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The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
*Trommelwirbel* Da ist es, das neue Kapitel - schnell und heiß serviert, mit einer extra Portion Loki! Wie versprochen ;)

Ich hatte offensichtlich einen guten Lauf, daher ist es so fix fertig geworden - viel Spaß damit! Und ich will keine Klagen hören! :D Komplett anzeigen

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Loki

Fesseln.

Natürlich waren es die Fesseln um seine Handgelenke, die er als erstes wahrnahm, nachdem sich sein Bewusstsein aus dem Sog des klebrig düsteren Morastes zurückgekämpft hatte, in welchem es eine Weile unfreiwillig stecken geblieben sein musste.

Die Fesseln und die Tatsache, dass sein Kopf noch auf seinem Hals saß.

Langsam kehrte sein Verstand an den angestammten Platz zurück.

Loki begann sich verschwommen zu erinnern; an einen Pfeil, der für Frigga bestimmt gewesen war…und an das erschrockene Gesicht der rothaarigen Sterblichen, gegen die er kraftlos gesunken war, bevor sich sein Denken verabschiedet hatte und bei ihm die Lichter ausgegangen waren.

Loki Laufeyson war ohnmächtig geworden. Und das vor der versammelten Gemeinschaft seiner - ach so geliebten - „Familie“. Diesen Augenblick konnte man definitiv in jene Kategorie einreihen, über der in dicken, fetten Lettern „nie wieder zu erwähnen“ prangte; wie entwürdigend, dass er genau zu solch einem Zeitpunkt aus den Latschen kippen musste, als alle Augen auf ihn gerichtet waren.

Das musste ja ein wahrer Festtag für Odin und seine Sippe gewesen sein, ganz zu schweigen von dessen Freunden, die sich garantiert köstlich über seinen Zusammenbruch amüsiert hatten.

Was war eigentlich auch in ihn gefahren, dass er diesen geistlosen Idioten tatsächlich geholfen hatte!? Warum war er nicht einfach verschwunden, als sich ihm die Gelegenheit geboten hatte?! Er hätte jetzt schon meilenweit entfernt sein können, vielleicht sogar schon in einer anderen Welt und niemand hätte ihn jemals gefunden, wenn es nicht sein eigener Wille gewesen wäre. Warum nur hatte er…?

Ach ja - er erinnerte sich. Die Sterbliche.

Wegen der rothaarigen Sterblichen war er geblieben.

Wenn er gegangen wäre, hätte er jede noch so verschwindend kleine Chance vertan, ihr Geheimnis zu lüften; und er konnte sich irren, doch bisher hatte er in keiner der neun Welten etwas vergleichbares verspürt als jene Macht, wie sie verborgen in ihr innewohnte.

Ihr Rätsel lösen zu können war jene Versuchung gewesen, der er nicht hatte widerstehen können; die Aussicht auf ein amüsantes und unterhaltsames Spiel hatte ihn zum Bleiben bewogen.

Vielleicht war sie die Möglichkeit, Vergeltung zu üben und doch noch das zu bekommen, was ihm zustand - jene zierliche Gestalt, die sich ohne zu zögern zwischen ihn und den Speer des Allvaters gestellt hatte, um sein Leben mit dem ihren zu beschützen.

Und die Volstagg zornig mit den Fäusten bearbeitet hatte, um ihm zu helfen - die Erinnerung daran ließ Lokis Mundwinkel um eine Winzigkeit amüsiert in die Höhe klettern.

So etwas war dem bärtigen Krieger garantiert auch noch nie passiert; dass er sich von einer Frau prügeln lassen musste, die ausgerechnet dem geächteten Gott der Lügen zu Hilfe kommen wollte.

Da musste Loki sich in Gedanken wohl berichtigen - es gab offensichtlich doch durchaus Anblicke, die es wert waren, dass man dafür ohnmächtig wurde. Dieses Bild würde er nicht so schnell vergessen.

Nicht, dass Loki die Hilfe der Sterblichen unbedingt benötigt hätte - allerdings fand er die Sorge und den Einsatz der Menschenfrau durchaus faszinierend. Bisher hatte sich noch nie jemand so selbstlos für ihn eingesetzt; gehandelt, ohne auf die Konsequenzen zu achten und dabei kannte sie ihn noch nicht einmal. Sie war ihm nichts schuldig gewesen.

Er hatte ihre Welt angegriffen, da wäre es eigentlich eher logisch gewesen, dass sie Odins Speer noch den letzten Stoß verpasst hätte. Offenbar hatte sie Loki wirklich nicht wiedererkannt.

Was hatte sie dazu veranlasst sich so zu verhalten? Es wäre durchaus interessant, sie einmal danach zu fragen - vorausgesetzt, er sollte sie überhaupt je wiedersehen.

Diese Möglichkeit war doch eher unwahrscheinlich.

Dass er nun jedoch erwachen durfte und sich weder in seiner altbekannten Zelle, noch in einem anderen stinkenden Loch in Ketten geschnürt wiederfand, überraschte ihn allerdings ein wenig und ließ die Frage aufkommen, ob die Sterbliche auch dafür verantwortlich war. Hatte ihn ihr Einsatz wirklich vor dem Tod bewahrt?

Denn Loki hätte eigentlich damit gerechnet, dass der Allvater ihn nach all den Ereignissen schlussendlich nun seines Lebens berauben und sich seiner entledigen würde; und doch war der überstrapazierte Geduldsfaden Odins offensichtlich noch immer nicht gerissen, sonst hätte Loki jetzt kaum die Augen öffnen können, um an eine saubere, helle Decke über sich zu blinzeln.

Er wandte den Kopf und sah sich kurz um, erblickte ein sauberes, spartanisch eingerichtetes Zimmer mit weißen Wänden und einem großen Fenster, das geöffnet den Blick auf einen klaren blauen Himmel gewährte. Die dünnen Vorhänge bauschten sich leicht im milden Wind.

Das Bett, in dem er lag, war schmal, aber bequem und das Bettzeug roch nach frischen Lilien.

Es gab keine erkennbaren Sicherheitsvorkehrungen; keine Gitter vor den Fenstern, keine magischen Wände, die ihn umgaben, keine Ketten vor der Tür.

Interessant. Wirklich interessant.

Was war nur während seiner Ohnmacht passiert, dass man augenscheinlich nicht mehr der Ansicht war, dass man ihn hinter Schloss und Riegel halten müsste?

Hatte Odin wegen der Rettung Friggas seine Meinung über ihn noch einmal überdacht? Das hielt er für unwahrscheinlich.

Loki konnte sich vorstellen, dass die Königin für ihn gesprochen hatte, doch ihr Wort allein würde wohl kaum ausreichen, um den Standpunkt des Allvaters zu ändern und alle Verbrechen Lokis ungeschehen zu machen.

Auch, wenn er sich selbst gern etwas anderes einreden wollte - Friggas Rettung war keinem Plan gefolgt. Er hatte die Gefahr erkannt, in welcher sich die Königin befunden hatte und sie gerettet, weil es ihm einfach als richtig erschienen war.

Ob er für Thor oder Odin das Gleiche getan hätte…darüber wollte er eigentlich gar nicht so genau nachdenken.

Doch Frigga hatte es definitiv nicht verdient, durch den hinterhältigen Pfeil eines stinkenden Feindes zu sterben. Nein, nicht die Frau, die ihn immer gleich auf wie Thor behandelt und nie einen Unterschied zwischen ihren Söhnen gemacht hatte. Sein Respekt vor dieser Asin hatte ihn die Hand heben lassen, um das tödliche Geschoss kurz vor dessen Ziel abzufangen.

Für seine Gutmütigkeit durfte er sich nun mit bohrenden Kopfschmerzen plagen, ganz zu schweigen von einer Stelle an der unteren Seite seines Rückens, die einen pochenden, dumpfen Schmerz in seinen Leib sandte. Mit einem Ächzen schlug Loki die Bettdecke zurück und erhaschte dabei einen Blick auf die funkelnden Fesseln an seinen Handgelenken.

Interessiert hob er die Hände und wandte diese vor seinen Augen hin und her, um die lästigen Metallringe prüfend zu betrachten; er erkannte sie als jene, die ihm Thor bereits nach dem Kampf gegen die Avengers angelegt hatte, um ihn nach Asgard zu überführen - hübsche Schmuckstücke, die seine Magie unterdrückten und so jeglichen Zauber unmöglich machten.

Mit einem amüsierten Schnaufen ließ er die Arme wieder herabfallen.

Offenbar traute man ihm doch nicht so weit über den Weg, dass man ihn gänzlich ohne Sicherheitsvorkehrungen in der Freiheit zurückließ. Kluge Narren…

Loki stemmte sich mühsam in die Höhe und schwang die Beine über den Rand des Bettes. Seine Füße waren nackt und trafen unvermittelt auf den kühlen Boden, während seine langen Beine in einer einfachen Stoffhose steckten. Darüber trug er ein schlichtes Hemd, das er jetzt vorsichtig anhob, um die weißen Bahnen des Verbandes um seinen Leib zu betrachten.

Mit zusammengezogenen Brauen versuchte er sich zu erinnern, woher er die Verletzung…

Ach, das Fenster. Er schien ein paar verirrte Splitter für die Sterbliche abgefangen zu haben; wo sein Körper eine solche Wunde rasch geheilt haben würde, wäre ihr schwächlicher Leib mit Sicherheit tödlich durchbohrt gewesen.

Er ließ den Stoff des Hemdes wieder sinken und verlagerte sein Gewicht auf die Füße, sodass er aufstehen konnte. Im ersten Moment schwankte er ein wenig und sein Kopf schien mit sich selbst Karussell zu fahren, doch er blieb zumindest auf den Beinen. Das war ja schon einmal etwas.

Er hätte damit rechnen müssen, dass sein Körper Tribut fordern würde; er hatte lange Zeit in seiner Zelle keine Nahrung zu sich genommen, hatte dann den magischen Schlag seines Gefängnisses wegstecken müssen, noch dazu der Kampf mit den fremden Wesen, seine Verletzung, der Einsatz seiner Magie…

Selbst für seine Verhältnisse hatte er sich und seinem Körper eine Menge zugemutet. Da war es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass er aus seinen Stiefeln gekippt war. Er musste dringend wieder zu Kräften kommen.

Langsam ging er die wenigen Schritte zur Tür hinüber und drückte die Klinke herab - verschlossen. Das war zu erwarten gewesen.

Loki bettete eine Handfläche auf der hölzernen Tür und verspürte dahinter zwei wachsame Präsenzen, die folgsam an Ort und Stelle verweilten; Männer der Palastwache, die wohl zu seiner Bewachung abgestellt waren.

Gleichmütig wandte er sich wieder um und durchquerte das kleine Zimmer, um an das geöffnete Fenster zu treten. Neugierig lehnte er sich hinaus.

Er musste sich in einem der oberen Stockwerke von Odins Palast befinden, denn unter ihm fiel die Außenmauer steil und sehr lang ins Nichts ab, bevor erst weit am Boden die ersten Dächer wieder zu erkennen waren.

Flucht auf diesem Weg war also ausgeschlossen; ohne seine Magie würde er bei dem Versuch wahrscheinlich abstürzen und auf dem Asphalt der Stadt zerplatzen wie eine überreife Frucht. Keine angenehme Vorstellung und kein akzeptables Ende für einen Gott wie ihn.

Loki hob den Blick wieder.

Vor ihm erstreckte sich Asgard im Schein der Morgensonne; ein immer wieder grandioser Anblick, den jetzt jedoch die Spuren des zurückliegenden Kampfes durchzogen wie grausam geschlagene Narben. Die Stadt hatte mächtig unter den fremden Angreifern gelitten; Loki sah auf eingestürzte Türme und Häuser, die schwarzen Streifen von Bränden, die gewütet hatten und die Rauchsäulen von noch immer schwelenden Feuern, die zu löschen wohl der Mühe nicht wert gewesen wäre, da betroffene Gebäude und Plätze eh verloren waren. Allerdings waren die Asen bereits eifrig dabei, ihre Stadt wieder herzurichten und aufzubauen.

Auf einigen Häusern erkannte er gehisste, weiße Fahnen - das Zeichen für einen Todesfall in der Familie.

Hatte Asgard die Angreifer am Ende zurückschlagen können oder waren diese freiwillig wieder abgezogen?

Ihre Art war fortschrittlich gewesen, diese Raumschiffe von höchst beachtlicher Technik, die Asgards bei weitem übertraf.

Noch immer interessierte Loki, was diese Wesen eigentlich bezweckt hatten - die Vernichtung Asgards konnte es nicht gewesen sein, denn dann wären sie kläglich gescheitert.

Da sie augenscheinlich aus keinem bekannten Reich der neun Welten stammten - woher kamen sie dann? Und was waren ihre Ziele?

Mit scheinbar teilnahmsloser Miene blickte der Gott der Lügen auf das Reich unter sich, welches er so lange Jahre für seine Heimat gehalten hatte und versuchte zu ergründen, ob er etwas bei dem Anblick der attackierten Stadt fühlte. War da Mitleid? Zorn? Der Hunger nach Vergeltung?

Nein, nur eine kalte, bodenlose Leere. Und Gleichgültigkeit.

Dass sich seine Nägel von ihm unbemerkt in das Holz des Fensterbrettes gegraben hatten, fiel Loki nicht auf.

Die Tür hinter ihm öffnete sich leise und schwang geräuschlos auf, woraufhin weiche, sanfte Schritte über den steinernen Boden in den Raum traten.

Loki richtete sich auf, allerdings machte er sich nicht die Mühe sich umzudrehen - er erkannte die Präsenz hinter sich auch so. Selbst ohne seine magisch verstärkten Sinne hätte er die Person identifizieren können - an jenem vertrauten Duft, der ihn schon seit den ersten Erinnerungen seiner Kindheit durch das Leben begleitet hatte.

»Ich habe geahnt, dass der Allvater jemanden schicken würde, um mir ins Gewissen zu reden und das Gute in mir zu suchen - dass er allerdings seinen besten Redner, seinen größten Trumpf, entsenden würde, hatte ich zu dieser Zeit noch nicht erwartet.« sprach der Gott ruhig aus und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, wie er es so oft zu tun pflegte.

»Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen, mein Sohn.« erklang die warme Stimme Friggas hinter ihm. Auf seine Worte ging sie gar nicht ein, was Loki einmal mehr verdeutlichte, wie vernunftbegabt diese Frau doch war. Das Schließen der Tür verriet ihm, dass sie allein waren. Keine Wachen - überraschend. »Du hast zwei Tage lang geschlafen. Es stand nicht sonderlich gut um dich.« Die Sorge in ihrer Stimme rührte etwas in ihm an, von dessen Existenz er lieber verschont geblieben wäre.

»Der Schlaf war wohl nötig, Mutter.« erwiderte er kühl und fragte sich sogleich, was sie antrieb. Kam sie wirklich im Auftrag des Allvaters oder war es ihr eigener Wille, der sie zu ihm geführt hatte? »Nach all der Zeit suchst du mich erst jetzt auf. Meinst du nicht, dass deine Sorge nun ein wenig spät kommt?« fragte er zynisch nach und wandte sich mit gehobener Braue zu ihr um.

Die Königin sah ihn direkt an und er erkannte das Schuldbewusstsein in ihrem Blick, bevor sie sich einen der beiden Stühle heranzog, die an einem kleinen Tisch standen. Beinahe kraftlos ließ sie sich darauf nieder und starrte angespannt vor sich hin. Er bemerkte die Schatten auf ihren Zügen; die Linien, die sich tiefer gegraben hatten. Sie sah müde aus und erschöpft.

Einen Moment verbrachte sie damit, die schlanke Glasvase mit der einzelnen Orchidee unnötigerweise auf dem Tisch auszurichten, bevor sie begann zu sprechen. »Ich konnte dich nicht besuchen. Odin hat es mir untersagt. Wenn ich gegen seine Weisung verstoßen hätte, dann wäre dein Urteil der Tod gewesen. Du durftest vorerst nur weiterleben, weil ich mich damit einverstanden erklärte, jeglichen Kontakt zu dir zu unterbinden.« Sie sah zu ihm auf, suchte seinen Blick und einen Funken Verständnis darin - keine Vergebung. Dafür war sie zu klug.

»Weiterleben…willst du das wirklich Leben nennen, was ich da unten in diesem Loch hatte!?« zischte er aufgebracht. »Odin hat mich da unten verrotten lassen!«

Die Königin ließ die Schultern hängen. »Es war besser als der Tod…« wisperte sie schwach, wohl selbst nicht gänzlich überzeugt.

»Oh, da bin ich mir gar nicht so sicher, werte Mutter.« erwiderte er spöttisch und fixierte sie mit einem vernichtenden Blick, der sie bewusst verletzen sollte. »Wenn ich tot gewesen wäre, hätte ich zumindest nicht den Gedanken ertragen müssen, dass selbst du mich vergessen hast!«

»Das ist nicht wahr!« fuhr sie ihn entrüstet an. »Zügle deine Zunge, mein Sohn, bevor du etwas sagst, was du vielleicht noch bereuen könntest…«

Schwer atmend maßen sie sich gegenseitig einen Moment mit Blicken, bevor sich Loki mit einem Zischen abwandte und seinen Fokus lieber wieder aus dem Fenster lenkte. Eine Hand hatte er an den Rahmen aus Holz gelegt, während der laue Sommerwind auffrischte und sein langes Haar in Bewegung versetzte.

Seine Gefühle waren für einen Augenblick mit ihm durchgegangen und er schob es auf die Schwäche seines Körpers und die lange Isolation in seiner Zelle - er hätte nicht gedacht, dass es ihn tatsächlich so aufwühlen würde, seiner Mutter so unvermittelt wieder gegenüber zu stehen. Der Königin, berichtigte er sich in Gedanken. »Also, warum bist du hier? Sicher nicht, um unsere Familienzusammenführung zu feiern.« fragte er dann, als er sicher war, dass seine Stimme in den altbekannten, gleichgültigen Klang zurückgefunden hatte.

»Zuerst einmal will ich dir danken. Dafür, dass du mir das Leben gerettet hast.« sprach sie seinen Rücken an; ihre Worte fügten sich in Ehrlichkeit, Würde und der Liebe einer Mutter.

Er drehte sich nicht um, sah sie nicht an, denn er traute sich selbst noch nicht wieder soweit über den Weg, dass man in seinen Augen nicht vielleicht doch hätte lesen könnte, was seine Lippen nie verraten würden. Er schnaubte nur geringschätzig. »Ich brauche deinen Dank nicht. Und überhaupt - bist du etwa nicht der Ansicht, dass deine Rettung nur „Teil eines perfiden und hinterlistigen Planes ist“?!« Seine Stimme imitierte die des Allvaters erschreckend genau. »Ich wette, Odin ist dieser Ansicht.«

Frigga schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Ihr zwei seid euch so ähnlich und kennt euch so genau und doch ist eine unüberwindbare Mauer zwischen euch gewachsen…« murmelte sie mehr für sich selbst, bevor sie das Wort deutlich wieder an ihren Sohn richtete. »Ja, der Allvater denkt tatsächlich so.«

»Und du? Was denkst du?« kam die Frage sofort von Loki; scharf wie die Schneide eines Schwertes und genauso präzise gesetzt. Seine Haltung versteifte sich unmerklich - für ein ungeschultes Auge kaum zu sehen, doch Frigga hatte viele Jahre Zeit gehabt, um die Eigenarten ihres Sohnes zu erkennen und auf jede Regung zu achten, denn bei Loki waren es oft nur die kleinen Dinge, die Auskunft darüber gaben, was in ihm vorging und wie er sich fühlte.

Wo Thor stets mit seinen Emotionen ehrlich herausplatzte - ein offenes Buch für jedermann, so war Loki eben eher das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln.

»Ich denke das nicht.« antwortete sie mit jener Überzeugung, die sie als Mutter empfand.

Loki erwiderte nichts darauf, sondern sah weiterhin regungslos aus dem Fenster. Der Wind wehte ihm eine Strähne seines dunklen Haares ins Gesicht und er wischte sie in einer geistesabwesenden Geste beiseite.

Ich werde sie wieder abschneiden, formte sich der Gedanke zu einem Entschluss.

Nun, vorausgesetzt, er bekäme die Gelegenheit dazu - scharfe Gegenstände würde man ihm sicher nicht in seine Zelle liefern.

»Ich komme im Auftrag des Allvaters mit einem Anliegen zu dir. Er unterbreitet dir einen Vorschlag, den du überdenken solltest. Odin bietet dir deine momentane Freiheit als Gegenleistung für dein Wissen und deine Unterstützung.« ergriff die Königin das Wort nach einer Weile wieder, klar und sachlich, kaum eine Spur mehr von den Gefühlen des vorangegangenen Gespräches vorhanden.

Sie waren demnach bei den Verhandlungen angelangt, die Loki bereits die ganze Zeit über schon erwartet hatte. Ein Ultimatum also. Das bot man ihm an.

Deswegen hatte man ihn nicht sogleich wieder in seine Zelle gesteckt.

