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Raven Southmore

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Fünf

„Eine Kröte!“, quietschte ich auf und versteckte mich hinter Cecily. Diese begann leise zu Lachen. „Nein, nur Mrs. Peripura. Sie unterrichtet Sprachen und Zauberei.“

„Zauberei gibt’s doch gar nicht.“, sprach mein Mund bevor mein Gehirn Stopp rufen konnte.

„Du wirst sehen, dass es sie gibt.“, lächelte Shane und begrüßte die schrumpelige Frau. „Guten Morgen Mrs. Peripura.“

Die schrullige Frau rümpfte die fette Nase und blickte ihn durch ihre Fischaugen schräg an. „Einen guten Morgen wünsche ich, Mr. Bourié.“

„Bourié?“, flüsterte ich Cecily zu und sie antwortete mir leise: „Er ist Franzose.“

„Du auch?“

„Sag mal, spinnst du? Ich komm aus Wales. Habe nur mal ne Zeit in Frankreich gelebt.“, entgegnete sie und blickte mich wissend an. „Und du?“

„England.“, gab ich zurück.

„Und das ist die Zwanzigste?“, fragte Mrs. Peripura und blickte mich an. Ich zuckte zusammen und zwang mich, ihr ins Gesicht zu sehen.

Die Frau hatte kurze grünblonde gekräuselte Haare, die unter einem Kopftuch hervorlugten. Ihre großen Augen waren milchig trüb und die eine Iris Schneeweiß – die andere grüngrau. Ihre Hautfarbe wirkte ungesund. Sie war Oliv aber auch irgendwie grün. Und überall mit großen Warzen versehen. In dicken Hautlappen fiel sie über ihre Gewänder, die in den verschiedensten Farben leuchteten. Sie trug keine Schuhe und ich sah die vielen Haarstoppeln auf ihren Füßen. Irgendwie wirkte die Lehrerin durch und durch wie eine riesige Kröte. Würde ich wohl, wenn ich sie anfasste, Schleim auf der Hand haben?

Bei dem Gedanken gruselte es mich ein wenig. Irgendwie sah die Frau total unnatürlich und schräg aus. Wie eine menschgewordene Kröte.

„Wie ist dein Name?“, fragte mich die Frau und ich verschluckte mich bei meiner Antwort fast. „Raven Southmore.“

„Ach, die kleine Southmore.“, quiekte die Lehrerin und klatschte vor Begeisterung in die Hände. „Mr. Purrey hatte mich schon davon in Kenntnis gesetzt, dass die Tochter von Aenna hier sein würde – Clementina Raven Anna Southmore!“

„Clementina?“, lachte Cecily schallend los, doch Shane schlug ihr seinen Ellenbogen in die Seite.

„Ich freue mich schon auf ihr magisches Talent, Miss Southmore.“, grunzte die Lehrerin und ging an uns vorbei.

Meine Beine zitterten und ich sank zu Boden. Diese Frau war zu viel für mich gewesen.

„Raven, alles okay?“, fragte Shane mich besorgt und half mir auf die zittrigen Beine.

„Ja ich glaube schon. Nur… diese Frau und die Tatsache, dass ich kein magisches Talent habe…“, meinte ich.

„Mach dir mal nicht in die Hose.“, meinte Cecily und klopfte mir auf die Schulter. „Wir besorgen dir erst einmal deinen Stundenplan und dann schauen wir weiter, okay?“

Ich nickte und blickte die beiden an. „Wisst ihr was mich wundert? Dass jemand tatsächlich diese Krötenfrau geheiratet hat.“

Die beiden brachen in schallendes Gelächter aus und zusammen betraten wir den Luftturm. Von dort aus stiegen wir unzählige Treppen hoch.

„Sind hier eigentlich immer so viele Treppen?“, stöhnte ich als wir endlich auf einen weißen Flur traten.

„Leider – aber man gewöhnt sich schnell daran.“, meinte Shane und klopfte an eine Tür. Nach einem „Herein.“ öffnete er diese und wir traten ein. Das Zimmer war in hellen Erdtönen gehalten und von blauen Accessoires geprägt. An der einen Seite stand ein großer Tisch, vor dem eine Frau saß.

„Ah, Mr. Bourié, Miss Fox.“, trällerte die junge Frau und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie hatte lange weißblonde Haare und hellblaue Augen. Ihre Haut war ebenfalls sehr hell und ließ die rötlichen Sommersprossen auf ihrem Gesicht leuchten.

„Seid ihr dieses Jahr endlich hier? Die Strähnen stehen dir, Shane.“

„Ja, Ms. Trivia. Und danke.“, antwortete Shane und grinste verschmitzt.

„Cecily, wild wie immer, nehme ich an?“, lachte Ms. Trivia und Cecily erwiderte ihr Lachen.

„Und wen haben wir hier?“, fragte die junge Frau und wandte sich mir zu.

„Ich heiße Raven Southmore.“, antwortete ich ihr.

„Freut mich, Raven Southmore.“, grinste sie und steckte mich mit ihrer unbekümmerten, fröhlichen Art an. „Ich heiße Maylin Trivia, Lehrerin für Tier- und Pflanzenkunde. Magierin der Linie.“

Ich nickte nur. Irgendwie kam es mir immer noch ein wenig unglaublich vor. Die Magie und all das.

„Ms. Trivia, wir brauchen einen Stundenplan für Raven. Sie ist erst gestern hier angekommen und hat noch keinen erhalten.“, sprach Shane und die junge Frau nickte zustimmend.

„Ich werde sofort einen erstellen.“, sagte sie und setzte sich wieder an ihren Tisch. Dann wischte sie mit ihrer Hand durch die Luft und eine Fläche aus Wasser tauchte hinter ihrer Hand auf. Mitten in der Luft.

„Wow…“, murmelte ich und blickte der Lehrerin gebannt zu.

Sie fuhr mit ihrer Hand über das ebene Holz des Tisches und auch dort entstand eine magische Wasserpfütze. Dann wandte sie sich wieder mir zu.

„Raven, hast du schon deinen elementaren Bezug gefunden?“

„Meinen was?“, fragte ich verdattert, doch Cecily übersetzte. „Dein Element.“

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Um genau zu sein – ich wusste bis vor ein paar Minuten noch gar nichts über Magie und das alles hier.“

„Wenn das so ist…“, sagte die Lehrerin und begann mit ihren schlanken Fingern auf der Pfütze auf dem Tisch zu tippen. Die Wasserlache in der Luft vor ihr begann leicht zu leuchten, doch die Lehrerin kümmerte es nicht. 

Nach einer Weile blickte sie hoch und lächelte mich an. „Ich habe dich erst einmal für den Grundunterricht eingetragen. Möchtest du noch ein Wahlfach wählen?“

„Wahlfach?“

„Du musst wissen, wir teilen die Schüler nach ihren elementarischen Begabungen ein. Es gibt jedoch auch Fächer, an denen jeder teilnehmen muss.“, erklärte die junge Lehrerin.

„Ich verstehe…“, meinte ich und nickte. „Kann ich auch später noch an anderen Fächern teilnehmen?“

„Natürlich. Sag mir dann einfach Bescheid, okay?“, lächelte Ms. Trivia und drückte mit dem Ringfinger wieder in die Wasserpfütze. Augenblicklicht fiel die fliegende Pfütze auf die andere herab und sie begannen sich umzuformen. Nahmen eine rechteckige Form an.

Nach wenigen Sekunden war das Wasser verschwunden und zu einem stabilen Blatt Papier geworden. Ms. Trivia nahm es in die Hand und reichte es mir. „Dein Stundenplan.“

Ich nahm das Blatt dankend an und wir verabschiedeten uns von der jungen Lehrerin. Wieder auf dem Flur betrachtete ich erstmals den Stundenplan. Es standen nur fünf verschiedene Fächer darauf und alle waren mir irgendwie fremd. Sprachen. Zauberei. Tränke. Überlebenstraining. Verteidigung durch Magie.

Die Fächer waren auf fünf Tage verteilt und ich hatte viele Freistunden zwischen den Fächern.

„Das liegt daran, dass du keine Wahlfächer oder auch elementarisch bedingte Pflichtfächer hast.“, erklärte mir Shane. „Ich muss zum Beispiel auch noch an Pflanzenkunde teilnehmen, weil ich das Element Erde kontrollieren kann.“

„Du meinst wohl kontrollieren können solltest.“, grinste Cecily und lief vor uns die Treppen herunter.

Wir folgten ihr und traten auf den Innenhof des Neria-Internats. Was mir bisher noch nie aufgefallen war, war ein goldenes Ziffernblatt am Hauptgebäude. Es schimmerte im Licht der Sonne.

