Zum Inhalt der Seite

Bullum Solare

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein Tag im Leben der Hotaru Tomoe

Der Kunstunterricht jede Woche war eine der wenigen Schulstunden, die Hotaru mochte. Sie hatte zwar nicht dasselbe Talent wie Michiru, doch brachte sie es zustande, Gegenstände und Menschen so zu zeichnen, dass man sie wiedererkannte. Und sie konnte abschalten. Sah sie auf ein leeres Blatt, richtete sie zuerst ihre volle Konzentration auf das Motiv, das in ihrer Phantasie entstand. Dann, während des Zeichenprozesses, durch die Bewegungen ihrer Hand, die ihre volle Aufmerksamkeit brauchte, vergaß sie alles um sich herum, sodass sie wenigstens eine kurze Zeit keine Angst haben musste, etwas Seltsames zu hören oder zu sehen.

Hotaru versetzte sich beim Zeichnen in einem Trancezustand. Und manchmal war dieser so intensiv, dass sie das Motiv, das sie in ihrem Kopf vorskizziert hatte, ein Eigenleben entwickelte. So sehr war sie auf ihre Handbewegung fokussiert, dass ihr Körper auf das blanke Unterbewusstsein zu antworten schien, das schließlich das komplette Bild formte. Sie sah nur Teile des Motives, das Element, das sie gerade zeichnete. Oft war es eine regelrechte Überraschung für sie, das komplette Ergebnis zu sehen.

So auch jetzt, bei der Aufgabe mit Acrylfarben das Portrait einer Mitschülerin zu malen.

Hotaru wusste gar nicht mehr, für welches Gesicht sie sich entschieden hatte. Sie sah ein Auge, die Nase, den Mund, nie aber das komplette Gesicht und hatte sie einen Teil erst einmal fertig, hatte sie schon vergessen, wie dieses genau aussah.

Sie malte und malte und malte, und bekam gar nicht mit, was um sie herum geschah.

Bis die Lehrerin zu fauchen anfing.

Drei Stunden später saß sie zum zweiten Mal in diesem Monat im Büro der Direktorin und Setsuna Meiou, die sie öffentlich Tante nennen sollte, neben ihr. Die Direktorin erklärte erneut in langen Sätzen, was mit Hotaru nicht stimmte, wenn sie eine Mitschülerin auf so grotesk-perverse Art darstelle, wie es eben im Kunstunterricht geschehen war, und was Hotaru nicht alles tat, was der Politik und den Ansprüchen der teuren Privatschule nicht zuwiderlief. Setsuna nickte.

„Im Vergleich zu dem, was Fräulein Tomoe in den letzten Monaten angestellt hat, mag ein verstörendes Bild einer Mitschülerin zwar nur ein kleines Vergehen sein, doch, Frau Meiou, Sie sollten dies endlich zum Anlass nehmen professionelle Hilfe für das Mädchen zu suchen.“ Sie redet, als ob ich gar nicht da wäre, dachte Hotaru. „Ich kann leider nicht anders, als Fräulein Tomoe als Gefahr für die ihre Mitschülerinnen zu betrachten. Es wird an der Zeit, sie zu suspendieren, bis sich ihr Verhalten geändert hat.“

„Tut Sie das nicht!“, platzte Setsuna heraus. „Ich weiß genau, wie schwierig Hotaru ist, aber in Wahrheit ist sie ein nettets Mädchen, das nie jemandem etwas antun könnte. Sie ist momentan nur sehr verwirrt...“ Setsuna redete und redete und Hotaru bekam bald keine Silbe mehr mit. Lieber biss sie sich auf die Lippen und krallte die Finger in den Rock um nicht aufzuspringen und zu schreien anzufangen.
 

Hör auf mich wie ein Kind behandeln!

Auf meinem Ausweis mag zwar dreizehn stehen, aber zu weißt genau, dass dies in vielerlei Hinsicht nicht der Wahrheit entspricht.

Hotaru Tomoe starb mit zwölf Jahren zum ersten Mal und reinkarnierte unmittelbar danach. Nur wenige Monate nach ihrer Wiedergeburt alterte Hotaru Tomoe um zehn Jahre. Hotaru Tomoe hat alle Erinnerungen daran, was bis zu ihrem ersten Tod geschah.

Hotaru Tomoe ist die irdische Inkarnation der Kriegerin des Saturns, einer tausende Jahre alten Entität. Hotaru Tomoe hat alle Erinnerungen dieser Kriegerin.

Hotaru Tomoe war besessen von einer bösen Kreatur namens Misstress 9. Hotaru Tomoe hat alle Erinnerungen, die auch Misstress 9 hatte.

Hotaru Tomoe weiß mehr als dem, was dem Alter, das auf ihrem Ausweis steht, entspricht.

Hotaru Tomoe hat eine gefälschte Geburtsurkunde, die das Alter, das auf ihrem Ausweis steht, rechtfertig. Hotaru Tomoe wurde von ihrer Tante Setsuna Meiou adoptiert. Ihre Eltern gelten als tot – auch wenn der Vater noch am Leben ist. Hotaru Tomoe weiß jedoch nicht, wo ihr Vater ist. Du hast Hotaru Tome verboten, den einzigen lebenden Blutsverwandten zu besuchen, den sie hat. Das einzige zu haben, was in ihrem Leben normal sein könnte.

Hotaru Tomoe sollte glücklich sein mit der Familie, die sie hat. Hotaru Tomoe wurde im Endeffekt aber damit nicht glücklich, denn die zahlreichen Identitäten, die sie durchlebte, haben ihr verboten, ein normales Mädchen zu sein. Und du bist eines der zahlreichen Elemente in ihrem Leben, das sie an alles erinnert.

Hotaru Tomoe ist eine sehr mächtige Sailor Kriegerin, und das kann sie nicht verdrängen, auch wenn sie es noch so sehr versucht. Die Umstände lassen sie es nicht einmal versuchen. Hotaru Tomoe braucht sich nicht einmal verwandeln, damit ihre Macht sich zeigt – Hotaru Tomoe spürt die Schicksale eines jeden Menschen um sie herum, vor allem, wenn es um ihren Tod geht, und sie spürt erst recht jede Bewegung der immer näher kommenden Feinde. Und besonders starke Emotionen übertragen sich auf Hotaru durch eine Berührung wie ein hochansteckender Virus. Hotaru Tomoe empfindet immer wieder das, was andere empfinden und trauert, fürchtet sich und leider für andere. Dabei will Hotaru Tome doch nur Hotaru Tomoe sein, nicht nur Sailor Saturn – schließlich gönnen sich alle anderen Sailor Kriegerinnen diese normale Idenität. Sogar du.

Hotaru Tomoe hat sich erhofft, sie könne einen Brocken ihrer Identität wahren, wenn sie ihren leiblichen Vater aufsucht. Du hast es ihr untersagt.

Und nun, wenn die Macht von Sailor Saturn sich in der Gestalt von Hotaru Tomoe zeigt, wirst du wütend. Du willst nicht, dass ich sie bin, willst dass ich normal bin und unterbindest dennoch den Kontakt zum einzigen normalen, was in meinem Leben normal sein könnte. Ein leiblicher Vater, keine erfundene Adoptivmutter.

Gib es auf, Hotaru Tomoe ist kein normaler Teenager, erst recht nicht, wenn du verhinderst, dass sie es ist.

Warum behandest du mich dann, wie einen normalen Teenager? Schlimmer, wie ein kleines Kind?

Hör auf mich wie ein Kind zu behandeln und über mich zu reden, als wäre ich eines. Du kannst nicht verheimlichen, was ich bin, wenn ich selbst es nicht kann. Ich weiß zu viel, als dass ich ein normales Mädchen sein könnte. Ich hab zu viel erlebt, als dass ich eines sein könnte. Hör auf mich wie ein Kind zu behandeln.
 

Keine Suspendierung. Setsuna hatte das schlimmste mit einer Predigt über schwierige, aber großteils erfundene Familienverhätnisse abwenden können. Hotaru wurde auch nicht nach Hause geschickt, sondern sollte die restlichen Stunden noch in der Schule verbringen. Bis zum Läuten saßen die beiden in der Cafeteria. Sie schwiegen lange, eher Setsuna die Stille durchbrach.

„Die Direktorin will eine Bestätigung. Hotaru, ich muss dich zum Psychiater schicken.“

Natürlich... als ob in ihrem Fall Psychopharmaka und Gesprächstherapien helfen würden. Hotaru hatte schon versucht ihre immer wieder kommenden schlimmen Vorahnungen mit Schmerzmittel, Schlafpulver, kräuterlichen Beruhigungsmittel und sogar Mariuhana versucht zu unterdrücken, was sich jedoch alles als nutzlos erwiesen hatte.

„Du könntest zumindest anfangen einen besseren Eindruck zu machen, indem du dir nicht mehr die Augen schwarz schminken würdest. Dein gruseliger Schmuck findet sicherlich auch keinen Anklang.“

„Darf ich dich etwas fragen?“, platze Hotaru heraus, obwohl Setsuna noch nicht am Ende mit ihren Ratschlägen gewesen schien.

