanline heraus war.

Lucien war entsetzt. Nicht weil er ihn so sah. Hatte er all diese Schar zu einer Armee zusammen geführt? Zu seinem eigen Imperium? Zu seiner eigenen Macht? So viele Fraktionen zu einem?

Ihm blieb die Luft weg und er wusste nicht was er denken sollte. Er und all die anderen wussten, Culebra war ein gefährlicher Drache und Feind und er war einer der besten Strategen. Culebra war ihnen auch immer einen Schritt voraus, sonst hätten sie ihn schon längst, aber wenn er dies jetzt sah, die Höhle voll von diesen unzähligen Anwesenden. Es müssten an die Zweihundert sein und er konnte nicht erahnen wie alt diese Erinnerung von Emmanline war.

Mit einem dumpfem Aufprall fühlte er den Schmerz durch seinen Körper schießen, als er auf dem Boden aufschlug. Fühlte es durch Emmanline. Mühsam versuchte sie sich aufzurappeln, indem sie ihre Hände auf den eisigen Boden legte und sich versuchte mit aller Kraft aufzustemmen. Ihre Augen waren geschlossen und somit konnte er nichts erkennen, aber als sie sie wieder öffnete, sah er eine Spiegelung. Der Boden gab durch das Eis, zwar etwas verzerrt, das eigene Spiegelbild zurück.

Sein Herz setzte ein weiteres Mal aus. Ihr Gesicht war Kalkweiß und teilweise mit Blutergüssen, die schon auf dem Wege der Heilung waren. Überall an ihr hing Schmutz. Wie alt war sie da gewesen? Sieben vielleicht? Den heiligen Göttern, nein. Viel zu jung und doch musste sie schon durch so eine Hölle gehen und er spürte es, es war erst der Anfang von alle dem. Er spürte es. Es brach ihm erneut das Herz. Wie viele Male würde ihm das passieren? In wie viele Splitter?

Er wollte sie daraus holen, aber konnte es nicht. Er besaß die Macht nicht dazu.

Erneut verspürte er eine unbändige Wut und er wollte einfach nur ausbrechen. Er wollte toben und sein Drache wollte zum Ausbruch kommen, wie ein Vulkan. Jetzt gerade war er am gefährlichsten und genau in diesem Augenblick wollte er töten. Lucien wusste, vor ihm war alles ein Trugbild, aber er konnte trotzdem seinen Zorn keinen Einhalt gebieten. Nicht wenn er die Visage von diesem Bastard sah.

„Wenn das nicht mein Lieblingsspielzeug ist.“ Lachte Culebra voller Hohn auf, der in seiner Drachengestalt auf dem Thron saß. „Bist du heute bereit dazu?“ Verschwand sein Spott aus seiner Stimme sofort und wurde Ernst.

Emmanline setzte sich auf und blickte ihn direkt an, aber antwortete nicht. Sie forderte ihn nicht heraus, weil sie sich fürchtete. Dann wurde das Grinsen von Culebra breiter. In Drachengestalt war es noch grauenhafter, während er seine rasiermesserscharfen Reißzähne zeigte. Culebras spitzer Schwanz schnellte nach vorne, umschlang Emmanlines schlanken Hals und hob sie in die Luft empor. So schnell hätte sie, selbst er nicht, reagieren können.

Verzweifelt versuchte sie sich aus seinen tödlichen Griff zu befreien. Ohne Boden unter den Füßen hatte sie noch weniger Chancen dazu und die anfeuernden Rufe im Hintergrund waren beängstigend. Als wäre dies ein Schauspiel der Freude. Oder ein Stimmungsmacher.

Culebra hob Emmanline bis zu seiner großen Schnauze heran, sein Atem übel riechend. „Du bist so ein dummes dummes kleines Mädchen. So jung und doch so dumm. Anstatt es einfach zu sagen was ich wissen will, willst du doch lieber leiden. Jeden Tag aufs neue. Dabei könnte es für dich doch viel einfacher sein. Stattdessen hörst du auf deine herzlose Mutter. Sie ist Schuld das du so leidest.“ Sprach er nur so laut, das nur sie es hören konnte. „Es sind doch nur einfache Fragen. Was ist dein Geheimnis, warum du immer wieder zu den Lebende wiederkehrst? Egal welchen Tod du erliegst? Ich will es wissen. Sind es irgendwelche magischen Relikte? Zaubersprüche?“ Wurde sein Blick immer wahnsinniger.

Da wurde Lucien erst richtig bewusst, wie sehr Culebra der Macht hinterher war. Emmanline behielt Recht und er konnte sich vorstellen, wie gerne er ihn vom Thron stoßen wollte. Er hätte es sich auch so vorstellen können, aber jetzt bekam er die Vorstellung, das er es wirklich vorstellen konnte. Sogar das er auch die Macht besaß, er könnte das Volk der Drachen in eine Richtung herrschen, das Jenseits von Gut und Böse war. Es grenzte vom größten Wahnsinn.

„Nein.“ Krächzte Emmanline. „Ich werde es dir niemals verraten.“ Presste sie die Worte mühsam heraus, als sie ihre Augen schloss. Immer wieder verschwamm die Sichtweise vor ihm und das Atmen viel ihm schwerer, da der Griff um dem Hals fester wurde.

Am Rand nahm er ein wütendes Brüllen wahr. „Dummes Weibsgör.“ Damit verschwand er von den Anwesenden weiter ins Höhleninnere. Da wusste er, Culebra hatte jetzt noch weitaus schlimmeres vor. Ohne noch etwas mitzubekommen wohin es ging, spürte er irgendwann, noch mehr Kälte um sich herum. Noch eisigere Kälte als zuvor. Mit einem Schock wurde er hellwach und fand sich im eisigen Wasser wieder, das Herz schlug unnatürlich schnell in der Brust. Verzweifelt bemühte er sich an der Wasseroberfläche zu halten, aber es war kaum möglich.

„Na, was ist los? Schon so oft schwimmen gewesen und noch immer kein schwimmen gelernt?“ Lachte Culebra amüsiert am Rand des Sees in der Höhle auf.

Japsens versuchte Emmanline sich an der Wasseroberfläche zu halten. Mit Armen und Beinen strampelte sie wild im Wasser, verzweifelnd nicht unter zu gehen. Lucien spürte, wie schnell die Kraft aus ihren Körper verschwand und die restliche Wärme sich entzog. Da sie noch ein Kind war, würde sie in solch eisigen Gewässer schnell unterkühlen und ihr Herz würde noch schneller aufhören zu schlagen, als hätte sein dürfen. Sein Herz zog sich noch mehr zusammen, als für ihn gut tun dürfte.

Nicht mehr lange und sie würde aufhören sich zu bemühe an der Wasseroberfläche zu halten. Es war nicht tief in sich drinnen, aber in Emmanline Bewusstsein spürte er, sie würde aufgeben, aber ihr Überlebensinstinkt sagte ihr, sie müsse um ihr Leben kämpfen. Es schmerzte ihm, das sie so dachte, sie müsse aufgeben, anstatt zu kämpfen, aber vielleicht würde er auch so denken, wenn er immer wieder so leiden müsste.

