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Zwischen den Fronten

RusAme
von

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Moskau

Anders als in der vergangenen Nacht schief Amerika ruhig und ungestört. Zumindest bis zum Morgen, denn als es zu dämmern begann, rüttelte das erste Mal jemand an seiner Schulter – erfolglos. Er bekam es im Tiefschlaf nicht einmal mit. Danach herrschte eine Zeit lang Ruhe, bis wenig später leises Klappern erklang. Dann wurde ihm über den Kopf gewuschelt und erneut an der Schulter gerüttelt, nun schon etwas aufdringlicher. Er bemerkte es, ignorierte jedoch, um noch etwas länger in seinem Dämmerzustand bleiben zu können. Selbst die Stimme blendete er aus und driftete wieder ab. Erst als er weitere Berührungen spürte und ihm eine brennende Flüssigkeit den Rachen hinab floss, meldeten sich seine Überlebensinstinkte. Er riss die Augen auf, ohne seine Situation sofort erfassen zu können.

„Trink“, befahl Russlands freundliche Stimme in sein Ohr und eines der ersten Dinge, die Amerika realisierte, war die düstere Aura, die von der großen Nation ausging. Wie auch immer es dazu gekommen war, er lehnte offenbar mit dem Hinterkopf an Russland, während dieser eine Hand über seiner Stirn liegen hatte und ihn festhielt. Dabei flößte ihm sein gruseliger Verbündeter diese Flüssigkeit ein… Gurgelnd protestierte Amerika, doch seine Bemühungen zur Gegenwehr brachten gegen Russlands Stärke rein gar nichts, sodass er schließlich gehorchte. Er schluckte und schluckte und schluckte, während seine Wangen sich röteten und er sich benommen zu fühlen begann. Sein Herz raste durch den Schrecken, mit dem er sich konfrontiert sah. Als das Glas seine Lippen verließ, keuchte er leise, rührte sich jedoch nicht, obgleich der Griff nachließ.

„Russland…“, murmelte er benommen. „Was war das?“

„Vodka!“, lautete die fröhliche Antwort, während Amerika sich wankend aus dem Bett hievte und zu einem der Stühle vor dem Fenster torkelte. „Bist du jetzt wach?“

Nur kurz streifte sein unscharfer Blick die halbleere Flasche, bevor er einfach zur Seite wegsackte und auf dem harten Fußboden liegen blieb, nicht verstehend, was so eben passiert war. Das Einzige, was er spürte, war, dass ihm immer heißer wurde.

„Amerika? Geht es dir gut?“, erkundigte Russland sich unbedarft mit einem sanften Rütteln an seiner Schulter.

„Ich muss kotzen“, flüsterte der Blonde, während sich seine Atmung beschleunigte. Russland tätschelte ihm lächelnd über den Kopf.

„Wenn du hier drinnen kotzt, bringe ich dich um.“

Ein Schauer jagte Amerika über den zitternden Leib, doch er konnte nicht einordnen, ob er von der Drohung verursacht wurde, oder von dem Ausnahmezustand, in dem sein Körper sich befand. Mühsam rappelte er sich auf, die Übelkeit mit aller Willenskraft unterdrückt, und torkelte auf die Tür zu. Irgendwie, ganz egal wie, musste er hier raus kommen, bevor es zu spät war. Vor der Tür zum Flur wäre er ein weiteres Mal umgekippt, doch zu seiner Überraschung hielt Russland ihn aufrecht und stützte ihn bis vor die Haustür, wo er sich halbnackt auf allen Vieren in den Schnee sinken ließ und inmitten von zweistelligen Minustemperaturen jegliche Beherrschung verlor. Erst als der Würgereiz nachließ, begann er schlagartig die unglaubliche Kälte zu spüren und zitterte wie am Boden festgefroren. Wieder war es Russland, der ihm lächelnd unter die Arme griff und ihn zurück ins warme Haus zog.

„Du wirst dich noch erkälten“, bemerkte sein Begleiter vorwurfsvoll.

„W-Wessen Schuld ist das wohl?!“, fuhr Amerika ihn mit hochrotem Kopf an. Unter höchster Konzentration, um nicht wieder umzukippen, stiefelte er wankend zurück in den Wohn-Schlafraum.

„Ach, sag doch sowas nicht…“, lenkte Russland enttäuscht ein. „Ich habe nur versucht, dich zu wecken. Ganz freundlich…“

Mühsam auf den Tisch gestützt warf Amerika dem Größeren einen Todesblick zu. Er sah so grauenhaft aus wie er sich fühlte.

„Warst du mit deinen Wahrnehmungsstörungen schon beim Arzt?“, grummelte der Blonde. „Wozu musst du mir Alkohol einflößen, um mich zu wecken, verdammt?“

Schulterzuckend grinste Russland breit.

„Alles andere hat nichts gebracht, aber jetzt bist du ja wach und wir können endlich los.“

Stöhnend ließ Amerika sich auf den Stuhl sinken und stützte den Kopf auf. Er fühlte sich elend und nicht nach einem sofortigen Aufbruch. Andererseits hatte er den gesamten Vodka ausgekotzt, also würde es vermutlich nicht lange dauern, bis er sich besser fühlen würde… Einen minimalen Blick warf er Russland zu, der mit den Händen hinter dem Rücken lächelnd dort stand und bereits die ganze Zeit über schon Mantel und Schuhe trug - es anscheinend gar nicht erwarten konnte, aufzubrechen. Amerika senkte den Blick, das Gesicht in den Händen verborgen.

„Wir können bald los“, murmelte er. „Ich gebe mir Mühe. Sorry, dass ich dich aufhalte…“

„Mhm, ich hol dir was zu essen!“

Obwohl der Blonde seinen Ohren kaum glauben wollte, hob er nicht den Kopf, als Russland den Raum verließ und in die Küche stiefelte. Leise seufzend verschränkte er die Arme auf dem Tisch und ließ seine Stirn darauf sinken.

„War das eine Art von Hilferuf?“, murmelte er vor sich hin. „Ich schlafe hier seelenruhig, während er unter Kriegsfolgen leidet und meinetwegen kaum voran kommt… Er hat ein Recht darauf, sauer zu sein... Schließlich hätte er mich auch zurücklassen können…“

„Geht es dir immer noch schlecht?“

Ruckartig schoss Amerikas Kopf in die Höhe, was er aufgrund der Schmerzen und des Schwindels sofort bereute. Russland stellte ihm lächelnd einen Teller Eintopf hin und setzte sich. Sein Gemurmel konnte er unmöglich verstanden haben, weshalb Amerika ebenfalls mühsam ein kleines Lächeln zustande brachte.

„Geht schon wieder“, erwiderte er. „Aber mach das nicht nochmal. Ich gebe mir Mühe, nächstes Mal eher aufzuwachen.“

„Mhm“, bestätigte Russland und schob ihm mit einer deutlichen Aufforderung den Teller hin. „Ich erinnere dich morgen dran.“

„Danke, ich verzichte!“

Russland lächelte auf seine Ablehnung hin bloß, wie er es immer tat. Dennoch entging dem Blonden keineswegs, dass sein Gegenüber noch immer auf heißen Kohlen zu sitzen schien, weshalb er sich schließlich erhob und ankleidete. Noch während er damit beschäftigt war, machte Russland sich bereits auf dem Flur an etwas zu schaffen. Als er ebenfalls den Flur betrat, blickte Russland vor der Tür stehend lächelnd über seine Schulter, in der rechten Hand eines der langen Eisenrohre mit Wasserhahnkopf.

„Fertig?“

Stutzend nickte Amerika.

„Fertig“, brachte er heraus, bevor Russland die Tür aufstieß, seine Hand nahm und losmarschierte. Der Blonde ließ sich perplex mitziehen. Es stürmte nicht, doch nach einigen Metern registrierte er den unruhigen Wind, der durch die Wälder streifte, an deren Rand sie entlang gingen.

„Russland…“, begann Amerika, brach dann jedoch mit Blick auf das Eisenrohr ab. Sein Begleiter sah ihn aufmerksam an, bemerkte seinen Blick und hob die Waffe.

„Das hier?“, erkundigte Russland sich, seinen Blick dann wieder voraus richtend. „Nur ein weniger angenehmes Gefühl…“

Diese wenig aussagekräftige Erklärung nahm der Blonde hin, doch dem Schritttempo, das im Vergleich zum Vortag noch einiges an Geschwindigkeit zugenommen hatte, war er nicht gewachsen und keuchte bereits zwanzig Minuten später nach Luft, sodass Russland seine Hand losließ.

„Kannst du heute nicht mithalten, lasse ich dich wirklich zurück.“

Amerika starrte den graublonden Hinterkopf an, bemüht, aufzuholen, was ihm nicht gelang. Keine Belustigung und kein Tadel klang in Russlands Stimme mit. Es war eine reine Feststellung, ohne jegliche Böswilligkeit.

„Tut mir leid“, wehten Russlands Worte Amerika zu. „Ich muss die Stadt heute erreichen.“

Mit zwei kurzen Sprintschritten holte der Blonde auf und griff nach der Hand seines Mitstreiters, ohne diesem in das überraschte Gesicht zu sehen.

„Dich so ernst zu hören ist unheimlich“, erwiderte Amerika bloß. „Mach dir keine Sorgen, ich lasse nicht zu, dass du mich abhängst.“
 

Amerika gab alles, um sein Versprechen einzuhalten. Zwar war auch er harte Winter gewöhnt, doch nichts konnte jemanden auf die Strapazen eines ganztägigen Marsches durch die russische Wintereinöde vorbereiten. Ab und an, wenn er kurz vom Zusammenbrechen war, blieb Russland einige Minuten stehen, betrachtete den Schnee, redete mit einem Tier oder tat andere unwichtige Dinge, um ihm einen Augenblick Ruhe zu gönnen. Doch immer, wenn der Blonde bemerkte, dass sich die violetten Augen unruhig in die Ferne richteten, stand er auf und beendete seine Pause. Ganz gleich wie erschöpft er sein mochte, Russland war mindestens ebenso erschöpft, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Mit diesem Wissen konnte Amerika den Gedanken, ihm zur Last zu fallen, nicht ertragen.

Dennoch kam irgendwann, als es bereits dunkler zu werden begann, der Augenblick, in dem er glaubte, seine Beine nicht mehr spüren zu können. Kälte und Anstrengung schienen ihm den Rest geben zu wollen, sodass er versucht war, sich hinfallen zu lassen, nur um zu sehen, was passieren würde. Allerdings war der Augenblick, in dem ihm diese dummen Gedanken kamen, auch jener, in dem aus Russlands flottem Marsch plötzlich ein hastiges Laufen wurde.

Amerika blickte überrascht auf und obgleich seine Müdigkeit grenzenlos war, nahm er jedes Detail des wenig beruhigenden Bildes war. Russland, der eine Anhöhe hinauf lief, über der dunkle Rauchschwaden standen… Auch seine Schritte wurden schneller, als er sich die Schneemassen hinauf kämpfte.

„Russland-!“, rief er hilfesuchend, als sein Fuß wegrutschte. Doch der Größere stand bereits oben, ohne ihn im Geringsten zu beachten. Amerika fing sich ab, kraxelte weiter und blieb keuchend, vorne über gebeugt stehen.

„Meine Hauptstadt…“, drangen leise Worte an seine Ohren und ließen ihn innehalten. Er blickte auf, doch was den Anhang hinab vor ihnen lag, ließ ihm den Atem stocken. Es war eine riesige Stadt – eine Hauptstadt eben. Doch dunkle Rauchsäulen von bereits gelöschten Feuern, oder beinahe erstickten Flammen zogen sich durch das gesamte Bild. Hier und da loderte es gelblich hervor. Menschen liefen umher, löschten, waren verzweifelt, oder hatten bereits aufgegeben und saßen in Ecken. Dennoch waren es wenige, sehr wenige, sodass man die Stadt beinah als verlassen hätte bezeichnen können.