Sie lächelte. „Natürlich.“

„Hast du dir meine Zeichnung eigentlich angesehen?“

„Nur ein kurzer Blick, ehe die Direktorin es wieder im Akt verschwinden ließ. Wieso?“

„Dir ist also nichts aufgefallen?“

„Nur die Brutalität, die dargestellt ist.“

„Es hätte dir auffallen müssen.“

Sestuna nippte genervt an ihrem Tee. „Was denn?“

„Das war keine Schulkollegin. Es ist Rei.“

Einen kurzen Moment zeigte sich Entsetzen in Setsunas Gesicht. „Wie meinst du das?“

„Ich habe Rei gezeichnet. Es ist mir selber erst nachher aufgefallen. Mit ihr ist vor ein paar Tagen etwas zugestoßen und ich denke, das was ich gemalen habe, geschieht gerade mit ihr.“

Setsuna fasst sich an die Schläfen. „Hotaru, wenn Rei etwas zugestoßen wäre, hätte Usagi uns sicher etwas gesagt.“

„Ach, wie oft hat sie dich kontaktiert, seitdem diese neuen Feinde da sind? Du hast bisher alle Neuigkeiten etweder durch Mamoru oder Michiru erfahren, aber nie von der Prinzessin selbst. Gibt dir das nicht zu denken?“

Setsuna antwortete nicht darauf, sondern starrte schweigend in den Tee. Hotaru wusste, dass sie ihr Recht geben musste, aber wahrscheinlich kramte sie gerade nach Gegenargumenten. Falls Setsuna welche gefunden hatte, kam sie nicht mehr dazu diese auszusprechen, denn Hotaru musste in die Stunde.

„Reden wir zu Hause,“ sagte Setsuna zum Abschied.

„Wer’s glaubt,“ erwiderte Hotaru und ging.
 

Der Schultag endete und auch wenn es sich nur mehr um zwei Stunden gehandelt hatte, waren sie Hotaru wie Wochen vorgekommen. Sie konnte sich an kein Wort der Lehrerinnen mehr erinnern. Immer wieder war das Bild von Rei vor ihren Augen aufgetaucht. Auch wenn sie wusste, dass Rei in großen Schwerigkeiten steckte, hatte sie keine Ahnung, was vorgefallen sein könnte. Geschweige denn, wo sie sich jetzt aufhielt.

Sie stand vor dem Schultor und kramte ihr Handy aus dem Rucksack. Sie suchte nach dem Kinoprogramm. Irgendwas, womit sie sich ablenken konnte. Und nach Hause zu Setsuna zu gehen, war das letzte, was sie gerade wollte.

„Hey“, erklang eine Stimme und eine Hand berührte ihre Schulter. Hotaru wandte sich um und sah Hikari Fujigawa. „Alles in Ordnung?“

„Ja, natürlich.“

„Echt jetzt? Ich meine, du warst schon wieder bei der Direktorin und hast den Rest des Tages aus dem Fenster geschaut, als würdest du Gespenster sehen. Fliegst du jetzt von der Schule?“

Hotaru seufzte. Hikari war zwar nicht die intelligenteste der Klasse, aber eine gute Intuition hatte sie. Wahrscheinlich ging es nicht spurlos an einem vorbei, wenn man die Halbschwester von Mamoru Chiba war. „Nein, ich fliege nicht von der Schule. Hab mir nur zum xten Mal anhören müssen, wie seelisch verwirrt ich nicht bin.“

„Blödsinn. Du bist nicht verwirrt. Wenn du verwirrt wärst, würdest du nicht immer die besten Noten haben. Ich denke, keine in der Klasse hat denselben Durchblick durch den Stoff wie du.“

„So ist das zwar nicht gemeint, aber danke.“ Hotaru musste tatsächlich ein wenig lächeln.

„Ach und, weißt du, ich glaube, die wollen dich gar nicht von der Schule werfen, schließlich sagen die Lehrerinnen ständig, dass du den Notendurchschnitt rettest. Die können sich also deinen Rauswurf gar nicht leisten, sonst stehen sie nicht mehr in den Top-Ten-Listen der Schulen von Tokyo. Du bist nun mal unangepasst und das wollen sie dir mit Drohungen austreiben.“

Hotaru musste nun kichern. Wahrscheinlich steckte ein Funken Wahrheit in Hikaris Worten. Würde sie nicht ständig Bestleistungen zeigen, wäre sie schon längst aus der Schule geflogen. Allerdings sind die Bestleistungen vergessen, wenn man ein obszönes Graffiti auf den Hintereingang der Schule sprayt. Wie Setsuna den Rausrwurf unter diesen Umständen hatte vermeiden können, war Hotaru noch immer ein Rätsel.