Dann plötzlich, als wurde ein Schalter umgelegt, wurde Emmanline ruhig und wehrte sich nicht mehr. Mit ihrem ganzen Körper sank sie wie ein Stein in die Tiefe des Wasser. Ihre Lungen wurden sofort mit Wasser gefüllt und ihr Atem blieb aus. Alles um sie wurde es urplötzlich leicht und schwerelos und bedeutungslos. All dies konnte er aus ihr fühlen. Bis die Dunkelheit wieder über ihn herein brach und er den letzten Herzschlag spüren konnte, das in der Brust von Emmanline schlug. Nur ein einziges Mal und es war vorüber.
 

„Lucien?“

Lucien wurde durch einen lauten Schrei wach. Sein Herz raste unglaublich schnell. Seine Augen waren vor Panik weit aufgerissen, er war Schweiß gebadet und starrte geradewegs an die Decke. Unter ihm spürte er eine weiche Matratze. Über ihm beugte sich ein vertrautes, aber besorgte und bekümmertes Gesicht, woran er sich noch gewöhnen musste. Sanft wurde er von zarte und liebevolle Hände an seinen Wangen berührt.

„Emmanline?“

„Pssscht.“ Beruhigte sie ihn. „Ich bin hier.“ Lächelte sie leicht.

Sofort riss er sie in seine Arme und drückte sie wortlos an seine Brust. Schweigend musste er sie halten. Wie sollte er jetzt damit umgehen? War das wirklich real gewesen, was er da geträumt hatte? War das Wirklichkeit gewesen?

„Lucien, was ist denn los?“ Keuchte Emmanline atemlos an seiner Brust auf.

Es war doch alles nur ein Gespinst seiner Fantasie, oder nicht? Weil er im Ungewissheit steht. Weil Emmanline ihm nichts erzählte. Er konnte sich alles zusammenreimen, weil Culebra grausam und erbarmungslos war. Er könnte alles tun, ohne Gnade.

„Lucien, sprich mit mir?“ Sprach sie weiter auf ihn ein.

Aber warum konnte er dann so viele Details von ihr sehen? Wie ihre Mutter? Oder solche Gespräche zwischen ihnen? Die Versammlungen der verschiedenen Fraktionen? Die Gefühle von Emmanline? Ihre Schmerzen und ihr Leid? Vor allem ihr Tod?

„Ich hatte einen Traum.“ Konnte er ihr endlich antworten.

„Einen Alptraum?“

„Ja. Nein. Ach, ich bin mir nicht sicher.“ War er sich unsicher.

Sie versuchte sich aus seinen Armen zu befreien und er ließ sie gewähren. Aufgerichtet, blickte sie auf ihn herab. „Was hast du gesehen?“

Sollte er ihr das wirklich erzählen? Es kam ihm zu unwirklich und schrecklich vor.

Doch, dann erzählte er ihr alles. Alles was er gesehen hatte. Was er gefühlt, gehört und dabei gedacht hatte. Wirklich alles und ihm war nicht wohl dabei. Nicht wenn er jetzt Emmanlines Gesichtsausdruck sah, wie kalkweiß und fahl sie aussah. Ihre Augen waren ausdruckslos und entsetzt zugleich. Er konnte nichts in ihnen erkennen und es traf ihn zutiefst.

„Ich weiß nicht warum, ich schwöre es, Emmanline. Ich weiß nicht warum, ich all das sehen konnte. Ich bin mit dir hier in den Armen eingeschlafen und befand mich dort.“ Schwor er ihr zutiefst. Er würde sie niemals hintergehen und etwas finden, um heimlich etwas zu finden, um in ihre Erinnerungen zu tauchen. Nicht in ihre Vergangenheit. Es käme mit etwas gleich, als würde er sie missbrauchen. Vor allem hätte er somit ihr Vertrauen missbraucht.

Dennoch machte es ihn selbst zu schaffen. Er bekam es einfach nicht aus seinen Kopf heraus. Wieder und wieder spürte er Emmanlines Herzschlag wie es in ihrer Brust schlug, aber dann mit einem Schlag nicht mehr. Es war wie damals, als sie in seinem Armen gestorben war, für ihn. Mit einem tödlichen giftigen Pfeil in ihrer Brust.

„Lucien?“ Hörte er entsetztes Luft schnappen und kurz darauf berührten zarte Finger seine Wangen.

Erst da spürte er Nässe auf seinen Wangen und wie verschwommen seine Sicht war. Wie erbärmlich, er heulte jetzt doch tatsächlich wie ein kleines Kind.

„Es hat mir das Herz gebrochen, als ich dich hab da so sehen müssen, ohne das ich was tun konnte. Dabei hatte ich dir versprochen, dich vor allem und jeden zu beschützen. Vor jedem Leid und Schmerz. Doch in diesem Augenblick konnte ich gar nichts tun. Absolut nichts, egal was ich tat. Ich wollte ausbrechen, beißen, zerreißen und töten. Jeden einzelnen in dieser Höhle. Vor allem diesen Bastard Culebra. Nur um dich zu beschützen. Er hat dir wehgetan. Fürchterlich wehgetan und ich wollte ihn hundertfach dafür büßen lassen. Mit unendlichen Qualen und Schmerzen leiden lassen. Verstehst du das denn nicht. Ich ertrage es einfach nicht.“ Konnte er einfach nicht mehr ihren Blick stand halten und wandte sich von ihr ab.

Zarte dünne Ärmchen schlangen sich um seinen Hals und drückten ihn. „Es tut mir leid.“ Drückte sie seinen Hals etwas fester. „Ich bin es einfach nicht gewohnt so viel Aufmerksamkeit zu bekommen und das sich jemand so sehr um mich kümmert, außer meine Mutter damals.“ Rieb sie ihre Wange an seiner.

Seine Arme schlangen sich um ihren zierlichen Körper und er konnte sie nicht mehr loslassen. Niemals wieder.

„Du hast ein großes Herz, Lucien.“ Klang viel Wärme aus ihrer Stimme, die er nie zuvor von ihr vernommen hatte. Es traf ihn zu tiefst. Er wollte sie nie wieder gehen lassen.

Nun wurde ihm nur noch schmerzhafter bewusst, wie stark Emmanline mit ihm verankert war. Sein Teil seiner Seele war schon mit ihrer tief verwurzelt, aber ob es umgekehrt auch so war, da wusste er, dies war noch nicht der Fall. Egal was kommen würde, es würde ihn als erstes zerstören, sollte Emmanline irgendwann nicht mehr sein.
 

Emmanline wusste besser als wie jedes andere Wesen, wie gefährlich ein Drache sein konnte. Wie blutrünstig und mörderisch. Brach ihre wahre Kreatur erst voller Zorn und Wut aus, konnte nichts und niemand ihnen Einhalt gebieten. Unzählige Male hatte sie das schon miterleben müssen. Nichts als Zerstörung und Asche würde zurück bleiben, hätten sie erst einmal ihren heißen Feueratem auf die Erde niederprasseln lassen. Alles würde nur Tod und Asche hinterlassen.

Drachen waren gnadenlose Bestien, die alles zerfleischten, was sie zwischen Klauen und ihren scharfen Reißzähnen bekamen. Ihr Hunger und ihre Gier war grenzenlos. Sie nahmen sich alles, womit sie sich zufrieden gaben.

Lucien war eines dieser gnadenlosen Bestien, die Schrecken und Tod verbreiteten, aber dennoch war er anders. Er fühlte und handelte anders. Sie sah es. Genau in diesem Augenblick. Vor allem seine Tränen in seinen Augen sagten ihr alles und sie konnte ihm nicht mehr böse oder wütend sein. Es löste sich einfach in Luft auf und sie konnte ihm stattdessen nur in ihre Arme nehmen und trösten. Es kam aus ihrem tiefsten Inneren.

„Ich glaube es dir.“ Meinte sie es wirklich ehrlich. Sie glaubte ihm, wenn er ihr jetzt so beteuerte, was er über ihre Vergangenheit gesehen hatte. Sicher es hatte sie mehr als schockiert und entsetzt, denn es waren ihre Erinnerungen die sie mit niemanden teilen wollte. Nicht weil es niemanden etwas anging, sondern weil sie sich irgendwie dabei unangenehm fühlte. Sie wollte kein Mitleid oder derart andere Gefühle. Sie wollte einfach kein mitleiderregendes Wesen sein.

„Auch wenn ich es nicht verstehe, warum du es sehen konntest.“

„Ich will es wissen und verstehen, Emmanline. Vor allem woher es kommt. Ich will nichts von dir wissen oder erfahren, wenn du noch nicht bereit dafür bist. Sofern du es überhaupt willst, über deine Vergangenheit zu sprechen. Niemals will ich etwas erzwingen oder dir etwas wegnehmen, womit ich mir deine vorhandene Zuneigung und Aufmerksamkeit zunichte mache. Du bist meine Seelengefährtin. Ich wäre ein riesengroßer Narr, würde ich das aufs Spiel setzen.“

Unbewusst musste sie an seinem Hals lächeln, als sie seine Worte vernahm. Es berührte sie, weil sie spürte, welche Ehrlichkeit aus ihm kam. Er wollte ihr nicht wehtun oder gar auf andere Art und Weise. Er wollte sie beschützen.

Emmanline befreite sich aus seiner Umarmung, auch wenn es ihr widerstrebte, weil sie sich in seinen Armen wohl fühlte. Wie nie zu vor. Um ihren Wort mehr Kraft zu verleihen, legte sie ihre Handflächen auf seinen Wangen und blickte ihm tief in seinen Augen. „Solltest du je noch mehr von meinen Erinnerungen sehen, Lucien, musst du mir einiges versprechen.“

„Alles was du willst.“ Antwortete er ihr sofort und es verschlug ihr den Atem. Damit hätte sie nicht gerechnet.

„Solltest du je wieder einen Traum haben, wenn es um mich geht. Egal was es ist, du musst mir stets erzählen, was du gesehen hast. Verheimliche nie meine eigene Vergangenheit vor mir, egal wie furchtbar sie sein mag.“

Auch wenn sie sah, dass es ihm nicht leicht fiel, stimmte er ihr dabei zu. Sie wusste jetzt, er würde ihr nie wieder was verschweigen. Sei denn, sie würde es ihm verbieten und dies bedeutete ihr wirklich sehr viel.

„Was mir noch wichtiger ist, wie sehr du das Verlangen verspürst mich zu beschützen, weil ich deine Seelengefährtin bin, darfst du nicht auf den Gedanken kommen oder dem Drang nach geben, mich einzusperren. Sperre mich niemals ein.“ War es ihr vollkommen ernst.

Ihr schien es, als würde Lucien sie eine halbe Ewigkeit anschauen und sie fühlte sich auf einmal unbehaglich in ihrer Haut. Und das plötzlich und sie wusste noch nicht einmal warum. Dabei hatte sie doch das Recht nicht eingesperrt zu werden, oder etwa nicht?

„Glaubst du etwa immer noch, ich würde dich einsperren?“ Wurde sein Ton ernst und befreite sich von ihrer Berührung.

Unwillkürlich musste sie schlucken und sie wäre am liebsten abgerückt, als sie jetzt in seine Augen starrte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, denn seine funkelten wie heiße Kohlen, was in der Art heißen sollte, sie sollte sich vorsehen.

Emmanline presste ihre Lippen fest aufeinander und ihr Herz fing auf einmal mit einem schnellen Gang anzuschlagen. Plötzlich bekam sie auch keine Luft mehr, je länger sie ihn anschaute, denn seine Augen verschlangen sie regelrecht und sie konnte sich einfach nicht von ihnen abwenden. Es war wie eine Liebkosung, aber gleichzeitig aber auch eine Warnung an sie.

„Wie oft muss ich dir noch sagen, das ich dich niemals einsperren würde? Ich mag es zu Anfang getan haben, was ich zutiefst bereue, aber ich werde es nie wieder tun, das schwöre ich bei meiner Ehre. Auch wenn ich den Drang verspüre dich bei mir zu behalten und dich vor allem und jeden zu beschützen, weiß ich dennoch, dass ich dich nicht wie ein Vogel in einem Käfig einsperren kann. Ich weiß ganz genau, ich würde dich dadurch verlieren und alles kaputt machen, was ich je zwischen uns gewonnen habe. Deine Nähe, deine Berührungen und deine Zuneigung. Sogar jetzt, deine Wärme und dein bezauberndes Lächeln, womit ich nie zu hoffen gewagt hätte, es sehen zu können. Deine Gefühle zu sehen. Dein Lachen, deine Tränen, deine Wut, deine Herzlichkeit,...einfach alles an dir, Emmanline. All das will ich niemals verlieren. Aus all diesem Grund würde ich dich niemals einsperren.“

Erst bemerkte sie es nicht, dann konnte sie es nicht kontrollieren wie Tränen sich in ihren Augen bildeten. Seit sie diesen großen Gefühlsausbruch hatte, wie Lucien es genannt hatte, war sie anscheinend anfällig und es kam einfach über sie. Sie konnte es noch nicht kontrollieren, so frisch war es. Wie sollte sie das bitteschön auch?

Lucien schien es zu bemerken, wie sich salzige Tränen in ihren Augen bildeten und sein Gesichtsausdruck wandelte sich von ernst zu sanft. „Hey, nicht weinen.“ Strich er zärtlich über ihr Haar und legte eine Hand in ihren Nacken und zog sie zu sich heran, damit er seine Stirn gegen ihre legen konnte. „Anscheinend muss ich es dir immer wieder verständlich machen.“ Lächelte er sie an.

Irgendwie lächelte sie zaghaft zurück und versuchte ihre Tränen weg zu blinzeln. „Oder es liegt daran, ich will das du es tust.“

„Willst du das?“ Schien er überrascht zu sein.

„Ich weiß nicht. Diesmal hatte ich das Gefühl, du würdest es womöglich aus Angst tun. Als ich gesehen habe, wo du aufgewacht warst, habe ich deinen Drachen sehr nahe an der Oberfläche gesehen. Er wollte aus dir ausbrechen und hätte mich am liebsten gepackt und irgendwo hingebracht, wo mich niemand finden würde. Dein Blick war voller Panik und Angst. Aber gleichzeitig voller Wut und Zorn. Als du mir dann erzähltest, es ging um meine Vergangenheit überstieg es meine Gedankenkraft. Ich weiß noch immer nicht, wie das sein kann, warum du plötzlich etwas aus meiner Vergangenheit siehst.“ Seufzte sie und schloss für einen kurzen Moment ihre Augen. „Ich will das niemand etwas darüber erfährt. Über mich und meine Vergangenheit.“

Emmanline öffnete ihre Augen wieder, als sie ein Zucken von Lucien wahrnahm und erkannte an ihm, wie betroffen er aussah. Anscheinend hatte sie etwas zu ihm gesagt, was er nicht hören wollte. Was ihn verletzt hatte.

