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Candle on the Water

von

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Primrose

Der morgendliche Himmel verfärbte sich langsam. Das tiefe Blau der Nacht wich und der Mond verblasste, während im Osten das Licht der Sonne bereits golden über die Berge spähte. Heute würde es wohl wieder sehr warm werden. Primrose nahm ihren Korb und verließ die kleine Ponysiedlung, in welcher sie lebte. Solange es noch kühler war wollte sie ein paar Beeren sammeln gehen. Sie wusste, wo die Büsche mit den süßesten Beeren wuchsen und wollte eine Abkürzung durch das nahe Wäldchen nehmen.

Sie summte ein Lied vor sich hin, so gut es mit einem Korb im Mund eben ging. Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie sich manches Mal gewünscht, auch als Einhorn geboren zu sein wie viele ihrer Freundinnen. Das Leben erschien so viel einfacher, wenn man Dinge einfach schweben lassen konnte. Einige Einhörner, die sie kannte, beherrschten die Levitation so gut, dass sie unzählige Dinge gleichzeitig tun konnten, so als hätten sie mehr Arme als ein Tintenfisch.

Doch mit den Jahren hatte sie zu schätzen gelernt, welche Talente die Erdponys besaßen und sie freute sich insgeheim, wenn ihre Einhornnachbarn ihren Blumengarten neidvoll bewunderten oder von ihrer Beerenmarmelade schwärmten als sei sie die Krönung der Kochkunst. Einhornmagie war eben doch nicht alles...

In lockerem Trapp folgte Primrose dem Waldweg, als ein seltam metallisches Geräusch erklang. Sie hielt an und hob den Huf um zu sehen, worauf sie getreten war. Es war wirklich ein Stück helles Metall, allerdings eines, wie sie es noch nie gesehen hatte. Es war ein sehr dünn und mit einer feinen Gravur verziert. Allerdings schien es nur ein Bruchstück zu sein und so konnte sie nicht erkennen, was es darstellen sollte.

Das hatte sicher keines der Dorfponys hier verloren. Langsam ging sie weiter und ließ den Blick schweifen. Vielleicht entdeckte sie noch ein weiteres Teil. Unweit der Fundstelle teilte sich der Weg auf. Links herunter ging es zum Waldrand und zu den Beerenbüschen, wohin der rechte Weg führte wusste sie gar nicht genau, wie sie sich eingestehen musste. Sie war nie sehr erkundungsfreudig gewesen und wusste nur von einer Karte her, dass man in dieser Richtung zu einer anderen, älteren Ponysiedlung gelangte, in welcher heute aber niemand mehr lebte.

Am Rand des Weges sah sie etwas liegen und trat langsam näher. Es war kein weiteres Stück des Metalls, doch nicht weniger fehl am Platz hier im Wald: Ein Splitter weiß lackierten Holzes; und als Primrose sich weiter umsah, entdeckte sie noch weitere. Die Spur führte vom Weg fort einen steilen Hang hinunter.

Primrose zögerte. Eigentlich hatte sie Besseres zu tun, als einer Spur aus Müll zu folgen. Doch sie hatte das Gefühl, dass diese ganzen Bruchstücke nichts Gutes bedeuteten. Vielleicht stammten sie von einem Karren oder etwas ähnlichem und dort unten lag ein Reisender, der Hilfe brauchte.

Sie stellte ihren Korb ab und begann vorsichtig den Abstieg. Der Hang war wirklich steil und sie musste sehr aufpassen, nicht einfach vornüber zu fallen oder den ganzen Weg herunterzurutschen. Langsam schob sie sich vorwärts und ärgerte sich über sich selbst. Wenn der Abstieg schon so schwierig war, wie groß waren dann überhaupt die Chancen, später wieder hinauf zu kommen? Sie konnte nur hoffen, dass um den Hügel herumgehen konnte und so wieder zurück ins Dorf gelangen konnte.

Doch je weiter sie ging, desto mehr Spuren fand sie auch. Weitere Holzsplitter und auch einige Teile des gravierten Metalls lagen verstreut herum oder steckten im Boden. Hier musste wirklich etwas passiert sein... "Hallo?", rief sie, "Ist dort jemand? Brauchen Sie vielleicht Hilfe?" Primrose war stehen geblieben und horchte, ob jemand antwortete, doch sie konnte nur die gewöhnlichen Geräusche des Waldes hören. Sie war sich nicht sicher, ob dies nun gut oder schlecht war.

Langsam stieg sie weiter hinab, doch mit einem Mal kam die Erde unter ihren Hufen ins Rutschen. Das Pony konnte sich nicht halten und rutschte ein gutes Stück nach unten. Primrose konnte sich nur auf ihre Hinterbeine lehnen, um nicht zu fallen.

Bäuchlings landete sie in einer Senke, das blassgrüne Fell nun staubig grau und ihr roter Schweif voller Blätter und Zweige. Daran würde sie später schön zu bürsten haben... Sie hasste ihre Locken. Glattes Langhaar war so viel pflegeleichter. Doch dies war wirklich nicht der Moment, um sich über Haarpflege Gedanken zu machen.

Primrose stand auf und schüttelte sich kurz, was aber auch nicht wirklich half. Sie ließ den Blick schweifen, sah im ersten Augenblick aber nur einige Büsche und hohe Bäume. Dies sah nicht nach einem Bereich des Waldes aus, in welchem sich die Forstponys oft aufzuhalten schienen.

Doch bei einem der Büsche entdeckte sie noch mehr Teile des lackierten Holzes, ziemlich große Teile sogar. Rasch trat sie näher und warf einen Blick auf die andere Seite. Hinter den Büschen ging es noch weiter herunter, jedoch weniger steil als bisher. Zwischen den Bäumen und Büschen verteilt lagen hier die Trümmer einer weißen Kutsche. Das konnte sie aber auch nur deshalb sagen, weil ein zerbrochenes Rad etwas abseits auf dem Boden lag.

Primrose fragte sich, weshalb sie keine Spuren der Kutsche selbst gesehen hatte. In ihrer Sorge hatte sie gar nicht darauf geachtet, aber nun fiel ihr das Fehlen der Radspuren im Boden auf. Auch hätte die Kutsche doch die Büsche völlig niedermähen müssen, als sie den Hang hinterunter gefahren war. Doch viel wichtiger war jetzt, wo denn die Insassen der Kutsche waren. Sie konnte niemanden sehen.

"Hallo?", rief sie erneut und drängte sich zwischen zwei Büschen hindurch auf die Kutsche zu, "Hallo? Wenn hier jemand ist, dann antworten Sie bitte! Hallo?" Doch Primrose hörte nur das Echo ihrer eigenen Stimme. Vielleicht hatten die Ponys sich ja selbst retten können und waren weiter gezogen ohne die Kutsche. Aber sie wollte nicht einfach gehen, ohne sich dessen sicher zu sein. Sollte später ein verletztes Pony gefunden werden, dem sie nicht geholfen hatte nur aus Bequemlichkeit, würde sie sich das nicht verzeihen können.

Primrose näherte sich den Trümmern und ließ aufmerksam den Blick darüber schweifen. Das Gefährt war wirklich vollkommen zerstört worden. Vorsichtig schob sie einige Holzstücke bei Seite, aber sie fand keine Hinweise auf die Insassen der Kutsche; und glücklicherweise auch ein Blut, was sie aufatmen ließ.

Das Pony umrundete die Kutsche einmal und fand auch, wonach sie gesucht hatte: Hufspuren. Es waren eindeutig Ponyhufe, aber Abstand und Anordnung der Abdrücke verrieten ihr, dass das Pony aus dem Stand davongaloppiert sein musste. Wieder beschlich Primrose ein ungutes Gefühl. Eilig folgte sie den Spuren tiefer in den Wald hinein. Dabei rief sie immer wieder nach dem Pony und bot ihre Hilfe an. Aber auch dieses Mal antwortete ihr niemand. Das frustrierte sie langsam, doch es nährte auch ihre Befürchtungen. Der Gedanke daran, vielleicht ein Pony zu finden, welches... nun ja, ihr nicht mehr antworten konnte, ließ ihr das Rückenfell zu Berge stehen.

Den Blick auf die Hufspuren gerichtet lief sie immer weiter. Doch plötzlich endete die Spur einfach. Primrose blieb stehen und lief ein Stück zurück. Hatte sie sich vertan? Hatte das Pony einen Haken geschlagen? Doch sie fand keine weiteren Hufabdrücke und auch keine Hinweise darauf, dass das Pony gesprungen wäre - doch selbst dann hätte sie ja an anderer Stelle Spuren finden müssen.

Ratlos stand sie da und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Was sollte sie nun vor allem tun? Ein Pony löste sich nicht einfach in Luft auf - gut, ein Pegasuspony konnte abheben, aber weshalb hätte es dann erst so weit rennen sollen und nicht gleich losfliegen?

Frustriert von ihrer Ratlosigkeit setzte sich Primrose auf den Boden und dachte nach. Eine Kutsche, die scheinbar vom Himmel gefallen war - klar, wo gab es denn sowas? - und ein Pony, welches einfach verschwand - noch unwahrscheinlicher. Während sie so dasaß und überlegte, ob sie zum Dorf zurückgehen sollte, um sich dort einen Rat zu holen, möglicherweise einen Suchtrupp zu organisieren, fiel ihr Blick auf etwas, das ihr zuvor nicht aufgefallen war.

In den Zweigen des Busches direkt neben ihr, hing ein Büschel Haare. Das Langhaar eines Ponys, silbrigblau und glänzend. Das Pony musste auf seiner Flucht dort hängen geblieben sein. Nun hatte sie zumindest die Gewissheit, dass hier wirklich ein Pony vorbeigelaufen war und sie sich nicht etwas zusammenspann.

Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Durch die Stille des Waldes hindurch drang ein Geräusch. Es klang beinah wie eine gedämpfte Stimme. Sofort war Primrose auf den Beinen. "Hallo?!", rief sie erneut und ihre Ohren bewegten sich lauschend nach links und rechts.

Wieder hörte sie das Geräusch, es kam von links, aus dem Unterholz. Eilig ging sie darauf zu und spähte in die Büsche, schob Zweige bei Seite und bog den Busch direkt vor ihr beinah bis zum Boden. Widererwarten fand sie nicht das Pony mit der silberblauen Mähne, dafür etwas Anderes.

In dem Gebüsch, weit unter die Pflanzen geschoben, lag ein dunkles Bündel. Es war gut versteckt worden, beinah hätte sie es nicht gesehen. Primrose ging um das Gebüsch herum und zog das Bündel vorsichtig zu sich heran. Es war erstaunlich schwer und schien sich zu bewegen - oder?

Das Bündel bestand aus einem sehr fein und dicht gewebten dunkelgrünen Stoff, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Er war weich wie Kaninchenfell und erinnerte sie an Moos. In solche Stoffe kleidete man sich sicher in Canterlot. Die märchenhafte Stadt im Herzen von Equestria, in der alle Stuten edel wie Prinzessinen und alle Hengste Ritter waren. So stellte Primrose sich es zumindest vor. Für die Ponys am Rande von Equestria, wie sie eines war, war Canterlot ein Märchenland.

Primrose öffnete das kleine Bündel und erschrak als sie darin wirklich etwas Lebendiges fand. Zwei Einhornfohlen, noch ganz klein, wohl erst wenige Monate alt. Sie schliefen friedlich und kuschelten sich an einander. Eines hatte ein weißes Fell und eine Mähne so dunkelblau wie der Nachthimmel, das andere Fohlen war von einem zarten Goldgelb und hatte eine Mähne ebenso rot wie die von Primrose. Die beiden Kleinen gehörten wohl zu der Kutsche. Aber warum hatte man sie hier im Wald zurückgelassen?

Primrose fühlte sich auf einmal sehr beobachtet. Sie hörte nichts und konnte auch niemanden sehen, doch sie hatte das Gefühl, jemand sei da. Sehr nah... unangenehm nah. Beinah rechnete sie damit, dass sich etwas auf sie stürzte und ihr seine Zähne in den Hals schlug. Sie schauderte und versuchte diese Gedanken zu vertreiben.

Eilig wickelte sie die beiden Fohlen wieder in das grüne Tuch, nahm es hoch und trug sie vorsichtig aus dem Gebüsch. Zuerst musste sie die beiden Kleinen in Sicherheit bringen, dann würde sie sich darum kümmern, ihre Eltern zu finden. Wohin auch immer das Pony mit der blauen Mähne verschwunden war.
 

~ Ende Kapitel 1 ~
 

Funkelnder Bernstein

Den ganzen Weg zurück zum Dorf konnte sie das Gefühl beobachtet zu werden nicht abschütteln.

Primrose konnte es nicht einmal an irgendetwas festmachen. Es gab keine Geräusche oder Bewegungen im Schatten. Sie blickte sogar immer wieder zum Himmel hinauf und konnte nichts entdecken.

Es war ein seltsames Gefühl, so als liefe sie nicht auf festem, vertrautem Erdboden, sondern über den Rücken eines Tieres. Eine großen, gefährlichen Tieres, welches ein falscher Schritt ihrerseits aus dem Schlaf hochfahren lassen konnte, sodass es sie verschlang. Primrose redete sich selbst ein, dass es albern war, so etwas zu denken und sie schalt sich einen Feigling. Kaum hatte sie die ihr bekannten Waldwege verlassen, sah sie Gespenster!

Sie atmete erleichtert auf, als sie den Hauptweg wiederfand, welcher direkt ins Dorf führte. Doch sie traute sich nicht, sich umzudrehen. Dabei fürchtete sie seltsamerweise mehr das, was sie dann nicht sehen würde, als das, was sie sehen könnte. Eilig machte sie sich auf den Weg nach Hause.

Ihr Weg führte sie sofort zu einem der wenigen Einhornponys, welches in ihrem Dorf lebte und für sein Talent als Heiler bekannt war. Fennel kannte sich mit Heilkräutern aller Art aus und schaffte es durch seine Magie irgendwie - sie hatte nie ganz verstanden, wie - den Kranken oder Verletzten ihre Schmerzen zu nehmen. Primrose wollte, dass er sich die beiden Fohlen ansah, ob es ihnen auch wirklich gut ging.

Sie klopfte an seine Tür und die Tür öffnete sich wie von selbst - natürlich durch seine Magie. "Guten Morgen", begrüßte der Einhornhengst Primrose noch bevor er sie gesehen hatte. Das Erdpony trat ein und legte vorsichtig ihr Bündel auf der gepolsterten Bank ab, welche den Wartebereich darstellte. "Guten Morgen, Fennel", grüßte sie zurück, "Das hier musst du dir ansehen! Ich habe im Wald zwei Fohlen gefunden, ganz allein. Kannst du nach ihnen sehen?"

Sogleich war Fennel an ihrer Seite. Der Hengst überragte sie um Einiges. Er musterte sie kurz und Primrose erinnerte sich daran, wie sie aussehen musste, schmutzig und zerzaust. Doch sie war nicht hergekommen, um ihn zu beeindrucken. "Gefunden?", hakte Fennel nach, "Ganz allein? Na, dann bring sie mal hinüber ins Behandlungszimmer, ich schaue mir die Beiden gern an."

Der Aufforderung kam Primrose sogleich nach und brachte das grüne Bündel in das Behandlungszimmer, wo sie es auf der Liege ablegte. Fennel öffnete es mit seiner Magie und musterte die beiden Einhornfohlen eingehend. Zuerst nahm er das Weiße hoch und untersuchte es. Das Babypony öffnete die Augen und sah sich um. Primrose befürchtete, es würde sich fürchten in der fremden Umgebung und in Gesellschaft fremder Ponys, doch es sah sie nur still an.

"Dem Kleinen geht es gut", meinte Fennel schließlich, "Ein gesundes, kleines Einhorn." Vorsichtig legte er den kleinen Hengst wieder ab und wandte sich dem anderen Fohlen zu. Als er es hochnahm, begann das Kleine zu strampeln und - spreizte zum Erstaunen aller zwei kleine Flügel. Primrose machte einen Hopser rückwärts. "Aber...!"

Auch Fennel hatte erstaunt inne gehalten und betrachtete das kleine Fohlen. "Aber..." Primrose schüttelte ungläubig den Kopf. "Es ist doch ein Einhorn! Wie kann denn ein Einhorn Flügel haben wie ein Pegasus?" Fennel hatte sich von dem ersten Schrecken erholt und begann nun, auch das zweite Ponyfohlen zu untersuchen. "Solch ein Pony nennt man Alicorn - das solltest du eigentlich wissen. Unsere Prinzessin ist schließlich eines." "Ja, ja", gab Primrose zurück und ärgerte sich, weil er sie für so ungebildet hielt, "Aber sie ist eine Prinzessin - mehr noch - sie ist beinah eine Göttin! Unsterblich und ewig... Celestia ist... Sie ist kein gewöhnliches Pony wie wir."

"Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir hier ein kleines Alicorn haben", erwiderte Fennel ruhig, "Ein Mädchen, um genau zu sein." "Aber wo kommt es her? Wie kann noch ein Alicorn existieren neben Celestia?" Sie hatte sich bisher nie Gedanken darum gemacht, woher Celestia selbst eigentlich gekommen war. Sie herrschte über dieses Land seit Jahrhunderten und die Zeit davor war den Ponys nur noch vage in Erinnerung. Es gab Legenden, Geschichten und sogar ein paar sehr fantastische Märchen, aber Primrose konnte sich nicht erinnern, dass auch nur eine dieser Quellen den Ursprung von Celestia preisgab.

Hätte Fennel ihr gesagt, sie habe eine Fee gefunden, hätte sie dies noch eher glauben können, als ein kleines Alicorn. Primrose musste sich erst mal setzen. Das war alles ein wenig viel für einen Tag. So aufregend ging es in ihrem Leben normalerweise nicht zu...

Fennel atmete tief durch. "Ich schlage vor, ich stelle ein paar Nachforschungen an und du kümmerst dich in der Zwischenzeit um die Kleinen", sagte er, "Sie sind offensichtlich gesund und brauchen vorerst wohl nur gewöhnliche Babybetreuung." Primrose nickte langsam. Fennel sah das alles so sachlich und war so gefasst. Das war vermutlich auch die richtige Einstellung. "Sag mir bitte sofort Bescheid, wenn du etwas herausgefunden hast, ja?", bat sie ihn. Der Einhornhengst nickte. "Natürlich. Doch dass die Kleine ein Alicorn ist, solltest du vielleicht nicht gleich überall rumerzählen... Nur vorsichtshalber. Und nun erzähl mir mal genauer, wo du diese Fohlen gefunden hast."

Primrose erzählte ihm die ganze Geschichte: Das Metallstück, die Holzsplitter, die Kutsche und das Bündel im Gebüsch. Nach kurzem Zögern erzählte sie ihm auch von dem Gefühl, beobachtet zu werden. Sie wusste nicht, ob sie sich das nur eingebildet hatte oder ob es eine Form von Magie gewesen war, doch sie wollte es ihm nicht verschweigen, falls es doch irgendwie wichtig war.

Fennel hörte ihr schweigend zu und nickte hin und wieder verstehend. Als sie geendet hatte, kommentierte er ihr Erlebnis in keinster Weise. Stattdessen reichte er Primrose ein Buch über Fohlenbetreuung. "Falls du noch Fragen hast, kannst du jederzeit wieder vorbei kommen", meinte er nur, "Ich werde Amber sagen, dass sie für dich ein paar Fohlensachen heraussuchen soll. Sie hat beinah alles von unseren Kleinen aufgehoben."

Amber war Fennels Frau. Die goldgelbe Einhorndame mit der rotbraunen Mähne war mit Leib und Seele Mutter. Ihre drei Kinder waren ihr ganzer Lebensinhalt. Deshalb kannte Primrose sie auch nicht besonders gut. Sie hatten nicht besonders viel gemeinsam und wenn Amber von ihren Kindern erzählte, konnte Primrose nur nicken und lächeln. Aber Fennels Angebot wollte sie gern annehmen. "Danke", erwiderte sie leise.
 

Es hatte keine zwei Stunden gedauert bis Amber vor ihrer Tür stand, im Gepäck eine ganze Wagenladung an Babyausstattung. Primrose, die keine jüngeren Geschwister hatte, hatte gar nicht gewusst, was man für ein Fohlen - glaubte man Amber - alles dringend benötigte. Sie war Amber auch nur schwerlich wieder los geworden, hatte sie regelrecht rauswerfen müssen, um die Flut an Ratschlägen und Erklärungen zu stoppen.

Nicht, dass sie nicht dankbar gewesen wäre, doch es war einfach alles etwas zu viel auf einmal für Primrose.

Nun saß sie im Wohnzimmer auf dem Boden und vor ihr auf einer Krabbeldecke saßen die beiden Kleinen. Nachdem sie gewickelt und gefüttert worden waren, waren sie auch schon munterer als zuvor. Der kleine Hengst sah sich ruhig um und schien alles um ihn herum ganz genau zu studieren, während seine... Schwester - Primrose nahm einfach mal an, dass sie Geschwister waren - Gefallen an einem Ball gefunden hatte. Sie lehnte sich auf das Spielzeug und wippte von einer Seite zur anderen.

Primrose beobachtete das Spiel. Es fiel ihr immer noch schwer den Begriff des Alicorn - ein beinah mystisches Wesen - mit einem Babypony in Verbindung zu bringen. Das erschien ihr viel zu gewöhnlich. Ein Alicorn wurde in ihrer Vorstellung nicht wie ein normales Pony geboren und wuchs auf. Doch nun hatte sie ein Alicornfohlen vor sich und es benahm sich völlig normal wie jedes andere Ponyfohlen wohl auch.

Primrose seufzte. "Also... Wir werden wohl eine Weile mit einander auskommen müssen", begann sie zu sprechen. Die Kleinen verstanden sie sicherlich noch überhaupt nicht, doch so hatte sie zumindest das Gefühl, auch etwas zu tun. Fennel versuchte herauszubekommen, woher sie kamen und Amber hatte ihnen all diese tollen Sachen geborgt. Primrose wollte etwas mehr tun, als nur die Aufpasserin zu spielen.