„Oh verdammt. Schon fast neun!“, zischte Cecily und blickte Shane an. Dann wandte sie sich zu mir. „Raven, du hast jetzt eine Freistunde oder?“

Ich blickte kurz auf meinen Stundenplan und bestätigte das Mädchen.

„Shane und ich haben jetzt Pflanzenkunde. Pflichtfach für Erde und Wasser.“, sagte sie hastig. „Wir holen dich um 10 Uhr wieder hier ab, okay?“

Ich blinzelte und meinte: „Okay.“

Die beiden verabschiedeten sich von mir und verschwanden wieder den Luftturm hoch.

Alleine fand ich es hier unten irgendwie langweilig. Also beschloss ich mir ein wenig das Internat anzugucken. Es war wirklich größer als ich erwartet hatte.

Mir fiel auf, dass jeder der Türme sein Element in die Steine eingraviert hatte. Außer dem Nullturm, der hatte kein Element.

Ich blickte den großen steinernen Turm an und überlegte, warum eins der Elemente vergessen worden sein konnte.

„Aus dem Weg!“, hörte ich einen Jungen schreien und wurde kurz darauf ins Gras geworfen. Hart prallte ich auf dem Boden auf.

„Aua…“, stöhnte ich und fasste mir an den Kopf.

Nachdem sich meine Sicht wieder geklärt hatte, blickte ich zu dem hoch, der mich umgeworfen hatte. Es war ein Junge mit braunen Haaren und haselnussbraunen Augen, der mich gar nicht beachtete. Langsam rappelte ich mich vom Boden auf und blickte ihn an. „Was sollte das denn?!“

Er blickte mich an. „Was sollte was?“

„Du hast mich voll umgeworfen!“, fuhr ich ihn an.

Der Junge zuckte mit den Schultern. „Warst halt im Weg.“

„Z, hier kommt der nächste!“, rief da ein anderer Junge und warf einen flammenden Ball auf mich zu.

„Voll daneben, Alex.“, rief der Junge neben mir und warf einen Ball aus Wasser auf den Flammenball. Beim Kontakt zischten beide Bälle auf und verdampften.

Meine Beine zitterten wieder und drohten wegzuknicken.

„Der Typ hat gerade einen Feuerball auf mich geworfen.“, wisperte ich fassungslos.

„Jetzt heul nicht rum.“, brummte der Junge mit den braunen Haaren und drehte sich mit dem kleinen Finger im Ohr herum.

„Ich heule gar nicht!“, zischte ich ihn an und ging einen Schritt auf ihn zu.

„Lauf mir nicht im Weg rum, Kleine!“, schnauzte der Junge mich an und wehrte wieder ein fliegendes Feuergeschoss ab.

„Nenn mich nicht Kleine!“, brummte ich. „Du bist nicht viel größer als ich! Außerdem heiße ich Raven, nicht Kleine.“

„Raven?“, fragte er und blickte mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Wie Rabe?“

„Ich… ähh…“, begann ich doch er fing bereits an zu lachen.

„Ernsthaft? Rabe? Noch kreativloser geht es doch gar nicht! Bist wahrscheinlich ein Rabenkind, was?“

„Hey, Z. Was gibt es denn zu lachen?“, rief der andere Junge und kam auf uns zugelaufen. Er hatte leuchtend orange Haare, die ihm wild ums Gesicht flogen. Irgendwie erinnerten sie mich dabei an ein wütendes Feuer. Leicht außer Atem kam er vor uns zum Halten und blickte unschlüssig zwischen mir und dem Lachsack von Jungen her. „What’s up, Z?“

Der Angesprochene wischte sich ein paar Lachtränen aus dem Gesicht und blickte den anderen an. 

„Alex, du glaubst es nicht. Ihre Eltern waren total kreativ bei der Namensgebung.“, prustete er.

„Ach tu mir bitte den Gefallen und verschluck dich an deinem albernen Gegacker!“, schrie ich den lachenden Jungen an und machte auf dem Absatz kehrt.

Noch lange klang sein Gelächter in meinen Ohren nach. Auch noch, als ich die Mauern Nerias verließ und auf den kleinen Hügel mit dem Verbindungstor zumarschierte. 

„Blöder, verdammter Idiot!“, murmelte ich und ließ mich in das weiche Gras fallen. „Hoffentlich verreckst du an deinem Lachen.“

Weiße Wolken zogen über mir am hellblauen Himmel entlang. Schon komisch wie normal der Himmel hier aussah. Wie der in der nichtmagischen Welt.

Ich sog den Duft des Grases unter mir ein. Selbst das roch wie das zu  Hause – nur ein wenig intensiver. Meine Finger schlossen sich um den Stängel eines großen Gänseblümchens und ich zerriss ihn. Die kleine Blume hielt ich mir über mein Gesicht und betrachtete sie.

Die Mitte war leuchtend gelb und von Blütenstaub überfüllt. Die Blätter hatten die Farbe von Schnee. Frischem Schnee, der in der Morgensonne glitzerte.

„Raven?“

Ich schrak hoch, als plötzlich jemand neben mir im Gras auftauchte. Erschrocken blickte ich in die goldbraunen Augen Dr. Purreys. Der alte Direktor blickte mich freundlich an und lächelte.

„Habe ich dich erschreckt?“

Eilig schüttelte ich den Kopf und der Direktor begann zu lachen. Dann streckte er sich und legte sich dann rücklings auf den kleinen Hügel. „Ein schöner Tag, nicht?“

„J-ja, Herr Direktor.“, gab ich zurück und betrachtete den Mann unschlüssig.

Krieg ich jetzt Ärger, weil ich außerhalb Nerias bin?, fragte sich meine Kopfstimme.

„Du fragst dich bestimmt gerade ob du Ärger bekommst, nicht?“, lächelte der alte Mann mich an.

Verwirrt blickte ich ihn an. „Können Sie Gedanken lesen?“

Dr. Purrey lachte herzlich auf. „Aber mitnichten! Doch so denken alle Schüler, sobald sie die Mauern verlassen.“ Dann unterbrach er sich und blickte mich ernst an. „Hast du dich hier schon ein wenig einleben können?“

Mein Blick fixierte wieder das kleine Gänseblümchen zwischen meinen Fingern. Ich nickte.

„Also die ganze Sache mit der Magie verwirrt mich noch sehr, doch meine Mitbewohnerin Cecily scheint sehr nett zu sein.“, antwortete ich ihm und er nickte.

„Cecily Fox, die halbe Wassernymphe. Sie ist ein herzensgutes Wesen, doch manchmal ein wenig aufbrausend.“, lachte der Direktor. „An die Sache mit der Magie wirst du dich aber bald gewöhnen.“

„Herr Direktor?“

„Ja?“

„Wieso haben Sie mir ein Stipendium gegeben?“, fragte ich ihn. Eine der Fragen, die mir auf der Seele brannten.

„Ich weiß nicht, ob du es bereits weißt, Raven“, begann der alte Mann und blickte mich mit seinen goldbraunen Augen an. „aber deine Mutter, Aenna, war ein Magienutzer. Um genau zu sein ein Magienutzer des Dreiecks. Du weißt doch, was dies bedeutet? Des Dreiecks, meine ich.“

Ich nickte. „Das ist die Klassenbezeichnung. Hat irgendetwas mit der Elementkontrolle zu tun.“

„Richtig, richtig. Jedenfalls, deine Mutter war eine Magienutzerin. Dein Vater nicht. Doch sie zeugten dich und somit bist du höchst wahrscheinlich auch ein Magienutzer. Zumindest fließt Magie durch deine Adern.“

„Aber ich kann nichts mit Elementen anfangen!“, meinte ich und blickte wieder auf das kleine Gänseblümchen. Drehte es zwischen meinen Fingern umher.

„Weißt du, als ich vor 238 Jahren an diese Schule kam, da hatte ich auch noch keine Kontrolle über ein Einziges der Elemente.“, entgegnete der Direktor nachdenklich. „Erst mit der Zeit habe ich meine Elemente kennengelernt. In schwierigen sowie einfachen Zeiten. Und nun kann ich jedes Element kontrollieren.“

„Also könnte ich, wenn ich lange genug noch warte, auch ein Element kontrollieren?“, fragte ich begeistert.

