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The Son

Der etwas andere Nebenjob
von

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CHAPTER EIGHT

Die Hölle war ekelhaft. Sie roch nach starkem Alkohol. Sie schmeckte bitter und brannte auf der Haut. Mal war sie heiß wie ein Feuer, mal so kalt wie ein Eisblock. Und sie versuchte Ryu zu verwirren. Sie pflanzte ihm seltsame Bilder in den Kopf, meistens grell und blendend. Und er hörte fürchterliche Geräusche. Viele Stimmen und furchtbar nervige, hohe Töne. Und dann war doch noch diese unerträgliche Qual, ihm immer mal wieder einige Momente, wohlige Momente, zu geben und dann zu entreißen. Beruhigende Klänge drangen an sein Ohr. Am unerträglichsten war es, wenn diese Momente einfach aufhörten, ihm qualvoll entrissen wurden. Nein, das nicht. Das würde nicht sein Ende sein. Seine Ewigkeit würde nicht so aussehen. Niemals! Ryu nahm all seine Kraft zusammen, sammelte seine ganze Energie... und öffnete die Augen.
 

Er hatte sie weit aufgerissen, musste sie aber direkt wieder zukneifen. Er wurde von einem viel zu grellen Licht geblendet. Es war weiß und kalt. Um ihn herum konnte er ein Piepsen vernehmen. Seine Knochen taten ihm weh. Ihm war kalt und warm zugleich. Die ganze Umgebung und sein Körper sendeten ihm so viele Signale, dass ihm davon ganz Schwindelig wurde. Er atmete tief durch und öffnete wieder die Augen, diesmal langsam. Er gewöhnte sich an das grelle Licht und erkannte, dass er in einer Art Luxuswohnung war. Um ihn herum standen teure Möbel und an der Wand hing ein gewaltiger Flachbildfernseher. Er saß aber nicht etwa auch einer Couch, sondern lag in einem Bett... einem Krankenbett. Neben ihm standen Apparate, die offenbar seinen Herzschlag anzeigten und irgendwelche anderen Werte, die er nicht verstand. Er war mit Schläuchen mit ihnen verbunden, sein linker Arm hing an einem Tropf. Sein Körper schmerzte und er hatte schrecklichen Durst. Er war allein in diesem Raum. Es dauerte einige Minuten, bis er seine Gedanken gesammelt hatte. Vor seinem geistigen Auge blitzten immer wieder Bilder auf. Von einem dunklen Raum, seltsamen Männern, Blut und einem Stock. Er begann langsam sich zu Erinnern, was passiert war. In seinem Kopf drehte sich noch immer alles. Dann schrak er auf. Wo genau war er überhaupt? Und wie kam er dorthin? Im ersten Moment ergriff ihn der Fluchtreflex, er wollte schon abhauen. Dann aber beruhigte er sich wieder. Er war am leben. Und wo auch immer er sich befand, er wurde verarztet und gesund gepflegt. Er war also nicht in Gefahr. Nach gründlicher Überlegung beschloss er, es zu riskieren und den Knopf an seinem Bett zu drücken, um jemanden zu rufen. Es dauerte nicht einmal eine Minute, da standen zwei Krankenschwestern und ein Arzt in seinem Zimmer. „Sie sind ja wach!“ rief der Arzt ganz aufgeregt und trat an seine Seite. Ryu war irritiert von seiner Reaktion. „Ehm, ja.“ Er leuchtet mit einer kleinen Lampe in seine Augen. „Ist ihnen schlecht, schwindelig oder haben Sie Kopfschmerzen?“ „Warten Sie mal bitte mit Ihren Fragen, erst brauche ich einige Antworten: wo bin ich hier?“ Der Arzt nahm die Lampe wieder runter und deutete den beiden Schwestern, dass sie den Raum verlassen sollten. Als die Tür sich schloss nahm er seine Brille ab und sah Ryu durchdringend an. „Sie befinden sich hier im Asamoto Krankenhaus, Ryu. Mein Name ist Dr. Tanaka. Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren der Leibarzt der Familie Kunieda.“ „Ku-...“ Ryu verstand die Welt nicht mehr. „Herr Kunieda hat mich angewiesen, alles erdenkliche zu tun, damit Sie überleben. Glauben Sie mir, das war Haarscharf, Sie haben einen verdammt fleißigen Schutzengel. Als Sie über den Berg waren hieß meine nächste Anweisung, dass es Ihnen an nichts mangeln soll, also haben wir Sie in unser VIP-Zimmer verlegt.“ „Aber... Das... Ich... VIP?... Kunieda?... Whaaaaat?“ „Ich habe keine Ahnung wer Sie wirklich sind und was Sie für die Kuniedas tun. Aber Sie scheinen verdammt gut darin zu sein.“ Dr. Tanaka klopfte ihm auf die Schulter und stand auf. Dann überprüfte er die Geräte und beschaute sich die Krankenakte. „Ihre Werte sind alle stabil, Sie brauchen aber dringend noch Ruhe. Ich schätze aber, Besuch wird Ihnen nicht schaden.“ Besuch? „Was für Besuch?“ Doch Dr. Tanaka räusperte sich nur und verließ den Raum.

Einige Minuten vergingen, in denen Ryu verdattert in dem Krankenzimmer saß. Er wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Hatte es zuletzt nicht einen riesigen Krach gegeben? Wurde er nicht quasi rausgeschmissen? Und er wusste noch immer nicht, was passiert war. Leise klopfte es an der Tür. „Ja?“ Mit vorsichtigen Schritten und gesenktem Kopf betrat Hiro den Raum. Er schloss hinter sich die Tür und steckte dann seine Hände in die Hosentaschen. Er schaute nicht auf. Eine seltsame Stille lag einige Zeit in der Luft. Ryu war die ganze Situation unangenehm, also beschloss er den ersten Schritt zu wagen. „Hey.“ Hiro verkrampfte augenblicklich, antwortete nicht. Ryu glaubte, er wäre trotz allem noch immer sauer wegen des Abends. Er fasste seinen Mut zusammen. „Hiro wegen neulich Abend... es tut mir wahnsinnig leid. Ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin und ich-“ Er kam nicht mehr dazu den Satz zu beenden. Hiro war plötzlich auf ihn losgelaufen und warf sich ihm um den Hals. Er schluchzte und weinte dicke Tränen in Ryus Krankenhemd. „Es tut mir so leid! Das ist alles meine Schuld! Ich hab Panik bekommen und hab scheiße reagiert! Ich wollte dich anrufen, ich hab mich aber so geschämt! Und dann...“ Ryu tat sich schwer damit Hiro zu verstehen, weil dieser in seine Kleidung nuschelte und dabei zitterte. Aber er konnte das Schuldgefühl in jeder Silbe hören, die Hiro von sich gab. Seine Brust schmerzte. Er glaubte, sein Herz würde zerspringen, so schlecht fühlte er sich gerade. So fest es seine Kraft zuließ schloss er die Arme um Hiro und streichelte ihm durchs Haar. „Alles ist gut, Hiro“, flüsterte er sanft. „Nein, ist es nicht! Koyama hat dir schreckliches angetan. Als wir dich aus dieser Lagerhalle geholt haben... Ich hab geglaubt du seist...“ In Hiro schien eine Erinnerung wach gerufen worden zu sein. Er zitterte am ganzen Körper. Auch Ryu wurde von einer Welle von Erinnerungen heimgesucht. Er war komplett überfordert von dem Strom der Emotionen, der soeben über ihn hereinbrach. Sein Herz raste so sehr, dass Hiro aufschaute. „Ryu?“ Es schmerzte, diesmal aber physisch. Sein ganzer Körper bebte. Seine Finger verkrampften sich so sehr in Hiro, dass sie wehtaten. Um ihn herum verschwamm wieder alles. Er konnte Hiro im Hintergrund rufen hören. „Doktor! Schnell! Irgendwas stimmt nicht!“ Er hörte Schritte. Dann fiel er wieder in die Dunkelheit.
 

Fünf Tage war es her, seit er aufgewacht war und immer wieder überkamen ihn diese Anfälle. Immer, wenn er zu intensiv an das erlebte in der Lagerhalle dachte, schmerzte seine Brust so sehr, dass er das Bewusstsein verlor. Doktor Tanaka glaubte, es sei psychisch bedingt und riet ihm, sich abzulenken.

„Sieben, du musst zwei ziehen.“ Mürrisch nahm Ryu zwei Karten vom Stapel. „Nochmal Sieben, sorry.“ „Sag mal, hast du die Stapelweise im Ärmel?“ Hiro war beinahe die ganze Zeit bei ihm im Krankenhaus und versuchte ihn zu beschäftigen. Das funktionierte auch weitgehend ganz gut. Doch so langsam gingen ihm die Ideen aus. Und sobald Hiro das Zimmer verließ und Ryu wieder alleine mit seinen Gedanken war, schossen ihm wieder die Bilder in den Kopf. „Bube, ich wünsch' mir Pik.“ „Ich hab kein Pik...“ „Dann zieh halt!“ Ryu bemerkte, wie rau sein Ton war, als Hiro ihn etwas verschreckt anschaute. „Sorry, ich wollt das nicht an dir auslassen.“ „Was ist denn los mit dir?“ Ryu legte die Karten aus der Hand und lehnte sich in die Kissen. Er schloss die Augen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Ich halt's hier einfach nicht mehr aus! Dieses Zimmer macht mich noch Irre! Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich zuletzt richtig geschlafen hab...“ Er war erst erstaunt, als Hiro sich plötzlich neben ihn legte und ihm umarmte. Dann aber begann er sich zu entspannen und kraulte ihm durch die Haare. Eine Weile lagen sie so da, sprachen kein Wort und genossen einfach den Moment. „Ich mag das“ sagte Hiro. „Das mit den Haaren?“ Er nickte. „Ich weiß, du schnurrst dann immer.“ Hiro setzte sich auf und seine Haselnuss-braunen Augen schauten ihn verdutzt an. „Wie, ich schnurre?“ Ryu konnte nicht anders und packte Hiro am Kragen, um ihn wieder zu sich runter zu ziehen. „Was soll denn das? Du erdrückst mich!“ „Du bist sooo süß, ich kann nicht anders!“ „Ich bin nicht süß!“ „Doch!“ „Nein!“ „Mein Schmusekätzchen!“ „Ryu!“ Ryu ließ ihn los. „Du bist ja ganz rot.“ Hiro senkte den Blick. „Und wenn schon.“ Lächelnd strich Ryu ihm die Strähnen aus dem Gesicht und schob sein Kinn nach oben. „Darf ich?“ Hiro zögerte, nickte dann aber entschlossen. Es war der erste Kuss seit dem Abend, an dem sie sich zerstritten hatten. Ryu war sehr zärtlich und darauf bedacht, Hiro nicht zu sehr zu überfallen. Doch Hiro entspannte sich schnell und erwiderte den Kuss. Für eine Weile schaltete Ryu einfach seinen Kopf ab und genoss diesen Moment. Er hatte lange darüber nachgedacht, wie es nun weiter gehen sollte. Er wusste, dass das alles nie passiert wäre, wenn er Hiro nicht getroffen hätte. Aber sein Wille Hiro zu beschützen, war nun da er wusste, welche Gefahren um sie herum lauerten, größer denn je. Ihn da zu sehen, wo er sich fast drei Tage lang befunden hatte, wollte Ryu mit allen Mitteln verhindern. Koste es, was es wolle.

Es klopfte an die Tür. Als Ryu und Hiro hochschreckten, stand Herr Kunieda bereits in der Tür und räusperte sich. Sprachlos starrte Ryu ihn an. Er beobachtete, wie Herr Kuineda mit strengem Blick die Tür schloss und den Schlüssel umdrehte. Wortlos ging er durch das Zimmer und zog die Gardinen vor den Fenstern zu. Dann setzte er sich auf das Sofa gegenüber vom Krankenbett. Hiro hatte sich auf den Stuhl neben Ryu gesetzt, der noch immer mit einer Mischung aus Schock und Panik im Bett lag und keinen Ton herausbrachte. „Du hättest anklopfen können BEVOR du reinkommst, Vater.“ Er räusperte sich wieder. „Ja, die Lektion habe ich jetzt auch gelernt.“ Ryu war verwirrt. Herr Kunieda hatte ihn und seinen Sohn gerade inflagranti beim Küssen erwischt. Er blieb aber trotzdem ganz cool. Er sah Ryu wohl an, dass er nicht wusste was los war und klärte die Situation auf. „Hiro hat es mir bereits erzählt. Ich weiß, was zwischen euch beiden ist.“ Ryu spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Sein Magen zog sich zusammen. „Ich ehm... Herr Kunieda... das ist so... Hiro... bla.“ „Wie bitte?“ „Ryu, es ist alles gut. Ich hab es meinem Vater gesagt und er... Das erzähl ihm mal schön selbst!“ „What? Ich komm nicht mehr mit.“ „Vater?“ „Ich will zu Beginn erst etwas klarstellen: ich habe kein Problem mit dieser Sache, ganz im Gegenteil. Ich wirke vielleicht auf dich, als ob ich kein Interesse an meiner Familie hätte. Aber ich liebe und unterstütze meinen Sohn, egal wie und egal wobei.“ Ryu war die Situation wahnsinnig peinlich. Hiro aber auch, so rot wie er war. „Ich kenne meinen Sohn, besser als er vielleicht weiß. Wenn selbst du als Außenstehender es bemerkt hast, glaubst du nicht, es wäre mir nicht schon lange bewusst?“ Ryu sah zu Hiro, der beschämt zu Boden starrte. „Ich habe dich nicht ohne Grund engagiert.“ Nicht ohne Grund? „Wie meinen Sie das?“ Herr Kunieda fuhr sich durch die Haare. „An dem Tag, an dem du Hiro vor den Koyamas beschützt hast, habe ich sofort einen Bericht aus der Uni bekommen. Keine Stunde nach dem Vorfall hatte ich sämtliche deiner Daten. Deine Zeugnisse, Nachweise, Krankengeschichte, Sportliche Auszeichnungen und so weiter. Hiro kam schon des öfteren mit der Bitte auf mich zu, nicht mit dem üblichen Begleitschutz zur Uni zu müssen. Was ich durchaus nachvollziehen konnte.“ „Und als Sie mein Profil gesehen haben, kam Ihnen die Idee?“ „Nein, aber es war ein idealer Vorwand.“ „Ein idealer Vorwand?“ wiederholte Ryu langsam. Hiro sprach indes kein einziges Wort. Aus Angst vor seinem Vater? „Das, was wirklich mein Interesse geweckt hat, war der Bericht über deine bisherigen Beziehungen.“ „Halt, Moment! Zeugnisse und Krankenakte musste ich einschicken an die Uni. Aber woher haben Sie die Infos über mein Privatleben?“ „Facebook.“ Beschämt kratze Ryu sich am Kopf. „Oh.“ Herr Kunieda schlug seine Beine übereinander. Seine erhabene Ausstrahlung war wie immer ehrfurchtsvoll. „Aber was meinen Sie mit 'Vorwand'?“ „Ich wollte, dass Hiro Kontakt zu jemanden hat, der ihm vielleicht helfen kann, zu sich zu stehen. Bevor du kamst war er, musst du wissen, extrem zurückgezogen, hat mit kaum jemanden gesprochen. Ich glaubte, dass er Angst hatte. Als ich dein Profil las kam mir die Idee, dich unter dem Vorwand sein Bodyguard zu sein mit ihm bekannt zu machen.“ Ryu sah zu Hiro, der jetzt nicht mehr beschämt, sondern wütend aussah. „Du brauchst gar nicht so zu gucken, mein Plan ist ja aufgegangen. Du wirkst viel fröhlicher als früher. Und offener bist du auch.“ „Es war trotzdem hinterhältig.“ Herr Kunieda warf verzweifelt die Arme in die Luft. „Egal was ich mache, es ist immer das Falsche.“ „Herr Kunieda… Das heißt, Sie sind nicht… sauer oder so?“ Die Art, wie Herr Kunieda sich wieder durchs Haar strich und dabei seufzte, ließ Ryu einen kalten Schauer über den Rücken laufen. „Nun, ich muss gestehen...“ Er deutete abwechselnd mit dem Finger auf die beiden „...DAS war eigentlich nicht direkt geplant.“ Ryu schluckte. „Heißt das, ich werde...“ Abwehrend hob Herr Kunieda die Hände. „Nein, mein Junge, ich werde dich deswegen nicht rausschmeißen.“ „U-und ich werde auch nich…?“ „Nicht was?“ Fragend sah Herr Kunieda zu Hiro. Dieser verdrehte nur die Augen. „Nein, Ryu, du wirst auch kein Fischfutter.“ Erst jetzt atmete Ryu erleichtert auf. Herr Kunieda erhob sich. „Dr. Tanaka sagt, du kannst morgen das Krankenhaus verlassen, du sollst dich aber noch schonen und regelmäßig vorbeikommen.“ Ryu strahlte vor Erleichterung. „Werde ich machen.“ Herr Kunieda schloss die Tür auf und wollte gerade den Raum verlassen. „Herr Kunieda!“ Er hielt inne. „Ja?“ „Ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt, dass Sie mich gerettet haben.“ Er lächelte. „Ryu, du musst dich nicht bedanken, das ist selbstverständlich. Schließlich gehörst du zur Familie.“ Dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Eine Weile schwiegen sich Ryu und Hiro an. Ryu musste erst verarbeiten, was gerade passiert war. Hatte Herr Kunieda tatsächlich gesagt, was Ryu gehört hatte? Sein Herz klopfte. „Oh Gott, war das peinlich!“ Hiro schlug die Hände vor sein Gesicht. „Er hätte mich echt warnen können, dass er so eine Ansprache plant, dann hätte ich dich darauf vorbereitet.“ „Familie.“ „Was?“ Ryu starrte auf seine Hände. „Er sagte, ich gehöre zur Familie.“ „Ryu?“ „Wie hat er das gemeint, Hiro? Welche Familie meinst er?“ Hiro sah ihn zweifelnd an. „Na, die Familie Kunieda.“ Ryu schüttelte den Kopf. „Deine normale Familie? Oder meinte er damit den ganzen Clan?“ Verunsichert schaute Hiro ihn an. „Ich ehm… ich weiß es nicht.“
 

Die letzte Nacht im Krankenhaus konnte Ryu kaum schlafen. Alle Gedanken in seinem Kopf wirbelten durcheinander. Wie weit war er gegangen? Gab es ein zurück für ihn? Was passiert, wenn er die Kuniedas irgendwann verlässt? Wenn sein Studium vorbei ist? Würde man ihn zwingen zu bleiben? Seine Gefühle für Hiro waren ernst, aber waren sie bedeutend genug, sein ganzes Leben zu opfern? Und seine Eltern? Er konnte es ihnen nicht ewig verheimlichen, sie waren ja schließlich nicht völlig verblödet. Brachte er sie in Gefahr? Zum aller ersten Mal war sich Ryu darüber im Klaren, in welche Situation er sich da so leichtfertig gebracht hatte. Herr Kunieda war kein seriöser Geschäftsmann. Er war ein Yakuza, ein verdammter Verbrecher. Ein Mann, der seine Gegner ohne zu zögern umbrachte. Er hielt sogar eine Bestie zum töten. Ryu wurde schlecht bei dem Gedanken. Sollte er bleiben? Durfte er gehen? Oder war es bereits zu spät für ihn?
 

Am späten Nachmittag, nachdem Dr. Tanaka Ryu noch einmal durchgecheckt hatte, holte Hiro ihn ab. Während der ganzen Fahr sprach Ryu kein einziges Wort, wie schon zuvor im Krankenhaus. Schon oft war er mit Hiro in der Mercedes Limousine gefahren, noch nie hatte er sich dabei so falsch gefühlt. Er zweifelte an sich und an allem, wofür er immer eingestanden hatte.

Gegen Abend kamen sie im Anwesen an, es war bereits dunkel. Die Kirschbäume im Garten waren komplett eingeschneit, der kleine See zugefroren. Als Ryu die Eingangshalle betrat, stürmte im eine überglückliche Miss Nori entgegen und sprang ihm in die Arme. „Ryu! Ich bin ja so dankbar, dass Sie wieder da sind!“ Sie ließ ihn wieder los und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. „Miss Nori, ich...“ „Endlich hab ich wieder einen vernünftigen Gesprächspartner, wenn ich unten anrufe!“ Er wollte gerade etwas sagen, aber Miss Nori drehte sich um und verschwand schon wieder. „Entschuldigen Sie, Ryu, aber ich hab es ein bisschen eilig. Wir reden die Tage!“

Vor der Tür des Lofts angekommen, wollte Ryu den Code eingeben, doch Hiro hielt ihn ab. „Wir haben einen neuen Code.“ Dann tippte er eine unbekannte Zahlenfolge ein und die Tür öffnete sich. Ryu betrat das Loft mit gemischten Gefühlen. Er war noch immer verwirrt und unentschlossen. Doch als das Licht an ging und die Tür sich hinter ihm schloss, fühlte er sich plötzlich wieder sicher und geborgen. Das Loft war für ihn inzwischen wie ein zuhause geworden. Sein erster Blick galt, wie früher schon oft, der verpennten, alten Tigerdame. „Leia!“ Er ließ seine Tasche und seine Jacke fallen und warf sich beinahe schon auf sein geliebtes, weißes Kuschelmonster. Hiro stand zurückhaltend in der Ecke. „Ehm… Ryu?“ Er hörte auf die puscheligen Ohren zu kraulen und richtete sich auf. Eine Weile sahen sich die beiden einfach nur an. Ryu blickte in diese warmen, braunen Augen, die ihn trauriger ansahen als je zuvor. Ihm zersprang beinahe sein Herz als er verstand, dass Hiro wegen ihm so unglücklich war. Er hatte ihn den ganzen Tag kaum eines Blickes gewürdigt, geschweige denn ein Wort. Als er in seine Augen sah, vergaß er, warum. Er vergaß alles, was geschehen war und verdrängte die Gedanken in seinem Kopf. Ohne ein Wort zu sagen, lief er auf Hiro zu, umfasste seine Hüfte und küsste ihn. Hiro schien gar nicht zu wissen, wie ihn geschah. „Ryu...“ „Nicht reden!“ Ryu wollte und konnte nicht von ihm ablassen. Er war überglücklich, wieder mit Hiro vereint zu sein, im Loft. Er genoss den Geschmack seiner Lippen „Ryu warte...“ „Worauf?“ Hiro schien hin und hergerissen zwischen irgendwas. „Wir sind nicht...“ „Was?“ „Ooooooh!!!! Ihr seid soooo süß zusammen!“ Ryu löste sich sofort von Hiro, ließ ihn aber nicht los, sondern schloss ihn fester in seine Arme. „Oh sorry, ich wollte euch nicht unterbrechen!“ Ryu starrte ungläubig auf die Person, die oben am Geländer stand und ihn fröhlich angrinste. „Hey, American Dreamboy!“ „Was zum… Teddy?“ Strahlend kam sie die Treppe herunter gelaufen und fiel Ryu um den Hals. „Oh mein Gott, ich bin ja sowas von froh, dass es dir gut geht!“ „Was machst du hier?“ Er sah verwirrt zu Hiro. „Woher kennst ihr euch?“ Hiro räusperte sich. „Ich schlage vor, wir besprechen das bei einer Tasse Kaffee.“

Etwa eine Stunde später hatte Hiro erklärt, was es mit der neuen Mitbewohnerin, auf Zeit, auf sich hatte. „Verstehe, also haben die Koyamas, nachdem sie mich ausser Gefecht gesetzt hatten, dein Restaurant zerstört?“ „Und meine Wohnung. Es liegt alles in Trümmern.“ „Und Hiro hat dich gefunden, weil dein Restaurant der letzte Ort war, an dem mein Handy geortet wurde?“ Beide nickte. „Ach so war das. Und für wie lange bleibst du bei uns?“ „Bis es wieder aufgebaut ist. Vater bezahlt dafür.“ „Warum?“ „Er mag Teddy. Und ich sie irgendwie auch.“ „Oooh, du bist so süß, Hiro!“ Teddy gab ihrem Gastgeber einen dicken Kuss auf die Wange. Sein Gesicht färbte sich so rot wie ihr Lippenstift, der auf seiner nun auf seiner Haut klebte. „Sag mal, Teddy… stört es dich gar nicht, was Hiros Vater beruflich macht?“ Sie rührte den Löffel in ihrem Kaffee um. „Nein, komischerweise nicht. Ich weiß nicht, er ist irgendwie… so… anders. Kein richtiger Yakuza, sondern einfach… ein Geschäftsmann oder so.“ „Mein Vater hat erst geglaubt, Teddy sei ein Spion.“ Ryu runzelte skeptisch die Stirn. „Teddy? Ein Spion?“ „Ja, wegen meiner Tattoos!“ „Wegen der Tattoos?“ Ryu schaute fragend zu Hiro, den er manchmal dafür verfluchte, dass er ihn nicht besser aufklärte über diese Themen. Er hielt aber inne, als er sah, wie traurig und nachdenklich Hiro zu Boden schaute. „In Japan haben eigentlich ausschließlich die Yakuza Tattoos. Teddy ist eine absolute Ausnahme der Regel.“ „Verstehe. Aber, wenn du das doch weißt, Teddy, und die Yakuza doch eigentlich so sehr hasst, warum hast du es dann gemacht?“ „Ach weißt du, ich steh einfach total auf Tattoos, ich kann mir nicht helfen.“ „Und du bist hier gut aufgenommen worden?“ „Oh ja, nachdem Hiro die Situation erklärt hat, haben mich alle herzlich in Empfang genommen!“ „Ey, wo du es grad sagst… wo ist denn der Höllenhund?“ Teddy grinste. „Der liegt bei mir in meinem Bett.“ „Du lässt das Biest in dein Zimmer?“ „Wieso denn Biest? Luca ist doch Handzahm. So ein süßer Kerl, der kann doch keiner Fliege was.“ Beleidigt sah Hiro ihn an. „Komischerweise kommt sie gut mit ihm klar. Manchmal glaube ich du bist einfach gemein zu ihm!“ „What?!“ „Okay, Jungs, mit euren Streitereien will ich nichts zu tun haben! Ich geh jetzt ins Bett. Gute Nacht!“
 

Ryu ging nur wenige Minuten nach Teddy in sein Zimmer. Zwischen ihm und Hiro herrschte wieder so eine seltsame Stille. In seinem Zimmer war das Licht gedimmt, nur das Wasser spiegelte sich etwas auf der Wand. Ryu stand mit dem Rücken zur Scheibe, als ein vertrauter Schatten sein Zimmer kurz verdunkelte. Früher hatte es ihn immer beruhigt, wenn Lenny seine Kreise um ihn zog. Jetzt hatte er Angst, wagte sich kaum umzudrehen. Er zuckte zusammen, als er das so vertraute Geräusch einer klatschenden Flosse an seine Scheibe vernahm. Er zog sich gerade seine Jogginghose an, da klopfte es an der Tür. „Ja?“ Mit gesenktem Blick kam Hiro in sein Zimmer und schloss die Tür. „Alles in Ordnung?“ Hiro atmete nur tief durch. „Da gibt es etwas, was ich dir erzählen muss.“ Er schaute langsam auf. Als er Ryu erblickte, wie er nur in Jogginghose dastand, lief er rot an und atmete hastig. Dann schaute er wieder runter. Ryu setzte sich auf sein Bett. „Was ist los mit dir? Du warst vorhin plötzlich so still.“ „Das musst du gerade sagen, du hast fast den ganzen Tag nicht mit mir gesprochen!“ Wütend sah er ihn an. „Du hast recht. Es ist einfach… zu viel passiert und… Es tut mir leid, Hiro.“ Hiro seufzte. „Ok, Entschuldigung angenommen.“ „Komm her.“ Zögerlich setzte Hiro sich neben Ryu auf das Bett. „Was möchtest du mir denn erzählen. Hiro begann zu schluchzen, seine Lippen bebten. „Hey, es ist alles gut.“ „Nein, ist es nicht, es ist grauenvoll! Du wirst mich hassen. Mich, meinen Vater und alles, wofür ich stehe. Und du...“ Ryu dachte an das, was ihn die ganze Nacht beschäftigt hatte. So unsicher er sich auch in allem war, er wusste, dass Hiro nicht derjenige war, dem er dafür die Schuld geben konnte oder wollte. Vorsicht umschloss er Hiros Gesicht mit seinem Händen. „Egal, was du mir jetzt erzählst, ich werde dich nicht hassen, versprochen.“ Dann wischte er mit seinem Daumen eine Träne weg. Hiro nahm Ryus Hände von seinem Gesicht und rutschte ein Stück von ihm weg. „Ich hab dir viel mehr etwas zu zeigen als zu erzählen.“ Abwartend sah Hiro Ryu in die Augen. Er hatte zwar Angst, aber trotzdem nickte er ihm zu. Hiro atmete einmal tief durch. Dann stand er auf und zog sich seinen Pullover aus. Es war das erste Mal, dass Ryu ihn ohne Bekleidung sah. Sein Körper war zart und blass, wirkte auf Ryu sehr zerbrechlich. Wieder ein Schluchzen, wieder eine Träne, dann drehte er sich um. Ryu riss bei dem Anblick die Augen auf. So etwas hatte er noch nie gesehen. „Hiro, was…“ Auf seinem gesamten Rücken prangte ein riesiger, roter Phönix. Es war aber kein Tattoo, es war eine Narbe. „Was ist das ?“ Hiro ballte die Hände zu Fäusten, zitterte am ganzen Körper. „Das ist das Brandmal unseres Clans.“ „Das ist eine Brandnarbe?“ Ryu sprang auf. „Warum hast du so was?“ „Es ist das Symbol des Anführers. Es kennzeichnet mich für alle Zeiten als Nachfolger meines Vaters.“ Ryu traute seinen Augen kaum. Diese Brandnarbe war Feuerrot und schon vernarbt. „Wie lange hast du das schon?“ Hiro schluckte. „Ein paar Jahre.“ „Jahre? Aber du bist doch jetzt erst...“ „Bitte sprich es nicht aus, bitte nicht!“ Hiro schluchzte und verkrampfte sich. Ryu strich über seine Schulter, aber Hiro stieß ihn weg. „Was musst du jetzt nur von uns denken… das ist furchtbar und abstoßend.“ Ryu begann zu verstehen. „Deswegen hattest du so angst, dass ich dir zu nahe komme. Deswegen warst du auch so wütend, als ich dir so nahe kam an dem Abend.“ Hiro stand noch immer mit dem Rücken zu ihm. „Ich wollte es dir zeigen, bevor du es selbst entdeckst. Ich hab aber zu viel Angst gehabt, dass du mich dann abstoßend findest und...“ „Nein, Hiro. Ganz im Gegenteil.“ Ryu ging einen Schritt vor, stand nun direkt hinter Hiro, berührte ihn aber nicht. „Ich habe das Gefühl, ich verstehe dich jetzt besser.“ Sein Herz pochte, als Hiro nach seinen Händen tastete. „Bleibst du bei mir?“ Ryu wusste, dass es dumm war, Er wusste, dass sein Leben davon abhing. Aber trotzdem, nie zuvor war er sich einer Sache so Sicher gewesen wie in diesem Augenblick. „Ja, ich bleibe.“ Er ließ eine Hand los und strich Hiro vorsichtig über den Rücken. Er zuckte kurz zusammen. „Ich tu dir nicht weh.“ „Ich weiß.“ Ryu trat noch einen Schritt näher und küsste Hiro im Nacken. Dann ließ er seine andere Hand los und umarmte ihn. „Vertraust du mir?“ Hiro nickte. Ryu fasste ihn an der Schulter und drehte ihn zu sich. Hiro ging auf die Zehenspitzen und küsste ihn, erst zögerlich, dann immer gefühlvoller. „Bleibst du heute Nacht bei mir?“ fragte Ryu. Hiro sah ihm fest in die Augen. „Ja.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Pryxer
2015-07-28T20:56:22+00:00 28.07.2015 22:56
Ich verfolg die Story schon seit einiger Zeit und hab sie letztens wiederentdeckt. Wirklich klasse Idee und gut geschrieben!!:)
Von:  SasuLaw25
2015-04-07T10:30:33+00:00 07.04.2015 12:30
Ich bin mit Niii einer Meinung die Story ist toll und freue mich darauf zu erfahren wie es weiter geht
Lg SasuLaw25
Von:  Niii
2015-04-05T09:12:13+00:00 05.04.2015 11:12
ich kann garnicht verstehen, warum hier bisher noch keine kommentare sind. ich finde die story gut! es ist sehr spannend und ich mag die charaktere richtig gerne. kann es kaum erwarten zu erfahren, wie es weitergeht!
lg niii


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