Ihr fiel ein, dass sie überhaupt nicht wusste, wie die beiden Kleinen hießen. Doch sie konnte sie ja schlecht nur 'Die Kleinen' nennen. Ponys brauchten Namen. Sie musterte die beiden Fohlen eingehend. Sie wirkten sehr königlich, dachte sie und zumindest das Mädchen war ein Alicorn und damit war sie irgendwie königlich. Sie sollte ihnen also entsprechende Namen geben.

Nachdenklich schnaufte sie. Wie nannte man ein Pony von vornehmer Herkunft? Sie kannte sich mit solchen Dingen wirklich nicht aus. In ihrem Dorf benannte man Fohlen gern nach Blumen oder anderen Dingen aus der Natur. Aber das schien ihr viel zu simpel. Sie konnte die Beiden nicht einfach Tulip und Daisy nennen oder so. Doch wie...? Dann kam ihr eine Idee.
 

Primrose bettete ihre zwei Pflegekinder sorgsam in der Wiege, welche Amber ihr geborgt hatte und deckte sie zu. Eine Weile betrachtete sie die Fohlen einfach. Sie hoffte sehr, dass Fennel ihre Eltern rasch ausfindig machte und sie zu diesen zurück konnten. Es war ja nicht so, dass sie die Kleinen nicht niedlich gefunden hätte, aber sie war nun mal nicht ihre Mutter und Primrose fühlte sich auch zu jung und nicht reif genug, um eine zu sein.

Eigentlich wäre sie ja schon alt genug, wenn man es genau betrachtete, doch sie hatte sich selbst nie als mütterlichen Typ gesehen oder daran gedacht, sich einen Gefährten zu nehmen und eine Familie zu gründen. Zumindest nicht bisher. Aber sie wollte scih diesen Gedanken gar nicht weiter hingeben. Sie würde die Fohlen bald schon wieder abgeben - müssen - und dann es würde sie nur traurig machen, wenn sie sich nun ein Leben mit ihnen ausmalte.

Sie wandte sich von den schlafenden Fohlen ab und stieg in ihr Bett. Primrose zog das Buch heran, welches Fennel ihr geliehen hatte. Sie wollte noch ein wenig darin lesen, richtig lesen und nicht nur die Seiten überfliegen wie bisher. Über der Lektüre schlief sie schließlich ein.
 

Etwas weckte sie auf. Primrose hätte nicht sagen können, was es gewesen war, doch sie schreckte aus dem Schlaf hoch wie durch einen lauten Knall. Hastig sah sie sich um und lauschte in die Dunkelheit des Schlafzimmers. Die Kerze auf ihrem Nachttisch war in ihrem eigenen Wachs ertrunken und im spärlichen Mondlicht, welches durch die Vorhänge schien, konnte sie nicht viel erkennen.

Es war auch nichts zu hören und doch hatte sie das Gefühl, als müsste sie etwas hören können. Das fehlende Geräusch machte sie unruhig und Primrose stand leise auf. Sie hatte ein sehr ähnliches Gefühl wie heute Morgen im Wald, so als sei etwas nah bei ihr, das doch nicht da war. Einer Ahnung folgend trat sie an die Wiege heran und sah nach den Fohlen.

Diese schliefen friedlich und schienen nichts bemerkt zu haben. Primrose schüttelte den Kopf. Sie bildete sich wohl wirklich nur etwas ein. Vermutlich hatte sie nur etwas Dummes geträumt und war deshalb aufgewacht. Leise trat sie von der Wiege zurück und ging in die Küche, um noch etwas zu trinken, bevor sie sich wieder hinlegte.

Sie nahm ein Glas aus dem Schrank und zog einen Krug mit Wasser. Da der Mond durch das Fenster schien und sie in der Küche keine Vorhänge zuzog abends, machte sie sich nicht die Mühe, eine Kerze anzuzünden.

Primrose warf einen Blick in den nächtlichen Garten. Alles wirkte friedlich und ruhig, so als schliefen nicht nur die Ponys in ihren Häusern. Noch während sie dies dachte, fiel ihr Blick auf das Nachbarhaus und dort auf etwas, das sie stutzen ließ. Die Tür stand weit offen. Im Haus brannte kein Licht, was sie noch merkwürdiger fand.

Sie schob den Krug und das Glas nach hinten und trat leise durch die Hintertür in den Garten. Auf der Straße konnte sie kein Pony sehen, doch wieder überkam sie das unbestimmte Gefühl von Gefahr. Diese nahm mit jedem Schritt, den sie auf das Gartentor zu machte, sogar noch zu. Primrose wünschte sich, sie wäre mit einem dunkleren Fell zur Welt gekommen. Im Mondlicht musste sie leuchten wie eine Laterne.

Eine Bewegung ließ Primrose inne halten. Eindeutig hatte sie etwas über die Straße huschen sehen, doch sie hatte nichts gehört. Angestrengt lauschte sie, ließ ihre Ohren hin und her pendeln, doch sie konnte nichts ausmachen. Mit langsamen Schritten trat sie an das Gartentor heran, duckte sich dahinter und warf einen vorsichtigen Blick auf die andere Seite.

Nun bemerkte Primrose, dass nicht nur bei ihren direkten Nachbarn die Tür weit offen stand, sondern auch an anderen Häusern. Nun bekam sie es wirklich mit der Angst zu tun. Irgendetwas ging hier vor, eindeutig. Doch was? Und wieso schien sie das einzige Pony im Ort zu sein, das etwas bemerkte? Wieder bewegte sich etwas unweit von ihr. Primrose hielt den Atem an und duckte sich noch ein wenig tiefer hinter das Gartentor.

Etwas trat aus dem Schatten zwischen zwei Häusern. Es war kein Pony, eindeutig kein Pony. Noch nie hatte Primrose solch eine Kreatur gesehen. Ihre Gestalt war lang und schlank und sie schien auf ihren Hinterbeinen zu laufen. Doch genau genommen lief sie nicht und im zweiten Moment war sie sich nicht mal sicher, ob es denn Hinterbeine hatte.

Die Gestalt war schemenhaft und erschien Primrose halb durchscheinend zu sein. Was sie aber deutlich erkennen konnte, waren die Vorderläufe. Es hatte keine Hufe wie Ponys, sondern seltsame Tatzen, beinah wie die Füße von Vögeln, aber doch anders. Die Kreatur glitt einfach vorbei wie eine Wolke und verschwand wieder.

Primrose zitterte. Ihr Herz schlug laut und sowohl ihr Instinkt, als auch ihr Verstand sagten ihr, sie solle rennen und sich bloß nicht umschauen. Aber sie konnte nicht einfach blind fliehen vor diesen Kreaturen und dem, was auch immer sie hier taten. Sie konnte die Kinder nicht einfach zurücklassen!

Sie ging langsam rückwärts auf die Hintertür zu und sah sich aufmerksam nach der Kreatur um. Primrose wusste nicht, was sie war oder woher sie kam, noch was sie in diesem abgelegenen kleinen Dorf wollen könnte. Doch sie ahnte, dass es nichts Gutes war und dass kein Pony sich ihr in den Weg stellen sollte.

Ihre Knie zitterten als sie über die Schwelle trat und sie traute sich immer noch nicht, sich umzudrehen und damit der Tür den Rücken zu kehren. Sie durchquerte die Küche rückwärts und erst dann drehte sie sich um und lief zurück ins Schlafzimmer.

Primrose lief zu ihrem Kleiderschrank und wühlte aus ihren Wintersachen einen dunklen Umhang heraus, ebenso eine Satteltasche, in welche sie eilig einige der Babysachen hineinstopfte. Unter Ambers Sachen fand sie auch ein Tragetuch. Dies kam ihr jetzt sehr gelegen, auch wenn es schwierig werden dürfte, beide Fohlen zugleich hineinzupacken und an sich selbst festzuschnüren.

Sie nahm gerade das Mädchen aus der Wiege, als sie Schritte im Flur hörte. Primrose fuhr zusammen und wandte langsam den Kopf. Dann kam ihr der Gedanke, dass die Kreatur, welche sie gesehen hatte, kein Geräusch gemacht hatte beim Gehen. Es konnte also nicht das schattenhafte Wesen sein.

Primrose atmete auf, als sich ein Einhornkopf durch die Tür schob. Es war Amber, die sich besorgt umsah. "Prim, ein Glück!", sagte sie leise und kam zu ihr hinüber, "Als ich die Tür offen sah, habe ich schon das Schlimmste befürchtet!" Primrose legte das Fohlen ab. "Amber, was geschieht hier? Hast du dieses Wesen gesehen? Was ist das?"

Die Einhornstute schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht, doch sie sind gefährlich. Sie beherrschen eine Magie, die... So etwas habe ich noch nicht gesehen! Wir müssen verschwinden!" Ihr Horn glühte auf und das Tragetuch schlang sich um Primrose's Körper und die er kleinen Fohlen. Sie spürte die Kinder gegen ihren Körper gepresst. Ein merkwürdiges Gefühl. Eilig warf sie sich den dunklen Umhang über, um die Kinder und ihr eigenes helles Fell zu verbergen.

"Was tun diese Kreaturen denn?", fragte sie und folgte Amber in den Flur. Diese sah Primrose sorgenvoll an. "Sie... haben etwas getan... mit den Ponys, deren Häuser sie schon durchsucht haben. Sie sind verschwunden. Einfach fort." "Fort?", hakte Primrose nach und sie musste an die Spuren im Wald denken, die ins Nichts führten. Einfach fort...

Amber nickte. "Ich habe es gesehen. Pansy Blue... Das Wesen hat sie berührt und es wurde... irgendwie dunkel und sie verschwand. Einfach so!" Primrose schluckte. "Wieso tut es das? Ich verstehe das nicht..." "Das musst du auch nicht", unterbrach Amber und ging zur Vordertür, "Wir können später darüber nachdenken. Nun müssen wir uns und die Kinder in Sicherheit bringen! Fennel ist mit einigen anderen Ponys schon voraus gegangen. Komm!"

Primrose folgte Amber nun schweigend und mit klopfendem Herzen. Was geschah hier nur? Wie hatte sich ihre Welt innerhalb eines Tages nur so verändern können? Heute Morgen hatte sie sich noch um Beerenmarmelade Gedanken gemacht, nun war sie auf der Flucht vor schattenhaften Kreaturen, welche die Ponys ihres Dorfes einfach auflösten. Sie hatte entsetzliche Angst.

Amber ging voraus, ganz langsam und dicht an den Hauswänden und Zäunen entlang. Primrose schlich geduckt hinter ihr her und lauschte die ganze Zeit, doch sie hörte nur ihre eigenen Schritte. Ob diese Kreaturen sei auch hören konnten? Oder hatten sie gar keine Ohren? Amber bog in eine schmale Gasse ein. Auch sie lauschte angestrengt in die Nacht hinein.

Etwas raschelte und sie wandte den Kopf zu Primrose, welche stehen blieb. Sie spürte die Bewegung an ihrer Seite und hörte das leise Stimmchen quengeln. Eines der Fohlen war eracht und tat seinen Unmut kund darüber, eingeschnürt und in der Dunkelheit zu sein. Primrose blickte ängstlich zu Amber. Wenn das kleine Schrie, waren sie sofort verraten!

Amber schlug mit einem Huf den Umhang zur Seite und schmiegte ihre Wange gegen die des kleinen Fohlens. "Ist ja gut...", flüsterte sie, "Ist ja gut... Ist ja gut, Kleiner." Primrose beobachtete Amber mit einem neidvollen Blick. Sie wünschte sich, mehr wie die Einhornstute zu sein, tapfer und zielstrebig. Amber zitterte nicht vor Angst vor dem, was in den Schatten lauern konnte. Amber handelte. Primrose ließ die Ohren hängen.

Ihre selbstmitleidigen Gedanken nahmen sie so gefangen, dass sie einen Moment lang nicht mehr auf ihre Umgebung achtete, sondern zu Boden blickte. Deshalb bemerkte sie die Kreatur erst, als sie den Schatten auf sich zukriechen sah. Primrose machte einen hastigen Schritt rückwärts. "Amber!" Das Einhorn wandte den Kopf.

Vor ihnen schwebte eine der Kreaturen. Primrose konnte nun sehen, dass sie tatsächlich keine Beine hatte. Ihr Körper wurde von oben nach unten immer durchscheinender, doch sie schien mit ihrem Schatten auf dem Boden dennoch irgendwie verbunden. Sie konnte es sehen und dann doch nicht. So als würde sie zwei verschiedene Bilder zur gleichen Zeit betrachten und es verwirrte sie.

Nicht einmal die Kontur des Oberkörpers konnte sie genau ausmachen. Zuerst dachte Primrose, die Kreatur trüge eine Art Umhang, dann sah es aber mehr aus, als sei sie von schwarzen Blättern bedeckt, dann erinnerte sie die nebulöse Masse an eine Wolke und doch war es alles drei zur gleichen Zeit. Zwei dünne Arme ragten aus ihr heraus. Eine der merkwürdig geformten Tatzen schwebte genau über ihrem Gesicht, die Glieder wie fleischige, blattlose Äste.

"Lauf!", riss Ambers Stimme sie aus ihren Gedanken. Primrose drehte sich um und rannte los. "Was ist das? Was ist das für ein Wesen?!" "Sei still und lauf!", erwiderte Amber ärgerlich und lief so schnell sie konnte. Primrose hatte Mühe, mit ihr mitzuhalten. Dass sie gesehen hatte, wie sich zu der Kreatur noch eine zweite, dann eine dritte dazugesellt hatte, war auch nicht hilfreich.

Sie wollte schreien und weinen, um ihre Angst loszuwerden, wollte ihr nachgeben. Doch sie dachte an die beiden Fohlen, deren kleine Körper eng an ihren gepresst waren. Die Kleinen waren noch hilfloser als sie und brauchten sie, da durfte sie sich nicht selbst benehmen wie ein eingeschüchtertes kleines Mädchen. Sie musste zumindest versuchen, sich zusammenzureißen und weiterrennen.

Amber blieb abrupt stehen als plötzlich eine der Kreaturen vor ihnen erschien. Sie war nicht auf sie zugelaufen oder aus dem Boden aufgetaucht, sie war plötzlich einfach da. Primrose stieg erschrocken und hatte Mühe das Gleichgewicht zu halten. Amber schnaufte und senkte den Kopf. Ein helles Licht schoss von ihrem Horn auf die Kreatur, welche ein Stück zurückwich.

"Lauf, Primrose! Such die Anderen! Wir treffen uns dann dort!", rief sie und trat auf die Kreatur zu. Primrose zögerte. Ambers Magie schien die Kreatur für den Moment aufzuhalten, doch konnte sie wirklich etwas ausrichten? "Amber..." "Mach schon!"

Der plötzlich so scharfe Ton in Ambers sonst so sanft schwingender Stimme ließ Primrose zurückschrecken und sie rannte los. Amber hatte Recht und eigentlich wusste sie das. Primrose lief so schnell ihre Beine sie tragen wollten durch die dunklen Straßen. Doch wohin sollte sie? Amber hatte ihr nicht gesagt, wo der Treffpunkt war und ihr fiel gerade kein möglicher Ort ein. Sie musste einfach aus dem Dorf heraus und sich irgendwo verstecken, bis die Lage sich beruhigt hatte.

Aus einer Gasse schwebte eines der dunklen Wesen heran und streckte seine Tatze nach Primrose aus. Ihr Körper reagierte völlig selbstständig und sprang über den Arm der Kreatur hinweg. Sie landete unbeschadet und lief weiter, verwundert über ihre eigene Leistung. Sonst stolperte sie sogar, wenn sie nur über den Hasendrahtzaun ihres Gemüsegartens hüpfen wollte.

Primrose zwang sich, noch etwas schneller zu laufen. Ihre Beine schmerzten und die Luft brannte in ihren Lungen, aber irgendetwas gab ihr die Fähigkeit, das alles zu ignorieren. Sie galoppierte durch die Nacht, wie sie es in ihrem Leben noch nicht getan hatte. Wie Feuerwerk sah sie das helle Licht von Ambers Magie Schatten werfen.

Sie spürte, dass jemand hinter ihr war. Eine oder mehrere der Kreaturen. Sie musste schneller sein als sie! Um jeden Preis!

"Primrose!" Sie hob den Kopf und im Schatten eines Baumes sah sie Fennel und ein weiteres Einhorn stehen, das sie nicht genau sehen konnte. Primrose lief in ihre Richtung. Sie hatte den Baum fast erreicht, als Dunkelheit sich über sie legte wie ein Schleier. Das Erdpony blickte nach oben und sah eine der Kreaturen über sich, die Arme ausgebreitet, als wollte es sie packen.

Fennel rannte an ihr vorbei und sprang auf die Kreatur zu. Das Leuchten seiner Magie blendete sie für einen Moment und sie konnte nicht genau sehen, was geschah. "Bleib nicht stehen!", rief eine weitere Stimme, "Lauf weiter, wir machen das schon!"

Dieses Mal zögerte Primrose nicht. Sie wandte den Blick wieder nach vorn und lief erneut los. Hinter sich hörte sie einen Schrei, doch sie wagte es nicht, sich umzuschauen. Ein greller Lichtschein ließ die Schatten blasser werden und etwas schoss an Primrose vorbei, riss ein Loch in den Boden vor ihr. Ein brennender Schmerz durchdrang ihren Körper und sie schrie auf.

Zwillinge

Das kleine Pony saß auf einem Hügel, den Blick auf die Berge in der Ferne gerichtet. Im Sonnenlicht funkelten sie so wunderbar und schimmerten in vielen Farben. Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass die Berge ganz aus Kristall bestanden und nicht einfach nur so Kristallberge genannt wurden. Auf der anderen Seite sollte das Meer liegen und weiter im Norden sollte es sogar einmal ein Königreich aus Kristall gegeben haben.

Zu gerne würde sie dies alles einmal erkunden. Die Berge hinauf fliegen und über ihre Gipfel blicken. Von dort oben konnte man sicher über ganz Equestria schauen, dachte sie sich. Sie könnte vielleicht Canterlot sehen, von dem sie schon so viel gehört hatte oder Cloudsdale, in dem noch mehr Ponys mit Flügeln lebten, die Pegasi. Sie seufzte leise.

"Ruby", hörte sie da die Stimme ihrer Mutter, "Ruby Fire, Diamond Sky! Essen ist fertig!" Ruby stand auf und lief den Hügel hinab zurück zum Dorf. Es war ein sehr kleiner Ort, in dem sie lebten, beinah ganz am Rande von Equestria. Dichter an den Kristallbergen lebte kaum jemand und unter den Bewohnern des Dorfes gab es auch nur wenige Ponys. Dies hatte Ruby schon immer gewundert. In einem Land der Ponys lebten sie hier so abseits, umgeben von Eseln, Ziegen und einigen Erdponys.

Ruby wusste, dass es Gründe dafür gab und dass diese Gründe etwas damit zu tun hatten, weshalb ihrer Mutter ein Teil ihres linken Ohres fehlte. Früher hatte sie einige Male danach gefragt, doch der traurige Blick ihrer Mutter jedes Mal, hatte sie schließlich aufhören lassen zu fragen.

Ruby breitete ihre Flügel aus und sprang. Sie glitt über den niedrigen Gartenzaun und landete geschickt auf der anderen Seite. Rasch trabte sie ins Haus und in die Küche. Ihr Bruder Diamond Sky saß bereits am Tisch und ihre Mutter füllte seinen Teller. "Da bist du ja", sagte Primrose und lächelte Ruby zu. Sie füllte den Teller ihrer Tochter und schob ihn ihr über den Tisch zu, ehe sie sich selbst auftat.

Ruby Fire beobachtete sie nachdenklich dabei. Ihre Mutter war ein Erdpony, doch ihr Bruder und sie waren Einhörner. Nun ja, ihr Bruder war ein Einhorn, sie war... ein Einhorn mit Flügeln. Von einigen anderen Erdponys hatte sie das Wort 'Alicorn' aufgeschnappt, doch sie hätte sich niemals selbst so genannt. Alicorne waren die Prinzessinnen. Sie war lediglich ein Einhorn, das aus irgendeinem Grund Flügel besaß. Oder ein Pegasus mit Horn?

Und da sie wesentlich besser fliegen, als zaubern konnte, sah sie sich noch viel weniger als Alicorn. Genau genommen traute Ruby sich nicht, ihre Magie einzusetzen. Immer, wenn sie es versuchte, ging dabei etwas zu Bruch oder sie tat sich selbst weh. Diamond Sky lachte dann immer über sie und behauptete, ihr Horn sei nur zur Dekoration auf ihrem Kopf.

Ihr Bruder hingegen war ein Meister im Umgang mit seiner Magie. Obwohl er noch so jung war, beherrschte er Tricks, die die Dorfbewohner in Staunen versetzten. Diamond Sky ließ niemals etwas fallen, weil er sich nicht genug konzentrierte. Er konnte sogar Dinge aus dem Nebenzimmer heranschweben lassen, ohne hinzuschauen. Ein bisschen beneidete Ruby in dafür.

Aber dafür konnte sie etwas, das Diamond Sky trotz seiner Magie nicht schaffte: Sie konnte fliegen. Ruby war das einzige Pegasuspony im ganzen Dorf und sie hatte eine Weile gebraucht, sich das Fliegen selbst beizubringen. Doch nach vielen Fehlversuchen und Bruchlandungen hatte sie den Dreh rausbekommen, indem sie einfach die Vögel nachgeahmt hatte, welche in der Nähe ihres Gartens nisteten. Inzwischen war sie auch eine richtig gute Fliegerin geworden.

Ihre Mutter sah es allerdings gar nicht gerne. Primrose hatte immer Angst, Ruby könnte abstürzen und sich verletzen. Deshalb flog sie nie besonders hoch, auch wenn sie gekonnt hätte. Doch sie liebte ihre Mutter sehr und der ängstliche Ausdruck in ihren Augen, wenn Ruby zum Start ansetzte, hielt sie davon ab, gewagtere Flugkunststücke auszuprobieren. Wenn sie wirklich abstürzte und sich einen Flügel brach, würde das Diamond Sky auch nur noch mehr Gründe geben, über sie zu lachen.
 

Nach dem Essen halfen die beiden Kinder ihrer Mutter beim Abwasch so gut sie konnten und machten ihre Hausaufgaben. Primrose ließ den Blick über die Hefte der beiden Fohlen schweifen und nickte zufrieden. Sie war stolz auf ihre Kinder. Beide waren viel bessere Schüler als sie jemals gewesen war. Diamond Sky war sogar Klassenbester und Ruby Fire hielt sich ebenfalls im oberen Drittel.

Primrose seufzte innerlich. Sie nannte die Beiden ihre Kinder und fragte sich, wann sie zu ihrer Mutter geworden war. In der Nacht, in der sie Hals über Kopf aus ihrem Dorf geflüchtet war? In dem Moment, als ihr klar geworden war, dass sie niemals wieder in ihr altes Leben zurückkehren würde? Sie wusste es nicht genau. Aber sie erinnerte sich noch sehr genau daran, wie Ruby eines Morgens zu ihr hochgeblickt und sie 'Mama' genannt hatte. In diesem Moment hatte sie Amber endlich verstanden und sie gab sich alle Mühe, den Kleinen eine gute Mutter zu sein. Die Hoffnung, dass sie irgendwann ihre richtigen Eltern finden würde, hatte sie längst aufgegeben. Primrose hoffte nur noch, dass sie in dem kleinen Dorf am nordöstlichen Rand von Equestria sicher waren vor den Schattenwesen und allen anderen, die ihren Kindern vielleicht ein Leid tun wollten. Hier gab es weder Pegasi, noch Einhörner und auch nur wenige Erdponys. Fremde verirrten sich kaum in ihre Gegend, sodass sie auch keine Gerüchte über das kleine Alicorn fürchten musste.

Sie gab Skys Schulheft einen kleinen Schubs mit der Nasenspitze und es klappte zu. "Sehr schön, Kinder. Dann dürft ihr jetzt raus und spielen. Aber..." "... lauft bloß nicht außerhalb des Dorfes herum", beendete Diamond Sky den Satz, welchen er schon unzählige Male von seiner Mutter gehört hatte. "Tun wir nicht", versprach Ruby, schlug ihr Heft ebenso zu und schob es zurück in ihre Schultasche.

Diamond Sky war bereits von seinem Stuhl gesprungen und auf dem Weg nach draußen, seine Schwester beeilte sich, ihm zu folgen. Primrose blickte ihnen nach. Ob sie die Sorge um ihre Kinder irgendwann ablegen konnte? Sie lebten nun schon einige Jahre hier und von den seltsamen Schattenwesen hatte sich keines gezeigt. Dennoch legte sich Primrose selten abends schlafen ohne an die Ereignisse dieser Nacht zu denken, die sie aus ihrem Leben gerissen hatten.
 

Diamond Sky ließ das Gartentor aufschwingen und setzte zum Galopp an. Seine Schwester folgte ihm dichtauf und war bald mit ihm auf einer Höhe. "Wer zuerst am großen Baum ist!", rief Diamond Sky und preschte vor. "Ich gewinne!", entgegnete Ruby und lief schneller, um ihren Bruder einzuholen.

Der große Baum war ein Apfelbaum, welcher an einer Kreuzung am Rand des Dorfes stand. Von hier aus führten Straßen in die entfernten Nachbarorte und zur Hauptstraße, welche ins Zentrum von Equestria führte. Die Kinder des Dorfes trafen sich immer am großen Baum zum spielen. Ihre Freunde waren bereits da und spielten Fangen.

Kornvallmo war eine junge Ziege mit hellbraunem Fell und sehr stolz auf die Hörner, welche ihm langsam wuchsen. Er fühlte sich sehr erwachsen damit und probierte sie gern an allen möglichen Dingen aus, ungeachtet dessen, dass diese Spiele oft mit Kopfschmerzen endeten. Klätterros war eine kleine Eselin von grauer Farbe und die Jüngste der Gruppe. Ihre kurze Mähne stand ihr wild von Kopf und Nacken ab und ließ sie immer so aussehen, als sei sie gerade aus dem Bett gekommen. Tulpan und Mizzle waren Erdponys. Mizzles Fell war zartrosa gefärbt und ihr Schweif und ihre Mähne von einem ebenso zarten Blau. Ruby fand, dass sie wie ein Püppchen aussah, insbesondere durch die großen Schleifen, welche sie immer in ihrem Langhaar trug. Tulpan war die Älteste der kleinen Gruppe. Ihr Fell war leuchtend Gelb wie Butterblumen und ihre Mähne und Schweif von einem kräftigen Rot. Sie hatte auch bereits ihre Cutie Mark: Einen Strauß Tulpen.

Diamond Sky gab alles und machte einen Satz, um den Stamm des Baumes vor seiner Schwester zu berühren, doch Ruby tat es ihm gleich und streckte ihre Vorderläufe aus. Beide Fohlen berührten dem Baum und stießen gegen einander, sodass sie stürzten. Lachend und keuchend blieben Beide im Gras liegen. Die übrigen Kinder liefen zu ihnen hinüber. Ruby war als Erste wieder auf den Beinen und schüttelte sich die Grashalme aus dem Fell.

"Unentschieden... Aber morgen gewinne ich!" "Davon träumst du", erwiderte Diamond Sky und peitschte mit seinem Schweif um ein paar Blätter darin loszuwerden. Klätterros kam mit einem Ball angetrabt und die Kinder formten sogleich einen Kreis. Die kleine Eselin nahm den Ball hoch und warf ihn Tulpan zu, welche ihn gleich mit dem Kopf weiter gab an das nächste Fohlen. Ziel ihres Spiels war es, den Ball möglichst lange in der Luft zu halten. Wer ihn fallen ließ, hatte verloren.

Kornvallmo hüpfte und verpasste dem Ball einen ordentlichen Stoß mit der Stirn. Leider flog der Ball nicht hoch, so wie er es sich gedacht hatte, sondern sehr steil nach unten und würde zwei Schritt vor Diamond Sky im Gras landen. Doch kurz bevor er den Boden berührte, hielt der Ball mitten in der Luft an. Die Kinder schauten kurz irritiert, bis der Ball senkrecht aufstieg und sie die magische Aura besser sehen konnten. Diamond Sky hatte ihn mit seiner Magie gefangen. Selbstzufrieden lächelnd betrachtete er den Ball einen Moment, ehe er ihn seiner Schwester zuwarf.

Etwas zu schwungvoll kam der Ball Ruby entgegen und ihr erster Impuls war, sich zu ducken. Doch ein trotzer Funken in ihr wollte zumindest versuchen, den Ball ebenso zu fangen wie ihr Bruder es getan hatte. Sie konzentrierte sich ganz auf den Ball und man konnte sogar ein leichtes rotgoldenes Funkeln erkennen. Aber es war, als versuche sie einen fallenden Apfel in einem Spinnennetz aufzufangen. Der Ball änderte nicht mal seine Flugbahn und traf sie mitten im Gesicht.

Ruby taumelte und fiel ins Gras, ebenso der Ball. Sie sah kleine violette Flecken in der Schwärze tanzen und als sie die Augen wieder öffnete, waren vier Paar Augen auf sie gerichtet. "Alles in Ordnung, Ruby?", fragte Klätterros und legte den Kopf schief. "Ähm.... Ich denke schon", erwiderte Ruby und strich sich mit der Fessel über das schmerzende Gesicht. Der Ball rollte an ihr vorbei und stieg wieder in die Luft. Diamond Sky hatte sich nicht von seinem Platz bewegt und sah die anderen auffordernd an. "Spielen wir jetzt weiter oder nicht?", fragte er ungeduldig, "Ruby hat verloren..."

Ruby rollte sich auf den Bauch und sah ihren Bruder böse an. "Du hast geschummelt", sagte sie trotzig, "Magie benutzen ist unfair!" Diamond Sky sah sie mit säuerlicher Miene an. "Unfair? Nur, weil du sie nicht beherrschst", gab er zurück, "Hättest du den Ball gefangen, würdest du nicht sagen, dass es Schummeln ist, Magie zu benutzen. Aber du könntest ihn nicht mal halten, wenn ich ihn dir aufs Horn kleben würde. Du bist nur eifersüchtig!"

Ruby blickte zu ihren Freunden, doch die anderen Kinder standen nur da und blickten betreten zu Boden. Skys Magie war eine nützliche Sache, das wussten sie alle und sie zählten gerne auf ihn, wenn es um Streiche ging oder darum, einen Kuchen aus einer Küche zu stibitzen. Ruby wusste, dass sie nichts gegen ihn sagen würden. Sie brummte frustriert und stand langsam auf. "Ich geh heim", sagte sie, "Mein Kopf tut weh... Wir sehen uns morgen."
 

Diamond Sky blickte seiner Schwester nach als sie heimwärts trottete. Sein Blick hing an ihren Flügeln bis sie außer Sichtweite war. Warum war sie ein Alicorn? Sie hatte es gar nicht verdient, so unfähig, wie sie war. Es war einfach nicht fair. Er sollte auch Flügel haben. So gut er mit seiner Magie auch umgehen konnte und so sehr er heimlich übte, zu schweben hatte er bisher nicht lernen können. Außerdem war es doch viel eleganter, mit großen, weißen Schwingen über den Himmel zu gleiten...

Er war zwar ein Einhorn und damit in ihrem abgelegenen Dorf schon etwas Besonderes, aber Ruby war ein Alicorn und stand damit außerhalb aller Ponyarten von Equestria. Diamond Sky hatte viel darüber nachgedacht, warum sie so waren wie sie waren. Ihre Mutter war nur ein Erdpony und nicht mal ein besonders Hübsches oder außergewöhnlich begabtes. Als sie noch sehr klein gewesen waren, hatten sie sich gern vorgestellt, dass Primrose die Geliebte eines Prinzen gewesen war oder zumindest eines Einhornfürsten.

Inzwischen fragte er sich, wie er jemals an so ein kitschiges und dummes Märchen hatte glauben können. Primrose war nicht ihre Mutter, das war einfach nicht möglich. Und wenn dem so war, dann war Ruby sicher auch nicht seine Schwester. Ihre Unähnlichkeit war für ihn der beste Beweis. Doch damit wusste er immer noch nicht, wer er wirklich war und wer seine Eltern gewesen waren. Primrose wich seinen Fragen immer aus, insbesondere nach seinem Vater. Dies ärgerte Diamond Sky fürchterlich.

Er gab dem Ball einen Schubs und warf ihn Mizzle zu. Er machte wieder die Runde von Fohlen zu Fohlen, ohne Ruby. Sky drosch auf den Ball ein, als sei dieser für sein Leid verantwortlich. Wieso musste er in diesem winzigen Dorf leben am Rand der Welt? In Canterlot lebten viele Einhörner, die Elite unter den Ponys, mit ihren Prinzessinnen. Warum konnten sie nicht dort wohnen, wo er hingehörte? Stattdessen lebten sie hier, zusammen mit Eseln, Ziegen und dummen Erdponys. In Canterlot wären er ein Prinz mit seinem Talent und selbst die dumme Ruby wäre eine Prinzessin, allein weil sie ein Alicorn war.

Nachdem sie auf ihr Ballspiel keine Lust mehr hatten, holte Diamond Sky ihnen ein paar Äpfel vom großen Baum herunter, die sie alle mit Genuß verspeisten. Im Schatten des Baumes sitzend glitt sein Blick durch die Runde seiner Spielkameraden - Freunde nannte er sie sicher nicht. Was sie wohl dachten, woher er kam und wer sein Vater war? Die Erwachsenen im Dorf ließen sich nie anmerken, ob sie etwas wussten oder nicht. Vielleicht sollte er einmal direkt bei ihnen nachfragen. Er hatte doch ein Recht zu erfahren, wer seine Vorfahren waren oder etwa nicht? Er würde bei Eglantine anfangen, der Mutter von Klätterros. Sie stammte auch nicht aus dem Dorf und war vielleicht redefreudiger, als als die Urgesteine dieses Kaffs.
 

Ruby wusste nicht, über wen sie sich mehr ärgerte, über ihren Bruder oder ihre Freunde. Irgendwann lernte sie sicher, den Ball mit Magie zu fangen. Aber nicht heute... Und überhaupt hatte Diamond Sky ihn viel zu fest geworfen, da hätte sie ihn nie halten können! Seufzend ließ sie die Ohren hängen. Das waren doch alles nur Ausreden...

Doch sie war sicher nicht eifersüchtig auf Diamond Sky. Sie beneidete ihn hin und wieder um sein Talent, aber eifersüchtig war sie nicht. Denn sein Talent machte ihn arrogant und gemein und so wollte sie sicherlich nicht sein. Außerdem hatte sie etwas, das er nicht hatte: ihre Flügel. Aber das schien für ihn offenbar nichts zu zählen. Um sich seinen Respekt zu verdienen, musste sie ihre Magie irgendwie in Gang bringen. Sie wusste, dass sie da war, irgendwo... Sie hatte den Funken in ihrem Horn gespürt.

Ruby blieb stehen und sah sich um. Vor ihr lag ein Stein auf dem Weg. Sie senkte den Kopf und starrte ihn konzentriert an. 'Schwebe', dachte sie, 'Schwebe! Ich will es so!' Sie legte alle Konzentration in den Stein und ihr Horn. Aber alles was geschah war, dass sich ihr Körper völlig verkrampfte und ihre Flügel zu schmerzen begannen.

"Was tust du denn da, kleine Ruby?", hörte sie eine Stimme neben sich. Der alte Ziegenbock Snabbt Hov hatte den Kopf über seine Hecke gestreckt und beobachtete sie. Snabbt Hov war der älteste Bewohner des Dorfes und hatte früher an ihrer Schule unterrichtet. Ruby blickte zu ihm hoch. "Ich versuche, den Stein schweben zu lassen", erwiderte sie, "Aber meine Magie will irgendwie nicht aus meinem Horn raus." Demonstrativ klopfte sie mit dem Huf dagegen.

Snabbt nickte langsam. "Verstehe... Aber so etwas braucht einfach Zeit. Du bist noch sehr jung und deine Magie ist ebenso noch nicht ausgereift." "Aber... Mein Bruder ist genauso alt wie ich und zaubert schon wie ein Erwachsener! Wieso kann ich nicht mal einen dummen Ball fangen?" Der Ziegenbock ging um die Hecke herum und trat an Rubys Seite. "Das kann ich dir leider auch nicht beantworten. Aber so ist es doch mit allem im Leben: Manche Schüler lernen sehr rasch lesen und schreiben und haben offenbar keine Mühen damit. Andere brauchen bis zur dritten Klasse, bis sie einen Satz flüssig lesen können. Jedes Pony ist eben anders."

Ruby senkte den Kopf und ihre Flügel raschelten. "Bin ich nicht schon anders genug?" Snabbt fuhr ihr mit der Nase liebevoll durch die Mähne. "Irgendwann wirst auch du den Bogen raus haben, wie das mit der Levitation klappt. Du darfst dich nur nicht von Fehlschlägen entmutigen lassen. Übe fleißig und du wirst es schaffen." Zögerlich nickte das kleine Pony. "Ich versuche es..."

Snabbt Hov brachte Ruby nach Hause. Während das kleine Fohlen auf sein Zimmer ging um dort etwas allein zu sein, sprach er mit ihrer Mutter. Sie konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber sie konnte sich denken, dass es um sie ging.

Veränderung

Ruby Fire nahm sich fest vor, ihre Magie nicht länger zu ignorieren aus Angst etwas falsch zu machen, sondern sie zu trainieren. Sie übte heimlich, morgens und abends, indem sie versuchte, Dinge zu bewegen. Levitation war für sie noch zu schwer, doch nach zwei Wochen hatte sie es geschafft, die Lok ihres Spielzeugzugs ein klein wenig fahren zu lassen. Dies zeigte sie gleich Snabbt Hov, der sie sehr lobte für ihren Fleiß und ihre Anstrengungen.

Sie übte weiter, solange bis sie die kleine Lok kontrolliert und ruhig in ihrem Zimmer fahren lassen konnte. Dies war gar nicht so einfach. Nachdem sie das Spielzeug einmal bewegen konnte, musste sie lernen, die Kraft zu kontrollieren. Mehr als einmal war ihr die Lok in einem plötzlichen Schwall von Magie davongesaußt und gegen eine Wand geprallt. Doch je mehr Ruby übte, desto besser konnte sie ihre Magie beherrschen. Danach fühlte sie sich allerdings immer sehr erschöpft und ihr war schwindelig.

Ihrer Mutter mochte sie nur ungern etwas darüber erzählen. Seit dem Gespräch mit Snabbt sah sie Ruby immer so besorgt an. Also gab sich Ruby betont fröhlich und unbekümmert, damit sie sich nicht zu viele Gedanken machte. Aber auch ihr Bruder hatte sich verändert. Er war mürrisch und sehr in sich gekehrt. Wenn er Ruby nicht ignorierte, dann giftete er sie an, schubste sie und behandelte sie noch herablassender als an dem Tag auf der Wiese. Also ging sie Diamond Sky die meiste Zeit aus dem Weg. Sie war auch nicht traurig darum, dass sie nicht mehr so viel Zeit mit einander verbrachten. Auf diese Weise bekam Diamond Sky von ihren Übungen wenigstens nichts mit und bekam keine weitere Chance, sich über sie lustig zu machen.
 

Während seine Schwester ihre Magie trainierte, versuchte Diamond Sky an die Informationen zu kommen, die er wollte. Zuerst ging er zu Eglantine, der Mutter von Klätterros. Sie lebte mit ihren vielen Kindern am anderen Ende des Dorfes auf einem kleinen Hof. Ihr Mann war im Dorf geboren und aufgewachsen, sie aber kam aus dem Süden.

Als er über den Hof trabte hinüber zum Gemüsegarten, fiel sein Blick auf die übrigen Fohlen von Eglantine. Die älteren Kinder halfen ihrem Vater beim Sortieren von Äpfeln während sich die Jüngsten zu ihren Hufen balgten. Diamond Sky verzog das Gesicht und wandte sich ab. Esel waren so plumpe Geschöpfe, anders als die eleganten Ponys. Und ihre Fellfarben erst... Diamond Sky war sehr stolz auf sein weißes Fell und das blaue Langhaar und selbst seine Mutter sah hübscher aus als die staubfarbenen Esel.

Er fand Eglantine zwischen ihren Tomatensträuchern, die sie sorgsam bekümmerte. Eglantine war berühmt für ihr Gemüse. Diamond Sky blieb am Rand ihres Gemüsegartens stehen. "Guten Tag, Eglantine", grüßte er sie und gab sich besonders höflich, "Kann ich dich etwas fragen?" Die Eselin blickte von ihren Tomaten auf und kam langsam auf ihn zu. "Ach, du bist es, Sky... Guten Tag", erwiderte sie, "Natürlich darfst du das, Schätzchen. Was kann ich für dich tun?"

"Ich wüsste gerne, ob du irgendetwas weißt über das Dorf, aus dem Mama, Ruby und ich kommen", kam Diamond Sky gleich zur Sache, "Und über Papa. Mama mag mir nichts erzählen..." Er ließ die Ohren hängen und versuchte möglichst bemitleidenswert auszusehen. Eglantine hatte inne gehalten und musterte den jungen Hengst vor sich. "Nun...", begann sie zögerlich und machte ein paar Schritte vom Haus fort. Diamond Sky folgte ihr gleich. Er sah der Eselin an, dass dieses Thema unangenehm für sie war und er fragte sich, warum. Hatte Primrose doch etwas zu verbergen?

Eglantine seufzte. "Deine Mutter wird ihre Gründe haben, warum sie nicht darüber sprechen mag..." "Aber...!" "Aber ich will dir erzählen, was ich weiß. Viel ist es nur nicht." Hoffnungsvoll sah Diamond Sky Eglantine an. "Ja...?" Ein paar Hinweise wären ihm schon genug für den Anfang. Er brauchte eine Spur, der er folgen konnte. Er wollte unbedingt wissen, ob sein ganzes kurzes Leben eine Lüge war oder nicht.

"Deine Mutter... Als sie mit euch Kindern in unser Dorf kam, ward ihr noch sehr klein. Sie hatte nichts bei sich, außer einer Tasche mit Babysachen und euch Beiden auf dem Rücken. Sie war sehr erschöpft, als sie über die Felder gestolpert kam. Snabbt Hov und ich haben sie gefunden und uns um sie gekümmert. Primrose sagte nur, dass sie lange gewandert sei. Jemand habe ihr Dorf angegriffen, doch sie sagte nicht, wer oder was."

Eglantine machte eine Pause. Der kleine Hengst sah sie noch immer erwartungsvoll an, nahm jedes Wort in sich auf. "Wir fragten natürlich nach eurem Vater, aber sie schüttelte nur den Kopf. Wir dachten natürlich, ihr Mann sei bei dem Angriff auf ihr Dorf ums Leben gekommen, aber... Sie hat ihn auch später nie erwähnt, nicht einmal. Das ist doch recht ungewöhnlich..." Diamond Sky nickte. "Weißt du, wo ihr Dorf lag? Wie es hieß?" Eglantine schüttelte den Kopf. "Das kann ich dir leider nicht sagen, Sky. Doch es muss irgendwo am westlichen Rand von Equestria gelegen haben, glaube ich. Aber ich will es nicht beschwören."
 

Diamond Sky seufzte innerlich. Viel weiter war er damit auch nicht. Doch Eglantines Worte bestärkten ihn in seinem Verdacht, dass Primrose nicht seine wirkliche Mutter war. Vielleicht... Vielleicht war ihr Dorf sogar gar nicht angegriffen worden, sondern sie war auf der Flucht verletzt worden. Auf der Flucht vor seinen leiblichen Eltern, die irgendwo in Equestria ihren verschollenen Sohn vermissten. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf als er nach Hause ging.

Aber konnte das wirklich sein? Primrose kümmerte sich um sie und er konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals keine gute Mutter für sie gewesen wäre. Wieso sollte sie anderen Ponys das Fohlen stehlen? Und dann auch noch welche, die nicht ihrer eigenen Art angehörten. Frustriert trat Diamond Sky gegen einen jungen Baum. Er wusste nicht, was er noch glauben sollte. Wieso bekam man von keinem Erwachsenen je eine klare Antwort?

In den folgenden Tagen versuchte Diamond Sky sein Glück bei anderen Freunden und bekannten seiner Mutter, doch wirklich weiter brachte ihn das nicht. Man erzählte ihm nur immer wieder, dass Primrose sehr schwach gewesen sei, als sie damals im Dorf aufgetaucht sei und dass jeder davon ausging, sein Vater sei bei dem Angriff auf ihr Heimatdorf ums Leben gekommen.

Da Primrose aus ihrer alten Heimat auch nichts weiter mitgebracht hatte, außer eben einer Tasche mit Babysachen, gab es in ihrem Haus auch nichts, was ihm weiter geholfen hätte. Diamond Sky ließ sich von Eglantine und Snabbt Hov genau erklären, wo sie Primrose gefunden hatten. Er nahm die Karte von Equestria aus seinem Schulbuch und studierte sie sehr genau. Da sie aber am nordöstlichsten Rand des Landes lebten, brachte ihm das auch frustrierend wenig. Beinah alles lag in der Richtung, aus der Primrose gekommen sein musste...

Diamond Sky schlug das Buch zu und legte den Kopf auf den Tisch. Er stellte sich vor, dass irgendwo in Equestria sein Vater lebte. Ein großes, mächtiges Einhorn, das ihn alles über Magie lehren könnte. Irgendwo lebte sein Vater, da war er sich sicher. Und vielleicht sogar eine zweite Mutter... Der kleine Hengst schloss die Augen und stellte sich eine Einhornstute vor: langbeinig, elegant, mit weißem Fell und glänzender Mähne. Ihre Stimme war sanft und glockenhell als sie ihn mit seinem richtigen Namen rief.

Seufzend ließ er die Ohren hängen. Er wollte nicht länger in Ungewissheit leben. Doch was sollte er tun? In ihrem Dorf konnte ihm niemand die Antworten geben, die er suchte, das war inzwischen mehr als klar. Eine wirkliche Spur hatte er auch nicht, außer seiner Rasse: er musste von Einhörnern abstammen, soviel war sicher. Da kam Diamond Sky ein Gedanke. Kopfschüttelnd verwarf er ihn gleich wieder. Das konnte er nicht tun. Er zog sein Schulbuch wieder heran und schlug es auf. Nein, das konnte er nicht machen. Jedenfalls nicht sofort...
 

Die Wochen zogen ins Land. Diamond Sky zog sich immer mehr von allen zurück, grübelte vor sich hin und vergrub sich in Geschichtsbüchern, welche er sich von Snabbt Hov geliehen hatte. Seine Mutter beobachtete dies mit Sorge, aber ihr Sohn ging jedem Gespräch mit ihr aus dem Weg. Er schloss sich in sein Zimmer ein - wie man ein Schloss mit einem Zauber belegte, sodass es selbst mit seinem Schlüssel nicht mehr zu öffnen war, hatte er längst raus - und plante sein Vorhaben.

Er übte sich in Magie, insbesondere in der 'Feinmotorik' seiner Zauber. Immer wieder ging er dieselben Abläufe durch, bis er sie perfekt beherrschte. Dabei wunderte er sich nicht zum ersten Mal, weshalb es ihm so leicht fiel, seine Magie aufzurufen und zu benutzen. Gern hätte er mit anderen Einhörnern gesprochen, um zu wissen, ob er wirklich so talentiert war, wie er glaubte oder nur durchschnittlich für ein Einhorn seines Alters. Aber in ihrer Gegend lebten keine Einhörner, nicht mal in den umliegenden Dörfern, hatte man ihm gesagt.

Wenn sich Diamond Sky in diesen Tagen nicht mit Magie beschäftigte, so ging er zu Snabbt Hov oder Eglantine und fragte sie aus über die Welt außerhalb ihres Dorfes. Er besaß keine konkretere Karte der Umgebung und die Ortschaften, welche weiter als eine Stunde Hufmarsch entfernt waren, kannte er meist nicht mal mit Namen. Fleißig notierte er sich Ortsnamen und alle möglichen markanten Orte aus diesen Gesprächen. Seine Notizen verbarg er sorgfältig in seinem Zimmer unter einem losen Dielenbrett und jedes Mal, wenn er es wieder an seinen Platz rückte fühlte er sich, als verberge er darunter einen Schatz. Zugleich aber regte sich doch leise sein Gewissen. Seine Mutter würde sich sicherlich furchtbar sorgen...

Diamond Sky schüttelte den Kopf. Von solch einem Unsinn durfte er sich nicht beirren lassen. Es ging immerhin um seine Zukunft. Eine Zukunft viel größer und strahlender als alles, was dieses Dorf mit seinen staubigen Straßen und Äckern für ihn bereithielt. Er trat an das Fenster heran und blickte hinaus in die Richtung, in welcher Canterlot liegen musste. Irgendwo, viele Tagesreisen weit entfernt... Da erregte eine Bewegung in ihrem Garten seine Aufmerksamkeit. Was ging denn da vor sich...?
 

Nachdem Ruby es geschafft hatte, ihre kleine Lok auf jeder erdenklichen Spur in ihrem Zimmer herumfahren zu lassen, hatte sie beschlossen, den nächsten Schritt zu wagen: Levitation. Immer, wenn ihre Mutter aus dem Haus ging und ihr Bruder sich wieder in seine Bücher verkroch, lief sie in den Garten. Sich unbeobachtet glaubend versuchte sie dort, kleine Steine schweben zu lassen oder Beeren. Es klappte viel besser als sie zu hoffen gewagt hatte. Es war wirklich nur eine Frage des Selbstvertrauens.

Einmal hatte sie Tulpan bei ihren Übungen überrascht als sie die Zwillinge zum Spielen abholen wollte, nachdem diese sich ewig nicht auf ihrer Wiese hatten blicken lassen. Erschrocken hatte Ruby ihre Beere fallen lassen, doch Tulpan war begeistert um sie herumgehüpft und hatte gejubelt. Seit dem kam sie regelmäßig vorbei, um Ruby als moralische Unterstützung zur Seite zu stehen.

Tulpan war eines der Ponys, die Ruby für eine zukünftige Prinzessin hielten, die nur auf den Tag wartete, an dem eine Kutsche vorfahren würde, um sie in ein Schloss zu bringen. Dort würde natürlich ein Prinz auf sie warten und eine funkelnde Krone und es würde ein Ball zu ihren Ehren stattfinden und... vielleicht, aber nur vielleicht, durften ihre Freundinnen auch mitkommen und eine Nacht lang selbst wie Prinzessinnen tanzen. Sie würde für ihre Freundin einen Kranz aus weißen Rosen flechten, der wunderschön aussehen würde in ihrer roten Mähne und auf ihrer Hochzeit mit dem Prinzen könnte sie Brautjungfer sein.

In solche Fantasien versunken beobachtete Tulpan, wie Ruby ihren Kopf senkte, sodass ihr Horn auf einen der überreifen Äpfel zeigte, die im Gras lagen. Ihre Mutter hatte sie angewiesen, diese einzusammeln und Tulpan hatte das Fallobst gleich zur nächsten Herausforderung erklärt. Sie wollte ihrer Freundin gern helfen, ihre Gabe zu entdecken - und möglicherweise erinnerte sich irgendwann ein Chronist, dass sie Prinzessin Ruby in diesen frühen Jahren beigestanden hatte. Ein wenig hatte sie schon ein schlechtes Gewissen wegen dieser Träume, doch andererseits war dies für ein Pony ihrer Herkunft vermutlich die einzige Art von Ruhm, die es erlangen konnte.

"Komm schon, Ruby!", rief sie beschwörend, "Konzentration und hoch!" Ruby atmete tief durch und sah den Apfel eindringlich an. Ein schwaches Glühen und Funkeln umgab ihr Horn, welches langsam zunahm. Fasziniert beobachtete Tulpan dies. Magie war wirklich etwas... magisches. Der funkelnde Schleier legte sich über den Apfel und dieser wippte leicht hin und her. "Mehr!", rief Tulpan und wedelte aufgeregt mit dem Schweif, "Du kannst das! Den Stein hast du doch auch geschafft!" "Der war aber nicht so schwer!", entgegnete Ruby und beugte sich noch weiter vor. Der Apfel wackelte und löste sich langsam vom Boden.

Tulpan hielt den Atem an. Sie war so gefangen von Rubys Übung, dass sie nicht bemerkte, dass sich ihnen jemand näherte. Plötzlich schoss der Apfel in die Höhe und hielt mehrere Meter über ihnen inne. Ruby fiel ins Gras als habe sie jemand vor die Brust gestoßen, dann schoss der Apfel herab und sie konnte sich gerade noch zur Seite weg drehen, bevor er sie am Kopf traf.

Erschrocken sprang Tulpan herbei und half Ruby wieder auf die Beine. Die beiden Fohlen blickten verwundert und ärgerlich zu Diamond Sky hinüber, der ihren Blick beinah verächtlich erwiderte. "Den Blödsinn könnt ihr euch sparen", sagte er und mit einem Rucken seines Kopfes erhoben sich alle übrigen Äpfel aus dem Gras und schwebten sanft hinüber zu Rubys Korb und legten sich hinein, "Sie wird es nie können. Ruby hat kein Talent für Magie. Das wird sich auch nie ändern..." "Hast du eine Ahnung", widersprach Tulpan, "Ruby hat geübt und sie ist richtig gut geworden. Und sie wird noch viel besser werden, wenn sie fleißig ist!" Diamond Sky sah Tulpan verdutzt an, dann lachte er. "Echt? Glaubst du das wirklich? Dann bist du noch blöder als ich dachte... Aber was will man von einem Erdpony auch erwarten, nicht wahr?"

Tulpan schnappte empört nach Luft. "Wie bitte...?!" "Ist doch wahr! Aber wer im Boden rumwühlt, muss auch nicht besonders schlau sein... Ihr Erdponys macht mich krank - dieses ganze Dorf macht mich krank, mit seinen blöden Eseln und Ziegen!" Tulpan machte zwei Schritte zurück. Jedem anderen Fohlen hätte sie für solche Unverschämtheiten eine verpasst, doch Diamond Sky war ein Einhorn und was, wenn er seine Magie gegen sie richtete?

Ruby jedoch funkelte ihren Bruder wütend an und schnaufte. "Du bist so gemein!", fuhr sie ihn an, "Was haben wir dir denn nur getan? Wir können nichts dafür, dass wir so sind, wie wir sind! Und du bist ganz bestimm nicht besser als wir, nur weil du ein Horn hast!" Sie spreizte ihre Flügel weit und stampfte mit den Vorderbeinen auf. Tulpan wich nun auch vor Ruby zurück und blickte unsicher zwischen den beiden Geschwistern hin und her. So hatte sie Ruby Fire noch nie gesehen. Sie wirkte richtig bedrohlich, gar nicht wie sonst.

Diamond Sky war ebenso überrascht, tat aber ganz gelassen. Er warf den Kopf zurück und lachte auf. "Seid ihr denn schon? Ein dummes Erdpony, welches bis zum Ende seines Lebens auf dem Bauernhof seiner Eltern Möhren anbauen wird und ein Pegasus mit einem nutzlosen Horn. Ein Unfall der Natur... Aber vielleicht kannst du hier ja noch Karriere machen, als Apfelpflücker, wenn du fleißig übst..."

Ruby machte einen Satz nach vorn und schlug ihr Horn gegen das ihres Bruders. Rote Funken sprühten aus ihrem und Tulpan schrie auf und tänzelte nervös. Diamond Sky taumelte erschrocken zurück. "Ich bin deine Schwester! Tulpan ist unsere Freundin!", schrie Ruby ihn an, "Wieso sagst du solche Dinge?!"

Diamond Sky sah sie wütend an und schlug zurück. Tulpan schloss die Augen und kauerte sich zusammen als die beiden Hörner gegen einander schlugen. Was wohl geschah, wenn einem Einhorn das Horn abbrach? Sie hatte einmal gehört, dass ein Einhorn ohne sein Horn sterben musste. Bei diesem Gedanken wurde ihr Eiskalt und ihr Rückenfell stellte sich auf. "Hört auf...", wimmerte sie, aber niemand hörte ihre Worte. Ängstlich blickte sie zu den beiden Fohlen hin, deren Hörner sich wie Schwerter gegen einander pressten. Beide sahen einander wütend an.

"Meine Schwester?", gab Diamond Sky zurück, "Glaubst du wirklich noch immer, dass wir Geschwister sind? Mama hat uns nur aufgenommen, sie ist niemals unsere richtige Mutter!" "Primrose ist unsere Mutter!", fuhr Ruby ihren Bruder an, "Sie kümmert sich um uns und sie liebt uns. Natürlich ist sie unsere Mutter!" Diamond Sky sprang nach vorn und warf Ruby Fire zu Boden. "So ein Blödsinn... Irgendwo in Equestria haben wir eine richtige Mutter und auch einen Vater, aber sie erzählt uns nichts über sie! Warum? Es ist unser Recht zu erfahren, woher wir kommen und sie verweigert es uns! Tut eine Mutter so etwas, hä?"

Ruby stand langsam wieder auf und faltete ihre Flügel an den Flanken. Sie sah den Trotz in den Augen ihres Bruders. "Warum willst du das überhaupt wissen?", fragte sie leise, "Ich habe eine Mutter hier und einen Vater brauche ich keinen. Vielleicht sind unsere Eltern schon längst..." - "Nein!", fiel Diamond Sky ihr ins Wort und schüttelte den Kopf, "Sag es nicht! Sag es nicht! Das ist nicht wahr! Unsere Eltern sind irgendwo in Equestria und warten auf uns - suchen uns bestimmt! Sicher sind wir von hoher Geburt und gehören zu einer wichtigen Familie, wir als Einhörner. Und wir sitzen fest in diesem blöden Dorf bei diesen dummen, nutzlosen Ziegen, Eseln und Erdponys. Wir sollten nach Canterlot gehen und selbst herausfinden, wohin wir gehören!"

Tulpan, die nun wieder auf die Beine kam, und Ruby sahen den jungen Hengst entsetzt an. Diamond Sky war schon immer etwas zu stolz auf seine Einhornidentität gewesen, aber was heute in ihn gefahren war, konnten sie nicht glauben. Vor allem schmerzte es Ruby, dass er über Primrose sprach als sei sie eine Verbrecherin, die sie ihren Eltern gestohlen hatte. Für sie war Primrose ihre Mutter, was auch immer geschah. Wut verzerrte ihr Gesicht, aber auch Traurigkeit und Enttäuschung.

"Dann geh doch nach Canterlot und frag Prinzessin Celestia, zu welchem Herzog du gehörst!", fuhr sie ihn an, breitete ihre Flügel aus und schoss über ihren Bruder hinweg. "Ruby!", rief Tulpan ihr nach während das Fohlen immer höher aufstieg. Vergessen waren die Ermahnungen ihrer Mutter. Sie war so wütend auf Diamond Sky, so entsetzlich wütend. Der Zorn trieb sie voran und sie flog immer schneller, einfach dem Himmel entgegen. Der Wind pfiff in ihren Ohren und zog an ihre Mähne. Jeder Flügelschlag schien sie weiter fort zu tragen von ihrer Wut sie bemerkte gar nicht, wie hoch sie bereits flog und wie schnell sie sich von ihrem Dorf entfernte.

Der Wind fuhr unter ihre Flügel und hob sie hoch wie zwei starke Arme. Als Ruby nun das erste Mal nach unten blickte, sah sie die Kronen der Bäume unter sich wie sonst die Büsche, über die sie hinwegsprang. So hoch war sie noch nie geflogen, doch seltsamerweise verspürte sie keine Angst. Sie fühlte sich leicht und sicher. Die Luftströmung trug sie und sie glitt ohne Mühe dahin wie ein Schiff auf dem Wasser.

Es war ein großartiges Gefühl, richtig zu fliegen. Viel besser, als einen Meter über dem Boden zu flattern oder im Segelflug vom Fensterbrett zu gleiten. Ruby lachte auf und ging in den Sturzflug, nur um knapp über den Baumkronen wieder aufzusteigen, höher dieses Mal. Sie flog einen Looping, eine Spirale, glitt auf dem Wind und schwang sich mit kräftigen Flügelschlägen noch höher. Sie galoppierte über den Himmel und schrie vor Freude darüber. Ruby hatte das Gefühl, ihre Flügel konnten sie überall hin tragen. Überall...

Sie blickte nach oben zu den Wolken. Ja! Ruby stieg höher und höher und mit einem Triumphschrei durchstieß sie eine der Wolken. Einen Moment lang schwebte sie einfach, völlig eingenommen von dem Glücksgefühl. Über ihr war nur weiter, blauer Himmel und die alles überstrahlende Sonne. Die Wolken verdeckten den Blick auf den Boden beinah ganz, sodass es aussah, als bestünde die Welt nur aus dem klaren Blau des Himmels.

"Da hat ja jemand Spaß..." Erschrocken über die Stimme vergaß Ruby mit den Flügeln zu schlagen und landete bäuchlings auf einer Wolke. Erstaunt darüber blickte sie auf. Die Wolke trug sie. Natürlich trug die Wolke sie - Pegasusponys konnten auf Wolken laufen - doch es war für sie das erste Mal, dass sie so hoch oben war. Ruby stand auf und hüpfte. Sie stand auf einer Wolke! Wenn sie das ihrer Mutter erzählte! Das kleine Pony kicherte.

Neben ihr bewegte sich etwas und Ruby fiel die fremde Stimme wieder ein, die sie erst auf die Wolke gebracht hatte. Auf der Wolke zu ihrer rechten lag ein Geschöpf, wie sie es noch nie gesehen hatte. Es war groß - viel größer als ein Pony - und hatte einen Kopf wie ein Vogel und riesige Flügel, doch sein Körper hatte nur wenig von einem Vogel.

Das Wesen ließ ein kehliges Kichern hören und Ruby wurde bewusst, dass sie es angestarrt hatte. Beschämt senkte sie den Blick. "Ähm.... Guten Tag", stammelte das kleine Pony und das Wesen erhob sich. "Guten Tag, Pegasus", erwiderte die Kreatur und ihr Blick glitt zu Rubys Horn, "Mit... Horn. Was macht denn ein kleines Alicorn hier in so einer verlassenen Gegend?"

Ruby schüttelte entschieden den Kopf. "Ich bin kein Alicorn", widersprach sie, "Ich bin ein Pegasus. Ich habe nur zufällig ein Horn. Aber... ich bin nicht sehr gut im Zaubern... " Das Wesen sah sie neugierig an. "Ah... Ich verstehe. Nun gut, Pegasus mit nichtmagischem Horn, wie heißt du denn?" "Ich bin Ruby Fire", erwiderte sie, "Aber alle nennen mich nur Ruby. Und... was - äh, wer bist du?"

Das Wesen lachte. "Ich bin Anzu und ich bin ein Greif", erwiderte es. Ruby blieb der Mund offen stehen. Von Greifen hatte sie gehört, doch sie hatte noch nie einen gesehen. Der Greif war wirklich imposant. Die weißen Federn am Kopf schienen beinah zu funkeln und der goldbraune Ton seines Fells und der übrigen Federn war nicht minder schön anzusehen. Das Geschöpf wirkte ausgesprochen edel auf sie. Ihr gelbes Fell und die rote Mähne kamen ihr dagegen langweilig und simpel vor.

Anzu musterte sie weiterhin. "Machst du einen Ausflug ohne deine Eltern?" Ruby schüttelte den Kopf. Einen Ausflug konnte man es nicht nennen. Der Streit mit Diamond Sky fiel ihr wieder ein und das Hochgefühl von eben verschwand nun gänzlich. "Nein, ich... Ich habe mich mit meinem Bruder gestritten und musste einfach... irgendwie weg."

Anzu nickte verstehend. "So, so... Aber Geschwister streiten sich schon mal, das ist nicht ungewöhnlich. Was hat er denn getan, dass du so wütend auf ihn geworden bist?" Ruby setze sich auf die Wolke. "Er hat gemeine Dinge über Mama gesagt und dass wir nach Canterlot gehen und unseren Vater suchen sollten, weil wir ja soooo viel besser sind als Erdponys und die anderen Tiere hier. Er ist ein Idiot!"

Eine Weile schwieg der Greif, ehe er wieder das Wort an sie richtete. "Ist dein Bruder so wie du? Ein 'Pegasus mit Horn'?" Ruby schüttelte wieder den Kopf. "Nein, Diamond Sky ist ein Einhorn. Und er kann richtig gut zaubern... Er ist das einzige Einhorn hier im Dorf und hält sich für was Besseres deshalb. Als wäre Einhorn sein so etwas Besonderes!"

Anzus Schweif glitt langsam hin und her und er blickte hinauf zum blauen Himmel über ihnen. "Ich fürchte, in Canterlot würde dein Bruder die Antworten nicht finden, die er sucht", meinte er dann und erhob sich von seiner Wolke. Ruby sah ihn fragend an. "Wie meinst du das? In Canterlot gibt es doch viele Einhörner, oder nicht?" "Ja, das schon", erwiderte Anzu und breitete seine Flügel aus. Sie waren riesig, viel größer als die von Pegasusponys. "Canterlot und auch Equestria können euch sicher nicht die Antworten geben, außer vielleicht Prinzessin Celestia selbst."

Ruby stand nun ebenfalls auf und breitete ihre Flügel aus, bereit Anzu nachzufliegen, falls dieser nun abhob. "Aber... Wer kann sie dann geben?" Der Greif trat an den Rand der Wolke. "Iron Glance...", sagte er nur, "Geht in die andere Richtung und sucht nach Iron Glance. Er kann euch sicher einige Fragen beantworten. Nicht alle, aber einige."

Der Windstoß, welchen die Flügel des Greifen verursachten, fegte Ruby beinah von ihrer Wolke und sie kauerte sich zusammen. "In welche Richtung denn? Wo finden wir ihn?" Sie wollte Anzu folgen, doch der Greif flog viel schneller als sie gedacht hätte und sie hätte ihn niemals eingeholt. "Iron Glance...", wiederholte sie.

Am nächsten Morgen war Diamond Sky verschwunden.



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