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The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Huhu, ihr Lieben - willkommen zum neuen Kapitel :)

Vorweg möchte ich mich noch einmal ganz herzlich für die Rückmeldung zum letzten Kapitel bei Feuerkopf und xXGwenStacyXx bedanken! Außerdem bei Obsidios für die Einschätzung des ersten Kapitels! *.*

Wie der Titel schon sagt...es wird ein wenig heißer. In mehrerer Hinsicht... *hust* ;D

So, genug der Vorrede...
Viel Spaß! :) Komplett anzeigen

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Feuer

»Nein.«

Dieses eine Wort wirkte wie ein Peitschenknall in Lokis Ohren und machte ihm wieder deutlich, wo sein eigentlicher Platz in Asgard war - nämlich in seiner Zelle. Als unliebsamer Sohn. Als Schandfleck der Familie, dass man gewissenhaft verstecken musste.

Odin schritt mit finsterer Miene vor ihm auf und ab, während Frigga am Tisch hinter dem Allvater Platz genommen hatte und das Gesicht flüchtig in einer angespannten Geste in den Händen verbarg.

Thor stand neben der Königin und hatte die großen Hände auf der Tischplatte abgestützt, vor ihm eine Karte ausgebreitet, über die er bis eben mit dem Allvater gebrütet hatte.

Sie befanden sich in Odins Besprechungsraum neben dem Thronsaal; ein gemütlich eingerichtetes Zimmer, dessen Wände wohl schon so mancher Konferenz gelauscht hatten. Hier wurden Pläne geschmiedet und verworfen, Schlachten organisiert und Kriegshandlungen beschlossen - Odins Thronsaal diente nur zur öffentlichen Bekanntgabe, während in diesem Raum alle wichtigen Entscheidungen getroffen wurden.

»Du willst die Stadt verlassen?! Mit der Sterblichen und ohne Wächter und deine Fesseln?! Zu einer Zeit, da Feinde von allen Seiten auf Asgard einzustürmen scheinen?!« wandte sich Odin aufgebracht wieder an Loki, der ungerührt im Raum stand, nachdem er seine Bitte vorgebracht hatte.

Nun, eigentlich war es keine Bitte gewesen - eher eine Forderung.

Und auf derlei schien der Allvater recht allergisch zu reagieren - zumindest aus Lokis Mund.

»Dies ist mein Begehr, ja.« erwiderte der Magier ruhig und demonstrierte Stolz und Entschlossenheit, so er die Hände hinter dem Rücken faltete und Odins abschätzendem Blick fest begegnete. »Eine kleine Gruppe würde wesentlich weniger Aufmerksamkeit erregen als eine ganze Horde von Asgards Soldaten. Die Männer trampeln wie wildgewordene Trolle durch die Gegend und würden damit jeden Dunkelelfen im Umkreis von Meilen auf uns aufmerksam machen.«

Frigga versteckte ein Schmunzeln hinter der Handfläche und räusperte sich verhalten.

»Und Aufmerksamkeit kann ich nicht gebrauchen, wenn ich mit der Sterblichen unterwegs bin. Nachdem, was am gestrigen Abend passiert ist, solltest du dem eigentlich zustimmen, sie aus der Stadt zu bringen, Allvater. Und sei es nur für ein paar Tage. Malekith weiß, dass sie hier ist und was immer da in ihr schlummert, er ist interessiert daran. Und das sollte Grund genug für uns sein zu verhindern, dass er sie in die Finger bekommt.« fuhr Loki fort.

»Ah ja…« begann der Allvater gedehnt und begann abermals im Raum auf und ab zu schreiten; Gungnir als Stütze dienend, während sein langer Umhang hinter ihm über den Boden säuselte. »…und deine Fesseln soll ich dir warum genau noch einmal abnehmen?« Der abschätzende Blick Odins ruckte aus dem Augenwinkel zu Loki herüber.

»Damit ich uns verteidigen kann, so wir in Gefahr geraten sollten.« erklärte der Magier überzeugend.

»Natürlich…« lenkte Odin gespielt verständig ein, bevor er stehen blieb und zu dem Magier herumwirbelte. Gungnir donnerte mit einem Knall auf den edlen Holzboden. »Du musst mich wohl für einfältig halten, mein Sohn! Durch deine Magie ist es dir möglich, dich vor Heimdalls Blick zu verbergen. Du kennst die geheimen Pfade zwischen den Welten. Glaubst du wirklich, dass ich so dumm bin und dich einfach so ziehen lasse?!«

Frigga holte tief Luft und wollte sich wohl einmischen, doch Thor schob ihr eine große Hand auf die Schulter und hielt sie mit einem Kopfschütteln davon ab.

»Mit Verlaub, aber wir brauchen Antworten, Vater.« entgegnete Loki in gelassener Ruhe - wenngleich das letzte Wort einer Beleidigung ähnlich über seine Lippen rollte und Odin verspottete. Der Allvater verengte die Augen; Verärgerung stand in seinem Blick und doch auch eine seltsame Verletzlichkeit - eine tiefgreifende Erschöpfung, als wäre ihm der Speer in seiner Hand zu schwer geworden nach all den Jahren auf Asgards Thron.

Und als sehne er friedlichere Tage herbei; andere Tage, in denen er seinem jüngsten Sohn nicht mit so viel Misstrauen begegnen müsste.

»Die Bücher können keine Antworten mehr liefern. Ich habe alle relevanten Schriften bis zur letzten Seite studiert; alles zu Rate gezogen, was mir zur Verfügung stand. Es gibt nur noch einen Weg herauszufinden, was von Malekith Besitz ergriffen hat.« setzte Loki seine Ausführungen beständig fort und schritt nun ebenfalls durch den Raum, am Tisch vorbei und hinüber zu der großen Fensterfront, die sich auf einen Balkon öffnete, von dem man die Stadt überblicken konnte. »Du kannst mir diese Reise gern verwehren, Allvater. Doch du wirst schwer gegen einen Feind kämpfen können, den du weder siehst, noch kennst. Mir mag es egal sein, was mit Asgard geschieht…« Loki wandte sich mit einem gleichgültigen Schulterzucken dem Raum wieder zu, nachdem er die Bahn der Wolken am Himmel verfolgt hatte. »…doch dir sollte eigentlich ausreichend daran gelegen sein, dass du mich ziehen lässt. Nur, wenn wir herausfinden, wer unser Feind und was dessen Ziel ist, so haben wir vielleicht eine Möglichkeit, ihn aufzuhalten. Ihr habt alle mit eigenen Augen gesehen, was Malekith vermag. Zu was dieser Schatten in ihm fähig ist. Wir haben keine Chance, dem zu trotzen.« endete Loki in jener Gewissheit, die sie wohl alle in diesem Moment empfanden.

Betretene Stille senkte sich über den Raum, während der Wind von draußen die hauchdünnen Vorhänge rascheln ließ.

Der Blick des Magiers glitt beinahe beiläufig über die Anwesenden; Frigga senkte betreten das Haupt, so der Königin der Schrecken des letzten Abends noch deutlich anhing.

Thors Hände schlossen sich verkrampft zu Fäusten, während er auf die ausgebreitete Karte starrte, auf der durch feuerrote Banner die Orte markiert waren, an denen es in den letzten Stunden zu Sichtungen von Schwarzalben gekommen war, die Hugin und Munin erspäht hatten. Offenbar nutzten die Elfen die verschwimmenden Grenzen, um sich durch die geheimen Passagen zwischen den Welten zu bewegen.

Odin hatte in seinen unruhigen Schritten innegehalten; er stützte sich schwer auf den Speer in seiner Hand und ließ die Finger in einer erschöpften Geste über seine tief gefurchte Stirn fahren.

»Ich kann keine Wächter entbehren, die dich begleiten, Loki.« durchbrach der Allvater als erstes die Stille. »Nicht zu dieser Zeit, in der ich jeden Moment mit einem erneuten Angriff rechnen muss.« Der Blick des Allvaters suchte den des Magiers und beinahe hatte Loki das Gefühl, dass Odin auf Verständnis hoffte; auf jenes Verständnis, das ein Sohn seinem Vater entgegenbringen sollte, so der ihn in seinen leichtfertigen Ideen und Taten bremste. »Und allein werde ich dich nicht ziehen lassen.«

»Ich habe gestern Abend für euch gekämpft!« stieß Loki in einem erzürnten Zischen aus. »Ihr hättet Malekith niemals die Stirn bieten können, wenn ich nicht gewesen wäre. Ich habe dafür gesorgt, dass der gestrige Abend nicht in einem Massaker geendet hat. Ich habe mich gegen ihn gestellt!« schleuderte er seiner „Familie“ bissig entgegen, beugte sich vor wie eine Schlange vor dem Angriff und schlug sich die Hand bekräftigend auf die Brust. Seine Worte klangen überheblich; sie troffen nur so vor Arroganz und Selbstgefälligkeit, doch keiner begehrte nun dagegen auf - weder Frigga, noch Thor, nicht einmal Odin.

Weil sie wussten, dass er recht hatte.

»Und nun vertraut man mir noch immer nicht?!« Loki lachte humorlos auf; ein hässlich verächtlicher Laut, selbst in seinen Ohren. »Was muss ich noch tun, um euch glaubwürdig zu erscheinen? Mich im Staub wälzen? Oder soll ich mich gleich in Malekiths Schwert stürzen? Würde euch das zur Genüge gereichen, dass man mir nicht ständig das Übel aller Welten unterstellen will?«

»Loki…« begann die Königin sanft und beschwichtigend, doch der Magier wandte sich mit einem abfälligen Schnauben wieder um und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust.

Er schloss die Augen für einen Moment und versuchte sich wieder zu beruhigen; in letzter Zeit gingen die Emotionen immer öfter mit ihm durch - eine lästige Schmach, die eigenen Gefühle so unkontrolliert hervorbrechen zu lassen. Einst hatte er sich stets auf seine Beherrschtheit und Ruhe verlassen können; auf eine Vielzahl angepasster und starrer Masken, hinter denen die wahren Motive und Gedanken so herrlich zu verstecken waren.

Doch die Zeit der Gefangenschaft hatte Spuren an ihm hinterlassen, die wohl keine Maske je wieder überdecken konnte - eine Gewissheit, die er fürchtete.

»Ich werde ihn begleiten.« warf Thor nun völlig überraschend in den Raum und richtete sich entschlossen vom Tisch auf.

Nicht nur Loki drehte sich auf dem Absatz herum und starrte den Donnergott mit zweifelnd zusammengezogenen Brauen an, auch Odin warf einen Blick auf seinen ältesten Sohn, als würde er fürchten, dass jener nun auch den Verstand verloren hatte. »Ich brauche dich hier, Thor.« hielt der Allvater mahnend dagegen. »Ich brauche dich, um die Stadt zu schützen.«

»Aber Loki hat recht.« ergriff der Donnergott Partei für seinen Bruder und stellte eine ungewöhnlich entschlossene Miene zur Schau, die den Hauch einer Ahnung aufkommen ließ, dass Thor sich wandeln könnte; dass er sich wirklich dem Thron würdig erweisen könnte, den er irgendwann sein eigenen nennen sollte.

Zumindest einer im Raum schien Verstand zu besitzen, auch wenn es den Magier verblüffte, dass dies gerade Thor war.

Loki war fast versucht, ein süffisantes Grinsen in Richtung Odins zu schicken, hielt sich jedoch zurück.

Dass Thor einmal das große Ganze betrachten und ihm damit Recht geben würde, ohne das er zuvor mit seiner Silberzunge auf ihn einwirken musste, kam selbst für ihn ein wenig überraschend, aber äußerst gelegen.

»Wir können nicht gegen einen Feind kämpfen, den wir nicht kennen. Wir müssen wissen, womit wir es zutun haben, damit wir gerüstet sind, wenn Malekith das nächste Mal auftaucht. Er darf uns nie wieder so unvorbereitet treffen wie gestern Abend.« sprach Thor beharrlich auf Odin ein. »Ich werde Loki mit den anderen begleiten und auf ihn und die Sterbliche acht geben.«
 


 

Der Regen fiel einem grauen Vorhang gleich zur Erde; erdrückend und schwer platschten die Tropfen auf die Umhänge der kleinen Gruppe, die sich zu Pferd mühsam den schlammigen Hügel hinauf kämpfte. Immer wieder rutschten die Hufe der Tiere auf dem unsteten Untergrund aus und das angestrengte Schnaufen der Pferde untermalte das trostlose Rauschen des Regens, welcher nun schon seit einem Tag ohne Unterlass andauerte.

Die Sonne war verschwunden und tiefdunkle Wolkenbänder zogen über den Himmel, dessen blaue Farbe sich nur noch in einem schmalen Streifen am Horizont erahnen ließ; als würde das schlechte Wetter die sonnigen, warmen Tage vor sich hertreiben wie der Schäfer seine Herde.

Als wüsste der Sommer, dass sich seine Zeit dem Ende neigt, so waren die Tage bereits kühler geworden und wesentlich feuchter; der Winter bereitete seinen Siegeszug vor und schickte nun die Vorboten seiner Ankunft.

Die warmen Atemwolken der Pferde bildeten sich bereits sichtbar in der regenschweren Luft; tapfer trabten die Tiere durch den trüben Tag und trugen ihre durchweichten Reiter, deren Stimmung den grauen Regenwolken wohl in nichts nachstand.

Das dröhnende Niesen von Volstagg riss Loki aus seinen Gedanken und ließ ihn sich im Sattel halb umdrehen, um zurückzublicken. Angestrengt blinzelte er die Tropfen aus den Wimpern und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, um dem strömenden Regen Einhalt zu gebieten.

»Argh, was für ein verdammtes Wetter. Wären wir nur in Gladsheim geblieben, dann könnte ich mich jetzt am Feuer wärmen und mich an frischem Braten laben.« Missmutig wischte sich der rothaarige Krieger das Wasser aus dem Bart und angelte nach einer Feldflasche an seinem Sattel; fluchend schüttelte er diese, bevor er sie achtlos in einen vorbeiziehenden Busch warf. Ein paar Vögel, die dort Schutz vor dem Regen gesucht hatten, stoben eilig davon. »Sogar der Met ist alle! Kann der Tag noch schlechter werden?!«

»Reiß dich zusammen, Volstagg. Immerhin sind wir nicht zum Spaß unterwegs.« wies Thor seinen Freund zurecht; der Donnergott hatte seinen schwarzen Hengst eben neben Volstaggs Pferd gelenkt und klopfte dem Pferd ermutigend den Hals. Das blonde Haar Thors klebte ihm an Stirn und Schläfen; er hatte um der besseren Sicht willen auf eine Kapuze verzichtet.

»Gewiss sind wir nicht zum Spaß hier. Ich sehe nämlich nichts, was im entferntesten nach Spaß aussieht.« Fandral löste sich aus der Gruppe und warf dem Magier im Vorbeireiten einen geringschätzigen Blick zu. »Ich hoffe nur, diese Reise lohnt sich auch, Loki. Wenn ich für umsonst auf die Abendgesellschaft mit den hübschen Mädchen der Stadt verzichtet habe, werde ich eigenhändig dafür sorgen, dass du wieder in deine Zelle kommst.« Der Krieger stieß einen Zeigefinger in Lokis Richtung, der diesen abschätzend betrachtete und dann ein breites, jedoch eiskaltes Grinsen auf die Lippen zauberte.

»Brauchst du den Finger noch, Fandral…?« fragte Loki trocken und ließ eine Hand vom Zügel unter seinen Umhang gleiten.

Fandral weitete die Augen im Schatten seiner Kapuze; das unsichere Glänzen von Beklommenheit darin, bevor er seinen Finger ziemlich schnell wieder zu sich zurückzog.

»Fandral, Schluss damit!« rief Thor von hinten. Er reichte Sif gerade seine Wasserflasche, die diese dankend entgegen nahm. »Loki weiß schon, was er tut.«

»Ich hoffe es…« war nun das klare Wispern Hoguns unter dessen Kapuze zu vernehmen. Der Krieger hob kurz den Blick und blinzelte in den regenschweren Himmel auf; die Stirn gefurcht saß er angespannt im Sattel, als würde er das schlechte Wetter selbst als böses Omen erachten.

Nachdem sie am ersten Tag ihrer Reise die Felder und Ebenen um die Stadt hinter sich gelassen hatten, waren sie nun in wilderes Gelände Asgards gedrungen. Das Bild der Landschaft hatte sich verändert, war felsiger und unwegsamer geworden. Dichte Büsche und Dornensträucher rahmten den Weg ein, dahinter dunkle Wälder oder zerklüftete Abhänge.

Nicht selten brachen Teile des Weges unter den Hufen der Pferde weg; losgelöst vom Regen sprangen Felsen und Dreck dann in raue Schluchten oder reißende Bäche hinab. Die friedlichen Flüsse des Landes hatten sich in wütende Ungetüme verwandelt, die donnernd ins Tal preschten; angefeuert vom freigiebigen Himmel, der sein Nass unerbittlich auf sie warf.

Loki ließ sein Pferd ein wenig zurückfallen und lenkte es mit einem sanften Ruck der Zügel neben den Hengst der Sterblichen, die seit Anbeginn ihrer Reise ziemlich schweigsam im Sattel verweilte.

Er hatte beobachtet, wie sie oftmals bei den kleinsten Geräuschen unter der tief herabgezogenen Kapuze zusammengezuckt war; der Schrecken von Malekiths Angriff saß ihr noch immer in den Knochen.

Jene Nacht, die sie bei ihm verbracht hatte, war sie mehrmals aus unruhigen Träumen aufgeschreckt, sodass Loki sie durch seidiges, beruhigendes Flüstern mehr als einmal wieder in den Schlaf wiegen musste.

Der Magier empfand diese Entwicklung als besorgniserregend. Ihm war die störrische, eigensinnige Menschenfrau wesentlich lieber als dieses schweigsame Bündel, das nun zusammengesunken im Sattel saß. Er hoffte, dass sie wieder in ihre alte Form zurückfinden könnte. Und es auch würde.

Er selbst hatte es am eigenen Leib erfahren - wie einschneidende Ereignisse so tiefe Wunden hinterlassen konnten, dass diese wohl nie vollständig heilen würden. Immer würden Narben zurückbleiben; Narben, die eine Gestalt, eine Seele für immer veränderten.

Er hoffte, dass diese Narben keine Auswirkungen auf die Mächte in ihr haben würden…

»Alles in Ordnung?« raunte er in Richtung der Menschenfrau, die Stimme ungewöhnlich weich, wenn auch sachlich.

Allerdings reichte dieser ungewohnte Ton aus seinem Mund wohl schon, dass Sif verwundert zu ihnen herüber blickte und verwundert von der Sterblichen zu Loki sah.

Der ignorierte die Kriegerin bewusst und hielt seine Kapuze in einer auffrischenden Windböe fest, die ihm die Regentropfen wie kühle Nadelstiche ins Gesicht trieb.

Gwendolyn sah zögerlich auf, ihre hellen Augen schimmerten aus der Tiefe ihrer Kapuze, während der Rest in grauem Zwielicht geborgen lag. Sie nickte knapp, obwohl auch sie vom Regen völlig durchnässt sein musste. Ihr Zittern war ihm nicht entgangen. Als Mensch hatte sie wesentlich weniger Widerstandskraft als ein Gott.

Doch Loki wusste, dass von ihr kein Jammern kommen würde - kleine, verbissene Menschenfrau. Tapfer war sie, das musste man ihr lassen.

»Ja, alles okay. Nur ein wenig nass.« drang ihre Stimme zu ihm heran; ein Schmunzeln war herauszuhören. »Und es könnte ein wenig wärmer sein. Und bequemer. Aber sonst kann ich mich nicht beklagen.«

Loki lachte verhalten; ein rauer, leiser Klang im Rauschen des Regens. »Und ich dachte schon, du hättest etwas an diesem herrlichen Ausflug auszusetzen.«

»Ich kann mir nichts schöneres vorstellen...« erwiderte sie ironisch; er konnte das lauernde Lachen aus ihrer Stimme deutlich heraushören.

»Das klang vor einer Weile noch anders, soweit ich mich erinnere…« mahnte er latent amüsiert an und erntete dafür ihren uneingeschränkten Blick, als sie ihre Kapuze ein wenig zurückschob und zu ihm herüber sah. Ihre roten Haare lagen plattgedrückt und feucht an ihrer blassen Stirn und den Wangen an, doch nahm ihr das kaum etwas von ihrer zerbrechlichen Schönheit, wie Loki erkannte.

Seit dem Winternachtsfest kam er nicht umhin sie eben mit anderen Augen zu betrachten. Auch wenn er für derlei Ablenkungen eigentlich gar keine Zeit hatte. Oder besser - haben wollte.

Denn wenn er aufhörte, sie als reines Objekt zu sehen - als Gefäß für jene Macht, die seine Ziele vorantreiben könnte, würde dies einen weiteren Stein auf seinem Weg bedeuten. Und er konnte sich keine weiteren Steine leisten…

»Ehrlich gesagt gibt es viele Dinge, die ich jetzt lieber täte, als hier mit dir durch den Regen zu reiten, Loki Laufeyson.« gab sie ihm gespielt dickköpfig zurück. Obwohl ihre Mundwinkel regungslos verweilten, so war das belustigte Funkeln in ihren Augen doch da.

Der Magier war fast erleichtert. Offensichtlich war ihr eigensinniges Selbst noch nicht ganz verschwunden.

»Tatsächlich?« Er beugte sich ein wenig zu ihr hinüber. »Was denn zum Beispiel? Was würdest du jetzt wohl gerade auf Midgard machen?« hinterfragte er und wurde sich bewusst, dass es ihn wirklich interessierte.

Sie öffnete schon den Mund, bevor sie die Brauen skeptisch zusammenzog und zu ihm hinüber schielte. »Versuchst du mich gerade von dem scheußlichen Wetter abzulenken?«

»Vielleicht. Funktioniert es denn?«

»Vielleicht…«

Seine Mundwinkel zuckten ohne sein Zutun in die Höhe. »Dann tue ich genau das. Also…?« Er fischte einen kleinen Beutel mit getrockneten Beeren aus einer seiner Satteltaschen und bot Gwendolyn etwas davon an. Dankend nahm sie eine Handvoll, bevor sie das Wort wieder ergriff.

»Ich würde jetzt definitiv zuhause sein und ein herrliches, warmes Bad nehmen. Mit ganz viel Schaum und diesem tollen Badezusatz, der nach Erdbeeren duftet. Himmlisch…« Mit einem sehnsüchtigen Seufzen zog sie sich die Kapuze wieder in die Stirn, jedoch nur soweit, dass sie Loki weiterhin ansehen konnte. »Und dann würde ich mich auf meine Couch zurückziehen, eingewickelt in eine kuschlige Decke und mit einer Tasse Tee. Vielleicht würde ich an einem Artikel arbeiten oder mit Winston kuscheln…«

»Winston ist dein Gefährte…?« Die Frage war Lokis Lippen schneller entschlüpft, als er sich bewusst darüber wurde.

Eigentlich interessierte ihn das überhaupt nicht. Die Frau konnte ihr Leben leben, wie sie es wollte und ihre Zeit verbringen, mit wem sie wollte…

Doch dieser seltsame Stich in der Brust des Magiers ließ sich nicht verleugnen; ein Schmerz, der ihm bekannt vorkam - ihn an Momente erinnerte, wenn Odin abermals Thor bevorzugt hatte, ob nun mit Lob oder schlichtem Interesse.

»Was…? Oh Gott nein. Nein!« Die Sterbliche lachte amüsiert und wischte sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. Loki verfolgte den Weg eines Regentropfens, der sich seinen Weg über ihre Lippen zu ihrem Kinn bahnte und dort glänzend herabfiel. »Winston ist mein Kater. Mein Haustier. Er ist zwar manchmal genauso anstrengend wie ein Mann, aber wesentlich pflegeleichter…« Sie warf Loki einen bedeutsamen Blick zu und schmunzelte.

Die eigenartige Beruhigung, die er augenblicklich empfand, sollte wahrscheinlich gar nicht da sein. »Was meintest du mit „an einem Artikel arbeiten?“«

»Für meinen Job. Also für meine Arbeit auf der Erde. Irgendwie muss man sich ja seine Existenz finanzieren.«

Loki erinnerte sich an das, was Frigga ihm über die Frau erzählt hatte. »Du bist eine „Journalistin“, nicht wahr?«

»Ja, stimmt.« Gwendolyn wirkte überrascht, doch beinahe erfreut darüber, dass er offensichtlich etwas über sie zu wissen schien. »Ich schreibe sogenannte „Artikel“ für meinen Arbeitgeber, die dann in einer Zeitung veröffentlicht werden. Das ist ein Informationsblatt für die Menschen meiner Welt.«

Sie berichtete ihm von ihrer Arbeit, den täglichen Abläufen und Aufgaben, die dort anstanden; von einigen Kollegen und einer Frau namens Ashlyn, die Gwendolyn sehr wichtig zu sein schien.

Sie unterhielten sich eine ganze Weile über das schlichte Leben, während das Rauschen des Regens beharrlich in den Hintergrund rückte und nur das leise Schnauben der Pferde ab und an ihr Gespräch unterbrach wie das helle, leise Lachen der Sterblichen.

Loki ertappte sich selbst dabei, dass er völlig abgelenkt war; von ihrem Weg, ihrer Reise, selbst dem Regen und der allgegenwärtigen Nässe, die unaufhaltsam unter die Stoff- und Lederschichten seiner Kampfrüstung kroch. Es war wirklich angenehm, sich mit der Frau zu unterhalten - sie war intelligent, witzig und beantwortete ihm seine interessierten Fragen gewissenhaft und mit erfreuter Bereitschaft.

In Momenten wie diesen konnte er tatsächlich fast vergessen, dass sie ein Mensch war. Und erkennen, dass sich die Menschen gar nicht so sehr von den Göttern unterschieden…

»Wirst du über Asgard schreiben, wenn du wieder zurückkehrst?« Loki nahm die Wasserflasche wieder an sich, die Gwendolyn ihm eben reichte, nachdem sie sich einen Schluck geteilt hatten.

Die Frage war leichthin gestellt, doch sperrte sich irgendetwas in ihm gegen den Gedanken, dass sie tatsächlich eines Tages aus seiner Welt verschwinden könnte.

Sie schlang sich die ledernen Zügel fester um die Hände, blieb ihm die Antwort einen Moment schuldig. Der Magier sah aufmerksam zu ihr hinüber.

»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht…« gestand sie dann verhalten. Ihre Augen suchten seinen Blick für einen Moment, bevor sie wieder auf den schlammigen Weg vor ihnen sah und ihr Pferd ein wenig im Gang korrigierte. Neben ihnen fiel der Hang senkrecht in die Tiefe ab, welche durch neblige Schwaden bodenlos erschien. »Eigentlich bin ich mit genau dieser Aufgabe hierher gekommen. Genau das wollte mein Boss. Und ich wollte das anfangs auch. Aber jetzt…« Sie hielt kurz inne und blickte nach vorn zu Fandral und Volstagg, die eine Metflasche zwischen sich wandern ließen, die der blonde Krieger wohl aus einem geheimen Versteck gezaubert hatte.

Thor ritt inzwischen an der Spitze des Zuges, Sif an seiner Seite. Die beiden waren in ein leises Gespräch vertieft, ihre Gestalten im Regenschleier verschwommen. Hogun kam als letzter hinter Loki und Gwendolyn und bildete die schweigsame Nachhut.

»Vielleicht sollten manche Geheimnisse doch gewahrt bleiben. Immerhin machen genau sie die Faszination von Mythen, Märchen und Legenden aus…« wisperte die Sterbliche dann nachdenklich, bevor sie fast unsicher wieder zu Loki hinüber sah, als würde sie von ihm Zustimmung erwarten.

Der Magier schmunzelte verhalten und hob gespielt überrascht eine Braue. Der Regen tropfte ihm inzwischen ungehindert ins Gesicht; in einer beiläufigen Bewegung zog er den schweren Umhang fester um sich. »Solche Worte aus dem Mund einer „Verfechterin der Wahrheit“?«

Sie lachte leise und schüttelte den Kopf wohl über ihre eigenen Worte. »Ja…ich kann es auch kaum glauben, dass ich das eben gesagt habe. Aber die sachliche Wahrheit würde eurer Welt vielleicht den Zauber nehmen, doch gerade der macht sie doch so magisch und einzigartig…« Wieder sah sie zu Loki herüber. »Vielleicht sollten wir Menschen doch öfters einfach glauben, anstatt nach der logischen und wissenschaftlichen Erklärung einer Sache zu suchen…« murmelte sie kaum hörbar und Loki konnte erkennen, dass in ihren Augen einige Fragen entstanden, die sie sich vorher zu stellen wohl nie wirklich gewagt hatte.

Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wurde jedoch unterbrochen, als die kleine Gruppe unvermittelt stehen blieb. Loki zügelte seinen Hengst, da Fandral und Volstagg plötzlich angehalten hatten.

»Was ist los?« zischte Loki und Fandral zuckte knapp mit den Schultern, wies aber mit dem Kinn in Richtung Thor, der sich an der Spitze des Zuges gerade von seinem Hengst schwang.

Der Magier bedeutete der Sterblichen zu warten, dann lenkte er sein Pferd vorbei an Volstagg, um zu Sif und Thor zu gelangen. Dort sprang er ebenfalls aus dem Sattel; der Schlamm spritzte um seine Stiefel.

Er trat an die Seite seines Bruders, der sich geduckt einem felsigen Vorsprung genähert hatte, von welchem man aus in das tiefer gelegene Tal hinabblicken konnte. Loki ging neben Thor in die Hocke und warf diesem einen fragenden Blick zu; der Donnergott hatte den Zeigefinger über die Lippen gelegt und wies dann mit einer knappen Kopfbewegung vor ihnen den Abhang hinab.

Durch dichte Nebelschwaden und Regenschlieren konnte man dunkle Gestalten erkennen, die sich am Grund des Tales zwischen kargen Bäumen und Sträuchern bewegten. »Schwarzalben…« grollte Thor.

»Was machen sie hier?« wisperte Sif nun zurück, während ihr der Regen ungehindert über die dunklen, streng zusammengebundenen Haare perlte, da sie ihre Kapuze zurückgeschlagen hatte. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie tatsächlich schon so weit vorgedrungen sind…«

»Sie scheinen etwas zu suchen…« Loki hatte die Augen verengt und spähte angestrengt durch den dichten Regenschleier ins Tal. Tatsächlich bewegte sich die kleine Gruppe der Dunkelelfen sehr kontrolliert und präzise; einige trugen seltsame Gerätschaften in den Händen, womit sie die umgebenden Felswände zu untersuchen schienen. Trotzdem waren sie nicht gekleidet wie Forscher, sondern wie die Krieger, die sie waren - in silbern schwarze Rüstungen und schwere, dunkle Umhänge, unter denen ihre Waffen aufblitzen.

»Mir gefällt es ganz und gar nicht, dass sie sich nun so frei zwischen unseren Welten bewegen können. Das macht es beinahe unmöglich, einen Angriff vorauszuahnen und abzuschätzen…« raunte Thor finster und verstärkte den Griff um Mjölnir.

»Sollen wir angreifen?« Sif zog ihren noch zusammengefalteten Speer mit einem leisen Schaben aus der Halterung ihres Gürtels.

»Nein.« Loki hielt die beiden mit einer knappen Handbewegung auf. »Wir sollten keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Vielleicht ist es besser, wenn sie nicht wissen, dass wir hier sind, so wie wir sie in dem Glauben lassen, dass wir sie noch nicht entdeckt haben. Das kann uns einen Vorteil verschaffen.«

Der Magier sah seinen Bruder neben sich eindringlich an; der Regen bahnte sich unaufhörlich den Weg über die Züge des Donnergottes, verfing sich in dessen Bart und Haar, während die klaren Sturmaugen davon nicht beeinträchtigt schienen; Blitze zuckten in seinen Pupillen. Die Kiefermuskeln des Gottes spannten sich merklich an, sodass sie wie Klippen wirkten, an denen der Regen hängen blieb.

Es widerstrebte Thor sehr, den Feind ziehen lassen zu müssen, der so uneingeschränkt durch ihre Lande - ihre Heimat - zog. Und Loki konnte diesen inneren Kampf seines Bruders durchaus nachvollziehen.

Thor sah noch einmal ins Tal hinab, dann nickte er zögerlich. »Na schön...«

Die drei wollten sich gerade vom Felsvorsprung zurückziehen, als Loki noch aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie die Schwarzalben am Grunde des Tales durch einen Riss zwischen den Welten scheinbar im Nichts verschwanden…und urplötzlich hinter ihnen wieder auftauchten.

Beide Parteien schienen gleichermaßen überrascht über das unerwartete Zusammentreffen, doch die Dunkelelfen fingen sich wesentlich schneller wieder. Ihr Anführer bellte einen harschen Befehl über das Tosen des Regens, woraufhin sich die Elfen den Reitern auf den Pferden zuwandten.

Fandral und Volstagg warfen geistesgegenwärtig ihre tropfnassen Umhänge von sich, die sie im Kampf nur behindert hätten, bevor sie sich aus ihren Sätteln schwangen und die Waffen zogen, um den ersten einstürmenden Dunkelelfen mit blanken Klingen zu begegnen.

Hogun hatte sich zwischen der Sterblichen und den Angreifern platziert und schwang seinen Morgenstern vom Pferd aus, wenngleich das ein wahres Kunststück auf dem schmalen und vom Regen rutschigen Pfad darstellte. Die Stute des Kriegers drohte mehr als einmal im Schlamm abzurutschen, doch Hogun brachte sie immer wieder auf den Weg zurück, während er einem angreifenden Elfen gerade das Gesicht mit seinem Morgenstern zertrümmerte.

Thor und Sif warfen sich nur einen knappen Blick zu, dann hatten sie in stillem Einverständnis ihre Waffen gezogen und attackierten die Gruppe der sich verbissen wehrenden Schwarzalben, die von Volstagg und Fandral auf den Abhang zugetrieben wurden.

Loki rollte sich unter der herabsausenden Klinge eines Dunkelelfen zur Seite und warf diesen dann durch einen gezielten Tritt förmlich in Fandrals Degen, der die Klinge mit einem triumphierenden Lachen durch das Fleisch des Elfen bohrte.

Der Magier rappelte sich auf dem rutschigen Untergrund wieder auf und bahnte sich an der kämpfenden Menge vorbei seinen Weg zu der Sterblichen, die am Ende des Zuges verängstigt auf ihrem Pferd saß; der Hengst spürte ihre Emotionen und schnaubte erregt, während er unruhig auf dem schmalen Pfad tänzelte und die Augen nervös in den Höhlen rollte, als sich einer der Elfen an Hogun vorbeischlich und die Menschenfrau entdeckte.

Der Hengst scheute, als sich der Elf mit gezückten Waffen auf das Tier warf; er stieg wiehernd in die Höhe und drohte den Halt auf dem schlammigen Boden zu verlieren. Die Sterbliche krallte sich verbissen an ihren Zügeln fest und brachte es sogar fertig, den angreifenden Dunkelelfen mit einem gezielten Stiefeltritt zurücktaumeln zu lassen, bevor ihr Hengst erneut in die Höhe stieg.

Loki war zu langsam; er wusste es bereits, als er bei dem Elfen ankam, der sich gerade wieder aufrappeln wollte, um erneut auf die Menschenfrau einzustürmen und diesem einen seiner Dolche in die Halsseite trieb.

Wenn er seiner Magie habhaft gewesen wäre, hätte er verhindern können, was nun mit erschreckender Schnelligkeit geschah - Gwendolyn rutschte aus ihrem Sattel und stürzte den schlammigen Abhang hinab.

Der Magier versuchte noch ihren Umhang zu erwischen, doch brach der aufgeweichte Boden unter seinen Stiefeln weg und er rutschte selbst hinter der Sterblichen die steile Böschung in Richtung Tal hinab.

»Loki!« Der entsetzte Ruf seines Bruders folgte dem Magier nach, während er sich irgendwo festzuhalten versuchte, um seinen Sturz zu bremsen; Gwendolyn tat es ihm gleich und angelte nach vorbeirauschenden Wurzeln und Büschen, doch nichts versprach halt auf ihrem Weg hinab.

Spitze Felsen tauchten im Nebel vor ihnen auf und Loki kam der Gedanke, dass dieser Ausflug sein letzter sein würde - aufgespießt und zerschmettert am Grund des Tals würde ein Gott also sein Leben aushauchen.

Verbissen packte er einen Zipfel von Gwendolyns Umhang und zog die Frau in seine Arme; begegnete ihrem panischen Blick, während sie die Finger in seine Rüstung krallte. »Halt dich fest…« rief er ihr unnötigerweise über das Rauschen des Regens und das Pfeifen des entgegenstürmenden Windes zu, bevor sie über den Rand der Klippe stürzten und ins neblige Nichts fielen.

Der Moment der Schwerelosigkeit war fast berauschend; ein Flug ohne Halt, losgelöst von allen Dingen flatterten ihre Umhänge wie aufgeschreckte Vögel im Wind.

Loki drehte sich so, dass er die Sterbliche zumindest mit dem eigenen Körper beim Aufprall schützen konnte. Seine Knochen würden wahrscheinlich brechen und sein Körper zertrümmert werden, doch ein Gott wie er hatte zumindest die Chance, so einen Sturz zu überleben - auch wenn jene verschwindend gering war. Ein Mensch wie sie dagegen würde das nie überleben.

Doch der erwartete Aufprall blieb aus.

Sie fielen und plötzlich war es, als würde ihr Sturz durch eine weiche, undurchsichtige Membrane gebremst werden; ihre Körper sackten durch eine spürbare Grenze in der Luft und gleich darauf erreichten sie den Erdboden. Doch der Aufschlag war seltsam verzögert, als wären sie kaum ein paar Fuß tief gefallen; Lokis Rücken kollidierte unvermittelt mit warmen Untergrund und er quittierte das Ende ihres unfreiwilligen Fluges mit einem kleinen Ächzen, als die Sterbliche kurz darauf auf ihm landete.

Loki blinzelte verwirrt in den Himmel über ihnen auf, der sich irgendwie ziemlich von jenem unterschied, der sie nun die letzten Tage ihrer Reise über begleitet hatte.

Der Regen war unvermittelt versiegt und rötlich braune Wolken zogen an einem Himmel dahin, der das typische Blau gänzlich vermissen ließ; hier wölbte sich ein glutrotes Firmament über das Land, schwellende Feuer glitten in rauchenden Bahnen durch die vereinzelten Wolken und zogen ihre aschgrauen Linien über das satte Rot des Himmels.

Eine beunruhigende Erkenntnis dämmerte dem Magier...

Die Luft flirrte vor Hitze und wirkte beinahe wie ein Schock nach dem andauernden Regen der vergangenen Tage; die Feuchtigkeit ihrer Kleider begann bereits zu trocknen und sandte wabernde Dunstwolken aus ihren Umhängen.

Gwendolyn richtete sich von Loki auf und sah sich irritiert um; auf ihren Zügen stand eine deutliche Frage neben verblüffter Ungläubigkeit geschrieben, bevor sie den Magier unter sich wahrnahm und mit erwachender Röte auf den Wangen von ihm in die Höhe stemmte. »Entschuldige…« murmelte sie leise und blieb verwirrt neben ihm hocken, während Loki sich nun selbst auf die Ellenbogen stützte und auf die Füße erhob

»Wo sind wir hier…?« fragte die Sterbliche leise und zog die Finger ruckartig vom kargen, rissigen Boden zurück, da die heißen Steine ihre Handfläche verbrannt hatten.

Der Magier sah sich aufmerksam um; eine felsige, zerklüftete Landschaft eröffnete sich rings umher und ließ den Horizont nur erahnen. Am Himmel zogen immer wieder flammende Glutbrocken vorbei, als würde ein Vulkan in der Nähe seinen feurigen Atem in die Welt spucken. Ein tiefes Grollen vibrierte unter ihren Stiefeln und ließ ein paar kleinere Steine aufgeregt über den Boden hüpfen.

Die Luft war heiß und stickig, angefüllt mit Staub und dem unterschwelligen Aroma von Asche. Im Moment wirkte das plötzlich geänderte Klima vielleicht angenehm gegen die kühle Nässe, die in ihre Kleider gekrochen war, doch nach einer Weile würde die Hitze unerträglich werden…

»Wir sind nicht mehr in Asgard, oder…?« Gwendolyns Blick glitt zu Loki und dieser schüttelte den Kopf.

»Nein.« war die knappe Antwort des Magiers, der nun seinen schlammbespritzten, schweren Umhang abwarf.

Gwendolyn war zu ihm herangetreten; ihre Finger klammerten sich um seinen Arm, nachdem ein undefinierbares, heiseres Kreischen irgendwo in der Ferne die brodelnde Stille durchbrochen hatte. »Wo sind wir hier…?« wisperte sie angespannt, wobei die Erkenntnis im Hauch ihrer Stimme zu erahnen war. Sie sah sich ängstlich um.

»Muspelheim.« erwiderte er ruhig. »Wir müssen durch einen Riss zwischen den Welten gestürzt sein, was uns wahrscheinlich das Leben gerettet hat.«

»Muspelheim?!« wiederholte sie erschrocken und hielt ihn am Arm zurück, als er sich schon zum gehen abwenden wollte. »Scheiße…ehrlich!? Die Welt der Dämonen…?!« Panik blitzte in ihren klaren Augen auf. Loki bettete ihr eine Hand auf der Schulter, um sie zu beruhigen.

»Du solltest jetzt nicht so sehr an der Vorstellung der Menschen von Dämonen festhalten. Es scheint uns noch niemand entdeckt zu haben und wenn wir möglichst schnell den nächsten Durchlass zwischen den Welten finden wird das auch so bleiben. Also verhalten wir uns ruhig und brechen nicht in Panik aus.« raunte er ihr beschwörend entgegen, bevor er sie am Ärmel mit sich zog. »Komm mit. Wir müssen da hoch.« Er deutete das felsige Gebirge hinauf, an dessen Fuß sie gelandet waren.

Sie mussten sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Loki hatte einen staubigen Pfad die nahen Klippen hinauf entdeckt, den sie nun erklommen.

Der Magier wollte der Sterblichen keine Angst machen - was äußerst verwunderlich war, wenn man bedachte, wie sehr er vor geraumer Zeit die Angst der Menschen noch genossen hatte - daher hatte er in typischer Manier gelogen, um sie in Sicherheit zu wiegen.

Die Wahrheit war - man hatte sie längst entdeckt. Loki spürte die Unruhe in den Mächten umher; das wachsame Aufbäumen unter den heißen Steinen der Erde.

Neben allen Welten musste es sie unbedingt nach Muspelheim verschlagen. Diese Welt war eine der gefährlichsten; noch unschöner konnte wohl nur ein Besuch des Hel enden.

Die Wesen Muspelheimes waren wenig vernunftbegabt; sie folgten ihren Instinkten, waren wilde, rohe Bewohner ihrer Welt, denen man nicht mit Logik oder Verhandlungen entgegenkommen konnte. Für sie war ihre Ankunft hier ein gefundenes Fressen - sie würden sich einen Spaß daraus machen, sie zu jagen.

Die Luft wurde immer dünner und heißer, je höher sie kamen und jeder Atemzug brannte in der Lunge, doch Loki hastete verbissen den Weg hinauf. Sie mussten hier möglichst schnell wieder weg und hatten einfach keine Zeit für eine Rast. Immer wieder zog er die Sterbliche unerbittlich hinter sich her, wenn er sah, dass sie zurückblieb. Erschöpft und mühsam versuchte sie mit ihm Schritt zu halten.

»Hoffentlich geht es den anderen gut…« wisperte sie irgendwann atemlos, während sie sich den steilen Pfad die zerklüfteten, scharfen Felsen hinaufkämpften.

Der Magier presste die Lippen missmutig aufeinander. Offenbar hatte er so perfekt gelogen, dass sich Gwendolyn nun lieber Sorgen um seinen Bruder machen wollte als um sie hier in dieser gefährlichen Situation. »Die überleben das schon… Immerhin haben sie ja den mächtigen Thor bei sich.« gab er in bissiger Ironie zurück, bevor er die Felsen am Wegesrand abtastete, um einen möglichen Durchbruch der Grenzen zu erspüren.

Die Sterbliche löste gerade ihren Umhang, da es darunter zu warm wurde und klemmte sich diesen unter den Arm, während nun statt Regentropfen Schweißperlen über ihre Stirn rannen und an ihrer Nase hängen blieben. Sie wischte sich mit einem Ärmel ihres Hemdes übers Gesicht. »Auch Thor ist nicht allmächtig.« erwiderte sie atemlos und ließ sich gegen einen abgerundeten Felsen im Rücken sinken, um einen Moment zu verschnaufen. »Warum bist du eigentlich immer so verdammt abwertend ihm gegenüber? Er ist kein Trottel und ein wirklich netter Kerl. Er würde niemals so abfällig über dich reden.«

Loki fuhr zu Gwendolyn herum; die Hitze allein setzte ihm unter dem dichten Leder und Stoff seiner Kampfrüstung schon zu und nun raubten ihm auch noch die Worte der Frau den letzten Nerv. »Wenn du ihn so sehr magst, vielleicht wärst du dann ja jetzt lieber mit ihm hier gefangen?! Ich bin sicher, mein weiser Bruder würde Jahre brauchen, um euch hier herauszubringen, da er sich leider nicht so auf das Feingefühl der Mächte versteht. Aber vielleicht hättest du Glück und er würde euch den Weg mit Mjölnir durch den Stein prügeln.« zischte der Magier verächtlich.

Die Züge der Sterblichen verfinsterten sich und sie sah ihn ärgerlich an, die Brauen kämpferisch zusammengezogen. »Ja, vielleicht wäre ich lieber mit deinem Bruder hier, denn der würde zumindest das Feingefühl besitzen, nach meinem Befinden zu fragen!« fuhr sie ihn unwirsch an.

Erst jetzt fiel dem Magier auf, dass die Menschenfrau offensichtlich bald am Ende ihrer Kräfte war; ihre störrisch vorgeschobene Unterlippe zitterte und die Hitze hatte ihre Kleider vollkommen mit Schweiß durchnässt, sodass ihr der Stoff nun sicher unangenehm am Körper klebte. Sie war blasser noch als zuvor und dunkle, erschöpfte Schatten lagen unter ihren Augen.

Der lange Ritt ohne Pause, der andauernde Regen und nun dieser Aufstieg in der Hitze Muspelheims...sie war eben keine Göttin.

Unsinnigerweise machten sich seine Augen selbstständig; sein Blick glitt über die nun sehr sichtbaren Konturen ihres Körpers und er wurde sich seines trockenen Mundes überdeutlich bewusst. Ihr zierlicher, doch wohlgeformter Körper war beinahe zu detailliert für den Magier zu erahnen und er sog die brennende Luft durch bebende Nasenflügel ein.

Der schmerzhafte Stich der Eifersucht meldete sich wieder.

Sie gehörte ihm.

Sie sollte Thor nicht ihm vorziehen. Niemals.

»Entschuldige, Prinzessin, dass ich es nicht für so wichtig erachtete auf deine geschundenen Füße Rücksicht zu nehmen. Aber mir erschien es im Augenblick wichtiger, dass wir hier verschwinden, sonst ist dein Befinden nämlich bald unser geringstes Problem…« Loki griff nach ihr und wirbelte die Frau ruckartig zu sich herum, sodass er sie mit dem Rücken gegen sich pressen konnte. Ein Arm schlang sich um ihren Leib und hielt sie fest, während seine andere Hand ihr Kinn packte und auf den Anblick zwang, den Loki einige Zeit zuvor bereits entdeckt hatte.

Die plötzliche Nähe zu ihr sollte er in dieser Situation wahrscheinlich nicht so genießen, allerdings tat er es trotzdem.

»Wir werden schon eine Weile verfolgt…« raunte er nah an ihrem Ohr. Seine Lippen streiften unbeabsichtigt ihre Haut und er versuchte das Gefühl zu ergründen, was diese feine Berührung in ihm auslöste. Sie erbebte in seinen Armen, doch entgegen seiner Erwartung drängte sie nicht weg von ihm, sondern grub die Finger in seinen Arm, als befürchtete sie eher, dass er sie wieder loslassen könnte.

»Oh Gott…« hauchte sie schwächlich, als sie der Gestalten am Fuße des Berges gewahr wurde, die ihre Verfolgung aufgenommen hatten. Wie eine winzige Flut aus Insekten krochen die undeutlichen Schemen in der Ferne über Felsen und Steine; Krallen, Flügel und Hörner verschwammen in der flirrenden Hitze zu einer einzigen, dunklen Masse, die sich wie ein grotesker Tausendfüßler den Berghang zu ihnen hinauf schlängelte.

Am Horizont spie ein Vulkan tatsächlich seine feurige Schlacke in die Höhe und verdunkelte den Himmel zunehmend durch eine dichte Aschewolke, die unheilvoll heranzog und in deren hoch aufgetürmten Feldern aufgeladene Blitze zuckten. Die Ausläufer eines Bebens erreichten nun ihren Berghang und lockerten faustgroße Felsenstücke, die geräuschvoll den Abhang hinabrollten.

»Warum hast du denn nicht….vorhin hast du gesagt, man hätte uns noch nicht entdeckt! Du hast gelogen!« stieß Gwendolyn jetzt aus und wandte sich in seinen Armen um, sodass sie ihn direkt ansehen konnte. Er entdeckte den Funken von Scham in ihren Augen; offensichtlich war es ihr nun peinlich, dass sie sich über seine rücksichtslose Art beschwert hatte.

»Was hätte es gebracht, wenn du Angst hast?« gab er ihr forsch zurück und ließ sie aus seiner Umarmung, die er viel zu lange aufrecht erhalten hatte.

Sie zog die Brauen skeptisch zusammen. »Du hast das aus Rücksicht auf mich verschwiegen?!« fragte sie ungläubig.

Loki hätte fast ein frustriertes Schnauben ausgestoßen.

Offensichtlich hielt ihn wirklich jeder für selbstsüchtig und keiner traute ihm zu, dass er nur einmal aus rücksichtsvollen Motiven handeln könnte - nicht einmal die Sterbliche. Wahrscheinlich hätte ihn das nicht wundern und schon gar nicht enttäuschen sollen, doch irgendwie hatte er anscheinend gehofft, dass zumindest sie eine bessere Meinung von ihm haben könnte. »Nein. Aber deine Panik hätte uns auch nicht geholfen.«

Ein weiteres Beben unterbrach sie in ihrem Gespräch; wesentlich intensiver als das zuvor. Sie wurden regelrecht auseinander geschleudert, während sich der Boden aufbäumte wie ein bockendes Pferd gegen seinen Reiter. Gwendolyn schlug hart auf dem Boden auf und auch Loki donnerte unvermittelt gegen die Felswand im Rücken, sodass ihm der Aufprall den letzten Rest an Atem aus den Lungen trieb.

Das war gar kein weiteres Erdbeben…

Vor ihnen begann sich der Felsen zu bewegen; ungläubig beobachteten der Magier und die Sterbliche, wie der Boden zum Leben erwachte.

Unter dem nun zerbröselndem Stein kam schuppige Haut zum Vorschein, gefolgt von ledernen Schwingen, die mit einem Ruck in die Luft schossen und sich in einem tosenden Geräusch entfalteten.

Loki hastete zu der erstarrten Frau hinüber und zog sie hektisch auf die Füße. »Wir sollten jetzt schleunigst hier verschwinden.« Er zerrte sie schon fast hinter sich her, da sie mit offenem Mund und ängstlich geweiteten Augen an dem Schauspiel hing und sich scheinbar gar nicht davon losreißen konnte.

»Sag mir nicht, dass das ist, was ich denke, dass es ist…« stammelte sie entsetzt.

»Gut, welche Lüge willst du stattdessen hören?« Loki zog die Frau über den aufbrechenden Boden vorwärts; sie stolperten und schwankten über die bebenden Felsen und Steine, die sich wie das Meer wellenartig bewegten und sie immer wieder umzustoßen drohten.

Ein ohrenbetäubendes Brüllen wurde hinter ihnen laut; ein monströses Fauchen, welches das gesamte Gebirge erzittern ließ. Haushohe Felsen lösten sich aus dem Berghang und stürzten an ihnen vorbei in den Abgrund; immer wieder riss Loki Gwendolyn zu sich heran, um die Frau vor herabstürzenden Steinen zu schützen.

Sie täten jetzt wirklich gut daran einen weiteren Durchgang zurück nach Asgard zu finden, denn sonst konnte ihre Reise hier bald ein ziemlich unschönes Ende nehmen.

»Lauf!« schrie Loki, bevor ein goldfarbener Flügel die Felsen über ihnen traf.

Eilig erklommen sie den schmalen Pfad weiter, der kaum noch als solcher zu erahnen war, da das berstende Gebirge die Landschaft in rasender Geschwindigkeit umgestaltete. Vermehrt mussten sie tiefe Schluchten überspringen, die sich urplötzlich vor ihnen im Stein bildeten, während ein bedrohliches Krachen ihnen auf Schritt und Tritt folgte.

Gwendolyn und Loki wandten gleichzeitig die Köpfe, um das furchterregende Bild zu erblicken, dass sich ihnen bot - hinter ihnen schlängelte sich ein massiger, geschuppter Körper den Berg hinauf, lederne Schwingen auf dem Rücken, deren Spannweite wahrscheinlich fast die Hälfte Gladsheims hätte bedecken können. Ein mächtiger, spitzer Kopf mit glühenden Reptilienaugen erhob sich auf einem schlanken Hals, unter mannshohen Nüstern schwellte das Feuer Muspelheims.

Ein Feuer, welches der Wyrm nun mit einem Brüllen anfachte, den Schlund mit schwertscharfen Zähnen aufriss und die Klauen in den zerbröselnden Stein grub, um sich Halt zu sichern.

Der Flammenstoß zischte um Haaresbreite an ihnen vorüber, als Loki und Gwendolyn das Hochplateau erreichten, welches die Spitze des Berges darstellte; fauchend schoss das Feuer den Weg herauf, den sie eben gekommen waren, während sie sich über die Kante rollten und auf der Ebene in Sicherheit brachten.

In eine trügerische Sicherheit, denn von hier gab es kein Entkommen…

Hustend stemmte sich die Sterbliche neben Loki wieder auf die Füße, die Kleider zerrissen und staubig, Ruß im Gesicht, welcher einen herben Kontrast zu ihrer blassen Haut und den hellen, ängstlichen Augen bildete. »Wohin jetzt…? Loki…wohin?«

Sie drehten sich beide im Kreis, doch von hier gab es keinen Weg weiter. Frustriert betrachtete Loki die Fesseln um seine Handgelenke; so war er hilflos, so unnütz - wenn er seine Magie zur Verfügung gehabt hätte, so wäre ihnen die Flucht mit Sicherheit nicht so schwer gefallen.

»Verdammt…« fluchte der Magier ungehalten und fuhr sich mit beiden Händen durch das nun wirre Haar. Sie mussten hier weg. Sie mussten…

Er hielt inne. Was war das?

Irgendwo in der Nähe befand sich ein Durchgang zwischen den Welten; er konnte den Riss in den Mächten beinahe spüren, fühlte die aufgestaute Energie, die wie ein geteilter Fluss um einen hoch aufragenden Felsen floss.

Das Donnern des Wyrm kam näher; der Berg erzitterte unter seinem mächtigen Körper und dem ohrenbetäubenden Brüllen, welches die Steine erbeben ließ. Die Spitzen der ledernen Flügel tauchten bereits über dem Vorsprung auf, ebenso wie eine gewaltige Klaue, die sich in die Kante des Plateaus hakte.

Loki packte Gwendolyn am Handgelenk und zog sie mit sich, fort von dem Wyrm zur entgegengesetzten Klippe des Berges; hier fiel das Gebirge steil unter ihnen ab und verlor sich in der Tiefe zwischen scharfen Felsvorsprüngen und einem brodelnden Lavafluss, dessen Glut bis hier oben zu spüren war.

Der heiße Wind pfiff den Abhang herauf und blies ihnen seinen flirrenden Atem ins Gesicht; die Sterbliche stolperte entsetzt zurück, doch Loki hielt sie bestimmt fest. »Wir müssen springen!« schrie er über das Fauchen des Wyrm, dessen gewaltiger Kopf eben über der Kante des Berges erschien. Die glimmenden Augen des Wesens erfassten sie und die riesigen Nüstern blähten sich unter dem Duft der sicher geglaubten Beute.

»Was?! Nein…nein…oh bitte…ich kann nicht…ich kann nicht…« wimmerte Gwendolyn panisch und stemmte sich gegen seinen Griff, bevor sie sich verzweifelt des schuppigen Wesens bewusst wurde, dessen Zähne schon nach ihrem Fleisch gierten. »Loki….bitte…«

Der Magier zog die Frau entschieden an sich und zwang sie, ihn anzusehen, während der heiße Wind ihm die dunklen Strähnen ins Gesicht trieb. »Vertrau mir. Hörst du?« Er schüttelte sie leicht, hielt ihre Oberarme fest umfangen, während ihr angstgelähmter Blick beinahe flehend an seinem Gesicht hing. »Du musst mir jetzt vertrauen. Wir müssen springen. Alles wird gut. Glaub mir.« sprach er beschwörend mit einer Versicherung in der Stimme, die er selbst kaum empfand.

Wenn er sich irrte, so würde das ihr Ende sein. Unwiderruflich.

Er durfte sich einfach nicht irren.

Gwendolyn holte zitternd Luft, bevor sie schwach nickte und in einer ihr so typischen Geste die Lippe zwischen die Zähne zog. »Okay…«

Er schlang einen Arm um sie und trat den letzten Schritt an die Klippe heran, bereit zu springen, bevor das eindringliche Wispern der Sterblichen ihn aufhielt. »Loki…«

Er sah zu ihr hinüber, spürte bereits den Sog der Tiefe und das gründliche Atemholen des Wyrm hinter ihnen, als die Frau unvermittelt eine Hand ausstreckte und ihn am Kragen seines Mantels zu sich herunterzog.

Das nächste, was er fühlte, waren ihre Lippen auf den seinen - ein verzweifelter, kurzer Kuss und doch lag ein Versprechen in ihm, Hoffnung und Vertrauen.

Der Magier ließ diese Berührung völlig verblüfft über sich ergehen; sein Blick begegnete dem ihren über ihre verbundenen Lippen hinweg. Sie schien nicht minder überrascht über ihr forsches Handeln, ihre hellen Augen glichen riesigen, schimmernden Teichen, in denen Ungläubigkeit schwamm - für die Weile eines fallenden Sandkornes waren sie Eins im Strudel der Zeit.

Ihr Kuss war flüchtig gewesen, kaum als innig zu bezeichnen; sie löste die Berührung schneller als sie sie begonnen hatte, sodass Loki sich nach dem nächsten Wimpernschlag kaum sicher war, ob es tatsächlich stattgefunden hatte.

Sein Innerstes bestand plötzlich nur noch aus einem Durcheinander von Empfindungen, die er in diesem chaotischen Moment nicht mehr zu ordnen vermochte; der flammende Atem des Wyrm rollte zu ihnen heran, gab keine Zeit mehr zum nachdenken und so packte er die Sterbliche fester und sprang mit ihr in die Tiefe.

Der Erdboden rauschte ihnen entgegen; rasend schnell sanken sie in die Tiefe, während das wütende Brüllen des Wyrms über dem Berggipfel erscholl und eine Säule aus Flammen ihnen nachfolgte.

Loki verspürte das vertraute Ziehen am Körper, welches ihren Fall bremste und ihn wie durch Watte sinken ließ. Im nächsten Augenblick schon wurde ihr Sturz durch regennassen, nachgiebigen Waldboden gedämpft, der ihren Aufprall mit einem dumpfen Platschen quittierte.

Wie zuvor landete Loki als erster auf dem Rücken, bevor die Sterbliche auf ihn fiel; hinter ihnen folgte ein Schwall heißen Atems nach, der jedoch im andauernden Regen Asgards verlosch. Ihre schwelende Kleidung wurde zischend durch die tosenden Tropfen gelöscht, sodass von ihren beiden Körpern dunstige Schleier aufstiegen.

Gwendolyn lag zuerst regungslos auf Loki, sodass er in ungewohnter Sorge einen Arm hob und sie berühren wollte. Doch da erbebte ihr Körper schon auf ihm; das Gesicht hatte sie gegen seine Brust gedrückt und ihr Haar breitete sich wie ein chaotischer Feuersturm über sie beide aus. Im ersten Moment dachte der Magier, dass sie weinen würde und bettete ihr zaghaft eine Hand auf der Schulter, doch im nächsten Augenblick hob sie das Gesicht an und…lachte?!

Hatte sie jetzt den Verstand verloren?

»Verdammt…wir leben tatsächlich noch…?!« stieß sie zwischen beinahe hysterischen Lachern aus. »Ich glaub das nicht….oh Gott…das ist alles so verrückt…es hat tatsächlich geklappt…« Sie schüttelte den Kopf, während der Regen wieder ungebremst über ihr gerötetes Gesicht lief und von ihrem Kinn tropfte. »Ich schwöre es… nach diesem ganzen Mist hier werde ich entweder verrückt oder mache doch noch eine Story daraus und gewinne damit den Pulitzer-Preis…« Ihre leuchtenden Augen suchten seinen Blick und er erkannte Erleichterung darin; eine grenzenlose Erleichterung und tiefe Demut gegenüber dem Schicksal - abermals hatte sie sich aus den Fängen des sicher geglaubten Todes befreit.

Ihr Kopf sank wieder auf seine Brust und sie krallte die Finger in den Stoff seiner Rüstung, während sie sich zu beruhigen versuchte; Loki ließ ihr die Zeit, das Erlebte zu verarbeiten - der Regen rauschte monoton zu Boden und überlagerte alle Schrecken mit seinen reinigenden Tropfen, die den Schmutz und den Staub Muspelheims davonwuschen.

»Alles in Ordnung bei dir? Bist du verletzt?« raunte Loki nach einer Weile, die er sich selbst gegönnt hatte, um Atem zu schöpfen. Doch sie durften nicht verweilen, da jederzeit Dunkelelfen oder schlimmeres auftauchen konnte. Sie mussten die anderen wiederfinden.

Gwendolyn hob das Gesicht an und dem Magier wurde bewusst, wie nah sie sich waren; die Erinnerung an diesen flüchtigen Kuss blitzte auf und ließ ihn die Hand heben, um in einer ungeplanten Geste über ihre schmutzige Wange zu streichen.

Sie schmiegte sich ihm mit einem winzigen Seufzen entgegen und nickte verhalten. »Ja, alles gut…mir fehlt nichts…dank dir. Wieder mal.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem sachten Schmunzeln.

»Lassen wir das lieber nicht zur Gewohnheit werden. Deine Schuld wird sonst irgendwann erdrückend.« quittierte er ihre Worte in gewohnt süffisantem Ton, um diese seltsame Intimität zwischen ihnen zu unterbrechen, die ihn recht nervös machte.

Ihre Gesichter schwebten erneut nur unweit im Regen voreinander und Loki kam der absurde Gedanke, dass er ihre Lippen erneut auf seinen spüren könnte…es vielleicht sogar wollte…

Sie hob eine Braue und schlug mit ihrer Stimme einen neckenden Klang an: »Ich erinnere mich an deine Worte, die mir versicherten, dass du mein Leben eigentlich nicht oft genug retten kannst, um Sühne für meinen Mut zu tun. Damit habe ich ja wohl noch ein paar mal frei, oder…?« Sie neigte den Kopf leicht und zeigte ein verhaltenes Grinsen, während sich Loki ihrer Finger gewahr wurde, die sich völlig unbemerkt auf seiner Brust nach oben geschoben hatten und nun beinahe an seiner Wange weilten.

Ihre Blicke verhakten sich ineinander und keiner wollte den anderen aus den Augen lassen; erneut baute sich ein eigenartig magischer Moment zwischen ihnen auf - ein Moment, in dem sie sich beide an den Kuss erinnerten, der aus einem Impuls heraus geschehen war. Gwendolyn zog daraufhin die Unterlippe zwischen die Zähne; Loki verspürte die gleiche Unsicherheit, die sie einnahm.

Natürlich hatte er auch seine körperlichen Erfahrungen mit Frauen gemacht, doch war dies meist nur eine kurzweilige Vergnügung gewesen, derer er am Ende nicht wirklich viel abgewinnen konnte gegenüber seinen Studien und Wissenschaften.

Die Leidenschaft, das gierige Verlangen nach einer Frau hatten ihm stets gefehlt; keine hatte dieses Feuer in ihm je wirklich erwecken können.

Jetzt allerdings…

»Ich habe sie gefunden! Sie sind hier!« durchbrach plötzlich Volstaggs dröhnende Stimme die rauschende Monotonie des Regens und die angespannte Stille zwischen ihnen; erschrocken standen sie auf und lösten sich fast hastig voneinander, als hätten sie etwas zu verbergen, wo es doch gar nichts zu verstecken gab.

Volstagg und Fandral brachen durch das Unterholz, gefolgt von Thor, Sif und Hogun, die die Pferde mit sich führten.

»Bruder…« Unvermittelt fand sich der Magier in einer festen Umarmung des Donnergottes wieder, die er steif über sich ergehen ließ. »Bei allen Welten, ein Glück - ihr seid wohlauf. Wir suchen euch schon seit Stunden…«

»Wir sahen euch noch über die Klippe stürzen und dann einfach verschwinden…« begann Sif, die sich Gwendolyn zugewandt hatte, um nach deren Befinden zu sehen. »Wo seid ihr nur gewesen…?« Alle Augen richteten sich auf die noch immer schwelenden Kleider der beiden Vermissten.

Fandral zupfte am rußgeschwärzten Hemd der Sterblichen und Loki hätte ihn dafür am liebsten augenblicklich die Finger abgeschnitten, da Gwendolyn ihren Umhang auf der Flucht verloren hatte und ihr Körper nun durch den Regen erst recht deutlich sichtbar unter dem Stoff lag. »Sieht mir fast nach Muspelheim aus.« mumaßte der blonde Krieger altklug.

Sif breitete rücksichtsvoll ihren Umhang um die schmalen Schultern der Sterblichen und die schenkte der Kriegerin ein dankbares Lächeln.

»Wo wart ihr?« hakte nun auch Thor nach.

»Später.« wiegelte Loki ab. »Die Dunkelelfen…?« fragte er seinen Bruder und wandte sich aus dessen Umarmung, froh darüber, wieder tief durchatmen zu können. Außerdem war es recht befremdlich, Thor nach all der Zeit und den Geschehnissen wieder so vertraut nah zu sein.

»…sind alle erledigt. Die werden keine Meldung mehr an ihren Anführer machen können.« versicherte der Donnergott und reichte Loki die Zügel seines Hengstes, nachdem Hogun mit den Pferden näher herangetreten war.

»Trotzdem sollten wir jetzt weiter.« meldete sich der dunkelhaarige Krieger zu Wort und blinzelte gegen den Regen an, so er das Haupt hob und in den stahlgrauen Himmel sah. »Hier können jederzeit wieder Dunkelelfen auftauchen, die irgendwann mit Sicherheit nach ihren vermissten Gefährten suchen werden.«

»Wir brauchen eine Rast…« hielt Loki Thor an der Schulter zurück, der sich gerade auf sein Pferd schwingen wollte. »Sie braucht eine Rast.« Der Magier deutete unauffällig mit einem Nicken auf die Sterbliche, der Sif gerade in den Sattel half. »Und uns würden ein paar Stunden Schlaf und etwas zu essen auch nicht schaden.«

»Ein wahres Wort aus deinem Mund!« Eine schwere Hand klopfte Loki auf die Schulter; Volstagg trat an seine Seite und blickte Thor an. »Ich gebe es ungern zu, aber dein schwachsinniger Bruder hat Recht. Wir müssen uns ausruhen.«

Der stämmige Krieger erntete von Loki einen herablassenden Blick, der mit hochgezogener Braue auf Volstaggs mächtige Körpermaße sah. »Dein Begehr ist sicher weniger der Schlaf…« raunte er kühl und wischte die Hand des Riesen von seiner Schulter.

Im Brustton der Überzeugung erwiderte der rotbärtige Krieger ein empörtes: »Niemals!« während Fandral hinter ihm in haltloses Gelächter ausbrach. »Volstagg, du bist überführt!«

»Ich meine mich zu erinnern, dass es in der Nähe ein altes Gasthaus gibt.« warf Hogun in das Gespräch ein. »Es liegt fast auf unserem Weg, kaum ein paar Stunden zu Pferd entfernt.«

»Dann ist dies unser Ziel.« entschied Thor und stieg auf sein Pferd, welches warme Atemwolken in die regenschwere Luft blies. Er dirigierte dem Hengst am Zügel die Richtung und trabte zu Gwendolyn und Sif hinüber, um sie ebenfalls über ihr Vorhaben zu informieren.

Loki landete nun ebenfalls in seinem Sattel und folgte der Gruppe, die sich den Weg zurück auf den steinigen Pfad des Berges bahnte. Unnötigerweise fiel ihm auf, dass die Sterbliche seinen Blick plötzlich bewusst zu meiden schien; sie unterhielt sich leise mit Sif und erzählte ihr wohl von dem Erlebten, während sie bemüht nicht in seine Richtung sah.

Loki schnaubte abfällig und trieb sein Pferd an die Spitze der Gruppe neben Thor. Sollte einer die Frauen verstehen…
 


 

Das versprochene Gasthaus tauchte am Abend im Regenschleier vor ihnen auf und lud mit hell erleuchteten Fenstern zu gemütlichem Feuer und trockener Unterkunft ein, was Gwen ein verstohlen erleichtertes Seufzen ausstoßen ließ. Ein paar Pferde standen bereits in einem kleinen windschiefen, aber trockenem Verschlag, der sich an das Wirtshaus schmiegte und kauten dort zufrieden ihr Heu.

Der Schornstein des doppelstöckigen, bäuerlichen Hauses rauchte tapfer gegen den prasselnden Regen und aus einem geöffneten Fenster drang der köstliche Geruch nach Bratenfleisch und Brot zu ihnen heran.

Erschöpft stiegen sie alle aus ihren Sätteln; Hogun und Thor brachten die Pferde in den kleinen Stall hinüber, während sich Volstagg bereits die Nase an einem der Fenster platt drückte, um einen Blick auf das angebotene Essen zu erhaschen.

Gwen schwankte auf ihren zittrigen Beinen und spürte unvermittelt eine warme Hand an der Schulter, welche sie aufrecht hielt. Lokis große, schlanke Gestalt war neben ihr erschienen; seine grünen Augen blitzten aus dem Schatten seiner tropfnassen Kapuze. »Alles in Ordnung?« drang sein samtiges Raunen an ihr Ohr und verschaffte ihr neben dem Regen, der ihr über den Rücken rann einen weiteren Schauer, der durch ihren Körper rollte.

»Es geht schon…« murmelte sie abwehrend und entzog sich seiner Hand fast fluchtartig, indem sie zur Tür des Gasthauses hinüber schritt; zwar schwächlich schwankend und mehr als einmal drohte sie im Schlamm auszurutschen, doch sie schaffte den Weg von vielleicht fünf Schritten mit dem beachtlichen Kunststück zumindest nicht der Länge nach in den Schlamm zu fallen.

Ihre Knochen fühlten sich wie zu Brei zermahlen an, von ihrem Hintern ganz zu schweigen, der eindeutig genug von der Reise zu Pferd hatte; sie fror erbärmlich unter ihren völlig durchweichten Sachen und schlang den tropfnassen, schweren Umhang in einer nutzlosen Geste enger um sich.

Sie konnte Loki kaum mehr in die Augen sehen. Nicht nachdem ihr das Erlebnis auf der Klippe so richtig bewusst geworden war…

Was zur Hölle hatte sie sich nur dabei gedacht? Wie hatte sie ihn einfach so küssen können?

In jenem Moment in Muspelheim hatte sie es irgendwie noch für eine gute Idee gehalten. Immerhin hatten sie an der Schwelle zum vermeintlichen Tod gestanden und Gwen hatte definitiv nicht sterben wollen, ohne die Lippen des Magiers gekostet zu haben; ohne zumindest einen Hauch von dem zu schmecken, was sie die ganze Zeit über bereits so unerbittlich gelockt hatte.

Allerdings hatte sie sich mit diesem mehr als flüchtigen Kuss, der eher das hektische Aufeinanderpressen ihrer Lippen gewesen war, erst recht ins Aus manövriert.

Denn wo sie zuvor vielleicht noch dem Glauben erlegen war, dass ihr diese kleine Kostprobe reichen könnte, um sie davon zu überzeugen, dass dieser Mann ganz gewiss nicht den Reiz hatte, welchen er auf sie ausübte, so musste sie sich nun das Gegenteil eingestehen.

Dieser winzige Augenblick hatte bereits gereicht, um ein Feuer in ihr zu entfachen, welches ihr in seiner Intensität völlig unbekannt war. Sie wollte den Prinzen wieder küssen - wollte mehr kosten und spüren; seine Lippen, seine Zunge, seine Hände, seine Haut…

»Scheiße…« murmelte sie fast verzweifelt und ließ den Kopf kraftlos gegen die hölzerne Tür des Gasthauses sinken.

Sie hatte doch wahrlich genug Probleme, da konnte und wollte sie sich nicht noch mit diesen widerstreitenden Gefühlen für einen Mann auseinandersetzen müssen, der viel zu präsent in ihren Gedanken war, als das sie ihn einfach so vergessen könnte.

Sie musste diese Sehnsüchte ganz dringend wieder loswerden.

»Du hast anscheinend immer noch nicht gelernt, wie man eine Tür öffnet.« riss sie Lokis Stimme unvermittelt aus ihren Gedanken und sie stolperte haltlos in den Gastraum, da der Prinz die Tür des Wirtshauses einfach geöffnet hatte und ihr ein kühles Schmunzeln schenkte, als sie ihn dafür böse anfunkelte.

Hinter ihr stürmten Volstagg und Fandral sogleich in die Gaststube und brachten einige der anwesenden Gäste mit ihrer Präsenz dazu, ihr Mahl zu unterbrechen und sich zu den Neuankömmlingen umzudrehen.

Volstagg sog die Luft geräuschvoll in die Lungen und hielt sich den mächtigen Bauch, bevor er entschlossen zur Theke hinüber schritt, hinter der der Wirt eben im Gläserpolieren innegehalten hatte und seinen neuen Besuchern abschätzend entgegen sah; offenbar war er nicht sicher, ob er einen Überfall oder das Geschäft seines Lebens zu erwarten hatte.

»Wirt, bringt Essen für mich und meine Freunde.« Ein gut gefüllter Goldsack landete klirrend auf dem abgewetzten Holz der Theke, was nicht nur den Wirt mit großen Augen dazu veranlasste, die unbekannten Neuankömmlinge genauer in Augenschein zu nehmen. Die anwesenden Gäste steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. »Aber bitte frisch und ausreichend.« fügte Volstagg bestimmt an.

Als letzte betraten Hogun, Sif und Thor die Gaststube und schlossen die Tür hinter sich wieder, um das miese Wetter auszusperren. Ein prasselndes Kaminfeuer verbreitete heimelige Wärme und die rustikale Umgebung des Wirtshauses hatte etwas Uriges und Gemütliches.

Die kleine Gruppe nahm in einer Ecke des Raumes an einem runden Tisch Platz und der Wirt tafelte wirklich großzügige Mengen an Fleisch, Brot, Suppe, Obst und Wein vor ihnen auf, sodass die Gefährten die ersten Momente schweigend damit verbrachten, ihren Hunger zu stillen.

Nachdem der erste Hunger gestillt war, fragte Thor erneut nach, wo sie gewesen waren und Loki und Gwen erzählten in knappen Worten, wie sie nach Muspelheim gelangt waren und was ihnen dort widerfahren war. Natürlich ließen sie beide eine gewisse Stelle am Ende ihrer Reise bewusst aus…

»Da kannst du ja wirklich von Glück reden, dass du dort mit meinem Bruder gelandet bist, Gwen.« Thor klopfte ihr gutmütig auf die Schulter. »Ich hätte den Weg zurück gewiss nicht so schnell gefunden. Loki ist ein Meister in solchen Dingen.«

Der Magier hob bedeutsam eine Braue und begegnete ihrem Blick über den Tisch hinweg, Gwen allerdings verkniff sich eine Antwort dazu, sondern hob hastig den Metbecher an ihre Lippen. Das süße, schwere Getränk floss träge ihre Kehle hinab und breitete angenehme Wärme in ihren Gliedern aus; nach der langen Kälte eine Wohltat.

Fandral winkte den Wirt zum Tisch heran, nachdem sie sich alle satt und zufrieden zurückgelehnt hatten. »Herr, wie steht es mit Zimmern für die Nacht in Eurer bescheidenen Unterkunft?«

Der glatzköpfige, korpulente Mann rang ein Geschirrtuch nervös zwischen den Händen und verneigte sich demütig vor der kleinen Gesellschaft, die ihm wahrscheinlich mehr Umsatz an einem Abend eingebracht hatte, als er in einem ganzen Monat einnahm. »Verzeiht, ich habe leider nur noch drei meiner Unterkünfte für die Nacht zur Verfügung stehen.« Unsicher blickte der Wirt in die Runde. »Die Betten sind allerdings ausreichend, so sich vielleicht jeweils zwei ein Nachtlager teilen möchten…« schlug er vorsichtig vor. »Leider kann ich nicht jedem ein eigenes Zimmer anbieten.« Offensichtlich hatte er weder Thor, noch Loki oder die anderen erkannt, was wahrscheinlich gar nicht so verwunderlich war, wenn man die Größe Asgards bedachte.

Die kleineren Bauern und Wirte aus weiter entfernten Regionen hatten die Königsfamilie wahrscheinlich noch nie im Leben gesehen.

»Das ist kein Problem. Habt Dank, werter Herr.« beruhigte Fandral den Mann wohlwollend und entließ ihn mit einem Nicken zurück hinter seine Theke.

Kein Problem?! Gwen sah da schon ein Problem. Sie würde sich sicher nicht mit Fandral oder Volstagg ein Bett teilen. Ganz ausgeschlossen.

Am Ende wurde entschieden, dass die Tapferen Drei zusammen ein Zimmer beziehen würden; da sowieso jeweils einer Wache die Nacht über halten sollte, konnten sie sich so beim Schlafen abwechseln. Außerdem hatten die Männer wohl schon öfter auf engem Raum zusammengelebt, was wahrscheinlich nicht verwunderlich war, wenn man zusammen in den Kampf ritt.

Sif schlug Gwen vor, dass sie sich ein Zimmer teilen könnten und Gwen nahm das Angebot der Kriegerin dankbar an; eine Nacht auf so engem Raum mit Loki hätte ihr flatterndes Nervenkostüm jetzt sicher nicht ausgehalten. Sie mochte ihn - ganz ohne Frage hatte sie ihn und seine Gegenwart irgendwie schätzen gelernt, trotz seiner oft arroganten und egoistischen Art, doch traute sie sich in Hinsicht auf den Magier selbst nicht mehr wirklich über den Weg.

Er hatte bereits seit dem ersten Augenblick eine seltsame Schwäche in Gwen heraufbeschworen, eine tiefe Sehnsucht, die sie bisher erfolgreich verdrängt hatte; bis zu diesem Augenblick auf der Klippe in Muspelheim…

Gwen verabschiedete sich bald schon nach dem Essen aus der Runde, was zwar ein enttäuschtes Raunen unter den Asen wach werden ließ, doch schlussendlich verstanden die Männer wohl, dass sie einfach ihre Ruhe bräuchte. Nur Loki saß schweigsam am Tisch und nippte an seinem Getränk, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, als sie ging.

Müde stieg sie die wenigen Stufen zu den Unterkünften hinauf und schloss die Tür ihres Zimmers hinter sich, nur um kurz dort zu verweilen, erschöpft an das Holz im Rücken gelehnt und die Augen geschlossen. Dann rappelte sie sich mühsam auf und durchquerte das kleine, aber gemütliche Zimmer, um im abgetrennten Badbereich ihre schlammige und noch immer feuchte Kleidung abzulegen.

Da sie keine weiteren Sachen dabei hatte, warf sie ihre schmutzigen Klamotten in die kleine Dusche und kümmerte sich zuerst einmal darum, dass die wieder in einen tragbaren Zustand kamen. Sie schrubbte die Sachen sauber und hing sie dann im Raum verteilt zum Trocknen auf.

Da der Kamin der Wirtsstube wohl die gesamten Zimmer durch verzweigte Schächte mit Wärme versorgte, war es auch hier drinnen angenehm warm, obwohl der Regen unablässig weiterhin wütend an das kleine Fenster trommelte.

Nachdem Gwen ihre Kleidung notdürftig gereinigt hatte, war es endlich an der Zeit, dass sie sich ihrem eigenen, zweifelhaften Zustand widmete. Aufseufzend stellte sie sich unter den warmen Wasserstrahl und ließ das angenehme Nass eine ganze Weile einfach auf Kopf und Rücken prasseln, während alle Ängste, Sorgen und Gedanken zumindest für den Moment wie der Schmutz von ihr abgewaschen wurden, um gurgelnd im Abfluss zu verschwinden.

Sie wusste nicht mehr, wie lange sie regungslos unter der Dusche stand, doch irgendwann vernahm sie das Geräusch der Tür, was sie munter werden ließ. »Ich bin gleich fertig.« rief sie nach draußen und angelte nun endlich nach der Seife, um sich und ihr Haar zu waschen. Sif würde eine Dusche gewiss auch nicht ausschlagen und Gwen hatte diese nun wirklich lang genug besetzt.

Sie stellte das Wasser ab und zog ein Handtuch zu sich heran, womit sie zuerst ihre Haare trocknete, bevor sie sich darin einwickelte und barfuß wieder hinüber in den Schlafbereich tapste. Dort blieb sie allerdings erstarrt im Durchgang stehen und zog das Handtuch sofort enger um sich, was nur recht notdürftig ihre Rundungen verdeckte. »Was machst du denn hier?!« stieß sie entgeistert aus.

Loki saß seelenruhig auf dem Bett und schnürte seine Stiefel eben auf, um sie auszuziehen. Er blickte nur kurz auf, als sie eintrat, bevor er sich wieder den komplexen Verschlüssen seiner Schuhe widmete. »Wonach sieht es denn aus? Ich will mich waschen und dann schlafen.«

»Was?! Nein. Nein! Du sollst dir das Zimmer mit Thor teilen.« Gwen bemerkte, dass sie sich wie eine alberne Furie aufführte, doch sie konnte nichts dagegen tun; sie brach beinahe in Panik aus, als Loki nun seine Stiefel ausgezogen hatte und aufstand, um die Verschlüsse seiner Rüstung zu öffnen. »Sif wird hier schlafen und ich glaube nicht, dass sie sehr erfreut sein wird, wenn du plötzlich in ihrem Bett liegst.« versuchte sie es mit Vernunft und verschränkte die Arme stur vor der Brust.

»Sif wird wohl nicht kommen.« erklärte ihr der Magier überzeugt und ließ den schweren, ledernen Mantel von den Schultern gleiten, der bis jetzt seine große Gestalt umhüllt hatte. Schwarze, grüne und goldene Lagen schimmerten im Kerzenschein, als der Magier sich gewissenhaft seiner Kleidung widmete.

»Was…? Warum denn nicht…?« fragte Gwen verdutzt nach; sie wusste kaum, wo sie hinblicken sollte - der Raum bot nicht allzu viele interessante Möglichkeiten der Betrachtung und ihre Augen kehrten wie von selbst immer wieder zu dem Prinzen zurück, der sich Schicht für Schicht aus seiner imposanten Kampfrüstung schälte.

»Weil sie und Thor gerade eine andere Raumaufteilung verhandeln.« bemerkte Loki trocken und warf die goldenen Armschienen beiseite, welche scheppernd auf dem kleinen Tisch des Raumes landeten.

»Was meinst du damit…?« Gwen zog die Stirn verwirrt in Falten, bevor die Worte des Magiers ihr Hirn erreichten und dort einen Sinn formten. »Oh…ohhhhh…okay…« brachte sie stotternd heraus und spürte seichte Röte in ihren Wangen aufsteigen. Nun nahm sie auch die gedämpften, verräterischen Töne aus einem der nahen Zimmer wahr, die keinen Zweifel daran ließen, wie diese Verhandlungen aussahen.

Sie hatte ja nicht gewusst, dass Thor und Sif…naja, sie hatte es geahnt und es den beiden auch gewünscht, doch das sie sich nun gerade in dieser Nacht dazu entschließen mussten, sich näher zu kommen war doch denkbar ungünstig. Allerdings würde Gwen jetzt bestimmt nicht an Thors Tür klopfen, um ihn auf den unpassenden Zeitpunkt dieser Sache hinzuweisen…

»Soll ich also im Stall schlafen oder wirst du es überleben, das Bett mit mir zu teilen?« warf ihr Loki über die Schulter zurück, nachdem er eben das lederne Oberteil seiner Rüstung abgestreift hatte und sein blasser, sehniger Oberkörper zum Vorschein kam.

Erschöpft ließ sich Gwen nun auf das weiche Bett sinken und starrte beharrlich auf ihre Füße. »Du sollst natürlich nicht im Stall schlafen. Es wird schon gehen…« lenkte sie dann geschlagen ein und war heilfroh, dass sich der Prinz entschloss, den Rest seiner Kleidung hinter dem Sichtschutz des Bades abzulegen.

Sie führte sich wirklich albern auf, immerhin hatte sie ihm vor einigen Nächten selbst noch angeboten, dass Bett mit ihm teilen zu können - allerdings hatte sie ihn da auch noch nicht in einer Anwandlung von weiblichem Wahnsinn geküsst…

Sie musste diesen dämlichen Kuss endlich vergessen, weil der schlussendlich nichts daran änderte, wer und was Loki war; jegliche Gedanken und diese absurden Gefühle in ihr waren irrelevant und würden schlussendlich zu nichts führen.

Das erwies sich nur als recht schwierig, da sie dieser eine Kuss, der eigentlich kaum als solcher zu bezeichnen war, schon völlig aus der Fassung gebracht hatte.

Das Plätschern der Dusche wirkte fast einlullend, sodass Gwen sich unter die warme, weiche Bettdecke zurückzog und dort auf den Rücken rollte, um an die hölzerne Decke des Zimmers über sich zu starren.

Die sehr eindeutigen Geräusche aus Thors Zimmer drangen wieder deutlicher an ihr Ohr und machten es noch wesentlich schwerer, sich auf die guten Vorsätze zu konzentrieren.

Wie sollte sie bitte eine Nacht mit Loki in diesem Bett überleben, wenn sein Bruder und Sif irgendwo nebenan ihrer Lust offenbar freien Lauf ließen?

»Oh Gott…oh Gott…bitte lass diese Nacht schnell vorüber gehen…bitte bitte bitte…« nuschelte sie flehend in die Bettdecke, die sie sich über den Kopf gezogen hatte, um nichts mehr hören zu müssen - und um vor allem Loki nicht wieder nackt sehen zu müssen, der das Wasser der Dusche gerade abgestellt hatte.

»Was machst du da?« drang seine Stimme gedämpft an ihr Ohr. Offenbar hatte er das Zimmer wieder betreten.

Gwen blinzelte vorsichtig unter der Decke hervor und nahm erleichtert wahr, dass er zumindest nicht gänzlich nackt war; er trug eine dunkle, lockere Stoffhose.

»Ich versuche zu schlafen.« gab sie mürrisch zurück und rollte sich auf die Seite, sodass sie das Fenster anstarren konnte, an welchem der Regen Tränen gleich herabfloss.

Die Matratze gab neben ihr nach und vermittelte ihr so sehr deutlich, dass Loki ebenfalls ins Bett gestiegen war. Zuvor hatte er die Kerzen im Raum gelöscht, alle bis auf eine, die nun wabernde, rötliche Schemen an die Wände warf.

»Ich wäre dir ja sehr verbunden, wenn du mir zumindest ein Stück der Decke abtreten könntest…« drang seine unverkennbare, spöttische Stimme an ihr Ohr und machte ihr erschreckend klar, wie nah er sich bei ihr befand; und das sie den größten Teil der Bettdecke unbewusst beinahe schützend um sich gewickelt hatte.

Das war alles ein verdammter Albtraum…

Widerstrebend kroch sie aus ihrem Kokon und schob Loki einen Teil der Decke hinüber, bevor sie sich kurzentschlossen wieder auf den Rücken rollte und zu ihm hinüber sah. Es wurde Zeit, dass sie aufhörte sich so albern wie ein kleines Kind zu benehmen und den Tatsachen ins Auge sah.

In diesem Fall waren das sehr intensive, grüne Augen, die ihr unter einem Schwall nassen, dunklen Haares entgegenblickten und sie schlucken ließen.

»Wohin reiten wir eigentlich?« durchbrach sie dann die Stille, nachdem sie das Schweigen zwischen ihnen nicht mehr aushielt, ganz abgesehen von den andauernden, gedämpften Lauten aus Thors Zimmer auf der anderen Seite des Flures. An Schlaf war eh nicht zu denken, da Gwen viel zu aufgewühlt dafür war. »Du hast mir noch immer nicht gesagt, was du eigentlich vorhast.«

Bisher hatte der Magier ein großes Geheimnis aus dem Ziel ihrer Reise gemacht. Gwen wusste nur, dass es um Informationen über ihren Feind ging, die Loki erlangen wollte.

»Ist das so wichtig?« Der Magier lag auf der Seite, das Gesicht auf die Faust gestützt, sodass er sie offen ansehen konnte. Gwen vermied es tunlichst, die Regionen unterhalb seines Halses anzusehen, denn aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass die Bettdecke wohl gerade so bis zu seinem Bauchnabel reichte. »Vertrau mir einfach. Du wirst es schon sehen.«

»Dir vertrauen?!« Sie schnaubte.

»In Muspelheim ist dir das heute nicht schwer gefallen…« bemerkte er selbstgefällig und trieb Gwen damit die Schamesröte ins Gesicht. Er spielte doch nicht etwa auf diesen Kuss an?

Zum Glück war es im Zimmer recht dunkel, sodass sie zumindest die Hoffnung haben konnte, dass er ihre Gesichtsfarbe nicht bemerkte. Schützend zog sie sich die Bettdecke sicherheitshalber bis zum Hals und räusperte sich verhalten, bevor sie bewusst das Thema wechselte. »Es tut mir leid, dass ich dich heute auf diesem Berg so angefahren habe. Ich war einfach erschöpft und müde, aber ich war im Unrecht. Ich weiß ja, dass deine rücksichtslose Art ihren Grund hatte…« gab sie leise zu, blickte dem Prinzen aber offen in die Augen. »Ich wäre natürlich nicht lieber mit Thor dort gewesen-« Gwen biss sich auf die Zunge. Vorsicht!

Sie bewegte sich schon wieder auf einem sehr gefährlichen Terrain.

»Nicht?« Loki wirkte hellhörig und hob fragend eine Braue, während ein breites, hochmütiges Grinsen seine Lippen teilte und die Reihen seiner weißen Zähne im Dämmerlicht aufblitzen ließ. »Er hätte dich bestimmt getragen, ganz der große Held…«

Gwen rollte sich nun gänzlich zu Loki herum und stieß ihm die Faust in einer zurechtweisenden Geste gegen die bloße Schulter. »Jetzt hör auf immer so unmöglich gegen ihn zu sein. Er ist dein Bruder und er liebt dich. Es wird Zeit, dass du das mal erkennst.« sprach sie bestimmt und verschränkte die Arme vor der Decke über der Brust.

Loki rieb sich gespielt getroffen die Stelle an seiner Schulter, während er die Stirn furchte und in seinen Augen tatsächlich für einen winzigen Moment etwas Ähnliches wie Reue aufblitzte. Dann lag wieder die gewohnt arrogante Maske auf seinen Zügen. »Warum nimmst du ihn in Schutz?« raunte Loki und fast meinte Gwen den bissigen Unterton von Eifersucht herauszuhören. Doch das bildete sie sich sicher ein.

»Weil er sich nicht selbst in diese Rolle des „strahlenden Helden“ gebracht hat, sondern gewissermaßen hineingezwängt wurde. Er kann doch gar nicht anders, als der Liebling des Volkes zu sein, weil sie genau das von ihm erwarten. Und du solltest diese Position nicht unterschätzen, Loki. Thor kann sich keine Fehltritte erlauben, weil man ihm ständig auf die Finger schaut. Man erwartet immer die richtigen Entscheidungen und Worte von ihm. Er hat es bestimmt auch nicht leicht.« sinnierte Gwen und versuchte Loki von ihren Worten zu überzeugen. Sie hoffte wirklich, dass der Magier irgendwann verstehen könnte, dass es nichts gab, was er seinem Bruder neiden müsste. Und das Thor ihn wirklich liebte.

»Ja, sicher…« raunte Loki gehässig und rollte sich auf den Rücken, um im gleichen Augenblick das Gesicht zu verziehen und die Hände zum Nacken zu heben, der dem Prinzen offensichtlich Leiden bereitete.

Gwen stemmte sich in eine etwas aufrechtere Position, hielt die Decke dabei jedoch fest an die Brust gedrückt. »Hast du Schmerzen?« Sie selbst kannte diese hässlichen Verspannungen von langen Tagen im Büro und gewissermaßen war ein andauernder Ritt auf dem Pferd sicher auch nicht besser.

»Nicht nennenswert…« antwortete er knapp. Männer…

»Soll ich dich massieren?« Äh, hallo?! Erde an Gwen - bist du völlig verrückt geworden? Sie sollte wirklich irgendwann einmal anfangen zu denken, bevor sie sprach.

Hielt sie das wirklich für eine gute Idee, Loki so nahe zu kommen, wo sie beide gewissermaßen fast nackt zusammen in einem Bett lagen?!

Der Magier blickte äußerst skeptisch zu ihr herüber, da er eine Massage wohl für eine midgardische Foltermethode hielt. Bevor er den Mund aufmachen und fragen konnte, hatte Gwen sich schon gänzlich aufgesetzt und bedeutete ihm mit einem befehlenden Wink ihrer Hand, dass er sich drehen sollte. »Leg dich auf den Bauch. Na los, vertrau mir.« schob sie mit einem schiefen Grinsen an, da er zuerst keine Anstalten machen wollte, sich zu bewegen.

Dann allerdings folgte er ihrer Order mit einem mürrischen Brummen.

Sie verdankte Loki so viel, angefangen von ihrem Leben bis hin zu jener furchtbaren Nacht, in der er es nicht müde geworden war, an ihrem - oder besser seinem - Bett zu sitzen, um sie zu beruhigen, nachdem sie wegen Malekiths Angriff immer wieder aus schrecklichen Träumen erwacht war. Da war es fast selbstverständlich, dass sie ihm etwas Gutes tun wollte.

Und natürlich spielte der Grund, dass sie ihn dadurch berühren konnte überhaupt keine Rolle. Nicht im Geringsten!

Einen unsicheren Moment zögerte Gwen, dann hob sie die Decke an und kroch zu ihm hinüber, das Handtuch noch immer fest um sich geschlungen. Kurzentschlossen schwang sie ein Bein über seinen Rücken und ließ sich federleicht rittlings über seiner Hüfte nieder.

Loki wandte den Kopf auf dem Kissen und blickte so mit zusammengezogenen Brauen misstrauisch zu ihr zurück, bevor er sich schon wieder erheben wollte. »Was machst du da?«

Gwen drückte ihn jedoch entschieden mit der flachen Hand wieder auf das Bett zurück. »Vertrau mir. Keine Sorge, dir passiert nichts…« wisperte sie fast beruhigend und wurde sich abermals bewusst, dass der Magier tatsächlich wie ein verschrecktes Tier war, welches man erst an eine liebevolle Hand gewöhnen musste. Sein Argwohn allem und jedem gegenüber war fast greifbar und doch erweckte genau das in Gwen das Verlangen, sein Vertrauen zu gewinnen - ihm zu zeigen, dass nicht alles in seiner Welt böse oder schlecht war.

Loki ließ sich tatsächlich wieder auf die Matratze sinken, doch die Anspannung in seinen Muskeln war förmlich zu sehen; und dann auch zu spüren, als Gwen sich vorbeugte, um die Hände in ersten, sanften Kreisen über seine Schultern zu führen. »Du meine Güte…du bist ja wirklich völlig verspannt. Kein Wunder, dass du Schmerzen hast.«

Loki brummte irgendetwas in sein Kissen, was sie nicht verstand, aber immerhin ließ er sie gewähren.

Gwen spürte unglaublich weiche und warme Haut unter ihren Fingern, was sie beinahe ein wenig überraschte; bei einem Eisriesen hätte sie eigentlich eher eine niedrige Körpertemperatur erwartet. Ein paar schmale, helle Narben zogen sich über seinen sonst makellosen Rücken, den Gwen nun mit einigen kraftvollen Linien überstrich, bevor sie zu seinem Nacken zurückkehrte und diesen mit gemächlichen Fingerbewegungen massierte.

Nach einer Weile konnte sie fühlen, wie sich der Magier unter ihren Händen immer mehr entspannte, was ihr ein kleines, verstohlenes Lächeln auf die Lippen zauberte.

»Lehrt man diese Techniken jedem auf Midgard?« raunte er und seine Stimme glich einem beinahe behaglichen Schnurren.

Gwen lachte leise, hielt jedoch nicht darin inne, seine sehnigen Schultern sanft zu kneten und immer wieder die Gelegenheit zu nutzen, um seine Arme einzubeziehen, die er in einer entspannten Haltung unter dem Kopf verschränkt hatte. »Nein, nicht jedem. Es gibt allerdings einen Beruf, der sich ausschließlich mit Massagen beschäftigt. Ich hingegen scheine ein Naturtalent in diesem Gebiet zu sein. Ich habe früher schon immer meine Freunde massieren müssen und jetzt bittet Ashlyn auch ständig um meine „magischen“ Hände.«

»Das fühlt sich wirklich gut an. Deine Hände scheinen tatsächlich magisch zu sein, Gwendolyn.« gab der Magier ehrlich zu. Gwen entlockte sein Lob wahre Freude und sie konnte spüren, wie sie erneut errötete.

Anerkennung von seinen Lippen war bekanntermaßen eine Seltenheit und sie wurde sich bewusst, dass sie von ihm anerkannt werden wollte - als vollwertige Frau, der nicht der Makel der Sterblichkeit anhaftete.

Eine ganze Weile schwiegen sie dann, während Gwen Loki weiterhin geschickt massierte; doch irgendwann bekamen die Bewegungen ihrer Hände etwas träge sinnliches, was sie wesentlich tiefer in diesen Moment eintauchen ließ, als sie das anfänglich eigentlich vorgehabt hatte.

Immer öfter war es ein Streicheln, was über Lokis feste Oberarme glitt, ein verstohlenes Tasten, wenn ihre Finger der Gerade seiner Wirbelsäule folgten.

Jedes Mal, wenn er sich unter ihr bewegte, konnte sie jede Regung seines Beckens überdeutlich zwischen ihren geöffneten Schenkeln wahrnehmen, was sie alsbald an einen gänzlich anderen Akt erinnerte. Er müsste sich nur umdrehen und zwischen ihnen wäre kaum mehr als ein bisschen Stoff, das schnell entfernt wäre…

Gwens Herz begann heftiger in ihrer Brust zu hämmern, sodass sie beinahe Angst hatte, der Magier könnte es in der andauernden Stille des Raumes schlagen hören.

Es war eine Weile her, dass sie mit einem Mann geschlafen hatte und Gwen gehörte sicher nicht zu der Sorte Frauen, die jedes Wochenende einen anderen Mann von einer Party mit nachhause brachten.

Trotzdem war sie eigentlich bisher der Meinung gewesen, recht glücklich und zufrieden so zu sein, da sie den Männern eh abschwören wollte. Doch dieser Mann da unter ihr brachte so verborgene Sehnsüchte in ihr zum glühen, dass sie sich ihres weiblichen Körpers wieder allzu bewusst wurde; ihr war gar nicht klar gewesen, wie berauschend sich Begehren anfühlen konnte - reines, unverfälschtes Begehren…

Oh Himmel…

Sie wollte diesen Mann. Diesen Gott.

Sie begehrte Loki.

Ihre Hände stockten in ihren Bewegungen und sie räusperte sich vernehmlich, um sich selbst in ihren unangebrachten Gedanken zu unterbrechen, die sich wie eine schwere Decke um sie zu legen drohten. Sie mahnte sich selbst im Geist zur Ordnung und sortierte das wirbelnde Chaos in ihrem Kopf zu einer Frage, die ihr bereits seit einiger Zeit auf der Seele brannte. »Warum wolltest du Jotunheim damals eigentlich zerstören, Loki?« wisperte sie vorsichtig, die eigene Stimme ein heiseres Flüstern, welches durch die zaghaften Ranken ihres Verlangens gefärbt war.

Sie musste sich unbedingt ablenken.

Irgendwie fiel es ihr in der dämmrigen Finsternis des Raumes leichter, dieses heikle Thema anzusprechen, da sie Lokis Gesicht nun nicht direkt sehen konnte und seinem Blick damit nicht ausgeliefert war.

Lange sagte er nichts, doch seine Muskeln verrieten ihn, da sie sich fühlbar unter Gwens Fingern erneut anspannten. »Warum fragst du das?« durchdrang irgendwann seine samtige Stimme die Stille des Zimmers, welche nur durch das anhaltende Klopfen des Regens an der Scheibe unterbrochen wurde. Die Geräusche aus dem Nebenzimmer mussten irgendwann verstummt sein.

»Weil ich es gern verstehen will.« Weil ich dich verstehen will, hätte sie beinahe angefügt, doch hielt sie die Worte zurück.

Wieder verging ein gedehnter Augenblick, den Gwen fast nervös über sich ergehen ließ. War sie zu weit gegangen? Hätte sie das nicht fragen sollen?

»Ich hielt es damals für die richtige Tat, um dem Allvater beweisen zu können, dass ich des Throns durchaus würdig bin.« begann Loki dann betont sachlich, doch Gwen konnte die brodelnden Emotionen unter diesem Deckmantel der Ruhe hören; er hielt viel mehr zurück, als er sich selbst eingestand.

»Indem du ein ganzes Volk auslöschst wolltest du dich als würdig erweisen?«

Ihre Hände glitten weiter über seinen Rücken, lockerten erneut seine verkrampften Muskeln und damit vielleicht auch seine störrische Zunge. »Es gab eine Zeit, da sah ich nicht viele Wege, um Odin zu beweisen, dass ich genauso geeignet für die Herrschaft bin wie Thor.« gab er angespannt zurück, das schwelende Feuer von unterdrückter Bitterkeit im Timbre seiner Stimme. »Wie soll man einen Vater auch davon überzeugen, dass man einer Sache würdig ist, die man eh nie besitzen kann? Wie soll man einen König davon überzeugen, dass er den Abkömmling eines Volkes auf seinen Thron hebt, das die Schreckgestalten in Geschichten für asische Kinder sind?« Lokis beherrschte Ruhe bröckelte und sein Schmerz war so erdrückend zu fühlen, als hätte man Gwen unvermittelt eine gewaltige Last auf die Schultern geladen. Ihre Finger bewegten sich selbstständig sanfter über den Rücken des Magiers, ohne das diese Berührung als mitleidig angesehen werden könnte; Mitleid war sicher das Letzte, was Loki wollte.

»Wie soll man einen Platz für sich in einer Welt schaffen, in die man einfach nicht gehört…?« Lokis letzte Worte gingen fast im anhaltenden Prasseln des Regens unter, doch Gwen hatte sie trotzdem vernommen, obwohl sie nicht sicher war, ob er das bewusst bezweckt hatte.

»Warum denkst du das, Loki? Warum denkst du, dass du nicht in diese Welt gehörst?« fragte Gwen drängend nach, da sie diese Mauer durchbrechen wollte, die der Prinz beinahe spürbar um sich gebaut hatte.

Sie wollte ihn wirklich verstehen. Es war nicht nur reine Neugierde, welche sie antrieb, sondern ehrliches Interesse an ihm. Nicht an dem Gott. Auch nicht an dem Magier.

Sondern an dem Mann Loki.

»Weil ich kein Ase bin.« war seine sachliche, erschreckend eisige Antwort.

Gwens Finger hatten inzwischen auf seiner Haut innegehalten, ihre Finger ruhten warm in seinem Nacken. »Na und? Was ändert das schon? Es ist doch nicht deine Herkunft, welche dich zu einem Teil von Asgard macht, sondern deine Familie. Ihre Liebe ist wichtig, sonst nichts.«

»Ihre Liebe…!?« stieß Loki in einem humorlosen, kurzen Lachen aus, das Wort verächtlich in den Raum werfend. »Als ob sie so etwas für mich empfinden würden.« versuchte er sie zu belehren und konnte die Verbitterung hinter den Worten doch nicht verstecken.

»Bist du eigentlich blind?« fuhr Gwen ihn nun ärgerlich an. Seine halsstarrige Art machte sie rasend; er wollte einfach nicht wahrhaben, dass auch er geliebt wurde. Beinahe kam er ihr vor wie ein trotziges Kind. »Selbst ich sehe, dass die Königin dich wie eine Mutter liebt. Und dein Bruder schätzt dich auch nicht geringer, nur weil du vielleicht nicht in Asgard geboren wurdest. Das ist doch Blödsinn, Loki!«

»Was weißt du schon von solchen Dingen!?« fauchte er zurück und wollte sich erheben, doch Gwen drückte ihn bestimmt wieder ins Kissen zurück. Er hätte sie sicher mit Leichtigkeit abschütteln könne, doch offenbar war er im ersten Augenblick viel zu überrumpelt von ihren entschlossenen Händen, die ihn an den Schultern festhielten.

»Ich weiß mehr darüber, als du vielleicht denkst. Denn ich bin selbst adoptiert, du sturer-« Ruckartig wurde sie in ihren Worten unterbrochen, da Loki sich urplötzlich unter ihr drehte und sie damit abwarf; ehe Gwen sich versah lag sie auf dem Rücken, Loki mit finster zusammengezogenen Brauen nun über ihr, die Hände neben ihren Schultern auf der Matratze abgestützt. »Was hast du da eben gesagt…?« verlangte er rau zu wissen, sein grüner Blick bohrte sich in den ihren. »Du bist adoptiert?!«

»Ja…und?« gab sie trotzig zurück und versuchte ihn von sich herunter zu schieben, was allerdings von minderem Erfolg gekrönt war. Sie erreichte damit nur, dass ihre Hände nutzlos gegen seine nackte, glatte Brust stießen und sie sich seiner Nähe sehr bewusst wurde.

Er lag fast auf ihr, sein schwerer Körper drückte sie in die Matratze; durch die plötzlich viel zu dünne Decke konnte sie seine Wärme spüren, seine sehnigen Muskeln…

»Das ändert alles…“ murmelte er. »Warum hast du das nicht gesagt? Warum hast du das nicht gleich gesagt, als ich dich nach deiner Familie fragte?« bellte er dann herrisch auf sie herab und erreichte damit nur, dass Gwen sich noch vehementer gegen ihn stemmte.

Er war zu nah. Viel zu nah.

Und seine plötzlich wieder so grobe Art trieb ihr beinahe die Tränen in die Augen; Dinge, mit denen sie sich eigentlich nicht beschäftigen wollte, zerrte er erbarmungslos an die Oberfläche. Sie fühlte sich eingeengt, bedrängt - nicht von ihm, sondern von den lauernden Erkenntnissen in der Dunkelheit, die sie bisher erfolgreich weggesperrt hatte.

»Warum wohl?!« fuhr sie ihn recht verzweifelt an. »Frag dich das selbst mal, du Idiot. Vielleicht, weil ich wie du eigentlich gar nichts über meine wahre Herkunft wissen will! Vielleicht, weil ich wie du lieber weiter in der Illusion leben würde, dass meine Familie meine Wahre ist und ich nicht irgendein Freak bin oder ein misslungenes Experiment, dass man irgendwo ausgesetzt hat!«

Loki blinzelte im ersten Moment durch ihre barsche Art irritiert auf sie herab, bevor sich die Härte in seinen Zügen zu etwas anderem veränderte; war das tatsächlich Verständnis, was sich in seinen grünen Augen abzeichnete? Der weiche Zug von Mitgefühl um seine Lippen?

Gwen konnte es beinahe spüren - die erwachende Erkenntnis in dem Prinzen, dass ihre Schicksale ähnlich waren, obwohl sie beide aus so völlig unterschiedlichen Welten stammten.

»Geh endlich runter von mir…« verlangte Gwen nun schwach und drückte abermals die Hände gegen seine Schultern, doch ihr Versuch war kraftlos und kaum mit Nachdruck ausgeführt; die Müdigkeit überrollte sie plötzlich, als wären all ihre Kraftreserven der letzten Tage nun in diesem einen Moment aufgebraucht worden. Sie sehnte sich nach Ruhe, nach Geborgenheit, nach Armen, die sie hielten, nach Ablenkung…

Ihr Griff, der eigentlich abwehrend gedacht war, hatte sich selbstständig in etwas anderes gewandelt; ihre Hände schoben Loki nicht mehr von sich, sondern klammerten sich trostsuchend an seine Schultern.

»Ich bin manchmal nicht sehr feinfühlig. Es tut mir leid…« raunte er steif, als wären Entschuldigungen eigentlich nichts, was ihm leicht über die Lippen kam. »Ich verstehe, warum du nicht darüber reden wolltest, aber wir müssen ehrlich zueinander sein, wenn wir das Geheimnis deiner Kraft lüften wollen…«

Gwen war sich gar nicht so sicher, ob sie in dieser Hinsicht überhaupt irgendetwas lüften wollte…

Kam es ihr nur so vor oder war der Prinz ihr tatsächlich näher gekommen. Sein Gesicht schien nur noch unweit über ihrem zu schweben; seine intensiven Augen nahmen beinahe ihr gesamtes Gesichtsfeld ein und fesselten sie an seinen Blick, sodass sie kaum wagte zu blinzeln. Sie konnte bereits seinen Atem fühlen, der federleicht über ihre Haut, ihre Lippen strich, die sie unbeabsichtigt um ein Stück öffneten…für ihn öffneten…

»Können wir vielleicht morgen mit dem ehrlich sein anfangen…« wisperte sie heiser gegen das beständige Trommeln des Regens an die Fensterscheibe. Oder war es ihr Herz, was so dröhnend in ihrer Brust schlug? »…ich bin verdammt müde…«

Eigentlich war das nur die halbe Wahrheit - sie schwebte in einem Zustand zwischen sinnlicher Benommenheit und euphorischer Aufregung; ihr gesamter Körper prickelte unter Lokis Blick und ihre Schenkel rieben unwillkürlich aneinander, um dieses schmerzende Gefühl der Leere dazwischen auszufüllen. Ihre Finger kletterten zitternd höher auf seinen Schultern, fuhren in seinen Nacken und erfühlten dort warme Haut und noch immer feuchte Strähnen seines dunklen Haares.

Sein Geruch hüllte sie ein; ein betörender Duft nach Leder, Wald und Regen, der in ihre Nase drang und ihr die Sinne benebelte - wild und männlich.

Sie grub den Kopf völlig instinktiv in das Kissen, hob ihm so ihren Mund entgegen, der begehrlich seinen Atem auffing und nach wesentlich mehr gierte…

Loki kam ihrem stummen Flehen tatsächlich entgegen; seine Lippen glitten einem beinahe neugierigen Wispern gleich über die ihren ohne sich wirklich zu einem Kuss vereinen zu wollen; ein vorsichtiges, austestendes Streifen. Allein diese winzige Berührung hätte Gwen beinahe lustvoll seufzen lassen. Sie zitterte plötzlich unter der Wärme der Decke und dem harten, männlichen Körper, der sich an sie schmiegte.

»Bitte…« Hatte sie das gerade wirklich gesagt? War das ihre Stimme gewesen, die einem flehenden Flüstern glich?

Womöglich täuschte das Flackern der Kerzenflamme, doch Gwen meinte das Aufblitzen von Triumph in Lokis Augen zu sehen; neben dem beginnenden Lodern jener Begierde, die sie selbst empfand. Sie konnte sein flüchtiges Grinsen an ihren Lippen spüren und wenn sie noch einen klaren Gedanken hätte fassen können, so wäre sie vielleicht empört darüber gewesen…

Lokis Lippen trafen so unvermittelt auf ihre, dass es beinahe einem Schock gleich kam, der sie förmlich in die Höhe katapultierte. Dieses unsichtbare Band, was die ganze Zeit über bereits zwischen ihnen vorhanden gewesen war, zurrte sich fast schmerzhaft fest; zog sie aneinander wie kollidierende Sterne, die ihren Bahnen nichts entgegenzusetzen hatten.

Gwens Arme schlangen sich ruckartig um Lokis Nacken, da sie auf keinen Fall riskieren wollte, dass er sich ihr wieder entzog. Ihre Finger fuhren in sein Haar, durchglitten die samtigen, feuchten Strähnen.

Ihre Lippen bewegten sich langsam gegen die seinen, doch hielt sie ihren Hunger gebremst zurück, da sich Loki im ersten Augenblick versteifte, als wäre er über die eigene Tat schockiert.

Sie wollte ihn nicht verschrecken. Sie durfte ihn nicht verschrecken!

Vorsichtiger nippte sie an seinen Lippen, ließ ihren bebenden Mund über seinen gleiten, um ihn in diesen Kuss zu locken, den er diesmal selbst begonnen hatte. Und tatsächlich öffnete er die Lippen und kam ihrem tastenden Mund entgegen, was ihr ein erregtes Keuchen entlockte.

Seine Lippen waren göttlich. Perfekte, samtweiche Linien, die seiner ganzen Erscheinung in nichts nachstanden; köstliche Versuchungen, denen Gwen nie hätte widerstehen können.

Dieser Mann war einfach pures Feuer - die Verführung in Person. Er war so sinnlich und doch lag eine seltsam verletzliche Unsicherheit hinter seinen Berührungen, hinter seinem ganzen Wesen, was ihn nur noch interessanter und anziehender machte.

Gwens Mund glitt über einen seiner Mundwinkel; sie ließ ihre Lippen nur einem Hauch gleich über seine Wange streifen, bevor sie sehnsüchtig zu seinen Lippen zurückkehrte und diese zu einer erneuten Vereinigung lockte. Ihr war heiß und kalt zugleich; unmöglich all diese wirbelnden Empfindungen in sich zu benennen, die durch ihre Eingeweide zogen.

Ihre Finger wagten eine Reise, strichen fahrig und federleicht über seine Schultern, die Arme, über perfekt definierte Muskeln, die sich wie samtiger Stahl unter ihren Händen anfühlten. Ein prickelnder Schauder ließ sie leise seufzen - eine seiner Hände glitt über die Außenseite ihres Oberschenkels und streifte den Saum ihres Handtuches...

Loki intensivierte den Kuss selbst, presste seine Lippen fordernder gegen die ihren; willkommen nahm sie sein stürmisches Drängen auf und zog ihn tiefer auf sich herab, doch schon im nächsten Augenblick löste er sich fast fluchtartig von ihr und stemmte sich in die Höhe, sodass selbst ihr Griff ihn nicht halten konnte.

Kraftlos fielen ihre Arme auf die Decke herab, als sie sich schwer atmend in die Augen sahen; Gwen wusste kaum, wo ihr der Kopf stand. Hatte sie etwas falsch gemacht?

»Du solltest jetzt wirklich schlafen…« Verräterisch heiser raunte er die Worte auf sie herab, bevor er sich von ihr rollte und eine plötzliche Kälte und Leere hinterließ, die Gwen kaum deuten konnte. Sie wollte ihn am Arm zurückhalten, doch er ergriff ihre Finger und zögerte kurz, bevor er sie in einer so überraschend sanften Geste an seine Lippen zog, dass Gwen schlucken musste. »Schlaf jetzt, Gwendolyn. Du brauchst Ruhe.«

Sie verkniff es sich ihn darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich nur eins gerade brauchte. Nämlich ihn.

Vielleicht war es besser, dass er etwas beendet hatte, was schlussendlich doch nur zu Problemen führen würde.

Zumindest versuchte sie sich das einzureden.

Doch es half nicht gegen die drängende Sehnsucht in ihrer Brust - und die zwischen ihren Beinen.

Ruckartig stand er vom Bett auf und schnappte sich den ledernen Mantel, der über einer Stuhllehne hing. Gwen richtete sich irritiert hinter ihm auf und drückte die Decke an ihren noch immer zitternden Körper, als wollte sie ihr heftig schlagendes Herz daran hindern, aus ihrer Brust zu springen. »Wo willst du denn hin…?« wisperte sie verunsichert und völlig verwirrt.

Was hatte sie nur so falsch machen können, dass er nun offensichtlich nicht schnell genug von ihr weg konnte?

Loki stieg in seine Stiefel und blickte kurz über die Schulter zu ihr zurück, der flüchtige Funken von Sehnsucht in seinen noch immer verdunkelten Augen, bevor er sich den Mantel über die Schultern warf und zur Tür schritt. Dann war er verschwunden.

Gwen starrte die geschlossene Tür fassungslos an und konnte sich nicht entscheiden, ob sie frustriert mit dem Kissen um sich schlagen oder augenblicklich in Tränen ausbrechen wollte.

Asgard entwickelte sich gerade zu ihrem ganz persönlichen Ort der Verdammnis. Mit Loki als Höllenfürsten.

Dieser Mistkerl! Er hatte sie auch gewollt, dass hatte sie ganz genau gespürt und nun ließ er sie hier so einfach zurück - mit tausend Fragen im Kopf… und Lippen, die noch immer von seinem Kuss brannten.
 

Irgendwann in der Nacht kehrte der Magier zurück.

Durch ein leises Knarren der Holzdielen wurde Gwen kurz wach. In einem müden Dämmerzustand öffnete sie die Augen und erblickte Loki, wie er die Tür leise hinter sich ins Schloss zog. Die letzte Kerze war inzwischen fast verloschen und doch nahm sie das verräterische Funkeln eines Gegenstandes in seiner Hand war, mit dem er leise wie ein Geist im angrenzenden Badbereich verschwand.

War das Blut auf dem Dolch in seiner Hand gewesen?

Ihr schläfriges Hirn nahm dieses Detail zwar auf, war aber zu träge, um es zu verarbeiten. Augenblicklich trieb sie wieder in den Schlaf hinüber und vergaß, was sie gesehen hatte…



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  _Ryosuke_
2014-02-17T11:17:28+00:00 17.02.2014 12:17
Du steigerst dich von Kapitel zu Kapitel. Das macht süchtig. Ich habe auch bisher noch nie so eine gute Fanfiction gelesen, wie deine. Hut ab!
Antwort von:  Ceydrael
23.02.2014 10:44
\O.O/ Oh, danke danke für dein Lob! ^-^
Freut mich, dass dir die Geschichte so zusagt; geb mir mit jedem Kapitel ja auch sehr viel Mühe und lasse genügend Herzblut einfügen :)
Von:  xXGwenStacyXx
2014-01-29T21:00:14+00:00 29.01.2014 22:00
Ich hatte bisher keine andere FF, bei der ich wirklich das Gefühl hatte ein Buch zu lesen! Deine Formulierungen, Umschreibungen... Es ist einfach so leicht sich darin zu verlieren, wie bei einem Buch eben! Ich liebe dich und deine Geschichte *___*
Antwort von:  Ceydrael
29.01.2014 22:25
*.* Wow! Danke für dieses umwerfende Lob!
Das bedeutet mir wirklich sehr sehr viel, wenn mein Stil schon mit einem Buch verglichen wird...unglaublich. Ich freu mich so! ^-^
Ich hoffe wirklich, dass ich das Niveau auch mit den weiteren Kapiteln halten kann und nicht enttäusche ;)
Danke für deinen lieben Kommentar! <3
Von:  Piruette
2014-01-27T18:45:03+00:00 27.01.2014 19:45
Ohh Mann wie gut waren bitte deine letzten neuen Kapitel?! Wie kannst du nur so unverschähmt gut schreiben...ich stecke emotional so in dieser Geschichte drin, das ist unglaublich!
Habe zwar jetzt schon länger keinen Kommentar mehr geschrieben, aber jetzt musste es einfach nochmal sein. Ich danke dir soo sehr für diese wunderbare Geschichte und freue mich ultra darauf wie es weiter geht!
Vor allem finde ich es toll wie du die Annäherung von Loki und Gwen gestaltest, nicht zu viel und vor allem immer mit etwas Rückhaltung von Seiten Lokis.. Perfekt!
haachja ... ich freu mich aufs nächste Kapitel :)
<3 -piruette
Antwort von:  Ceydrael
28.01.2014 19:22
Hallöchen Piru!
Schön, dass du die Geschichte noch immer so gespannt verfolgst und das deine Begeisterung offensichtlich auch nicht nachgelassen hat! :D
Es freut mich ungemein, dass dich die Story emotional so mitreißen kann ^.^ ...ich weiß auch nicht, wie ich das schaffe, aber ich bin froh darüber, dass ich offensichtlich genau das erreiche, was ich als Autor ja auch bezwecke - das die Leute völlig ergriffen sind von der Geschichte und mit den Protagonisten mitleiden, sich freuen und lieben! :)
Es freut mich auch zu lesen, dass die Annäherung von Gwen und Loki offensichtlich nachvollziehbar und relativ realistisch abläuft; das wollte ich, also bin ich zufrieden :)
Danke für deinen lieben Kommentar! <3
Von:  numbthings
2014-01-26T14:40:37+00:00 26.01.2014 15:40
Ich habe alle Kapitel durchgelesen und kann sagen: Mir fehlen die Worte. Ich habe ewig gebraucht um eine gescheite Fanfic wie diese zu finden. Gott segne dich und dein Werk ;-;
Mit mir hast du dir einen Fan auf Dauer geangelt. Kann das nächste Kapitel kaum erwarten :)
Antwort von:  Ceydrael
26.01.2014 18:07
Ach du meine Güte! \O.O/
Vielen lieben Dank für deinen tollen Kommentar! Was für ein schönes Lob und eine fantastische Bestätigung <3
Da hoffe ich natürlich, dass dich die kommenden Kapitel auch überzeugen und mitreißen können und du noch viel Freude an meiner Geschichte hast! :)
Liebe Grüße
Cey
Von:  Feuerkopf
2014-01-22T23:04:53+00:00 23.01.2014 00:04
Puh! "Indiana Loki und die Frau mit der heilenden Hand." Achterbahn ist nix dagegen.
Danke für fulminantes Kopfkino zur Schlafenszeit. ;-)
Das ist genau die Mischung, die ich liebe.
Gruß vom Feuerkopf Ursula.


Antwort von:  Ceydrael
25.01.2014 11:57
"Indiana Loki"...genial! :D Das gefällt mir irgendwie - mit Hut und Peitsche! Arrrr <3
Ich freue mich, dass ich dir wieder einmal grandioses Kopfkino zur Verfügung stellen konnte und du weiterhin solches Gefallen an meiner Geschichte findest ;)


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