„Aber natürlich!“, lächelte der Direktor und nahm mir das Gänseblümchen aus der Hand. „Leben geben und Leben nehmen – das ist der Kreislauf der Elemente. Die Erde gibt Leben, wenn Luft und Wasser ihr helfen. Das Feuer unterstützt dies durch seine Wärme.“

Der Direktor fasste den Stängel der Blume vorsichtig an und hielt diese leicht über den Wiesenboden. „Oft wird das Feuer als zerstörerische Kraft angesehen, doch es wird vergessen, dass wir alle aus einem Gleichgewicht der Elemente geboren werden.“

Das Ende des Stängels begann zu keimen und er wuchs. Er wuchs, bis er den erdigen Boden berührte und dann schlug er im lockeren Boden Wurzeln. Als Dr. Purrey den Stängel losließ stand dort ein kleines Gänseblümchen. Munter und froh – nichts erinnerte daran, wie ich den Stängel zerrissen hatte.

„Du darfst niemals vergessen, dass alle Elemente zusammen Leben schaffen, sie einzeln es aber nehmen werden.“

Ich blickte den Direktor fragend an. Warum er mir das erzählte wusste ich nicht. Doch er lächelte mich freundlich an. Meine Gedanken schweiften durch das von ihm Erzählte und ich musste stutzen.

„Herr Direktor?“

„Ja?“

„Sagten Sie, Sie wären vor 238 Jahren an das Neria-Internat gekommen?“, fragte ich etwas verwirrt.

„Das stimmt. Damals war ich noch süße 17 Jahre jung.“, schwärmte der alte Mann.

„Moment – dann sind Sie 255 Jahre alt?!“

„Habe mich gut gehalten, nicht wahr?“, lachte der Direktor und fuhr sich durch das leicht schüttere Haar.

Wieder nickte ich. „Ich habe sie für so um die 60 gehalten.“

Der Direktor fing wieder an zu lachen und erhob sich vom Gras. „Wir sollten zurückgehen, meinst du nicht? Immerhin beginnt gleich die zweite Stunde.“

Er deutete auf das große goldene Ziffernblatt am Hauptgebäude, welches von hier aus gut zu sehen war. Der große Zeiger lag auf der Elf und der kleine fast auf der Zehn.

Ich sprang auf die Füße und richtete meinen Rock. Der Direktor lächelte gutmütig und zusammen gingen wir den Hügel herab, durch das Tor in den Innenhof Nerias.

„Wo warst du denn, Raven?“, ertönte Cecilys Stimme und ich sah eine blaue Haarpracht auf mich zu rennen. Gleich dahinter ein schwarzblauer Wuschelkopf – Shane.

„Sorry. Ich war ein wenig außerhalb der Mauern.“, entgegnete ich. Das mit dem Idioten behielt ich lieber für mich.

„Wir müssen uns beeilen, Mr. Hayles wartet nicht gerne.“, meinte Shane und zog mich zu einer kleinen Gruppe von Schülern. Cecily trottete langsam hinter uns her und brummte Sachen von „elendiger Giftmischer“ oder „Krüppelgeschmack“.

„Was hat Cecily eigentlich gegen Travor?“, flüsterte ich Shane zu.

Er versicherte sich, dass das Mädchen von ihren Beleidigungen gegenüber dem verhassten Lehrer abgelenkt war und beugte sich leicht zu mir. „Er nennt sie immer Nixe. Obwohl sie eine halbe Wassernymphe ist. Und das passt ihr nicht.“

„Was ist denn der Unterschied zwischen einer Nymphe und einer Nixe?“

„Nixen haben Fischschwänze. Wassernymphen aber auch Flügel.“, beantwortete Cecily meine Frage und blickte Shane finster an. „Elendiger Quacksalber.“

„Aber du hast doch weder das eine, noch das andere!“, entgegnete ich und lenkte sie so von dem Jungen ab.

„Na ja, den Fischschwanz habe ich nicht. Aber die Flügel schon.“, meinte Cecily erklärend und auf ihrem Rücken materialisierte sich ein wunderschönes Paar hellblauer Feenflügel. „Aber, da ich ja nur zur Hälfte eine Wassernymphe bin, kann ich sie durch einen Zauber verschwinden lassen.“

„Sie sind wunderschön!“, entfuhr es mir und das Mädchen lächelte.

„Danke.“, sagte sie und ließ ihre Flügel wieder verschwinden.

