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Der König der Löwen

Wir sind Eins
von

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Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Deja Vu

Die Sonne war gerade erst aufgegangen und schon war sie wieder auf den Beinen. Wie hatte sie dieses Leben vermisst – die Freiheit, den ganzen Tag für sich zu gestalten.

Bis auf die Jagd. Die letzten Wochen und Monate hatte sie sich ganz auf die Schwestern eingestellt und jetzt musste sie ohne sie zurechtkommen. Aber es war schließlich nicht das erste Mal, dass Zira allein unterwegs war. Schon nach drei Tagen hatte sie die erste Beute geschlagen.

Und jetzt war es bald vollbracht. Ihr kleiner Sohn war mittlerweile drauf und dran, seine Umgebung zu erkunden. Daher war Zira keine andere Wahl geblieben, als ihre Jagd auf die frühen Morgen- und späten Abendstunden zu verlegen, wenn e noch schlief.

Nur leider war auch an diesem Morgen noch nichts Lohnenswertes unterwegs, also machte sie sich wieder auf den Rückweg. Dabei beschleunigte sich ihr Schritt zunehmen, je näher sie ihrem Ziel kam. Aus irgendeinem Grund hatte sie seit vorgestern Abend immer wieder dasselbe Bild im Kopf: Nuka, der einen toten Savannenhasen ins Versteck geschleift hatte – eine Blutspur, die direkt zu ihrem geliebten Kind führte! Aber irgendetwas war heuet anders ...

Als die dann endlich ankam, stockte ihr augenblicklich der Atem. Gleich neben ihrem Sohn lag ein Löwe mit dunklem Fell und fast schwarzer Mähne. Zira spürte, wie sich an ihrem ganzen Körper die Haare aufstellten. Wenn er wirklich schlief, so wie es schien, dann war das die perfekte Gelegenheit.

Doch kaum hatte sie einen Schritt getan, da öffnete er ein Auge, in dem außer der Pupille nur reiner Wahn zu erkennen war. Obgleich ihrer Haltung blieb er entspannt liegen. »So sieht man sich also wieder; endlich! Guten Morgen, Zira.«

»Was willst du?«, entgegnete sie spitz aber gedämpft, um ihren Sohn nicht zu wecken.

Siri bemerkte ihren Blick dorthin und sah seinerseits auf das kleine Fellknäuel neben sich. »Ach, der gehört zu dir.«

Zira wollte schon losspringen, aber Siri hatte bereits eine einzelne Kralle ausgefahren und fuhr dem Kleinen sanft durchs Fell.

»Ich möchte etwas von dir wissen«, sagte er plötzlich, ohne sie dabei anzusehen. »Erinnerst du dich an Tumaini?«

Diese Löwin würde Zira nie im Leben vergessen. »Warum?«

»Weißt du, ob sie schon einmal in diesem ... "Geweihten Land" war?«

»Ach, und du denkst, ich sage dir das einfach so?«

»Allerdings.« Siri zeigte auch die anderen Krallen an seiner Pfote.

»Ja, war sie!«, rief Zira hastig. Solange sie damit ihr Kind retten konnte, war ihr im Moment jedes Mittel recht.

Siri sah so aus, als würde er ihr glauben. Einen Moment lang verharrte er in seiner Position, dann ließ er Ziras Junge in Ruhe und richtete sich halb auf.

In diesem Moment hing Zira schon in der Luft, hatte aber trotzdem nicht den Hauch einer Chance. Siri lenkte ihre gesamte Bewegung mit der Rückseite eines seiner Vorderbeine von sich ab und sie krachte neben ihm zu Boden. Im nächsten Moment zuckte ein brennender Schmerz durch ihren Kopf, danach setze ihre Erinnerung aus.

Das erste, was sie wieder wahrnahm, war ihr Sohn, der angestrengt versuchte, sie zu wecken. Auf die Hinterbeine gestellt drückte er mit beiden Vorderpfoten gegen ihre Wange.

Zira öffnete vorsichtig die Augen. Siri war weg und auch ansonsten war es vollkommen ruhig. Doch als die Kopf zur Seite drehen wollte, flammte der Schmerz wieder auf. Sie ordnete ihn ihrem linken Ohr zu, zwang sich, die Augen offen zu halten und warf einen Blick auf ihren Schützling.

