Zum Inhalt der Seite

Ich warte auf dich

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Veränderungen

Immer noch war Lenja wie elektrisiert.
 

Der Kuss hatte seine Spuren auf ihrer Seele hinterlassen. Auch hatte sie das Gefühl den sanften Druck seiner Lippen auf den ihren zu fühlen, obwohl dieser Moment schon Stunden her gewesen war. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie noch weitere Zeit damit verbringen können Thorin zu küssen. Es war eine so neue Erfahrung, ein unbekanntes Gefühl.

In Gedanken vertieft, drückte sie unweigerlich ihre Lippen aufeinander. Sie hätte ihn stundenlang weiter geküsst. Bis sie Krämpfe in ihrer Gesichtsmuskulatur gespürt hätte; vielleicht sogar darüber hinaus.

Es war so aufregend, so aufwühlend. Einfach anders. Er war der erste Mann, den sie auf diese Weise geküsst hatte. Ihre Onkel und Ári zählten in der Hinsicht nicht. Sie liebte die drei zweifellos. Doch das von vorhin war so intim, so schön und zerbrechlich zugleich.
 

Tief in ihren Gedanken versunken, bemerkte die Zwergin gar nicht, dass Ári sie schon eine geraume Zeit beobachtete.
 

Er hatte seine Schwester genauestens in Augenschein genommen. Als sie aus der Schmiede kam, wirkte sie irgendwie anders. Verändert. Ruhiger als noch zuvor. Ausgeglichener als in den letzten Tagen. Sie wirkte glücklicher auf ihn. Doch schien sie weiterhin sehr nachdenklich. Seit bereits fünf Minuten hielt sie eine Mohrrübe in Händen, die eigentlich mit in den Eintopf sollte. Seine Schwester wirkte so verträumt, ein bisschen geistesabwesend.
 

Der Kleine wusste damit nichts anzufangen. Er freute sich, dass Lenja wieder glücklicher wirkte, doch wenn ihr dies auf den Verstand schlug, dann sollte sie ihn lieber wieder ankeifen. Immerhin wüsste er dann, dass seine Schwester noch klar denken konnte. Er war sich im Moment nicht sicher, ob sie dies noch tat. Weiterhin verträumt schälte sie nun ein paar Wurzeln.

Zugegeben Lenja bewegte sich noch. Er hatte schon überlegt, ob sie ein böser Zauber heimgesucht hatte. Doch aus Balins Erzählungen wusste er, dass Zwerge in der Hinsicht vor solchen magischen Dingen geschützt waren. Sie verrieten keinem Fremden ihren wahren Namen und konnten dadurch auch nicht verzaubert werden. Er konnte sich auch nicht erinnern in letzter Zeit einen Magier in der Nähe von Lenjas Arbeitsstätte gesehen zu haben. Eigentlich hatte er noch nie einen Zauberer gesehen.

Was auch immer in seine Schwester gefahren war, es bereitete ihm Sorgen.
 

So entschloss er sich seinen Onkel aufzusuchen.
 

Balin saß an seinem Schreibtisch über einem Berg von Pergament als der Zwergenjunge nach kurzem Anklopfen die Tür öffnete. Langsam kam der Kleine mit nachdenklicher Miene auf seinen Onkel zu. Balin ließ von seiner Arbeit ab und nickte Ári freundlich zu.
 

„Was gibt es denn, das dich so drein blicken lässt, mein Neffe?“, fragte der Ältere interessiert.
 

„Kann ich auf deinen Schoß, Onkel Balin?“, wollte der Junge wissen und tippelte unentschlossen von links nach rechts.
 

„Aber natürlich“, entgegnete er ihm und Ári kletterte auf seine Knie.
 

„Hat deine Schwester wieder so schlimm mit dir geschimpft, Kleiner? Ich habe nicht gehört, wie sie dich zusammen gestaucht hat“, bemerkte Balin mit ein wenig Belustigung in der Stimme.
 