„Allerdings sieht sie damit aus wie eine Elfe – und nicht wie eine Wassernymphe.“, meinte Shane und er hatte wieder eine lehrerhafte Art an sich. „Nur ihre Haarfarbe stimmt nicht. Elfen haben niemals blaue Haare.“

„Kann ich was dafür, Klugscheißer?“, maulte Cecily ihn an und hakte sich bei mir unter. Dann zog sie mich von ihm weg – zwischen die Schülergruppe.

„Gibt es hier viele… wie dich?“, fragte ich und sprach die letzten Worte leiser aus.

„Man nennt Wesen wie mich Demiwesen – oder kurz Demis.“, meinte Cecily. „Und manchmal kommt es vor, dass sich ein magisches Wesen, also so etwas wie eine Elfe, in die normale Welt gelangt und sich dort verliebt. Oder sie wird vergewaltigt. Elfen sind so anfällig für Vergewaltigungen.“

Sie machte eine abwertende Bewegung und stieß dabei ein Mädchen mit langen roten Wellenhaaren an.

„Kannst du nicht aufpassen?!“, zischte das Mädchen und drehte sich zu Cecily und mir um. Ihre eiskalten blauen Augen fixierten erst mich, dann Cecily.

„Ach, der Blaufuchs?“, entgegnete sie spöttisch und lachte hell auf.

„Oh, Vorsicht Allison. Sonst stolperst du noch über dein Ego.“, erwiderte Cecily trocken und zog mich hinter sich her. Noch eine kleine Weile konnte ich das helle Lachen dieser Allison hinter mir hören.

„Wer war das?“, fragte ich und Cecily blickte mich aus ihren grünblauen Augen an. „Allison Gardener, eine Magienutzerin des Dreiecks. Elendige Drecksschlampe.“

„Miss Fox, bitte unterlassen Sie solch vulgäre Begriffe in meinem Unterricht.“

Erschrocken fuhr Cecily herum und blickte in die grünen Augen von Travor – Mr. Hayles.

„Entschuldigen Sie bitte, Mr. Hayles.“, presste Cecily zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Lehrer nickte leicht und schritt dann an uns vorbei, vor die Gruppe Schüler.

„Willkommen Schüler.“, ertönte Mr. Hayles Stimme und die Gruppe verstummte. „Wie Sie sicherlich von Ihrem Stundenplan entnommen haben, haben Sie jetzt Verteidigung durch Magie.“

Ich schluckte. Wenn Verteidigung durch Magie so etwas wie bei Harry Potter Verteidigung vor den dunklen Künsten war, dann hatte ich wirklich scheiß Karten.

Mr. Hayles marschierte wie ein stolzer Gockel vor uns herum und betrachtete jeden von uns. Als sein Blick an mir hängen blieb grinste er gehässig. „Die junge Miss Southmore. Sie sind wohl noch so gerade eben in diesen Jahrgang hereingerutscht.“

Stumm nickte ich. Meine Hände hatte ich in die Taschen meines Rocks gestopft – um nicht zu zittern.

Mr. Hayles lächelte sadistisch und hob seine Hand. „Da die meisten von Ihnen bereits von Kindesbeinen an mit der Magie gelebt haben fangen wir ganz einfach an. Stellen Sie sich bitte in einer Reihe auf, beginnend mit dem Ersten des Jahrgangs bis zu unserer Zwanzigsten – Miss Southmore.“

Ich knirschte leicht mit den Zähnen. Hatte dieser Typ jetzt vor, mich hier vorzuführen?

Wie uns geheißen stellten wir uns in einer langen Reihe auf. Ich trat ganz ans Ende. Immerhin war ich die Zwanzigste. Neben mir stand der Junge mit den Flammenhaaren von vorhin. Er grinste mich frech an. „Hey, wir hatten vorhin gar nicht die Gelegenheit uns kennen zu lernen. Ich heiße Alexey McDaire.“

Misstrauisch blickte ich den Jungen an. Wieso war er so nett? Vorhin hatte er doch noch versucht mich zu flambieren.

„Raven. Raven Southmore.“, gab ich zurück und schüttelte seine Hand.

Alexey lächelte und seine hellbraunen Augen leuchteten im Sonnenlicht. Dann wandte sich sein oranger Haarschopf zur Seite und ich hörte ihn brüllen: „Z, du hattest wirklich recht. Ihre Eltern haben Null Kreativität mit ihrem Namen bewiesen.“

Empört blickte ich Alexey an. Dann sah ich neugierig um ihn herum und erblickte den Jungen mit den braunblonden Haaren. Dieser grinste mich an und musste sich sichtlich ein lautes Lachen verkneifen.

„Haha – mein Name ist ja sooo witzig.“, brummte ich und widmete meine Aufmerksamkeit wieder Mr. Hayles. Der hatte immer noch seine Hand erhoben. Plötzlich begannen Flammen aus seiner Hand zu züngeln und bildeten eine rechteckige Form – ein Blatt Papier. „Ich habe hier eine Zusammensetzung der Partner, die Ihnen bis zur Zwischenprüfung zugeteilt werden. Bitte versuchen Sie gar nicht erst Ihre Partner untereinander zu tauschen. Sie und Ihr Partner wurden von mir höchstpersönlich zugeteilt und wenn Sie ohne Ihren Partner an der Zwischenprüfung teilnehmen, werden Sie automatisch durchfallen.“

Allgemeines Murmeln entstand in der Reihe. Unschlüssig blickte ich Richtung Cecily, die direkt neben Shane einige Plätze vor mir in der Reihe stand.

„Mr. Smith,  Miss Dallas – Sie bilden das erste Partnergespann.“, fing Mr. Hayles an und fuhr mit dem Finger seine Liste herab. „Miss Gardener und Mr. Bourié. Mr.McDaire und Miss Fox.“ Er fuhr fort, während Cecily angewidert Alexey ansah, der ihr zuwinkte. In ihren Augen stand Abneigung. Und zwar gewaltige.

„Miss Southmore und Mr. West – das letzte Paar.“, schloss Mr. Hayles und die Liste wechselte ihren Aggregatzustand und wurde zu flüssigem Wasser. In dicken Tropfen nieselte es zu Boden.

„Den Rest der Stunde haben Sie Zeit, ihren Partner genauer kennenzulernen.“

Neugierig blickte ich durch die Schüler, die sich mit ihren Partnern zusammen fanden. Shane wirkte nicht gerade begeistert davon, der Partner von dieser Allison zu sein. Sein weinerlicher Blick folgte Cecily und mir. Mitfühlend schenkte ich ihm ein Lächeln und ging herüber zu der Blauhaarigen, die sich gerade bei Mr. Hayles beschwerte.

„Mr. Hayles, es kann doch wohl nicht sein, dass ich, mit dem Element Wasser einen Partner zugeteilt bekomme, dessen Element das Feuer ist!“, fuhr die den Lehrer an.

„Miss Fox, beruhigen Sie sich. Mr. McDaire verfügt nebenbei bemerkt nicht nur über das Element Feuer sondern auch über das der Luft.“

„Genau!“, pflichtete Alexey dem Lehrer bei. „Ich bin auch nicht gerade davon begeistert, mit dir ein Paar zu bilden.“

„Ach verreck doch bitte.“, maulte Cecily ihn an und wandte sich wieder dem Lehrer zu. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das umgehend ändern!“

„Miss Fox, wenn Sie ein Problem mit der Einteilung haben, dann wenden Sie sich bitte an Dr. Purrey – er hat die Zuteilung abgesegnet. Oder Sie benehmen sich jetzt und gehen Ihren Partner kennenlernen!“, fuhr Mr. Hayles sie lautstark an.

Cecily rümpfte die Nase und brummte etwas Unverständliches. Dann zog sie mit Alexey im Schlepptau von Dannen. 

Der Jahrgang leerte sich und am Ende blieben nur noch wenige Schüler übrig. Shane war von Allison bereits weggezogen worden und ich blickte nun in lauter unbekannte Gesichter. Obwohl – doch nicht ganz Unbekannte. Denn zwischen den wenigen Schülern erblickte ich das Gesicht des Jungen mit den braunblonden Haaren.

Oh nein, bitte nicht, betete meine Kopfstimme, als der Junge schnurstracks auf mich zuschritt. Als er vor mir zum Stehen kam, schaute ich ihn hoffend an.

Bitte nicht. Bitte nicht. Bitte nicht er!, protestierte meine Kopfstimme und ich pflichtete ihr bei.

„Ich glaub es nicht. Sieht so, als wären wir Partner, Rabenmädchen.“, meinte der Junge mit grinsend verzogenem Gesicht und ich fiel aus allen Wolken.

Womit hatte ich es nur verdient, gerade IHN als Partner zugewiesen zu bekommen?



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