Sein Interesse war geweckt. Auch wenn er das nie zugeben würde.

Und die lockende Freiheit war ein Köder, dem er in seiner momentanen Lage nur schwerlich widerstehen konnte; und das würde Odin wissen.

Loki schloss für einen Atemzug die Augen und gestattete sich, den warmen Wind auf seiner Haut zu genießen, den Duft der Welt in seine Lungen zu saugen, jede Nuance genüsslich zu filtern und auszukosten wie ein Weinkenner einen lieblichen Tropfen auf seiner Zunge.

Er konnte das Salz des Meeres riechen und die würzige Frische der Kiefern am Waldesrand, den köstlichen Duft eines frisch zubereiten Mahles, welcher aus der Stadt heraufwehte, Friggas Parfüm…und dazwischen den scharfen Geruch von verkohltem Holz und Asche.

Er lauschte den Geräuschen der Stadt unter sich, dem Flattern von Fahnenwimpeln, dem Schrei einer Dohle, die mit rauschenden Flügelschlägen an seinem Fenster vorbeiflog.

Seine Sinne erblühten langsam wieder und erinnerten sich an ihre Aufgaben, nachdem sie so lange hatten ruhen müssen.

In seinem Gefängnis hatte er kaum einen von ihnen benötigt, weil es kaum etwas zu sehen, zu hören oder zu riechen gab.

Diese Zelle in den Kerkerhöhlen Gladsheims, sie würde sein Grab werden, wenn er wieder dorthin zurückkehren müsste - abgeschottet von der Welt würde sein Geist verkümmern und seine Sinne mit der Zeit verschwinden...genau wie sein Verstand.

Auch wenn er es wohl niemals zugeben würde, so hatte er doch die Stimmen der anderen vermisst; zog die hitzigen Wortgefechte mit dem Allvater, Thor oder dessen Freunden der erdrückenden Ruhe seiner Zelle definitiv vor, denn das war es, wofür er lebte.

Er war ein Meister der Manipulation und der Lügen, ein Spieler mit dem Wort - woran sollte er in der endlosen Stille des Kerkers seine Silberzunge schärfen?! Alles, was ihn ausmachte und ihm Macht verlieh, hatte man ihm genommen und das allein durch die kargen, felsigen Wände eines Gefängnisses, in welchem er sich selbst die einzige Gesellschaft war.

Egal, was der Allvater verlangen würde - alles war besser, als in dieses Loch zurückzukehren. Seine eben zurückgewonnene Freiheit würde er so schnell nicht aufgeben.

Allerdings musste ja niemand wissen, dass er durchaus zur Kooperation bereit war.

»Wobei braucht der allmächtige Odin denn bitte meine Unterstützung und mein Wissen? Sollte es tatsächlich etwas geben, dessen er allein nicht Herr wird?« hinterfragte Loki mit dem gehässigen Heben eines Mundwinkels, während er sich nun doch der Königin neugierig zuwandte. In bewusst gelangweilter Haltung lehnte er sich gegen den Fensterrahmen im Rücken.

Dass der Allvater tatsächlich um seine Hilfe ersuchte war beinahe ein Festtag. Ein beispiellos auserlesener Moment. Schade, dass Odin selbst nicht gekommen war, um seine Bitte vorzutragen. Der Allvater hätte es selbst gewiss nie so genannt, doch genau das war es - eine Bitte. Ein Flehen, da der alte Mann mit seinen eigenen Weisheiten offensichtlich am Ende war, denn sonst hätte er niemals nach Loki geschickt.

»Dieser Angriff, der Asgard so unvermittelt getroffen hat - wir müssen herausfinden, was das für Wesen waren, was ihre Ziele und ihre Schwächen sind, bevor wir einem erneuten Angriff unvorbereitet gegenüberstehen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir diesen Feind nicht zum letzten Mal gesehen haben. Ihr Angriff kam überraschend und genauso rasch sind sie wieder abgezogen. Ihr Handeln scheint keiner Logik zu folgen. Sie haben weder etwas gestohlen, noch haben sie gezielt versucht, unsere Ressourcen oder den Allvater anzugreifen. Ihr Erscheinen glich eher einem unausgereiften-«

»…Versuch.« kam Loki der Königin in einem grübelnden Raunen zuvor, während er die Arme vor der Brust verschränkte und nachdenklich auf den Boden starrte.

Frigga zog die Brauen zusammen und sah ihren Sohn erstaunt an, dann nickte sie bestätigend. »Ja, genau.« bekräftigte sie seinen Schluss. »Ebenso schätzen Odin und ich diesen Angriff ein. Doch begreifen wir das große Ganze nicht. Was steht dahinter? Was wollen sie?«

Loki hob eine Braue und seinen Blick wieder an, um die Königin so forschend anzusehen. »Und ich soll das für euch herausfinden?!« mutmaßte er über seine Rolle in diesem Vorhaben.

Erneut nickte Frigga. »Ja, das sollst du. Deine langen Studien - darunter die Zeit in Vanaheim - haben dir Wissen und Lehren verschafft, welche unsere Gelehrten nicht besitzen und das hat selbst Odin eingeräumt. Darüber hinaus sind deine Fähigkeiten in der Magie-«

Loki hob sogleich die Hände und verwies auf die silbernen Fesseln an seinen Handgelenken mit argwöhnisch gehobenen Brauen, unterbrach die Königin damit kurz in ihrem Redefluss.

»-beispiellos, allerdings wirst du sie zunächst nicht benötigen und es ist wohl zu unser aller Besten, wenn deine magischen Fähigkeiten auch vorerst unter Verschluss bleiben.« beendete sie dann ihren Satz und Loki ließ mit einem spöttischen Schnaufen die Arme wieder fallen, woraufhin die Handfesseln ein helles Klimpern von sich gaben.

»Euer Vertrauen scheint ja nicht sehr weitreichend zu sein.« gab Loki ironisch von sich.

»Niemand hier vertraut dir, Loki.« korrigierte ihn Frigga sachlich. »Niemand würde das Risiko eingehen wollen, dich mit all deiner Macht uneingeschränkt durch Asgard wandeln zu lassen.«

»Nicht einmal du, Mutter?« hakte der Gott lauernd nach.

»Nicht einmal ich wage dir mein Vertrauen wieder so weit zu schenken.« gab die Königin offen zu und begegnete seinem abschätzenden Blick direkt. »Nur unsere Taten können zeigen, wer wir wirklich sind. Worte allein reichen dafür nicht aus. Du musst dir Vertrauen erst wieder verdienen.«

»Wie überaus großzügig von euch, dass man mir jetzt zumindest die Gelegenheit dazu einräumt. Ich wette, ich müsste nun eigentlich in einer äußerst theatralischen Geste in den Staub auf meine Knie sinken und euch für dieses Angebot danken - aber verzeih, das lange, untätige Liegen der letzten Tage hat mir einen Krampf im Oberschenkel beschert.« sprach Loki gespielt bedauernd.

»Dein Spott ist unangebracht.« entgegnete die Königin ermahnend, während sie eine unsichtbare Falte aus dem Rock ihrer makellosen Robe strich. Loki hatte das Gefühl, dass sie nur ihre Hände beschäftigen wollte. »Du wirst alle Gerätschaften und Hilfsmittel erhalten, die du benötigst. Ebenso wird dir der Zutritt zur Bibliothek gestattet und du darfst dein Zimmer wieder beziehen.« fuhr sie fort. »Allerdings wird dich ein Trupp der Palastwache ständig begleiten und ein Auge auf dich haben. Ebenso ist Heimdall angewiesen, über dich zu wachen. Du wirst keinen Handgriff unbeobachtet tun.«

»Darf ich wenigstens noch allein schlafen oder muss ich das Bett auch mit der Palastwache teilen?« warf Loki spöttisch ein, eine Braue anzüglich gehoben.

Frigga sah ihren Sohn wieder an und der Ernst in ihren klaren Augen ließ seine Silberzunge schwer werden und ihn allen weiteren Hohn vorerst bei sich behalten. »Das ist deine letzte Chance, Loki. Die Allerletzte, verstehst du? Mein Wort wird dich nicht noch einmal retten können. Mein Einfluss ist erschöpft. Nun liegt es allein an dir. Wenn Odin oder Heimdall - wenn nur irgendjemand das Gefühl hat, dass du gegen uns oder Asgard intrigierst und übles im Schilde führst, wirst du sterben. Der Allvater wird nun nicht mehr zögern, ein offenes Exempel an dir zu statuieren. Nutze diese Chance weise.«

»Und wenn ich euch geholfen habe, was dann? Werde ich dann begnadigt?« hinterfragte Loki die Worte der Königin sarkastisch. »Ich meine, wo ist der Vorteil für mich bei der ganzen Sache?«

»Du solltest lernen, die kleinen Dinge um dich besser wahrzunehmen und auch diese zu schätzen. Wir bieten dir all deine alten Gewohnheiten und Privilegien anstatt einer kargen, isolierten Zelle. Das ist vorerst genug. Alles Weitere wird die Zukunft zeigen.« belehrte ihn Frigga, blieb ihm eine direkte Antwort jedoch schuldig.

Natürlich würden sie ihn wieder hinter Schloss und Riegel stecken. Davon war auszugehen.

Odin war kein völliger Narr. Der Allvater wusste, dass eine momentane Kooperation niemals auch Loki Einsicht und geistige Wandlung bedeuten würde. Er ging bereits ein großes Risiko ein, indem er seinen geächteten Sohn überhaupt auf freien Fuß setzte und sei es auch nur für eine begrenzte Zeit.

Allerdings hatte Frigga recht; die Aussicht auf seine Freiheit, seine Bücher und Folianten, seine Kleidung, ein Bad und Sonnenschein…das war viel zu verlockend und wertvoll, als es unbedacht einfach abzuweisen.

Und Loki wäre sicher nicht Loki und der Gott der Lügen und Täuschung, wenn ihm nicht eine Möglichkeit einfallen würde, sich seiner Strafe schlussendlich doch zu entziehen. Und gewiss ließe sich bei einem Glas Wein in Freiheit wesentlich besser darüber grübeln.

In diese Zelle im Kerker des Allvaters würde er nie wieder einen Fuß setzen - das schwor er sich.

»Nun dann. Worauf warten wir noch? Ich denke, ich sollte mich an die Arbeit machen oder etwa nicht?« Auffordernd zog Loki die Brauen in die Höhe und stieß sich vom Fensterrahmen im Rücken ab.

»Ach, eine kleine Sache noch…« bremste ihn die Königin in seinem gestellten Eifer. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und rückte jenen peinlich genau wieder zurecht. »Du wirst nicht allein arbeiten. Du wirst Unterstützung erhalten. Das ist eine weitere Bedingung.«

»Ich brauche keine Hilfe. Ich arbeite und denke allein am besten. Das solltest du eigentlich wissen, Mutter.« erinnerte er sie und genoss es, soviel Missachtung wie möglich in das letzte Wort zu legen.

Loki trat zu dem kleinen Kleiderschrank hinüber, der neben dem Bett eines der wenigen Einrichtungsgegenstände war und zog dessen Türen auf. Darin entdeckte er wie erwartete seine Rüstung, die säuberlich auf einem Bügel hing - die Spuren des Kampfes waren jedoch noch zu sehen und Loki strich beiläufig über die Risse in Stoff und Leder, wo ihn die Glassplitter getroffen hatten. Diesen Makel würde er beheben müssen. »Ich brauche Thor nicht-«

»Es ist nicht Thor.« unterbrach ihn Frigga sogleich und zerstörte damit seine so sichere Vermutung. Es hätte ihr eigentlich ähnlich gesehen, dass sie ihm seinen Bruder an die Seite stellte, damit die beiden durch die erzwungene Nähe wieder zusammenwachsen sollten.

»Nicht Thor…« murmelte er. »Wer dann…?« Irritiert zog er eine schmale Braue in die Höhe.

»Die Sterbliche.« erklärte ihm die Königin überraschend und schaffte es damit tatsächlich Loki zu erstaunen. Verblüfft wandte er sich Frigga wieder zu und studierte ihr Gesicht genauestens nach den Zeichen einer Lüge. »Die Sterbliche?!« wiederholte er ihre Worte ungläubig.

Es war unnötig zu erwähnen, welche Sterbliche Frigga wohl meinte. So viele gab es in Asgard gewiss nicht. Und wohl kaum eine andere Menschenfrau, die ihn aus seiner Zelle befreit und mit dem eigenen Leben beschützt hatte.

So recht wusste Loki nicht, was er mit dieser Eröffnung anfangen sollte. Bisher hatte es nicht vieles in seinem Leben gegeben, was ihn wirklich hatte überraschen können.

Nun, außer vielleicht der Tatsache, dass er ein Eisriese war - diese Offenbarung hatte ihn wahrlich erschüttert bis in die Grundfesten seiner selbst.

Und vielleicht diese rothaarige Menschenfrau mit ihrer absurden Tat.

Sie war also wirklich noch da…

Loki konnte es natürlich leugnen, doch die Neugierde auf ihr Wesen und ihre Macht - diese ganz spezielle Anziehung, die sie auf ihn ausübte - erwachte sogleich wieder in ihm in Aussicht auf neuen Zündstoff für seinen wissbegierigen Geist.

Eine prickelnde Unruhe erfasste ihn, geschürt von Tatendrang und zog kribbelnd über seine Haut; schien sich in seinen Handflächen zu ballen - auf eben jenem Fleckchen Haut, dass die Sterbliche berührt hatte. Er erinnerte sich an ihre ineinander verschlungenen Hände, als sie gemeinsam seinem Kerker entstiegen waren.

»Ihr wollt tatsächlich eines dieser schwächlichen Geschöpfe in meine Obhut übergeben?« stellte Loki das Vorhaben mit hochgezogenen Brauen skeptisch in Frage und konnte sich ein anmaßendes Grinsen nicht verkneifen. »Ihr meint doch nicht wirklich, dass dies gutgehen kann, wenn sie mich erst wiedererkennt und ihr einfällt, wer ich bin und was ich in ihrer Welt angerichtet habe.«

»Das wird ihr nicht einfallen.« erklärte ihm die Königin seelenruhig. »Weil sie es nicht weiß. Weil kein Sterblicher auf Midgard dieses Detail je kennen wird - außer ein paar erwählten Oberhäuptern und Führungspersonen. Die Organisation S.H.I.E.L.D hat ganze Arbeit geleistet, um deinen Beitrag bei diesem Angriff auf die Erde zu verschleiern.«

Ungewohnt langsam sickerte die Erkenntnis in Lokis Verstand und er musste wahrhaft ein paarmal ungläubig blinzeln, weil er das Gehörte zu verarbeiten suchte.

Das durfte nicht wahr sein…

Sie hatten ihm wirklich alles genommen…

Nicht nur seine Freiheit, seine Macht und die Möglichkeit, mehr für sich zu erschaffen - nein, sie hatten selbst seine Taten aus den Geschichtsbüchern gewischt; herausgerissen wie eine überschüssige, unnütze Seite. Als hätte es ihn nie gegeben. Als würde Loki Laufeyson gar nicht existieren.

Selbst das verwehrte man ihm; die Angst und die Verzweiflung der Menschen - deren schreckhafte Erinnerung an einen Tag, den sie eigentlich nie hätten vergessen sollen, um seinen Namen nur hinter vorgehaltener Hand ängstlich zu wispern…

Die Wut kochte unvermittelt in ihm hoch; hilfloser Zorn bemächtigte sich seiner und ließ ihn die Fäuste ballen. Angespannt begegnete sein Blick dem der ruhigen Gestalt seiner Mutter. »Ihr wagt es…ihr habt es tatsächlich gewagt, mich einfach zu einem Nichts zu degradieren?!« knurrte er aufgebracht und schlug eine Faust donnernd gegen die hölzerne Schranktür im Rücken.

Frigga zuckte unmerklich zusammen; sofort öffnete sich die Tür und ein Mann der Palastwache steckte seinen Kopf herein, um Loki sowie die Königin mit alarmiertem Blick zu mustern. Die Asin aber bedeutete dem Wächter, die Tür wieder zu schließen und sie allein zu lassen. »Es war nötig.« begann sie dann vorsichtig, jedoch mit jener ernsthaften Bestimmtheit, die sie selbst bei dieser erforderlichen Maßnahme empfand. »Es war nötig, um die Zusammenarbeit mit Midgard zu sichern. Der Allvater hat nach all den Jahren erkannt, dass es keine Schande ist, den Menschen die Hand zu reichen und es hätte nur viel Unruhe und Misstrauen unter der Bevölkerung der Menschen geschürt, wenn bekannt geworden wäre, dass ein Ase ihre Welt angegriffen hat.«

»Ich bin kein Ase!« schleuderte Loki ihr entgegen; Frigga konnte den Aufruhr in ihrem Sohn erkennen und seine Wut sogar um ein Stück verstehen, doch dies verhinderte nicht, dass sie instinktiv ein Stück zurückwich, als sich Lokis Augen für einen Wimpernschlag blutrot einfärbten. Das Erbe der Eisriesen war noch immer stark in ihm.

»Doch, das bist du.« entgegnete sie ruhig. »Und vielleicht wird irgendwann der Tag kommen, an dem du unsere Entscheidung nachvollziehen und verstehen kannst.«

»Ich gebe einen Dreck auf eure Entscheidungen! Ich wette, Thor habt ihr aus diesem Vorfall nicht herausgehalten. Er durfte bestimmt den strahlenden Helden spielen und mit seinen Taten prahlen. Mir habt ihr sogar die Rolle des Feindes in diesem Stück abgesprochen! Ohne mich hätte Thor doch gar nichts gehabt, gegen das er hätte kämpfen können!« fauchte er.

»Deine Logik entbehrt jeglicher Realität, Loki.« versuchte die Königin abermals mit Vernunft in den angegriffenen Geist ihres Sohnes zu dringen. »Und Thor ist nun gewiss auch gar nicht der Inhalt unseres Gespräches. Du wirst dich mit dieser Tatsache abfinden müssen - ob du nun willst oder nicht.«

Ach tatsächlich? Musste er das? Da war er sich noch gar nicht so sicher.

»Die Sterbliche wird dich begleiten und dir helfen.« fuhr Frigga dann ungerührt in ihrer Bedingung fort, als könnte sie damit diese ungeheuerliche Schandtat an Lokis Person einfach vergessen machen und überdecken, wie man es mit einem Fleck auf dem makellosen Tischtuch tat, indem man einfach eine Vase darauf platzierte. »Im Gegenzug wirst du sie überwachen und ihre Fähigkeiten ergründen. In ihr scheint mehr zu stecken, als wir zu sehen vermögen und wir müssen wissen, warum diese Wesen offenkundig so interessiert an ihr waren - ob sie eine Gefahr für Asgard darstellen oder uns womöglich helfen kann. Dein Gespür für die Magie wird dir dabei hoffentlich eine Hilfe sein. Finde heraus, was mit ihr passiert ist und ob Asgard für ihre Veränderungen verantwortlich ist.«

Die Königin raffte ihre kunstvolle Robe und machte sich daran zu gehen. »Und natürlich wirst du kein Sterbenswort über die Sache auf Midgard in ihrem Beisein verlieren. Sie hat über den Grund ihres Hierseins gelogen und sich als eine…« Frigga überlegte kurz. »…Journalistin herausgestellt. Ja, so hat sie es genannt. Ihre Aufgabe auf Midgard ist es, Informationen und interessante Neuigkeiten zu sammeln und diese ihrem Volk zu übermittelt. Ich muss wohl nicht gesondert darauf hinweisen, dass es überaus unklug wäre, gerade ihr dieses Detail über deine Person zuzuspielen. « mahnte sie noch an, die schlanke Hand bereits auf der Türklinke liegend.

Sie hat also gelogen, durchfuhr es Lokis Gedanken. Ich wusste es.

Loki war sicher alles andere als gewissenhaft im Befolgen von Anweisungen und Befehlen und eigentlich hätte er nichts lieber getan, als die Erinnerung der Menschen ein klein wenig aufzufrischen und gerade der rothaarigen Sterblichen mit Genugtuung die Wahrheit über den Angriff auf ihre erbärmliche Welt zu unterbreiten…

Allerdings musste er sich eingestehen, dass dies ihre Zusammenarbeit auf keine Weise fördern und ihm wahrscheinlich jegliche Chance verwehren würde, ihr Zutrauen zu erlangen - das jedoch benötigte er, damit sie sich ihm gegenüber öffnen und kooperieren würde.

Damit war die Forderung Friggas durchaus in seinem Sinne und nur, weil es ihm selbst nützen könnte, würde er seine Zunge im Zaum und sich an diese Anweisung halten, obwohl sich grundsätzlich alles in ihm dagegen sträubte, seine Natur und seine Taten zu verleugnen.

»Und was soll ich ihr dann erzählen? Sie wird wissen wollen, warum ich in dieser Zelle saß.« gab Loki zu bedenken.

»Lass das meine Sorge sein.« sprach die Königin bestimmt und wandte den Kopf noch einmal, um ihren Sohn anzusehen. »Ich werde mit ihr reden und sie alles wissen lassen, was sie wissen muss.« Damit drückte sie die Klinke entschieden hinab und verließ das Zimmer. Die Tür fiel geräuschlos hinter ihr ins Schloss.
 


 

Gwen stand vor der mächtigen, dunklen Eichenholztür und starrte auf die Maserung des Holzes vor ihrer Nase, als wären diese Linien das Interessanteste, was sie je gesehen hätte - was wohl auch erklären würde, warum sie nun schon ein paar geschlagene Minuten hier verweilte, ohne es fertig zu bringen, an die Tür zu klopfen.

Die Wächter zu beiden Seiten beäugten sie bereits argwöhnisch; sie konnte ihre Blicke aus den Augenwinkeln verspüren, die sie prüfend musterten, doch zum Glück richtete keiner der Männer das Wort an sie. Still und stumm standen sie da in ihren glänzenden Rüstungen, die Speere neben sich auf dem Boden aufgestellt und bewachten jenes Zimmer, in das sie nun nicht zu gehen wagte.

Die Königin hatte Gwen nach drei endlosen Tagen voller Grübeleien und Langeweile heute endlich in ihrem Zimmer aufgesucht und sie um ein Gespräch gebeten. Danach hatte die Asin sie hierher geführt und mit einem auffordernden Nicken vor der Tür alleingelassen.

Vor der Tür zu Lokis Gemächern.

Gwen hatte ihn unbedingt wiedersehen wollen; unzählige Male hatte sie die Wächter nach ihm gefragt, doch jegliche Bitte ihn zu besuchen war ihr verwehrt worden.

Und nun stand sie endlich hier, womöglich nur durch das Holz einer Tür von ihm getrennt - von ihrem Retter, so peinlich heroisch das auch klingen mochte - und sie war zu feige, um einzutreten.

Gwen war unerklärlich aufgeregt und wischte die feuchten Hände an dem edlen Stoff ihres Kleides ab; die asische Robe hatte ihr die Königin besorgt und Gwen fand das Gewand wirklich bezaubernd - eine pastellfarbene Flut aus vielen Lagen zarten Stoffes, die an ihr herabglitten und ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachten, ohne freizügig zu wirken. Frigga hatte sogar gemeint, dass sie darin fast etwas Elfenhaftes innehätte, ähnlich der Alben aus Alfheim - allerdings fühlte sich Gwen nun darin schrecklich unwohl und völlig fehl am Platz.

Lieber hätte sie ihre eigene Kleidung getragen. Das hätte ihr zumindest ein Stück weit das nötige Selbstvertrauen gegeben, um dem Prinzen Asgards entschlossen entgegenzutreten und sich bei ihm zu bedanken. Denn genau dafür war sie ja schließlich hier.

Sie musste sich diese Tatsache noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ein Prinz Asgards - wie Thor. Er stand somit unweit hinter dem Allvater Odin; ein Gott, ein Mann, dem Macht, Prunk und hoheitliches Auftreten somit in die Wiege gelegt waren.

Dagegen war sie klein und unbedeutend. Und genauso fühlte sie sich in diesem Augenblick vor der riesigen Tür zu seinem Zimmer auch.

Sie war nur ein Mensch. Was wollte sie eigentlich hier? Gewiss würde jemand wie er gar keinen Wert auf ihren Dank legen. Wahrscheinlich würde er sich nicht einmal an sie erinnern…

Da konnte sie auch keine Zuversicht und Entschlossenheit aus dem Gespräch mit der Königin ziehen; obwohl diese ihr so einiges über Loki verraten hatte, was ihn eigentlich menschlicher hätte erscheinen lassen müssen, blieb die Wirkung bisher aus.

Gwen blickte verstohlen den langen Bogengang zu beiden Seiten auf und ab, doch niemand schien sich in diesen Teil des Palastes zu verirren, der noch einigermaßen unversehrt von dem zurückliegenden Angriff geblieben war. Nur ein paar der äußeren Säulen der Arkade wiesen Risse auf und an einigen Stellen war das steinerne Geländer zerstört, an das man nur treten musste, um einen fantastischen Blick auf den naheliegenden See vor dem Palast zu genießen.

Die Sonne stand bereits hoch im Zenit und ließ die Wasseroberfläche wie mit tausenden Diamanten überzogen glitzern; ein leichter Wind säuselte durch die Pappeln und Trauerweiden am Ufer.

Loki war also adoptiert. Genau wie Gwen.

Ein Frostriese, den der Allvater als Säugling aus Jotunheim gerettet hatte, um ihn in Asgard als einen seiner Söhne aufzuziehen.

Der Kopf schwirrte Gwen immer noch von dem Gespräch mit Frigga. Sie hatte unheimlich viele Dinge in kurzer Zeit erfahren; über die neun Welten, Politik und das asische Reich selbst.

Die Königin hatte sie mit Wissen und Begriffen in kurzer Zeit fast schon bombardiert, um ihr einen knappen Abriss der Geschichte um Asgard und Loki zu vermitteln, dass Gwen durchaus darüber nachgedacht hatte, sich lieber Notizen zu machen.

Sie hatte jetzt bereits Angst, dass sie etwas Wesentliches vergessen würde, was später einmal wichtig sein könnte; die Informationen über Loki hatte sie allerdings aufgesaugt wie ein Schwamm - bei jedem Wort der Königin aufmerksam an den Lippen gehangen, um bloß nichts zu verpassen, während die restliche, rahmenbildende Geschichte über Krieg und Feindschaft vielmehr beiläufig an ihr vorbeigeplätschert war.

Gwen hatte schon zugehört; zumindest hatte sie sich bemüht, alles zu verstehen, was ihr die Königin in einer sehr kompakten Version von der Entstehung der Welten bis zum heutigen Tage vermittelt hatte, nur waren die Stellen, in denen sie etwas über Loki erfahren durfte eben wesentlich interessanter für sie als die Politik und Staatsführung des Allvaters.

Frigga hatte Gwen eröffnet, dass sie wohl eine Weile in Asgard bleiben würde - so hatte es der Allvater entschieden - und es für somit wichtig erachtet, dass sie über das Reich der Asen im Bilde war.

Und über den zweiten Sohn Odins, der gewissermaßen Gwens erzwungene Gesellschaft für die nächste Zeit darstellen sollte.

Da Loki offensichtlich als einer von wenigen Asen äußerst bewandert in den magischen Künsten und Wissenschaften war; der fähigste Magier und Gelehrte, den Asgard wohl zu bieten hatte, sollte er sie im Auge behalten und folglich herausfinden, was mit ihr los war und woher ihre Veränderungen stammten.

Gwen wusste eigentlich selbst jetzt noch nicht so wirklich, was sie von dieser Idee halten sollte; zumindest machte sie die Aussicht auf viele gemeinsame Stunden mit diesem Mann seltsam nervös.

Sie kannte ihn ja auch überhaupt nicht; sie kannte seine Geschichte, ja, vom Tag seiner Ankunft in Asgard als Säugling über seine zugedachte Rolle in der Politik des Reiches bis hin zu jenem Tag, an dem er im Kerker Asgards gelandet war, weil er eine Dummheit begangen hatte, die den zerbrechlichen Frieden zwischen den Welten aufs Äußerste gefährdet hatte.

Gwen schauderte jetzt noch bei dem Gedanken an die Erzählung der Königin; an die Schilderung jenes Tages, an welchem Loki versuchte hatte, Jotunheim zu zerstören - der schreckliche Höhepunkt einer Reihe von Intrigen und Straftaten, die der Prinz im Wahn begangen hatte, nachdem er herausfinden musste, wo seine wahren Wurzeln lagen.

Es musste ein wahrer Schock für ihn gewesen sein, die Wahrheit durch einen eher unglücklichen Zufall herauszufinden, als sie in einem ruhigen Gespräch verständig vermittelt zu bekommen; eben jene Wahrheit, die ihm seine Eltern wissentlich so lange vorenthalten hatten.

Gwen konnte sich vorstellen, wie Loki sich gefühlt haben musste - verraten und hintergangen von jenen, die er liebte. Da sie selbst ihre eigenen Wurzeln nicht kannte, war ihr Mitgefühl für seine Verzweiflung und Wut echt.

Allerdings entschuldete das alles natürlich nicht seine Taten und Gwen konnte kein wahres Verständnis dafür aufbringen, dass er auf Grund dieser Erkenntnis gleich ein ganzes Volk hatte auslöschen wollen - obwohl Frigga durchaus eingeräumt hatte, dass der Allvater und sie ebenso ihren Anteil zu Lokis Wahnsinn beigetragen hatten.

Ja, Gwen kannte seine Geschichte, doch den Mann dahinter kannte sie nicht.

Die wenigen Worte, die sie im Laufe der zurückliegenden, schicksalshaften Nacht gewechselt hatten, konnte man kaum als Grundlage nehmen, um einen anderen wahrhaft einzuschätzen; die Bedingungen waren extrem gewesen, gefährlich und kaum geeignet für ein unvoreingenommenes Kennenlernen.

Gwen hatte Stolz in ihm erkannt, Entschlossenheit sowie eine durchtriebene Arroganz - allerdings auch das flüchtige Funkeln von Wahnsinn in seinen fantastischen Augen; gefährlicher Wahnsinn, der unter der Oberfläche einer perfekten Maske lauerte, stets wachsam und bereit, den Angriff aus der Deckung zu wagen.

Vielleicht war einiges davon ebenso ein Grund, dass sie noch immer nicht an seine Tür geklopft hatte, wie die unsichere Anspannung, die sie immer wieder schlucken ließ, wenn sie daran dachte, erneut in den Fokus seines intensiven Blickes zu geraten.

Sie schuldete ihm ihr Leben. Das war noch immer eine Tatsache.

Und der Allvater würde ihn wohl kaum in die Freiheit entlassen und sie in seine Obhut übergeben, wenn die Möglichkeit bestünde, dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnte…oder?

Nun komm schon, Gwendolyn. Benimm dich nicht wie ein Kleinkind. Du hast schon misslichere Situationen überstanden - einen Wutausbruch von Bill Freeman zum Beispiel. Schlimmer konnte das hier doch gar nicht werden. Ein Kinderspiel sozusagen.

Gwen straffte die Schultern und holte tief Luft, dann hob sie endlich die Hand und klopfte entschlossen an die schwere Tür. Das Geräusch kam ihr unheimlich laut vor; nachhallend in der Weite des langen Ganges und erst nach zwei endlosen Herzschlägen verebbend.

Sie lauschte, doch es blieb still. Keine Stimme verlangte, dass sie eintrat.

Unsicher schielte Gwen zu den Wächtern, die stur geradeaus starrten und sich wohl entschlossen hatten, sie einfach zu ignorieren. Daraufhin blinzelte sie die Tür fragend an, bevor sie einfach für sich selbst die Schultern zuckte und sich gegen das mächtige Holz stemmte, um eben unaufgefordert einzutreten.

Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartet hatte; vielleicht die düstere Höhle eines verrückten Sünders oder das karge Reich eines schuldigen Büßers, doch die Gemächer hinter der Tür erwarteten sie überraschend - und auch beruhigend - normal, sogar durchaus geschmackvoll und edel eingerichtet.

Gwen hatte gar nicht bemerkt, dass sie angespannt den Atem angehalten hatte; jenen ließ sie nun erleichtert entweichen. Loki schien nicht da zu sein. Zumindest sah sie ihn auf den ersten Blick nicht und damit nutzte sie die Gelegenheit, um sich neugierig umzusehen.

Das Dominanteste im Raum waren wohl die Bücher, die einem sogleich förmlich ins Auge sprangen; Bücher, wohin man auch sah. Eine riesige Regalwand gefüllt damit fügte sich an ein mannshohes, kristallklares Fenster - dieses ließ genügend Licht herein, sodass man in der sich anschließenden Sitzecke auf einem etwas erhöhten Platz aus vertäfeltem Holz sicher gemütliche Tage und Abende mit Lesen verbringen konnte.

Die Vorhänge, die die Fenster einrahmten, waren schwer, von edlem Stoff und in einem satten Grünton gehalten. Überhaupt beherrschten Grün und Gold das riesige Zimmer; angefangen von den Polstern der ausgewählten Möbel über einen kostbaren Teppich, der den polierten Holzboden schmückte bis hin zu jenem beinahe gewaltigem Bett auf der anderen Seite des Raumes - mit hoher Wahrscheinlichkeit die Lieblingsfarben des Asenprinzen.

Gwen erinnerte sich an Lokis Rüstung, die er im Kampf getragen hatte; auch bei ihr waren jene Farben vorherrschend gewesen.

Die Einrichtung war wirklich ausgewählt und edel; allerdings suchte man jeglichen Tand und Schnickschnack vergebens. Der Bewohner dieses Zimmers hatte Wert auf klare Linien und eine zweckdienliche Unterbringung gelegt - Dekoration schien da nur zu stören.

Allein das mächtige Bett wies so etwas wie Verzierungen an den dunklen, hölzernen Eckpfosten auf, die in filigraner Arbeit mit Schnitzereien überzogen waren; Gwen wagte sich einen weiteren Schritt in das still daliegende Zimmer, um einen besseren Blick auf die Schlafstätte Lokis zu erhaschen, da das Bett durch einen stofflichen Sichtschutz vom Rest des Raumes abgegrenzt war.

Ihre Neugierde wurde jäh abgebremst; durch Loki, der eben genau in diesem Augenblick hinter diesem leichten Stoffbehang in ihr Sichtfeld trat.

Er hat sich die Haare geschnitten, war ihr erster Gedanke - warum auch immer ihr Gehirn der Meinung war, dass dies die momentan wichtigste Entdeckung sein sollte.

Wo sich das dunkle Haar zuvor noch in einer wilden Flut bis über seine Schultern ergossen hatte, reichte es nun nur noch bis knapp unter sein Kinn, war streng zurückgekämmt, was seine aristokratischen Züge noch extra betonte und kräuselte sich in widerspenstigen Spitzen nach außen, obwohl es feucht war, als wäre er eben erst aus der Dusche gestiegen…

Nach dem nächsten Blinzeln fiel ihr auf, dass sein Haar eigentlich völlig unwichtig war - denn der Prinz war nackt. Naja, so gut wie, denn er war eben dabei, die Knöpfe einer dunklen Lederhose zu schließen, die sich hauteng an seine langen Beine schmiegte.

Warum nochmal waren Gwen seine kürzeren Haare bitte zuerst aufgefallen…?

Er musste wirklich gerade erst aus einem Bad gestiegen sein, denn winzige Wassertropfen perlten glitzernd über seine helle Haut, die schlanken Muskeln, den flachen Bauch, bis einige von ihnen an einer Stelle jenseits seiner markanten Hüftknochen verschwanden, über die Gwen eigentlich überhaupt gar nicht nachdenken wollte - und die der asische Prinz zum Glück gerade hinter seinen Händen und den Knöpfen seiner Hose verbarg. Einer Hose, die unverschämt tief auf seinen schmalen Hüften saß…

An seinen Handgelenken funkelten silberne Metallringe, die beinahe wie Fesseln wirkten.

Gwen war sich im Klaren darüber, dass sie ihn unverhohlen anstarrte, war allerdings nicht in der Lage sich zu bewegen oder durch einen Laut bemerkbar zu machen; dieser Augenblick war irgendwie magisch und verflucht anziehend - eben wie es die wenigen Momente gewesen waren, die sie bereits mit Loki hatte teilen dürfen.

Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie attraktiv er eigentlich war; jetzt, nachdem die unnatürliche, kränkliche Blässe verschwunden war und er nicht mehr so erschreckend hager wirkte, fiel ihr erst auf, wie anziehend er tatsächlich auf sie wirken konnte - sein Anblick hämmerte sich wie ein in Stein gehauenes Meisterwerk in ihren Verstand. Er war gefährlich schön; der Körper eines Raubtieres, unter dessen Haut man die Kraft in den sehnigen Muskeln erahnen konnte. Er wirkte definitiv nicht wie ein plumper Eisriese…

Bevor Gwen allerdings Gefahr lief, dass dieser Moment durchaus peinlich enden würde, stoppte sie der Anblick von zwei auffälligen, roten Narben in ihrer Begeisterung, die sich halb um seine rechte Seite wandten - die Spuren der Fenstersplitter, vor denen er sie beschützt hatte.

Augenblicklich kam sich Gwen furchtbar schäbig vor, da sie ihn so offen angegafft hatte wie das achte Weltwunder; das war doch wirklich nicht das erste Mal, dass sie einen Mann nackt sah. Warum also führte sie sich auf wie eine pubertierende Halbwüchsige?

Peinlich berührt wollte sie den Blick endlich abwenden und sich durch ein Räuspern bemerkbar machen, da hob Loki schon sein Haupt, als hätte er die Anwesenheit einer anderen Person bereits gespürt.

Seine grünen Augen weiteten sich nur ein unmerkliches Stück in Überraschung, bevor sich sein durchdringender Blick in ihren bohrte und Gwen somit an Ort und Stelle fesselte.

Dieser Moment, in dem sie sich so schweigend gegenseitig maßen, dauerte wohl nur ein paar Sekunden, doch ihr kam es wie eine halbe Ewigkeit vor - eine Ewigkeit, in welcher sie wieder verbunden waren, durch den Raum hindurch und ein unsichtbares Band, das noch immer Bestand hatte.

Die Magie der Anziehung war wieder vorhanden, als wäre sie nie weg gewesen seit jenem ersten Blick, der sie in der düsteren Höhle eines Kerkers verbunden hatte.

Gwen sah ein spöttisches Grinsen auf Lokis Lippen erblühen, als ihm wohl dämmerte, dass sie schon eine ganze Weile hier stehen musste und sie konnte spüren, wie ihr die Röte flammend heiß ins Gesicht schoss.

Himmel, wie peinlich! Das war eine Katastrophe!

Der Fluchtreflex war wohl etwas, was die Evolution den Menschen nicht ohne Grund mitgegeben hatte und über die Zeit fortdauern ließ; normalerweise sollte man sich damit aus gefährlichen Situationen retten.

Leider meldete sich dieser Instinkt bei Gwen allerdings ein paar Minuten zu spät, denn als sie sich jetzt auf dem Absatz umwandte, war ihr nicht nur diese verfluchte Röte im Gesicht im Weg, die sie wirken ließ wie einen verschreckten Teenager - sondern auch die Tür.

Einer der Wächter musste diese in pflichtbewusster und anständiger Weise hinter Gwen leise wieder ins Schloss gezogen haben, nachdem sie den Raum betreten hatte, was ihr unbemerkt geblieben war.

Daraufhin kollidierte also nicht nur ihr peinlich angeknackstes Selbstwertgefühl mit dem Holz; nein, auch ihre Nase donnerte unvermittelt in einem dumpfen Laut gegen die Tür und machte damit alles nur noch viel schlimmer.

»Oh scheiße…verdammte Scheiße…« fluchte Gwen ungehalten und drückte sich den Handballen in einem Reflex gegen die schmerzende Nase, die glühend heiße Pein in ihren Schädel schoss.

Sie drehte sich wieder um und lehnte sich und ihren Kopf gegen das Holz im Rücken, während sie gegen die aufsteigenden Tränen anblinzelte und ruhig zu atmen versuchte.

Das durfte doch alles nicht wahr sein! Ehrlich, das Schicksal musste sich gerade einen Scherz mit ihr erlauben. Solche Tollpatschigkeiten waren ihr ja seit den frühesten Tagen ihrer Jugend nicht mehr passiert, als sie noch für einen Jungen geschwärmt hatte, der mit Daddys Motorrad täglich zur Schule fahren durfte. Natürlich war er damit der erklärte Schwarm aller Mädchen gewesen; was hätte doch jede dafür gegeben, nur einmal von ihm nachhause gefahren zu werden.

Und gerade Gwen hatte er damals erwählt.

Allerdings hatte sie es geschafft in ihrer ungeheuerlichen Nervosität das Ganze von einem vielversprechenden Nachmittag zu einem peinlichen Fiasko umzugestalten; besonders energisch hatte sie sich auf sein Motorrad schwingen wollen, war dabei allerdings mit ihrem Fuß am Sitz hängen geblieben und gegen die Maschine und den Jungen gestolpert, woraufhin alle drei am Ende auf der Straße gelandet waren - sehr zur Belustigung und Schadenfreude natürlich aller anderen Mädchen.

Gwen hatte dem Jungen nie wieder in die Augen sehen können, nachdem er an diesem Tag das Motorrad seines Vaters nachhause schieben musste, da auch das neben ihrer Würde auf dem Asphalt gelitten hatte.

Seit diesem Tag war Gwen auf keines dieser zweirädrigen Monster mehr gestiegen.

Türen konnte sie allerdings nicht für den Rest ihres Lebens meiden…

Das Nächste, was sie hörte, war das amüsierte Lachen des Prinzen, der sie mit einem überheblich mitleidigen Blick bedachte, während er sich ein maßgeschneidertes, dunkelgrünes Hemd über die Schultern streifte. »Wisst Ihr, wir in Asgard pflegen Türen zu öffnen, bevor wir sie durchschreiten. Man könnte meinen, Ihr wärt ein Zögling meines Bruders. Der hätte vielleicht auch diese eher primitive Methode gewählt.« wagte es Loki tatsächlich unverschämt zu höhnen, während seine schlanken Finger die Knöpfe des Stoffes vor seiner glatten Brust schlossen.

Was für ein arroganter Mistkerl!

Und mit diesem Mann sollte sie wirklich die nächsten Tage verbringen?

In ihrer Vorstellung sollten Prinzen eigentlich zuvorkommend, freundlich, galant und höflich sein - diese Zeiten waren wohl schon lange vorbei oder eben doch nur Phantasiegespinste von träumenden Mädchen; Märchen eben.

Gwen war kurz davor, Loki mit einer schneidenden Beleidigung anzufauchen, besann sich dann allerdings und versuchte es allein mit einem wütend verengten Blick; noch immer stand sie einem Prinz Asgards gegenüber, auf den sie angewiesen war - ob sie wollte oder nicht. Sie sollte es nicht gleich mit ihm verscherzen. Und wahrscheinlich sollte sie auch nicht vergessen, dass er ihr immer noch das Leben gerettet hatte. »Unheimlich witzig…« nuschelte sie nur angesäuert.

Loki kam langsam zu Gwen herüber, nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Hand noch immer gegen ihr Gesicht presste und offensichtlich wirklich Schmerzen hatte. »Lasst mich mal sehen.« Schon war seine Stimme überraschend weich und samtig, beinahe besänftigend geschmeidig.

Der Ausdruck von belustigter Überheblichkeit auf seinem Gesicht war verschwunden und hatte etwas ähnlichem wie Sorge Platz gemacht. Er streckte eine Hand in ihre Richtung aus, die Gwen allerdings in einer Überreaktion beiseite schlug. »Finger weg!«

Dieser Kerl dachte wohl auch, er könnte mit ihr umspringen wie mit seinen Untergebenen - mal freundlich und dann wieder arrogant bis aufs Blut; Zuckerbrot und Peitsche. Das konnte er bei ihr aber gleich vergessen.

»Nun seid nicht so biestig und stur.« konterte er seelenruhig und fing ihre Hand noch in der Bewegung ein, um diese neben ihrem Kopf an das Holz der Tür zu pinnen.

Biestig?! Stur?! Gwen funkelte aufgebracht zu dem Prinzen hoch, der amüsiert auf sie herabgrinste und sich durch ihre drohenden Blicke offensichtlich kein Stück bedroht fühlte.

Mit einer Sanftheit, die sie ihm gar nicht zugetraut hätte, zog er ihre andere Hand von ihrem Gesicht und neigte den Kopf ein wenig, um sich ihre Nase genauer zu betrachten.

Er schien gar nicht zu bemerken, dass er ihre Hand gar nicht losließ, sondern diese in seinen warmen, eleganten Fingern geborgen hielt; dieses elektrisierende Prickeln war wieder da - glitt Gwens Arm hinauf und breitete sich in ihrer Brust aus, woraufhin die wütende Anspannung nachließ und sie augenblicklich für die Tür im Rücken dankbar war, da Schwäche in ihre Beine kroch.

Er war nah…viel zu nah.

Sie konnte seinen reinen Duft einfangen, der durch kein Parfüm verfälscht war; sein Eigengeruch war betörend - der Hauch einer dunklen, würzigen Note schwang darin mit. Sie starrte regungslos zu ihm auf und konnte sich einmal mehr der fesselnden Anziehung seiner grünen Augen nicht entziehen; die Ähnlichkeit zu jenem Moment im Kerker wurde ihr bewusst.

Nun löste er doch eine Hand von Gwen, aber nur, um ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigfinger zu fangen, damit er ihr Gesicht leicht wenden und in seinen Blick drehen konnte.

»Es scheint nichts gebrochen zu sein…« raunte er beruhigend, bevor er sich ebenfalls bewusst zu werden schien, dass sie hier in einer sehr intimen Position verweilten; seine beiden Hände lagen an ihr und es fehlte wirklich nicht viel, da hätte seine Hüfte sie berührt, so nah stand er bereits bei ihr.

Er zog die Brauen zusammen, wirkte für einen Moment beinahe irritiert, bevor er sie ruckartig losließ, als hätte er sich verbrannt. »Das nächste Mal solltet Ihr die Tür allerdings vorher wirklich öffnen.« riet er ihr in sachlich abgeklärtem Ton und wandte sich von ihr ab, um eine einfache Tunika aus dunklem Leder von einem Stuhl aufzulesen, wo jene schon bereitgelegen hatte.

Gwen rieb sich probeweise mit einem Finger über den Nasenrücken, der sich glücklicherweise mit einem dumpfen Pochen zufrieden gab, während sie Loki missmutig hinterher sah. »Danke für den Rat, Eure Hoheit…« murrte sie spöttisch, obwohl sie diesen stichelnden Unterton aus ihrer Stimme eigentlich hatte heraushalten wollen.

Loki schien es allerdings nicht zu stören; er schlüpfte in die Tunika und band diese mit einem goldfarbenen Gürtel, bevor er einen milde belustigten Blick über seine Schulter zu ihr zurück schickte. Allerdings schwieg er dazu.

Er schritt zu einem mächtigen Schreibtisch hinüber, der die Mitte des Raumes beherrschte und ließ sich geschmeidig dahinter nieder. Dann zog er eine Kristallkaraffe zu sich heran, offenbar mit Wein gefüllt, denn die blutrote Flüssigkeit darin schimmerte im hereinfallenden Sonnenlicht. »Lasst mich gleich zu Anfang etwas grundlegendes klären…« begann er in einem Ton, der Gwen stark an ihren Chef erinnerte - autoritär, kühl und ausgesprochen impertinent. Sie entschied in diesem Augenblick, dass sie Männer - die Gespräche mit diesem Satz anfingen - wirklich nicht leiden konnte.

Loki goss sich einen Schluck des Weines in ein feingliedriges Glas und schwenkte die Flüssigkeit für einen Augenblick versonnen, das Spiel der Lichtreflexionen betrachtend, bevor er sich ihr wieder zuwandte. »…ich stehe weder in Eurer Schuld, noch werde ich Euch dafür danken, dass Ihr Euch vor den Speer des Allvaters gestellt habt. Das war unendlich dumm und unüberlegt.« Sein Blick traf sie mit herablassender Gleichgültigkeit, eine schmale Braue leicht angehoben. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander.

Die Königin hatte Gwen ja bereits davor gewarnt, dass ihr Sohn schwierig sein konnte; das allerdings erschien ihr im Moment wirklich maßlos untertrieben.

Gwen hatte nicht wirklich seine ewige Dankbarkeit erwartet, aber diese Worte trafen sie dann doch irgendwie verletzend. Zumindest hatte sie gehofft, dass man die guten Absichten hinter ihrer Tat zumindest anerkennen würde.

Allerdings war sie wohl wirklich dumm gewesen - so dumm anzunehmen, dass er ihrer Tat den gleichen Wert beimessen könnte wie sie der seinen.

»Das wäre ja auch sicherlich unter Eurer Würde.« erwiderte sie provokativ und kam ein paar Schritte näher an den Tisch heran, da sie sich nicht weiterhin wie ein verschrecktes Kaninchen an die Tür drücken wollte. Loki sah ihr entgegen, doch die Höflichkeit, ihr einen Stuhl anzubieten, besaß er nicht. Also blieb Gwen stehen.

»In der Tat. Das wäre es.« entgegnete er ungerührt und hob das Glas an seine Lippen, um einen winzigen Schluck zu kosten. Über den Rand hinweg behielt er sie weiterhin im Blick - lauernd, forschend.

Er spielt mit mir, durchfuhr es Gwen. Sie würde ihm allerdings nicht die Genugtuung geben, auf seine herausfordernden Worte zu reagieren.

Himmel, hatte sie wirklich irgendwann noch Mitgefühl für ihn und die Lüge seiner Abstammung empfunden? Hatte sie tatsächlich vor Odin um sein Leben gefleht?

Der Kerl brauchte sicherlich vieles, aber ihr Mitgefühl ganz bestimmt nicht.

Die Tage mit ihm konnten ja ein wahrer Spaß werden…

»Wisst Ihr, selbst wenn Ihr Euch wie ein Ase kleidet, so seid Ihr doch noch lange kein Ase.« nahm Loki das Gespräch dann wieder auf und beäugte sie auf eine Weise, dass sich Gwen wie eine Ameise unter einer Lupe vorkam - die er mit einem Sonnenstrahl zu vernichten gedachte.

Allerdings war sie aufmerksam genug, um diesen Funken von männlichem Interesse in seinen Augen zu erkennen, der flüchtig aufglomm, als er ihre Gestalt musterte, bevor die Maske des herablassenden Prinzen wieder perfekt auf seinem Gesicht saß.

Da war der werte Herr wohl doch nicht so eiskalt und gleichgültig, wie er sie glauben machen wollte. Diese Erkenntnis sollte sie sich unbedingt bewahren.

»Seid Ihr das dann nicht ebenso wenig?« waren Gwen die Worte bereits provokativ entschlüpft, bevor sie sich diese noch hatte verbeißen können. Sie hielt sich jedoch daraufhin zurück, die Unterlippe zwischen die Zähne zu ziehen, wie sie es so gern tat, wenn sie sich unsicher fühlte.

Überraschend schnell hatte sie in die höfliche Anrede dieser Welt gefunden.

Lokis Brauen schnellten in die Höhe und für einen Moment wirkte er tatsächlich überrascht, fast achtend ihres Mutes, bevor ein verächtliches, kühles Grinsen seine Lippen teilte. In seinen Augen lag kein Funke Wärme. »Selbst als Jotune habe ich hier noch mehr Einfluss und Macht als Ihr, schwache Sterbliche.« nahm er ihr jedoch gleich den Wind aus den Segeln und machte ihr abermals klar, wo ihr Platz als Mensch zu sein hatte - ganz weit unter ihm. »Man hat es Euch also erzählt.« Eine Feststellung, keine Frage.

»Das hat man.« bestätigte Gwen wahrheitsgemäß, während sie sich Mühe gab, bloß nicht zu sehr über seine erniedrigenden Worte nachzudenken.

»Was hat man Euch denn noch erzählt?« Er beugte sich nach vorn und betrachtete Gwen interessiert, nachdem er das Glas auf der Tischplatte abgestellt und das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt hatte.

Leider nicht, dass Ihr ein ausgesprochen arroganter Kotzbrocken seid!

Da konnte auch keine - zugegeben - äußerst ansprechende, äußere Hülle darüber hinweg täuschen.

»Die Königin hat mich darüber aufgeklärt, dass Ihr vorhattet…« Gwen dachte kurz angestrengt nach. »…Jotunheim zu zerstören, nachdem Ihr erfahren musstet, dass Ihr wohl Dank Eurer Wurzeln nie auf dem Thron sitzen würdet. Daraufhin hat man Euch in diese Zelle gesteckt, um Euch Genügsamkeit zu lehren und Zeit zu geben, um über Eure maßlose Machtgier nachzudenken.« gab sie die Worte dann beinahe in gleichem, sachlichen Tonfall wieder, wie es die Königin getan hatte.

Loki lachte humorlos auf. »Das hat sie Euch erzählt, ja? Tatsächlich…« Er schob das Weinglas zwischen zwei Fingern über den Tisch und Gwen bemerkte seine angespannten Knöchel, die sich spitz unter der blassen Haut seiner schlanken Hand erhoben.

Es mutete beinahe an, als würde ihn etwas beschäftigen, fast wütend machen, denn er zog die Brauen kurz eng zusammen, sodass eine steile Falte zwischen ihnen entstand. Sein Grinsen wirkte noch um einige Spuren eisiger, während sich sein Blick in die Tischplatte vor ihm zu bohren schien. »Wie großzügig von der Königin, Euch mit der ganzen Wahrheit über meine Taten bekannt zu machen...«

Es wirkte, als würde ihm noch etwas anderes auf der Zunge liegen, bevor er sich wohl besann und Gwen wieder scheinbar gelangweilt ins Auge fasste. »Wie heißt Ihr? Und diesmal Euren wahren Namen.« fügte er sogleich mit hochgezogener Braue warnend an.

»Man hat es Euch also erzählt.« gebrauchte sie seine schlichten Worte von vorhin und erntete dafür ein knappes Schmunzeln des Prinzen.

»Das hat man. Also?«

»Gwendolyn Lewis.« beantwortete sie seine Frage dann; irgendwie fühlte es sich seltsam befreiend und angenehm an, ihren richtigen Namen in seiner Gegenwart nennen zu dürfen.

»Gwendolyn…hm…« raunte er leise vor sich hin, während er sich gedankenverloren über sein schmales Kinn rieb, als müsste er seine Zunge erst an dieses Wort gewöhnen. Der seidige Klang ihres Namens aus seinem Mund gefiel ihr irgendwie. Dann leerte Loki in einem Ruck sein Glas und erhob sich entschlossen. »Wir werden jetzt einen kleinen Ausflug unternehmen, Gwendolyn.«

»Werden wir das…?« murmelte sie misstrauisch und musterte ihn skeptisch, als er um den mächtigen Schreibtisch zu ihr herumkam.

Ein Ausflug mit ihm? Klang ja wirklich verlockend…

»Das werden wir in der Tat. Und die Zeit könnt Ihr nutzen, um mir von Euch zu berichten, da wir ja nun offensichtlich einige Zeit miteinander verbringen werden.« schlug er in einem Ton vor, der allerdings viel mehr einer Forderung glich - sonderlich begeistert wirkte er auch nicht bei der Aussicht auf die gemeinsame Zeit mit ihr. Allerdings beruhte das immer mehr auf Gegenseitigkeit.

Ungerührt ging er an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

»Ihr habt mir Euren Namen nicht verraten.« wies sie auf dieses Versäumnis an seinen Rücken gewandt hin, was den Prinzen auf halbem Wege zur Tür in seinen Schritten innehalten ließ.

»Den wisst Ihr doch bereits.« bemerkte er leicht gereizt, als wäre ihm diese Verzögerung in einem Plan - in welchen er Gwen natürlich nicht eingeweiht hatte - äußerst zuwider.

»Trotzdem. Die Höflichkeit gebietet es, dass Ihr Euch ebenfalls vorstellt.« Beinahe trotzig blieb sie an Ort und Stelle stehen, um auf diesem Standpunkt zu beharren, falls es nötig sein sollte. Besser, er gewöhnte sich gleich daran, dass sie einen äußerst sturen Dickkopf an den Tag legen konnte und eben keine seiner Untergebenen war. Mensch hin oder her - sie war kein Fußabtreter.

Er seufzte fast resigniert und atmete tief ein - und als Gwen schon fast nicht mehr damit rechnete, wandte er sich doch wieder zu ihr um. »Loki…Laufeyson.« Das kurze Zögern war kaum wahrnehmbar, aber doch vorhanden.

Gwen trat daraufhin an ihn heran und streckte ihm die Hand entgegen, die der Prinz misstrauisch beäugte - oder angewidert, so genau konnte man das bei ihm nicht sagen.

»Ein Ritual auf der Erde. Man reicht sich die Hände, wenn man sich vorstellt.« erklärte sie ihm sachlich.

Loki stieß die Luft geringschätzig aus. »Ts, was für eine Geistesarmut und unnütze Handlung.« Allerdings ergriff er ihre Hand dann doch. Gwen konnte den Hauch von Freude über diesen Triumph nicht unterdrücken und hasste sich bereits sofort dafür.

»Ich allerdings danke Euch.« sprach sie dann ehrlich aus und hielt seine Hand noch einen Moment länger fest; das Gefühl verstohlen genießend, was diese Berührung in ihr auslöste und sein Blick nicht minder, der sie intensiv und abschätzend in das Licht dieser fantastisch grünen Augen fasste. »Ich danke Euch, dass Ihr mich gerettet und in dieser Nacht nicht im Stich gelassen habt, obwohl Ihr es hättet tun können. Ich stehe in Eurer Schuld.«

Egal, wie Loki die Sache sehen wollte, Gwen wusste, was sein Tun ihr bedeutete. Auch wenn er noch so arrogant war, wenn er auch noch so weit über ihr stehen sollte - er hatte ihr das Leben gerettet. Und sie war sich gewiss nicht zu fein dafür, dass selbst vor einem wie ihm anzuerkennen. Sollte er sich doch darüber lustig machen…

»Ihr solltet jemanden wie mich niemals daran erinnern, dass Ihr eine Schuld zu begleichen habt.« erwiderte er nach einer Weile ungewöhnlich ernst, ihr beinahe schon abratend von ihren ehrlichen Ansprüchen an sich selbst. Dann ließ er ihre Hand los und wandte sich wieder ab, während Gwen noch nachdenklich seinen Rücken ansah, bevor sie sich ebenfalls in Bewegung setzte, um ihm zu folgen.

Konnte man aus einem Mann wie ihm eigentlich jemals schlau werden?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kommis?! *lieb guck*
Eigentlich bin ich niemand, der bettelt, doch zu diesem Kapitel wäre mir Rückmeldung schon wichtig, da Loki nun intensiv interagieren konnte - teilt mir mit, wie ihr es fandet! :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  DevilsDaughter
2013-12-04T15:09:15+00:00 04.12.2013 16:09
Hab die FF soweit durch^^
Mir gefällt dein Loki wirklich sehr gut *-*
Aber er ist wirklich sehr arrogant xD
Ich bin schon gespannt wie es weiter geht :o
Ein kleiner Rat: Du solltest aufpassen, dass die beiden sich
nicht zu schnell Nahe kommen. Das mit der Bindung finde ich reicht
fürs erste mit Andeutungen, aber ist ja deine Geschichte, ich wollte
dir nur meine Meinung dazu mitteilen^^
Du willst ja sicher, dass es "realistisch" wird =)

LG
Antwort von:  Ceydrael
07.12.2013 15:08
Vielen, lieben Dank für deinen Kommentar zu meiner Geschichte! :)
Ja, Loki ist sehr arrogant, aber ich finde, das macht ja auch einen Teil seiner Faszination aus ^^
Danke übrigens für deinen Rat, aber ich kann dich beruhigen - ich wollte das Ganze eh eher langsam angehen ;) Dadurch wird die Geschichte wahrscheinlich länger, als anfangs gedacht, aber ich bin der Meinung, dass die Tiefe der Charaktere sich nicht in ein-zwei Zeilen entwickeln kann. So ein bisschen realistisch soll es ja schon sein ^^
Von:  xXGwenStacyXx
2013-12-01T13:56:04+00:00 01.12.2013 14:56
Ein neues Kapitel! *Jubel*
Ernsthaft - ich liebe dich xD Im letzten Kapitel fehlt es deinen Lesern an Loki und was machst du? Das nächste Kapitel heißt sogar wie er ^^
Wie Feuerkopf schon sagte, super dass Loki Loki bleibt. Was wäre er denn ohne seine herrliche Arroganz? Großartig <3 Und auch so, die Story, deine Ideen, deine Geschichte wird einfach nicht langweilig!
Sehr gelungenen Kapitel, das Hunger auf mehr macht ;)
Gruß von deiner begeisterten Lesern Gwen <3
Antwort von:  Ceydrael
07.12.2013 15:05
Ich fühle mich geehrt durch deine Liebe! ;D
Ich konnte euch den lieben Loki ja auch nicht mehr länger vorenthalten, sonst hättet ihr mich am Ende noch gelyncht ;P
Ich freu mich sehr über deine Begeisterung und die Anerkennung für "meinen" Loki und hoffe, dass dir auch das nächste Kapitel hoffentlich zusagen wird ;)
Von:  Feuerkopf
2013-12-01T12:37:22+00:00 01.12.2013 13:37
Wie schön: Ein neues Kapitel! - Mir gefällt, dass du dir Zeit lässt mit der Entwicklung der Geschichte, denn das verspricht viele Kapitel und eine gute Weile mit deinen Ideen. Mir gefällt auch, dass Loki "in character" bleibt. Er ist immer noch der arrogante Kotzbrocken mit dem vermutlich verletzlichen Kern, der seine Faszination ausmacht. Möge Gwen sich ihm gewachsen zeigen! Freue mich auf Neues von dir! Gruß vom Feuerkopf Ursula.
Antwort von:  Ceydrael
07.12.2013 15:02
es freut mich, dass du die eher langsame Entwicklung der Geschichte zu schätzen weißt - irgendwie bin ich einfach kein Freund davon, Dinge schnell abzuhandeln. Ich kann es wahrscheinlich auch nur schwer ^^' Ich beschreibe lieber ausführlich, um der ganzen Story Leben einzuhauchen, auch wenn die dadurch vielleicht länger wird als anfangs noch gedacht ^^'
Ich versuche Loki auch so lang wie möglich in seiner "Rolle" zu halten - wenn er sich verändert, dann muss es schon logisch sein ;)


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