„Moskau…“

Der Anblick der größtenteils zerstörten Stadt bereitete Amerika ein schlechtes Gefühl, doch das Flüstern neben sich, brach ihm beinah das Herz – ganz besonders, weil er genau wusste, wer da so verletzlich den Namen seiner eigenen Hauptstadt flüsterte. Langsam wendete er den Kopf. Russlands Mund war vom Schal verdeckt, die Augen blickten von tiefer Trauer erfüllt auf das Chaos hinab. Doch das war nicht das Erste, was Amerikas fassungslosen Blick einfing. Es waren die gefrorene Tränenspur auf Russlands Wange. Im ersten Augenblick war er wie erstarrt. Es fühlte sich an, als habe sein Herz einen Schlag ausgesetzt – so furchtbar war dieser Anblick im Vergleich zu der verwüsteten Stadt.

„Verdammt, Russland!“, rief er wütend und packte die große Nation am Kragen. Der Schal verrutschte, als er ihn zu sich zog. Er sah die bebenden Lippen, doch die Augen richteten sich voller aufgewühlter Emotionen auf ihn.

„Reiß dich zusammen, zum Teufel nochmal!“, schrie Amerika ihn an. Insgeheim verfluchte er sich, denn er wusste genau, dass er ebenso am Boden zerstört gewesen wäre, hätte Washington D.C. in diesem Zustand vor ihm gelegen. Trotzdem wollte er Russland nicht so sehen! Ruckartig zog er ihn in seine Arme und hielt ihn fest.

„Der Kremlin steht noch“, redete er ihm in dem verzweifelten Versuch einer Aufmunterung zu. „Er sieht unversehrt aus, nicht wahr? Ich helfe dir beim Wiederaufbau deiner Hauptstadt, versprochen!“

Langsam spürte er Russland durchatmen und, wie er sich leicht gegen ihn lehnte.

„Ich wusste, dass es gebrannt hat“, sprach Russland in üblicher Tonlage in sein Ohr. „Es ist während der Versammlung passiert. Aber es zu sehen ist wirklich grausam... Es tut mehr weh, als jede Verletzung, die er mir hätte zufügen können.“

Der Blonde verharrte überrascht, als sein Verbündeter langsam die Arme hob und die Umarmung minimal erwiderte. Resignierend schloss er die Augen. Russland war nicht er selbst, aber wenn er sich erst erholt hatte, würde er es sicherlich wieder werden. Plötzlich zuckten die Finger auf seinem Rücken, der gesenkte Kopf hob sich abrupt.

„Amerkia…“, murmelte Russland düster. „Lass mich los. Sofort.“

„Eh?“, zuckte Amerika wie vor den Kopf gestoßen zurück. Kaum hatte er das getan, ließ ihn Russlands Gesichtsausdruck trotz der bitteren Kälte frösteln. Der dunkelbraune Handschuh schloss sich knirschend um die Eisenstange, dann konnte der Blonde nur fassungslos mitansehen, wie Russland mit einem Schritt Anlauf einfach den Abhang gefrorenen Eises hinab sprang. Es war jedoch so glatt, dass der Große auf dem Hintern landete und hinab schlitterte. Genau auf eine Szenerie zu, die Amerika bisher nicht im Geringsten bemerkt hatte. Fünf Soldaten der französischen Armee verfolgten drei Männer, zwei davon noch sehr jung, und eine Frau sowie einen kleinen Jungen. Hastig folgte Amerika seinem Verbündeten, jedoch weitaus vorsichtiger. Russland schlitterte unterdessen ungebremst in die Gruppe, riss einen der Franzosen mit und krachte in die Wand eines kleinen Schuppens. Amerika stockte einen Moment der Atem, nachdem er seine Waffe gezogen hatte und fassungslos sah, wie sich eine Schneelawine von dem Dach löste und beide Männer unter sich begrub. Die französischen Soldaten legten aufgescheucht auf den Schneehügel an. Selbst die fliehende russische Familie war stehengeblieben und starrte den Hügel fassungslos an. Amerika konnte dieses Verhalten nicht begreifen, schließlich war das die optimale Gelegenheit zur Flucht. Während er mit seiner Waffe zielend, jedoch vollkommen ohne Deckung näher schlich, geriet der Hügel in Bewegung. Ohne Eile erhob sich Russland daraus. Der Franzose blieb bewusstlos am Boden, während sich der Große ohne Eile den Schnee aus seinem Mantel klopfte.

„Hm, so war das nicht geplant“, lächelte Russland breit in die Runde der auf ihn zielenden Soldaten. „Allerdings… steht ihr auf meinem Schnee und das gefällt mir gar nicht.“

„Aaaaaah!“, rief Amerika losstürmend und schoss in die Luft. Der Knall ließ die Soldaten herumwirbeln, während er erneut auf sie anlegte, vollkommen offen. Eine Sekunde durchfuhr es ihn heiß, denn er fürchtete, im nächsten Augenblick von vier Schüssen getroffen zu werden. Doch sein Blick wurde abgelenkt, als Russland hinter den Soldaten eine schnelle Bewegung vollzog. Der eiserne Wasserhahn traf jeden der vier Hinterköpfe mit so viel Schwung, dass nicht nur Blut den Schnee bespritzte, sondern auch alle vier Männer zu Boden gingen.

Der Blonde blieb mit fassungslos geöffnetem Mund und immer noch zielend neben der Familie stehen. Sein Blick traf den der violetten Augen, aus welchen sich der verurteilende Ausdruck verflüchtigte, als Russland unschuldig zu lächeln begann.

„Darf ich vorstellen? Mein Zauberstab des Friedens.“

„E-Erklär das deinen Leu-“, setzte Amerika über seine Schulter deutend an, brach jedoch ab, als etwas Kleines an ihm vorbei huschte. Ein Mädchen lief von irgendwo her auf Russand zu und legte ihre Arme um dessen Hüfte. Amerika hörte, wie die Familienmitglieder hinter ihm miteinander zu sprechen begannen. Das Einzige, was er jedoch verstehen konnte, war „Ivan“ und die enorme Erleichterung. Die Geräusche von einheitlichen Laufschritten versetzten sowohl Russland als auch Amerika wie auch die Familie in Alarmbereitschaft. Doch das russische Banner entspannte sie alle. Auch den Soldaten genügte ein Blick auf den hochgewachsenen Mann mit dem Blut triefenden Wasserhahn, um sich zu entspannen. Russland wechselte einige Worte mit dem ranghöchsten Offizier, der gehörigen Respekt vor seinem Gesprächspartner zu haben schien. Amerika wunderte es kaum.

„Er ist ganz der Alte…“, seufzte er aufgebend.

„A-me-ri-ka?“, säuselte Russland fröhlich, sodass der Blonde abrupt den Kopf hob. „Kommst du mit?“

„Selbstverständlich“, erwiderte Amerika verärgert. „Versuchst du immer noch, mich zurückzulassen? Selbst jetzt kurz vor‘m Ziel?“

Lächelnd hob Russland den Finger, während sie gingen.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt!“

„Und sowas aus deinem Munde!“ Lobend zeigte er seinem Verbündeten den erhobenen Daumen. „Du lernst dazu!“

Lächelnderweise ließ Russland sein Lob unkommentiert und schlang sich seinen Schal nochmals um den Hals, während er den Blick voraus richtete. Amerika holte insgeheim besorgt zu ihm auf.

„Sind noch viele französische Soldaten in der Stadt?“

„Mhm“, murmelte der Ältere. „Einige. Verstreut.“

„Die Nachzügler der Hauptarmee…“, meinte Amerika nachdenklich und blickte zu den in der Ferne vor ihnen aufragenden Türmen auf. „Sind wir unterwegs zum Kremlin?“

„Mhm“, murmelte Russland wieder. „Dort können wir uns ausruhen und…“

Fragend blickte Amerkia auf, als sein Weggefährte ohne ersichtlichen Grund nicht weitersprach.

„Und?“, fragte er nach, woraufhin Russland ihn scheinbar überrascht anblinzelte.

„Und...“, überlegte der Größere ratlos, bevor er lächelte. „Ich muss mir einen Überblick verschaffen, denkst du nicht auch?“

Nun wirklich besorgt nickte Amerika, ohne Russland direkt anzusehen.

„Erst solltest du dich ausruhen. Es hilft niemandem, wenn es dir schlecht geht.“
 

Die starke Verteidigung des Moskauer Kremls öffnete sich, kaum dass Russland auf dem weitläufigen, jedoch wie leergefegt wirkenden Vorplatz in Sicht kam. Die Hinterlassenschaften der französischen Armee waren unübersehbar, doch das Machtzentrum Russlands schien tatsächlich beinah unversehrt zu sein.

„Nii-saaaaaan!“, erklangen zweistimmige Freudenrufe. Weder Amerika noch der Eskorte entging das minimale Zögern Russlands, bevor er seinen Weg im ursprünglichen Tempo fortsetzte. Etwa zehn Meter vor den Toren fielen Ukraine und Belarus ihrem Bruder um den Hals.

„Wir haben uns solche Sorgen gemacht, als du nicht sofort von der Versammlung zurückgekommen bist!“

„Nicht so fest, Nee-san“, ächzte Russland eingequetscht.

Belarus schien ihre Erleichterung schnell zu überwinden, denn sie zeigte anklagend auf Amerika.

„Statt dich um deine wichtigen Angelegenheiten zu kümmern, bist du mit dem da unterwegs!?“, herrschte sie Russland an. „Glaubst du, es bringt was, wenn du immer vor der Verantwortung wegläufst?“

Mit beschwichtigendem Lächeln hob Russland die Hände.

„Aber so war das gar nicht, Nee-san…“, beteuerte er, bis Ukraines Schluchzen lauter wurde. „Ich war… urg-“

Amerika grinste amüsiert, während Russland mit Geschwisterliebe zu kämpfen hatte.

„Ukraine-neesan? Ich… bin kurz vor‘m Ersticken…“

„Verantwortung, Nii-san!“, erinnerte Belarus streng. „Übernimm Verantwortung!“

Erleichtert, nachdem seine große Schwester aufgehört hatte, ihn in ihrer Wiedersehensfreude zu würgen, lächelte er Belarus entschuldigend an.

„Ich weiß nicht so recht, ob die Verantwortung, von der du redest, etwas mit diesem Krieg zu tun hat…“

Die Anspielung verfehlte ihre Wirkung nicht. Amerika konnte die schwachen, dunklen Auren des großen Bruders und der kleinen Schwester deutlich wahrnehmen, doch dann wendete Belarus sich mit verschränkten Armen ab.

„Naja, komm erst mal rein“, gestand sie ihrem Bruder zu. „Du siehst erschöpft aus.“

Russland lächelte strahlend und stapfte auf die Tore zu.

„Ich denke nicht, dass ich eine Erlaubnis brauche, um mein Haus zu betreten…“

Bevor Belarus dunkle Aura explodieren konnte, räusperte Amerika sich laut, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bevor es zu spät war.

„Ah, richtig“, bemerkte Russland und lächelte über seine Schulter. „Amerika ist mein Gast. Seid nett zu ihm. Freundlich nett, nicht das andere nett.“

„Verstanden, Nii-san“, antwortete Ukraine, während sie sich die letzte Träne aus dem Augenwinkel wischte und sich anschließend bei dem Blonden unterhakte. „Dir muss kalt sein, Amerika-san.“

Schlagartig verlegen aufgrund gewisser Argumente, die gegen seinen Arm drückten, kratzte sich Amerika errötend am Hinterkopf, während ihn Ukraine auf den Kreml zuführte.

„E-Ein bisschen schon…“, brachte er heraus, bevor er über sich selbst lachen musste. „Eigentlich tut mir jeder Knochen vor Kälte weh.“



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