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The Akatsuki Job

[Itachi x Sakura | modern AU | thriller]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eine kleine Vorwanung: dieses Kapitel wird anstrengend. Zur Erleichterung habe ich im Nachwort alle relevanten Punkte zusammengefasst. Komplett anzeigen

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Flower Sniper


 

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Den Finger am Abzug zögerte Sakura.

Verdammt. Es hatte drei harte Monate kreativen Wagemuts gebraucht, um ihn aufzuspüren. Zwölf Wochen Beschattung, Befragung, zwölf Wochen verrauchte Bars und stinkende Kneipen. Und am Ende war sie nur hier, weil er es zugelassen hatte. Er hatte es so gewollt.

Akatsuki war für niemanden schwer aufzuspüren. Zusammen waren sie ein deutlich sichtbares Bollwerk krimineller Energie; jeder für sich jedoch so fadenscheinig wie Rauch. Man konnte ihn aufsteigen sehen, aber man kam ihm niemals nahe genug, um ihn zu fassen.

„Möchten Sie auf ein Glas Wein mit hochkommen?“

Sakura biss sich auf die Lippen, um die aufsteigende Wärme in ihrem Gesicht niederzukämpfen. Fuck!

Sie arbeitete für Hidden Leaf, eine Gruppe elitärer Assassinen. Sie war ausgebildet, um präzise, schnell und sauber zu töten. Radikale politische Oppositionäre, unkooperative Manager, Schmuggler, Schlepper, unliebsame Lobbyisten. Sie war ein verdammter Profi. Und Uchiha stand auf ihrer Liste ganz oben. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt. Dort stand er; in Anzug und gelockerter Krawatte auf der Dachterrasse seines Appartements. Ohne Deckung.

Schutzlos.

"Worauf wartest du, Sakura?"

Die Stimme aus ihrem Ohrknopf ließ ihren Finger am Abzug ihrer in Eile notdürftig modifizierten M40A5 zucken. Die Präzisionswaffe war auf einem Remington-700-System SA gebaut worden; einer Waffe, mit der sie seit sieben Jahren schoss. Effektive Reichweite eintausend Meter. Das Fenster, aus dem zielte, war keine achtzig Meter entfernt. Sie würde treffen.

„Sakura!“, drängte die Stimme erneut.

„Klappe, Sasuke“, zischte sie in das kleine Mikrofon, das am Kragen ihres Shirts angebracht war. "Er ist dein Bruder."

„Scheiß drauf. Drück ab – oder ich werd's tun!“

Für einen tiefen Atemzug schloss Sakura die Augen.

Jetzt oder nie. Er oder sie.

Er hatte sie längst entdeckt, noch bevor er seine Krawatte gelockert und sich genüsslich seine Zigarette angesteckt hatte. Uchiha Itachi war so ekelhaft selbstsicher und überheblich. Arrogant und selbstgefällig. Er traute ihr nicht zu, zu schießen.

Ihr Team stand bereit, wartete nur auf ihr Zeichen. Sie würde abdrücken, wenn seine Zigarette abgebrannt war. Höchstens noch vier Züge. Sie würde nicht versagen. Drei Züge. Das war sie Naruto, Sasuke und Ino schuldig. Zwei. Sie war es sich selbst schuldig. Einer. Der erste Irrtum dieses arroganten Bastards würde sein fatalster werden.

Peng.

Der Schuss war durch den Schalldämpfer kaum zu hören. Bloß ein paar Vögel flatterten aufgeschreckt von ihren Nestern in die Lüfte hinfort.

Luft. Darum schien sich plötzlich alles zu drehen. Sasuke sog sie scharf ein; Tenten schnappte entsetz nach ihr; Lee stieß sie erleichtert aus; Sakura spürte ihren Druck durch den Rückstoß der Waffe. Und Itachi Uchiha …

Uchiha Itachi ging nach ihr röchelnd nieder.
 

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Ab Initio


 

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Book One: Sleuthing

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Vier Monate zuvor

Akatsuki, das bedeutet roter Mond."

"Nie davon gehört."

"Von was hast du überhaupt Ahnung, Naruto?" Sakura stemmte die Hände in die Hüften und beobachtete Tsunade, die ihr geräumiges Büro durchsetzte, um ein Skript aus einer der vielen Schubladen des Aktenschranks zu holen, das sie Naruto auf den Schoß warf.

"Lies es", befahl sie. "Wann wirst du endlich lernen, deine Hausaufgaben zu machen?"

Sakura nahm ihm den Report ab und blätterte ihn übersichtshalber durch. "Akatsuki ist ein bekannter Verbrecherring hier in Ōsaka. Seine Zahl ist überschaubar, aber die Mitglieder bilden den elitärsten Kader des organisierten Verbrechens."

"Ihnen unterstehen eine Vielzahl kleinerer Verbrecherkohorten, wie Gangs, Diebe und Hehlerbanden, die von Bagatellverstößen bis hin zu Kapitalverbrechen eine breite Palette krimineller Aktivitäten umspannen, die allesamt von Akatsuki überwacht und reguliert werden. Drogenhandel, Entführung, Erpressung und sogar Mord stehen am Stundenplan." Sai war eingetreten und machte eine angemessene Verbeugung vor seiner Chefin. "Entschuldigen Sie die Verspätung, Tsunade-sama. Nachdem Neji mir dieses neue Virusprogramm auf meinen Laptop geladen hat, lässt sich partout keine Mail mehr öffnen. Leider weiß er nicht, wie man es rückgängig macht."

Tsunade seufzte ergebend. "Wie gut, dass unser einziger Hacker ein solches Genius besitzt. Wie dem auch sei, wollt ihr euch besprechen? Dieser Auftrag ist eine Klasse für sich. Ich habe meinen Auftraggebern nicht zugesagt; meine Position soll eure Entscheidung nicht beeinflussen. Ich traue euch diese Aufgabe zwar zu, aber ihr solltet sie nur annehmen, wenn ihr zweifellos sicher seid, damit fertig zu werden."

Sakura kicherte mit vorgehaltener Hand. "Wie süß. Machen Sie sich etwa Sorgen um uns?"

"Natürlich!" Tsunades heller Aufschrei ließ sie alle drei zusammenzucken. "Wer erledigt die geldbringenden Aufträge, wenn ihr tot seid? Ich kann Team Green nicht alles alleine machen lassen! Und Kakashi und seine Truppe sind auch nicht mehr die Jüngsten. Die können nicht einmal mehr eine Zielperson einen Tag lang beschatten, ohne über Gicht und Rheuma zu zetern. Ich lasse euch einen Augenblick alleine, um zu einer Übereinkunft zu kommen."

"Das ist nicht nötig." Naruto stand auf, eine Faust in die Luft gereckt. "Wir akzeptieren. Koste es, was es wolle! Der rote Mond kann sich warm anziehen, wenn Team Sieben auf der Matte steht!"

"Das ist kein Klingelstreich, Naruto", korrigierte Sakura seine Metapher reflexartig. Sie hatte Bedenken, die sie nie aussprechen würde. Es ging hier nicht um irgendeinen Kleinkriminellen, der einem etwas größeren Fisch auf den Geldschlauch getreten war. Es ging um einen Mann der gefährlichsten illegalen Gruppierung West-Honshūs, wenn nicht sogar Japans. Es ging um einen Massenmörder, einen lange in die tiefsten Abgründe der Menschlichkeit gerutschten Verrückten. Es ging um Uchiha Itachi. Sasukes Bruder.

"Naruto, bist du dir dessen bewusst, um wen es sich bei unserer Zielperson handelt?", fragte Sai, als habe er Sakuras Gedanken erraten. Vielleicht hatte er das sogar.

"Irgendeinen Kerl, der jemand anderem ein Dorn im Auge ist, so wie immer."

Als ob es so einfach wäre. Die Hitmen wurden von Politikern, Wirtschaftsmogulen und reichen Kriminellen angeheuert, um unliebsame Beweise, Sachverhalte oder Personen zu einem stattlichen Preis aus der Welt zu schaffen. Tsunades Moral verbot es ihr zwar, die gute Seite mit ihren tödlichen Schützlingen zu tangieren, doch es war nicht immer so einfach. Bei Uchiha Itachi war es das genaue Gegenteil: er war ein schlechter Mensch. Ohne Zweifel. Er musste beseitigt werden. Doch hier gab es ein anderes Problem …

"Wie sollen wir ihn finden?" Sakura stellte diese banale Frage mitten in den zum Zerreißen gespannten Raum. Naruto grinste zähnezeigend. "Das ist ein ernstes Problem. Uchiha Itachi ist schwerer zu fassen als schmutzige Luft. Niemand kennt seinen aktuellen Aufenthaltsort. Selbst wenn man einen davon findet, ist er längst verschwunden und hat seine Spuren verwischt."

"U-Uchiha Itachi?" Seine Perplexität war keine Überraschung. Natürlich hatte er die Kurzfassung der Missionsanfrage nicht gelesen. Es war immerhin Naruto. Der Schock zeichnete sich in seinem verzerrten Gesicht ab, als er nach Fassung ringend schluckte.

"Hast du es dir anders überlegt?", wollt Sai gewohnt tonlos wissen.

"Was heißt anders überlegen? Das ist großartig! Er ist der Grund für Sasukes … Zustand. Es wird mir eine Freude sein, ihn zu verprügeln, bis er um Gnade winselt! Vielleicht kann Sasuke dann endlich wieder lächeln."

Wie immer unglaublich einfach, dachte Sakura bitter. Wenn sie es nur ebenfalls so locker nehmen könnte, wäre sie vielleicht auch des Lächelns fähig, das auf seinem entschlossenen Gesicht strahlte. Als hätte Tsunade ihm eine Schüssel Ramen angeboten. Metaphorisch gesprochen hatte sie etwas Ähnliches tatsächlich getan.

"Dann ist es beschlossen? Sai? Sakura?"

Sie wandte den Blick zu der Frau, die wie eine Mutter für sie war. Tsunade saß mit überschlagenen Beinen hinter ihrem robusten Schreibtisch und kaute auf ihrem Fingernagel. Sie war sichtlich unzufrieden mit dem Ergebnis dieser Diskussion. "Darf ich fragen, wer diese Anfrage gestellt hat?"

"Du weißt, dass die Weitergabe dieser Details meinen persönlichen Prinzipien widerspricht. Es geht um den Tod von Uchiha Itachi. Je weniger ihr wisst, desto besser." Ihr Blick wanderte von Sakura zu Naruto und Sai. Er enthielt eine Warnung. "Erledigt diese Mission wie immer: Präzise und spurlos. Ich verlasse mich auf euch."

Team Sieben neigte seine Köpfe zu einer anerkennenden Verbeugung, ehe sie den Raum verließen; die stirnrunzelnde Impresaria einer Attentätergruppe zurücklassend. Mit diesen tiefen Falten auf der altersuntypisch glatten Stirn, sah sie ihnen durch die halbgeschlossenen Rollläden ihres Bürofensters dabei zu, wie sie lachend die Straße entlang gingen, bis Sakura kurz vor der nächsten Ecke ein Taxi zuwinkte. Tsunade seufzte besorgt. Sie hatte Vorahnungen. Böse Vorahnungen.
 

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Sakura zog die Papierjalousien des Abteils herunter, während Sai auf der anderen Seite die Tür dicht machte. Keine fünfzehn Stunden waren vergangen, seit sie den Auftrag ihres Lebens erhalten hatten. Keine fünfzehn Stunden, in denen sie ihre Ausrüstung überprüft und alle verfügbaren Informationen über Akatsuki und Uchiha Itachi gesammelt hatten. Die Ausbeute war mager.

Sie breitete ein paar Fotos auf ihren Knien aus, die mit Narutos zusammenstießen, um eine größere Auflagefläche zu ergeben. Sie zeigten nicht viel, außer verschwommene Amateuraufnahmen angeblicher Akatsuki-Kontaktmänner, die im Internet kursierten. "Akatuski begann wie viele kleinkriminelle Banden: als Schlepper", begann sie die Ergebnisse ihrer Nachforschungen offenzulegen. "Sie versprachen südkoreanischen, taiwanesischen und malaysischen Flüchtlingen eine legale Einreise nach Tōkyō mit anschließendem Job und verlangten dafür ordentliches Geld. Später spezialisierten sie sich auf Menschenhandel. Passende illegale Einwanderer wurden an Bordelle und Fabriken verkauft oder als Drogenkuriere missbraucht. Dadurch häuften sie Unsummen von Kapital an, das sie wiederum dazu verwandten, sich in die großen Deals Japans einzukaufen. So kamen sie mit dem reichsten Drogenkartell Japans in Berührung, gerüchteweise auch mit der Top Drei der Yakuza-kumi und einigen einflussreichen Geldwäschern."

"Inzwischen werden sie zu einer der gefährlichsten bōryokudan gezählt", fuhr Sai fort, seinerseits ausgedruckte Diagramme über die Fotos legend. "Die Drecksarbeit erledigen die ihnen hörigen Verbrecherringe, die unter ihren Schirmherren ein gutes Leben führen. Ihr Netzwerk illegaler Aktivitäten ist in ihrem eingenommenen Radius nahezu flächendeckend und sie haben an all diesen Aktivitäten finanziellen Anteil, was ihr Kapital in exorbitante Sphären pusht."

"Sie sind also reich und gefährlich. Nichts, was andere nicht auch sind, die wir umgelegt haben."

"Naruto!", schimpfte Sakura, wobei die Fotos von ihren Schenkeln rutschten. "Wie kannst du so leichtfertig sein? Heutzutage beschäftigt Akatsuki sich nicht mit kleinen Fischen. Sie haben es auf die dicken Haie abgesehen. Unternehmer, Politiker, Diplomaten. Ihre Spezialität ist das Entführen von Personen. Sie arbeiten mit beeindruckender Akkuratheit, lassen niemals Hinweise zurück. Noch nie hat ein Mitglied von Akatsuki einen Fehler begangen. Wenn ihre Gegner kooperieren und die Stolpersteine, die sie ihnen in den Weg geräumt haben, beseitigen, kommt die Geisel lebend wieder. Sind die Gegner unkooperativ, wird wochenlang jeden Tag ein neuer Teil der entführten Person an ihre Wohnadresse geschickt. Sie haben ein ideales System aufgezogen, in dem sie immer bekommen, was sie wollen."

Sai nickte zustimmend. "Als der Außenminister vor drei Jahren ein spezialisiertes Handelsembargo zur Verschärfung der Importkonditionen für ausländische Firmen einführen wollte, verschwanden seine Frau und sein Sohn. Nachdem er den Entwurf unter Akatsukis Aufforderung verworfen hatte, tauchten sie wenige Stunden später wieder auf. Keiner von beiden konnte eine einzige nützliche Information beisteuern."

"Akatsuki hat also sogar Beziehungen ins Ausland", schlussfolgerte Naruto. Er sank in seinen Sessel zurück, die Finger ans Kinn gelegt. "Sie regeln also nationale Angelegenheiten zugunsten ihrer Kontakte und streichen dafür Geld ein, das sie weiter investieren—na und? Das ist, was ich mich frage. Wieso interessiert uns Akatsuki? Unser Auftrag lautet, Uchiha Itachi zu töten, nicht irgendeine Organisation auszuheben."

"Du willst es nicht verstehen", resignierte Sakura. Sie ahmte unbewusst seine Bewegung nach, in der sie sich in den Sessel des Zuges sinken ließ. Die Arme vor der Brust verschränkt, stieß sie ihm wiederholt leicht gegen sein Schienbein. "Es geht schon um Uchiha, aber auch um sein Umfeld. Was haben wir immer als erstes getan, bevor wie anfingen, den Tod einer Person zu planen?"

"Sie observieren, ihre Gewohnheiten herausfinden, ihr Umfeld erkunden, Chancen zum Zuschlagen filtern."

Sie stoppte mit ihren Stupsern, die Augen auf Narutos verschränkte Arme gerichtet. "Uchihas Umfeld ist das Alpha und Omega. Er bewegt sich nicht wie unsere sonstigen Zielpersonen temporär von der legalen in die illegale Welt. Er lebt darin. Alles um ihn herum ist darauf ausgerichtet, ihn vor Leuten wie uns zu schützen. Weißt du, wie viele schon daran gescheitert sind, diesen Mann auszuschalten? Traut man dem Klatsch unserer Branche, gehen eine Menge Tode auf seine Rechnung. Und weißt du was? Er musste dafür keinen Finger rühren. Es gibt Schergen, die das für ihn tun. Vermutlich weiß er gar nicht, dass jemand hinter ihm her war, weil die anderen Auftragsmörder gar nicht erst in seinen Aufmerksamkeitsbereich gelangt sind."