Ári schüttelte den Kopf: „Nein, das hat sie nicht. Dafür ist sie so anders.“
 

„Wie meinst du das, anders? Anders als noch gestern, wo sie dir und Dwalin am liebsten die Eisenpfanne über den Kopf gezogen hätte, dieses Anders? Oder anders als sie sonst gewesen war bevor sie den Entwurf für den König anfertigen sollte?“
 

„Beides passt. Sie ist so verträumt. Eben hat sie ganze fünf Minuten eine geschälte Mohrrübe in den Händen gehalten und sich keinen Millimeter bewegt. Ich glaube, Lenja hat ihren Verstand verloren. Oder sie wurde verhext. Onkel Balin, du musst sie dir mal angucken, wie sie da in der Küche sitzt und arbeitet. Sie ist dabei so unglaublich ruhig und abwesend“, meinte Ári.
 

Balin spürte, dass es seinem Neffen sehr wichtig war.

Er selbst hatte Lenja zwar gehört als sie von ihrer Arbeit heimgekommen war. Doch da er keinen Laut von ihr, wie in den letzten Tagen vernahm, beließ er es dabei und blieb in seinem Arbeitszimmer. Er wollte ihr und ihrem Gemütszustand aus dem Weg gehen. Seine Taktik war eine andere als die seines jüngeren Bruders, der mit seiner Nichte die offene Konfrontation suchte. Dwalin und Lenja waren sich in der Hinsicht sehr ähnlich, was sehr oft zu Streitigkeiten führte. Und gerade jetzt seitdem sich etwas deutlich in ihrer Seele umtrieb, hätte er seinen Bruder am liebsten für sein Verhalten geohrfeigt. Er schien ja nur förmlich den Konflikt mit ihrer Nichte zu suchen. Und Lenja stieg jedes Mal auch gleich darauf mit ein. Nur Ári konnte nichts dafür, wenn mit seiner großen Schwester die Pferde durchgingen und sie ihn nur aufgrund seiner bloßen Anwesenheit ausschimpfte.
 

So entschloss er sich Ári zu folgen und sich einmal anzuschauen, was sein Neffe genau meinte. Gemeinsam schlichen die beiden über den Flur und blieben etwas versteckt in der Diele stehen, um das Szenario in der Küche unbemerkt zu beobachten.
 

Lenja saß immer noch an ihrem Schneidbrett. Immerhin waren jetzt alle Mohrrüben und Wurzeln für den Eintopf geschält. Doch schnitt sie sie in Zeitlupe.

Balin ahnte nun, was Ári ihm sagen wollte. Seine Nichte wirkte wirklich abwesend. Manchmal schloss sie kurze Zeit ihre Augen und atmete tief durch, um dann im nächsten Moment heftig auszuatmen. Etwas trieb sie um. Doch schien es nicht das altbekannte Thema Arkenstein zu sein. Es war etwas anderes. Der Zwerg konnte eine Mischung aus Zufriedenheit und Unsicherheit auf den Zügen der jungen Frau lesen. Es schien sie weniger zu belasten als die andere Sache, aber genauso sehr zu beschäftigen.

Wieder tief in Gedanken versunken, umspielte nun ein Lächeln ihre Lippen.
 

Ári zupfte ganz aufgeregt am Ärmel seines Onkels: „Siehst du nun, was ich meine? Das ist doch richtig gruselig, oder nicht?“
 

„Komisch ist es schon, aber gruselig... Du brauchst dir keine Gedanken machen, Ári. Auf mich wirkt Lenja jedenfalls nicht verzaubert oder verwunschen“, meinte Balin zum Jungen.
 

Doch er ahnte, was für eine Art von Zauber auf Lenja lag. Nur er konnte es seinem jungen Neffen nicht als Magie verkaufen. Der Kleine würde sofort versuchen seine Schwester davon zu befreien. Er würde es noch nicht verstehen können, welcher Zauber über sie gekommen war.
 

Gerade fragte er sich im Stillen, wann Lenja eigentlich erwachsen geworden war als er hinter sich die schweren Schritte seines Bruders vernahm. Ári reagierte als erstes indem er Dwalin entgegen huschte und mit einem Zeigefinger gefolgt von einem „Pssst“ zur Ruhe aufforderte. Der Zwerg staunte nicht schlecht als er seinen älteren Bruder im Halbdunkeln vor der offenen Küchentür entdeckte.
 

„Was macht ihr hier für einen Quatsch? Ich dachte schon, sie hätte euch beide in einem ihrer neusten Anfälle niedergestreckt. Stattdessen schleicht ihr im Dunkeln vor der Küche herum. Was soll das denn?“, flüsterte Dwalin aufgebracht.
 

„Guck doch“, forderte Ári ihn so leise wie möglich auf und deutete in Lenjas Richtung.
 

Der Zwerg staunte nicht schlecht. Um ehrlich zu sein, hatte er seine Nichte gar nicht in der Küche bemerkt gehabt. Sie war so leise. Sie rührte sich kaum. Und wenn sie den Holzlöffel nun über der Feuerstelle kreisen ließ, dann waren dies sehr langsame Bewegungen. Er musste kurz nachdenken. Spielte sein Verstand ihm just einen Streich? War das wirklich Lenja? Die Lenja, die ihm gestern Abend für einen lapidaren Kommentar fast die Eisenpfanne über den Schädel gezogen hätte? Die Lenja, die in den letzten Tagen immer auf Krawall aus war?
 

„Seit wann ist sie so?“, fragte Dwalin leise.
 

„Sie kam so aus der Schmiede“, meinte Ári als Entdecker von Lenjas Krankheit.
 

Dwalin fuhr sich durch seinen Bart und überlegte, was ihm der Anblick seiner Nichte sagen sollte. Auch in ihm drang sich ein Gedanke auf. Entsetzt fuhr es in ihm zusammen. Das könnte doch nicht möglich sein. Seine kleine Lenja! Nein, wann sollte sie denn erwachsen geworden sein? Sie hatte doch gestern erst das Laufen erlernt. Er war der stolzeste Onkel gewesen als sie ihm das erste Mal auf ihren kurzen Beinchen ohne Hilfe entgegen schwankte. Das konnte doch noch gar nicht so lange her sein! Und nun das hier? Er rang innerlich nach Fassung. Das konnte einfach nicht wahr sein.
 

Hilfesuchend wandte er einen Blick zu seinem Bruder. Auch in seinem Kopf schien der Anblick Lenjas eine Kette an Überlegungen zu Tage befördert zu haben.
 

Dwalin nahm allen Mut zusammen: „Spinne ich, oder hat es sie wirklich erwischt?“
 

Balin nickte: „Ich glaube schon. Was erwartest du denn? Sie ist zwar noch jung, aber wir müssen uns eingestehen, dass sie erwachsen ist. Wir beide haben gewusst, dass dieser Tag kommen wird.“
 

„Das kann doch nicht sein. Sie hat doch eben erst das Laufen erlernt und mit dem Sprechen angefangen! Was will sie sich denn jetzt damit? Sie ist doch noch viel zu jung, um sich mit solchen Dingen zu beschäftigen“, zischte der Jüngere.
 

„Du kannst sie nicht ewig beschützen, mein Bruder. Auch wenn es dir schwer fällt. Ihr Herz scheint bereits jemanden erwählt zu haben. Und du weißt ganz genau, dass es bei jedem unterschiedlich ist. Guck uns beide an. Wie lange warten wir schon, dass das mit uns passiert, was unserer Lenja widerfahren ist. Wir können glücklich sein, dass sie anscheinend ihr Glück bereits jetzt gefunden hat.“
 

„Ich breche dem Kerl alle Knochen! Sollte er sich auch nur einen Scherz mit ihr erlauben, dann...dann...“
 

„Was macht ihr drei hier überhaupt?“, Lenja stand in der offenen Tür.
 

Die Zwerge wirkten ertappt. Wieder einmal war es Ári, der seinen vorlauten Mund nicht halten konnte.
 

„Ich verstehe das auch nicht. Die beiden unterhalten sich schon die gesamte Zeit darüber, dass es dich erwischt hat. Ich habe keine Ahnung, was das sein soll. Aber es muss unglaublich mächtig sein. Du bist irgendwie so anders...“
 

„Bitte? Was habt ihr für Probleme? Was soll mit mir sein?“, fragte Lenja gleichzeitig verwirrt und verärgert.
 

„Kind, du brauchst dich dafür nicht zu schämen. Das ist völlig normal. Nur bist du eben ein wenig früh dran, wenn man den Schnitt unter uns Zwergen vergleicht“, begann Balin.
 

Sie riss ihre Augen auf. „Was wollt ihr denn nun von mir?“
 

„Lenja, es ist doch offensichtlich. Du hast dich verliebt und ich freue mich für dich.“
 

„WAS!? WAS SOLL DAS? IHR SPINNT DOCH ALLE ZUSAMMEN!“, schrie die junge Frau und rannte schneller als die drei Zwerge gucken konnten an ihnen vorbei.
 

Mit einem lauten Knall fiel ihre Kammertür ins Schloss.
 

„Wunderbar, Balin. Ganz toll gemacht. Jetzt haben wir hier einen kleinen Hausdrachen sitzen...“, meinte Dwalin.
 

„Sei bloß still! Wer wollte eben dem Zwerg noch die Knochen brechen, der Lenja den Kopf verdreht hat?“
 

**
 

Lenja ließ sich auf ihr Bett fallen.
 

Sollte Balin Recht haben? War sie wirklich in Thorin verliebt?

Sie schloss ihre Augen. Kaum in ruhiger Dunkelheit angelangt, erschien sein Gesicht wieder vor ihrem geistigen Auge. Sie konnte seinen Geruch wieder in ihrer Nase spüren. Den Geschmack seiner Lippen schmecken. Seinen Bart auf ihrem Gesicht spüren. Seine Wärme an ihrem eigenen Körper fühlen.
 

Ein Schauer durchfuhr ihren Körper. Er war so unbekannt und doch so schön. Alle noch so kleinen Härchen stellten sich rasant auf als sie an Thorin dachte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen und sie ertappte sich bei dem Gedanken herausfinden zu wollen, wie er wohl unter seinem Hemd aussehen musste. Röte schoss ihr sofort ins Gesicht. Sie schämte sich ein wenig für diese unkeuschen Gedanken. Bis zum heutigen Tag hatte sie immer gedacht, dass sie noch zu jung für die Liebe war. Selbst das Küssen schien für sie meilenweit entfernt zu sein. Und doch wurde alles innerhalb von wenigen Sekunden revidiert.
 

Wahrscheinlich hatte Balin Recht. Sie hatte sich in den dunkelhaarigen Zwerg Hals über Kopf verliebt. Doch empfand er genauso für sie? Er war ein Prinz. Ihm lagen die Frauen scharenweise zu Füßen. Er konnte sich nehmen, was und wann er es wollte. Kaum ein Mädchen hätte ihm wohl eine Abfuhr erteilt. War auch sie ihm verfallen ohne es zu wissen?
 

Ein Gefühl der Traurigkeit machte sich in ihrem Herzen breit. So war es wohl. Sie war ihm auf dem Leim gegangen. Sie war kein Deut besser als die anderen Frauen. Auch sie hatte ihn willig an sich heran gelassen. Der Kuss war wohl der Beginn eines perfiden Spiels. Er wollte sie nur in sein Bett zerren, um sie nachdem er bekommen hatte, was er wollte, wieder fallen zu lassen.
 

Tränen liefen ihr über das Gesicht.

Warum sollte ausgerechnet Thorin sie lieben? Eine Frau, wie sie?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Manu19
2016-04-15T16:42:14+00:00 15.04.2016 18:42
Huhu,
oh weh, da hat es aber jemanden so richtig erwischt. Ihre Gedanken sind ja nicht ganz abwegig, Thorin ist ein Prinz und dessen Familie wird wohl nicht so begeistert sein von der wahl des Prinzen. Mal schauen wie es weiter geht.

War wieder mal ein schönes Kapitel

LG MANU19


Zurück