„Magst du ins Kino mitkommen? In einer Stunde läuft Ghost Invasion im Kino.“

„Ich hasse Horrorfilme.“

„Dann was anderes. Du magst ja Fantasy. Um dieselbe Zeit läuft auch...“

„Hotaru, du weißt, dass ich kein Geld fürs Kino habe.“

„Kein Problem, ich lade dich ein. Samt Popcorn.“ Dieses Mädchen hatte die Fähigkeit sie aufzuheitern, wie sonst niemand. Wohl versuchte sie deswegen so hartnäckig zu erreichen, dass Hikari sie begleitete.

„Hm, mein Bruder bekommt heute Besuch. Ziemlich unheimlicher Typ, hat sogar eine Augenklappe. Ehrlich gesagt, mag ich dem nicht schon wieder über den Weg laufen. Also gerne.“
 

Warum ist es eigentlich so ein inniger Wunsch von mir, meinen Vater wiederzusehen? Schließlich habe ich keine Erinnerungen daran, dass er mich gut behandelt hätte. Allerdings war er von einem außerirdischen Monster besessen, das ihn zu all den schrecklichen Taten getieben hat. Wahrscheinlich will ich einfach die gute Seite an ihm kennenlernen. Oder mich versichern, dass er ein Arschloch ist.

Man kann es ja auch erwischen, wie Hikari. Seit Mamoru eingezogen ist, hat sie zwar keine blauen Flecken im Gesicht mehr, aber sie trägt noch immer nur langärmlige Kleidung und Strumpfhosen.

Wenn ich Hirkari sehe, frage ich mich, ob ich Setsuna wirklich so hassen sollte, wie ich es tue. Schließlich weiß ich, dass sie nur das Beste für mich will, auch wenn es das vollkommen falsche ist. Setsuna meint, ich solle leugnen, wer ich bin und denkt, es sei das Beste. Hikaris Vater schlägt seine Tochter und meint, es wäre das Beste. Wer von uns die größere Arschkarte gezogen hat, ist wohl offensichtlich. Und doch rede ich schlechter über Setsuna als Hirkari über ihren Vater. Aber seit Mamoru da ist, spricht sie nur mehr von ihm, lobt ihn in den Himmel. Sie kennt ihn erst seit einem halben Jahr, doch nennt ihn nur „Bruder.“

Mamoru scheint damit kaum klar gekommen zu sein, was für ein Mistkerl sein leiblicher Vater ist – nur die wenigsten, wussten davon. Und die wenigsten sind eigentlich nur Setsuna und ich, seiner Verlobten hat er den gewalttäitigen Blutverwandten verschwiegen. Zu groß ist seine Angst, selbst solch ein Potential zu haben... ich kann diese Furcht schon von weitem riechen. Und das hat sogar, laut Setsuna, zu einer Krise mit Usagi geführt, dass er vorläufig die Beziehung unterbrochen hat. Er könne nicht beiden gleichzeitig die Aufmerksamkeit schenken, die sie benötigen. Auch wenn ich die Utopie der Zukunft langsam verblassen sehe, insgeheim bin ich ja froh, dass er sich für Hirkari entschieden hat, Hirkari braucht mehr Schutz als Usagi.

Allerdings, wenn Rei gerade wirklich so einem Mist ausgesetzt ist, wie ich heute gemalt haben, könnte Usagi die tröstende Schulter wirklich gebrauchen.

Was ist da passiert?

Ich weiß, dass es mit dieser bedrohlichen Macht zu tun hat, die seit einiger Zeit über der Erde schwebt und die schon für allerlei seltsame Dinge verantwortlich ist, aber ich kann sie einfach nicht klassifizieren. Ich spüre sie zwar permanent, aber konkret lokalisieren kann ich sie nicht.

Laut Akane Tayo ist es etwas, das älter sei, als alle Sailor-Kriegerinnen zusammen. Aber mehr konnte ich bei Reis Geburtstagsparty nicht aus ihr herausbekommen, denn dann hat sie mir einen Becher Wodka Orange in die Hand gedrückt, den ich im Gutglauben natürlich ausgetrunken habe.

Die Geburtstagsparty... Rei... Mamoru... Hirkari... Verdammt, ich bin ja mit Hikari im Kino!

Sie sieht Mamoru gar nicht ähnlich. Sie hat blaue, große Augen, braunes Haar, ein breites Grinsen. Nur die Nase ist identisch. Und charakterlich erinnert sie mich erst recht eher an Usagi, schließlich sieht sie stehts das Positive und verliert nie ein schlechtes Wort über jemanden. Deswegen ist sie ja auch die einzige meiner Mitschlülerinnen, die noch mit mir spricht.
 

„Mann, der Schauspieler ist sooo sexy!“, sagte Hirkari zum wiederholten Male auf dem Weg zur U-Bahn. „Was meinst du?“

„Nicht mein Typ.“

„Das sagst du immer. Mit dir kann man nicht über Männer reden. Wie fandest du den Film eigentlich? Du hast dich noch gar nicht geäußert, sonst quasselst du die ganze Zeit hochtrabend, wenn wir im Kino waren“

Hotaru seufzte. Tatsächlich war sie die ganze Zeit so in Gedanken versunken gewesen, dass sie kaum etwas mitbekommen hatte.

„Mit dir stimmt heute wirklich was nicht,“ schlussfolgerte Hikari.

Die Intuition des Mädchens war wirklich verblüffend. Oder Hotaru war einfach etwas offener, als sie sich eingeschätzt hatte. Also beschloss sie zumindest teilweise reinen Tisch zu machen: „Wegen der Vorladung, und auch wegen des Bildes, das ich gemalt habe, habe ich ziemlich heftig mit Tante Setsuna gestritten. Ich hab einfach keine Lust nach Hause zu gehen.“

„Dann komm doch zu mir mit,“ platzte Hikari heraus. „Wir machen ’ne Übernachtungsparty. Und wenn du Setsuna morgen wieder siehst, ist die Luft sicher nicht mehr so dick. Klar, unsere Wohnung ist eng und klein und sicher nicht so luxuriös wie euer Haus, aber es ist warm und mein Bett kann man ausziehen, sprich es gibt auch einen Schlafplatz. Und wir haben sicher noch Pizza daheim, wenn der gruselige Freund von meinem Bruder nicht schon wieder alles aufgegessen hat. Ich kann dir auch einen Pyjama leihen, wie haben ja dieselbe Kleidungsgröße.“

Hotaru lächelte. Zuerst hatte sie Hikari ein Angebot gemacht, das sie nicht abschlagen konnte, jetzt war es umgekehrt. „Ausgemacht.“ Hotaru schrieb Setsuna eine SMS und schaltete das Handy ab. Die Mädchen brachen auf.
 

Es wurde daraus nichts.

Die Mädchen bogen gerade in die Straße zu Hikaris Wohnung ein, als der Boden unter ihren Füßen anfing zu beben. Hikari schnappe Hotarus Hand. „Ich hasse Erdbeben,“ raunzte sie.

Hotaru biss sich auf die Lippen und fing an in ihrer Tasche zu kramen. Das war kein Erdbeben, sie spürte die dunkle Aura sich nähern.

Es gab allerdings mehrere Probleme. Erstens, konnte sie den Füller ihrer der ungeordneten Tasche nicht finden. Zweitens, verfügte Sailor Saturn sowieiso nur über eine Attacke und die führte zu ihrem Tod. Drittens, klammerte sich Hikari so fest an sie, dass sie sich nicht losreißen konnte, um sich dort zu verstecken, wo Hikari nichts von ihrer Verwandlung mitbekommen würde. Und dass Mamorus Schwester von der zivilen Identität einer Sailor-Kriegerin wusste, war wohl das letzte, was der Bruder sich wünschte.

„Lass mich los, das ist peinlich“, fauchte Hotaru.

„Ich hab aber...“

Weitere Worte waren nicht möglich. In diesem Moment riss der Boden knapp vor den beiden Mädchen auf. Dunkler Rauch stieg aus den Sprüngen heraus. Hikari umklammerte nun nicht nur mehr Hotarus Hand sondern ihren ganzen Arm. „Die Welt geht unter!“, schrie Hikari.

„Du musst mich loslassen“, rief Hotaru vergeblich.

Der Beton vor ihnen zu explodierte nahezu. Innerhalb von Sekunden schoss eine wurmartige Kreatur hervor, riesig, und mit einem zähnefletschenden Clownmaul versehen. Neben den Mundwinkeln wanden sich zwei dünne Tentakel. Es hatte zwar keine Augen, schien die beiden Mädchen jedoch anzustarren.

Hikari schrie.

Hotaru hatte den Stab noch immer nicht gefunden. Aber verwandeln war sowieso keine Option. Und noch dazu floss langsam die Panik in sie über, die ihre Freundin empfand. Hotaru zerrte an Hikaris Kleindung. „Wir müssen hier weg!“, mahnte sie, doch Mamorus Schwester schien wie versteinert. Und wahrscheinlich war ihr eigenes Geschrei zu laut, als dass sie Hotaru hörte.

Das Monster stürzte auf die beiden zu. Immerhin war Hotaru kräftiger als Hikari und noch nicht von der übergreifenden Panik so perplex, sodass sie sich und das Mädchen zur Seite reißen konnte. Ein zweites Mal gelang es ihr auch noch, doch dieses Mal stellte Hikari ihr und sich selber ein Bein, sodass sie zusammen zu Boden fielen. Hotaru landete hart auf dem Rücken, sodass das rechte Schulterblatt schmerzte, doch Hikari schien sich den Kopf angeschlagen zu haben. Ihr Geschrei verstummte nämlich plötzlich.

„Verdammter Mist!“ Hotaru kramte wieder in ihrer Tasche. Ihr Herz schlug bis zum Hals und ihr Gehirn war nur dabei an ihren Verwandlungsstab zu denken, sodas sie gar nicht merkte, dass sich Hikaris fester Griff gelöst hatte. Sie leerte die Tasche aus und suchte mit den Augen. Und da war der Stab auch.

Hotaru griff nach dem Stab und das Monster griff mit den Tentakeln nach Hikari.

Sie richtete ihre Augen zu der Kreatur. Seine Tenkaln hatten sich um die Hüfte Hikaris geschlungen, die leblos wie eine Puppe herunterhing. Sie hatte tatsächlich das Bewusstsein verloren. Langsam führte das Ungeheuer das Mädchen zu seinem riesigen, sabbernden Maul.

„HIKARI, nein,“ schrie Hotaru. „MACHT DER...“

Weiter kam sie nicht. Ein gleißendes Licht erfüllte die Umgebung, sodass Hotru sich reflexartig die Augen zuhielt. Als sie sicher war, dass es das Licht verschwunden war, nahm sie die Hände herunter. Das Monster war weg und stattdessen kniete eine Kriegerin an der Stelle, Hikari in ihre Arme gebettet.

„Du?“, murmelte Hotaru.

Sie hatte zwar Akane Tayo kennen gelernt, aber Sailor Sun war sie noch nie begegnet. Während Akane Tayo eine unscheinbare Aura wie jeder andere Mensch hatte, hatte Sailor Sun etwas an sich, dass sie sich am liebsten vor ihr verbeugt hätte. Sie konnte aber ihre Ausstrahlung nicht klassifizieren. Auch konnte sie die Macht, die von ihr ausging, zwar spüren, doch deren Ausmaß und Art nicht einschätzen. Waren die Feinde ihr schon ein Mysterium, schien Sailor Sun ein noch größeres zu sein. Und das hatte eine beruhigende Wirkung auf sie... es war ihr neu, einmal nicht von Anfang bis Ende zu wissen, um wen es sich bei einer Person handelte.

Sailor Sun hielt zwei Finger an Hikaris Halsschlagader. Sie schien vollkommen unbeeindruckt von den Ereignissen. Aber gemäß dem, was Hotaru über Sailor Sun gehört hatte, war dieses Ungeheuer, das sie mit nur einem Schlag erledigt hatte, wohl zur täglichen, langweiligen Routine zu gehören. Ihre Sorge galt Hikari.

„Geht es ihr gut?“, murmelte Hotaru.

„Woher soll ich das wissen? Bin ich Ärztin?“, knurrte Sailor Sun.

„Ich meine...“

„Am Leben ist sie noch.“

Hotaru trat an die beiden heran und kniete sich zu Hikari herunter. „Sie hat sich vorhin den Kopf angeschlagen...“

„Sie blutet nicht am Schädel. Aber noch mal, ich bin keine Ärztin.“ Sailor Sun legte Hikari vorsichtig in die Arme Hotarus. Die Angst, die das Mädchen noch immer empfand, durchfuhr sie wie plötzliche Kälte. Kurz blieb ihr die Luft weg.

Sailor Sun stand auf. Ihr Blick richtete sich auf einmal zu dem Gebäude, wo Hikari und Mamoru lebten. Ihr Blick verfinsterte sich, sie biss sich auf die Lippen. Dann atmete sie tief durch und streckte den Mittelfinger in Richtung der Wohnunf.

„Du hattest so ein Glück, dich nicht verwandelt zu haben.“

Hotaru versuchte gar nicht das seltsame Verhalten zu interpretieren. „Wir sollten einen Krankenwagen rufen. Und ich werde Mamoru anrufen.“

„Tsst“, zischte Akane. Sie drehte sich weg von Mamorus Wohnung und kniete sich zu Hotaru herunter. Was sie nun sagte, sprach sie mehr oder weniger zwischen geschlossenen Lippen und sehr leise, sodass Hotaru große Schwierigkeiten bekam sie zu verstehen. „Ab jetzt kein Name mehr. Aber was hat der damit zu tun?“

„Hik...“ Keine Namen. Lieber auf Sailor sun hören. „Meine Freundin ist seine Halbschwester.“

„Dreck.“

„Wieso?“

Als Antwort umarmte Sailor Sun Hotaru. „Spiel mit“, flüsterte sie. Und dann sagte sie ganz laut: „Du bist ein sehr tampferes Mädchen. Am besten ist, du bringst deine Freundin nach Hause und lässt einen Arzt kommen. Ich bin mir sicher, es geht ihr gut. Und jetzt geh, schnell.“

Sailor Sun half Hotaru aufstehen und Hikari auf ihren Rücken, sodass sie sie Huckepack tragen konnte. Hotaru verstand die Welt nicht mehr. War Sailor Sun egal, wenn Hikari einen Hirnschaden hatte, der sofort von einem Arzt behandelt werden sollte? Und was sollte dieser Umschwung in der Stimmung? Selbst wenn sie Sailor Sun nicht lesen konnte, merkte Hotaru, dass die Unbekümmertheit von zuvor verschwunden war und sie etwas Panisches angenommen hatte.

Verbal konnte Hotaru aber ihre Bedenken nur folgendermaßen ausdrücken: „Meinst du das gerade ernst?“

„Ich hab gesagt, SCHNELL!“

Eingeschüchtert ging Hotaru los.
 

Es war mühsam gewesen, Hikari zwei Häuserblöcke zu tragen und sie dann unbeschadet in den letzten Stock des Wohngebäudes zu bringen, doch schließlich läutete sie an der Haustür an. Mamoru öffnete. Er beäugigte sie einige Sekunden, bis er schließlich etwas sagte: „Sadako? Was ist mit meiner Schwester passiert?“

Hotaru verzog das Gesicht. Sadako? Galt es noch immer, keine Namen zu nennen?

Während Mamoru Hikari von ihren Schultern nahm, erklärte sie, dass Hikari sich den Kopf angeschlagen habe. Die Begegnung mit dem Monster, ließ sie vorerst lieber weg.

„Danke, dass du sie hergebracht hast,“ sagte Mamoru, „aber es wäre besser gewesen, du hättest gleich einen Krankenwagen gerufen.“

Jemand anderer hat mir vorhin etwas anderes gesagt, dachte Hotaru. Aber, ich versteh grad eh nichts mehr. Eigentlich eine wirklich neue und interessante Erfahrung.

Doch dann, verstand sie.

Der große Mann, so dünn, dass man sich fragte, ob er überhaupt überlebensfähig war, ganz in schwarz gekleidet und mit einer Augenklappe versehen, stand plötzlich hinter Mamoru. Hotaru wusste sofort, er war kein Mensch. Ein Lebewesen, das so stark war, dass sie fast nur aus Energie bestehen zu schien. Und zwar wieder eine Energie, die Hotaru weder klassifizieren, noch identifizieren konnte. Wie schon bei Sailor Sun, hatte sie das Bedürfnis sich niederzuknien. Doch im Gegensatz zu Sun gab es hier keine positiven Gefühle. Dieser Mann war absolut böse.

Was hatte so etwas bei Mamoru zu suchen?

„Du gehst jetzt besser nach Hause,“ sagte Mamoru.

Hotaru nickte. Sie versuchte nicht auf den Mann mit der Augenklappe zu schauen, der hämisch die Mundwinkel nach oben zog. „Siehst so aus, als müssten wir unsere Party also abbrechen. Bring die Kleine an einen sicheren Ort,“ kicherte er.

Mamoru warf dem Mann einen finsteren, aber unterwürfigen Blick zu. Er verabschiedete sich von Hotaru und trug Hikari in ein anderes Zimmer.

Der Mann mit der Augenklappe nahm die Eingangtür in die Hand. Er grinste zu Hotaru herab: „Richte der Schlampe aus, dass die Spielchen erst begonnen haben.“ Er schlug die Tür zu.
 

Hotaru taumelte die Straßen entlang. Das Gesicht des unheimlichen Mannes erschien noch immer vor ihren Augen. Ihre Gänsehaut war nicht verschwunden und ihr war immer noch kalt. Hotaru war sich gar nicht bewusst, dass sie so eine Angst empfinden konnte.

Er war nicht zum ersten Mal hier. Hikari hatte einen gruseligen Freund Mamorus, der eine Augenklappe trug, heute erwähnt. Was hatte so eine Gestalt bei Mamoru zu suchen? Was ging hier vor? Zuerst malte sie ein unheimliches Bild von Rei, dann wurde sie von einem Monster überfallen und jetzt begegnete sie so einer Kreatur.

„Danke“, sagte eine vertraute Stimme. Akane Tayo stand an eine Laterne gelehnt plötzlich vor ihr. „Ich schulde dir was.“

Hotaru wusste sofort, womit Akane sie entschädigen konnte: „Dann klär mich auf.“

„Wirklich? Willst du kein Eis? Oder Bier? Ich kann dir auch Mariuhana organisieren.“

„KLÄR MICH AUF!“

„Jetzt werd nicht gleich hysterisch. Okay, aber damit ich dir Antworten geben kann, musst du zuerst Fragen stellen.“

„Was. War. Das?“ Sie sprach jedes Wort so aus, als wäre es ein Satz.

„Ein Wurm, der anderen die Energie aussaugt um zu checken, ob es sich dabei um eine Sailor-Kriegerin handelt.“

„Hör auf dich zu drücken. Ich meine den Typen mit der Augenklappe.“

Akane verdrehte die Augen. „Schon gut. Der Freak ist der Sohn von Sunna und Hyperion. Ein vollkommen irres, manipulatives Arschloch.“

„Toll. Das klingt sehr wundervoll. Und was hatte er bei Mamoru zu suchen? Und warum hat sich Mamoru wie sein Diener verhalten? Sag bloß, der Prinz hat die Seiten gewechselt.“

Akane seufzte, doch wand sich ein hämisches Grinsen ab. „Versprich mir, dass kein Wort davon zu Usagi weiterdringt.“

Hotaru nickte. Und dann hörte sie die Geschichte. Mit jedem Wort wurde Hotaru kälter und kälter und das Bild vom Silbermillenium verblasste immer mehr.

„Das Spielchen hat erst begonnen, hat er gesagt. Ich soll dir das ausrichten. Und ich verstehe jetzt, was er gemeint hat,“ dachte Hotaru laut und gleichzeitig kam ihr eine furchtbare Vermutung: „Rei... Ich weiß, dass Rei in Gefahr ist. Hat er auch damit etwas zu tun?“

Akane schnaufte. „Kluges Köpfchen. Du bekommst 100 Punkte.“ Also auch darüber wusste sie etwas.

Doch Hotaru, der zig Fragen durch den Kopf gingen, bereute sogleich überhaupt die erste Frage ausgesprochen zu haben. Akane war ein normaler Mensch. Die Emotionen von normalen Menschen spürte sie durch Berührung. Doch die Welle an Hass, Verzweiflung und Trauer, die Akane gerade überkam, spürte sie auch bei einem Meter Entfernung. Nur kur, aber es reichte. Hotaru hätte gerne noch mehr gefragt. Was man gegen dieses Ungetüm tun konnte? Wie man Mamoru retten konnte? Wie man Rei helfen konnte? Aus Angst vor einer weiteren Welle an Schmerz, die auf sie überschwappen konnte, verabschiedete sich Hotaru und lief nach Hause.
 

Hotaru knallte die Wohnungstür zu. Sie wollte an Setsuna vorbeischleichen, um nur alleine in ihrem Zimmer zu sein, doch ihre Ziehmutter stand plötzlich vor ihr.

„Was machst du hier, ich dachte du übernachtest bei Hikari,“ fragte sie. Setsuna musterte Hotarus Gesicht. „Geht es dir gut? Ist etwas vorgefallen?“

In dem Moment merkte Hotaru, dass sie weinte. „Wie können uns nicht mehr drücken,“ schniefte sie. „Ich weiß, dass du normal sein willst. Willst, dass ich normal bin. Aber es geht nicht mehr. Setsuna, du musst wieder akzeptieren, dass du nicht normal bist“

Ihre Beine fühlten sich plötzlich an, als wären sie aus Brei und Hotaru setzte sich auf den Boden. Setsuna kniete sich neben sie und streichelte ihr den Rücken. „Was hast du gesehen?“

„Den Feind.“

„In einer Vision?“

„Nein. Wirklich gesehen. In Persona.“ Hotaru hatte Akane versprochen, dass sie Usagi nichts davon erzählen würde. Von allen anderen Kriegerinnen hatte sie nichts gesagt. Also redete Hotaru und redete und redete und redete.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück