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Der König der Löwen

Wir sind Eins
von

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Auf eigenen Pfoten stehen

Kopa

Kopa gefiel die große Regenzeit überhaupt nicht. Die Tage waren dunkel und ekelhaft feucht, genau wie die Stimmung am Königsfelsen. Zwar waren die Jägerinnen nun zunehmend erfolgreich, aber man konnte ihnen deutlich anmerken, wieviel Mühe es sie kostete.

Dazu kam die angespannte Lage mit den Hyänen. Kopa hatte mittlerweile erfahren, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch im Geweihten Land gelebt hatten. Jetzt aber waren sie alle auf dem Elefantenfriedhof, was auch immer so schlimm daran war. Anfangs war das angeblich nur gut gegangen, weil das Geweihte Land so ausgetrocknet gewesen war und viele Tiere auf den Großen Fluss angewiesen gewesen waren. Durch die ergiebigen Regenfälle war das Wasserloch nun jedoch endlich wieder groß genug, um alle zu versorgen. So blieb den Hyänen nichts anderes übrig, als –

Ein neuerliches Grollen riss ihn wieder aus seinen Gedanken. Selbst von den Liegeplätzen aus waren die dunklen Wolken über den fernen Hügeln nicht zu übersehen. Und so schwanden Kopas Hoffnungen, heute wieder etwas mit seinem Vater unternehmen zu können.

Bald zwei Monde war es nun schon her, dass Sarabi gestorben war, aber seitdem war das Leben hier nicht mehr dasselbe gewesen. Und wie es aussah, würde sein Vater heute wieder keine Zeit für ihn haben. Dass ihm die Hyänen Sorgen bereiteten, hatte so ziemlich jeder schnell bemerkt, aber Kopa war einer der wenigen, die wussten, dass er sich mehr Gedanken über die Tiere im Geweihten Land machte. Nicht wenige von ihnen gaben den Hyänen die Schuld an der Dürre und unter den aktuellen Umständen war es praktisch unmöglich, sie dauerhaft voneinander fernzuhalten. Dabei endeten zu viele dieser Auseinandersetzungen blutig.

Kopa überlegte gerade, ob sich ein Spaziergang noch lohnen würde, da hörte er seinen Namen, erst einmal deutlich und dann ein paar Mal den Nachhall von der Felswand. Als er nach oben blickte, erkannte er seinen Vater an der Spitze der Steinbrücke. Schnell stand er auf und machte sich auf den Weg. Es war das erste Mal, dass Kopa auf diese Weise aufgerufen worden war, also musste wohl irgendetwas passiert sein.

Oben auf der Felsterasse empfing ihn Zazu mit einer knappen Verbeugung, bevor er sich mit einem einzigen Satz in die Luft schwang und einen engen Bogen um den herannahenden Simba flog, um sich auf dessen Schulter niederzulassen. Kopa warf ein wenig den Kopf hin und her, so wie er es schon oft bei Mheetu gesehen hatte.

»Kopa, wir haben eine schwere Zeit hinter uns. Wenn ich jetzt zurückdenke, dann hätte ich einiges lieber anders gemacht.« Simba wog jedes Wort sorgfältig ab, während er sprach. »Ich sehe aber auch, dass du trotz allem herangewachsen bist und viel gelernt hat.«

Kopa nickte. Tojo und Mheetu waren dafür genau die richtige Gesellschaft gewesen.

»Deshalb denke ich nun, dass es für dich an der Zeit ist, deinen eigenen Weg zu gehen.«

»Das bedeutet aber nicht, dass du jetzt nur noch das tun kannst, worauf du Lust hast«, warf Zazu ein. »Wir werden das Geweihte Land noch heute verlassen.«

»Wie bitte?« Damit hatte Kopa nun überhaupt nicht gerechnet. Es war doch noch viel zu früh, um ihn wegzuschicken!

»Ja, ich denke, ich komme im Moment auch eine Zeit lang ohne Zazu zurecht.« Simba hatte seine Überraschung wohl völlig missverstanden.

»Machen wir uns nichts vor, ich bin bei diesem Wetter einfach nicht zu gebrauchen«, erwiderte Zazu und wandte sich dann an Kopa: »Aber dafür kann ich dich begleiten.«

Na klar. Kopa versucht, nicht die Augen zu verdrehen. Zazu war natürlich der perfekte Schutz, wenn er da draußen einem fremden Löwen oder womöglich noch Schlimmerem begegnete.

»Ihr habt aber noch ein wenig Zeit, bevor es losgeht. Da gibt es sicherlich noch etwas für dich zu erledigen, Zazu.«

»Nun, Sire, wenn ich ehrlich sein soll –«

»Zazu.«

»– dann kann ein Blick in mein Nest nicht schaden. Man weiß nie, was man so vergessen haben könnte.«

Der Nashornvogel verneigte sich noch einmal und flatterte davon.

Simba setzte sich neben seinen Sohn und schaute auf die dunkle Wand aus Wolken. »Ihr solltet eigentlich keine großen Schwierigkeiten haben, noch vor dem Unwetter anzukommen.«

Jetzt gab es also doch ein festes Ziel? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. »Wo denn?«

»Ach so, das sollte ich dir vielleicht auch noch erzählen.« Simba lächelte über sein Versäumnis. »Du hast mir doch einmal erzählt, dass es dir lieber wäre, wenn du nie König werden müsstest.«

Kopa nickte. Das war jetzt schon ein wenig her, aber im Prinzip hatte er seine Meinung nicht geändert.

»Versteh' mich nicht falsch, ich finde das sehr weise. Aber du willst ja auch nicht das Geweihte Land verlassen, so wie Mheetu.«

»Mheetu will gehen?«

»Nach seiner Mantlung, aber das ist ein anderes Thema.«

Er würde also nicht endgültig weggeschickt und doch hatte Kopa ein seltsames Gefühl bei der Sache. Vor allem kam es so unerwartet. »Wohin soll ich eigentlich gehen? Wenn ich meinen eigenen Weg gehen soll, dann –«

»– musst du ihn erst einmal verstehen.« Simba wandte den Blick wieder zurück in die Ferne. »Weißt du, vor langer Zeit bin ich auch mal vom rechten Weg abgekommen und wollte auf niemanden hören.« Er sah Kopa sehr ernst an. »Du bist genauso orientierungslos, aber auf eine andere Weise. Trotzdem müsste dir derselbe alte Freund helfen können, der auch mir damals geholfen hat.«

Jetzt konnte Kopa erstmals wieder lächeln, als er verstand, was das bedeutete. »Also gehe ich Rafiki besuchen.« Allerdings blickte er jetzt selbst besorgt auf die Regenwolken. »Wann soll ich zurückkommen?«

»Heute, morgen, übermorgen – wann immer du willst.«

»Und die Nächte?«

»Rafiki wird etwas wissen.«

Kopa konnte sich noch lebhaft erinnern, wie Rafiki immer gehaust hatte, als er hier im Geweihten Land gewesen war. Was dieser Affe wohl für einen Löwen bereithielt, war ihm ein Rätsel, aber er machte sich keine weiteren Gedanken darüber.
 

Vitani

Warum nur verbrachte Chumvi so viel Zeit mit Nuka? Auch wenn sie gerne glauben wollte, was Zazu gesagt hatte, hatte Vitani seitdem immer ein seltsames Gefühl gehabt, wenn sie an ihren Vater dachte. Was konnte es nur sein, was mit ihm nicht stimmte.

Sie war sich ganz sicher, dass Nuka irgendetwas wusste, nur würde der es ihr garantiert nicht erzählen. Allerdings gab es auch sonst niemanden an den sie sich hätte wenden können. Neben ihrem Bruder und Chumvi hab es da noch Kopa, der gerade gerufen worden war, und Mheetu, doch der war dieser Tage ständig mit Tojo unterwegs. Der einzige Lichtblick für sie war, dass ihre Mutter bald zurückkommen würde.

Wie dem auch sei, Kopa schien jetzt auf der Felsterasse fertig zu sein, denn er kam gerade wieder von dort herunter. Nur hieß das leider nicht, dass er jetzt Zeit hatte. Sie schätzte, dass Simba ihm gerade irgendeine Aufgabe gegeben hatte, die definitiv Vorrang vor ihr haben würde. Jetzt kam Zazu angeflogen und begleitete ihren Freund, währen er hinunter in die Savanne lief. Vitani sah den beiden noch nach, bis sie hinter den ersten Kuppen verschwanden, ohne dabei etwas Spektakuläres zu beobachten.

Die übrigen Löwinnen waren für sie eigentlich alle gleich. Da ihre gewohnten Kameraden heute allerdings nicht da sein würden und sie auch nicht vorhatte, nur hier herumzuliegen, musste sie irgendwo anfangen. Also überlegte sie. Nuka hielt sich sowieso immer nur zurück, das brachte sie nicht weiter. Chumvi allerdings lag meistens bei zwei bestimmten Löwinnen. Die eine war seine Schwester Kula und die andere Tama.

Vorher jedoch musste sie erst einmal eine der beiden finden. Auch wenn es nicht regnete, war die Luft draußen feucht und dazu noch erdrückend warm. Aus diesem Grund blieben die Löwinnen immer wieder ganze Tage in der Höhle – für manche war die Jagd allein schon genug. Ideale Bedingungen, um eine von ihnen allein anzutreffen.

Vitani kletterte kreuz und quer über den Königsfelsen, bis sie schließlich Tama fand. Die lag weitab vom Pfad, der hinauf zur Felsterasse führte, und auch ein wenig abseits der übrigen Liegeplätze. Doch nun, da sie hinter ihr stand, hatte Vitani keine Idee, was sie sagen sollte. In der Hoffnung, noch nicht bemerkt worden zu sein, machte sie wieder kehrt. Zu spät, wie es sich herausstellte:

»Vitani, wolltest du etwas von mir?« Sie hob nicht einmal den Kopf von den Vorderpfoten.

»Ähm ... ja.«

»Na dann komm doch her. Ich werde dir schon nicht wehtun.«

Vitani ging langsam um sie herum und legte sich brav in Tamas Sichtfeld.

»Also, wie kann ich helfen?«

»Chumvi. Also Zazu hat mal gesagt, dass er etwas Böses getan hat.«

Augenblicklich hatte Tama den Kopf hoch erhoben. »Nein, niemals!«

»Hat Zazu dann etwa gelogen?«

»Vielleicht verwechselst du da etwas.«

»Nein, ich weiß genau, was ich gehört habe.«

Tama nickte kurz und legte den Kopf zurück auf ihre Vorderpfoten. »Okay, aber selbst wenn das stimmt – was kann ich jetzt für dich tun?«

»Ich dachte, du wüsstest vielleicht, was Zazu gemeint hat.«

»Leider nein«, antwortete Tama kopfschüttelnd.

»Ach, schade.« Sie hatte nun lange genug darüber nachgedacht. Vitani wollte endlich die Wahrheit wissen. »Und was weißt du über Chumvi? Hat er denn irgendwann mal etwas Böses getan?«

»Nicht dass ich wüsste ... und das will etwas heißen, immerhin haben wir einen Großteil unserer Kindheit miteinander verbracht. Nur Chumvi hatte nie auch nur eine Phase, in der er irgendwem etwas angetan hätte.«

»Aber das kann nicht sein ...«

»Womöglich ist es etwas, das passiert ist, bevor er hierhergekommen ist. Er selbst war damals zwar noch viel zu jung, aber ich weiß zumindest, dass es einen bestimmten Grund gab, weshalb er aus seinem alten Rudel ausgesetzt worden war.«

»Warum?«, fragte Vitani sofort.

»Keine Ahnung, ich habe nie danach gefragt. Chumvi war und ist für mich immer noch ein guter Freund, ganz egal, was damals passiert ist.«

»Dann muss ich also herausfinden, was davor war.« Eigentlich hatte Vitani das gar nicht laut aussprechen wollen.

»Würde das irgendetwas ändern?«, fragte Tama mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Weiß ich noch nicht.«

»Gut, aber das, was du da herausfinden willst, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse hier überhaupt – nicht einmal Simba kennt es. Chumvi und Kula erzählen nämlich nur etwas davon, wenn sie sich einig sind. Bisher allerdings war es für sie noch nie nötig, auch nur miteinander darüber zu sprechen.«

Vitani drehte sich von ihr weg und schaute hinaus auf die weite Savanne. »Ich muss es wissen.«

»Das ist deine Entscheidung.« Sie hörte nicht, wie sich Tama hinter ihr bewegte, doch plötzlich war sie neben ihr. »Du hast im Moment also niemanden, um etwas zu unternehmen?«

Vitani schüttelte nur den Kopf.

»Dann lass uns etwas spazieren gehen! Na, was meinst du?«
 

Mheetu

»Es geht nicht mit Gewalt!«

»Eine kurze Demonstration würde ja schon helfen.«

»Wie oft denn noch? Man kann es nicht einfach lernen.«

Für Mheetu wurden die Rundgänge mit Tojo derzeit immer deprimierender. Seine Mähne reichte ihm nun schon bis zu den Schultern und er wollte unbedingt noch vor deiner Mantlung ein paar Mal alleine nachts im Geweihten Land streifen. Aber dafür musste er erst einmal lernen, im Notfall um Hilfe zu brüllen, allerdings klappte das einfach überhaupt nicht. Alles, was er zustande brachte, war ein lächerliches Krächzen.

»Wann hast du es denn gelernt?«, fragte er Tojo.

»Keine Ahnung«, erwiderte der teilnahmslos. »Ich habe es in deinem Alter nicht gebraucht und später hat es einfach geklappt.«

»Mheetu stand nun wirklich kurz vor der Verzweiflung. »Irgendwie muss es doch gehen. Was machst du genau, wenn du brüllst?«

»Hm ...«Tojo richtete sich auf, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann summte er leise vor sich hin und wurde dabei immer tiefer, bis er irgendwann das Maul öffnete und ein ziemlich leises Brüllen ertönen ließ. Aber es klang trotzdem gut.

»Wow.«

»Alles klar, hör gut zu ... Also, du brauchst sehr viel Luft und dann... nein, wir fangen anders an. Sag' R«

»Hä?«

»Willst du es nun lernen?«

»Na klar!« Mheetu atmete tief ein und setze zu einem leisen rollenden R an.

»Gut so, jetzt immer tiefer gehen ... tiefer und bleib' beim R.«

Es dauerte eine Weile, bis er Tojo zufriedenstellen konnte. »Versuchen wir den nächsten Schritt«, meinte der. »Nur versprich dir nicht zu viel – wenn deine Stimme noch nicht so weit ist, geht es einfach nicht.«

»Glaubst du, ich kann es schaffen?«

»Lass' mal etwas mehr Luft durch. Wir hören dann ja, was dabei herauskommt.«

Mheetu versuchte es. Beim ersten Mal wurde er nur leiser und verendete in einem Röcheln, doch schon wenig später konnte er den Ton konstant halten.

»Na, wie war das?«

»Jetzt kommt der schwierige Teil. Wenn es in deinem Hals anfängt zu kribbeln, kannst du versuchen, Kraft in ein Brüllen zu legen. Du wirst aber selbst herausfinden müssen, wie sich das genau anfühlt. Das kann ich dir nicht zeigen.«

Mheetu gab sein Bestes, aber was er auch tat, er landete am Ende immer wieder bei dem lächerlichen Krächzen, das er schon zu Anfang von sich gegeben hatte.

»Ja, das hatte ich mir fast gedacht«, meinte Tojo. »Üb' einfach immer weiter, dann –«

»rrrRAAAWR!«

»– gendwann ... nicht schlecht fürs erste Mal.«

Mheetu schüttelte sich, sodass seine Mähne wild umherwirbelte. »Heißt das, ich kann jetzt alleine los?«

»Wenn du bereit dazu bist«, antwortete Tojo unbeeindruckt.

»Und wer entscheidet was?«

»Du ganz allein – nämlich sobald die Jägerinnen dich hören.«

»Also sobald mich eine gefunden hat.« Fein, das war dann wohl die erste kleine Probe, der sich Mheetu zu stellen hatte. »Das macht durchaus Sinn.«

»In der Tat«, bestätigte Tojo, »ansonsten bist du uns nämlich keine große Hilfe.«

»Ich will doch sowieso nicht hierbleiben.«

»Das wirst du vorerst aber und da kannst du ruhig die Gelegenheit nutzen und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Zuerst für andere und dann für dich selbst, andersherum ist –«

Urplötzlich verstummte Tojo und stellte die Ohren auf. Nachdem Mheetu die anfängliche Überraschung überwunden hatte, konnte auch er es hören: Schritte, die auf sie zukamen. Und ein wenig Stolz flackerte schon in ihm auf, als er kurz darauf Tama erspähte. Mittlerweile konnte ihnen also nichts und niemand mehr auflauern.
 

Doch irgendwie schien jene etwas überrascht, die beiden hier anzutreffen. Jedenfalls brachte sie nicht einmal eine Begrüßung zustande.

»Hast du –« Weiter kam Mheetu nicht, denn da hatte sie ihre Stimme wieder gefunden.

»Alles in Ordnung bei euch?«

»Ähm, ja.«

»Ich dachte, hier wäre wer gestorben.«

Mheetu warf Tojo einen vielsagenden Blick zu und merkte, dass der genau dasselbe dachte. Insgeheim betete er, dass Tama nicht dahinter stieg und vor allem, dass Tojo –

»Also wir beide sind weit entfernt davon«, meinte der gerade.

»Hm ... aber ich meine, ich habe ganz in der Nähe etwas gehört. Da fällt mir ein – weil wir so nah dran waren, habe ich Vitani gesagt, sie solle warten.«

»Ach so, du warst also schon in der Nähe.« Anscheinend hatte Mheetu noch einiges vor sich, bis er alleine auf Streife gehen könnte. Tief in Gedanken versunken trottete er Tojo und Tama hinterher, die jetzt beide damit beschäftigt waren, Vitani wiederzufinden. In ihrer Eile hatte Tama sich nämlich nur gemerkt, dass sie die Kleine angewiesen hatte, sich zwischen einen Felsen und einen dichten Busch aus Gras zu legen.
 

Nuka

Ein Savannenhase ergriff panisch die Flucht und stürzte lautstark durchs hohe Gras. Aber Nuka war schließlich nicht zum Jagen da.

Es war mal wieder einer dieser besonders schlimmen Tage. Chumvi hatte ihn mitgenommen, um die Höhle vom Wasserloch zum Großen Fluss zu finden – wenn es denn überhaupt eine gab. Dass Nuka nicht im Geringsten daran glaubte, machte die Sache übrigens nicht unbedingt besser. Jedenfalls suchten sie gerade getrennt. Eigentlich müsste Nuka das eher recht sein, weil er die Ausflüge doch sowieso für komplette Zeitverschwendung hielt. Aber so ganz alleine war ihm auch nicht wirklich wohl. Nicht dass er Angst gehabt hätte, es wäre einfach nur schön, wenn sich jemand für ihn interessieren würde.

Wen hatte er denn? Seine Mutter ignorierte ihn ohnehin schon am allermeisten, aber auch für alle anderen Löwinnen war er einfach nur der Prinz, der niemals hätte König werden dürfen. Sein Vater war tot und Chumvi hatte sogar selbst gesagt, dass er sich nur mit ihm abgab, weil er es für seine Mutter tat. Seine Schwester zu guter Letzt hatte schon viel mehr von Mheetu und Kopa übernommen, so als wären die ihre Brüder und nicht er. Also, wen hatte er noch?

Nun ja, eines vielleicht ... Nuka war ein Prinz, also sollte er auch mit den großen Königen der Vergangenheit reden können. Allerdings hatte er es noch nie versucht und er glaubte auch nicht daran.

Halb abwesend kletterte er auf eine kleine Anhöhe und besah sich die Gegend. Ein Stück weiter draußen zog eine Gnuherde vor dem Unwetter davon, den Großen Fluss entlang, der in der Ferne aus der Schlucht strömte. Links von Nuka fiel das Land gleichmäßig flach ab. So war der Fluss zum einen leicht erreichbar, aber auch von seiner Position aus hervorragend einsehbar. So entging ihm nicht das Treiben, das dort unten vor sich ging:

Auf der anderen Seite lief eine kleine Gruppe das Ufer entlang. Nach einigen Augenblicken erkannte Nuka sie als Hyänen, die direkt auf den Baumstamm zuhielten, der weiter stromaufwärts über den Fluss gefallen war. Weit kamen sie jedoch nicht, denn eine größere – Nuka konnte von hier nicht mehr als ein Gerippe erkennen – Hyäne kam hinzu und nach einem kurzen Wortwechsel zogen sie sich allesamt wieder zurück.

Nuka hatte mitbekommen, dass etwas mit den Hyänen los war in letzter Zeit. Da er Kopas Unterricht allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr beiwohnte, wusste er selten mehr als das, was er abends beim Essen von den Löwinnen aufschnappte. Im Moment war einfach alles –

»Hey Nuka, alles klar bei dir?« Ah ja, Chumvi war wieder da und setzte sich jetzt neben ihn. »Keine Lust mehr zu suchen?«

»Nein – äh, doch. Ich bin nur hier oben –«

»– und hältst etwas Ausschau, wie?« Er ließ eine Pause, aber Nuka sparte mit seinen Worten, wo er nur konnte. »Was entdeckt?«

»Nein, nichts.«

Chumvi stieß ihn kurz mir der Schulter an. »Auch egal, ich bin trotzdem froh, dass du dabei bist.«

»Hm.« Die Hyänen waren schon längst nicht mehr zu sehen, doch Nuka starrte immer weiter auf die Stelle, wo er sie entdeckt hatte.

»Aber so leicht geben wir nicht auf, oder?« Das war ein lächerlicher, letzter verzweifelter Versuch. Chumvi hatte wohl auch nicht damit gerechnet, dass es klappen würde, denn er wartete nicht erst lange auf eine Antwort. »Sag mal, Nuka, hast du denn schon über deine Mantlung nachgedacht?«

Das überraschte Nuka, sodass er sogar die Hyänen vergaß. »Warum?«

»Na ja, wir haben noch keinen Plan, wann sie stattfinden soll. Schließlich sollst du dann auch bereit dafür sein.«

»Ich dachte, das entscheidet Simba. Warum sonst beobachtet er uns beim Training?«

»Oh, körperlich bereit zu sein, reicht für eine Mantlung bei weitem nicht aus«, erwiderte Chumvi kopfschüttelnd. »Du musst doch zum Beispiel auch wissen, was du danach tun willst.«

»Du meinst, ich soll fortgehen?« Nuka hatte bisher nur den Thron des Geweihten Landes im Visier gehabt. Wer weiß, ob er da draußen nicht sogar etwas Besseres finden würde? Nur kam das eigentlich gar nicht in Frage.

»Du solltest zumindest darüber nachdenken ... aber um dich zu entscheiden, hast du noch sehr viel Zeit, keine Sorge.«

»Okay.« Nuka sah noch einmal hinunter zum Fluss. Dort war kein einziges Tier mehr. »Gibt es noch mehr, über das wir reden sollten?«

»Jede Menge«, antwortete Chumvi. »Es geht hier um deine Zukunft, da solltest du dir schon ein paar Gedanken machen.«

Seine Zukunft? Die Erkenntnis traf schwer – was hatte Nuka eigentlich mit seiner Zukunft vor? »Mheetu weiß ganz genau, was er will, oder?«

»Ich glaube, Mheetu hat nicht viel überlegt, als er seine Entscheidung getroffen hat. Ob es das Richtige für ihn ist, kann nur er selbst wissen.« Chumvi warf einen Blick auf den immer dunkler werdenden Himmel im Osten. »Wir machen hier dann ein andermal weiter.«

Das kam Nuka gerade recht. Er war ohnehin alles andere als begeistert von ihren mittlerweile regelmäßigen Erkundungstouren, doch nun hatte ihn Chumvi ernsthaft zum Nachdenken gebracht. Was könnte Nuka wohl mit dem, was ihm noch von seinem einstigen Leben übrig geblieben war, anfangen?

Von Chumvi hörte er später, dass ihn diese Frage ein Leben lang begleiten würde. Wenn er nur gewusst hätte, wie recht jener damit behalten sollte.



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