„Ich will ehrlich sein Lucien. Wenn du meine Erinnerung gesehen hast, musst du dich erinnern, das ich meiner Mutter immer wieder einen Schwur wiederholen musste, den ich nie vergessen durfte. Ich darf ihn nicht brechen.“

„Ich kann dich beschützen, Emmanline. Vor allem, wovor du auch Angst hast.“

„Nein, kannst du nicht.“ Schüttelte sie mit ihrem Kopf. „Ich akzeptiere es hier und jetzt, das du mich beschützen kannst, aber du könntest es niemals in alle Ewigkeit. Dies musst du akzeptieren, Lucien.“

Zornig funkelte er sie an. „Das werde ich nicht akzeptieren.“ Riss er sich von ihr los und stand auf und blieb vor dem Bett stehen und blickte auf sie herunter. Er war noch größer vom Erscheinen, was ihn bedrohlicher machte. „Merke dir eines, Emmanline, ich bin König und ich habe eine unermessliche Macht und ich bin ein Drache. Ich kann dich jawohl beschützen und werde alles daran setzen es zu tun. Du bist meine Seelengefährtin und ich empfinde das als Kränkung und Beleidigung, das du so wenig Vertrauen in mich hast.“ Knurrte er verärgert und sie konnte eine Menge verschiedener Emotionen in seinen leuchtenden Augen widerspiegeln sehen.

Dies brachte einen dicken Kloß in ihren Hals, den sie nicht so leicht unter schlucken konnte.

Für einen kurzen Augenblick schaute er sie einfach nur an, bevor er sich von ihr abwandte und Richtung Tür bewegte. Ohne etwas zu sagen verließ er einfach das Zimmer. Ohne ein einziges Wort. Gut, jetzt fühlte sie sich eindeutig schlecht.

Bis eben fühlte sich der Raum noch warm und wohlig an, aber jetzt kalt und leer an. Sie wusste überhaupt nicht, wie bedeutend seine Präsenz sein konnte. Nein, das war gelogen. Natürlich wusste sie das. Dies hatte sie schon vor einer längeren Zeit gewusst, wie wichtig ihr das geworden war. Wie nahe er ihr doch gekommen war. Wie wichtig seine Nähe, Zuneigung, Berührungen und Wärme für sie waren. Alles von ihm waren ihr wichtig. Es kam alles so plötzlich, kaum das sie sich versah und sich gegen ihn nicht mehr wehren konnte. Jetzt hatte sie sich in etwas reingeritten, wo sie nicht mehr heraus kam und genau das hatte sie befürchtet. Genau vor dem hatte sie sich schützen wollen.

Und genau jetzt hatte sie es vermasselt, weil sie einfach dumm war. Und weil sie einfach nicht fähig war kein richtiges Vertrauen aufzubauen. Ja, sie gab ja zu, zu einem gewissen Teil vertraute sie ihm wirklich. Wie könnte sie ihm denn erlauben, dass er sie beschützen könnte? So leichtfertig würde sie niemanden ihr Leben in die Hände legen. Vor allen keinem Drachen. Lucien war der einzige dem sie es jemals zugestehen würde, weil er all diese Gefühle und Empfindungen in ihr hervorrief. Nicht nur das. Seine Zärtlichkeit und seine Liebenswürdigkeit besänftigen sie auf die tiefe Art und Weise trafen sie in ihrer Seele, wo niemand sie berührte. War es dieses Band, wovon Lucien so oft sprach? War es dieses Band zwischen zwei Seelengefährten?

Je mehr sie nachdachte, je mehr erschöpfte es sie. Was war in letzter Zeit mit ihr los? Sie fühlte sich auf Dauer immer ausgelaugter und müder. Zuvor kannte sie so etwas wie Schlaf überhaupt nicht. Das über zweihundert Jahrhunderte nicht. Dann auf einmal konnte sie ein paar Stunden Ruhen und jetzt schlief sie Nächte durch. Nun hatte sie geregelte Stunden wo sie Schlaf brauchte. Irgendwas stimmte nicht mit ihr, aber sie konnte einfach nicht einordnen was es ist.

Seitlich ließ sie sich aufs Bett fallen und rollte sich zu einer Kugel zusammen und überrascht stellte sie fest, jemand hatte sich neben sie gesellt. Vollkommen hatte sie vergessen, dass sie ein kleines Kätzchen im Zimmer gelassen hatte. Zwei Tage hatte sie es vergebens gesucht gehabt, als es plötzlich verschwunden gewesen war. Sie war vom Schlimmsten ausgegangen, wo sie daran zurück dachte, als Linava meinte, es kam vor, kleine Katzen wurden als kleine Mahlzeit betrachtet. Aber wenn sie jetzt in diese wunderschönen lebendigen leuchtenden Augen blickte, atmete sie erleichtert auf.

„Hallo. Wo warst du denn gewesen? Ich hatte dich gesucht und mir schreckliche Sorgen um dich gemacht.“ Lächelte sie das Katzenjunge an, das sie mit großen gelb grünen Augen anstarrte. Es hatte so schöne hübsche Augen, die aufmerksam und intelligent erschienen. Leicht streckte sie ihren Arm aus, damit sie über den kleinen Kopf streicheln konnte. „Dann sind nur wir zwei übrig.“

Sofort kam die Katze an sie heran gekuschelt und fing an zu schnurren, wie es vom ersten Augenblick an getan hatte, als sie ihn auf den Arm genommen hatte. Sie bemerkte, es war ein er, so ausdrucksstark wie seine Präsenz war. Etwas in seinen Augen und seiner Haltung hatte etwas Dominantes, auch wenn es nur ein Junges war.

„Möchtest du hier bei mir bleiben?“ Fragte sie ihn, der sich wärmend an sie presste, was sie sichtlich genoss. Das Miauen schien ein Ja zu bedeuten und es brachte sie leicht zum lächeln, trotz das sie sich mit Lucien gestritten hatte. Es lag ihr schwer auf der Brust, aber sie sollte ihm diesen Freiraum geben. „Besitzt du denn einen Namen?“ Sie konnte Tiere verstehen, aber nur zu einem gewissen Grad. Nicht in ihrer eigenen Sprache. Aber sie bemerkte, besaß der Kleine keinen Namen.

Emmanline lag noch immer auf der Seite und winkelte ihren unteren Arm an, damit sie ihren Kopf darauf betten konnte. Den anderen Arm legte sie über das Kätzchen und streichelte mit ihrer Hand über das schneeweiße glänzende Fell mit schwarzgrauen Flecken, damit sie auf ihn herab sehen konnte. „Möchtest du einen haben? Einen Namen?“ Fragte sie nach. Mit einem kleinen lecken seiner kleinen rauen Zunge auf ihren Kinn war es eine Bestätigung. Sie lachte leise auf. „Du bist wirklich herzlich.“ Blickte sie ihn tief in seine wunderschönen tiefen gelbgrünen Augen und ihr kam auch schon die erste Idee für einen außergewöhnlichen Namen für ihn, der vielleicht passen könnte. „Was hältst du von Audray?“ Schlug sie vor.

