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Der Sohn von Gin Teil 2

von

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Du schaffst das

Am Tag darauf packte ich ein paar Sachen von mir, ließ allerdings einiges zurück, in der Hoffnung sie in sechs Wochen wiederzusehen. Dann machten wir uns auf den Weg zum Jugendamt.
 

Im Wagen sah Shinichi zu mir nach hinten. „Ist alles okay bei dir?“, fragte er besorgt. Im Rückspiegel hatte er sicher meinen traurigen Gesichtsausdruck gesehen und das Zittern meiner Hände. „Ich will nicht zu ihm.“ flüsterte ich. „Ich weiß. Aber uns bleibt keine Wahl. Zumindest für die nächsten sechs Wochen.“

„A..... aber was denken sich diese Leute? Sie schicken mich zu einem Mann, der seine Frau und seine Söhne jahrelang geschlagen hat. Was sind das für Menschen? Das ist doch verdammt scheiße, echt mal.“ Shinichi stimmte mir zu: „Ja, aber bitte hör auf so zu reden.“ Ich nickte. Ich wusste ja Bescheid, dass er und Ran es nicht leiden konnten, wenn ich so redete. Aber manchmal rutschte es mir wie jedem Jugendlichen raus. „Sag mal Shin,“ unterbrach mich Shinichi: „Was ist eigentlich mit deiner Oma? Ich habe noch nie etwas von ihr gehört. Auch beim Jugendamt hat man nichts über sie gesagt.“

„Ich weiß nicht. Papa hat nicht viel von ihr erzählt. Sie ist ausgezogen, als er zehn war, weil sie meinen Opa nicht mehr ertragen konnte. Er hat sie sehr leiden lassen. Sie hat Papa und Onkel Wodka immer beschützt, deshalb konnten sie nie verstehen, warum sie sie alleine bei diesem Kerl gelassen hat. Jedenfalls hat sie sich nie mehr gemeldet.“

„Ach so.“
 

Den Rest der Fahrt über war es still. Niemand sagte mehr was, besonders Ran nicht. Sie hatte nicht mehr geredet, seitdem wir das Haus verlassen hatten. Die Anspannung wuchs. Mir war noch nie so schlecht auf einer Autofahrt wie heute.
 

Im Jugendamt machten wir uns sofort auf in den vierten Stock. Ran und ich liefen Hand in Hand voraus, während Shinichi mein Gepäck trug. ‚Ich will nicht,‘ ging es mir immer wieder durch den Kopf. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre davon gelaufen. Doch ich wusste, dass das nichts bringen würde. Shinichi und Ran hätten sicher keine Chance mehr mich wieder zu bekommen, wenn ich mich wehren würde. Also nahm ich es so hin. Was waren schon sechs Wochen bei meinem Großvater, bei dem mein Vater vierzehn Jahre lang gelebt hatte? Und schlimmer als bei Daiki konnte es auch nicht werden. Außerdem konnte ich Ran und Shinichi ja jederzeit nach der Schule besuchen.
 

Wir setzten uns auf die Stühle im Wartebereich, als eine Mitarbeiterin auf uns zukam. Es war Frau Sadako. „Hallo Familie Kudo.“ Sie reichte Shinichi und Ran die Hand, dann wandte sie sich an mich: „Du musst Shin sein. Schön dich kennen zu lernen. Ich bin Frau Sadako und werde gleich dabei sein, wenn dein Opa kommt und dich abholt.“ Ich nickte und sah sie mit einem leicht wütenden Gesichtsausdruck an: „Warum werde ich eigentlich nicht gefragt, ob ich das auch will?“ Etwas überrascht sah sie mich an: „Naja, du bist noch viel zu jung, um das zu entscheiden.“

„Nein das bin ich nicht! Und ich will nicht zu diesem Kerl!“

„Kleiner, er ist doch dein Opa. Und er hat dich gerne bei sich. Das ist doch schön.“

„Nein, ist es nicht. Ich kenne ihn noch nicht einmal.“

„Na, dann lernst du ihn gleich kennen.“ Die Frau schien nicht begeistert von meinen Aussagen. Ich wollte noch etwas erwidern, doch sie ließ mich nicht ausreden. „Ich muss mal eben weg.“, sagte sie und verschwand. Ich glaubte ihr kein Wort. Sie wollte mir doch nur aus dem Weg gehen, weil sie sich nicht eingestehen konnte, dass sie mir Leid zufügte und gar nicht im Sinne des Kindes entschieden hatte, wie es eigentlich ihr Job war.
 

„Das hast du gut gemacht.“, lächelte Ran mich an: „Die Frau wusste schon gar nicht mehr was sie sagen soll.“ Ich grinste: „Ja, stimmt.“ Doch dann ließ ich wieder den Kopf hängen. „Shin.“, flüsterte Ran mir zu: „Wir schaffen das. Du musst nur für ein paar Wochen bei deinem Opa durchhalten und dann holen Shinichi und ich dich zu uns zurück. Ganz sicher. Wir sind jetzt eine Familie.“ Ran wollte mich beruhigen, doch ich nickt einfach stumm und betrübt. Mir war immer noch unwohl.
 

Eine halbe Stunde mussten wir warten, bis ein großer, blonder Mann auf uns zukam. Er musste einfach mein Großvater sein, denn irgendwie sah er meinem Vater ziemlich ähnlich. Sie beide waren gleich groß, hatten die gleiche Haarfarbe, nur dass mein Opa blaue Augen hatte. Er kam auf uns zu und, wie auf Kommando, ließ sich auch Frau Sadako wieder blicken. „Herr Kado. Schön Sie zu sehen.“

„Guten Tag.“

„Nun, dann wollen wir mal.“, sprach die Frau und sah mich ernst an. Shinichi, Ran und ich standen auf. Mein Opa kam auf mich zu, ging in die Hocke, um mit mir auf Augenhöhe zu sein und sprach mich an: „Hallo Shin. Ich bin dein Großvater. Du kannst dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern, weil du erst drei warst. Aber ich freue mich sehr, dass du endlich bei mir wohnen kannst. Du dich nicht auch?“ Erstaunt sah ich ihn an. Er schien ganz nett. Aber bei den ganzen Perversen, die mich immer gemietet hatten, war es genauso. Erst waren sie nett und dann wurden sie zu Bestien. „Hallo Opa. Ja, ich weiß noch wer du bist.“ Er nickte, richtete sich wieder auf und sah zu Frau Sadako, die ihm nun das Zeichen gab, mich mitzunehmen. „Es wird Zeit.“ Bedrückt sah ich zu Ran und Shinichi. Ich lief zu ihnen und ließ mich von beiden umarmen.

Auch mein Großvater wandte sich an meine Zieheltern: „Danke, dass Sie meinen Enkel von der Straße geholt und bei sich aufgenommen haben.“ Shinichi warf dem alten Mann einen herausfordernden Blick zu: „Selbstverständlich. Und der Kleine wird bald ganz sicher weiter bei uns wohnen.“

„Das werden wir sehen.“, gab mein Großvater siegessicher zurück. Ran streichelte mir über den Rücken und flüsterte: „Pass gut auf dich auf mein Schatz. Nicht mehr lange, dann bist du wieder bei uns. Versprochen. Halt nur solange aus.“ Ich nickte und fast kamen mir die Tränen. Dann gab mir Ran einen Kuss auf die Wange und auch Shinichi nahm mich noch einmal in den Arm. „Pass gut auf dich auf.“, sagte er nochmal. Dann übergab er meinem Opa meine Reisetasche: „Hier drin sind ein paar von Shins Sachen.“ Der alte Mann nahm die Tasche entgegen und lenkte seinen Blick zu mir: „Also, können wir dann los?“ Widerwillig nickte ich und folgte dem Vater meines Vaters. Ran und Shinichi begleiteten uns noch bis zum Ausgang. „Wir werden dich wiederbekommen, Shin. Keine Angst.“ redeten sie mir immer wieder zu und ich wurde wehmütig.
 

Als wir draußen waren schaute ich mich verwirrt um. „Gehen wir zu Fuß?“

„Ja, ich wohne gleich um die Ecke. In der selben Wohnung wie damals. Weißt du noch?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ist ja auch schon lange her.“
 

Den Rest des Weges liefen wir schweigend nebeneinander her. Es dauerte dreißig Minuten, dann kamen wir in einer alten, heruntergekommenen Gegend an. Vor einem Wohnhaus mit elf Parteien machten wir Halt.
 

„So, hier wohne ich und du ab jetzt auch.“ Ich nickte, blieb aber stumm. Wir liefen in den zweiten Stock, Opa schloss die Wohnungstür auf und wir traten ein. Dort zogen wir uns unsere Schuhe aus und liefen ins Wohnzimmer, wo Opa meine Tasche ablegte. Der kleine Raum kam mir bekannt vor. Langsam erinnerte ich mich wieder an einiges. „Komm, ich zeig dir alles.“, sagte er zu mir.
 

Zuerst gingen wir in die Küche. Sie war klein, alt, aber ausreichend. Einzig der Dreck störte mich so ziemlich. Danach kamen wir ins Badezimmer. Auch dieses war klein und dreckig. Sein Schlafzimmer hingegen fiel etwas größer aus. Ein Bett und ein Schrank hatten Platz, aber aufgeräumt war es auch hier nicht. Als letztes kam mein Zimmer an die Reihe. Der Raum war wieder etwas kleiner, aber er bot Raum für zwei Betten und Schränke. Alle Möbel waren alt, das sah man ihnen deutlich an. „Dies war mal das Zimmer von deinem Vater und deinem Onkel. Es sieht noch genauso aus wie früher.“, erzählte mein Opa.
 

Es war ein komisches Gefühl in dem Raum zu stehen, in dem Papa und mein Onkel aufgewachsen sind. Aber es gab mir ein wenig Kraft mich mit den alten Möbeln zu arrangieren. Dann liefen Opa und ich zurück ins Wohnzimmer und setzten uns auf die Couch. „Möchtest du etwas trinken?“

„Nein, danke.“

„Na dann erzähl doch mal was über dich.“

„Okay.“ gab ich schüchtern zurück: „Also ich bin dreizehn und gehe auf die Tajaten Schule. Ich mache gerne etwas mit meinen Freunden. Und du?“

„Ich mache nicht viel mein Junge. Ich habe keine Arbeit und bin die meiste Zeit zu Hause. Ab und zu treffe ich ein paar alte Kumpels und wir gehen in eine Bar.“

„Aha.“ Ich sah mich um. Im Raum standen ein paar leere Flaschen Bier. Er war also immer noch ein Säufer. Hoffentlich schlief er sofort ein, wenn er betrunken war. „Du, Opa?“, fragte ich: „Trinkst du?“

„Was soll denn die Frage jetzt?“, zischte er mich an. „Ich frag ja nur, musst ja nicht gleich sauer werden.“, gab ich zurück. „Du bist ganz schön frech, Kleiner. Dein Vater hat dir wohl viel zu viel durchgehen lassen. Aber das kann ich ändern.“ Ich sagte nichts dazu und stand auf. „Ich gehe in mein Zimmer.“

„Gut mach das. Nimm deine Tasche mit! Und in meinem Schlafzimmer gibt es Bettzeug. Musst du selber draufmachen.“ Ich nickte und tat was ich zu tun hatte.
 

Nach einer Weile sah ich mich im Zimmer um. Es waren noch so viele Sachen da, Bücher, Spielzeug. Mein Blick fiel auf Papas Schultasche. Ich machte sie auf und sah hinein. Ein altes Heft erhaschte meine Aufmerksamkeit. Ich öffnete es und mir sprang gleich seine schöne Schrift ins Auge. Sie war viel sauberer als meine. Auch seine Klassenarbeiten waren überraschend gut. Schlechteste Note eine Vier. Dagegen war ich wohl ziemlich schlecht, aber ich hatte ja auch keine Chance.
 

Ich stand wieder auf und ging ins Wohnzimmer. Mein Opa saß mit einer Flasche in der Hand vorm Fernseher. Na das fing ja mal gut an. „Hast du Hunger, Kleiner?“, fragte er mich. „Ähm, ja. Schon.“

„Okay. Schieb dir eine Pizza in den Ofen. Das kannst du ja sicher, oder?“

„Klar.“
 

So lief ich in die Küche, holte mir eine Tiefkühlpizza aus dem Schrank und machte den Ofen auf. Wie zu erwarten, war auch dieser alles andere als sauber. Ich seufzte, machte den gröbsten Dreck weg und schob die Pizza hinein. Morgen würde ich sicher alles mal aufräumen, ansonsten könnte ich hier nichts mehr anfassen. Zum Glück war die nächsten Tage schulfrei, sonst würde das alles nie fertig werden.
 

Während ich auf die Pizza wartete, setzte ich mich wieder ins Wohnzimmer. „Du, Opa?“

„Was ist?“ kam es genervt zurück. „Ich werde hier morgen mal ein bisschen aufräumen, wenn das okay für dich ist.“

„Ja mach das.“

„Okay ähm. Hast du überhaupt Putzsachen da?“ Die Frage musste ich stellen, denn ich bezweifelte es. Widererwarten antwortete mein Großvater allerdings positiv: „Ja, unten im Schrank.“
 

Ich setzte mich auf die Couch und sah ein bisschen fern. Auch als meine Pizza fertig war gesellte ich mich wieder zu meinem Großvater, neben dem schon drei leere Flaschen Bier standen. Der Alte war ja schon gut dabei. „Wann musst du wieder in die Schule?“, fragte er mich. „Am Montag.“

„Aha. Dann sieh zu, dass du immer direkt nach dem Unterricht hier her kommst, ist das klar?“

„Und was ist, wenn Freunde sich mit mir treffen wollen?“

„Das machst du erst mal nicht. Ich möchte, dass du immer schön brav und pünktlich hier bist. Und Junge, du machst besser was ich dir sage, klar?“

„Na toll und was soll das sein? Dir ein Bier nach dem anderen zu besorgen, damit du dich noch weiter vollsaufen kannst?“

„Wie war das?“
 

In dem Moment bereute ich bereits was ich gesagt hatte. Ich sollte mich mal im Kopf untersuchen lassen. Was fiel mir ein jetzt frech zu werden? Dass ich auch immer den Mund zu weit aufmachen musste! Jetzt hatte ich den Salat. Mein Opa stand auf und verpasste mir eine schallende Ohrfeige. Er war verdammt wütend. Zum Glück tat es nicht so weh. „Dein Vater hat dich kein bisschen erzogen. Aber was will man von dem Bengel auch schon erwarten? Aber hier, mein Junge, läuft es anders. Du wirst schon bald wissen was du besser nicht machen solltest.“ Ich nickte einfach geschockt. Er war genauso schlimm wie ich ihn mir vorgestellt hatte. „So. Und nun entschuldige dich.“ Ich schluckte. Wenn es denn sein musste. „Okay. Entschuldigung. Kommt nicht wieder vor.“, sagte ich leise. „Gut. Und jetzt ab in dein Zimmer! Kleine Kinder sollten um diese Uhrzeit schlafen.“ Ich nickte und lief in mein Zimmer, wo ich mich bis auf die Boxershorts auszog und mich aufs Bett legte. Duschen würde ich garantiert erst nachdem ich alles sauber gemacht hatte.
 

Eine Stunde brauchte ich noch, um einzuschlafen. Meine Gedanken waren einfach zu sehr belastet von meinem Tagesablauf. Ich vermisste Shinichi und Ran. Und mein Großvater hatte mir gleich am ersten Tag eine Ohrfeige verpasst. Bei ihm musste ich mich wohl ganz schön zurückhalten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und einen großen Dank an meine Beta.^^ Komplett anzeigen

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