Sowohl an seinen Pfoten als auch in seinem Gesicht klebte ihr Blut, aber schien nicht verängstigt zu sein. Noch wusste er nicht, was es bedeutete und für Zira war es bedeutungslos. Ihre Sorgen reichten viel weiter: Was sie auch tun würde, wohin sie auch gehen würde; jetzt würde sie selbst die Blutspur zu ihrem Kind legen.

Das Schicksal schien ihr nie eine Wahl zu lassen.
 

Nach dem Sturm

Diese Nacht würde Kopa bis an sein Lebensende nicht vergessen.

Gestern war er noch kurz vor dem Regen bei Rafikis Baum angekommen und kurzerhand hinauf in dessen Krone befördert worden. Während draußen das Unwetter getobt hatte, waren Rafiki und Zazu fast den ganzen Abend damit beschäftigt gewesen, Neuigkeiten über die aktuelle Lage im Geweihten Land auszutauschen.

Die restliche Zeit hatte der Affe vor einem der hier abzweigenden Äste verbracht. Jener war dicker als jeder Baumstamm, den Kopa je gesehen hatte und rundherum mit Malereien versehen, darunter Löwen, Zebras, Elefanten und sogar Hyänen.

Doch auch ohne dieses ansehnliche Kunstwerk war klar zu erkennen, dass Rafiki hier allein lebte. Überall auf dem Boden lagen halbe Kürbisschalen mit Farbe herum – wobei man dem Affen zugutehalten musste, dass er den Boden nur selten zum Laufen brauchte. Ansonsten war nur noch sein Stab zu sehen, der ordentlich in einer Astgabel lehnte. Im Moment hing sogar noch ein Flaschenkürbis daran.

Kopa wünschte nur, dass er an einem freundlicheren Tag hergekommen wäre. Unter den Regenwolken war es inmitten der gewaltigen Baumkrone schnell dunkel geworden und er hatte beschlossen, sich für den Rest des Tages in eine Ecke zu legen. Rafiki war sowieso mit Zazu beschäftigt gewesen und außerdem wollte er am nächsten Morgen nicht aussehen wie eine Pfauenfeder, denn im Dämmerlicht war es unmöglich gewesen, all die herumliegenden Farbschalen zu erkennen.

Aber dann war die Nacht hereingebrochen und das Unwetter hatte seine ganze Stärke offenbart. Durch die Blätter hatte der Aufprall jedes einzelnen Regentropfens so laut geklungen, wie wenn ein Zebra einen seiner Hufe auf den Boden schlug. Dafür war immerhin kein Wasser und nur ein klein wenig Wasser bis hierher in die Mitte der Krone vorgedrungen. Auch den Wind hatte man nur am Schaukeln des Baumes gespürt. Jedenfalls war Kopa irgendwann doch noch eingeschlafen, auch wenn er sich nicht mehr an die genauen Umstände erinnern konnte.

Und nun war die Idylle am folgenden Morgen geradezu beängstigend. Hier oben hatte das Unwetter nicht die geringste Spur hinterlassen und bisher hatte Kopa an diesem Morgen weder Rafiki gesehen, noch eine Gelegenheit gehabt, nach draußen zu schauen. Da fiel ihm auf, dass er keinerlei Möglichkeit hatte, selbstständig –

»Guten Morgen, mein verschlafener Prinz«, ertönte es plötzlich aus den Blättern über ihm.

»Morgen, Zazu. Weißt du, wo Rafiki ist.«

»Irgendwo hier im Baum, schätze ich. Je nachdem, was er beobachtet, sitzt er immer woanders.«

»Und wie –«

In eben diesem Augenblick schwang der sich auf die kleine Plattform, schritt, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hinüber zu seinem Stab und riss den daran befestigten Flaschenkürbis ab. Anschießend teilte er die Frucht mit bloßen Händen und biss ein großes Stück aus einer der Hälften heraus, während er Kopa die andere entgegenhielt.

»Sind die denn zum Essen da?«, fragte der überrascht.

»Für was denn sonst?«

Kopa konnte sich zwar nur verschwommen an seine Taufe erinnern, aber er wusste zumindest noch, dass das, womit Rafiki sie durchgeführt hatte, auch an dessen Stab befestigt gewesen war. »Nein, danke.« Denn mittlerweile wusste er, was er von dem Affen wollte.

»Soso«, meinte Rafiki und biss kurzerhand auch von Kopas Hälfte ab. Ob er schon wusste, was der junge Prinz auf dem Herzen hatte?

»Also, Papa hat mich hergeschickt, damit ich ... na ja, mit dir reden kann. Ich habe die ganze Nacht überlegt, was ich dich fragen könnte und ich denke, ich weiß es jetzt.«

Rafiki begann nur, breit zu grinsen. Ansonsten zeigte er keine Reaktion.

»Warum bin ich hier?«

»Ah ja, eine gute Frage ... und ich habe die Antwort.« Rafiki bedeutete ihm mit einer Handbewegung näher zu kommen, legte selbige dann über Kopas Rücken und bildete mit der anderen eine Muschel, um ihm ins Ohr zu flüstern: »Simba hat dich geschickt!«

Kopa zuckte überrascht zurück, während Rafiki in einen Lachanfall ausbrach, von der Plattform sprang und in den Ästen herumtollte. »Ja, sehr lustig!« Und das sollte ihm weiterhelfen?

Schließlich landete Rafiki wieder vor ihm. »Es ist wahr.«

»Und woher weißt du das?«

»Weil du es mir gesagt hast.«

Irgendwie hatte Kopa mehr erwartet. »Ich hätte lügen können.«

»Sicher«, entgegnete Rafiki. »Hast du gelogen? Oder warum glaubst du, bist du hier? War es deine eigene Entscheidung?«

»Ja, i –« Da glaubte er, Rafikis Gedankengang erkannt zu haben. »Wir waren uns einfach einig, dass ich gehen sollte.«

»Ah, das macht deine Frage wirklich interessant«, meinte der. »Ich schätze, es dauert noch eine Weile, bis wir sie beantworten können.«
 

Fremd und vertraut

Fernes Hufgetrappel weckte Tama – dabei hörte sie eigentlich nichts, sondern nahm nur die Vibration im Boden wahr. Noch mit geschlossenen Augen versuchte sie, den Kopf ein wenig zu drehen, spürte aber einen Widerstand im Nacken. Gleichzeitig kitzelte sie etwas auf dem Kopf und am Rücken.

Träge öffnete sie ein Lid und erkannte vor sich eine Felswand – die zu der Höhle gehörte, in der sie sich gestern Abend zusammen mit Tojo niedergelassen hatte. Von ihren Pflichten als Leitlöwin befreit, entschied sie, heute auszuschlafen. Also schloss Tama erneut die Augen und vergaß abermals, was um sie herum geschah.

Sie war tatsächlich noch einmal eingenickt, denn das Nächste, das sie wahrnahm, war, dass ihr Kopf bewegt wurde. Anschließend hörte sie Tojo über sich lautstark gähnen. »Morgen. Wie geht es deinem Bein«, fragte sie, ohne aufzublicken.

» Ich spüre es nicht mehr; wahrscheinlich weil du die ganze Nacht draufgelegen bist. «

»Aiheu abamami! Wenn du mich noch einmal so erschreckst ...« Doch Tama verstummte schnell wieder, als sie sich aufrichtete, um Tojos Wunde zu betrachten. Jene war nun trocken und gut zu erkennen. Zwar war der Schnitt nicht besonders tief, dafür aber glatt und gerade, denn Hyänenkrallen waren unheimlich scharf.

»Wie kommt es eigentlich, dass du nur einen Kratzer abbekommen hast? Hyänen haben doch mehr Krallen.«

»Ich war eine Spur zu langsam, weil ich auf Mheetu geachtet habe«, antwortete Tojo nur, »eigentlich hätte auch das hier nicht passieren dürfen.«

»Du hast das Richtige getan.«

»Hoffen wir's.« Er versucht, sich aufzurichten, scheiterte aber an dem Bein, das unter ihrem Kopf lag.

»Warte, ich stehe zuerst auf.« Tama kroch umständlich aus der Höhle; kurz darauf stand auch Tojo auf zumindest drei Beinen.

»Geht es?«, fragte sie vorsichtig.