Herzhaft lachte sie auf, als sie ein komisches Funkeln in den gelbgrünen Augen erkannte, als wäre der Name etwas eigenartig. „Der Name passt zu dir. Audray bedeutet Stärke und in deinen gelbgrünen Augen erkenne ich nichts anderes als das.“ Plötzlich erschien ein erneutes Funkeln in seinen Augen und er schien seine Meinung über diesen Namen geändert zu haben. „Dann bedeutet es wohl, das du ab heute Audray heißt.“

Mit weiteren Kuscheleinheiten und Schnurren, fand sie genug Bestätigung und es dauerte auch nicht lange, bis sie am Ende ihrer Kräfte angelangt war. Sie war auf einmal vollkommen müde. Mit einem Schlag und sie schlief so ein wie sie hier lag, mit Audray in ihrem Arm.
 

Seine Ohren zuckten und er rümpfte mit seiner Nase, als er bemerkte, das sie eingeschlafen war. Er konnte es noch immer nicht fassen, wie schnell das ging. Die Frau die in einen tiefen Schlaf versunken war, hatte ihn mehr als einmal geholfen.

Audray? Stärke?

Das gefiel ihm wirklich. Er hatte wirklich zuvor noch keinen Namen besessen und auch kein Zuhause. Er wusste zuvor auch nicht, wohin er gehörte. Er konnte sich noch nicht einmal erinnern, woher er kam. Er war noch jung und schon beinahe ausgewachsen für einen Schneeleoparden Gestaltenwandler. Na gut, vielleicht bräuchte er doch noch zwölf Jahre um ein volles Alter zu erreichen. Aber was spielten die paar Jahre schon für eine Rolle? Er war jetzt schon zu einem gewissen Satz erwachsen.

Woran er sich zuletzt erinnern konnte, war, das er in seiner jetzigen Leopardengestalt durch einen Wald gehetzt war. In Panik und Angst und Schmerz. Danach war alles Dunkel und Schwarz gewesen. Darauf war er bei einer fremden Frau aufgewacht, die ihn...nun er wusste es nicht mehr.

Diese Frau war groß, hatte kurzes goldenes Haar und ihre Augen waren ein dunkles und tiefes Grau gewesen. Alles an und in ihr schrie nach Raubtier. Es hatte ihn in Angst und Panik versetzt. Er konnte sich kaum rühren. Vor allem nicht, als sie ihn mitgenommen hatte und vor kleinen Rudelangehörigen abgesetzt hatte, die sich dann auf ihn gestürzt hatten. Auf ihrer Mahlzeit. Danach war es vollkommen vorbei gewesen und es gab einen Kurzschluss bei ihm. Jemand wollte ihn fressen.

Das Einzige woran er nur noch denke konnte, war, die Flucht zu ergreifen. Er musste flüchten, denn überall haftete der Geruch von mächtigen Raubtieren, die ihn töten würden, weil er als nicht Rudelmitglied in ihrem Revier war. Sein Instinkt hatte ihn beherrscht und ihm war nicht bewusst gewesen wohin er rannte.

Egal wohin er rannte, umso mehr hatte er das Gefühl und die Panik verspürt, dass es schlimmer wurde. Darum hatte er sich das bestmögliche Loch gesucht worin er sich verstecken konnte. Wo er sich ängstlich verkriechen konnte. Er musste sich tief verkriechen wie möglich, aber da war wieder die Frau gewesen und sie ging einfach nicht weg, aber dann war da eine andere Frau und diese Stimme.

Plötzlich wurde ihm auf einmal unsagbar leichter und er horchte auf, aber er blieb trotzdem auf der Hut. Er lauschte jedes Wort was sie miteinander wechselten und dann tauchte ihr Gesicht in diesem kleinen Eingang auf und er versteifte sich schlagartig. Seine Augen weiteten sich, als er ihre Augen erblickte. Sie waren wie flüssiges Silber und ihr Haar wie weißer Schnee das ihm bekannt vorkam. Es weckte Erinnerungen. Sie war hübsch und hatte warme Züge an sich, wogegen er sich einfach nicht wehren konnte.

Kaum das sie mit ihrer sanften Stimme gesagt hatte, er müsste keine Angst haben oder niemand würde ihm wehtun, kam er aus seinem Versteck gerannt und sprang direkt in ihre Arme. Ohne zu zögern hatte sie ihn in ihre Arme geschlossen.

Er wusste, diese Frau war kein Raubtier. Besaß keine Krallen und keine Reißzähne, die ihn vor all diesen Raubtieren beschützen konnten, aber aus irgendeinen Grund fühlte er sich bei ihr sicher und wohl. Sie vermittelte ihm ein Gefühl, wo er sich behaglich und tröstlich fühlte. Einfach gut aufgehoben. Er wusste, sie würde ihn beschützen.

In den letzten Tagen hatte er sich zurück gezogen, weil er sich nicht sicher gewesen war und doch wollte er zu ihr hin. Nur hatte er nicht sonderliche Gelegenheiten gehabt. Da war immer dieser große Mann gewesen, der immer viel in ihrer Nähe war. Er ließ sie kaum aus den Augen und war immer aufmerksam zu ihr. Sorgte sich stets um sie, wie er es bemerkte, aber heute scheint er wütend auf sie zu sein.

Seine Ohren zuckten leicht, als er sie beim schlafen beobachtete. Er hatte gesehen, wie traurig ihr Blick gewesen war, wo er einfach das Zimmer verlassen hatte. Da konnte er sich einfach nicht mehr nur verstecken. Er musste zu ihr hin und trösten. Er musste sich einfach weiter an sie kuscheln und sich seinen kleinen Körper an ihren reiben. Es fühlte sich so gut an und es entspannte ihn genauso. So viel er konnte, versuchte er von ihrer Nähe zu bekommen, weil er es einfach vermisste. Er war einsam und empfand es als schrecklich. Ihm fehlte die Vertrautheit und Gemeinschaft, die er zuvor gehabt hatte. Hatte er doch, oder nicht?

Egal was er zuvor gehabt hatte, er konnte sich an nichts mehr erinnern.

Mit einem Schlag wurde er aus seinen Gedanken gerissen und seine Alarmglocken schrillten auf. Jemand bedrohliches kam auf sie zu und es verhieß nichts Gutes. Keine Minute später und die Tür ging auf und dort stand der Mann, der zuvor wütend das Zimmer verlassen hatte. Gerade wollte er seinen Mund aufmachen, als er ihn erblickte. Überrascht schaute er ihn an. Während seine Augen sich verengten, weiteten sich seine und rückte näher an ihren Körper heran.

Je länger er ihn finster anstarrte, umso verängstigter fühlte er sich, bis er nicht mehr anders konnte, als ein Wimmern von sich zu geben. Dieser Mann war ein sehr großes und mächtiges Raubtier, was er in seinen Augen erkennen konnte. Nicht länger konnte er seinen Blick standhalten und fügte sich seiner Dominanz.

Eingeschüchtert und mit angelegten Ohren bettete er seinen Kopf auf seine Vorderpfoten und kauerte sich zusammen. Er machte sich so klein wie er konnte.

„Lucien, hör damit auf. Du schüchterst ihn ein.“ Drang die Frauenstimme neben ihm streng.

Der Mann knurrte nur.

„Lucien.“

„Verwandle dich.“ Klang der Befehl streng und hart, was ihn zusammen zucken ließ.

„Wovon redest du?“ Setzte sich die Frau vorsichtig auf und nahm ihn vorsichtig auf seinen Schoß.

„Er ist ein Gestaltenwandler.“ Ließ er ihn keinen einzigen Augenblick aus den Augen. Er wusste sofort, würde er ihr etwas antun, würde er keine weitere Sekunde überleben. Aber er würde ihr niemals wehtun.

„Ich verstehe nicht ganz.“ Klang Verwirrung in ihrer Stimme mit. „Audray?“ Schaute sie ihn an.

Der Mann schnaubte verächtlich. „Du kennst seinen Namen? Dann weißt du es doch.“

„Ich weiß es überhaupt nicht.“ Erwiderte sie wütend. „Ich habe ihm diesen Namen selbst gegeben.“ Funkelte sie ihn böse an. „Aber stimmt es, Audray? Bist du ein Gestaltenwandler?“ Fragte sie mit sanfter Stimme, die nur für ihn bestimmt war.

Er konnte nur wimmern, weil er sie verstand.

„Keine Sorge. Weißt du noch, ich habe dir doch einmal gesagt, niemand wird dir etwas tun. Das wird auch dieser ungehobelte Kerl nicht tun.“ Lächelte sie auf ihn herab. Auch wenn er das bedrohliche Knurren von diesem angsteinflößendem Mann nicht ignorieren konnte, sie konnte es wirklich gut.

„Würdest du dich für mich verwandeln?“ Streichelte sie so liebevoll über seinen Kopf, dass er nicht anders konnte, als seine Augen zu schließen. Es fühlte sich zu gut an. Er vermisste es so sehr, was ihm im Herzen wehtat.

Doch er konnte nicht. Sein Körper sackte auf ihrem Schoß zusammen und wirkte niedergeschlagen. Verzweifelt schaute er zu ihr rauf und es beschämte ihn, denn irgendwie schaffte er es nicht. Irgendwie konnte er nicht seine menschliche Gestalt annehmen. Nicht mehr.

„Ich will mich nicht wiederholen müssen.“ Sagte der Mann streng, wo er erneut zusammen zuckte.

„Warte, Lucien.“ Hob sie eine Hand, aber ihr Blick blieb unverändert auf ihn gerichtet. „Kann es vielleicht sein, dass du dich nicht verwandeln kannst, Audray?“ Fragte sie behutsam nach, als sie nicht aufhörte ihn zu streicheln.

Noch mehr Scham breitete sich in ihm aus und er traute sich nicht mehr zu rühren. Augenblicklich war er zu einer Salzsäule erstarrt. Es war erbärmlich. Ein Gestaltenwandler, der sich nicht mehr verwandeln konnte.

„Hör mir jetzt gut zu, Audray.“ War sie jetzt, die etwas befahl, aber nicht so streng wie dieser Mann ein paar Schritte vom Bett entfernt. Aufmerksam blickte er zu ihr rauf. „Ich kann deine tierische Seite nicht zurückdrängen, weil sie Dominant ist, aber ich kann deine menschliche Seite anregen an die Oberfläche zu gelangen. Aus irgendeinen Grund will sie nicht an die Oberfläche kommen. Ich habe zu Anfang nicht bemerkt das du ein Gestaltenwandler bist, aber wenn ich jetzt deine Präsenz spüre, spüre ich es klar und deutlich.“ Lächelte sie ihn an. „Aus diesem Grund musst du, wenn du es von dir aus willst, den letzten Schritt tun. Wenn du deine menschliche Gestalt annehmen willst, dann musst du derjenige sein, der dann dein Tier in dir zurückdrängt. Verstehst du mich?“

Mit einem verstand er alles was er ihr sagte. Er hatte schon etwas Angst davor, aber anderseits wollte er schon wieder seine menschliche Gestalt annehmen. Zulange steckte er in diesen Körper fest.

Dann plötzlich ging alles viel schneller als er gedacht hatte. Er hätte damit gerechnet, das es schwieriger wäre und etwas in ihm streiken würde, aber dem war nicht so. Sie behielt Recht. Durch irgendeinen kleinen innerlichen geistigen Stoß in ihm versetzt, gab es einen Ruck in seinem Verstand und es hatte ihn als erstes erschüttert. Doch dann kam ein klarer Augenblick den er nutzte und seine menschliche Hälfte kam an die Oberfläche. Wie durch ein Wunder sprühten regenbogenartige Funken um ihn herum.

Aus Pfoten wurden Hände und Füße, aus Fell wurde glatte Haut, aus einem tierischen Gesicht ein menschliches und seine kleine Gestalt nahm eine größere an. Für seine Statur war er sehr dünn und nicht wohlgenährt. Seine Haare waren schwarzgrau und ungepflegt, was zuvor an seinem Fell nicht zu erkennen gewesen war.

„Du liebe Götter, Audray.“ Klang so viel Sanftheit in ihrer Stimme mit, als sie sein zerzaustes Haar aus seinem Gesicht strich um ihn anzuschauen, der jetzt vor ihm kniete. Behutsam nahm sie sein Gesicht in beide Hände und blickte ihn tief in seine Augen. Jetzt brach alles aus ihm heraus und er konnte es nicht mehr zurück halten. Die Tränen kullerten über seinen Wangen und Trauer machten sich aus ihm Bahn.
 

Entsetzt holte Emmanline nach Luft, als Audray vor ihr in Tränen ausbrach. Aus reinen Reflex zog sie ihn in ihre Arme und hielt ihn einfach nur fest. Nicht wissend warum, aber etwas an diesem Jungen tat ihr in der Seele weh. Sie hatte das Gefühl, er hatte einen sehr langen und traurigen Weg hinter sich.

Wie könnte es auch anders sein, wenn sich eine menschliche Hälfte als Gestaltenwandler in den Hintergrund zurück zog? So was hatte immer etwas zu bedeuten. Es war immer eine Sache es bewusst zu verdrängen, oder keine andere Wahl zu haben.

Es schien, irgendwas schockierendes muss bei ihm der Auslöser gewesen sein, das seine menschliche Seite sich zurück gezogen hatte und nur dem Tier ihren Instinkt überlasse hatte. Irgendwann muss die menschliche Seite in ihn erwacht sein, aber er konnte nicht an die Oberfläche. Also war er sozusagen im Unterbewusstsein eingesperrt und musste immer das miterleben was seine tierische Seite erlebte, auch wenn ein gewisser Verstand dabei war.

Wie furchtbar.

Wie könnte sie ihm also nicht ihr Mitgefühl schenken? Einem Kind? Er war vermutlich erst acht Jahre alt und er war so dünn. Und einfach so jung. Es tat ihr in der Seele weh, dass sie ihn noch enger an sich zog.

Da spürte sie Luciens Blick auf sich ruhen und schaute ihn an. Er schaute nur sie an und sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Sie spürte, er war noch immer wütend, aber das mussten sie später klären. Jetzt konnten sie nicht den Jungen zur Seite schieben und Lucien wusste das. Er wurde es auch niemals tun. Das würde selbst sein Herz nicht zulassen. Das hatte sie an ihm schon erkannt, wie wichtig ihm Kinder erschienen. Sie wusste auch, er würde diesen Jungen niemals einen Schmerz zufügen. Was er getan hatte, war lediglich, seinen Standpunkt klarzustellen. Nur etwas zu mächtig für so einen kleinen Jungen, wenn es nach ihrer Betrachtungsweise ging.

„Ich wusste es wirklich nicht, Lucien, das er ein Gestaltenwandler war. Ich habe ihn vor drei Tagen, nach der Ratssitzung gefunden.“ Nahm sie mit Lucien gedankliche Verbindung auf, damit der kleine Junge in ihren Armen in Ruhe weinen konnte.

„Ich wusste noch nicht einmal das du überhaupt etwas gefunden hast.“ Knurrte er in ihren Gedanken.

„Ach nein, denke noch einmal gut darüber nach.“ Konnte sie nicht verhindern, das ihre Stimme scharf klang, während sie ihn etwas wütend anblickte.

Das schien Lucien zu tun. Er dachte nach und etwas blitze in seinen Augen auf, als würde eine kleine Erkenntnis kommen.

„Dann hast du es vollkommen ernst gemeint, als du meintest, du suchtest ein Kätzchen? Dann musste ich wohl von deinen sexy Hintern abgelenkt worden sein, als ich zur Tür rein kam und du dich unter das Bett gebückt hattest. Er hatte mich förmlich angelächelt. Dabei dachte ich, du hast es mit Absicht getan, nur um mich zu strafen, weil ich zu spät ins Bett gekommen war.“ Grinste er sie verschmitzt an.

„Lucien.“ Wurde ihre Stimme schärfer.

„Schon gut. Schon gut. Nicht gleich böse werden.“ War er mehr amüsiert, als genervt.

„Ich meine es vollkommen ernst.“

„Ich auch.“

Langsam war sie es manchmal wirklich leid und das schlimme daran war, er machte es mit Absicht, das er sie so aufzog und sie ging immer wieder darauf ein, ohne das sie es manchmal bemerkte. Dann war es meistens zu spät. Später war es soweit, das sie ihn einfach ignorierte und dann hörte er einfach nicht mehr auf. Er machte solange weiter, bis sie vollkommen nachgab und er das bekam, was er wollte, aber diesmal war es anders.

„Wir werden jetzt folgendes tun.“ Sprach er jetzt laut und riss sie somit aus ihren Gedanken und ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn. „Emmanline, du nimmst dich dir jetzt...ähm...“

„Audray.“

„Ja, wie dem auch sei. Lass ihn von den Dienstmädchen waschen und Essen geben. Danach will ich mit ihm reden.“

Kurz war sie überrascht, weil er auf einmal so ruhig und gefasst war. Weil er auf einmal so verständnisvoll war. Er nahm Rücksicht auf den kleinen Gestaltenwandler und weil sie nicht genau wussten in welche Lage er steckte und Lucien wollte herausfinden in welcher. Weil er ein Kind war und es unkontrolliert ihr Herz schneller schlagen ließ. Wobei sich eine wohlige Wärme in ihrer Brust verbreitete und sie konnte nicht anders als ihn einfach nur anzublicken und er erwiderte ihren Blick einfach nur mit einem liebevollen Augenblick. Er wusste es und diese Moment reichte ihr.

„Lass mich das übernehmen. Ich glaube, ich bin die Einzige, bei der er sich wohlfühlt. Bei euch all Raubtieren scheint er ziemlich eingeschüchtert zu sein. Möchtest du das Audray? Baden und etwas Essen?“

Der Gestaltenwandlerjunge scheint sich in ihren Armen beruhigt zu haben und seine Tränen versiegt, als er jetzt zu ihr aufblickte. Seine Augen waren leicht gerötet und geschwollen. Und plötzlich aufs Stichwort fing sein Magen an zu knurren. Sie lächelte einfach nur, aber Lucien meinte nur.

„Dann wäre die Sache ja wohl geklärt.“ Ging Lucien für diesen Moment.
 

Lucien wusste nicht was nerviger und schlimmer war. Entweder dieser Streit mit Emmanline, den er eigentlich nicht hatte so ausarten lassen sollen. Oder das plötzlich ein kleiner Gestaltenwandler neben Emmanline auf dem Bett lag.

Es war schon kindisch von ihm gewesen, wie er sich so schnell aufgeregt hatte. Doch sie hatte an ihm gezweifelt und es hatte ihn verletzt. Zutiefst, wenn er noch ehrlicher zu sich selbst war. Und es hatte an seinen Stolz gekratzt. Sie war seine Seelengefährtin und es gehörte zu seiner wichtigsten Aufgabe sie zu beschützen. Wie konnte sie also an ihn zweifeln? Diese Frau brachte ihn an den Rand seiner Verzweiflung und manchmal seiner Nerven, das es ihm tatsächlich Kopfschmerzen bereitete. Und er bekam niemals Kopfschmerzen.

Und dann dieser kleine Gestaltenwandler. Es war ein Schneeleopard. Sein Raubtier in ihm hatte geknurrt, weil ein fremdliches Wesen auf seinem Grund und Boden war, ohne sein Wissen. Und weil er bei Emmanline war. So vertraut und sorglos, als würden sie sich kennen. Er wusste, Eifersucht sprach aus ihm, auch wenn es kindisch von ihm war, weil es nur ein kleiner Junge war, aber dennoch war es so. Alleine weil es männlich war, reichte aus.

Lucien glaubte nicht, das der kleine Schneeleopard eine Bedrohung für sie war, trotzdem konnte er dessen nicht außer acht lassen. Er musste dessen nachgehen. Ihm hatte es nur gewundert, weil er seine menschliche Gestalt nicht annehmen konnte. Es gab nur drei Möglichkeiten dafür. Es war seine eigene freie Entscheidung, seiner tierischen Seite die Kontrolle zu überlassen. Oder entweder er steckte zulange in seiner Tiergestalt, oder er wurde durch eine Art Schockzustand in sein Tier verwandelt. Das bedeutete, das der Mensch soweit in den Hintergrund zurück gedrängt wurde, dass das Tier mehr die Kontrolle bekam, als die menschliche. Irgendwas musste mit dem Jungen passiert sein und er wollte es heraus finden.

Nein, er würde dem Jungen kein Leid zu fügen, denn er tat generell den Jugendlichen nichts zuleide. Keiner würde das aus seinem Volk tun. Das würde gegen Ehre und Stolz gehen. Niemand rührte Junge an. Egal aus welchen Volk sie kamen. Egal von welchem Feind.

Sollte Emmanline ihn erst einmal versorgen, danach konnte er noch immer den Grund erfahren. Das konnte warten. Er schien ziemlich verstört zu sein. Das konnte er auch verstehen. So Jugendhaft und dann noch auf ein gefährlichen Gebiet. Trotzdem, wie kam er hierher? Schneeleoparden waren ansatzweise nicht in ihren Umkreisen Zuhause. Sie grenzen nirgendwo an. Wo kam er also her?

Die Fragen auf später verschoben, war er aus dem Zimmer gegangen und lief erneut den Gang herunter, um wieder in sein Arbeitszimmer zu gehen. Als er eintrat blieb er ruckartig stehen, denn jetzt erst bemerkte er, jemand wartete. Sein Onkel Darius saß lässig in der Sofaecke. Zurückgelehnt, ein Bein über das andere geschlagen, die Arme auf beiden Seiten auf die Sofalehne gelegt und sein Kopf in den Nacken, während er seine Augen geschlossen hatte. Aber er wusste, er schlief nicht.

„Ich habe auf dich gewartet.“

Er hatte es gewusst. Mit einem leisen Klicken schloss er die Tür hinter sich. „Das sehe ich.“

„Wie ich sehe, hast du nicht sonderlich gut geschlafen.“

„Hätte besser sein können.“ Wenn er an Emmanlines Erinnerung dachte, die er in seinen Traum gesehen hatte, drehte es sich ihm wieder der Magen um und seine Galle wäre ihm wieder hoch gekommen. Vor Wut natürlich. Doch das würde er sicherlich nicht vor seinem Onkel erwähnen.

„Ich wollte mit dir über etwas sprechen.“ Irgendetwas an seiner Tonlage gefiel ihm nicht.

In der Zeit war er zu seinem Schreibtisch hinübergegangen und hatte sich dahintergesetzt. Kurz dachte er daran zurück, als er an letzter Nacht zurück dachte, als Emmanline zu ihm kam, um ihn zu Bett zu holen. Diese Frau raubte ihn wirklich noch einmal den letzten Funken Verstand.

„Und worüber?“ Lehnte er sich zurück und blickte seinen Onkel an.

„Ich habe noch einmal über die Ratssitzung nachgedacht und über die Worte deiner Gefährtin.“

Meine Gefährtin? Ja, das ist sie. Klang so viel Stolz in seiner gedanklichen Stimme mit. Mit einem Blick bat er weiter zusprechen.

„Sie ist wirklich klug genug, das sie danach den Saal verlassen hatte, aber es hatte auch einiges an Wirbel gesorgt, als du sie überhaupt mit zur Sitzung gebracht hast. Es war ein bisschen unüberlegt von dir gewesen.“ Tadelte er ihn erst ein wenig, aber nur durch das familiärische Band, was er akzeptieren konnte. „Es geht um Culebra. Wenn sie wirklich die Wahrheit spricht und er die Herrschaft über die Drachen will, dürfen wir dies nicht außer acht lassen.“

„Sie spricht die Wahrheit.“

„Was wir annehmen.“

„Nein, ich meine es ernst, Darius. Emmanline spricht wirklich die Wahrheit.“ Sprach er in seinem ganzen Leben noch nie so ernst wie in diesem Augenblick und durch den Gesichtsausdruck seines Onkels konnte er die Erkenntnis erkennen.

Doch er konnte ihm nicht erzählen, was er in seinem Traum gesehen hatte, aber er konnte es auch nicht verschweigen. Dies waren wichtige Informationen, aber dennoch würde er sie jetzt nicht verraten. Nicht bevor er mit Emmanline darüber gesprochen hatte. Er wollte sie nicht hintergehen, indem er private Dinge von ihr preis gab, die sie nicht wollte. Es wäre ein Vertrauensmissbrauch. Das wollte er niemals riskieren. Nicht bei ihr.

„Emmanline?“ Nahm er so selten mentalen Kontakt zu ihr auf, aber er freute sich auch ihre Stimme in seinem Kopf zu hören.
 

Emmanline war gerade mit Audray beschäftigt, als sie Luciens Stimme in ihrem Kopf vernahm. Erst erschrak sie bei seiner sinnlichen männlichen Stimme, was sie erschaudern ließ. Er nahm sonst nie Kontakt zu ihr auf. Nicht in Gedanken.

„Lucien?“ Antwortete sie zurück, weil sie nicht anders konnte.

„Ich wollte mich wegen meines Verhaltens vorhin entschuldigen. Es war nicht richtig gewesen dich anzuschreien.“ Sie war schockiert und sprachlos. „Emmanline? Bist du noch da?“

Anscheinend musste sie eine lange Zeit geschwiegen haben. „Ja, natürlich.“ Schluckte sie ihren Kloß runter. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, eine Entschuldigung von ihm zu bekommen. „Warum entschuldigst du dich? Und warum tust du es nicht, während du mir in die Augen siehst, wie du es sonst auch tust?“

„Würde ich gerne, aber irgendwie hatte ich das Bedürfnis es nicht aufschieben zu wollen. Immerhin bist du beschäftigt und ich auch. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und mein Onkel hatte auf mich gewartet, um mit mir ein Gespräch zu ersuchen.“

Das entlockte ihr ein Lächeln. Ihm war es ein Bedürfnis gewesen. „Wenn er mit dir ein Gespräch ersucht, warum unterhältst du dich dann mit mir per Gedanken? Du solltest dich auf deinen Onkel konzentrieren. Wir können uns auch später unterhalten.“ Versprach sie ihm.

„Ja, ich weiß. Aber ich wollte auch noch einmal deine Stimme hören.“ Seufzte er in ihre Gedanken und klang müde.

„Was ist los, Lucien? Irgendwas stimmt nicht?“

„Ich weiß es nicht. Auch wenn ich es nicht wirklich gerne zugebe, aber irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen.“

Also das schockierte sie doch noch mehr, als er sich zu Anfang bei ihr entschuldigt hatte. „Ein schlechtes Gewissen? Für was?“ Als er noch immer schwieg, fragte sie etwas anderes. „Worüber unterhaltet ihr euch? Du und dein Onkel?“

„Weißt du worin mein Onkel gut ist?“

Der plötzliche Themawechsel verwunderte sie etwas, aber auf irgendwas hinaus wollte er. „Nein. Sollte ich es denn wissen?“

„In Strategien und er hat weitaus mehr Erfahrungen in allem, die ich kenne. Ich brauche Hilfe, wenn ich weiterkommen will.“

Zu erst wusste sie nicht worauf er hinaus wollte, aber dann dämmerte es ihr. „Warum sagst du mir nicht gleich, dass es um Culebra geht?“ War sie irgendwie nicht verärgert oder wütend, was sie verwirrte. Sie hätte es sein müssen. „So ist es doch, oder nicht?“

„Nein, es soll nicht nur wegen ihm alleine sein. Ja, es geht auch wegen ihm als Verräter, aber auch im allgemeinen. Als ich letzten Abend das Gespräch mit meiner Schwester hatte, ist mir etwas in den Sinn gekommen und etwas klar geworden und sie hatte mit etwas Recht. Nur hatte ich mir bis jetzt noch nicht den Kopf darum gemacht, bis jetzt, während ich mich mit meinem Onkel in einem Raum befinde. Erst jetzt, obwohl ich es hätte schon in der Ratssitzung tun sollen. Woher soll ich wissen, ob Arokh nicht der einzige Verräter unter mir ist? Unter meinem Volk?“

Emmanlines Herz setzte einen Herzschlag aus, als ihr bewusst wurde, was Lucien ihr da anvertraute. War ihm überhaupt bewusst was er da sagte? Dabei schnappte sie nach Luft, als ihr eine Vermutung kam. „Lucien, willst du damit andeuten, du verdächtigst deinen Onkel, er könnte vermutlich ein Verräter sein?“

„Nein, dies tue ich nicht. Ich kenne ihn und er würde nie seine eigene Familie verraten. Dafür hat er zu viel Blut geopfert.“

„Worauf willst du dann hinaus?“

„Ich brauche jemanden, den ich uneingeschränkt vertrauen kann, ohne mir Gedanken machen zu müssen jeden Moment ein Messer in meinen Rücken zu bekommen. Ich brauche jemanden, mit dem ich zusammen arbeiten kann. Ich brauche einen zweiten Kopf.“

Kurz musste sie schweigen, weil sie nicht richtig deuten konnte, worauf Lucien hinaus wollte. Ihr war es nicht ganz begreiflich und es fiel ihr auch nicht ganz leicht, aber es sollte auch nicht schwer sein. Für einen Moment musste sie ihre Augen schließen, weil ihr Herz schwer wurde und ihr Atem etwas aussetzte. „Was verlangst du von mir?“ Wollte sie es nicht so gepresst klingen lassen.

„Dich.“ War es ein klipp und klares Wort, das durch ihren Kopf schnitt, wie ein scharfes Schwert. Brutal und unbarmherzig.



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