Hands

Hands ~ an Alvin x Jude oneshot ~

Trigleph bei Nacht. Trigleph bei Nacht war anders als Fenmont. Es wirkte bedrohlich und fremd, verängstigend und unruhig. Fenmont war nicht so. Fenmont hatte trotz seiner kontinuierlichen Finsternis etwas Warmes und Beruhigendes an sich. Etwas Vertrauliches.
 

Nachdenklich stand Jude am Fenster und starrte hinaus. Es war ruhig in dem Haus. In Gedanken durchlebte er noch einmal den ganzen Tag. Dabei blieb er immer wieder an dem Gespräch hängen, welches er nachmittags mit Elize, Teepo, Leia und Rowen geführt hatte. Geistesabwesend strich Jude mit den Fingern über seine Hände. Sie waren über die letzten Monate wirklich rau und brüchig geworden. An manchen Stellen konnte man ein paar kleine Narben erkennen, nicht mehr als ein Strich mit einem Bleistift.

In Fenmont war das nicht so gewesen. Als Jude noch ein gewöhnlicher Student und noch nicht Staatsfeind Nummer 1 war, hatten sich seine Hände anders angefühlt. Manche Patienten – meistens ältere Frauen – hatten ihn sogar für seine sanften Hände gelobt. Damals hatte er sich noch nicht viel dabei gedacht. Damals dachte er, es seien einfach nur ganz normale Hände.

Es war wirklich Ironie; sein einziger Traum war es, Arzt zu werden. Doch welcher Patient würde sich gerne von solch rauen Händen behandeln lassen?
 

Tief in seine Gedanken verstrickt bemerkte Jude nicht, wie sich die Zimmertür öffnete. Im Türrahmen erschien sein braunhaariger Gefährte. „Hey Kleiner, das Essen ist fertig!“ Alvin – auf seinem Rundgang, alle zum Essen zu holen – hatte sich bereits wieder umgedreht und die Tür fast zugezogen, als ihm auffiel, dass er keine Antwort erhielt. Ein weiteres Mal öffnete er die Tür und streckte den Kopf ins Zimmer. „Kleiner?! Hörst du mich?“ Einen Moment verharrte der Braunhaarige so, ehe er in das Zimmer trat und die Tür hinter sich zuzog. Noch immer reagierte Jude nicht, starrte gedankenversunken aus dem Fenster und strich über seine Hand.
 

Alvin betrachtete den Jungen von hinten. Er hatte in der kurzen Zeit, in der sie zusammen durch die Welt gereist sind, wirklich eine große Wandlung vollzogen. Als Alvin ihn das erste Mal gesehen hatte, wollte Jude zwar stark wirken, doch Alvin hatte ihn schnell durchschaut; er hatte sehr schnell die Einsamkeit und Angst in den Augen des Schwarzhaarigen erkennen können. Inzwischen hatte sich sein Blick gefestigt und Jude hatte seinen Weg gefunden. Nur noch sehr selten hatte der Söldner Unsicherheit und Angst in den bernsteinfarbigen Augen aufblitzen sehen. In Judes klaren und wunderschönen Augen...

Sofort schüttelte Alvin den Kopf. Die Anwesenheit des Schwarzhaarigen hatte in letzter Zeit einen seltsamen Einfluss auf ihn. Doch bevor auch Alvin sich in seine eigene Welt verlieren konnte, trat er direkt neben Jude. Wie gewöhnlich legte er den Arm um ihn und zog den Kleineren nah an sich heran. Dieser zuckte vor Schreck zusammen und taumelte gegen die Brust des Größeren. „Es gibt Essen, Jude~“, säuselte Alvin in sein Ohr.
 

„A-Alvin! Seit wann bist du hier?!“ Mit großen Augen sah Jude zu seinem Gefährten auf. Dieser erhaschte einen direkten Blick in Judes Augen. Für einen kurzen Moment glaubte er, etwas in diesen aufflackern zu sehen.

Doch so schnell, wie er es sehen konnte, schien es auch wieder verschwunden zu sein. Stattdessen legte sich ein leichtes Lächeln auf Judes Lippen.
 

„Tut mir Leid, ich hab dich nicht kommen hören.“, sagte er und drückte sich von Alvin weg. Die Hände hinter seinem Rücken versteckend, wich Jude einen Schritt zurück. „Ich.. Komme gleich. Ich muss nur noch kurz etwas erledigen.“ Den Blick auf den Boden gerichtet wartete Jude darauf, dass Alvin sich mit einem kecken Kommentar verabschieden würde. Als dieser jedoch nicht reagierte, blickte der Junge überrascht auf. „Alvin?“

Der Braunhaarige stand regungslos da und machte keine Anstalten, so schnell zu gehen. Als er sprach, hatte seine Stimme einen anderen Klang als sonst. Nur selten hatte Jude diesen Klang in Alvins Stimme vernommen. „Alles in Ordnung mit dir, Kleiner?“ Seine Stimme hatte einen ruhigen, sanften und zugleich auch besorgten Klang angenommen. Ein wohliges Kribbeln breitete sich in Judes Magengegend aus. „Natürlich. Ich war nur gerade in Gedanken, das ist alles.“ Unbewusst umklammerte er sein Handgelenk mit seiner Hand und wich dem Blick des Älteren erneut aus, einen Punkt an der Wand fixierend.
 

Alvin entging das Verhalten von Jude nicht, auch nicht, wie unsicher das kleine Lächeln auf seinen Lippen war. „Du müsstest doch inzwischen wissen, dass du mich nicht so einfach loswerden kannst.“, witzelte er halbherzig. Als er dafür von Jude nur ein geistesabwesendes Grinsen erhielt, trat er auf den Jungen zu und handelte instinktiv; er schlang einen Arm um die schmale Taille, um ihn davon abzuhalten, erneut zurückzuweichen. Seine freie Hand legte er unter Judes Kinn und zog dessen Kopf sanft aber bestimmt in seine Richtung, sodass er ihm endlich wieder in die Augen sehen konnte.

Noch bevor Jude realisieren konnte, was um ihn herum geschah, hatte er den Augenkontakt mit Alvin wieder hergestellt. In genau diesem Augenblick konnte Alvin es wieder sehen, noch deutlicher als zuvor. Dieselben Emotionen, wie er sie ganz zu Beginn ihrer gemeinsamen Reise bei dem Teenager hatte erkennen können; Unsicherheit, Angst, Einsamkeit.

Unbewusst drückte Alvin Jude etwas näher an sich, was einen roten Schimmer auf die Wangen des Schwarzhaarigen brachte. Wie schon so oft machte sich auch jetzt wieder ein für Alvin fremdes Gefühl in ihm breit; mit einem Mal konnte er nur noch daran denken, Jude zu beschützen. Ihn vor dieser Welt und den Menschen zu beschützen, vor all dem Leid und all dem Schmerz. Er wollte ihm seine Angst nehmen, ihm Zuversicht und einen festen Platz im Leben schenken. So wie Jude es manches Mal schon bei ihm gemacht hatte.
 

„Was ist passiert, Jude?“
 

Der Jüngere sah ihm noch immer wie erstarrt in die Augen. Erst Alvins Worte schienen ihn zurück in die Realität zu holen. Seine Augen bewegten sich etwas zur Seite, ganz konnte er den Blick jedoch nicht mehr abwenden. Für einen Moment schien er noch mit sich zu ringen, dann ertönte leise seine Stimme. „Ich hab nur über meine Hände nachgedacht...“ „Deine Hände?“ Verwirrt lockerte er den Griff an Judes Kinn und den um seine Taille etwas. Judes Blick glitt sofort auf den Boden, er trat jedoch nicht mehr zurück.
 

„Heute habe ich mit den Anderen über meine Hände geredet..“ Die Worte kamen ihm zuerst nur schwer über die Lippen, doch sobald er angefangen hatte, ließ er sie einfach fließen. „Darüber, dass sie unter den vielen Kämpfen stark gelitten haben. Sie sind brüchig und rau. So sehr, dass ich es nicht einmal mehr wage, ohne meine Handschuhe raus zu gehen.“ Seine Hand umklammerte wieder sein Handgelenk und Alvin konnte deutlich erkennen, dass er sich stark bemühen musste, nicht die Kontrolle über seine Stimme zu verlieren. „Eigentlich wollte ich Arzt werden. Aber.. mit diesen rauen Händen kann ich unmöglich jemanden behandeln, geschweige denn heilen.“ „Jude...“ „Das ist wahrscheinlich sowieso alles unwichtig, wer weiß, ob ich überhaupt noch die Chance dafür bekomme, Arzt zu werden.. Aber selbst wenn, glaube ich nicht, dass sich jemand wohl fühlen würde, wenn ich ihn behandeln würde...“
 

Langsam glitt Alvins Hand von Judes Rücken zurück. „D-das klingt sicher total komisch... ich weiß nur gerade nicht mehr so genau, welches der Weg ist, den ich gehen muss.“ Langsam, beinahe wie in Zeitlupe, wanderte Alvins Hand zu Judes. Zaghaft, beinahe so, als könnte sie sonst zerbrechen, umgriff er sie und zog sie etwas zu sich heran. „Alvin! Was machst du da?“

Ohne auf die Worte des Jüngeren einzugehen, betrachtete er die Hand, die er sanft aber bestimmt festhielt. „L-lass das, Alvin..“ Sanft fuhr er mit seinen Fingern über den Handrücken, zog kleine Linien über die Knöchel und fuhr die hauchzarten Narben nach. „Alvin, hör auf...“ Als er den Blick von Judes Händen nahm und dem Jüngeren wieder in die Augen sah, konnte er sich nicht mehr sicher sein, was er darin lesen konnte. Noch immer hielt er Judes Hand fest und fuhr sanft über dessen Handrücken.
 

Nach wenigen Sekunden des Schweigens zog Alvin Judes Hand näher heran und führte sie an seinen Mund heran. Im nächsten Moment schien die Zeit still zu stehen; der Kuss war kurz und sanft. Dennoch fühlten sich seine Lippen danach an, als würden sie brennen.

Bestimmt blickte er Jude in die Augen. „Sie sind weich.“ Judes Augen wurden noch größer als zuvor schon und der rote Schatten auf seinen Wangen verdunkelte sich. Den Griff um seine Hand etwas verstärkend fuhr Alvin fort. „Sie mögen zwar vom Kampf gezeichnet sein, doch sie strahlen dasselbe aus wie du..“ Ein weiteres Mal zog er die Hand an seine Lippen und küsste sie erneut; dieses Mal etwas länger. „Sie sind weich und wunderschön.“
 

Erneut legte sich eine Stille über die Beiden. Wann war Alvin dem Jungen nur so nah gekommen? Er konnte förmlich sehen, wie ihm die Luft wegblieb, konnte all die verschiedenen Emotionen in seinen Augen sehen. Seine Hände schienen leicht zu zittern – oder waren es am Ende etwa Alvins Hände, die zitterten? Sein Herz trommelte laut in seinem Brustkorb – oder war das am Ende Judes Herz, das er so laut schlagen hören konnte?

Die Augen des Braunhaarigen glitten von Judes wunderschönen Augen zu seinen Lippen; diese weichen, unberührten Lippen. Wie sich wohl seine Lippen anfühlen würden?

Seine freie Hand legte sich sanft auf die Wange des Jüngeren und langsam kam er ihm näher. Dieser erstarrte, wich jedoch nicht zurück. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn von Judes Lippen. Er konnte bereits seinen Atem auf seinen eigenen Lippen spüren.
 

Als Alvin kurz davor war, die Distanz zwischen den beiden endgültig zu schließen, wurde plötzlich die Zimmertür aufgerissen. „Juuuu~deee~!!!“ Leias schrille Stimme durchbrach die Stille wie ein Blitz. Mit einem Mal realisierten sowohl Alvin, als auch Jude, in was für einer Situation sie sich befanden. Blitzschnell zog Jude seine Hand aus Alvins Griff und rutschte etwas zurück. Mit hochrotem Kopf sah er zur Tür. „Leia, w-w-was machst du hier?!“, stammelte er, bemüht darum, seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen. „Was mach ich hier? Ich hol dich ab! Es gibt Essen! Balan wartet schon ganz ungeduldig auf dich! Weißt du, wo Alvin--“ Erst jetzt bemerkte sie Alvin in dem dunklen Zimmer. „Da bist du ja! Alvin, du solltest doch alle holen, was hast du denn die ganze Zeit hier drin gemacht?“ Kurz sah sie zwischen den beiden hin und her. „Was habt ihr gemacht? Irgendwie herrscht hier eine seltsame Atmosphäre.. Habt ihr euch etwa gestritten? Oder habt ihr über Männerzeugs geredet?“
 

Neugierig schob sich Leia näher an Jude heran und beäugte diesen aufmerksam. „Du bist ja ganz rot im Gesicht, Jude! Geht's dir nicht gut?“ Sie wollte bereits eine Hand auf seine Stirn legen, als der Schwarzhaarige zur Seite wich. Hektisch griff er nach seinen Handschuhen und lief zur Tür hinaus.

„Jude!“ Ratlos blickte sie ihm nach. „Was war denn das?“
 

Mit klopfendem Herz sah Alvin Jude nach. Nur langsam realisierte er, was er gerade tun wollte. Er konnte spüren, wie ihm warm im Gesicht und in der Magengegend wurde. Die Hand auf seine Brust legend, wusste Alvin augenblicklich, was mit ihm geschehen war. Mit einem Schlag ergaben all seine Gedanken und all seine Taten Sinn. Jetzt wusste er, wieso er immer so gebannt von dem Schwarzhaarigen war, wieso er sich immer für den Jüngeren in Gefahr begab, und wieso ihm nichts wichtiger war, als am Abend Judes Lächeln zu sehen.