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Liebesscheiße

von

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Narben machen sexy

Es war auf unausgesprochene Art und Weise schon ein bisschen peinlich, am Stadtrand zu wohnen. Zumindest, wenn man ins Zentrum fuhr und dort von grinsenden Baristas und Türstehern mit falschem Ausweis in den Händen als Dorfpomeranze tituliert wurde - ein Trip in die Stadt war oft eine nicht unerhebliche Maßnahme, in ihrem Vorort nicht an Langeweile zu krepieren.

Andererseits - wenn man es mal mit ungewohntem Optimismus betrachten wollte - konnte man am Stadtrand seine Zeit auch recht effektiv totschlagen.

Hier draußen gab es wenigstens genug Gebäude, die still gelegt worden waren und für die sich anschließend niemand mehr groß interessierte. Außer ihnen, natürlich - was gab es denn bitte für einen cooleren Ort zum Abhängen als ein total obskures Versteck, das voll von gelben Schildern und dazu noch mindestens einsturzgefährdet war? Mads war schon an ziemlich vielen Orten mit Gefahrenschildern herumgeklettert und seine Antwort war Fakt: Wirklich, wirklich weniges.

Außerdem stresste dort keiner - außer dem Wachdienst, da hieß es abdampfen, bevor die Bullen wieder Stress machten - und wenn einem doch langweilig war, konnte man die Wände mit Eddings und Farbe voll schmieren. Mads hatte in einem besonderen Anfall von Tatendrang zwei Mal zwei Meter an der Ostseite des kleinen Güterbahnhofs in dichter, ordentlicher Schrift mit wütenden YouTube-Zitaten zugekleistert. Steve hatte meistens daneben gesessen und es einfach nicht gerafft, bis Mads ihm irgendwann einen Silberedding in die Hand gedrückt hatte. Schließlich hatte Steve sich dazu entschlossen, die Fäkalausdrücke schimmernd nachzuzeichnen und mit ironischen Sparkles zu versehen, wahrscheinlich mangels einer sinnvolleren Idee zum Zeitvertreib. Am Güterbahnhof bekam er auf seinem Smartphone nicht mal 3G rein.

Inzwischen tauchten - natürlich - ab und zu Fotos von ihrer coolen Wand auf irgendwelchen Blogs da auf. Aber weil sie keine Lust auf irgendwelche Tourispacken hatten, gingen sie jetzt woanders hin.
 

An diesem Mittwoch Nachmittag trödelten sie zu dritt die spärliche Einkaufsmeile entlang, die sich fast schon stylish in den Überresten von Manufakturen und Lagerhallen eingenistet hatte, und - nachdem sie sich hinreichend mit Vorräten eingedeckt hatten - zogen noch ein bisschen weiter, wo der Bürgersteig allmählich wieder an Bröckeligkeit gewann. Renard knabberte an einem Bagel und schwärmte von irgendwelchen Klamottenläden in der Stadt, Mads hatte eine Dose Cola ergattert, er hörte nicht wirklich zu, und Steve hing an einem Weiße-Schokolade-Macadamia-Frappé. Oder irgendetwas ähnlichem, was arbiträr komplex und ein kleines bisschen albern klang. Aber Steve hatte eben Bock darauf gehabt, und hätte er stattdessen eine pelzige Mütze mit Katzenohren auf seinem Kopf spazieren getragen, hätte er das wahrscheinlich mit genau der gleichen, völlig selbstverständlichen Einstellung getan.

Mads schüttete sich ein bisschen mehr Cola in den Rachen und starrte geradeaus. Schon seit gestern hielt sich die seltsame Ruhe in seiner Brust mit zitternder Nervosität in der Schwebe. Es sah ganz danach aus, als würde der Freitag mit all seinen Gerüchten einfach ungehört versickern, und gerade deshalb wartete er auf das Gelächter, das in seine Magengrube prügelte, und gleichzeitig trieb gerade deshalb die alltägliche Normalität willkommen durch die Adern. Sie hatten sich verfrüht von der Schule abgesetzt und hingen seitdem zu dritt herum, streiften durch die Gegend, quatschten über sinnloses Zeug. So wie das eigentlich immer war.

Er warf einen prüfenden, klebrigen Blick auf Steve, ehe er wieder auf die Straße starrte, und lauschte auf das leise Kitzeln in seiner Brust.

Ich glaube wirklich, ich bin fast über dich hinweg.
 

An der nächsten Kreuzung bogen sie ab, und danach reduzierte sich die Gebäudedichte merklich. Baustellen versperrten ihnen die Sicht - irgendwelche findigen Investoren, die alte Hang-Out-Plätze gekauft und einfach platt gemacht hatten - aber das große Grundstück am Ende der Straße war noch unberührt.

Aufgebrochener Asphalt führte über eine desolate Grünfläche zu einem kaum benutzten Parkhaus, das allmählich überwuchert wurde. Es hatte nur drei Ebenen und die oberste war nur halb überdacht; schwere Betonsäulen mit tiefen Rillen und erstem Pflanzenbewuchs hielten die Stockwerke aufrecht.

Statt Wänden oder einer soliden Brüstung waren die Ebenen nur von rostigen, knapp höheren Gittern abgegrenzt. Knapp höher als Mads jedenfalls. Mit einer abgeflachten Oberkante.

Der Gedanke kam schnell. Sein Herz klopfte. Er ließ seine Dose fallen und nahm zwei Schritte Anlauf über verhärtete Schlammspuren, stieß sich ab und flog durch die Luft; seine Handflächen schrammten über das kratzige Metall der Kante und es klirrte unter seinen Füßen. Mit einem wohlgezielten Tritt katapultierte er sich aufwärts und griff nach; zog sich aufwärts, bis seine Fußspitze auf den Zaun rutschte.

Hinter sich hörte er Renard aufgeregt japsen. "Ooh, warte! Ich brauche meine Kamera!"

Vornüber gebeugt schob er die Fingerspitzen über den Zaun, bis er den Pfeiler rechts von sich zum Greifen bekam und sich an ihm ein Stück hoch zog. Haha, scheiß auf die Schwerkraft! Sein Herzschlag pochte fest durch seine Fingerspitzen, und gleichzeitig fühlte es sich an, als hätte sich sein Herz selbst in ein wohliges Leuchten aufgelöst.

Das Metall zitterte unter seinen Füßen, als er sich grinsend zu den anderen beiden umdrehte.

"Motherfucker Mads climbs again!", verkündete er stolz in Renards Kameralinse und schlug sich mit der freien Hand auf die Brust.

Steve war in einiger Entfernung stehen geblieben, der Mund dünn wie ein Strich. Was ist? Neidisch? Why so serious? Komm schon, wie schaffst du das nur? Ich mach mich hier zum Affen. Zum Äffchen.

Mads drehte sich zurück und streckte die Arme aufwärts im Versuch, die Kante des nächsten Stockwerks zu erfühlen - zwecklos, die lagen so verdammt hoch in diesem Parkhaus - und vergaß es prompt, da er ein paar grandiose Rohre unter der Decke entdeckte. Wenn er ein bisschen höher kam, war es höchstens noch ein Sprung von einem Meter. Einundhalb. In seiner Brust flatterte ein hektischer kleiner Spatz; er kletterte an den Rillen der Säule hoch, noch ein Meter, die kalten Poren des Betons juckten unter seinen Fingern; er schob sich ins Innere des Parkhauses, der Decke entgegen, lehnte sich vorwärts und stieß sich mit dem Fuß vom Beton ab. Sein Hechtsprung war wie Zeitlupe, und gleichzeitig viel zu schnell; kaum spürten seine Hände mehr als einen Luftzug, verkrallten sie sich in der kalten Installation und in seinen Armen spannte sich alles an und seine Füße baumelten drei Meter über dem Boden, als er kurz runtersah. Er schwang ein bisschen hin und her und ordnete seine Hände mühsam neu an, um zu den beiden anderen zu schauen.

"Na los! Mach 'n Foto für Facebook!", herrschte er Renard atemlos an und lachte dabei allumfassend.

"Klar doch! Mit oder ohne Happy Trail?"

Erneut warf er einen Blick abwärts - sein Shirt hing hauptsächlich zwischen seinen Schultern, und jetzt, wo er es wusste, spürte er um seinen Bauchnabel herum eine gewisse Brise. "Bist du blöd?", rief er. "Nix Happy Trail! Nix zu sehen, ist alles blond!"

"Kann ich ja reinshoppen." Hinter dem Zaun senkte Renard die Kamera und schaute dann kurz zur Einfahrt rüber. "Warte mal, ich brauch 'ne andere Perspektive. Bleib so!"

Er stürmte ins Parkhaus, die Linse im Anschlag - und hintendrein Steve, der widerstrebend nach oben blinzelte und dabei ein Gesicht zog, als kaute er sich insgeheim auf der Unterlippe herum.

"Soll ich mich mal hochziehen oder 'nen Kick machen oder so?" Mads wartete nicht wirklich auf eine Antwort, sondern fing an, gnadenlos poserig an dem Rohr herumzuhampeln - es geschah nur selten, dass er so viel Platz für seine Beine bekam. Das muss man ausnutzen!!

Und das warme, scharfe Prickeln in seinen Armen konnte er einfach weglachen; aber nicht das Knacken über sich, und nicht den lauwarmen Gedanke, sich nicht überlegt zu haben, wie er wieder runterkommen sollte; und erst recht nicht die eiskalte Realisation, dass er nicht mehr darüber nachzudenken brauchte-- über ihm knirschte es kurz und nicht besonders audiogen, er sackte ein kleines Stück tiefer; dann machte es ein splitterndes, bröckelndes Geräusch und ein Stück Rohr segelte in seinen Händen dem Boden entgegen-- und er segelte gnadenlos mit.

Der Aufprall kam plötzlich und mit einer dumpfen Explosion von Schmerzen, war aber auch erstaunlich still, bis auf ein müdes, unwirkliches Stöhnen, das klang wie von außen. Einen Moment lang sah er Sterne, und in seinen Atemwegen stachen tausend Nadeln; dann blinzelte er langsam und fand sich auf der Fresse, atemlos, mit einem schmerzenden Bein. Unter seinen Handflächen rauer, aufgerissener Beton. Er hustete kurz und schnaufte; auch das tat ein bisschen weh, und gleichzeitig war es wie ein frischer Luftzug, der durch seine Muskeln wehte. Seine Mundwinkel zuckten.

Er war gefallen. Aber eigentlich konnte er fliegen.

Behutsam setzte er sich auf und tastete sich über das Gesicht; seine Hände pieksten wie Säure und waren feucht und hinterließen glitschige Spuren. Er holte sie in seinen Schoß und starrte hinunter auf glänzendes Rot.

Ein schräges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sie langsam Renard entgegen streckte. "Foto", verlangte er. Und kassierte prompt einen Tritt in die Rippen.

"Pass doch auf!", fluchte Steve.

"Keine Sorge..." Auch ohne sich auf seine Hände zu stützen, fand Mads wieder auf die Beine und tätschelte sich mit spitzen Fingern die Wangen. "Ich verarbeite meine Visage schon nicht zu Hackfleisch. Du sollst dich ja noch mit mir blicken lassen! Außerdem, Narben machen sexy." Er legte den Kopf in den Nacken und glotzte ausführlich zur Decke, wo inmitten der Takelage aus Rohren ein Loch aus fehlendem Putz klaffte. Dann schaute er an sich herunter - ach fuck, natürlich hatte er sich bei dieser Aktion schöne, tiefdunkle Flecken auf seiner roten Hose geholt. Das war immer so ein bisschen das Problem am Rumklettern.

"Genug von dem Scheiß", murmelte Steve und wanderte an Renards kontinuierliches Klickern vorbei tiefer in das marode Parkhaus.

Neben der Auffahrt auf die nächste Ebene ruhte das schwarze Skelett eines ausgebrannten Autos. Auf dem Boden drumherum hatten sich die Überbleibsel eines rußigen Heiligenscheins abgesetzt; und wie in einem Akt moderner Kunst hatten sich drumherum neonviolette Papiere gesammelt, als wäre auf den Überresten der Motorhaube ein Ball aus Pappmaché explodiert und als buntes Schrapnell auseinander gestoben.

Mads sprang hinüber und bückte sich nach einem der Überbleibsel. "Was'n das?" Er betrachtete das Blatt näher und schloss derweil mit Steve auf. Ein Flyer - abgefasst in gestempelten Buchstaben, die senkrecht über das ganze Blatt verteilt waren, aber Datum und Uhrzeit in der Kopfzeile logen nicht - wahrscheinlich wirklich irgendso ein grandios behämmertes Kunstprojekt! Strahlend hielt er den Wisch in Steves Einzugsbereich.

"Sieht bescheuert aus." Gelangweilt rümpfte er die Nase.

"Langweiler." Mads streckte ihm die Zunge heraus.
 

Den Rest des Parkhauses erklommen sie auf konventionelle Art und Weise - sie stiegen die kreiselnde Rampe hoch, bis sie die oberste Ebene vor sich hatten und sich jeder ein Plätzchen suchte, das gerade noch so im Schatten der Überdachung lag. Es war still, aber nicht unangenehm - alle waren da, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Ein lauer Wind wehte vorbei und trug einen vagen Geruch von Döner und Backwaren heran. Mads spürte seinen Magen knurren, und er glotzte durch das Gitter vor sich vom Parkhaus herunter, um auf der Straße weiter vorne irgendeinen Futterladen ausfindig zu machen. Aus seinen Augenwinkeln sah er Renard, wie er sehr still stand und in eine andere Himmelsrichtung schaute, als ob er auf etwas wartete. Hinter ihnen kratzten Steves Schuhe in rhythmischen Schritten über den Beton.

Mads rollte den rauen Zettel zwischen seinen Fingern zu einem Röhrchen und schob ihn durch die Spalten im Gitter. Der Wisch war die schreiendste Form von Violett, die noch kein Pink war, und so ein bisschen wunderte er sich schon, wer dafür verantwortlich war.

Er zupfte den Zettel wieder aus dem Spalt, drehte sich um und lehnte sich an den Zaun. Langsam faltete er den Zettel noch einmal auseinander. Er brauchte einen Moment lang, um den Titel auszumachen - er war in fetten Lettern über das halbe Blatt verteilt - aber das ist Kunst! Das braucht kein gutes Design.

NArt Festival, was?

... Das klingt schon irgendwie bescheuert.

In seinem Mundwinkel zuckte ein Lächeln, als er den Zettel wieder zusammen faltete.

"Da drüben", sagte Renard unvermittelt und ziemlich unwirsch. "Man sieht schon den Bauzaun."

Mads versuchte, seinem Blick zu folgen, aber sah außer versprengten Stadtresten nicht viel. "Da drüben was?"

"Das Conradihaus!"

"Das... Kaufhaus?" Das nicht mal besonders interessant war, aber Mads hütete sich, das zu erwähnen. Steve hing da gerne rum, um sich dort durch Jacken, Sonnenbrillen und Videospielen zu wühlen und von den Rolltreppen hinunter in den verspiegelten Innenteil des Gebäudes zu glotzen; auch wenn er seine Neigung weiterhin hingebungsvoll mit Widerwillen maskierte. Stumm zählte Mads die Treppenfahrten ihrer letzten Tour. "Fünf Stockwerke, wenn ich mich richtig entsinne. Und?"

Renard schnaufte leise. "Für einen Klugscheißer bist du echt verpeilt."

"Sie machen es dicht", warf Steve ein und hob seine Frappéreste, als wollte er für seinen Homie Shopping Location einen ausgießen. "Zum Abreißen." Von Weitem sah er ziemlich nonchalant aus, aber Mads wusste, dass sich sein Amorbogen ein winziges bisschen kräuselte.

Renard rang die Hände. "Die Banausen. Scheiß Immobilienhaie. Die vernichten dort Geschichte..!" Er ließ sich auf die Knie sinken und zog seine Tasche in den Schoß. Das musste ihn ziemlich getroffen haben.

"... Und deshalb sollten wir dort demnächst mal schnuppern gehen", beendete Steve die Ausführung und sog geräuschvoll die halb aufgetauten Reste durch den dicken, schwarzen Plastikstrohhalm.

"Klar, klingt gut." Mads zuckte mit den Schultern und beobachtete Renard dabei, wie dieser - völlig aufgewühlt, bestimmt - in seiner Tasche herumkramte. "Habt ihr da schon genauere Pläne?"

Hingebungsvoll blätterte Renard in einem seiner Ordner, ehe er ein langes, sich unentwegt selbst einrollendes Stück Papier herauszog. "Ich hab hier zumindest schon einen Grundriss."

Mads warf nicht mal mehr einen waghalsigen Blick darauf; Renards gruseliges Informationsmonopol kannte er schon zu genüge. Skeptisch hob er die Augenbraue. "... Ist das nicht ein bisschen übertrieben?"

"Na... du hast nach 'nem Plan gefragt. Man muss doch wissen, wie man da rein kommt!"

"Letztes Mal hat ein Fenster auch gereicht..?"

Steve winkte ab. "Lass den. Wenn der nen Heist planen will, soll er doch." Er kippte den Kopf in den Nacken. "Wenigstens versinkt er dabei nicht in Selbstmitleid über seine Abfuhr."

Renards Mundwinkel sackten ab. "Danke", ätzte er, "ich hatte es gerade ein bisschen verdrängt."

Ein souveränes Lächeln schob sich in Steves Gesicht. Du bist manchmal schon so ein Arschloch, weißt du.

Klirrend stieß sich Mads vom Zaun ab und machte ein paar Schritte nach innen. In dem Augenblick pfiff eine Windbö durch den Unterstand und zerrte an seinen Haaren, und an denen von Renard. Welcher schweigend am Papier aus seiner Tasche herumknibbelte, und ein paar gestresste Falten in den Grundriss schlug.

Steve pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stellte sich auf seine Storchenbeine, um ein paar Schritte über den Beton zu staksen. "Ach, Mann, jetzt zieh nicht so 'n Gesicht. Die Kleine hatte es eh voll nicht drauf."

Renard machte eine Pause davon, seinen Gebäudeplan zu zerfrotzeln, und sah auf. "... Wie meinst 'n das?"

"Naaa, hast du nicht gehört? Die ist ultra-spießig. Vor einem halben Jahr hatte es... wie hieß der noch", Steve stupste mit dem Zeigefinger seine Sonnenbrille an, "der Typ mit dem Afro aus der Oberstufe?"

"Timo?"

Der Zeigefinger schwang herum und zeigte abwärts auf Renards Nase. "Genau der. Hat's mit ihr probiert, für fünf Wochen." Verschwörerisch senkte Steve seine Stimme, wie bei dem Twist einer Horrorgeschichte am Lagerfeuer: "Und über Händchenhalten sind sie nicht hinaus gekommen..!"

Der Vibe kam bei Mads an; er nickte bedächtig und streckte die Hand nach Renard aus. "Ist die nicht so ein religiöser Freak?"

"Sowas, ja. Zeugen Jehovas vielleicht?"

"Ich hatte mal ein Mädchen in Dänemark, die war auch so drauf! Ich dachte mir, heh", er grinste und half dem Trauerkloß auf die Beine, "das ist bestimmt geil, wenn <em>ich</em> sie dann rumkriege. Aber nix. Nach drei Wochen hat die mich zu ihren Eltern geschleppt und von Heiraten geredet!!"

Wie ein Reh im Scheinwerferlicht glotzte Renard ihn an und brauchte glatt eine Sekunde, um seine Sprache wiederzufinden. "... Alter! Echt?"

"Mh-hm! Wenn ich's dir doch sage!"

"Und deshalb braucht ihr mich", seufzte Steve schwer; aber er sah aus, als hätte er sich mit seinem Schicksal ganz gut abgefunden. Eine Hand legte er auf Renards Schulter, die andere auf die von Mads. "Einer muss doch aufpassen, dass ihr euch nicht mit irgendwelchen Verrückten einlasst."

"... À propos!" Renard schoss einen scharfen Blick auf Mads ab - seine Eingeweide stolperten über einen scharfkantigen Stein-- was--?! "Ich hab gehört, die Neubauer hat dich gestern rausgeschmissen, weil du dich mit ihr angelegt hast."

Oh.

Schlagartig kam Ruhe über ihn. Gelangweilt zuckte er mit den Schultern. "Und? Ein weiterer Lehrer auf meiner Liste. Erzähl was Neues."

"... Du hast dich mit ihr angelegt wegen diesem Mädchen."

Uuund da ist der Stein wieder.

"Ooh!" Steve pfiff anerkennend. "Da gibt sich einer ganz schön Mühe. Du hast sie uns noch nicht mal vorgestellt."

Mads schnaufte sich ein bisschen Kälte aus der Lunge. "Ich hab mich mit der Neubauer angelegt, weil sie mir auf den Sack ging", erklärte er, und es war nicht mal gelogen, nicht sehr. "Das Mädchen war nur Kollateralschaden. Na ja, Schaden nicht. Dings eben. Vorteil."

"Ach, Madsi-Schatzi." Süßlich lächelnd zog Steve seine Sonnenbrille ein Stück tiefer, um ihm über den oberen Rand hinweg zuzublinzeln. "Du bist doch sonst so-- wie nennt man das? Wenn man so hübsch reden kann wie du?"

"... Eloquent?"

"Da hast du's. Ich hör doch, wie du dein Grab schaufelst." Steve deutete es mit seinen Armen an und grinste dabei genüsslich, "Immer tiefer und tiefer und tiefer..." Und erntete einen Box gegen seine Schulter; aber daraufhin lachte er nur.

"Pffh. Das gehört alles zu meinem ausgefuchsten Plan", er warf einen dramatischen Blick zu Renard, der gerade seine Linse auf sie richtete. Mads nutzte die Gelegenheit, um sich ein wenig vorzubeugen und Steve die Hand auf die Schulter zu legen, als wollte er ihm die Geheimnisse des Universums erläutern. "Und dementsprechend pflege ich mein Rebellen-Image, indem ich irgendwelche Lehrer ankacke, die Mädels dumm anmachen. Und aus Dankbarkeit, bäm, there we go. Eine Runde Rodeo in Mads' messy Bed &amp; Breakfast!"

"Ich muss zugeben", Steve rieb sich das Kinn und nickte fast schon anerkennend, "das klingt nach einer ungewöhnlich soliden Strategie. Für so jemanden wie dich." Mads spürte die Finger, die über seinen Arm und seinen Rücken tasteten, bis sie seine Haare fanden und genüsslich seine Frisur zerrauften. "Wann ist denn dein Dankbarkeits-Date, Herr Edler Ritter?"

Langsam blinzelnd ging Mads auf, dass hier mindestens eine elementare Komponente für seine Erklärung noch fehlte. "Nnnächste Woche", erwiderte er zögernd und gestikulierte vage, "ich arbeite noch daran."

"Ach so. Bestimmt." Ein nicht besonders überzeugtes Grinsen schob sich in Steves Mundwinkel.

"... Und wie ich daran arbeite!! Pass bloß auf!" Energisch zückte Mads sein Smartphone.

"Wer ist sie überhaupt?" Renard reckte den Kopf, um seinen Blick auf das Display zu richten, welches auf einen ungeduldigen Fingerzeig hin Facebook-blau anlief.

"Sie hat einen total abgefahrenen Namen, um..." Mads tat so, als müsse er überlegen. "Irgendwas mit... Thorette?"

"Tourette?"

"Ha. Nein. Warte."

Drei Köpfe beugten sich über das Telefon, als er mit spitzen Fingern darauf herum tippte. Was nicht ganz so actionreich wirkte, wie er gehofft hatte, aber er gab sich hier wirklich alle Mühe-- vielleicht, wenn man das mit zeitlupenhaften Soundeffekten untermalte? Pokk! Pchow! Boom! Aber er hielt die Klappe und schrieb T H O R, und dann stoppte er.

Seine Hoffnungen, sie spontan damit zu finden, hielten sich eher in Grenzen. Zwar glaubte er nicht, dass sie zu diesen Leuten gehörte, die sich auf Facebook so zielgerichtete Namen wie Clau Dia oder Liene Wunderschön gaben, aber irgendwie kam sie ihm oldschool (und von ihrem Namen gestraft) genug vor, um im Internet ihren Klarnamen zu benutzen. Auch nicht auf Facebook.

Der erste Hit war der erste Teil von Thor. Den er offenbar geliked hatte. Musste eine ziemlich bekiffte Nacht gewesen sein. Und dann...
 

Thorine Helweg. 2 gemeinsame Freunde.

Das wird sie ja wohl sein.
 

Mads tippte das Profil an.

"Ist sie das?", raunte Renard von der Seite.

"Denke schon."

"Glaube nicht, dass ich je mit der zu tun hatte..."

"Warum hat die Olle kein Profilbild drin?", mokierte sich Steve von der anderen Seite. "Als ob ich mir diese ganzen verkackten Namen in unserer Stufe merken kann!"

Mit der eigenen Schulter stupste Mads die von Steve an. "Ich weiß, Mads Hålvorsøn nimmt schon die Hälfte deiner geistigen Kapazitäten in Anspruch."

"Und da sind deine komischen Extra-Buchstaben noch gar nicht mit eingerechnet!"

"Du hast sie noch gar nicht gefriendet", mischte sich Renard schockiert ein.

Mads grinste etwas großspurig. "Ich wollte doch, dass ihr bei diesem glorreichen Moment dabei seid."

"... Warum, willst du sie später heiraten?"

"Alter, mal doch nicht den Teufel an die Wand...!"

Ein bisschen unbefriedigt starrten sie noch auf das Profil, bis Mads mit dem Mund eine kleine Fanfare anstimmte und den verheißungsvollen Knopf antippte.
 

✓ Freundschaftsanfrage gesendet
 

"There we go. Phase eins abgeschlossen." Ziemlich überzeugt nickte Mads in die Runde, senkte langsam sein Smartphone aus dem Einzugsbereich der zwei anderen und steckte es schließlich weg.

Nachdenklich schaute Renard ihn an, den Kopf schief gelegt. "Das war irgendwie anklimaterisch", stellte er trocken fest.

"... Du meinst antiklimatisch."

Entrüstet warf Renard die Hände in die Luft. "Halt die Fresse! Ich bin Ausländer!"

Als hätten sie dieses Stück einstudiert, erwiderte Mads: "Und ich nicht?!"

Und im Publikum saß Steve und lachte leise und ein kleines bisschen kratzig, und zündete sich dann eine Kippe an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ye-het
2015-02-20T09:51:47+00:00 20.02.2015 10:51
Hab mir dein Geschreibsel gerade genehmigt und muss zu geben: Gefällt mir! ;) Wirklich nette und nachvollziehbare Charaktere. Ich hatte gleich ein Bild vor Augen und konnte auch nicht mit dem lesen aufhören, bis ich wirklich am Ende angekommen war. Ich bleib auf jeden Fall dran, falls es noch weiter geht ;)
Antwort von:  kumquat
20.02.2015 13:11
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir diese Zeilen zu schreiben!! <3 Ich habe nicht vor, die Geschichte abzubrechen, auch wenn zwischen Kapiteln durchaus ein Jahr liegen kann. Zu viele Pläne, zu wenig Zeit...
Aber das Wissen, dass andere Menschen mitlesen und Spaß daran haben, lässt das nächste Kapitel auf meiner Liste hinauf rutschen :D


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