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Der König der Löwen

Wir sind Eins
von

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Ithabise!

Auf der Flucht

Der morgendliche Dunst lag noch über dem Fluss, doch an den Ufern gab es kein einziges Lebenszeichen – bis auf eine Löwin, die verzweifelt in dieser paradiesischen Einöde nach Beute Ausschau hielt. Zwar lag ihr Sprung in die Welt der Erwachsenen schon etwas zurück, doch zu alt zum Jagen war sie noch lange nicht.

Sie hatte einen schlanken, fast schon hageren Körperbau, der von einem niedrigen Schädel abgerundet wurde. Ihr in der Dämmerung gräulich wirkendes Fell bot ihr im Nebel gute Deckung und auch der dunkle Streifen, der auf ihrer Stirn ansetzte und ihr über den Scheitel bis in den Nacken reichte, sah aus der Ferne aus wie der Schemen eines Halmes. Allein ihre leuchtend roten Augen verrieten ihre Anwesenheit.

Der Wasserlauf schlängelte sich durch eine kleine Hügelkette und war damit die einzige zuverlässige Wasserquelle weit und breit, zudem war es gerade Trockenzeit. Trotz alledem war an beiden Ufern nichts zu sehen, was auch nur eine schmähliche Mahlzeit abgegeben hätte, das Gebiet wirkte wie ausgestorben.

Die Löwin blickte nachdenklich den Fluss entlang. Sie könnte einfach seinem Lauf folgen, dann würde sie zwangsweise irgendwann auf Beute stoßen. Doch zwischen den Hügeln lebte nichts, dessen war sie sich eigentlich sicher. Mit wehmütigem Blick wandte sie den Kopf entgegen der Strömung. Zwei volle Tage war es nun schon her, dass sie ihr Heim verlassen hatte.

Vorgestern war sie mit ihrem einzigen Sohn bis an die östliche Grenze geflohen, wo sie am Fuße der Hügel Schutz gesucht hatten. Doch in der folgenden Nacht waren dort die Hyänen eingefallen, nachdem sie offensichtlich aus dem Geweihten Land vertrieben worden waren.

Dies konnte aber nur eines bedeuten: Nämlich, dass der alte König des Landes nicht mehr war und irgendwie waren die Hyänen nach seinem Tod völlig außer Kontrolle geraten. Zuvor hatten sie noch treu zum Königspaar gehalten, doch in jener Nacht wäre ihnen beinahe ihr erstes Kind zum Opfer gefallen.

Seitdem war sie auf der Flucht und seither hatte sie auch nichts mehr gefressen. Ein verirrter Savannenhase war das Größte gewesen, das ihr vor die Krallen gelaufen war. Sie selbst wäre danach aber wohl nur noch hungriger gewesen als zuvor, also hatte sie ihn ihrem Sohn überlassen.

Heute allerdings konnte sie von solch einer Beute wohl nur träumen. Sie spähte noch einmal in alle Richtungen durch den Dunst, ohne dabei etwas zu entdecken, dann machte sie sich auf den Weg, ihren Sohn zu wecken. Dieser lag immer noch im Versteck, hinter einem umgestürzten Baum bei einem der nahegelegenen Hügel.

»Nuka, aufwachen!«, war das unwirsche Kommando, das er zu hören bekam. »Wir müssen weiter.«

»Denkst du, wir haben sie abgehängt?«, gähnte er.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns lange verfolgt haben«, antwortete Zira. »Hyänen sind Opportunisten und sie wissen, dass wir immer einen Fluchtweg haben, solange wir dem Fluss folgen.«

Nuka kam umständlich auf die Beine und schlürfte in Richtung Wasser. Die Strapazen der vergangen Tage waren ihm bereits deutlich anzusehen, seit seiner Entwöhnung vor zwei Monaten war ihm fast jeden Abend frisches Fleisch zur Verfügung gestanden. Als er seinen Durst gestillt hatte, sah er auf zu seiner Mutter, die dem heranströmenden Wasser entgegenblickte.

»Können wir je wieder zurück?«, fragte er besorgt.

Diese Frage verfolgte Zira schon seit langem und hatte sie schon etliche Stunden Schlaf gekostet, aber sie wollte es sich noch nicht eingestehen, nicht vor ihren Sohn.

»Im Moment nicht, jetzt müssen wir erst einmal etwas zum Jagen finden«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen.

Ihren eigenen Worten widersprechend starrte sie trotzdem noch einen Moment lang Richtung Westen, ehe sie umkehrte und in Begleitung ihres Sohnes weiter dem Lauf des Flusses folgte.
 

Kind des Schicksals

Ein feiner glänzender Lichtschimmer markierte die Spitze des Königsfelsens, der sich an diesem Morgen in weiter Ferne über das Land erhob.

Ein auf einem uralten Affenbrotbaum sitzender Mandrill beobachtete dies. Sowie der Baum, so schien auch der Affe bereits die Blütezeit seines Lebens hinter sich zu haben. Seine Fellfarbe hatte bereits ein blasses graublau angenommen und schlohweißes Haar schmückte seinen Kopf.

Plötzlich schreckte er aus seiner Abwesenheit – Oder war es Konzentration? – hoch. Er würdigte der Aussicht nur einen flüchtigen Blick, dann schwang er sich elegant ins Zentrum der Baumkrone, die er als Heim und offensichtlich auch als Atelier nutzte, denn am Hauptstamm waren bereits zahlreiche Illustrationen verewigt.

Er las eine halbe Kürbisschale, die als Behälter für Farbe diente, vom Boden auf und machte sich an die Arbeit. Leise vor sich hin murmelnd tüftelte er mit den Fingern am Rande seiner Wandmalerei. Nach einiger Zeit trat er einen Schritt zurück, um sein Werk zu betrachten:

Zu den zahlreichen Löwen war ein neues Junges hinzugekommen. Der Mandrill musterte es genau, als ein sanfter Wind, der zahlreiche Blätter und Pollen trug, aufzog und ihn umgab. Kurz darauf wehte er einen Kürbis vom Baum, der mehrere Äste traf und zerbrach, bevor eines der Teile vor den Füßen des Affen landete. Er hob das Schalenstück auf und hielt es auf Augenhöhe, um es genauer zu betrachten. Durch ein großes Loch darin konnte er das Löwenjunge sehen, das er soeben gezeichnet hatte.

»Soso, aber was hat das zu bedeuten?«, fragte er sich selbst – oder jemanden, der gerade nicht zu sehen war.

Wie als Antwort darauf frischte der Wind auf, zog noch einmal zwei Kreise um den fordernd dreinblickenden Mandrill und verschwand anschließend gen Himmel.

»Ach, du bist doch auch zu nichts zu gebrauchen!«, rief er den davonfliegenden Pflanzenteilen hinterher.

Das Ausbleiben einer Antwort schien ihn nicht zu überraschen und so widmete er sich wieder dem Schalenstück in seiner Hand. Nachdem er ein weiteres Mal hindurchgesehen hatte, kam ihm der entscheidende Einfall.

»Aiheu abamami!«, entfuhr es ihm. »Es ist ...«

Er griff wieder nach seiner Farbschale und zeichnete zögerlich einen Kreis um das Junge, dann trat er wieder einen Schritt zurück und betrachtete die gesamte Konstellation.

»Es ist Frieden eingekehrt, aber bis zu seiner Sicherung ist es noch ein weiter Weg. Gerade jetzt kann ein solches Junges vieles verändern.«

Nun sah er zum ersten Mal aufmerksam in Richtung Südwesten, zum Königsfelsen. Ob diese Nachricht wohl einen Besuch rechtfertigte? Doch etwas trübte seine Sicht und wurde allmählich größer. Einen Augenblick später erkannte er darin einen nur allzu vertrauten Nashornvogel, der direkt auf ihn zugeflogen kam.

»Zazu, was verschafft mir die Ehre?«, begrüßte er ihn, nachdem dieser anmutig auf einem der Äste gelandet war.

»Eine Botschaft des Königs«, antwortete Zazu ohne Umschweife. »Die Präsentation seines Erstgeborenen soll in neun Tagen stattfinden. Das Königspaar bittet euch, dessen Taufe durchzuführen.«

»Selbstverständlich ... schon in neun Tagen?«

»Warum schon?«

»Das ist kein gewöhnliches Ereignis«, antwortete der Mandrill bestimmt. »Gut, es gibt viel zu tun. Ich mache mich sofort auf den Weg.«

»Wie ihr meint, auf Wiedersehen«, verabschiedete sich der Botschafter und flatterte wieder davon.

Die Nachdenklichkeit des Affen war auf einmal wie weggefegt, fast schon übermütig lachend bereitete er seine Reise vor. Dazu griff er, scheinbar wahllos, nach zwei Flaschenkürbissen, pflückte sie vom Baum und befestigte sie an einem Stockstab, der in einer Astgabel lehnte.

Mit diesem Gehstock gerüstet schien er nun aufbruchsbereit zu sein. Er ging auf den Rand der kleinen plattformartigen Astgabel zu, doch bevor er mit dem Abstieg begann, wandte er sich noch einmal seiner Wandmalerei zu.

»Die Wege des Schicksals sind manchmal unergründlich«, sagte er zu dem gezeichneten Jungen, dann hangelte er sich in Richtung Boden.

Dort angekommen begann er seine neuntägige Reise, die ihn in die entlegensten Winkel des Geweihten Landes führen würde und auch oft über seine Grenzen hinaus. Dabei scheute er keine Umwege, um die freudige Nachricht möglichst weit zu verbreiten:

»Ithabise! Der Kreis hat sich geschlossen. Kommt in neun Tagen zum Königsfelsen, um den neuen Thronerben zu begrüßen. Ithabise! ...«
 

Fernab

Lautlos schlich sie sich auf ihre Beute zu. Ihre Krallen waren ausgefahren, sodass sie die Konsistenz des Untergrundes allgegenwärtig spürte. Auch wenn sie nur langsam vorankam, so hatte sie ihr Ziel klar vor Augen – eine Antilope, die sich ein Stück von ihrer Herde entfernt hatte.

Gleich nachdem sie die Hügelkette passiert hatte, war Zira mit ihrem Sohn auf der Suche nach einem geeigneten Versteck nach Norden weitergezogen, und es hatte sich gelohnt! Sie hatten an einem in zweiter Reihe stehenden Hügel eine kleine Mulde gefunden, die, selbst für den Fall, dass es ein Raubtier bis zwischen die sanften Erhebungen verschlagen sollte, von unten nicht einsehbar war.

Doch jetzt war sie nur noch zwei Dutzend Meter von ihrem ahnungslos grasenden Ziel entfernt. Sie duckte sich so weit, dass ihr Bauchfell schon fast den Boden streifte, spannte die Muskeln an und preschte los.

Mit wenigen Sätzen überwand sie die Distanz zu der Antilope, welche gerade noch Zeit hatte den Kopf zu heben, bevor sie von der Wucht des Aufpralls von den Hufen gerissen wurde, wobei sie gleich schwere Kratzer an Hals und Rücken erlitt. Das Tier versuchte schnellstmöglich wieder auf die Beine zu kommen, aber Zira war bereits über ihm und tötete es, indem sie ihm ein paar Sekunden lang die Luftröhre abklemmte.

Normalerweise kam diese Technik nur bei größeren Beutetieren, bei denen sie die Luftröhre nicht mit Sicherheit durchbeißen konnte, zum Einsatz, doch sie musste vorsichtig sein. Auch beim Fressen gab sie darauf Acht, möglichst wenig von dem vergossenen Blut des Tieres ins Fell zu bekommen. Als sie fertig war, ließ sie den Rest des Kadavers achtlos liegen und lief zum Fluss, um etwas zu trinken und sich zu waschen. Sie hasste Letzteres, aber es musste sein.

Anschließend machte sie sich wieder auf den Weg zu den Hügeln. Sie kannte die einzelnen Erhebungen mittlerweile schon ganz gut und fand auf Anhieb die Gasse, durch die sie zu ihren Kindern gelangen konnte. Allerdings nahm die beim Durchqueren ebenjener plötzlich einen Geruch wahr, der ihr schrecklich vertraut war – Blut!

Im selben Moment hörte sie ein leises Scharren am rechten Fuß des Hügels. Genauso wie gerade eben in der offenen Savanne schlich sie um die Anhöhe herum, wobei sie möglichst jede Deckung in der kargen Landschaft nutzte. Der einzige Unterschied dabei war ihr Herzschlag.

Diese Situation kam ihr nur zu bekannt vor. Sie fühlte sich wieder wie vor vier Monaten, als die Hyänen ihnen am Rande des Geweihten Landes aufgelauert hatten. Zira fürchtete sich nicht vor dem, was sie gleich erwarten könnte, sondern vor dem, was sie womöglich zu sehen bekommen würde.

Ohne vorher einen Blick auf ihr Ziel zu werfen, oder sonst einen Versuch zu unternehmen, herauszufinden, was sie da gleich angreifen würde, sammelte sie noch einmal all ihre Energie. Ihre seit vier Monaten aufgestauten Emotionen halfen ihr dabei, auch die letzten Reserven zu mobilisieren.

Mit lautem Gebrüll sprang sie aus ihrer Deckung und jagte los. Doch der Angriff fand ein jähes Ende, als sie vor sich einen kleinen Löwen erkannte – ihren eigenen Sohn, der gerade dabei war, einen toten Savannenhasen den Hang hinauf zu zerren.

»Was tust du da?«, fauchte sie entgeistert.

»Mutter! Sieh mal, das hab' ich ganz allein geschafft«, berichtete er und schaute stolz auf seine Beute.

Zira glaubte ihm sofort, denn der Hase war mit Biss- und Kratzspuren übersät und passend dazu klebte Blut an Nukas vorderen Krallen und an seiner Schnauze.

»Was hast du dir dabei gedacht?«, fuhr sie ihn an.

Nuka, der sich offensichtlich ein Lob erhofft hatte, zog den Kopf ein und wich vor seiner Mutter zurück, die Ohren angelegt.

»Ich weiß nicht –«

»Warum sollt ihr auf dem Hügel warten?«

»Weil uns dort keine Raubtiere finden.«

»Und wodurch werden Raubtiere angelockt?«

»Ich weiß nicht ...«

»Durch frisches Blut! So wie ich gerade eben«, erklärte sie und sah nachdenklich auf den Kadaver. ›Warum kann der Junge nicht tun, was man ihm sagt? Wenn wir das Tier nicht schnellstmöglich hier wegschaffen, können wir dieses Versteck vorerst vergessen.‹

Ohne Vorwarnung packte sie den Hasen, ignorierte den lauthalsen Protest ihres Sohnes und spurtete zurück in die Ebene. Dort angekommen wandte sie sich nach rechts, lief ein Stück die Hügelkette entlang und bog in eine nahegelegene Gasse zwischen zwei Hügeln ein.

Dort legte sie die Beute ihres Sohnes hinter der nächstbesten Deckung ab, Hauptsache sie war vom offenen Gelände aus nicht zu sehen. Dann ließ sie ein lautes Brüllen ertönen und machte sich auf den beschwerlichen Weg direkt über die Hügel.

Doch auch so fand sie ihre Kinder schnell wieder, da sie nun von Kuppe zu Kuppe sehen und sich auf diese Weise ein wenig orientieren konnte. An der Mulde angekommen sah sie zu allererst nach ihrer Tochter, die noch immer seelenruhig an der tiefsten Stelle lag und schlief. Sie war gerade mal drei Tage alt, noch blind und völlig hilflos.

Als sie sichergestellt hatte, dass ihrem Liebling nichts fehlte, rief sie ihren Sohn zu sich und begann damit, ihn gründlich zu säubern. Nuka gefiel das ganz und gar nicht, doch er hatte keine Chance gegen den Willen seiner Mutter. Trotz allem würde er noch ein Bad im Fluss nehmen müssen, um den Geruch endgültig loszuwerden, aber für diese Zeit hatte Zira ja gerade eben eine falsche Fährte gelegt.

Doch sie verstand ihren Sohn. Zwar hatte sie ihm erklärt, dass er durchaus kleinere Tiere jagen konnte, nämlich solche, die er allein mit roher Gewalt töten konnte, indem er ihnen das Genick brach, aber auf lange Sicht würde er sich dadurch nicht ernähren können.

Auf die Jagd wollte sie ihn allerdings auch nicht mitnehmen. Zwar war er vor der Geburt seiner Schwester des Öfteren dabei gewesen und hatte nie Probleme bereitet, doch Ziras Bedenken galten etwas ganz anderem. Sie machte sich Sorgen, dass er beim Fressen nicht besonders achtgeben und auf diese Weise dann den Geruch der Beute mit nach Hause tragen würde. Ebendies versuchte sie nämlich zu vermeiden und wusste daher selbst, wie schwer es war.

Eines war sicher, so konnte es keinesfalls weitergehen! Sie hatte nun eine schwierige Entscheidung zu treffen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Übersetzungen
Aiheu abamami!: Herr, gib mir Kraft!
Ithabise!: Feiert!, Frohlocket!, hier: Ankündigung einer guten Nachricht Komplett anzeigen

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