«Alles in Ordnung«, entgegnete Tojo ruhig, setzte die Pfote aber noch immer nicht auf, »das Gefühl kommt schon wieder zurück.«

»Trotzdem – Verletzungen, bei denen Hyänen in Spiel waren, sollte sich Rafiki ansehen.«

»Was macht sie denn so besonders?«

»Der Staub vom Elefantenfriedhof«, erklärte Tama prompt. »Ihm zufolge kann es schnell gefährlich werden, wenn man zu viel davon in einer Wunde hat.«

»Ah ja«, Tojo vergaß sogar, sein verletztes Bein in der Luft zu halten, »und woher weißt du das so genau?«

»Ich bin praktisch Dauergast bei ihm«, lachte Tama. »Jeder Kratzer bei der Jagd – und mir passiert ständig was.«

»Das glaube ich dir sofort!«

»Was soll das heißen? Jede Jägerin erwischt es mal.«

»Ja, Jägerin ...« Tojos Betonung war äußerst merkwürdig.

Spielte er vielleicht darauf an, dass Tama Leitlöwin war? Denn seitdem war sie immer weniger als richtige Jägerin unterwegs, sondern koordinierte meistens nur ihre Schwestern. Allerdings konnte er das nicht wissen. Sie legte den Kopf schief und Tojo tat es ihr nach.

Fast im selben Moment nahm sie wieder das Hufgetrappel wahr. »Achtung, da kommt was«, flüsterte sie nur.

Keiner der beiden rührte sich, während hinter einer nahegelegenen Kuppe eine Herde Gnus auftauchte. Der Tierverband jagte in sicherer Entfernung an ihnen vorbei.

»Merkwürdig«, murmelte Tama.

»Was?«

»Ich glaube, diese Herde ist heute Morgen schon einmal hier vorbeigekommen.«

Tojo schaute nur stur in die Richtung, aus der Tama noch immer Hufgetrappel vernahm.

»Ähm Tojo, bist du da?«

»Sollten wir nachsehen, was dort passiert ist?«, entgegnete der unbeeindruckt. »Also die Richtung, aus der sie gekommen sind.«

»Ja, ich den –«

»Es liegt sowieso auf dem Weg.«

»Tojo, ich habe Ja gesagt«, erwiderte Tama schnell bevor er erneut Luft holen konnte.

»Ach so.« Er hatte es wirklich nicht bemerkt. Was war nur los mit ihm?

»Gehst du voran?«, fragte Tama vorsichtig, denn so könnte sie ihn noch etwas beobachten; nur zur Sicherheit.

Tojo nickte kurz, kehrte um und humpelte los. Doch schon nach wenigen Schritten normalisierte sich sein Gang wieder. Entweder kehrte tatsächlich sein Gefühl wieder zurück oder aber er ignorierte den Schmerz. Tama folgte ihm, denn vor Rafiki würde er es nicht verbergen können, das wusste sie sicher.
 

Rafikis Rätselstunde

Es war nun schon Mittag und Kopa saß noch immer auf diesem Baum fest. Zwar hatte er schon ein wenig mit Rafiki geredet, aber der alte Mandrill vollführte gefühlt mehr Kunststücke in den Ästen, als er Worte sprach.

Als jener wieder einmal an der Plattform vorbeibaumelte, traute sich Kopa: »Rafiki!«

Der blieb einfach mitten in der Bewegung stehen und hielt sich mit einem Arm und einem Bein im Geäst fest.

»Wann komme ich hier wieder runter? Und wie?« Kopa erwähnte lieber nicht, dass er ein Geschäft zu erledigen hatte, denn das würde er so tun wie immer. Nicht dass er am Ende mehr über Rafikis Alltagsleben erfuhr, als ihm lieb war.

»Ich dachte, Löwen können klettern«, erwiderte der Affe

Kopa wagte einen vorsichtigen Blick über die Kante nach unten, konnte den Boden jedoch nicht sehen. »Ja, eigentlich schon, aber ...«

»Die Jugend von heute ist wohl auch nicht mehr das, was sie einmal war.« Rafiki ließ den Ast über ihm los, schwang, sich mit dem Fuß haltend, rücklings einmal um den Ast unter ihm und landete nach einem weiteren halben Salto auf der Plattform. »Früher hatte ich hier oben jeden zweiten Tag Besuch.«

»Also ich glaube, das ist nichts für mich«, sagte Kopf kopfschüttelnd, allerdings mehr über Rafikis Waghalsigkeit. »Da lasse ich mich lieber von dir tragen.«

»Also soll ich dich runterbringen?«

»Ja, bitte.« Es war für Kopa der einzige Weg und beim zweiten Mal auch schon gar nicht mehr so schlimm. Gleich nachdem er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hielt er Ausschau nach einem etwas privateren Fleckchen.

Rafiki empfing ihn anschließend wortlos am Fuß seines Baumes. Was heißt wortlos? Der alte Mandrill schien ihn nicht einmal zu bemerken, so wieder er da auf einer der Wurzeln saß, die Füße auf die Oberschenkel gelegt und die Augen geschlossen.

»Ähm ... Rafiki? Bist du da?« Kopa hielt sicherheitshalber respektablen Abstand.

Der Affe hob leicht ein Lid an, um zu sehen, er ihn angesprochen hatte. Einige Augenblicke später begann er, leise vor sich hin zu murmeln. Kopa verstand nur Bruchstücke, die keinen wirklichen Sinn ergaben: ... »für seine« ... »frei« ...

Plötzlich blinzelte Rafiki ein paar Mal und öffnete schließlich ganz die Augen.

»Hast du etwas gesehen?«, fragte Kopa sofort.

»Ja, aber es wird dir nicht gefallen. Nur wenn du –«

»Was ist es?«

»Bist du dir sicher? Einmal Gesagtes kann ich nicht wieder zurücknehmen. Manchmal ist –«

»Ich will es wissen«, entgegnete Kopa bestimmt. »Wenn es mich betrifft«, fügte er noch hinzu.

»Einen toten Löwen«, antwortete Rafiki ruhig. »Er war mit dir verwandt.«

Augenblicklich stellten sich Kopas Nackenhaare auf, in Vorbereitung auf das absolut Schlimmste. Vor seinem inneren Auge sah er seinen Vater, dann Mheetu und schließlich sogar Nuka. »Wer? Wann?«, brachte er nur hervor.

Rafiki allerdings schüttelte nur den Kopf. »Ruhig. Denke nach. Zeit ist nur eine Illusion.«

Kopas Gedanken flogen wild umher, wie sollte er da nur ruhig denken? Zeit sei nur eine Illusion ... Ja klar, Rafiki konnte auch in die Zukunft sehen. Aber Moment mal, widersprach er sich da nicht selbst?

Da hatte er den entscheidenden Einfall: »Was es einer der alten Könige? Mein Großvater vielleicht!«

Rafiki jedoch schüttelte weiter den Kopf. »Nein, das war eben kein Test ... und einer der alten Könige war es sicher nicht.« Er kratze sich am Kinn, während er über seine nächsten Worte nachdachte. »Die Zeit ist eine Illusion, durch die ich hindurchschaue. So kann ich Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben, auch wenn ich nicht weiß, wann es genau geschehen wird.«

Kopa war so erstaunt über diese Wendung, dass er sogar seine Panik von eben vergaß. Auf einmal erklärte Rafiki klar und verständlich! »Dann ist die Gabe, zu sehen, also nichts weiter als die Gabe, alles Unwichtige auszublenden?«

»Ein Gabe!« Rafiki brach in einen Lachanfall aus und fiel rücklings von der Wurzel. Aus irgendeinem Grund konnte Kopa nicht mehr an sich halten und lachte lauthals mit.

Als sich beide beruhigt hatten, hatte Kopa das Gefühl, einen viel klareren Kopf zu haben und versuchte eine andere Frage: »Was genau sagt dir, das dieser tote Löwe mit mir verwandt ist?«

Rafiki tauchte wieder hinter der Wurzel auf. Auf einmal hatte er seinen Stab in der Hand. – Hatte er den überhaupt mit nach unten genommen? »Tote unterscheiden sich wesentlich von den Lebenden. Sie spüren weder Trauer noch Schmerz.«

»Also ich spüre keins von beidem, bin ich dann tot?«, fragte Kopa unüberhörbar sarkastisch.

»Ganz genau«, erwiderte Rafiki jedoch, »deshalb irrst du dich auch, denn du nimmst es lediglich nicht wahr. Dein Schmerz gilt der Sorge über die Aufgaben, die dir noch bevorstehen ... ohne sie zu kennen. Deine Trauer –«

»Eigentlich will ich das gar nicht wissen«, fiel Kopa ihm ins Wort.

Rafiki jedoch blieb ruhig. »Du solltest dich nie vor deinen eigenen Gefühlen verließen!«

Kopa wüsste nur zu gerne, wie Rafiki das gemachte hatte, wie er das gesehen hatte. Doch er erhoffte sich nicht viel davon und zwang sich, eine andere Frage zu stellen: »Und die Verwandtschaft?«

»Ihr seid euch ähnlich«, erwiderte Rafiki nur. »So, und jetzt lass uns unseren Besuch begrüßen.«

Der unvermittelte Themenwechsel brachte Kopa schon gar nicht mehr aus dem Konzept. In aller Ruhe sah er zu Zazu auf, der seit einiger Zeit über ihren Köpfen kreiste. Der Nashornvogel bemerkte schnell seinen Blick und ließ sich so steil herabfallen, dass Kopa schon befürchtete, er würde sich geradewegs in den Boden bohren. Doch Zazu landete so anmutig wie immer.

»Hast du wen auf uns zukommen sehen?«, fragte Kopa ohne Umschweife.

»Tojo und eine Löwin. Ich konnte sie nicht erkennen, aber wenn ich raten müssten –«

»Tama«, bestätigte Rafiki.

Zazu warf ihm einen merkwürdig fragenden Blick zu und Kopa musste unweigerlich schmunzeln. Um sich wieder zu beruhigen, drehte er sich der offenen Savanne zu, um, wie Rafiki schon gesagt hatte, ihren Besuch zu begrüßen.
 

Als erstes bemerkte er Tamas Gang. Während Tojo schnurstracks auf ihn zuhielt, sprang sie immer zur Seite und redete dabei durchweg auf ihren Begleiter ein.

Worum es dabei ging, sollte Kopa allerdings nie erfahren. Gerade als die beiden nah genug gekommen waren, damit er vielleicht etwas hätte verstehen können, bemerkte Tojo die drei ungleichen Geschöpfe zwischen den Wurzeln. Er sagte etwas zu Tama, woraufhin jene ausgelassen zu lachen begann. Bis die beiden an Rafikis Baum angekommen waren hatte sie sich jedoch wieder beruhigt.

»Hey Kopa, hallo Zazu. Rafiki.« Vor ihm neigte sie das Haupt.

Der Affe lächelte nur, ging zu ihr und legte eine Hand auf ihren Nasenrücken und die andere seitlich an ihren Hals. »Möchtest du darüber reden?«, fragte er sanft.

»Nicht jetzt«, entgegnete sie, ohne sich vor seiner Berührung zurückzuziehen.

Daraufhin ließ Rafiki sie los und Tama öffnete wieder die Augen.

»Tojo wurde gestern Abend von einer Hyäne gekratzt«, berichtete sie. »Ich wollte, dass du dir die Wunde ansiehst.«

»Eine kluge Entscheidung«, meinte der Affe und wandte sich Tojo zu, Der hob das verletzte Vorderbein an, um zu zeigen, worum es ging. Rafiki schritt zu ihm hinüber und streckte die Hände aus, doch als Tojo seine Pfote hineinlegte fiel er fast vornüber.

Sobald er sich seines Standes wieder sicher war, war Rafiki einen kurzen Blick auf die Wunde, dann ließ er Tojos Bein wieder los. Währenddessen ging Tama zu Kopa hinüber und versperrte ihm dabei kurz die Sicht. Als sie sie wieder freigab tastete Rafiki sich gerade an Tojos Flanke entlang.

Kopa beobachtete die beiden mit mäßigem Interesse. Eigentlich galten seine Gedanken Tama und wie er etwas über ihr kurzes Gespräch mit Rafiki herausfinden könnte.

»Sprecht ihr öfter über solche Dinge?«, fragte er sie schließlich.

»Das geht dich in etwa so viel etwas an wie die Entscheidungen, die ich als Leitlöwin treffe.«

»Tut mir leid, ich war nur neugierig.«

»Dann bleib ruhig weiter neugierig«, entgegnete Tama belustigt. »Du wirst nichts erfahren.«

»Hey!«

Sie sahen beide überrascht auf und Kopa konnte gerade noch erkennen, wie Tojo seine Schwanzquaste Rafikis Hand entriss.

Jener wandte sich unbeeindruckt an Tama: »Es geht ihm gut. Ich sehe keine Anzeichen für innere Verletzungen und sein Blutkreislauf funktioniert bis zur Schwanzspitze.«

›Was in Aiheus Namen ist ein Blutkreislauf?‹

Doch Kopa wurde von Tama angesprochen, bevor er die Frage stellen konnte: »Kopa, ich möchte dir etwas erzählen. Tojo war dagegen, aber ich denke, du solltest es wissen, bevor du nach Hause kommst.«

Er horchte auf. »Was ist es?«

»Deine Mutter ist zurück,« – Das bedeutete, er hatte jetzt einen kleinen Bruder oder eine Schwester! – »aber es geht ihr nicht besonders gut. Leider hat nur eines ihrer beiden Kinder überlebt.«

»Was?«, rief er entgeistert. »Aber das kann nicht –« Da dachte er an Rafikis Deutung.

»Du hast von einem Löwen gesprochen, nicht wahr?«, fragte er ihn und beachtete die verwirrten Blicke von Tojo und Tama gar nicht.

»So ist es«, erwiderte Rafiki ruhig. »Und dieser kleine Prinz, wie ich jetzt weiß, war sehr mutig. Er wusste, dass es für ihn zu Ende ging und er hatte keine Angst vor dem, was vor ihm war.«

Doch für Kopa zählte gerade nur, dass er seinen Bruder verloren hatte, bevor er ihn überhaupt einmal gesehen hatte. »Warum habt ihr mir das überhaupt erzählt?«

»Weil wir uns Sorgen um Nala machen«, antwortete ihm Tama. »Egal, was du empfindest, ihr geht es schlimmer und deshalb solltest du jetzt etwas Rücksicht auf sie nehmen.«

Auch sie verstand ihn nicht. »Und du, hast du auch etwas zu sagen?«, fuhr er Tojo an.

Der sah nur auf den Boden zwischen seinen Pfoten.

Doch dann begann er, leise vor sich hin zu murmeln, sodass es einigen Momente dauerte, bis Kopa ihn verstand: »– dass ich Nala noch einmal getroffen habe, kurz bevor sie das Geweihte Land verlassen hat. Und heute sind wir uns wieder über den Weg gelaufen. Tama war dabei.«

Jene nickte zustimmend, unterbrach ihn jedoch nicht.

»Sie hat eine ganze Herde Gnus aufgescheucht, als sie ins Geweihte Land gekommen ist. Normalerweise würde ich einer Löwin mit einem Jungen so etwas verzeihen, aber Nala ...«

Immerhin hatte er es geschafft, einen Teil von Kopas Wut in Verwirrung zu ertränken. Das hatte schlichtweg überhaupt nichts mit ihm zu tun.

»Was er eigentlich sagen will«, erklärte Rafiki, »ist, dass deine Mutter sich verändert hat. Vielleicht ist es nicht von Dauer, aber diese Frage kann im Moment wohl nicht einmal sie selbst beantworten.«

Kopa senkte den Blick zu Boden. Keiner verstand ihn.

»Kopa«, Tama kam zu ihm und stupste mit der Schnauze seine Flanke an. Die Aktion kam so unerwartet, dass er das Gleichgewicht verlor und plump aber halbwegs kontrolliert auf der Seite landete. »Wir wissen alle, dass du traurig bist, aber du musst verstehen, dass deine Mutter es im Moment vielleicht nicht verkraften kann, wenn du über sie herfällst.«

Wie wahr das war. Am liebsten wäre Kopa sofort nach Hause losgestürmte und hätte seine Mutter mit Fragen zugedeckt, warum sie seinen Bruder verloren hatte. Doch schließlich musste er sich eingestehen, dass Tama Recht hatte. Im Moment musste er alleine damit zurechtkommen.

Da fragte Rafiki Tojo, was er denn für Veränderungen erwarte. Jener erzählte von dem Zwischenfall bei der Jagd und brachte damit Kopa schnell auf andere Gedanken. Als er sich später von Tojo und Tama verabschiedete, war er sogar bereit, nach Hause zurückzukehren, ohne allzu sehr an seinen Verlust zu denken.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Übersetzungen
Aiheu: Angebeteter Gott
Aiheu abamami!: Herr, gib mir Kraft! Komplett anzeigen

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