Zum Inhalt der Seite

Schwarze Märchen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Rapunzel

Seufzend vergrub sie sich unter ihrer Haarpracht.

Der Tag zog sich unheimlich in die Länge. Dieser Gedanke brachte sie zum verzweifelten Lachen.

Jeder Tag war unendlich lang. Aber sie hatte das Gefühl, dass die kommenden 24 Stunden, die längsten in ihrem Leben sein werden. Und die letzten.
 

In 24 Stunden sind es genau 10 Jahre. 10... Jahre...

Weinen konnte sie nicht mehr. Das hörte schon nach 3 Jahren auf. Irgendwann geht es nicht mehr. Zumal es auch viel zu anstrengend war. Wenn man den ganzen Tag, das ganze Leben nichts tat. Wirklich gar nichts! Dann war etwas so banales wie Weinen schon unglaublich anstrengend und schwer.
 

Vor fast 10 Jahren, sie war gerade 5 geworden, es war ihr Geburtstag, wurde sie entführt.

Sie erinnert sich an diesen einen Tag so genau, als wäre es gestern gewesen.

Ihre Mutter überreichte ihr ein Geschenk, verpackt in rosa Papier mit einer weißen Schleife. Sie wollte es gerade voller Vorfreude öffnen, als die Tür aufsprang. Drei große verdunkelte Personen liefen herein und zwei von ihnen stürzten sich auf meine Eltern. Der dritte griff nach mir und warf mich über seine Schulter. Das Geschenk fiel zu Boden. Ich weinte schrecklich.

Die anderen zwei liefen mir und dem dritten hinterher, wir fuhren viele Stunden weit hinaus in eine dunkle, verlassene Gegend, dann kamen wir zu einem großen alten Gebäude, sie steckten mich in einen winzig kleinen Essensaufzug und ich landete in einem dunklen Raum, mit einem einzigen Ball-großen-Loch, das als Fenster diente. Sonst war nichts in dem Zimmer. Kalter Boden, kahle Wände, Holzbalken hoch oben an der Decke, die ich damals noch nicht erreichen konnte, mittlerweile konnte ich auf Zehenspitzen, mit den Fingern dort ankommen.
 

Sehr selten bekam ich über den Aufzug, inden ich natürlich nicht mehr passte, unterschiedliche Dinge, wie eine Luftmatratze, Wolldecken, einmal am Tag etwas zu essen und andere kleine Dinge. Ich habe die Personen, die mich hier einsperrten nie wieder gesehen, sie reden auch nicht mit mir, sie existieren quasi nicht. Ich habe geschrien, gegen die Wände geprügelt, nichts. Nie hat jemand geantwortet, nie habe ich was gehört.

Das beste, was ich bekommen habe sind ein Allgemein-Lexikon und ein altes Geschichtsbuch. Ich habe die beiden Bücher sooft gelesen, ich weiß genau auf welcher Seite, was steht. Ich habe nach neuen Büchern gebettelt, ich wollte irgendwas haben zur Beschäftigung, aber ich habe nie mehr bekommen.

Zur Pflege habe ich als einziges eine Bürste. Als Toilettenersatz dient mir ein Eimer, der einmal am Tag ausgetauscht wird. Es ist mehr als widerlich, aber nach 10 Jahren ist es das kleinste Übel, was mich beschäftigt.
 

Ich habe mich jetzt eh entschlossen. Entschlossen, alles hinter mir zu lassen. Endlich weiß ich, wie ich es hoffentlich endgültig schaffe.

Ich habe schon so viel probiert. Ich habe versucht mir so viele Schmerzen zuzufügen, dass ich daran sterbe. Aber das hat nicht funktioniert. Ich habe mich selbst geschlagen, immer wieder. Aber ich habe es immer überlebt. Ich habe versucht mir mit der Bürste meinen Körper aufzukratzen, um vielleicht zu verbluten. Aber ich habe nicht genug Kraft und Ausdauer, dass ich nie mehr als ein paar Kratzer davon trage, die niemals lebensgefährlich wären.

Ich wollte mir die Augen auspieksen, aber es tat so weh und ich befürchtete, dass ich auch das überleben würde und dann niemehr lesen könnte. Das wäre noch schlimmer, als hier zu leben und das Elend sehen zu können.

Das Lesen war das Interessanteste und Spannendste überhaupt für mich!
 

Das alles war jetzt aber egal! Seit ein paar Tagen komme ich nämlich auf Zehenspitzen an die Holzbalken an der Decke an. Das bietet mir so viel neue Möglichkeiten, ich habe schon versucht auf die Balken zu klettern um kopfüber runter zu springen, aber ich habe es noch nicht geschafft.

Dann kam mir eine viel bessere Idee. Ich plante sie ganz genau und überlegte mir aus welchem Grad es am besten passte. Ich war so aufgeregt und freute mich auf diesen Tag, wie auf eine Rückkehr zu meiner Familie. Da fiel mir ein, dass ich bald Geburtstag habe. Und ich wollte den Jahrestag abwarten. Den 10. Jahrestag. Dann war mein Tod nicht noch unbedeutender, als er es ohnehin war. Dann hatte er eine Bedeutung für mich. Er verband mich indirekt mit meiner Familie. Es war mein 15. Geburtstag. Ich war doppelt so lange hier, wie ich bei meiner Familie gelebt hatte. Der Gedanke schmerzte mich sehr.

