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October to May

Intermezzo With A Stranger
von

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Get Up!

3. Juli 20XX
 

„Ach, komm schon, Doiha, geh mit“, bettelte mich Tetsu über das Telefon an, „das wird lustig.“

„Ich hab's dir schon mal gesagt“, wandte ich darauf jedoch gelangweilt ein, lehnte mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und stieß mich mit dem rechten Fuß ab, sodass ich mich gegen den Uhrzeigersinn einmal um mich selbst drehte. Eigentlich hatte ich ja schon dichtgemacht, als er mich das erste Mal gefragt hatte. „Was soll ich dort?“

„Du kannst Spaß haben“, versuchte Tetsu es allerdings zum x-ten Mal mit demselben Argument, „ein bisschen tanzen, ein bisschen was trinken, Pläne schmieden, wie du die nächsten Wochen vertrödelst. Doiha, wir haben Semesterferien!“

„Sogenannte“, korrigierte ich ihn, bevor er noch ein weiteres Wort sagen konnte. Das musste ich aber eigentlich gar nicht, denn er studierte schließlich auch an der ehrenwerten Tokyoter Universität – zwar ein anderes Kernfach als ich, aber die Ferien waren dieselben. Wobei man sie offiziell vorlesungsfreie Zeit nannte und es das auch wesentlich besser traf. Der Einfachheit halber sprachen alle von Ferien, als ob man wie damals in der Schulzeit vom ersten bis zum letzten Tag blaumachen konnte. Doch so war es nicht für alle. Die ersten Semester mochten vielleicht wirklich noch frei haben – Welpenschutz sozusagen, damit die, die nicht schon in der ersten Runde durch die schriftlichen Prüfungen ausgesiebt worden waren, sich nicht überarbeiteten und frisch in die zweite starten konnten. Man wollte sie nicht auch noch gleich mit Hausarbeiten überfordern, sondern langsam an das System heranführen.

Bei den höheren Semestern sah es hingegen ganz anders aus. Wir konnten uns unseren Stundenplan sehr viel freier zusammenstellen; uns blieb es selbst überlassen, in welchem Semester wir welchen Kurs belegten, solange wir am Ende alles Nötige beisammen hatten. Und dafür wurde uns Arbeit aufgehalst – noch und nöcher, sodass eigentlich die gesamte Zeit draufging, in der keine Veranstaltungen stattfanden. In dieser Zeit waren die Bibliotheken immer voll besetzt und man musste zusehen, dass man bloß nicht zu spät kam, wenn man noch einen vernünftigen Platz kriegen und nicht in den nächsten Fachbereich umziehen wollte. Es war fürchterlich nervig, immer hin- und herzulaufen, wenn man wieder ein anderes Buch brauchte. Da saßen wir dann alle in Reih und Glied und schwiegen. Zu hören war nur das Klackern der Tastaturen der zahlreichen Laptops, das Umschlagen von Seiten und ab und zu auch das leise Wispern von Mitstudenten, wenn sie zu zweit oder dritt vorbeischlichen, selbst auf der Suche nach einem Platz. Aber zumindest war es eine angenehme Stille, keine drückende, und die beste Arbeitsatmosphäre, die man kriegen konnte. Zu Hause war immer so viel Ablenkung. Nur kurz den Fernseher an, nur kurz einen Kaffee kochen, nur kurz ins Internet, nur kurz jemanden anrufen – das alles gab es in der Bibliothek nicht, denn dort stand kein Fernseher, man durfte nur Wasser mit reinnehmen, für das Internet musste man extra zum PC-Pool und sprechen war möglichst zu vermeiden.

Und eigentlich hätte ich jetzt auch dort sein müssen, aber es gab für mich im Moment nichts zu tun. Ich hatte alles durchgearbeitet, was ich zu meinem Thema in die Finger hatte kriegen können, und die letzten beiden Bücher steckten irgendwo fest, obwohl ich sie schon vor Tagen bestellt hatte. Irgendjemand hatte sie wohl noch ausgeliehen und das Abgabedatum nicht eingehalten. Es war frustrierend, denn ich war voller Hoffnung auf ein paar Stunden nützlicher Arbeit in die Bibliothek gekommen und man hatte mir schon wieder eine Absage erteilt. Ich hasste es, wenn meine Mitstudenten (Kommilitonen wollte ich sie nicht nennen, denn ich kannte sie schließlich nicht) so selbstsüchtig waren und sich nicht an die Termine hielten. Wenn ich mir etwas auslieh, dann arbeitete ich es zügig durch und machte mir notfalls Kopien, um es so schnell wie möglich wieder zurückgeben zu können, damit es vom Nächsten benutzt werden konnte. Was dachten die eigentlich, wo sie waren, im Kindergarten vielleicht?! Wir hatten alle die Oberschule und schwierige Aufnahmetests hinter uns – danach und auch in dem Alter musste man doch mal ein bisschen Verantwortung tragen können! Zumal diejenigen, die die Bücher überzogen, doch genau wissen müssten, was für ein Stress dieses Studium war. Man konnte nicht einfach in den Tag hineinleben, ein bisschen rumstudieren und dabei andere am Vorankommen hindern!

Aber nein, statt etwas Sinnvolles zu tun, saß ich zu Hause herum, konnte nur meine unvollständigen Notizen vorsortieren und musste Tetsu die offensichtlichen Gründe, wieso ich nicht zu dieser Party mitkommen konnte, haarklein unter die Nase reiben. Es war frustrierend.
 

„Ja ja, meinetwegen: sogenannte Semesterferien“, stimmte er mir widerwillig zu, „aber es ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass du auch mal 'ne Pause brauchst. Du kannst dir deine Zeit jetzt gerade frei einteilen und da muss doch auch Platz für ein bisschen Spaß sein. Außerdem ist es die Semesterabschlussparty – danach hast du noch den ganzen Sommer, den du nicht verplempern kannst.“

„Wenn ich durch den Spaß, zu dem du mich da kriegen willst, am Ende meine Arbeiten nicht schaffe, kann ich gut und gerne drauf verzichten. Mal ganz davon abgesehen, dass diese ganzen Parties sowieso nur ein Vorwand zum Saufen sind: Semesterabschlussparty, Semesteranfangsparty, natürlich auch die separate Erstsemesterparty mit Kneipentour für das frisch zugezogene Volk und außerdem jeden anderen, der ein bisschen mitfeiern möchte … ich brauch das einfach nicht. Willst du mich denn nicht verstehen?“

„Na, anscheinend willst du mich nicht verstehen“, grummelte Tetsu mittlerweile schon, während ich immer mehr hoffte, dass er endlich bald aufgeben würde, „das ist gerade die beste Zeit unseres Lebens und selbst wenn du nicht viel davon hältst, musst du dort doch noch lange nicht alleine rumhocken und dich zuschütten. Da gibt’s Musik, man kann tanzen und ich bin schließlich auch noch da!“ Jetzt war es eher an mir, zu grummeln, denn in seiner Stimme konnte ich eindeutig wieder den optimistischen Tonfall hören, mit dem er schon durchs Leben ging, seit ich ihn kannte. Und das bedeutete meist, dass er nicht aufgeben würde, ehe er nicht seinen Willen bekam.

„Du hast Ayana“, versuchte ich allerdings, ihm weiter in die Parade zu fahren, während ich mit dem Blick bewusst das Foto von unserer Clique suchte, das auf meinem Schreibtisch stand. Wir alle lächelten breit in die Kamera, aber Tetsu strahlte regelrecht, hatte einen Arm um die Schultern seiner Freundin gelegt und sie dicht an sich gezogen. Sie waren damals gerade mal zwei Wochen zusammen gewesen und er hatte sein Glück anscheinend immer noch nicht ganz fassen können.

„Aber Ken-chan kommt doch auch noch mit und der hat niemanden.“

„Ja, weil er nicht der Typ für Beziehungen ist und sich dann dort jemanden sucht.“

„Na, da haben wir es doch schon! Du tust dich einfach mit ihm zusammen und-“

„Ich tanze garantiert nicht mit Ken-chan!

„Ich meinte eigentlich, dass du dir auf der Party jemanden suchen sollst. Ein bisschen Ablenkung täte dir sicher gut.“

„Naa~“, machte ich, wurde aber jäh unterbrochen. Tetsu ließ eine Seite an sich heraushängen, die man nur sehr, sehr selten bei ihm zu sehen bekam.

„Jetzt ist aber mal gut!“, ranzte er nun in den Hörer, „du kommst heute mit! Ich hol dich um sechs ab und wenn du nicht pünktlich fertig bist, dann klau ich dir dein Semesterticket und du darfst überall hin laufen! Wie viel Zeit wirst du wohl verlieren, wenn du nicht mehr mit der Bahn fahren kannst?“

„Das will ich sehen“, entgegnete ich allerdings gelassen, was ich mich eventuell nicht getraut hätte, hätte er direkt vor mir gestanden. Denn er hatte das in diesem Zustand tatsächlich drauf – er hätte mir mein Portemonnaie abgenommen und es mir erst wiedergegeben, wenn er seinen Willen bekommen hätte. Aber er war kilometerweit weg und hatte keine Chance, mir irgendwas zu klauen. „Ich werde jedenfalls hierbleiben und-“ In dem Moment klingelte es an der Tür. „Moment, da will jemand was von mir.“

„Lass dir nur Zeit, mein Freund“, säuselte Tetsu und gab sich tatsächlich geduldig. Und ich hätte wirklich etwas ahnen müssen. Wenn er sich so schnell abwürgen ließ, kurz nachdem er den Feldwebel hatte raushängen lassen, war definitiv etwas faul. Und dieses faule Etwas nahm mir mit einem „Danke“ einfach mein Handy aus der Hand, sobald ich ihm die Tür geöffnet hatte.

„Ken-chan!“, protestierte ich, sobald ich erkannt hatte, wer da vor meiner Tür stand und geklingelt hatte, wurde jedoch rigoros ignoriert. Zumindest meine Meinung, denn Ken musterte mich ausgiebig und hielt sich dann das Mobiltelefon ans Ohr.

„Sieht ganz passabel aus, kannst ihn so mitnehmen“, sagte er zu Tetsu, schwieg dann einen Moment und nickte. Dann beendete er die Verbindung und blickte mich noch einmal kurz an. „Geldbeutel einstecken?“

„Hä?“, machte ich darauf nur verdutzt, da ich nicht verstand, was Ken da von mir wollte. Er redete gerne in solch knappen Phrasen, was aber manchmal nicht unbedingt förderlich für das Verständnis war, wenn er noch mehr wegließ, als alle anderen es aufgrund ihrer Sprachfaulheit ohnehin schon taten.

„Ob du deinen Geldbeutel einstecken hast?“, wiederholte und präzisierte er daraufhin seine Frage noch einmal für mich, grinste dabei ein bisschen. Er wusste schließlich ganz genau, was er uns da antat, wenn er so sprach.

„Ähm …“, begann ich und klopfte mit beiden Händen systematisch meine Jeans von den vorderen bis zu den hinteren Taschen ab. Hinten rechts steckte natürlich auch mein Portemonnaie, gehalten von einer stabilen Reihe aus silbernen Kettengliedern, die wiederum an einer meiner Gürtelschlaufen etwas weiter vorne befestigt war. Ich saß so oft darauf, dass ich schon gar nicht mehr merkte, ob es da war oder nicht. „Ja, hab ich dabei.“

„Schön“, lautete Kens (sprachliche) Reaktion daraufhin … und dann packte er mich mit der einen Hand am Kragen, während die andere, die noch immer mein Handy hielt, nach dem Schlüsselbrett direkt neben der Tür langte und sich gezielt den Bund mit meinem Wohnungsschlüssel griff.

Mein sogenannter Freund zog mich auf den Hausflur hinaus, machte gleichzeitig die Tür hinter mir zu und zog mich dann mit sich. Dass ich noch nicht einmal Schuhe an hatte, sondern noch in Pantoffeln war, schien ihn dabei herzlich wenig zu stören – ebenso wie die Tatsache, dass er meine Wohnung nicht sauber abgeschlossen hatte. Wenigstens war Letzteres nicht unbedingt notwendig, da meine Wohnung außen nur einen Knauf und keine Klinke hatte, sodass man definitiv einen Schlüssel brauchte, um hereinzukommen, selbst wenn man nur mal kurz in den Wäschekeller musste. Außerdem waren meine Nachbarn – so weit ich das wusste – ziemlich nett. Man kannte sich, man mochte sich, man lieh sich mal den Zucker aus, wenn man selbst keinen mehr hatte. Die würden mir nichts klauen und Einbrecher von draußen würde hoffentlich die Tatsache abhalten, dass ich im fünften Stock wohnte und es unter mir noch genug andere Wohnungen gab, für die man nicht so viele Treppen steigen musste. Einen Fahrstuhl hatten wir nicht.

Diese Stockwerke schleifte Ken mich nun – unter heftigen Protesten natürlich – herunter, wobei er sich so gut wie gar nicht um mein Gezeter kümmerte.

„Arbeiten kannst du morgen auch noch. Und wenn du nicht willst, dass ich dir den Mund mit deinen eigenen dreckigen Socken stopfe, dann gibst du jetzt endlich nach!“, waren seine einzigen Worte … letztere sogar in der vollkommen Ken-untypischen Tonlage einer halben Drohung.

„Pff“, machte ich daraufhin nur, gab aber tatsächlich nach. Trotzdem ließ er mich nicht los, was mir, ehrlich gesagt, ziemlich peinlich war, weil wir so sicherlich aussahen, als würde ein Vater seinen bockigen Sohn nach Hause schleifen, wo der erst einmal als Strafe ein Fernsehverbot für die nächsten Wochen aufgebrummt bekam.
 

Draußen erwartete mich dann auch schon die nächste Überraschung: Denn da parkte ein knallroter Kleinwagen direkt vor dem Studentenwohnheim und aus dem Fenster auf der Beifahrerseite winkte mir Tetsu zu. Dieser Drecksack! Er beugte sich dazu extra vom Fahrersitz herüber und kurbelte nun auch das Fenster herunter, um mich anschließend überschwänglich zu begrüßen: „Doiha! Schön, dass du dich zu uns gesellst!“

„Von wegen zu euch gesellen. Ken-chan hat mich eiskalt angesackt und mitgenommen … ich hab noch nicht mal Schuhe an“, schnaubte ich säuerlich, wurde aber ignoriert.

„Komm, steig ein und die Party kann direkt losgehen“, flötete Tetsu weiter und wirkte auf mich fast so, als hätte er zu Hause schon mal einen getrunken. Fast, denn eigentlich war er immer so drauf, wenn er sich nicht gerade im Prüfungsstress befand – und selbst den nahm er lockerer als ich.

Mal davon abgesehen, dass ich gar keine andere Wahl hatte, als mich den beiden anzuschließen, wurde ich nun doch tatsächlich von Ken-chan angesackt und auf die Rückbank des kleinen Autos befördert. Dazu hatte er nicht nur erst die Tür aufmachen, sondern auch den Beifahrersitz nach vorne klappen müssen, da es sich bei dem Gefährt nur einen Dreitürer handelte. Das war zwar mehr Arbeit für ihn, bot mir aber auch weniger Chancen, noch herauszukommen, bevor wir unser Ziel erreichten, da ich schlicht und ergreifend hinter Ken und Tetsu gefangen war.

Und das regte mich so richtig auf: „Sagt mal, was soll das hier denn eigentlich? Erst rufst du an und laberst mich voll, dass du mich um sechs abholen willst, dann fällt Ken-chan bei mir ein, um mich einfach mitzunehmen, und am Ende sehe ich, dass du sogar schon hier draußen auf uns wartest. Was ist mit sechs Uhr geworden und warum zum Teufel darf ich mir noch nicht mal Schuhe anziehen?! Wenn man es genau nimmt, ist das sogar Entführung, was ihr hier macht. Tetsuya!“ Das dürfte gesessen haben. Tetsu mochte es nicht, wenn man ihn bei seinem vollen Vornamen nannte. Das machten noch nicht einmal seine Eltern, sondern nur die buckelige Verwandtschaft, die er vielleicht ein- oder zweimal im Jahr sah, wenn es hoch kam. Darüber war er auch ganz glücklich, wie er hinterher jedes Mal mit einem Stoßseufzer gen Himmel sagte. Aber ich hatte mich mal wieder geschnitten.

„Es ist bereits fünf vor sechs, Doiha“, nahm Tetsu mir den Wind aus den Segeln und deutete auf die Uhr in der Mitte des Armaturenbretts, „es ist allein deine Schuld, wenn du zusagst, ohne dass du vorher nochmal auf die Zeit schaust. Außerdem: Die Schuhe, die du vor Monaten schon bei mir vergessen hast, liegen unter dem Beifahrersitz für dich bereit. Und seit wann kennst du dich so sehr mit Jura aus, Doiha? Ich dachte, du studierst Kunst. Jetzt tu uns allen einen Gefallen und schnall dich an. Ich fahre so oder so los, aber wenn ich wegen dir einen Strafzettel kriege, knöpf ich dir jeden einzelnen Yen persönlich wieder ab.“

Ich schnaubte wieder, lehnte mich mit verschränkten Armen an die Rückbank und funkelte Tetsu über den Rückspiegel böse an. Der störte sich daran aber nicht, sondern grinste mich nur breit an und wartete noch ein bisschen, bevor er irgendetwas anderes tat. Nach einigen langen Momenten gab ich mich dann doch geschlagen und legte den Gurt an.

„Braves Doiha“, war Tetsus Kommentar darauf. Außerdem zündete er den Motor, legte einen Gang ein und rollte langsam los. „Jetzt musst du dich nur noch zu einem kleinen Lächeln durchringen und du wirst dich auf der Party nicht mehr vor Mädels retten können, die ein Date mit dir wollen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch, starrte wieder in den Spiegel und wartete darauf, dass Tetsu kurz Blickkontakt mit mir aufnahm, ehe ich fragte: „Du weißt aber schon noch, was letztes Mal passiert ist, als ich solo auf so einer Party war?“

„Äh … nein“, kam es ziemlich ehrlich klingend zurück, „wann warst du überhaupt das letzte Mal ohne jemanden mit?“

„Halloween vor anderthalb Jahren“, antwortete ich und war allein bei dem Gedanken daran schon wieder vollkommen genervt.

„Ach, ja … das Phantom und die Schlampe.“

„So in der Art“, grummelte ich weiter und ließ mich noch weiter in den Sitz sinken, ehe ich aus dem Fenster blickte und auszumachen versuchte, wo die Fahrt hingehen würde. Natürlich wusste ich, dass irgendwo eine obligatorische Semesterabschlussparty veranstaltet wurde, aber das Wo und Wann hatte mich kaum interessiert, da ich dieses Mal wirklich so dermaßen in Arbeit versank, dass ich noch nicht einmal das Ende der Vorlesungszeit hatte abwarten können, um mich an die Beseitigung dieses Berges zu machen. Ich durfte mich nächste Woche noch einmal zu einer Vorlesung und zwei Seminaren schleppen, während Tetsu und Ken nun tatsächlich schon frei hatten – der eine als waschechter Student, der andere als wissenschaftlicher Mitarbeiter, beide aber in der Musikwissenschaft.

Schöne Scheiße, nicht wahr? Gebt dem, der ohnehin genug zu tun hat, nur noch mehr Arbeit, er verträgt es ja! Und wenn ich ehrlich war, hatte ich natürlich absolut keinen Bock darauf, sondern hätte auch viel lieber blau gemacht. Allein die Angst vor dem Versagen trieb mich an, so strebsam zu sein. Ich konnte es mit meinem Teilstipendium nicht leisten, irgendwo durchzufallen.

Mein angeblich bester Freund konnte mir meine Ruhe aber auch diesmal nicht lassen – er musste abfällige Kommentare reißen … selbst wenn sie wahrscheinlich dazu dienen sollten, mich ein wenig aufzuheitern: „Wer wird denn so ein böses Gesicht ziehen, Doiha? Willst du etwas den ganzen Abend Rumpelstilzchen spielen und und es uns allen damit wirklich noch madig machen?“

Ich schnaubte: „Hättest mich ja zu Hause lassen können.“

„Das stand nie zur Debatte und wird es jetzt auch nicht. Wir sind sowieso schon halb da – da dreh ich nicht noch mal um. Denk nur an die Bezinpreise.“

„Vorlaut wie immer, Tet-chan“, kommentierte ich dazu und schüttelte den Kopf.

„Ich würde es eher als schlagfertig bezeichnen“, wurde eingeworfen, worauf ich allerdings nicht weiter einging.

Stattdessen erkundigte ich mich über einen ganz anderen Umstand: „Sag mal, wo hast du eigentlich die Karre her? Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Auto hast, hätte ich letztens den ganzen Kram aus deiner Wohnung ja gar nicht mit der Bahn wegschaffen müssen.“

„Hättest du leider doch“, widersprach er allerdings und zwinkerte mir über den Rückspiegel zu, „es gehört meiner Tante. Sie ist grade für ein paar Tage zu Besuch und ich darf es mir ausleihen, wenn ich es unbeschadet wieder zurückbringe.“

„Dann sei mal besser vorsichtig und quatsch nicht mit dem Kurzen auf den billigen Plätzen da hinten“, war Kens Beitrag zu dieser Unterhaltung, noch bevor ich etwas Ähnliches einwerfen konnte.

„Keine Sorge, ich fahre schon ordentlich“, beruhigte uns Tetsu und tätschelte dabei liebevoll das Armaturenbrett, „pass lieber auf, dass du mir nachher nicht alles vollkotzt. Ich weiß ja wie-“ Das Klingeln von Kens Handy unterbrach ihn allerdings jäh und er verstummte auch sofort, als der Rufton – ein sattes Gitarrenintro – erklang.

„Ja?“, meldete sich Ken und lauschte dann für einige Sekunden, ehe er wieder etwas sagte, „okay, kein Problem … nein, wir sind schon unterwegs. Sag einfach Bescheid, wenn du dann da bist … jup jup, mach ich … bis denne, ne?“ Dann legte er wieder auf, das gesamte Gespräch hatte dabei nur etwas mehr als zwei Minuten gedauert. „Yuki war's. Ihm ist was dazwischengekommen und er kommt später dazu. Schöne Grüße übrigens.“

„Danke“, sagten Tetsu und ich darauf unisono.

Und weil ich sowieso gerade nichts Besseres zu tun hatte, als darauf zu warten, dass wir irgendwo ankamen, fragte ich noch ein bisschen weiter: „Wollte Ayana denn nicht auch noch mit? Ich dachte, ihr kommt zusammen, wenn ihr schon beide dabei seid.“

„Nee …“, antwortete mir unser Fahrer daraufhin, schwieg dann aber erst einmal, weil er sich doch kurz vollkommen auf den Verkehr konzentrieren musste, während er versuchte, rechts abzubiegen, ohne dabei die Schar an Fußgängern über den Haufen zu fahren oder selbst von einem entgegenkommenden Wagen umgenietet zu werden. Erst als auch die letzte Oma mit ihrer Gehhilfe von der Fahrbahn war, bog er in die Nebenstraße ein, schaltete den Blinker aus und nahm unsere Unterhaltung wieder auf: „Also … ja, Ayana kommt schon, aber sie war heute noch mit einer Freundin einkaufen und da hätte es sich nicht gelohnt, wenn sie erst zu mir rausfährt und dann die halbe Strecke wieder zurück muss. Die Wohnung ihrer Eltern liegt einfach näher dran. Mal ganz davon abgesehen, dass sie sicher die neuen Sachen gleich anziehen will. Ich freu mich schon drauf!“ Ach ja, ich vergaß … er stand selbst genug auf ausgefallene Klamotten, um die Einkäufe einer Frau würdigen zu können. Ken achtete zwar auch ein wenig auf sein Äußeres, aber ansonsten waren er, Yuki und ich wesentlich pragmatischer veranlagt: Wenn es sauber war und passte, konnte man es auch anziehen. Von uns würde man nie im Leben den Satz „Ich hab nichts anzuziehen!“ hören; bei Tetsu wartete ich nur darauf, dass er ihn das erste Mal verzweifelt durch die Gegend brüllte.
 

Als wir eine viertel Stunde später bei der Bar ankamen, in der die Party stattfinden sollte, konnten wir Ayana tatsächlich schon davor stehen und auf uns warten sehen. Jedoch mussten wir erst einmal an ihr vorbeifahren, um das Auto irgendwo abstellen zu können … und Tetsu hätte natürlich prompt doch einen Unfall gebaut, weil er sich ja unbedingt den Hals hatte verrenken müssen, um nach seiner Freundin zu schauen. Er ging gerade noch rechtzeitig in die Eisen, um dem Auto vor uns nicht hinten reinzufahren. Dafür bedankte sich der Fahrer hinter uns natürlich mit einem lauten, genervten Hupen und ich wollte nicht wissen, mit was für Flüchen er uns im Moment bedachte. Sein Gesichtsausdruck sah zumindest nicht sehr erfreut aus.

„Ja ja“, murmelte Tetsu darauf ein bisschen genervt, aber auch erschrocken, startete den Motor wieder, der bei der Aktion natürlich ausgegangen war, und fuhr weiter. Ich hingegen fühlte mich erst wieder ganz wohl, als wir endlich in der Parklücke standen und ich aussteigen konnte. Und so schien es auch Ayana zu gehen, denn sie war nicht etwa auf ihrem Fleck stehengeblieben, sondern uns hinterhergelaufen, um Tetsu direkt ins Kreuzverhör zu nehmen.

„Was hast du dir denn dabei gedacht?“, fauchte sie ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war für gewöhnlich immer sehr liebreizend, konnte aber auch zu einer ausgewachsenen Löwin mutieren.

Und genau das ließ sie gerade raushängen, sodass Tetsu nichts anderes herausbekam als ein lahmes: „Hehe, nichts, denke ich.“

„Ja, genau so sah es auch aus. Du sollst mir nicht hinterherschauen, wenn du dich auf die Straße konzentrieren solltest, das hab ich dir schon tausendmal gesagt! Ich hab doch Angst um dich!“

„Tut mir leid“, gab der Angesprochene jetzt kleinlaut wie ein getretener Hund von sich.

„Das sollte es auch! Mensch … du Idiot!“ Und dann nahm sie ihn doch in die Arme und drückte ihn fest an sich, während Tetsu auch die Arme um ihre schmalen Schultern schlang. Und alles schien wieder gut … und in mir machte sich wieder einmal der Wunsch breit, dass sich auch um mich jemand solche Sorgen machte, Angst um mich hatte und mich tröstete, wenn es mir schlecht ging. Verdammter Mist! Dass es auch nie lange genug hielt!

„Was'n los, Hyde?“, wurde ich dann plötzlich angesprochen und eine Hand sauste schwer auf meine Schulter nieder, sodass ich vor Schreck beinahe einen Satz in die Luft machte.

„Wuah!“, rief ich dabei unwillkürlich aus, woraufhin Ken mich seinerseits auch ganz erschrocken anschaute.

„Alles i.O.?“, hakte er darauf erst recht noch einmal nach und erinnerte mich daran, dass ich doch niemand Besonderen in meinem Leben brauchte, der für mich da war. Ich hatte meine Freunde – Tet-chan, Yuki und Ken-chan –, die diesen Job schon ziemlich gut machten. Meine Beziehungen mussten gar nicht lange halten, damit ich mich geborgen fühlte … es wäre nur trotzdem ganz schön gewesen.

Nichtsdestotrotz lächelte ich Ken auf seine Frage hin an und sagte: „Ja klar, alles in Ordnung. Ich hab nur über was nachgedacht. Nichts Weltbewegendes.“

„Dafür warste aber ganz schön weit weg“, kommentierte Ken allerdings, „und Tetsu hat wirklich recht: Du solltest dir mehr Spaß im Leben gönnen. Die ganze Schufterei ist nicht gut für dich und in den letzten Monaten nimmt es echt Überhand. Ich weiß, dass dir dein Studium wichtig ist, aber du vereinsamst uns noch, wenn du so weitermachst.“

„Ken-chan, ich-“, versuchte ich mich zu erklären, aber er ließ mich nicht, sondern redete einfach weiter, ohne mich auch nur ansatzweise zu Wort kommen zu lassen.

„Ich weiß, du bist groß … oder zumindest alt genug“, diesen Scherz hatte er sich natürlich nicht verkneifen können und grinste auch kurz, wurde aber gleich auch wieder ernst, sodass ich es ihm nicht übel nahm, „und du kriegst das hin. Aber tu uns und vor allem dir bitte einen Gefallen: Vergiss den ganzen Kram heute Abend einfach mal. Sei so wie alle anderen und tu so, als ob der Berg Arbeit nicht nach dir rufen würde. Hab einfach Spaß, ja?“ So viel redete Ken selten auf einmal und daran merkte man auch, dass es ihm wirklich ernst war. Ich nickte also brav und versprach es ihm. Ob ich deshalb auch direkt Spaß haben würde, konnte ich zwar jetzt noch nicht sagen, aber es war ja auch erst halb sieben – der Abend war also noch jung. Und außerdem war ich mit meinen Freunden unterwegs – die würden schon dafür sorgen, dass ich mich nicht langweilte.

„Doiha! Ken-chan! Was trödelt ihr denn da so rum?“, drang Tetsus engelsgleiches Gebrüll dann auch schon an mein Ohr und holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück – nämlich, dass Ken, der mittlerweile nicht nur eine Hand auf meine Schulter, sondern gleich den ganzen Arm um mich gelegt hatte, und ich ziemlich zurückgefallen waren, während sich die anderen beiden schon auf den Weg gemacht hatten, „wenn ihr weiter so rumtrödelt, ist alles voll und wir müssen den ganzen Abend stehen!“

„Red doch keinen Blödsinn!“, rief ich direkt zurück, „es ist noch nicht mal sieben. Die meisten kommen sowieso erst in zwei Stunden.“

„Dein Wort in Gottes Ohr, Doiha! Ihr könnt euch trotzdem ein bisschen mehr beeilen“, war der abschließende Kommentar meines besten Freundes, ehe er sich wieder umwandte, um mit seiner Freundin im Arm – die Körperhaltung und -nähe der beiden hatte verdächtige Ähnlichkeit mit der von Ken und mir … oder eher andersherum – zum Eingang der Bar zu schlendern.

„Der will doch nur so schnell wie möglich an ein lauschiges Plätzchen, wo er mit Ayana knutschen kann“, sagte ich trotzdem, tat das aber wieder in normaler Lautstärke, sodass nur Ken es hören konnte. Und der lachte bestätigend auf, ehe wir uns auch endlich in Bewegung setzten und unserer besseren Hälfte folgten.

„Was hast du heute eigentlich geplant?“, erkundigte ich mich schließlich bei Ken, „krallst du dir gleich die Erstbeste oder spielst du wieder Castingshow?“

„Hm …“, überlegte er, „weiß ich noch nicht, ich lass mich überraschen. Auf alle Fälle müssen die Damen erstmal warten, ich kann dich ja nicht alleine lassen, wenn unser Loverboy da vorne sich schon seiner Liebsten widmen wird.“

„Oh, das hast du grundsätzlich aber ganz gut drauf. Meistens bist du der Erste von uns, der sich absetzt“, erinnerte ich ihn feixend.

„Du sagst es, mein Freund, als Erster – und nicht als Vorletzter, wenn kein anderer mehr da ist“, eröffnete mir Ken einen Einblick in seine Logik und zwinkerte mir zu.

„Hehe … und danke, Ken-chan.“

„Kein Problem.“
 

Gute fünfzig Meter weiter hatten sich Tetsu und Ayana bereits wartend vor dem Eingang der Bar abseits einer kleinen Gruppe Raucher postiert und versuchten anscheinend, möglichst nicht in Windrichtung zu den Jungs neben ihnen zu stehen. Da fiel es mir dann auch wieder ein, dass das Rauchen hier drinnen nicht gestattet war und man für jede einzelne Zigarette vor die Tür musste – egal, was für ein Wetter wir gerade hatten. Das konnte im Winter durchaus dazu führen, dass sich so manch einer dann doch lieber die Kippe sparte und im Warmen blieb … oder heimlich auf dem Klo rauchte – ich hatte in der Vergangenheit schon so einiges erlebt, auch wenn ich nicht unbedingt oft hier war.

Doch heute würde das alles kein Problem sein, denn heute Mittag hatte das Thermometer die dreißig überschritten, sodass es später sicherlich eine Wohltat sein würde, einmal kurz an die frische Luft zu kommen und der stickigen Atmosphäre drinnen zu entfliehen. Und es würde stickig werden, wenn sich in ein oder zwei Stunden die Leute gegenseitig auf die Füße traten und einem nahezu jedes Sauerstoffmolekül vor der Nase wegatmeten.
 

Ein bisschen hatte ich mich allerdings in dieser Kalkulation geirrt, wie ich feststellen musste, als wir die Bar betraten. Der große Schub setzte nicht erst in frühestens einer Stunde ein, sondern bereits jetzt, sodass wir erst einmal nicht die Theke, sondern stattdessen einen freien Tisch ansteuerten, der groß genug für unsere Gruppe war. Erst dann machten wir uns auf die Jagd nach etwas Trinkbarem, wobei sich natürlich Tetsu und Ayana weigerten, schon wieder aufzustehen, weil ihr angeblich die Füße von der Shoppingtour weh taten und er seine Freundin doch bei all diesen schmierigen Kerlen hier nicht allein lassen konnte. Diese kleinen Betrüger! Wenn sie einen Moment für sich haben wollten, um sich wortlos anzustarren und gegenseitig anzutatschen, konnten sie das doch auch sagen! Mal ganz davon abgesehen, dass es sie nach zwei Drinks sowieso nicht mehr stören würde, wer da noch alles mit am Tisch saß. Hatten wir auch alles schon live erlebt.

Jedenfalls erklärten Ken und ich uns dann dazu bereit, die Getränke für alle zu besorgen – wir hatten schließlich vier Hände und im Gegenzug würden die anderen beiden dann die nächste Runde holen und auch bezahlen müssen. So machte man das unter Freunden, hehe!

„Ist schon ganz schön was los hier, ne?“, fragte ich unnötigerweise, als ich mich ein paar Minuten später an den Tresen stellte und wie zahlreiche andere darauf wartete, dass ich bedient wurde.

„Die scheinen alle auf dieselbe Idee gekommen zu sein“, pflichtete mir Ken zu und quetschte sich zwischen mich und ein fremdes Mädchen, das er auch prompt unauffällig musterte, ehe er sich wieder unserer Konversation zuwandte, „früher kommen, damit noch Platz ist. Nur Pech, wenn das alle gleichzeitig machen.“

„Manchmal hab ich das Gefühl, es gibt in dieser Stadt einfach zu viele Menschen … oder zu wenig Raum für die vorhandenen Menschen.“

„Manchmal?“

„Okay, ziemlich oft.“

„Das kommt der Sache schon näher … ah, der Mann der Stunde! Zwei Bier, einen Cherry Kiss und eine Cola für den Fahrer.“ Der letzte Teil ging natürlich nicht an mich, sondern an den Barkeeper, der sich gerade in unsere Richtung gewandt hatte. Ob er auch wirklich uns hatte bedienen wollen und nicht das Mädchen rechts neben Ken, wusste ich nicht, aber da unsere Bestellung die schnellere gewesen war, wurden wir nun auch zuerst bedient. Aus den Augenwinkeln bekam ich allerdings mit, wie die Kleine Ken einen so bitterbösen Blick zuwarf, als hätte er bereits was mit ihr angefangen und sie dann abgesägt. Nun, damit hatte er sich wohl um die Chance gebracht, genau das bei ihr zu versuchen. Dabei wäre er selbstverständlich sehr charmant gewesen, hätte ihr aber gleichzeitig klipp und klar gesagt, dass er für nichts Ernstes zu haben war, sodass ihn eigentlich keine Schuld traf, wenn die Mädels hinterher auf ihn sauer waren. Er spielte immer mit offenen Karten, auch wenn sein Lebensstil an sich vielleicht etwas fragwürdig war. Aber zurück zum Gespräch!

„Tetsu hat sich schon selber ins Knie geschossen“, hängte Ken noch an, während wir jetzt darauf warteten, unsere Getränke mitnehmen zu können.

„Inwiefern?“

„Indem er uns fährt und dafür nüchtern bleiben muss. Hätten wir die U-Bahn genommen, hätte er auch was trinken können.“

„Hm … stimmt. Na ja, solange Ayana da ist, ist er glücklich.“

„Auch wieder wahr“, pflichtete Ken mir bei und trommelte dann mit den Händen auf dem Tresen herum, als der Kerl, der uns bediente, mit der ersten Hälfte der Bestellung ankam und uns zwei Gläser Bier vor die Nase stellte. „Ich nehm die und du dann den Rest?“, fragte er dann noch, hatte es anscheinend aber nicht wirklich als Frage gemeint, denn er legte tausend Yen auf den feuchten Tresen und schnappte sich dann auch schon die kostbare Fracht. Mir blieb also nichts weiter übrig, als dem zuzustimmen und mich weiter in Geduld zu üben, dass auch der Rest fertig wurde.

Das war allerdings im wahrsten Sinne des Wortes eine Geduldsprobe, denn kaum dass Ken mit unseren ersten beiden Getränken verschwunden war, wurde ein Song aufgelegt, den ich schon länger nicht mehr gehört hatte – was auch ganz gut so gewesen war. Namie Otsuka mit dem beliebtesten ihrer eigentlich komplett gleich klingenden Dance-Pop-Songs. Und als wäre das noch nicht genug, wurde es neben mir plötzlich laut.

„Ach, komm schon! In knapp fünf Stunden bin ich zwanzig und dann kann ich so viel trinken, wie ich will. Auf die paar Minuten kommt es doch nun wirklich nicht mehr an.“

„Wenn du die Strafe bezahlst, wenn jemand vom Ordnungsamt vorbeikommt und kontrolliert – gerne!“

„Die werden sich deswegen schon nicht aufregen. Komm schon, hab ein bisschen Mitgefühl.“

„Nichts zu machen. Du bestellst jetzt also entweder was ohne Alkohol oder du ziehst ab und kommst nach Mitternacht noch mal wieder. Dann mach ich dir, was du willst.“

„Gibt's das dann wenigstens auf's Haus? Ich hab immerhin Geburtstag.“

„Frag da lieber deine Freunde, ob sie dir was spendieren. Wir sind hier schließlich nicht die Wohlfahrt, Kleiner.“

Nun, Kleiner stimmte in diesem Falle nicht ganz. Ich beobachtete den Disput zwischen Barkeeper und Gast recht gelangweilt, bekam allerdings doch mit, dass der Gast zwar gerade noch minderjährig sein mochte, aber trotzdem alles andere als klein war. Wahrscheinlich bekam er in den meisten Bars aufgrund seiner Größe ohne größere Umstände, was er wollte. Da konnte man schon ein bisschen Mitleid mit ihm bekommen, dass er gerade heute in einer Bar gelandet war, wo sie sich strikt an die Altersgrenze hielten. Das mussten sie aber auch tun, denn das Klientel bestand hauptsächlich aus Studenten, die für gewöhnlich noch nicht volljährig waren, wenn sie mit ihrem Studium begannen.

Als sich besagter Gast allerdings etwas in meine Richtung drehte und ich sein Gesicht endlich komplett sehen konnte, verschwand jegliches Mitgefühl meinerseits für ihn mit einem Schlag. Stattdessen fiel mir wahrscheinlich die Kinnlade runter … ich bekam es nicht ganz mit, war ich doch viel zu sehr damit beschäftigt, den Kerl anderthalb Meter neben mir anzustarren. Er hatte sich verändert und ich hatte ihn auch schon fast vergessen. Außerdem trug er heute eine Brille mit dickem schwarzen Rahmen. Aber er war es zweifelsohne … Gackt.

Und die braunen Augen hinter den Brillengläsern starrten verwirrt zurück. Wahrscheinlich erkannte er mich gar nicht und wunderte sich nur, wieso ihn ein wildfremder Kerl so lange ansah. Schließlich hatte ich bei unserem Aufeinandertreffen vor einiger Zeit ganz anders ausgesehen. Ganz genau, das musste es sein … falsch gedacht!

Nur kurz darauf breitete sich ein Lächeln auf seinen Gesichtszügen aus und er gesellte sich prompt zu mir, um mich zu begrüßen: „Lange nicht gesehen, nicht wahr?“

„Äh … ja“, gab ich etwas stockend zurück und schielte kurz nach dem Barkeeper, ob der schon mit meiner Bestellung fertig war und ich endlich wieder abziehen konnte. Wieso ich nicht einfach so getan hatte, als ob ich mich an nichts erinnerte bzw. er mich verwechselt hatte, fragte ich mich auch direkt im nächsten Augenblick und hätte mich dafür schlagen können.

Aber auch das hätte wahrscheinlich nichts gebracht, denn Gackt schien da ziemlich fit zu sein: „War schade, dass du damals so überstürzt abgehauen bist. Ich hätte ganz gerne noch ein bisschen Zeit mit dir verbracht. Wie hieß deine Freundin doch gleich noch? Die, die unbedingt nach Hause wollte. Na ja, ihr Mädels könnt da ja manchmal auch sehr entschlossen sein.“

„Hä?“, machte ich nun. Hatte er mich etwa doch verwechselt und ich war nur auf seine Masche hereingefallen? „Du siehst schon, dass ich kein Mädchen bin?“

„Genauso wenig wie du damals eins warst. Und genauso wenig stört mich das auch jetzt … Hachiko.“

Wie bitte?!
 

tbc.


Nachwort zu diesem Kapitel:
„Schreibe über das, was du kennst“, sagte Drew Barrymore einmal in einem ihrer Filme, und ich finde diesen Rat eigtl gar nicht mal so schlecht. Deshalb verwurste ich viel von dem Scheiß, der mir tatsächlich mal passiert ist – in abgewandelter Form natürlich – in meinen Fics. Diesmal ist es kein wirklicher Scheiß, sondern Uni-Kram. Denn so ziemlich alles, worüber Hyde am Anfang hier so motzt, entspricht Tatsachen (und es kommt später noch was, was zumindest an meiner ehemaligen Uni ebenfalls hinhaut). Und die Laune ist nun echt mal im Keller, wenn man in die 'Ferien' geht und auch dann noch vor nem Berg Arbeit steht, weil plötzlich sämtliche Prüfungsleistungen, die man zu erbringen hat, Hausarbeiten sind. Mein persönlicher Gipfel waren vier in sieben oder acht Wochen im vorletzten Semester – hab ich dann auch nicht geschafft, sondern musste um ne Verlängerung bitten, weil man es ja alles ordentlich machen will und sich selbst Hausarbeiten von nur 12-15 Seiten eher selten einfach mal so wegschreiben lassen. Studierte werden es kennen ^^
Ich habe übrigens NICHT Kunst studiert, also bitte seht es mir nach, wenn da irgendwas falsch ist. Ich hab es so vage wie möglich gehalten, um keine groben Schnitzer reinzuhauen ^^“

Witzigste Info der kompletten Fic: Eigtl sollte das hier ja mal wieder ein One Shot werden und das, was jetzt in Kapitel zwei ausgelagert wurde, schloss eigtl mal an die „Das Phantom und die Schlampe“-Bemerkung an. Aber als ich dann irgendwas bei 16 Seiten hatte und immer noch quasi in der „Einleitung“ steckte, hab ich es dann geteilt. Aufmerksame Beobachter des Fortschrittcounters können sich sicherlich jetzt schon vorstellen, wie lange der Spaß hier noch gehen wird. Ich hoffe doch mal, dass das niemandem was ausmacht ^^“ Fertig ist es ja schon (bis auf die zweite Hälfte, die noch gebetat werden will/muss =_=) und wird deshalb zügig hochgeladen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  aknankanon
2013-10-28T16:16:31+00:00 28.10.2013 17:16
Super!!!!! Endlich wieder was Neues von dir. Ich freu mich so. Lese deine Fics immer sehr gerne.
Von:  Shimanai
2013-10-28T10:31:00+00:00 28.10.2013 11:31
Boah! Endlich wieder was Neues ;D
Großartige Wortspiele, die mir vielleicht nur so lustig erscheinen, weil ich im Moment nicht so viele mitkriege (hach ja, fremde Sprache, und ich bin mittendrin und kapier immer noch nicht mal die Hälfte auf Japanisch, außer Mathe x'D)

Wie dem auch sei, dein Schreibstil ist wie immer klasse, wortgewandt und... wie soll ichs am besten sagen... geistreich? Ich mag ihn einfach sehr gerne^^

Aber, du machst mir echt Angst vor dem Studieren xD
Wobei, meine derzeitige Schule in der Heimat ist ja auch nicht grade besser, um ehrlich zu sein.

Vielen Dank nochmal dafür, dass du diese Fanfic mit uns allen teilst! Ich freu mich drauf, sie vollständig zu lesen und dir Kommentare zu hinterlassen, wenn es denn erlaubt ist ;D


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