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Selfishness

von

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Rückzieher

"Glaub mir Per, ich dreh' hier durch", flüsterte ich ins Handy hinein und blickte starr vor mir an die weißen Kacheln. Ich hatte mich ins Badezimmer verzogen, mit dem Vorwand mich fertig zu machen, und heimlich Per angerufen. Es war noch recht früher Morgen, weshalb er auch noch etwas verschlafen gewirkt hatte. Doch als ich ihn den Satz "Piotr hasst Schwule" an den Kopf geworfen hatte, schien er mit einem mal hellwach.

"Vielleicht hat er das ja ganz anders gemeint", versuchte er mich zu beruhigen, doch ich schüttelte den Kopf, auch wenn er es nicht sehen konnte.

"In welchem Ton er das gesagt hat, glaub mir das war nicht anders gemeint. Und sein Gesicht hättest du sehen müssen, als wäre er total angewidert gewesen." Ich seufzte. Ich fühlte mich miserabel. Und das lag nicht nur daran, dass ich die halbe Nacht nicht schlafen konnte.

"Und was willst du jetzt machen?", fragte mich mein großer Freund.

"Ich versuch irgendwie frühzeitig wieder abzureisen", meinte ich und wünschte ich müsste es nicht tun.

"Wirklich?", hörte ich Per fragen und während ich den Wasserhahn aufdrehte und ab und zu meine Hand hinunter hielt, antwortete ich ihm, dass es die einzige Lösung wäre. Ich könne ihm doch jetzt nicht die Wahrheit erzählen und außerdem hielt ich es hier in gewisser Weise nicht mehr aus - auch wenn ich seine Nähe schon noch genoss.
 

Wir hatten das Gespräch beendet und Per hatte mir versichert, dass er zu Besuch kommen würde, wenn ich wieder in Bremen wäre. Um Piotr nicht noch länger warten zu lassen, machte ich mich tatsächlich fertig und ging zu ihm in die Küche, wo er gerade die Morgenpost durchstöberte.

Ich musste schmunzeln, als ich ihn so vertieft darin am Küchentisch vorfand. Er hatte mich nicht eintreten gehört oder aber er hatte es einfach ignoriert.

"Ähm", sprach ich ihn an und er hob den Kopf, blickte mich fragend an. Ich biss mir kurzzeitig auf die Lippen und suchte nach den richtigen Worten.

"Es ist was ganz blödes passiert", redete ich weiter und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch. Er schaute mich schon ganz verwundert an und wollte wohl gerade fragen, was denn passiert sei, da kam ich ihm zuvor.

"Unser Trainer hat ganz plötzlich für heute Nachmittag ein Training angeordnet. Wahrscheinlich weil wir gestern nicht gewonnen haben oder so." Ich zuckte mit den Schultern. "Jedenfalls muss ich bald schon wieder los."
 

Piotr legte die Zeitung beiseite. Ich konnte seine Miene nicht deuten. Er blickte mich an und meinte dann, dass es schade sei, man aber wohl nichts daran ändern könnte. Ich nickte nur.

Unter der Tischplatte hatte ich die Hände verkrampft.

Ob es gut gewesen war, dass er mir gestern davon erzählt hatte? Was wäre wohl passiert, hätte er es nicht erwähnt und ich hätte ihm heute ganz nebenbei verraten, dass ich auf ihn stehen würde. Mir wurde übel bei dem Gedanken. Er hätte mich angeblickt, angeekelt, und mich rausgeschmissen, mir gesagt, ich solle mich nie wieder bei ihm melden.

Doch die jetzige Situation war wohl auch nicht besser.
 

"Und wann musst du los?", fragte mich Piotr und ich lehnte mich etwas nach hinten.

"Ich denke so gegen zwölf. Dann habe ich noch genug Zeit, vor dem Training zu mir zu fahren."

"Okay", meinte er. "Und was machen wir bis dahin?" Er lächelte. Ich versuchte nicht schwach zu werden. Jetzt bloß nichts falsches machen oder sagen, redete ich mir ein.

"Vielleicht draußen ein wenig kicken? Oder wir können auch noch die restliche Zeit gemütlich auf der Couch verbringen", sagte ich grinsend und bemerkte, wie Piotr etwas schmunzelte.

"Nach draußen gehen hört sich nicht schlecht an", meinte er dann und ich nickte.
 

Somit machten wir uns beide fertig und waren kurze Zeit später draußen vor dem Haus. Zum Glück wohnte Piotr nicht an einer gut befahrenen Straße, sondern in einer Nebenstraße, sodass wir ungehindert den mitgebrachten Ball umherkicken konnten. Wir passten uns das Runde gegenseitig zu, nahmen ihn an, spielten ein wenig damit. Obwohl wir das ganze Jahr über mit dem Fußball zu tun hatten, bekamen wir nie genug davon. Es war einfach entspannend, mit dem Ball rumzutüfteln, ohne dass man es mit Druck oder unter Anspannung tun musste.
 

Ich schaute Piotr zu, wie er den Ball mit dem Fuß annahm und ihn dann in die Luft beförderte. Als er wieder runter kam, stoppte er ihn mit dem Oberschenkel und hielt ihn dann für kurze Zeit da drauf.

Ich warf einen flüchtigen Blick auf meine Armbanduhr und seufzte innerlich auf.

Hin und her gerissen versuchte ich, meinen Kopf mit dem Fußball spielen abzulenken. Doch immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich darüber nachdachte doch noch zu bleiben. Es irgendwie zu wenden, dass ich doch nicht gehen musste. Doch zwischen Vernunft und Verlangen war der große Spalt namens Angst, der mir deutlich mitteilte, lieber fürs erste einen Rückzieher zu machen.
 

"Ich denke ich muss dann mal...", leitete ich meine Rückreise ein und stoppte den Ball mit der Schuhspitze.

"Ja", gab Piotr von sich und fischte seine Schlüssel aus der Hosentasche. "Holst du deine Sachen? Ich fahr schon mal das Auto runter." Und mit einer Handbewegung deutete er auf sein Auto, dass neben dem Hauseingang parkte.

"Sicher", meinte ich nur und flitzte dann durch die Wohnung, nachdem er mir aufgeschlossen hatte. Als ich meine Sachen zusammen hatte, warf ich noch einen letzten Blick durchs Wohnzimmer, atmete noch ein letztes Mal seinen Duft ein und speicherte alles genau ab. Wer weiß, wann ich das nächste Mal wieder hier sein würde?
 

Vorsichtig schloss ich die Tür hinter mir und warf kurz daraufhin meine Tasche auf die Rückbank des Autos, stieg dann selbst vorne ein. Piotr fuhr sofort los. Während der Fahrt redeten wir eigentlich nicht viel. Wir kamen auf die momentane Situation in der Bundesliga zu sprechen, sprich, wo sich unsere Clubs momentan in der Tabelle befanden. Und auf die kommenden Spiele, die wir beide gegen momentan eher nicht so gute Clubs spielen müssten.

"Also wenn wir da keine drei Punkte mit nach Hause nehmen, weiß ich auch nicht weiter", bemerkte Piotr grinsend und ich nickte.

"Aber man bemerke, dass ihr es schon des Öfteren geschafft habt, gegen schwache Gegner zu verlieren", versuchte ich ihn zu necken, doch er zuckte nur mit den Schultern.

"Ja leider."
 

Piotr stieg noch mit mir aus, begleitete mich bis zum Bahnsteig und vorher noch zu den Ticketautomaten.

"Echt schade, dass du schon gehen musst", sagte Piotr, während ich hoch zur Anzeigetafel blicke. Meine Bahn würde in einer Viertelstunde fahren. Gut, dass die Züge Richtung Bremen hier so regelmäßig fuhren.

"Mhm. Wäre gerne noch länger geblieben", meinte ich und blickte ihm ins Gesicht. Eine Lüge. Okay, eine halbe Lüge. Immerhin wollte ein Teil von mir gerne bei ihm bleiben. Ein Teil, der zum Glück nicht all zu dominant war.

Wir gingen die Treppen herunter zum Bahnsteig und ich warf flüchtig einen Blick in die dort stehende Bahn. Sie schien nicht all zu voll zu sein.

Ungefähr in der Mitte blieben wir vor einem Eingang stehen und ich ließ meine Tasche auf den Boden sinken.

"Ich glaub' ich suche mir schon mal einen Platz", nuschelte ich etwas und deutete hinter mich. Piotr verzog das Gesicht kurz zu einem Lächeln und hielt mir dann seine Hand hin. Ich schlug ein, drückte seinen kleinen Körper kurz gegen meinen und ließ ihn dann schnell wieder los.

"Bis dann. Wir schreiben uns sicher, oder?", fragte er und mimte dabei das Schreiben auf einer Tastatur nach.

"Klar", versicherte ich ihm, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob das schon bald oder erst in einiger Zeit sein würde.

"Also tschüß dann."
 

Ich nahm meine Tasche wieder auf, ging die paar Schritte bis in die Bahn, blickte dann wieder zurück.

Und er stand da wie bestellt und nicht abgeholt, sodass ich beinahe den Verstand verloren hätte und wieder ausgestiegen wäre, einfach wieder zurück zu ihm.

Doch ich verkrampfte meine Hände, schenkte ihm noch ein Lächeln und ging dann weiter rein, um einen freien Platz zu suchen.

Ich drehte mich nicht mehr zum Fenster, wusste also nicht, ob und wie lange er da noch stand oder ob er gleich wieder verschwunden war. Wollte es wahrscheinlich auch nicht wissen.

Nachdem ich einen freien Zweisitzer gefunden hatte, ließ ich mich am Fenster nieder und verfrachtete meine Tasche neben mich, kommunizierte so mit meiner Umwelt, dass ich keinen neben mir haben wollte.

Wie von selbst kramten meine Hände schon in der Tasche nach meinem IPod, sodass ich mir kurze Zeit später die Hörer in die Ohren stecken konnte. Die Musik stellte ich auf normale Lautstärke, sodass ich wenigstens noch den Chauffeur bemerken würde.
 

Die Minuten vergingen viel zu langsam. Mit dem Handy in der Hand beobachtete ich, wie sich alle sechzig Sekunden die Minutenanzeige um eins erhöhte. Irgendwann war die Bahn dann auch endlich losgefahren und ich hatte schwer geseufzt. Dann hatte ich Per geschrieben, dass ich so in einer Stunden da sein würde, und mich mit geschlossenen Augen zurück gelehnt, hatte meiner Musik gelauscht und den leisen Stimmen der anderen Passagiere.
 

Als ich bemerkte, dass es bald in den Bahnhof rein ging, packte ich meine Sachen zusammen und machte mich aufbruchbereit. Das Wetter hatte sich mittlerweile verändert. Zuvor beim Fußballspielen schien die Sonne, doch jetzt war der Himmel grau und man konnte erahnen, dass es heute noch Regen geben würde. Sollte mir egal sein. Ich würde den ganzen Tag zu Hause verbringen.
 

"Entschuldigung?", wurde ich mit einem Mal aus meinen Gedanken gerissen. "Können sie mir vielleicht helfen?"

Ich blickte auf und sah ein junges Mädchen - so um die zwanzig - im Gang stehen. Sie zeigte auf die Gepäckablage oberhalb der Sitze und meinte, sie bekomme ihren Koffer nicht herunter. Ich stand freundlich lächelnd auf und nahm den Koffer, der direkt über meiner Sitzreihe lag, hinunter. Sie bedankte sich vielmals und verabschiedete sich sogleich. Den Koffer hinter sich her ziehend verschwand sie Richtung Ausgang.
 

Ich schnappte mir meine Tasche und ging ihr schnell hinterher. Sie stand bereits vor der Zugtür, an einem Festhaltegriff gelehnt und tippte auf ihrem Handy herum. Grinsend stellte ich mich neben sie und sprach sie unverwandt an.

"Und wo geht's hin? Nach Hause?"

Erschrocken blickte sie auf und ich schmunzelte über ihren Gesichtsausdruck und die großen Augen, die sie machte. Dann verdrehte sie ihre braunen, wie ich bemerkte, Augen und blickte wieder auf das Gerät in ihren Händen.

"Nein, ich besuche eine Freundin hier in Bremen", erzählte sie mir dann und tippte bereits wieder vor sich hin. Ich schwieg erstmals, sah zu, wie sie das Handy bald wieder wegsteckte und mich dann ansah.

"Und Sie?"

"Du, bitte. Sonst fühle ich mich so alt", lachte ich und sie lächelte etwas. "Ich bin auf direktem Wege nach Hause."
 

Wir fuhren gerade in das Gleis ein und ich konnte schon förmlich die schöne Bremer Stadtluft riechen. Es tat gut, wieder hier zu sein. Obwohl ich nun wirklich nicht lange weg war. Dennoch fühlte es sich gleich wieder besser an, zu Hause zu sein. Viel sorgloser und befreiender.
 

Wir stiegen gemeinsam aus und ich dachte zuerst, dass sie sofort verschwinden würde, doch sie blieb ein paar Schritte von mir entfernt stehen und blickte mich erwartungsvoll an. Ich fragte mich, ob sie wusste, wer ich bin, ging dann auf sie zu.

"Darf ich deinen Namen erfahren?", fragte ich sie unvermittelt und sie schien keineswegs überrascht, geschweige denn genervt.

"Sarah. Und mit wem habe ich es zu tun?" Aha, da war die Antwort auf meine vorherige Frage.

"Clemens..", meinte ich, immer noch mit einem Grinsen auf den Lippen.

"Fritz", meinte sie plötzlich und schmunzelte etwas. "Dann hab ich wohl doch richtig gelegen. Tut mir Leid, ich interessiere mich nicht all zu sehr für Fußball."

Ein wenig Überrascht hob ich die Augenbrauen, antwortete ihr dann aber schulterzuckend. "Kein Problem, muss ja auch nicht sein. Und trotzdem weißt du meinen Namen?"

Sarah lachte kurz. Sie zeigte flüchtig auf ihren Koffer und meinte dann seufzend "Meine Freundin."

Und bevor ich nachfragen konnte, erklärte sie mir, dass ihre Freundin Fußballfan sei und von mir ein Poster bei sich hängen hätte. Daran konnte sie sich erinnern und so meinen Namen zuordnen.

"Ah, interessant", meinte ich fröhlich und bemerkte, wie sie ihr Handy wieder hervorkramte.

"Dürfte ich vielleicht ein Foto machen?", fragte sie dann und setzte einen fragenden Blick auf, dem man einfach nicht zurückweisen konnte.

"Sicher", meinte ich, setzte dann aber noch lachend etwas hinzu. "Wenn ich dafür deine Handynummer kriege?"

Völlig überrumpelt blickte sie mich an. Vielleicht kam es zu aufreißerisch rüber, das hatte ich nicht gewollt.

"Naja", versuchte ich mich rauszureden. "Ich finde man kann sich gut mit dir unterhalten..."

"Wieso nicht", meinte sie lächelnd und hielt dann ihr Handy hoch, um ein Foto von mir zu machen. Ich grinste mein typisches Grinsen. Sie drückte ab und speicherte es. Ich gab ihr noch ein Autogramm auf ihre Bahnkarte mit. Dann tauschten wir Nummern aus und ich fragte sie zu guter Letzt, woher sie denn komme.

"Hamburg", antwortete sie daraufhin nur, fast so, als wäre es doch selbstverständlich gewesen, weil die Bahn ja durch die Stadt an der Elbe gefahren ist.
 

Für einen Moment musste ich wieder an Piotr denken. Jedoch verbannte ich ihn sofort wieder aus meinen Gedanken und lächelte Sarah an.

"Nun gut. Ich denke deine Freundin wartet auf dich und ich muss auch langsam los."

"Ja stimmt", bemerkte sie und warf nebenbei einen Blick auf die Große Uhr hier in der Bahnhofshalle. "Man sieht sich... oder schreibt sie, wie auch immer."

"Klar", grinste ich und wir verabschiedeten uns. Dann verschwand sie und ich blieb für einen Moment noch auf dem Gleis stehen.
 

Seufzend sah ich das Braunhaarige Mädchen davongehen und haute mir mit der Flachen Hand gegen die Stirn.

"Was sollte das, du Idiot?"

Jetzt sprach ich schon wildfremde Mädchen an und tauschte mit denen Handynummern aus. Vollidiot. Einfach nur ein Vollidiot.

Verzweifelt ging auch ich los und verfluchte mich weiterhin. Jetzt dachte sie sicher, ich würde mich für sie interessieren, würde etwas mit ihr anfangen. Das würde bestimmt noch böse enden, wenn ich sie abweisen müsste. Super gemacht, Herr Fritz. Echt super.
 

(Flashback)
 

»Clemens! Hey, weilst du noch unter uns?«

Überrascht blickte ich Per an, der mit seiner Hand vor meinem Gesicht rumwedelte.

»Äh ja klar«, meinte ich daraufhin und setzte ein unschuldigen Blick auf.

»Hast du mir überhaupt zugehört?« Er blickte mich streng an. Ich hingegen nickte nur, schüttelte dann aber sofort den Kopf und blickte nun entschuldigend zurück.

Per seufzte. »Wo bist du mit deinen Gedanken?«

Ich stutzte. Das war eine berechtigte Frage.

Eben gerade noch hatte ich an einen gewissen Hamburger Mittelfeldspieler gedacht und war mit einem Mal ganz woanders gewesen.

»Sorry«, nuschelte ich entschuldigend und Per lächelte nur, um mir zu verstehen zu geben, dass es nicht so schlimm sei.

Wieso musste ich die ganze Zeit an Piotr denken, dass war doch nicht normal . Schon den ganzen Tag spuckte er in meinem Kopf herum und ich... ich konnte nichts dagegen tun.

Per hatte wieder angefangen, über irgendetwas zu erzählen und ich versuchte mich wenigstens ein bisschen darauf zu konzentrieren. Ich konnte ihm wohl kaum erklären, warum ich die ganze Zeit so abwesend war. Er würde mich für blöd erklären, immerhin wusste er noch nichts über mein Interesse am eigenen Geschlecht.



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