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Das Lied im Automaten

von

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Geschichtsstunde

Was Erfline im nächsten Augenblick erblickte, erreichte wohl die Zeit, die sie bisher gelebte hatte, nicht im Geringsten. Es fing alles dort an, wo etwas geendet hatte. Der Krieg, ein langwährender Krieg, von dem sie nur aus Geschichtsbüchern wusste, war gerade beendet. Die Elfen, welche von fortan eine tyrannisch anmutende Herrschaft aufbauen sollten, waren die glorreichen Sieger. Sie beobachtete, wie Zerstörtes wieder aufgebaut wurde.

Und die Abgrenzung, die sie selbst nicht mehr ertragen konnte, wie sie begann. Es hatte sich nicht einmal langsam nach und nach entwickelt, die Waffen wurden beiseite gelegt und an deren Stelle wurde dieser Hass gelegt. Sie schluckte, während sie die Szene vor sich beobachtete. Sie änderte sich rasant, doch Bilder, Schnappschüssen nicht unähnlich, brannten sich in ihren Kopf ein. Sie konnte kaum fassen, wie diese Anfänge aussahen, auch wenn sie von ihnen so oft gelesen hatte. Man hatte es ihr beinahe täglich vorgebetet, durchgekaut. Diese Mischlinge, Bastarde waren es nicht wert. Diese Wesen waren unnütz.

Sie sah zum ersten Mal die Emotionen, welche hinter diesen Worten gesteckt hatten. Es war schrecklich. Sie sah Tränen, echte und ehrliche Trauer, berechtigte Wut. Sie wusste nicht, wie weit das Geflecht der Lügen in ihrem Dorf, in ihrem System reichte. Es war keine Frage, ob sie diese Lügen weiter würde ertragen können, denn Wahrheit war nun das Einzige, wonach sie dürstete. Sie hatte keine Ahnung, warum und wieso ausgerechnet jetzt, doch es war ganz deutlich in ihrem Kopf.

Sie schien aus dem Schlaf erwacht zu sein, welcher sie in all den Jahren gefangen gehalten hatte. Doch sie wusste einfach nicht, ob das reichte, um für die Wahrheit, die ganze Wahrheit bereit zu sein. Sie konnte einfach keine Begründung finden, die es ihr rechtfertigen würde, die Wahrheit zu erfahren. Dennoch blickte sie stur geradeaus, auf dieses Szenario, welches sich ihr bot. Sie erblickte eine Gestalt, die sie nur aus Büchern gekannt hatte, nun ganz deutlich in dem Gedränge der Stadt, über der sie momentan schwebte.

Sie wusste ganz genau, wo sie nun war. Die alte Hauptstadt, welche sich an der Küste finden lassen ließ, war ganz in der Nähe, dies war der Ort, wo die größten Persönlichkeiten der elfischen Geschichte ihren Platz fanden. Die Namen alter Könige schwebten vor ihrem inneren Auge, die langen Jahrzehnte, die sie regiert hatten und schließlich auch das Werk, welches sie vollbracht hatten. Die Person, auf welcher ihr Augenmerk momentan lag, war die größte Persönlichkeit in der ganzen, langen Geschichte der Elfen.

Daie, welcher der gefeierte Held mehrerer Jahrtausende war. Der glorreiche Sieger aus der erbitterten Schlacht um Land zwischen den Menschen und den Elfen, der einzige Zwist der damaligen Zeit, der wirklich Aufmerksamkeit erregt hätte. Die Rebellen wurden damals wieder unter Kontrolle gebracht, viele Jahre nach dem schrecklichsten aller Kriege zwischen den innerartischen Streitpartien. Und derjenige, der sie unter Kontrolle gebracht hatte, war Daie, der reinblütige Anführer.

Ihr erschauderte, als sie zum ersten Mal wirklich sein Gesicht erblicken konnte. Es war fein, es wirkte fast so zerbrechlich wie das einer Puppe. Dennoch war es markant und wirkte ernst, erhaben. Sein schönes Gesicht wurde von dunklen Haaren umrahmt, die vom Winde sanft verweht wirkten. Dunkle Augen krönten diese Schönheit und das Mysteriöse, welches der Elf ausstrahlte. Erfline stockte der Atem, und sie zwang sich, für einen Moment wegzusehen. Er hatte stechende, hypnotisierende, aber wunderschöne Augen und sie drohte, sich selbst in ihnen zu verlieren.

Als sie wieder hinsah, war die Prozedur um den Elfen schon wieder weg. Sie sah sich hektisch um, hatte sie sie verpasst, verloren oder was auch immer? Während sie mit ihrem Körper, der nicht viel mehr war als ein Geist, über die ehemalige Hauptstadt flog, dachte sie noch einmal darüber nach, was sie über diesen Elfen wusste. Daie war der reinblütige Elf, welcher den Sieg über die Menschen errungen hatte und der erste reinblütige ihrer Art, welcher sich in die Belange der Elfen eingemischt hatte. Er läutete die Ära der wahren Herrscher ein, wie man sie in den Büchern nun nannte. Während dieser Zeit waren selbst die Rebellen zahme Wesen gewesen, die bereitwillig all die niedere Arbeit verrichteten, die man ihnen auftrug.

Auch wenn die Realität anders aussah.

Auf der Suche nach dem reinblütigen Elf begegnete sie vielen Bauern, deren Eigenarten sie sofort wieder erkannte. An einigen Stellen, wo blasse Haut sein sollte, befanden sich Tierfelle jeder Art oder sie besaßen Tierohren, zu schmale Augen oder was auch immer einem einfallen wollte, was nicht dem Idealbild entsprach. Sie verrichteten alle Feldarbeit, doch sie sahen nicht glücklich aus. Ihre Augen waren stumpf, sie wirkten wie Roboter. Sie hatte in den letzten Tagen gesehen, was es hieß, Spaß bei der Arbeit zu haben, denn auch die momentanen Rebellen hatten Felder beackert. Sie sahen anders aus.

Sie schluckte, ignorierte die Bauern nun aber weitesgehend. Es würde nicht die einzige Lüge sein, die sie heute aufdecken würde. Also suchte sie nun die Straßen der chaotischen Stadt, welche von einer lapidaren Mauer zusammengehalten wurde, nach dem Elfen ab. Es war eigentlich nicht das Problem, einen reinblütigen zu finden, sofern man selbst ein Elf war. Die Aura von dieser besonderen Art Elfen war eben dominant, doch sie spürte keine, nicht in dieser Gestalt, in der sie eigentlich nichts war.

Aber eigentlich sollten sich auch immer Elfentrauben bilden, egal, wohin er ging. Nach diesen hielt sie nun also Ausschau, doch auch dies schien keinen Erfolg zu besitzen. Als wieder ein Zeitraffer einsetzte, war sie wirklich verzweifelt. Sie war noch nicht bereit, zu gehen, es gab noch mindestens eine Sache, über die sie Gewissheit haben musste. Aber die Elfen, welche sich in der Stadt befanden, bewegten sich schneller, ruckartiger. Der Himmel flimmerte mehr, als dass er seine Farben wechselte. Sie sah sich um, sah hier und da, doch die Zeit floss zu schnell, als dass sie irgendetwas erkennen konnte. Und dann war die Zeit auch schon herum, sie befand sich in einer anderen Periode. Sie erkannte die Trümmer der Stadt, welche sie einst gebildet hatte, wieder.

Dies war der Untergang des reinblütigen Geschlechtes gewesen, so jedenfalls hieß es in den Geschichtsbüchern. Mit Daie zogen sich all die anderen reinblütigen Elfen – es waren ungefähr 5 an der Zahl gewesen – in ihren Heimatwald, Efarnia, zurück. So jedenfalls erzählte man sich, als auf einmal Daie mitsamt der herrschenden Schicht verschwand. Man wusste nicht, was wirklich geschehen war, doch an einen Tod wollte und konnte niemand glauben.

Und danach brach das Imperium der Elfen erstmalig zusammen. Die Bauern, die ehemaligen und heutigen Rebellen, rotteten sich zu einer Revolution zusammen. Erst sah es gut für sie aus, doch dann brachen auch sie unter der Mehrheit der Elfen zusammen. Die sogenannte zweite Periode der Erziehung fing an, doch dies war reine Schönredung, Umschreibung. So viel hatte auch Erfline noch gewusst, denn das, was die Bücher ihr versuchten, zu erzählen, klang viel zu künstlich.

Es dauerte danach nicht mehr lange, bis ein weiterer Aufstand erfolgen sollte. Und dieser war derjenige, welcher einen König an die Macht gelassen hatte, der bis heute die Zügel in der Hand hielt.
 

Futave hatte keine Ahnung, wie er an diesen Ort gekommen war. Die Bilder, welche ihn förmlich in diesem Ort überflutet hatten, waren das Einzige, was er von seiner Umgebung wahrnehmen konnte. Oder war da wirklich diese Schwärze hinter den Rändern der Bilder, hinter dieser Begrenztheit? Er wusste es nicht. Doch er fühlte sich so, als ob er schweben würde. Jeder Versuch aber, sich dessen zu vergewissern, wurde von den Bildern vereitelt, welche ihm scheinbar direkt auf die Netzhaut eingebrannt wurden.

Er schloss die Augen, um sich von der anstrengenden Qual all der Emotionen zu erholen, der einzige Ausweg in die Schwärze. Er beruhigte seinen Atem, von dem er nicht einmal gespürt hatte, wie er schneller geworden war, inmitten der Dunkelheit, die ihn nun umgab. Er öffnete dann die Augen, bereit für die Flut der Bilder, die er nicht einmal richtig identifizieren konnte. Dennoch fühlte er sich unendlich traurig, als wäre alles, was er gesehen hatte, von unendlicher Trauer.

Doch die Szene, welche sich nun vor ihm erstreckte, war ganz anders. Ein kleiner, dämmriger, von Kerzenlicht erleuchteter Raum war das, was er sah. Und die Rebellen. Eng zusammengequetscht saßen sie auf provisorischen Stühlen, Tischen, Bänken. Die Gesichter wirkten angespannt und waren alle zu einer Person am anderen Ende des Raumes gerichtet, welche sich nur in Ansätzen von den anderen Rebellen unterschied. Ein Mann, welcher ein grimmig entschlossenes Gesicht zur Schau trug, konzentrierte die Aufmerksamkeit aller auf sich.

Er erinnerte Futave an jemanden, doch er wollte sich zuerst nicht daran erinnern, wer es war. Als die Stimme jedoch erschall, wurde es ihm mit einem Mal wieder bewusst. Dies war der Anführer der Rebellen, bevor seine Tochter, die momentane Anführerin, seinen Platz eingenommen hatte. Er besaß keinen Namen, zumindest keiner, mit dem er wirklich assoziiert werden konnte. Man nannte ihn einfach nur Syk, kurz und bündig. Ob das nun der Realität entsprach, war nicht wichtig.

„Was planst du?“, ertönte dann eine Stimme von irgendwoher im Raum.

„Ich?“ Die dröhnende Stimme Syks drang bis tief in die Herzen vor, auch wenn sie ruppig klang. „Ich werde euch allen Würde zurückgeben!“ Es war einfach nur ein Versprechen, ein Satz ohne wirklichen Hintergrund. Es klang nicht einmal wirklich seriös, doch die Rebellen vertrauten dieser Stimme, welche ihre sehnlichsten Wünsche aussprach. Und auch Futave würde dieser Stimme glauben, vermutete er. Sie lullte jeden ein, denn auch er wünschte sich nichts weiter, als dass er es wirklich erfüllen könnte. Doch er wusste, wie die Geschichte ausging.

Der Schlachtplan wurde diese Nacht geschmiedet, wie es später in den Chroniken der Rebellen überliefert werden sollte. Darin wurden die Daten der Rebellen auf ein Flugblatt versammelt, um zu zeigen, dass sie wieder erstarkt worden sind. Alle Dörfer der Elfen wurden an einem Tag mit diesen Blättern regelrecht beworfen. Dies war der erste Auftakt gewesen.

Die Szene änderte sich wieder, er sah nun wirklich die Blätter, welche im Wind tanzten. Dieses Ereignis kannte er nur aus Geschichtsbüchern, und für einen Moment dachte er nur, wie schön das war. Da jedoch erblickte er die empörten Gesichter und der Ernst kehrte auf sein Gesicht zurück. Auf diesem Schlag folgte ein zweiter, Sabotage, Behinderung. Man konnte sich damals im Elfendorf nicht sicher fühlen, doch gleichzeitig wusste er auch von dem Leid, welches er an diesem anderen, finsteren Ort in Bildern verpackt gesehen hatte. Die Rebellen hatten allen Grund, wütend zu sein.

Die entscheidene Schlacht dauerte wirklich nur sehr, sehr kurz an. Er sah auch kaum den König, welcher zu dieser Zeit regierte. Doch wann immer er in zwischen all den Fetzen sah, er sah einen Schatten über einen Elfen schweben, der in seiner Nähe war. Futave erkannte den jungen König von seiner eigenen Zeit kaum wieder, sah er viel gewitzter und frecher aus als er heute wirkte. Er beriet den König scheinbar genauso wie die Familie von Erfline es seit Generationen tat.

Aber eigentlich waren diese die einzigen gewesen, die den König beraten durften. Futave schwante Böses, als dann wieder eine Szene der Rebellen die aktuelle unterbrach. War dieser Junge wirklich dazu im Stande...? Er hoffte es nicht, doch es wirkte so. Auf einmal ergab der plötzliche Krieg, den der eigentlich recht sanftmütige König anzettelte, Sinn. Doch es blieben noch so viele Ungereimtheiten in dieser Zeit, aber es blieb ihm selbst keine Zeit mehr. Die Rebellen fielen und zogen sich zurück, verletzt und mit nichts, was ihnen noch blieb.

In diesem Chaos war noch eine starke, junge Frau, die das Zepter an ihre Hand nahm. Auf der anderen Seite geschah auch ein Machtwechsel, denn der alte König war in den Heerscharen gefallen. Und ein Detail hatte Futave gesehen, als würde diese ganze Zeitreise ihn nur auf dieses Detail hätte aufmerksam machen wollen. Ein kleiner Wink von Magie schien einen der Pfeile direkt in das Herz des alten Königs zu dirigieren.

Er konnte die Taten, die der Nachfolger des alten Königs, der alles vermutlich besser gemacht hätte, nicht mit ansehen. Die Taten, die in den Büchern kein Wort fanden. Es waren teilweise die ihm schon bekannten Gräuel, die der König inszenierte, dann aber auch wieder gute Handlungen, zumindest für die Elfen. Er bereinigte das Land insofern, dass er alle Rebellen vertrieben ließ. Etwas, was nicht einmal der grausamste Herrscher vor ihm gewagt hatte.

Dann wurde alles schwarz und schwarz, weiß und weiß.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2016-01-17T15:36:06+00:00 17.01.2016 16:36
Hä? Wie kommt denn jetzt Futave auch noch mit in diese Zeitreise rein? Jetzt bin ich endgültig verwirrt. Kriegt er die Bilder durch Erfline mit, weil er mit ihr verbunden ist?

Jetzt bin ich aber echt gespannt, wie die beiden Aura´s, Faure Morins kleiner Junge, und der Kollege da, der gern ein Elf sein will, im letzten Kapitel alle zusammenpassen sollen. Derzeit seh ich immer noch einen großen Haufen Puzzleteile, die ich nicht zusammengesetzt kriege.

... Und was ist mit Feliff, verdammt!? >_< *wissen will und Angst um ihn hab* Wehe, der stirbt, dann geh ich heulen!


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