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Hinter Musik, Drill und Lügen

AU-AusPru
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Stephan-> maleUngarn
Herr Eichberg -> Germanien Komplett anzeigen

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Hinter verstorbenen Römern, düsteren Feiertagen und vergangenen Zeiten…

„Und an diesem Tag sagte Cesar zu seinen Generalen…“

Vorsichtig kratzte Roderich über die Notenzeile.

Wenn Herr Vargas, auch unter den Schülern liebevoll Papa Rom genannt, den Satz „und an diesem Tag sagte Irgendwer zu seinen Generalen…“ fallen ließ, so war das für ihn das Stichwort, dass er sich gefahrlos seinen Kompositionen hingeben konnte. Denn wenn der Geschichtslehrer mit diesem famosen Satz seinen Unterricht begann, konnte man davon getrost ausgehen, das bis zu Ende der Stunde , das aufmerksame Blickfeld dieses Mannes nur über die Köpfe seiner Schüler reichte und es ihm nicht auffiel wenn sich der junge Österreicher lieber mit seiner Musik beschäftigte als mit Cesar oder Nero oder Gott-weis-der-Teufel mit wem…

Ein Seitenblick verriet ihm, dass auch sein einer Nachbar, getarnt durch seine seiner Mitschrift für Geschichte, weiterhin lieber über eine Tabelle, welche sie letztens in Mathematik durchgenommen hatten, brütete anstatt den Worten des Lehrers zu folgen.

Roderich schüttelte unmerklich den Kopf.

Was machte ein Schweizer Bankiersöhnchen auf einem Gymnasium wie diesem, dessen Besuch dazu zweckte später auf die Militärakademie aufgenommen zu werden?

Wiederum sollte man lieber nicht mit Steinen schmeißen, wenn man selber im Glashaus saß und Vash brachte wenigstens ein offenes Interesse für Feuerwaffen mit.

Sich von seinem Zimmergenossen ablenkend, ließ Roderich den Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Sein anderer Nachbar war beispielsweise fieberhaft damit beschäftigt den jungen Mann vor ihm mit der tintetriefenden Feder zu erwischen, um was-auch-immer auf dessen Nacken zu schreiben.

Für eine Weile hielt Roderich inne und beobachtete das Tun seines halb-französischen Sitznachbarn, wobei er erneut eingestehen musste, dass er noch nie eine bessere Vorstellung des Hundertjährigen Krieg bekommen hatte, als durch die Beobachtungen der ausgelebten Feindschaft dieser beiden Rivalen. Arthur und Francis hassten sich wie Hund und Katze. Unter der Nase des Lehrkörpers und die des Rektors, welche offenbar zu blind waren um deren kleinen Krieg mitzubekommen, stritten sie sich meist ausführlich, was auch hin und wieder, mit einer ausgewachsenen Prügelei endete.

Schließlich gab Francis seine Malversuche auf nachdem sich Arthur unwissend weiter vorbeugt hatte und somit aus der Reichweite der Feder des Französischstämmigen gelangt war.

Seufzend wandte sich der junge Österreicher abermals seinen Noten zu, welche kokett unter seiner Mitschrift über Perikles Wirken in der griechischen Geschichte hervorlugten.

Resigniert seufzte er über die Tatsache, dass er auch heute sich nicht mal die Mühe gemacht hat, die richtigen Unterlagen mit in den Unterricht zu nehmen. Doch so wie die Stunde versprach zu verlaufen, war das auch nicht nötig.

Kaum hatte er mit einer zögerlichen Bewegung die folgende Note beendet, traf ihn etwas sehr leichtes am Kopf und fiel seitlich neben ihn ab.

Verärgert wandte sich Roderich vorsichtig nach hinten, um festzustellen dass ihn der Schüler schräg hinter seinem Sitzplatz, arrogant angrinste und mit einem Nicken auf den Boden wies. Das Funkeln in den roten Augen verhieß nach Meinung des Braunhaarigen nichts Gutes. Dennoch erwiderte er mit einem blasierten Blick, die Aufforderungen seines bleichen Mitschüler und bückte sich, um das Stück Papier aufzuheben, mit welches vorhin an seinem Kopf geflogen war, um nun unschuldig am Boden zu liegen. Nachdem der Schuss unterhalb des Sichtfeldes des Lehrers abgefeuert worden war, hatte Herr Vargas wiedermal nichts mitbekommen.

