Zum Inhalt der Seite

Das wird doch nichts...

Mit gebrochenen Flügeln kannst du nicht fliegen!
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Entspannter Landstreicher? Das wird doch nichts!

Der keuchende Atem kondensierte beim Rennen in seinem Gesicht. Der moosige Waldboden fühlte sich nass und kalt wie ein See im Herbst an.

Schon eine ganze Weile stach seine Lunge und die Beine schmerzten vor Anstrengung.

Aber die Panik trug den Jungen voran. Er musste weg von diesem verfluchten Haus, diesen giftigen Bestien und dieser finsteren, boshaften Tür, die sein Leben zerstört hatte.

Obwohl er weiter laufen wollte, brach Randall nach nur wenigen weiteren Minuten erschöpft zusammen. Das Mooswasser benetze die glatten Schuppen und der schmale Körper hob und sank sich heftig, während sein Besitzer nach Atem japste.

Von Verzweiflung gebeutelt, presste er erneut die vorderen Hände an den Kopf, die anderen beiden versenkte er in dem weichen, nachgiebigen Boden.

Jetzt war doch alles egal! So egal.

Das abgehetzte Reptil legte erschöpft den Kopf in den Dreck.

Wie hatte das passieren können? Wieso ihm? Was hatte er falsch gemacht? Wollte eine höhere Macht ihn strafen?

Obwohl an diesem Ort offenbar Sommer war, begann Randall zu frösteln. Die Sonne war längst untergegangen und die Nacht war im Wald spürbar kälter, als auf einer aufgewärmten Straße.

Würde er nun sterben müssen? Oder noch schlimmer: In eine Kältestarre fallen, von Menschen gefunden und dann furchtbar gefoltert werden- schlimmer als in diesen Filmen, die er im Videoschrank seiner Mutter entdeckt hatte!?

Immerhin waren es Menschen. Niemand konnte ahnen, was für finstere Pläne sie sich für ihn ausdenken würden. Da war es vielleicht doch besser, direkt von ihnen berührt zu werden und tot umzufallen...

Aber vielleicht gab es ja doch noch einen Ausweg?
 

Erneut versuchte der Kleine, sich aufzurappeln, aber sonderlich weit kam er nicht.

Immerhin schaffte er es – schmutztriefend zwar – auf einen Baum, was deutlich angenehmer war, als die feuchte Erde. Und obwohl er noch keine bequeme Schlafposition gefunden hatte, fielen ihm schon nach wenigen Sekunden die Augen zu...
 

Am nächsten Morgen weckte das grelle Sonnenlicht den unruhig Schlafenden. Sie schien so hell und ungnädig, dass es ihn durch die geschlossenen Lider blendete. Noch immer schrecklich müde und am ganzen Körper frierend, rieb Randy sich über die Augen und blinzelte. Er spürte einen brennenden, stechenden Schmerz und wie das Ding, das ihn verursachte gegen die linke Seite seiner Bauchdecke drückte. Wie ferngesteuert griff eine seiner Hände nach der Stelle. Tannenzapfen!

Da hatte er doch tatsächlich darauf geschlafen, ohne davon aufzuwachen. Dabei war er normalerweise sehr empfindlich und schreckte in der Nacht des Öfteren mal auf.

War er wirklich derart müde gewesen? Achtlos lies das geschwächte Wesen den Zapfen fallen und erst sein Aufklatschen auf dem Moosboden, brachte Randy in die Wirklichkeit zurück.

Ein tiefer Schock fuhr ihm durch den Körper und sein Herz begann zu stechen. Er hatte nicht geträumt! Er war noch immer in diesem tiefen, einsamen Wald.

In der Menschenwelt! Weit weg von seinen Eltern und allem, was er kannte und liebte.

Sofort fuhr ihm wieder die brennende Verzweiflung in die Brust und er kratzte sich nervös über den oberen, linken Arm. Wie schrecklich! Hatte das alles nicht nur ein böser Traum sein können?

Er hatte fest damit gerechnet, zu Hause in seinem warmen Zimmer und im eigenen Bett aufzuwachen – und zwar von der sanften Stimme seines Vaters. Dann wäre er nach unten gegangen – denn es waren ausgerechnet die Ferien, die ihm hier entgingen – hätte in der Küche seine Mama kaffeetrinkend vorgefunden, sie umarmt und schließlich eine Schüssel Cornflakes gegessen....Ob es wohl je wieder so sein würde?

Kurz leuchtete vor seinen Augen das Bild seiner zeitungslesenden und am frühstückstisch sitzenden Mutter auf. Wie sie ihn anlächelte, über seinen Hals strich und ihn auf den Kopf küsste. Es war fast, als könne er ihren Geruch wahr nehmen…Und im Hintergrund das leise Knistern der Cornflakes, welche sich langsam in der fermentierten Milch auflösten.

Aber wo er gerade an Cornflakes dachte, fing sein Bauch auch schon an, sich zu melden. Wie ein geschlagenes Tier knurrte sein Magen auf und verlangte nach Nahrung.

Bedrückt legte Randy zwei seiner Hände auf die Stelle. Er spürte jetzt richtig, was für Hunger er hatte und wie schwach er sich fühlte! Kein Wunder...sein letztes Essen war gestern Mittag gewesen! Ein köstlicher, dampfender Eintopf, denn sein Vater gekocht hatte, nachdem er von der Nachtschicht heimgekehrt war. Sicher stand davon noch ein halber Topf voll auf dem Herd! Was hätte das ausgehungerte Kind, jetzt um eine Schüssel davon gegeben? Und eigentlich war geplant gewesen, dass er seine Mama abholen und anschließend mit ihr zusammen schleimige Kartoffelecken machen wollte...Sein momentanes Lieblingsessen! Ach...hätte er doch nur niemals bei diesem doofen Spiel mitgemacht...Wäre er doch einfach allein geblieben und hätte seine neuen Schreckerkarten sortiert...oder in einem der Bücher geblättert, die im Büro seiner Mutter herum standen. Es hatte sowieso nie allzu viel Spaß gemacht, mit den anderen zu spielen! Zumindest nicht, wenn er sie immer nur finden musste.

Randall holte ganz tief Luft und seufzte dann traurig und mit Nachdruck auf.

Gut.

Jetzt war er also in so einer Situation! Aber er war schon groß. Er würde das schon hinbekommen!
 

Geschickt ließ er sich vom Baum hinab, indem er seinen blauen Schwanz fest um den Ast wickelte, sich nach hinten fallen ließ und mit einem gestützten Salto schließlich auf dem Boden zu Stehen kam. Langsam fing er an, ins Blaue – oder in diesem Fall eher ins Grüne - zu gehen und merkte gar nicht, wie sein Schritt dabei immer schneller und sicherer wurde.

Also gut!

Jetzt hatte er vielleicht kein Zuhause mehr, aber dafür würde er jede Menge Abenteuer erleben! So ein Leben als Landstreicher war ganz sicher aufregend und lustig. Manchmal hatte er sich sogar vorgestellt, wie es sein musste, so ein cooler, freier Typ zu sein.

Er musste nie wieder zur Schule gehen! Das war schon mal gut. Fieberhaft überlegte Randall weiter. Ah ja! Jetzt musste er auch niemanden mehr endlos suchen, oder in irgendwelchen blöden Spielen die Wand angucken, den Ball holen, oder sich verstecken! Er konnte aufbleiben so lange er nur wollte und jetzt würde auch niemand mehr meckern, wenn er zu viel Zucker aß. Er würde eine ganz neue, seltsame Welt erforschen können. Und wie der Held Gloomwin Hood musste er dabei immer auf der Hut und der Flucht sein. Bestimmt würde er super coole Fähigkeiten entwickeln und als Held gefeiert werden, wenn er es eines Tages doch wieder nach Hause schaffte. Seine Eltern würden SO stolz auf ihn sein!

Ach ja...seine Eltern.

Als gleich verflog diese künstlich erschaffene Euphorie wieder und wurde durch die Angst vor dem Ungewissen und der Trennungstrauer überschattet. Was machte er sich hier eigentlich vor?

Wie sollte so ein auswegloses Leben in der Menschenwelt denn nur jemals gut werden?
 

Während Randy noch sinnierte, hatte er gar nicht bemerkt, dass der Wald bereits hinter ihm lag. Jetzt tat sich eine graue, schmale Landstraße vor ihm auf und ein köstlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Dieser kam offenbar aus einem Abfalleimer, der am Wegesrand stand. Neugierig und blitzschnell hatte das Echsenmonster sich dorthin bewegt. In der Mülltonne lag eine Tüte, die ganz ähnlich wie die, des beliebten Fastfood Restaurants Mekk-Schreck aussah!

Sein knurrender Magen und der verführerische Geruch ließ den Jungen kurz vergessen, dass diese Tüte tödlich giftig sein könnte und er schnappte danach.

Gespannt rollte er das Papier auf und steckte den Kopf hinein. Entzückt stellte Randy fest, dass die Reste eines modrigen und halbverschimmelten Burgers darin lagen. Eines seiner Lieblingsessen, sofern Henry mal heimlich mit seinem Sohn so ein Restaurant besuchte. Energisch biss das kleine Monster in die modrige Maße. Der Burger war sogar warm! Offenbar hatte da die Sonne direkt darauf geknallt. Hungrig wie er war, hatte er diesen kleinen Leckerbissen bereits nach nicht mal einer Minute verschlungen. Achtlos lies Randy die Tüte fallen, um voller Spannung weiter in der Tonne zu suchen. Er fand darin noch die Reste eines halb gegessenen Apfels, den er auch sofort verspeiste, aber mehr hatte dieses Gestell aus Holz und Stahl nicht zu bieten. Enttäuscht wandte das schuppige Wesen sich ab. Aber nach diesem kleinen Mahl fühlte er sich schon bedeutend besser!
 

Die Sonne schien so schön warm, dass sein Körper sich von der Nacht ganz schnell wieder aufgewärmt hatte und nachdem er den Inhalt von noch zwei weiteren Wegesrand-Maxi-Wundertüten erfolgreich durchstöbert hatte, legte er sich auf einen großen Stein, der sich auf einem nahem Feld befand. Seine Haut nahm gleich dieselbe Farbe, wie der graue Findling an. Randy legte entspannt seinen Kopf auf die beiden Vorderarme. Alle anderen Gliedmaßen streckte er von sich und den langen Reptilienschwanz ließ er herunter hängen.

Dass das Essen in der Menschenwelt so lecker und vor allem ungiftig war, hätte er niemals gedacht!

Noch immer erschöpft, aber mit neuem Mut beseelt, dämmerte er zu einem kleinen Mittagsnickerchen weg.
 

Nach ungefähr zwei Stunden weckte ihn ein lautes Geschnatter und Gekicher.

Eine Gruppe abscheulicher Menschenkinder – und dazu noch zwei Erwachsene – hielten direkt auf ihn zu. Randy war vor Schock wie gelähmt und stierte nur panisch zu der Gruppe.

Unfähig sich zu bewegen, spürte er Hitzewallungen in sich aufkommen und bemerkte wie die Tarnfarbe seiner Haut sich in Unsichtbar verwandelte.

Einzig die Brille blieb sichtbar und gab ihm einen unverklärten Blick auf seinen Untergang frei.

Am Stein angekommen, setzten die Kinder sich erst einmal auf den Boden – aber der Lautstärkepegel war gleichbleibend. Der Unsichtbare hielt sich die Ohren zu. Obwohl er Lärm aus der Schule gewöhnt war, ertrug er das Geplapper der todbringenden Mordmaschinen in diesen Augenblicken überhaupt nicht.

So aus der Nähe betrachtet waren das auch wirklich abstoßende Wesen…Zumindest die meisten von ihnen. Manche hatten blonde, seidige Locken, andere glattes, manche welliges und wieder andere eine Fülle von kräuseligem Haar. Die meisten hatten runde, rosige Gesichter und große, neugierige Augen. Ihre Körper sahen alle gleich grotesk aus – wie die beiden Männer gestern Nachmittag. Einzig die Anziehsachen der Kinder gefielen ihm – sie hatten etwas Vertrautes an sich, da sie fast wie die Kleidung aus der Monsterwelt aussahen.

Randy spürte, wie sein Herz vor Angst wie ein Presslufthammer gegen seine Brust schlug und er versuchte den Atem anzuhalten, um auch ja nicht aufzufallen.

Plötzlich schrie eine der Killermaschinen schrill auf: „Ein Geist! Ein Geist!!!! Seht nur!!! Da schwebt eine Brille in der Luft!“

Mit entsetztem Gekreisch sprangen die Menschenkinder auseinander, während die Erwachsenen beschwichtigend auf sie einredeten und nach einer Erklärung für dies Phänomen suchten.

Die gute Hälfte der Kinder suchte bereits das Weite, während die andere Hälfte in Sicherheitsabstand ging. Nur ein einziges Mädchen schien keine Angst zu haben. Von diesen gruseligen Kreaturen hier, war sie dem verängstigten Randall noch am Sympathischsten. Sie sah ganz anders aus, als die anderen Kinder – ihre Kleidung war nicht bunt, sonder in schwarz, grau und rot gehalten. Ihr schwarzes Haar war zu einem Bob geschnitten und hatte einen spitzen Pony, wie es auch in Randys Heimatstadt viele Mädchen trugen.

„Ganz ruhig kleiner Geist…“, für ein Mädchen ihres Alters – er schätzte sie auf nur wenig älter, als sich selbst – hatte sie eine sehr tiefe und abwesend klingende Stimme.

„Ich tue dir nichts. Mama hat mir gesagt, wie man mit euch umgehen muss…“

Aus der Ferne starrten einige der anderen Kinder zu ihnen herüber. Langsam streckte das Mädchen die Hand aus, um zu testen, ob der „Geist“ wohl kalt war, aber Randy sprang auf und zischte so bedrohlich wie er nur konnte. Fast hätte ihre todbringende Hand ihn berührt!

„Lass mich einfach in Ruhe!!!“, versuchte er so bedrohlich wie möglich zu zischeln, aber es klang eher wie ein bettelndes Wimmern.

Und ohne ein weiteres Wort, wandte er sich um und stob von dannen. Die verwirrten Kinder sahen nur eine einzelne Brille über die Felder fliegen und das düstere Mädchen stand wie vor den Kopf gestoßen und noch immer mit erhobener Hand da.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück