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Gebunden durch Hass

von

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Ausgerechnet Envy

„Ich hätte mir auch jemand anderen gewünscht“, sagte der Homunculus gelassen.

„Eigentlich kann ich mir die Frage sparen, aber was tust du hier?“

„Ach, du kennst mich“, lächelte Envy böse. Ed betrachtete ihn genauer. Die Gefangenschaft hatte ihm nicht gutgetan. Seine Augen waren leer und glanzlos, seine Haare stumpf und er war extrem abgemagert. Auch er war an die Wand gekettet, schien sich aber daran gewöhnt zu haben.

„Einige scheinen mich nicht zu mögen“, unterbrach Envys Stimme ihn.

„Ja, weil du auch so einen liebenswerten Charakter hast“, spottete Ed.

„Immer noch wütend, was? Du bist ganz schön nachtragend, Winzling.“

„Du hast mich umgebracht!“, fuhr der frühere Alchemist ihn an. „Und nenn mich nicht so.“

Envy kicherte wieder, hörte aber auf, als die Tür aufging und der Aufseher eintrat. „Essen fertig?“, grunzte er und betrachtete sie mit seinen kleinen Schweinchenaugen.

„Den Fraß kann niemand essen. Willst du ihn, Fettwanst?“ Ein Zischen ertönte und der Homunculus schloss die Augen, als eine lange Peitsche in direkt auf der Schulter traf.

„Nicht fett“, knurrte der Aufseher erbost.

„Wir sind fertig“, sagte Ed schnell, um ihn zu beruhigen. Der Mann nahm den unberührten Teller mit und knallte die Tür zu. „Was sollte das?“, fragte Ed leise.

„Ts, Haldro ist fett, dumm wie Brot und hässlich wie die Nacht.“

„Das weiß ich, aber du musst es ihm nicht sagen.“

„Man merkt, dass du noch nicht lange hier bist, Winzling“, sagte Envy und rieb sich mit der freien Hand die Schulter. „Haldro ist wegen jeder Kleinigkeit wütend.“

„Dann lass ihn doch in Ruhe.“

„Mir machen die Schläge nichts aus. Und ich brauche etwas Unterhaltung.“

„So was nennst du Unterhaltung?“

„Ja, allerdings. Zu sehen, wie lange es braucht, bis sein dummes Hirn begreift, was ich sage, ist äußerst amüsant.“

Ed seufzte resignierend und lehnte sich ebenfalls an die Wand.

„Wie lange bist du schon hier?“

„Ich weiß es nicht mehr. Die Zeit spielt hier drinnen keine Rolle. Jeder Tag ist wie der andere. Man bekommt drei Mahlzeiten und etwas Wasser, um nicht zu verhungern. Ansonsten passiert hier nicht viel.“ Beide verfielen in Schweigen, bis Haldro wieder auftauchte und ihnen neues Essen brachte.

„Wo hast du das her? Hat deine Mutter das zubereitet? Das würde erklären, warum du so hässlich bist.“

Haldro bebte vor Wut, als er Envy wieder mit der Peitsche schlug. Diesmal waren die Schläge härter und zahlreicher, doch der Homunculus sagte kein Wort. Ed wandte seinen Blick ab, während Haldro Envy hochhob, als würde er nicht mehr wiegen als ein Kind.

„Nicht meine Mutter“, zischte er.

„Warum nicht?“, fauchte der andere. „Ist sie etwa genauso hässlich wie du?“ Die Augen des Aufsehers verengten sich und er schlug den Körper des Homunculus gegen die Wand, wieder und wieder.

„NICHT MEINE MUTTER!“, brüllte er.

„Haldro“, sagte eine ruhige Stimme von der Tür aus. Ein weiterer Mann stand dort. „Beruhige dich.“

Schnaubend ließ Haldro den bewusstlosen Envy los und marschierte aus dem Raum. Der andere untersuchte den Homunculus, schnell und unpersönlich. „Das wird wieder“, murmelte er halblaut, bevor er seine Aufmerksamkeit Ed zuwandte. „Merk dir eines, Fremder: Solange du dich still verhältst, wird dir nichts passieren. Schade, dass der hier seine Zunge nicht im Zaum halten kann.“ Auch er ging und der frühere Alchemist wagte es, zu dem geschundenen Körper neben sich zu schauen. Das Bild erschreckte ihn zutiefst.

Envy hatte einiges abbekommen. Blut sickerte aus zahlreichen Wunden und Haldro schien ihm die Schulter ausgekugelt zu haben. Ed dachte sich, dass er selber Schuld hatte. Der Homunculus hatte immer schon ein loses Mundwerk gehabt, was ihm nun immer wieder Schwierigkeiten brachte. Trotzdem empfand er etwas Mitleid. Da ihm nichts anderes übrigblieb, zwang er sich zu essen, obwohl das Essen wirklich furchtbar war. Endlich signalisierte ihm ein Stöhnen, dass sein alter Widersacher zu sich gekommen war.

„Elender Mistkerl…“, fluchte er und versuchte, sich aufzusetzen, was nur ein weiteres Stöhnen zur Folge hatte.

„Halt still“, befahl Ed und robbte so nahe an ihn heran, wie er konnte. Es war ihm mehr als unangenehm, Envy zu helfen, aber er hatte keine Lust, sich dessen Gejammer anzuhören. Angespannt beobachtete der Homunculus ihn.

Mit einer schnellen Bewegung packte Ed den Arm des anderen und renkte seine Schulter wieder ein. Envy schrie kurz auf, was Ed als Erfolg verbuchte. Er zog sich wieder zurück und reichte den Teller weiter.

„Iss“, sagte er nur und ignorierte den überraschten Blick des Homunculus.

„So kenne ich dich ja gar nicht, Winzling. Hast du endlich deine Eier gefunden?“

„Halt den Mund“, knurrte Ed wütend.

„Wenn du mir verrätst, was du hier tust, vielleicht“, grinste Envy.

„Na schön. Ich werde beschuldigt, ein Feuer in einem Waisenhaus gelegt zu haben.“ Anerkennend pfiff der Homunculus durch die Zähne.

„Das hätte ich dir gar nicht zugetraut, Winzling.“

„Ich bin unschuldig“, brauste Ed auf. „Ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Seine Stimme wurde leiser. „Bei dem Feuer sind zwölf Kinder gestorben. Ich weiß, wer es war, aber keiner hat mir zugehört.“

„Das tun Menschen nie“, meinte Envy verächtlich.

„Jedenfalls bin ich geflohen. Wie du siehst, hat mir das nicht viel gebracht.“

Er hob den Kopf und sah zu dem vergitterten Fenster hoch, durch das immer noch etwas Licht fiel. Tausende Gedanken strömten ihm durch den Kopf. Er musste versuchen, aus diesem Kerker herauszukommen. Aber wie? Niemand hatte das geschafft. Aber er musste es schaffen, wenn er seinen Bruder jemals wiedersehen wollte. Erneut blieb sein Blick an der Kette hängen. Sie ging von seinem Arm bis zu einem Ring, der an der Wand befestigt war und weiter bis zu Envys Handgelenk, wo sie schließlich endete. Wenn er fliehen wollte, würde er einen guten Plan brauchen und den Homunculus wohl mit… WAS? Betäubt sah der einstige Alchemist zu seinem alten Feind. Er hatte keine andere Wahl. Er würde Envy mitnehmen müssen. Na, das konnte ja heiter werden. Ausgerechnet die Person, die ihn in diese Welt gebracht hatte und die er mehr als jede andere hasste. Haldro, der ihnen ihre Teller wieder wegnahm, unterbrach ihn kurz. Diesmal hielt Envy sich zurück, was ihn offensichtlich ziemliche Anstrengung kostete.

Auch Ed sagte nichts. Er hatte gelernt, Haldro nicht zu reizen oder sonst etwas zu tun, was den Aufseher irgendwie störte. Nachdem die Tür wieder zu war, drehte er sich etwas zur Seite und versuchte, zu schlafen. Doch als er erwachte, fühlte er sich schlimmer als vorher. Auch der Homunculus schlief, wobei er ziemlich angespannt wirkte. Langsam ging die Sonne unter und ließ die beiden Kontrahenten still, verloren und gefangen zurück.

So vergingen die Tage. Irgendwann verlor auch Ed jegliches Zeitgefühl. Immer noch dachte er über eine Flucht nach. Leicht würde es nicht werden. Da war zum einen Haldro, der sie ständig im Auge behielt, zum anderen gab es ja auch noch die verschlungenen Gänge. Und zu allem Überfluss diese arrogante Last an seiner Seite, die an ihn gekettet war. Der Homunculus schien sich recht gut erholt zu haben, denn er reizte den Aufseher bei jeder Gelegenheit. Dass er dafür die Peitsche zu spüren bekam, interessierte ihn überhaupt nicht. Kein einziges Mal schrie er oder ließ sich sonst irgendwie seinen Schmerz anmerken. Haldro war zwar dumm, aber nicht völlig bescheuert. Und er war stark, stärker als es aussah. Mit der Zeit probte auch der ehemalige Alchemist den Widerstand.

Es war ein trüber Tag und er hatte ziemlich miese Laune. Ihm tat alles weh, seine ganze Situation war mehr als ungerecht und er hatte rasende Kopfschmerzen. Als Haldro hereinkam, um die Pampe, die als Mittagessen bezeichnet wurde, einzusammeln, kam er Ed zu nahe. Der trat zu und erwischte den Aufseher am Kinn. Grunzend erhob sich der Aufseher und ließ die Peitsche tanzen. Die Schmerzen waren grausam und obwohl er es versuchte, konnte er sich einen Schrei nicht verkneifen. Zufrieden mit seinem Werk, stapfte Haldro hinaus. Wimmernd saß Ed da und spürte, wie ihm Blut aus den Stellen floss, wo der Kerl ihn getroffen hatte. Envy beobachtete ihn, seine Augen hatten einen seltsamen Ausdruck.

„Du hast ja tatsächlich deine Eier gefunden, Winzling. Leider wird dir das hier drin nichts nützen.“ Ed ignorierte ihn, Tränen liefen ihm übers Gesicht.

„Hör auf zu heulen, das ist ja erbärmlich.“

„Lass mich in Ruhe.“

„Was dachtest du denn? Dass Haldro dich in Ruhe lässt, wenn du ihn angreifst? Ich hätte dich für klüger gehalten.“

„Ich will doch nur nach Hause“, schluchzte Ed und vergaß dabei völlig, wer neben ihm saß. „Ich will zurück zu meinem Bruder und zu Pinako und Winry. Ich vermisse sie, sogar den dämlichen Mustang.“ Er verbarg sein Gesicht in seiner Armbeuge und versuchte, sich zu beruhigen. Doch er schaffte es nicht. Ungehindert ließ er seinen Gefühlen freien Lauf, bis er schließlich völlig erschöpft zusammensank. Sein Mitgefangener war ungewöhnlich still geworden, hatte ihn aber nicht aus den Augen gelassen. Wahrscheinlich fand er es ziemlich lustig, den einstigen Alchemisten so zu sehen. Aber Ed hätte auch nichts anderes erwartet. Nicht von Envy. Der Homunculus hatte es immer genossen, seine Opfer leiden zu sehen. Aber er schien sich wohl doch ein wenig gebessert zu haben. Ohne etwas zu sagen, kam er an den anderen heran und legte den Kopf schief.

„Bist du endlich fertig?“

„Sehr lustig“, fauchte Ed.

„Das passiert jedem hier. Erst kommt der Schock, dann das Geheule, dann Wut und irgendwann ist einem alles egal.“ Langsam, fast widerwillig, hob er die Hand und legte sie dem völlig verdatterten Ed auf die Schulter. Ihm war das wohl mehr als peinlich, denn er vermied es, den anderen anzusehen.

„Versuch etwas zu schlafen. Und sorg dafür, dass niemand etwas bemerkt. Alles hier drin hat nur ein Ziel: dich zu brechen und gefügig zu machen. Sobald denen das gelingt, wird es hier drin unerträglich.“ Kurz schien er verlegen, dann zog er sich zurück und lehnte sich an die Wand. Stille legte sich über die beiden, als der Mond durch die Wolken brach und das Gefängnis in sein bleiches Licht tauchte.



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