Doch bevor er das Papierkügelchen auffalten konnte, flog die Klassentür auf und Herr Eichberg trat in die Klasse. Sofort kratzten Stuhlbeine über den Boden und die ganze Klasse erhob sich synchron. Roderich kräuselte die Stirn und steckte die zusammengeknautschte Nachricht in die Tasche seiner Weste.

Warum kam der Germanistiklehrer, welcher auch gleichzeitig Geographie unterrichtete, mitten in einer Geschichtsstunde in die Klasse?

Wie es seine Natur noch einmal, ließ sich Herr Vargas durch das plötzliche Auftauchen seines Kollegen nicht aus dem Konzept bringen. Er bemerkte nicht einmal dessen Anwesenheit und plapperte munter weiter über eine römische Zenturie.

Erst als sich Herr Eichberg lautstark räusperte blickte ihn der Geschichtslehrer erstaunt an, als hätte er bis dahin nie seine Existenz wahrgenommen. Doch mit diesem selten dämlichen Blick setzte sich der andere Lehrer nicht weiter auseinander sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Schüler, welche diszipliniert auf eine Reaktion der Erwachsenen warteten.

„Setzen!“

Was anderen Professoren durch das Klassenzimmer bellten, sprach der blondhaarige Germanist, leise doch bestimmt aus. Augenblicklich fuhren wieder Stuhlbeine über den Boden und wie eine Einheit setzte sich die sonst innerlich stark zerstrittene Klasse wieder hin.

„Ich soll Euch vom Sekretariat mitteilen, dass diejenigen unter Euch, welche sich einst auf die Liste haben setzen lassen die Feiertage über nachhause fahren, können.“

Roderich starrte in dunklen Gedanken seine karge Mitschrift an.

Auf der einen Seite erleichtere es ihn ungemein, dass er sich an den kommenden Feiertagen nicht seinen Vater auseinander setzen werden musste, doch auf der anderen Seite schmerzte ihn der Gedanke als einer der wenigen in der Schule zu verbleiben, um den anderen dabei zuzusehen, wie diese glücklich zu ihren Familien aufbrachen. Es war nun mal ein dummes Gefühl, welches ihm auf den Magen schlug. Zudem es auch bedeuten würde, dass er seine Mutter, wie auch seinen kleinen Bruder erst in den kommenden Ferien wieder sehen würde.

„Gut, ich wünsche Euch einen schönen Nachmittag.“

Ohne die höfliche Reaktion der Schüler abzuwarten, drehte sich der Deutschlehrer um und verließ nicht ohne noch einen Blick mit Professor Vargas auszutauschen das Klassenzimmer.

Dieser durch die Störung seines Unterrichtes noch immer leicht betröpelt, schaffte es nicht mehr den roten Faden seines Monolog noch vor den Läuten zu finden und ließ die Klasse dann beim Abendgong aus dem Zimmer strömen.

Missmutig packte Roderich seine Sachen zusammen. Die Erinnerung an die kommenden Feiertage, hatten ihm die Stimmung gründlich vermiest. So registrierte er nicht wie jemand ihn grob von hinten anrempelte. Er knurrte einzig eine entnervte Herausforderung, nahm sich nicht die Zeit auf eine Antwort zu warten und rauschte auf den Gang hinaus, den stechenden Blick der roten Augen nicht mehr bewusst wahrnehmend.
 

Einzig Tellergeklapper und das klirrende Geräusch von Stahl gegen Keramik echoten von den Wänden des großen Saales wieder. Weiterhin missmutig stocherte Roderich mit seinem Suppenlöffel in der trüben Brühe. Den entnervten Blick Sadiqs links von ihm und die Besorgnis in den grünen Augen rechts von ihm, blendete er gekonnt aus. Wenigstens war der Blonde vor ihm mit seinem kargen Abendbrot beschäftigt genug, als sich mit ihm zu befassen. Hinter sich konnte Roderich jedoch leise Beilschmid mit seinen Freunden feixen hören und das verdarb ihm dann endgültig den Appetit.

Stephan beugte sich zu ihm vor, seine leere Suppenschüssel von sich schieben.

„Verdammt Roddy, versuchst du eben das letzte Leben vom Suppenhuhn zu finden?“

Die Stimme des Ungarn war nicht mehr als ein Flüstern, da während den Mahlzeiten ein striktes Schweigegebot herrschte. Doch in diesem Moment hätte sich der junge Zögling ohnehin nicht sorgen müssen, denn der Lehrköper war eben beschäftigt den Rumor am Nachbartisch zum Schweigen zu bringen, der wie erwartet von Beilschmid und seiner Bande ausgelöst worden war.

„Ich habe einfach keinen Appetit.“

Lustlos schob nun auch Roderich seinen Teller Richtung Mitte des Tisches. Stephan schien noch etwas sagen zu wollen, verkniff es sich aber und ließ seinen Blick durch die Halle schweifen.

„Du bist nicht der einzige, und das weißt du.“

Kurz blickte Roderich zu Seite und kreuzte den Blick Sadiqs. In seinen dunklen Augen lag Verständnis, welcher aber nicht an Mitleid grenzte. Obwohl der Sohn eines osmanischen Offiziers in den ersten Schuljahren nicht eben zu Roderichs Bekanntenkreis gezählt hat, so hatten sie sich angenähert, seitdem sie das ersten Mal die Ferien gemeinsam in der Schule haben verbringen müssen. Roderich, weil sein Vater mit der restlichen Familie auf Reisen war, und sich weigerte seinen Sprössling nachkommen zu lassen, während Sadiq deswegen in der Akademie blieb, weil er den halben Kontinent hätte durchqueren müssen, um mit den seinigen wieder vereint zu sein, sodass er nur in den großen Ferien nach Hause fuhr, wenn sich die lange Reisezeit in Relation der freien Tage auch auszahlte.

Kurz nickte der Österreicher, was dem Türken zu genügen schien, wandte er sich kurze Zeit später wieder seiner Suppe zu. Plötzlich spürte Roderich einen leichten Tritt gegen sein Bein. Erstaunt hob er den Kopf und sah in die grünen Augen seines Gegenübers und Zimmergenossen. Dieser hatte die Hand nach seinen Suppenteller ausgestreckt und wartete mit grimmigen Gesichtsausdruck auf Roderichs Einverständnis, dass er sich ihrer annehmen durfte. Wortlos schob Roderich das abgenutzte Geschirr in die Richtung des Schweizers, welcher sich sogleich über den Inhalt hermachte. Vash hasste Verschwendung, und das war egal in welchen Bereich.

Die Zeit verging und die Unruhe war immer mehr im Raum zu spüren, je mehr Schüler mit ihrem Mahl fertig waren.

„Sagt mal…“ Stephans Worte waren nur kaum mehr als ein Raunen. „Irre ich mich oder blickt Braginsky ziemlich häufig zu uns herüber.“

Einen Impuls folgend drehte sich Roderich, wie auch Sadiq um, während Vash den großen Slawen misstrauisch über seinen Tellerrand hinweg beobachtete.

Große violette Augen betrachteten ihren Tisch interessiert, doch Roderich wurde das Gefühl nicht los, das der durchdringende Blick ihm galt.
 

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Schweigend sah Roderich zu wie Vash seine wenigen Habseligkeiten in den Koffer packte. Auch wenn er niemals behaupteten würde, den kleinen Schweizer jemals zu Gänze zu durchschauen oder gar einschätzen zu können, wusste Roderich dass ihm der andere während den nächsten Tagen fehlen würde.

Auch Stephan mit seiner Rittermoral würde er vermissen, war doch der kokette Ungarn, seit seinen Eintritt zu einem guten Freund geworden. Er konnte selber nicht sagen was es war, aber irgendetwas band ihn mehr an diesen Burschen als die anderen Zöglinge dieser Anstalt, welche schleichend sein Vertrauen erhalten haben.

Dabei waren sie beide grundverschieden in Gemüt und Interessen.

Stephan war voller Tatendrang, rebellisch in einem Augenblick, um dann wenn man es geschickt anstellte, im Folgenden kuschelweich zu werden. Anders als Roderich versteckte er seine Meinung nicht und war mutig genug seinen Standpunkt auch vor den Lehrern zu verteidigen. Ein Umstand welcher nicht immer zu seinem Vorteil nutzte, doch er hatte Roderichs Achtung dass ihre Erzieher es noch nicht geschafft hatten, ihn im Geiste zu brechen. Es grenzte an ein Wunder das Stephan wegen seinen nonkonformistischen Charakters von der Schule geflogen war, oder es lag einfach an der Tatsache dass der junge Ungare Talente im militärischen Bereich vorwies. Im Gegensatz zu Roderich war er ein exzellenter Reiter, wusste wie man mit einer Feuerwaffe umging und zeigte sich in strategischen Fragen als recht kompetent.

Würde in Stephans Adern nicht unerschüttert das stolze Blut der Magyaren rauschen, wäre er sicher in den Augen des Freiherr von Edelstein ein perfekter Stammhalter gewesen und Roderich wusste dass sein Vater keine Sekunde gezögert hätte ihn auszutauschen, gäbe man ihm die Möglichkeit. Doch all dies hatte für Roderich keinen Wert oder kränkte ihn gar.

Er mochte einfach die erquickende Gesellschaft des Ungarn, war fasziniert von dessen hellen Lachen und vor allem hielten ihn die grünen Augen immer länger gefangen.

In einsamen Stunden, wenn er sich von der Nacht ausreichend gedeckt fühlte, stellte Roderich sich vor wie es wohl wäre, wenn es Stephan wäre der ihn oben im Klavierzimmer berührte und nicht Beilschmid.

Wie die vom Reiten rau gewordenen Hände, seine Körperkonturen nachfuhren und vor allem ihm Zeit gab, das Spiel zu genießen. Es würde dann nicht so sein, das er nur der Lustwillen ausgenutzt wurde, sondern weil ihn jemand auch ehrlich begehrte.

Doch immer dann, wenn der Höhepunkt dieser Träume der harten Realität Platz machten, wusste Roderich dass seine Vorstellungen nichts weiter waren als Schall und Rauch. Er schob sie dann immer ins hinterste Eck seines Verstandes, um seinen seinen Freund wieder ohne Scham in die Augen sehen zu können und holte seine Fantasien erst in den Momenten erneut aus der Tiefe seines Geistes, wenn ein weiteres geheimes Zusammentreffen mit Beilschmid ihn innerlich völlig zerfraß.
 

Unbehaglich rutschte Roderich ein wenig auf seinem Bett um, was von Vash gekonnt ignoriert wurde, stellte sich dieser der diffizilen Frage, welches seiner Schulbücher er für die Feiertage hinweg mit in die Heimat nehmen sollte. Doch ungeachtet dessen, dass ihn der Schweizer nicht beachtete, drängte sich indes Bleischmid unaufhaltsam weiter in seinen Verstand vor und verscheuchte jeden erfreulichen Gedanken über Stephan.

Roderich wusste selber noch nicht ganz genau wie er seine neue Beziehung zu dem Preußen beschreiben soll.

Ein Erpresser-Opfer-Verhältnis, Sklave Diener,…

Abrupt hörte Roderich auf in diese Richtung zu denken, kaum spürte er wieder dieses unangenehme Ziehen in der Brust. Er hatte einfach schon zu oft über Beilschmid nachgedacht als das er sich länger über die Tatsache nicht mehr den gleichen Hass wie früher zu fühlen belügen konnte. Diese oberflächige Abneigung, die er dem blassen Deutschen entgegen gebracht hatte, war nicht mehr der gleichen Natur wie die Gefühle welche ihn einst beherrscht hatten. In den letzten Jahre war es so einfach gewesen die Existenz Bleischmid mit beherrschter Nichtachtung und spitzen Beleidigungen zu akzeptieren, aber nun wo er gezwungen war sich näher mit dieser Person auszusetzen, hatten sich die Umstände geändert.

Er täte sich leicht, wenn er einfach behaupten könnte, durch den innigeren Kontakt mit der bleichen Made, sein festgefahrenes Urteil von Beilschmid bestätigt zu sehen. Dass sein Klassenkamerad seine Macht über ihn ins Unerträgliche ausreizend würde und seinen Stolz mit dem ihm nun gegeben Mitteln endgültig in den Dreck zu treten. Doch nichts davon geschah, oder besser gesagt nicht in dem Ausmaß den sich Roderich in seinen besten Vorstellungen ausgemalt hatte, von seinen schlimmsten Befürchtungen nicht einmal zu reden.

Sicher, er war sich nur zu gut bewusst, welche Genugtun er dem zu groß geratenen Ego des Preußen brachte, wenn er sich wieder einmal dessen Willen, aufgrund ihres unfairen Handels beugte, aber verglichen mit dem was Roderich erwartet hatte, war Beilschmid wahrlich anständig geblieben, ließ man ihre kleinen Treffen am Dachboden in dieser Fragestellung bei Seite. Doch selbst hier würde Roderich seinem Kameraden unrecht tun, wenn er ihm unterstellte, ihn sich mit Gewalt untertan gemacht zu haben.

Beilschmid ging nun vielleicht nicht so mit ihm um, wie es sich Roderich im Geheimen hin und wieder erträumte, aber er hatte ihn auch nicht dazu mit einem Schlag genötigt. Ein leichter Rotstich legte sich auf die runden Wangen des Österreichers als er sich an den Abend zurück erinnert, wo seine unangenehme Abmachung mit Beilschmid eine neue Wendung genommen hatte.
 

Wie so oft war er mitten in der Nacht am Dachboden gewesen und hatte mit primitiven Mitteln versucht das alte Flügel nach besten Möglichkeiten zu stimmen. Die Arbeit und vor allem die Anstrengung hatten ihn derart in Anspruch genommen, dass er sich einfach nicht der knarrenden Tür bewusst geworden worden war...
 

Mit zusammengekniffenen Lippen, hing er also halb im Instrument, als er die Anwesenheit des andren wahrnahm. Aus Schreck donnerte er durch eine zuckende Bewegung seinerseits mit dem Deckel des Flügels zusammen und er war Augenblicke später froh dass die Stütze ihren Dienst in diesen Moment nicht versagt hatte.

Bleischmid stand genau vor ihm, durch das bleiche Licht des Mondes, welches durch die Glasrosette in den Raum gefallen war, wirkte er mehr wie ein Geist als aus Fleisch und Blut.

Erst als sich sein rasendes Herz wieder soweit beruhigte und er sich bis in den letzten Winkel seines Verstandes im Klaren geworden war, wer da in Wirklichkeit vor ihm stand, hatte eine andere Beobachtung Roderich von den Gedanken abgelenkt, das ausgerechnet es Bleischmid war, welcher nun auf sein gut gehütetes Geheimnis gestoßen war.

Es lag am Gesichtsausdruck des anderen, und hatte Roderich darauf hin gleich denn nächsten Schauer beschert. Das Grinsen, welches er erwartet hatte vorzufinden, war auf dem blassen Gesicht nicht zu sehen gewesen. Dafür domminierte ein Ausdruck die roten Augen, welchen Roderich korrekt einzuschätzen Unbehagen bereitete, erinnerte er ihn zu sehr an die gaffenden Blicke der Männer, wenn sie willigen Frauenzimmer hinterher glotzten.

Ein seltsames Schweigen etablierte sich zwischen ihnen, welches weder von Roderich noch von Bleischmid beendet wurde, wobei sich Roderich davor hütete diesen Schritt zu wagen.

Dann plötzlich und ohne Vorwarnung hatte sich der andere umgedreht und war wieder verschwunden.

Völlig mechanisch und ohne sich wirklich im Klaren über sein Handeln zu sein, war Roderich Momente später aufgestanden, hatte sein selbstgebasteltes Werkzeug zusammengeklaubt und war traumwandlerisch in sein Zimmer gewankt, wenig drauf achtend keine weitere unerwarteten Begegnung diese Nacht zu haben.

Doch er war nicht erwischt worden und auch in die kommenden Tage hatte der Preuße bemerkbar wenig Kontakt zu ihm gesucht. Waren sie gezwungen worden das Wort an einander zu richten, so hatten sie nur das absolut nötigste mit einander ausgetauscht und meistens nicht einmal das. Roderich hatte schon gehofft, dass der mehr als suspekte Packt mit dem Preußen sich damit aufgelöst hatte. Doch seine Hoffnungen leben nur bis zu der nächsten Nacht, wo Beilschmid als Vertrauensschüler eingeteilt worden war.

Es war Roderich unwirklich erschienen als sein blasser Klassenkamerad, noch in seiner Schulunifrom in der Türe des Dachgeschoßzimmer gestanden hatte. Doch diesmal hatte sich das Grinsen auf den holen Gesicht des Preußen in gewohnter Manier gehalten und mit überschäumenden Sicherheit hatte Beilschmid ein Gespräch mit ihm angefangen.

Wie weggeblasen erschien die ersehnte Distanziertheit, welche die letzten Tage jede ihrer Interaktionen dominiert hatte. Hölzern und mit Unbehagen antwortete Roderich auf die gestellten Fragen und Anspielungen, immer mehr die Gewissheit erlangen, auf welch demütigenden Weise Gilbert ihr Verhältnis zu einander mit Worten kaschierte. Dann war der Preuße wieder verschwunden, ohne ihn auch nur ein einziges Mal wegen seiner Regelüberschreitung bezüglich der Nachtruhe hinzuweisen.

Solche nächtlichen Zusammentreffen hatten sich in der kommenden Zeit gehäuft und Roderich hatte immer mehr den Eindruck gewonnen, das Bleischmid mit anderen Vertrauenschülern die Dienste tauschte nur um ihn ungestört zur Nachstunde aufsuchen zu können.

Mit jeder Nacht, in der sich der andere ihm aufdrängte, begannen sich die harmlos angeschnittenen Themen zu wandeln und schon ab der vierten Nacht eine anzügliche Note zu bekommen. Dabei konnte Roderich diese Gespräche schwer umgehen, da mit jedem Abblocken seinerseits ihn Beilschmid unverfänglich daran erinnerte, an was für ein Versprechen er sich einst gebunden hatte, wollte er nicht das sein Vater von seinem unerlaubten Ausflug erfuhr.

So war Roderich bis zu Letzt nichts anderes übrig geblieben als sich zu fügen und Antworten zu liefern, während die Fragen seitens des Preußen bezüglich seines Liebesleben immer fordernder wurden. Dabei hatte sich Roderich bis dahin nur sehr wage mit dem anderen Geschlecht beschäftigt und so hatte Beilschmid schnell auf ein anderes Thema umgelenkt, welches Bereiche streifte, über die nachzudenken oder gar zu sprechen Roderich nicht passend erschien. Siecher die eigenen Triebe hatten ihn schon ein um andere Mal übermannt und er hatte auch auf die Gefahr hinauf blind zu werden selbst die Hand an sich gelegt um Druck abbauen zu können. Doch so was tat man nicht, und es war schließlich schlimm genug, das er es nicht schaffte auf andere Weise mit seiner aufsteigenden Sexualität fertig zu werden, als hin und wieder zu onanieren, das er dies mit jemand anderen darüber austauschen müsste.

Dass dann Bleischmid seine Fragen immer gezielter an diese Themen brachte, hatte ihn unter einer hohen psychischen Belastung gesetzt. Doch den Richtigen Schock hatte er am fünften ungewollten Treffen bekommen, als Worte durch Taten ersetzt wurden und Bleischmid ihn angefasst hatte.

Wie gut konnte er sich an das paralysierende Gefühl erinnern, als ihn die rauen Fingerkuppen des anderen am Nacken gestreift hatten, während Bleischmid mit seinen Fragen ihn in einer geistigen Zwickmühle in Schach hielten.

Vom Nacken aus waren dann die Finger immer weiter gelitten und auch wenn die neuen Empfindungen Roderich versteinerten, so konnte er nicht von sich behaupten diese körperliche Nähe als unangenehm beschreiben zu können. Auch in Bleischmids Verhalten änderte sich daraufhin einiges. Trotz seiner bestimmenden Handlungen, wurde sich Roderich immer mehr der Unsicherheit des anderen bewusst. Hin und wieder zögerte Beilschmid und konnte in diesen Augenblicken nur mühsam seine von sich selbstüberzeugte Fassade aufrechterhalten. Doch trotz dieses kleinen Umstandes, der für Roderich jedoch eine weit größere Bedeutung hatte, ließ Beilschmid keine Zweifel, wer wem in diesem Spiel unterlegen war. Eine Sache, die Roderich zu hassen begonnen hatte. Ebenso wie er auch begriff wie ambivalent sich Gefühle und Empfindungen gestalten konnten. Ihm war sehr wohl bewusst, dass es nicht allein die Angst vor seinem Vater war, die ihm dazu brachte sich Bleischmid hinzugegeben und das in seiner körperliche Kapitulation nicht alleinig der Druck Beilschmid dahinter steckte.

Die Berührungen des anderen hatten etwas in ihm ausgelöst. Es war ihm gewesen als wäre in ihm ein Damm gebrochen oder als hätte ein Funke eine schon längst verstaubte und verstaute Lunte gefunden. Die Angst vor seinen Empfindungen, die Abscheu vor seiner Reaktion und seiner Schwäche konkurrierten mit einem ihm in dieser Form unbekannten Gefühl: einer unzähmbaren Neugier.

Auf der einen Seite schrie alles in seinem Verstand Beilschmid auf den staubigen Boden zu stoßen und soweit wie möglich vor ihm zu fliehen, ermahnte ihn das alles was er nun fühlte und vor allem spürte, Sünde sei und prophezeite ihm die schlimmsten Schicksale als Folgend für seine Trägheit, der Moral seiner Zeit nicht Folge zu leisten, ganz zu schweigen dass er sich immer wieder vor Augen führen musste, wer es war der ihn so unsittlich berührte.

Auf der anderen Seite gierte paradoxer Weise sein Körper immer mehr nach dem ungewohnten Gefühl, von jemand Fremden berührt zu werden. Er wollte dieses Feuer immer wieder spüren, was in ihm zu lodern begann, kaum hatte der seltsame Reigen zwischen ihm und Beilschmid begonnen. Gefangen in diesem Wiederspruch führte eines zum anderen, wobei Beilschmid immer fordernder wurde, ohne dass er es auch mit einem Wort erwähnte. Seine Berührungen sprachen Taten und dann war es eine Nacht geschehen, wo sie zum Äußersten gingen…
 

Während der kleine Schweizer ein weiteres Hemd mit akribischer Genauigkeit faltete, klopfte es kurz an der Tür. Vash sah stirnrunzelnd von seiner Tätigkeit auf, während Roderich aufgeschreckt aus seiner Erinnerung nicht umhin konnte die Türe anzustarren. Es vergingen ein paar quälende Sekunden, bis sich Vash erbarmte und mit verärgerter Miene die Tür aufriss.

Das angriffslustige „Was?“ prallte wirkungslos am Bittsteller ab und zwei große violette Augen sahen über den kleinen Blonde hinweg ins Zimmer, wobei Roderich unter dem musternden Blick Braginskis ein kalter Schauer über den Rücken kroch.

„Ich wünsche dir auch einen guten Abend, Kamerad Zwingili.“, schnurrte der Hüne unbeeindruckt von der dunklen Aura die den Schweizer umgab, ebenso wie er offenbar gegenüber dem tödlichen Blick immun war. „Ich wollte nur fragen ob ich einmal kurz mit unserem lieben Edelstein ein paar Worte wechseln könnte?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Betagelesen von: Shizuka_Natena

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Anmerkungen: Früher wurde einfach behauptet um Jugendliche vorm Selbstbefriedigen abzuhalten, dass onanieren (Masturbation, Selbstbefriedigung) das Hirn weich koche (mache also blöde), mache einen Blind, etc. Komplett anzeigen

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