Aber ich hatte nur noch weniger als 24 Stunden zu warten.
 

Ich wusste, dass ich immer dann, wenn das Licht am grellsten in den Raum durch das kleine Fenster schien, das Essen bekam.

Und immer zu meinem Geburtstag bekam ich um 24 Uhr, genau um Mitternacht, eine Kleinigkeit über den Aufzug.

Das wäre mein Zeichen. Dann ist der 10. Jahrestag erreicht. Der Tag, auf den ich warte. Der Tag, andem endlich alles ein Ende nahm. Der letzte Tag.
 

Der Aufzug quietschte grausam. Als er oben ankam, nahm ich die Serviette auf der immer eine kleine Mahlzeit lag aus dem Aufzug. Ich schüttete alles in den Klo-Eimer und legte die Serviette in den Aufzug zurück, um die gräßlichen Wesen in dem Glauben zu lassen, ich hätte es mit Freude gegessen.

Ich aß schon seit vielen Wochen nichts mehr. Ich hatte in dem Lexikon gelesen, dass Ernährung dafür steht, dem Menschenkörper alle Nährwerte und Vitamine zuzuführen, die er zum Leben braucht. Ich dachte, wenn ich die Ernährung auslasse, hat der Körper vielleicht bald keine Energie mehr und stirbt. Es war so schmerzhaft und ich litt jeden Tag unter starken Krämpfen. Es ging mir nicht schnell genug. Ich lebte schließlich immer noch! Ich wollte den Moment selbst bestimmen, und nicht abwarten bis mein Körper entschied zu sterben.
 

Ich las meine beiden Bücher noch zweimal durch. Die Sonne war verschwunden und der Raum war dunkel. Ich wusste, wo alles war. Es gab ja nicht viel.
 

Ich flechtete meine Haare zusammen. Ich hatte indem Geschichtsbuch eine Frau gesehen, die ihre Haare geflochten hatte und fand das damals so schön, dass ich alles ausprobiert hatte, um die Frisur genau so hinzubekommen wie sie. Ich liebte meine Haare damals. Sie waren so schön lang und ich brauchte so lange um sie zu kämmen oder eine Frisur zu formen, dass viel Zeit durch sie verstrich. Das war natürlich gut. Mittlerweile hasste ich meine Haare. Ich hasste alles an mir, weil ich das bin, was ich auf Grund dieser ekelhaften Wesen, die mich hier einsperrten, geworden bin. Sie hatten mich quasi zudem gemacht, was ich jetzt bin. Der Gedanke war ekelhaft. Meine Familie würde mich sicher niemals wieder erkennen. Ich sah fremd und unheimlich aus. Dreckig, schmutzig, unhygienisch, abgemagert. Das würde ich meinen Eltern nicht antun.
 

Der Aufzug quietschte. Endlich!

Ich wickelte eine Strähne zum fixieren des geflochtenen Zopfes ums Ende.

Ich kroch zum Aufzug und nahm den Gegenstand heraus, der Aufzug wurde wieder runter gezogen.

Es war ein Bleistift. Ein Stift. Sie dachten also ich hätte mit 15 durchaus interesse am Schreiben lernen. Tja, da habt ihr euch geirrt. Ich warf den Stift und alle Kleinigkeiten, die in dem Raum rumlagen außer den Büchern in den Klo-Eimer, es waren nur wenige Dinge.

Dann kippte ich den Eimerinhalt in das kleine Loch, wo der Aufzug rauf und runter gezogen wurde. Die würden sich freuen! Ein schöner Geruch.

Ich lächelte.
 

Ich stellte den Eimer kopfüber auf den Boden und positionierte die beiden Bücher oben drauf. Ich stellte mich vorsichtig auf die Bücher. Es wackelte kaum, ich hatte guten Halt.

Meine Haare waren schwer, ich zog sie hoch zu mir und warf sie mit einem Schwung über den Holzbalken, das wiederholte ich mehrmals, es sollte schön fest sein.
 

Die restlichen Male wickelte ich den Zopf um meinen Hals und drehte mich so lange bis es drückte und keine Haare mehr zwischen Balken und meinem Kopf rumhangen.

Ich atmete noch einmal tief durch. Ich hatte keine Angst. Das war gut. Ich wusste, dass jetzt alles besser werden würde.

Ich würde vielleicht irgendwann im Himmel meine Familie sehen. Oder ich falle in einen wunderschönen Schlaf und träume von meinen Eltern und der Liebe, die ich von ihnen bekam.

Ich war so glücklich, dass mir einige Tränen übers Gesicht liefen. Jetzt war es soweit.

Ich war 15. Ich war genau seit 10 Jahren hier eingesperrt. Das war der letzte Tag.

Ich umklammerte den Holzbalken mit meinen Armen und kickte mit dem Fuß gegen den Eimer, dieser fiel um und rollte zur Seite.

Es wird alles besser, es wird alles besser, es wird alles besser. Die Worte beruhigten mich, ich dachte an meine Mutter und an meinen Vater, die Tränen wurden weniger und ein Lächeln bildete sich in meinem Gesicht.

Ich wollte nicht mehr warten. Ich wollte nie mehr warten.

Dann ließ ich den Balken los.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück