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Ich warte auf dich

von

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Auf der Suche

„Halt jetzt endlich still, Ári!“
 

Lenja war kurz davor ihre Geduld zu verlieren.

Bereits zum dritten Mal begann sie ihrem Bruder die Haare zu flechten. Es war sehr aufwändig. Schließlich heiratet man als Zwerg in der Regel eher nur einmal im Leben und da sollten auch bei den Herren die Haare vernünftig sitzen. Doch Ári hatte trotz seines fortgeschrittenen Alters von über 100 Jahren nichts von seiner kindlichen Unruhe verloren.
 

**
 

Der Schmerz saß tief als sich die Zwergin mit ihrem kleinen Bruder im Arm auf den Weg in ein neues Leben machte. Sie wusste nicht, was die Zukunft für sie bereithalten würde und wo sie eine neue Heimat finden sollten. Ebenso wenig wusste sie, was in Thorin gefahren war. Jeder Gedanke drehte sich um den Hass in seinen kalten blauen Augen.
 

Wie konnte aus Liebe so schnell Verachtung geworden sein? Wieso konnte er sich auch nur im Geringsten vorstellen, dass Lenja ihn betrogen hatte? Und dann auch noch mit seinem eigenen Vater? Diesem Widerling? Warum schenkte er diesem überhaupt sein Vertrauen, obgleich er doch eigentlich hätte wissen müssen, dass dieser nur auf Zerstörung aus sein konnte? Wie konnte er überhaupt an ihrer Liebe zweifeln?

Diese Gedanken trieben sie immer weiter von ihrer ehemaligen Heimat fort.
 

Dwalin war ihr und Ári noch in derselben Nacht gefolgt, doch auch er konnte seine Nichte nicht zur Umkehr bewegen.
 

„Du hast doch gesagt, wenn er mir wehtut, dann brichst du ihm alle Knochen?!“, verzweifelte sie.
 

„Meinst du nicht, dass du ein wenig überreagierst? Vielleicht ist er auch einfach mit der Situation überfordert“, versuchte es der Zwerg diplomatisch.
 

„Überfordert!? Ich kann immer noch seine Hände an meinem Hals spüren, wie sie zudrücken und mir die Luft abschneiden! Lieber sterbe ich allein auf meinem Weg bevor ich mich noch einmal in die Nähe dieses Zwergen begebe! Wie kann er nur an mir zweifeln!“
 

Und sie ließ ihren Onkel stehen und ging.

Es war ja nicht so als ob sie keinen Kontakt in all den vielen Jahren mit Dwalin und Balin hatte. Dennoch konnte sie nicht verstehen, wieso sie Durins Linie auch weiterhin die Treue hielten.
 

Irgendwann hatte Lenja für sich beschlossen nicht mehr über die Vergangenheit nachzudenken. Zu Beginn fiel es ihr schwer. Zu tief saß der Schmerz. Sie hatte das Gefühl ihr Herz war an jenem Tag in viele abertausende Bruchstücke geborsten. Als ob jemand mit einem Hammer auf einen zierlichen Edelstein geschlagen hätte und niemand die Teile wieder zueinander fügen konnte.
 

Manchmal konnte sie ihre dunklen Gedanken doch nicht völlig abschütteln. Im Nachhinein wusste sie, dass es ihre beste Entscheidung gewesen war, Ári mit sich zu nehmen. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich in ihrer Verzweiflung und ihrem Schmerz etwas angetan hätte. Doch dank ihres Bruders war sie gezwungen zu funktionieren. Und das tat sie auch.
 

Viele Jahre durchstreiften die Geschwister das Land. Oft blieben sie nur wenige Zeit am selben Ort. Lenja versuchte sich in den Städten der Menschen als Goldschmiedin, doch nur allzu oft mussten sie ihre Zelte früher als erwartet abbrechen. Neid, Missgunst, Vorurteile, Hass - sie waren lange verdammt ohne neue Heimat zu bleiben. Die erzwungene Wanderschaft zerrte an den Kräften. Oftmals betrat die Zwergin mit ihrem Bruder Ortschaften und musste sich die schlimmsten Beschimpfungen anhören. Wie nutzloses Gesindel wurden sie behandelt. Schmarotzer. Sie wollte doch arbeiten. Sie wollte keine Almosen. Doch keiner brachte ihr ein Fünkchen Vertrauen entgegen.
 

Auch Zwerge, Mitglieder der eigenen Rasse, waren leider keine Ausnahme. Lenja konnte nicht sagen, warum man sie auch unter Ihresgleichen so schlecht behandelte. Kaum war sie als Erebor-Zwerg enttarnt, traten ihr Spott und Hohn entgegen. Ein Weib mit einem Kind auf der Flucht. Sie sagt, es sei ihr Bruder. Doch wahrscheinlich ist es eher ihr Bastard. Hat der Vater die eigene Tochter wohl im Kindesalter, kaum das ihr Körper den Reifeprozess signalisierte, genommen. Da braucht sich auch keiner zu fragen, wieso die glorreiche Stadt unter dem Berg untergegangen ist, wenn bei denen solche Sitten herrschen. Und dann will sie auch noch ein Handwerk erlernt haben. Ein Weib das eine Zunft ausübt? Lächerlich! Vielleicht sollte sie eher als Dirne arbeiten. Schließlich scheint sie ja Erfahrung mit unkeuschen Praktiken zu haben.
 

Am liebsten hätte Lenja allen Spöttern ihr Schwert in den Leib gerammt. Doch was sollte sie denn schon gegen diese Masse an Unwissenden ausrichten? So entschloss sie sich wie nur allbekannt weiter zu ziehen und die Hoffnung nach einem neuen Zuhause nicht aufzugeben.
 

Und sie fand es auch. Nach zehn Jahren auf der Flucht hatte sie einen Ort gefunden, den sie ihre neue Heimat nennen konnte. In einer Kleinstadt ganz in der Nähe des Flusses Baranduin konnte sich Lenja als Goldschmiedin zusammen mit Ári niederlassen. Gemeinsam führten die beiden sehr bald ein Geschäft. Als Meisterin ihres Fachs machte sie ihren Bruder zu ihrem Gesellen. Über mangelnde Aufträge konnten sie sich schon bald nicht mehr beschweren. Wenn das Städtchen auch nicht der Ort gewesen war an dem die beiden Geschwister das Licht der Welt erblickt hatten, war er nach der langen Zerreißprobe endlich ihr neuer Lebensmittelpunkt.

Auch andere Zwerge lebten dort. Zwar waren sie in einer Menschenstadt in Zahlen gemessen kaum von großer Bedeutung. Doch die Mehrheit ihrer Artgenossen war wie Lenja auch ohne Herrscher.
 

Im Normalfall gehörte jeder Zwerg von Geburt an zu einem bestimmten Zwergenvolk und somit auch zu einem bestimmten Herrscher an. Lenja hatte sich in der Nacht ihres Verlustes von Durins Erben befreit indem sie die schmerzlichen Worte über den Untergang Thorins Sippe gesprochen hatte. Auch andere Zwerge waren ihren Königen davon gelaufen. Andere stammten wie Ári und sie aus den grauen Bergen und wollten nicht zusammen mit allen anderen Erebor-Zwergen in den Ered Luin eine neue Heimat finden. Wieder andere gaben ihre Herkunft nicht Preis. Wie dem auch war, Lenja fand Gleichgesinnte. Und in dieser neuen Gemeinschaft fühlte sie sich wohl.
 

Die kurzen Haare blieben. Sie schnitt sie auch weiterhin in regelmäßigen Abständen auf die ungewöhnliche Länge. Sie wollte und brauchte keinen neuen Mann an ihrer Seite. Sie allein genügte sich voll und ganz. Auch trug sie seit jenem Verlust der Heimat und ihrer Liebe nur noch Hosen. Diese beiden Umstände wirkte auf die Männerwelt wohl abschreckend genug. Keiner hatte es auch nur gewagt in Lenjas Nähe zu kommen. Natürlich hatte sie auch freundschaftlichen Umgang mit Zwergen, doch war dies respektvoll und keinesfalls frivol. Für anstößige Dinge waren genügend andere Frauen vorhanden.
 

Nur Stúfur, der Schmied im Ort, hatte sich im angetrunkenen Zustand leichte Hoffnungen auf einen Kuss gemacht, die er bitter bereute. Er hatte sich nach einer Hochzeit zusammen mit Lenja auf den Heimweg gemacht. Doch anstatt sie einfach in ihre Stube treten zu lassen, wollte er noch einen Abschiedskuss als Wegzoll haben. Ohne, dass die Zwergin reagieren konnte, hatte der Zwerg bereits eine saftige Ohrfeige von einer anderen Person erhalten. Dwalin, der regelmäßig über das Jahr verteilt seine Nichte und seinen Neffen für etwas längere Zeit besuchte, hatte dem selbsternannten Casanova eine Schelle verpasst.
 

„Verschwinde du Hurenbock! Die Zwergin hat bereits einen Kerl!“, hatte der Hüne noch seine Aktion kommentiert, woraufhin ihm die Frau hinter geschlossener Tür eine Szene machte und ihn für verrückt hielt immer noch daran zu glauben, dass sie zu einem Mann, besser noch zu Thorin, gehörte.

Sie war keines Zwergen Eigentum!
 

Erst später stellte sich heraus, dass Stúfur der felsenfesten Überzeugung war, Dwalin sei Lenjas Liebhaber. Allein diese groteske Vorstellung brachte die Zwergin hingegen zum Lachen.
 

Lachen. Trotz der neuen Heimat, trotz des lang gesuchten und ersehnten Glücks, das sie nun besaß, war der Zwergin schon lange nicht mehr zum Spaßen. Obwohl sie noch immer einigermaßen jung war, fühlte sie sich unglaublich alt. Zu viel Leid hatte sie bereits in jungen Jahren erfahren müssen. Die, die ihr Halt gegeben hatten, waren nach und nach wieder aus ihrem Leben getreten. Dwalin und Balin sah sie zwar regelmäßig, doch vermieden alle das schwere Thema der Vergangenheit. Nie hatte sie auch nur ein Wort in ihrer Gegenwart über Thorin oder die Umstände seines Angriffs verloren. Nur Ári hatte sie sich etwas geöffnet.
 

„Warum bist du so traurig? Freust du dich denn nicht mehr ein Kind zu bekommen?“, fragte der kleine Junge noch in derselben dunklen Nacht als die Zwergin sich eine Pause vom Marsch gönnte.
 

Tapfer versuchte Lenja damals zu lächeln: „Ich bekomme kein Baby mehr, mein Schatz. Mahal hat es wohl für besser empfunden es mir bereits noch vor seiner Geburt zu nehmen. Das ist der Grund für meine Traurigkeit.“
 

„Und warum sind wir dann nicht bei Thorin und den anderen geblieben?“, sprach die kindliche Neugier.
 

„Thorin ist im Moment auch traurig, sehr traurig. Vielleicht kommt er uns besuchen, wenn es ihm wieder besser geht“, antwortete die Zwergin und jedes dieser Worte gab ihr einen Stich in das ohnehin gebrochene Herz.
 

„Hm, solange er aber nicht da ist, passe ich auf dich auf. Versprochen! Und bis du ein Kind bekommst, werde ich solange dein Baby sein. Ein Riesenbaby!“, lachte ihr Bruder bei seinen letzten Worten auf.
 

Lenja konnte nicht anders als mit unterdrückten Tränen über den Versuch der Aufmunterung zu lachen.
 

Doch die Jahre zogen weiterhin ins Land ohne, dass sich Thorin auch nur blicken ließ. Bis zum heutigen Tag hatte sie ihn nie wieder gesehen. Und das wollte sie auch nicht.
 

**
 

„Ein Glück, dass Mjöll sich ab morgen um deine widerspenstige Haarpracht kümmern kann“, schimpfte Lenja als sie endlich ihr Werk vollendet hatte und ihren Bruder mit einem prüfenden Blick betrachtete.
 

„Lenjalinchen, du wirst immer die erste Frau in meinem Herzen bleiben. Keine kann dir auch nur das Wasser reichen“, zwinkerte Ári.
 

„Lass das mal lieber nicht deine Auserwählte hören, sonst lässt sie dich doch noch im letzten Moment alleine stehen und macht sich aus dem Staub“, spottete seine Schwester.
 

„Das wird sie schon nicht, keine Angst“, Ári lächelte als er sich im Spiegel betrachtete.
 

„Mutter wäre stolz dich so zu sehen“, stimmte Lenja mit einem Lächeln ein.
 

Ihr Bruder wandte sich von seinem Spiegelbild ab und blickte seine große Schwester ein wenig wehmütig an: „Eigentlich hattest du das Glück verdient, das mir nun zuteil geworden ist.“
 

Bevor die Zwergin auch nur etwas darauf erwidern konnte, klopfte es an die Tür.



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