Emotional Release
Langsam und mit seinem gewohnt gelangweilten Gesichtsausdruck folgte Levi Erwin in dessen Büro und schloss hinter sich die Tür.
Erwin ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich. Sein Blick war nun auf Levi gerichtet und er fragte sich, wann dieser endlich seine Maske fallen lassen würde. Immerhin hatte er seinen ganzen Trupp verloren...Menschen, die ihm nicht unbedingt wenig bedeuteten. Allen voran Petra. Erwin wusste, dass sie etwas Besonderes für ihn gewesen war.
Levi setzte sich auf den Stuhl vor Erwins Bürotisch. „Was ist?“, fragte er Erwin, da er merkte, wie dieser ihn die ganze Zeit anstarrte. Kurz schwieg Erwin, bis er antwortete: „Ich hab mich nur gefragt, ob du auch einen Tee möchtest.“ Dann stand er auf. „Nein“, entgegnete Levi.
„Gut, ich bring dir einen mit.“ Erwin verließ den Raum.
Leise seufzte Levi, stützte sich mit dem Ellenbogen an der Stuhllehne ab und fuhr sich mit der Hand über's Gesicht. Nun schossen die Bilder von der letzten Mission in seinen Kopf. Sein Blick wandelte sich, wurde traurig. Warum nur konnte er nichts tun? Warum konnte er seine Leute nicht retten? Warum konnte er...Petra nicht beschützen?
Als Erwin den Raum wieder betrat, nahm er seinen Arm runter und schaute ihn mit seinem gewohnten Blick an. Erwin beugte sich runter und stellte den Tee auf den Tisch. Dann sah er zu Levi, welcher auf die Tasse blickte. Vorsichtig, damit er nichts verschüttete, stellte Erwin nun auch seine Tasse ab und hockte sich neben Levi.
Dieser hob seinen Kopf und guckte ihn an. Erwin hob seine Hand und strich Levi ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Kaum merklich zuckte dieser zusammen, schlug dann leicht dessen Hand mit seiner weg, wollte etwas sagen, doch Erwin kam ihm zuvor.
„Du bist stark, Levi. Doch auch der Stärkste darf einmal Schwäche zeigen.“ Schnell griff er nach Levis Hand und hielt sie fest. Levi schob seine Augenbrauen zusammen und zog seine Hand sogleich wieder weg.
„Ich dachte, wir wollten hier an dem Bericht schreiben“, meinte er. „...aber anscheinend musst du diese Mission erstmal verarbeiten.“ Er wollte aufstehen, doch Erwin erhob sich schnell, stellte sich vor ihn und drückte ihn an den Schultern zurück in den Stuhl, sodass er nun über Levi gebeugt war. Mit bösem Blick sah dieser ihn von unten an.
„Ich bin es nicht, der hier irgendwas verarbeiten muss“, entgegnete Erwin. Indes versuchte Levi, ihn von sich wegzudrücken. „Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest“, fuhr er ihn nun an, hob seine Beine, sodass er Erwin mit den Füßen wegstoßen konnte. Erwin prallte gegen den Tisch und stieß die Teetassen um, sodass der heiße Tee über seine Hand lief. Gekonnt ließ er sich nichts anmerken, behielt Levi im Auge und nahm die Hände vom Tisch.
Levi stand auf und ging zur Tür. „Ruf mich, wenn du wieder klar denken kannst.“
Schnell lief Erwin ihm hinterher und griff mit seiner nassen Hand nach Levis Arm. Sofort verfinsterte sich Levis Blick, und er schaute auf die nasse Hand an seinem Arm. Erwin zog sie wieder weg und holte mit der anderen Hand ein sauberes Tuch aus seiner Jackentasche, mit welchem er erst seine Hand und dann Levis Arm abwischte, dann steckte er es wieder weg, ehe er abermals nach Levis Arm griff.
„Lass los!“, sagte dieser nun in einem Befehlston und sah Erwin ernst an. „Mir ist neu, dass du so mit mir redest“, erwiderte Erwin.
„Tsk, es ist mir scheiß egal, mit wem ich rede! Und hör auf so zu tun, als würdest du mich kennen!“ Levi wurde ungewöhnlich laut. Er zog seinen Arm weg und wollte seinen Ellenbogen in Erwins Bauch rammen, dieser wehrte den Angriff jedoch ab, schubste Levi nach hinten an die Wand neben der Tür. „Ich kenne dich besser, als sonst irgendwer.“
Wütend holte Levi mit seinem rechten Arm aus und schlug Erwin seine Faust ins Gesicht. „Du weißt überhaupt nichts!“, brüllte Levi ihn an und Erwin grinste innerlich. Er sah Levi wieder an und packte bestimmend und dennoch sanft Levis Kinn. „Ich weiß, dass du Petra geliebt hast..., auf die eine oder andere Weise.“
Levis Augen weiteten sich, ehe sie sich wieder verengten. Mit voller Kraft stieß er Erwin nun von sich weg, sodass dieser zu Boden fiel. Schnell kniete Levi sich über ihn, schlug mit seiner Faust abermals in Erwins Gesicht, dann mit der anderen. Er realisierte nicht einmal, dass Erwin sich nicht wehrte.
„Du hast keine Ahnung, Erwin!“, brüllte er ihn an und schlug weiter auf ihn ein. „Du weißt nicht, was sie mir bedeutet hat!“
Plötzlich tropfte eine Träne auf Erwins Gesicht, dieser reagierte nun schnell und hielt Levis nächsten Schlag auf, hielt dessen Faust nun fest in seiner Hand. Erschrocken blickte Levi ihn nun an, merkte erst jetzt, dass er weinte und realisierte, wie er Erwin verprügelt hatte. Schwer schluckte er.
Sachte legte Erwin nun eine Hand an Levis Hinterkopf und zog ihn zu sich runter, bettete seinen Kopf an seine Brust und strich ihm durch die Haare. Erst versuchte Levi, sich von ihm wegzudrücken, doch dann übermannten ihn die Gefühle und er presste sein Gesicht an Erwins Oberteil, klammerte sich mit den Händen daran fest.
Unaufhörlich liefen nun die Tränen, und er konnte nichts mehr dagegen tun. Es fiel ihm sogar schwer, das Schluchzen zu unterdrücken. Erwin strich ihm weiterhin durch die Haare. Seine andere Hand hatte er sanft auf Levis Rücken gelegt. Er schwieg, denn er hatte erreicht, was er wollte. Levi sollte seinen Schmerz rauslassen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Levi sich langsam wieder beruhigte. Sein Griff an Erwins Hemd lockerte sich und er atmete wieder ruhiger.
Erst als er sich sicher war, dass er nicht mehr verheult aussah, erhob er sich. Mit gewohntem Blick schaute er zu Erwin, ehe er aufstand. Er hielt ihm die Hand hin und half ihm hoch, dann ging er zurück zum Tisch. „Du hast hier 'ne ganz schöne Sauerei gemacht“, meckerte er, als er den verschütteten Tee betrachtete.
„Ich werd' neuen machen“, erwiderte Erwin, nahm die Tassen und verließ den Raum.
Unterdessen holte Levi sich ein Tuch und wischte den Tisch ab. Beide setzten sich wieder, als Erwin mit dem Tee kam, und fingen an, den Bericht zu schreiben. Levi musste immer wieder auf Erwins Gesicht schauen, welches dank seiner Schläge ganz schön mitgenommen aussah, Erwin schien das nicht zu stören.
Als sie fertig waren, stand Levi auf, lief ins Bad und holte einen Lappen mit kalten Wasser. Fragend sah Erwin ihn an, als Levi auf ihn zukam.
Er legte seine Hand nah an Erwins Ohr und beugte sich leicht vor, tupfte mit dem Lappen Erwins Wunden ab. Beide schwiegen, und als Levi fertig war, faltete er den Lappen ordentlich und legte ihn beiseite. Ohne zu zögern, bewegte Levi sich dann vor und drückte Erwin einen sanften aber kurzen Kuss auf die Lippen. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
Erwins ernste Mimik wich einem leichten Lächeln, und er begann damit, seine Dokumente zu sortieren.