Trotzig wie ein kleines Kind, hievte Naruto sich zu einem geraden Sitz auf, Sakura vorwurfsvoll anstarrend. "Du willst damit sagen, er bewegt sich in Kreisen, deren Wände um einiges schwieriger zu durchdringen sind, als jene, die wir bislang gewohnt waren. Ich sage: ein Mensch wächst an seinen Aufgaben."

"Dein Leichtsinn ist unfassbar!"

"Er hat recht, Sakura", mischte Sai sich ein. Er hatte zuvor die Muße gefunden, sämtliche Fotos aufzusammeln und nach Datum zu ordnen, während Sakura damit beschäftigt gewesen war, ihrem Kameraden das Wesentliche zu erklären. Er reichte ihr den Stapel schulterzuckend. "Was für einen Sinn hätte es gehabt, den Auftrag anzunehmen, wenn wir schon vorher vor Angst aus den Schuhen kippen? Lass uns zu dieser Bar fahren, ein wenig spionieren und später darüber sinnieren, was wir tun werden. Ganz ohne Eindrücke aus erster Hand lässt es sich gut spekulieren, aber nicht planen."

Naruto streckte seiner zaudernden Freundin eine Hand entgegen. Sie zögerte erst, nahm sie aber nach kurzer Überlegung an, um sich aufrecht ziehen zu lassen. Sakura war kein Hitman geworden, weil sie damit immer auf Nummer sicher gehen konnte. Sie wäre es gerne, aber der wahre Grund war, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte. So wie alle anderen. Man machte derlei Dinge nicht freiwillig, weil man es gerne tat. Man tat es, weil man es tun musste. Dies war nur eine von vielen Situationen, in der ihr ihre Entscheidung abgenommen wurde. Naruto und Sai hatten es längst akzeptiert und versuchten, das Beste daraus zu machen.

"Treten wir Uchiha in den Arsch!", rief sie ermutigt mit einem siegessicheren Grinsen auf den Lippen. "Bald wird ohnehin alles vorbei sein. In ein paar Wochen sind wir entweder erfolgreich oder tot."

"Das ist meine Sakura-chan! Immer schön positiv!", jubelte ihr blondes Gegenüber mit einem Hauch Sarkasmus.

Wie sehr sie sich doch getäuscht hatte!
 

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Sakura betrat die spärlich belichtete Kaschemme an Narutos Seite. Um ein Paar zu mimen, passte sie mit ihm optisch besser zusammen als mit Sai, was Naruto keineswegs störte, obwohl er seit über einem Jahr mit einer erfolgreichen Anwältin liiert war—die einen Herzinfarkt bekäme, wüsste sie, dass der Außendienstjob ihres Freundes einer der etwas anderen Art war. Das war der Grund, wieso Sakura sich weigerte, eine Liebesbeziehung einzugehen. Das, und ihre nervige Angewohnheit, ihren von ihr ikonisierten Ex-Kameraden als Maßstab herzunehmen.

"Wollen wir uns hierhin setzen, Schatz?" Naruto schob einen Sessel zur Seite, um ihr einen Platz anzubieten. Wie sie seine süffisante Art hasste, die klar zeigte, wie sehr er diese Farce genoss. Sie setzte sich und er ließ sich ihr gegenüber mit einem Auge in der Speisekarte versunken nieder. Das andere scannte die Umgebung.

Selbst nachdem sie bestellt hatten—Gin Tonic und Bourbon Whiskey ohne Eis—fiel Sakura nichts auf. Das Ambiente war das übliche einer zwielichtigen Spelunke, die auf der Kippe zur Illegalität stand; verraucht, düster, alt. Auf der abgewetzten Tuchbespannung des Billardtisches rollte eine Kugel in die hintere rechte Ecktasche, gespielt von einem hageren Mann mit wildem Bart und zerfurchtem Gesicht. Niemand hier sah sonderlich schön aus. Die Besucher wirkten wie überzeichnete Figuren einer alten Mafia-Satire aus de Fünfzigern.

"Kannst du etwas entdecken?"

Naruto schüttelte den Kopf. Er nippte an seinem Bourbon, ein vier Jahre alter amerikanischer Blended Straight, dessen dunkle Honigfarbe das spärliche Licht einer Wandlaterne über ihm brach. "Wir sind hier falsch."

"Wieso?"

"Sieh dir die Kerle an", meinte er mit nicht unbedingt subtilem Kopfnicken in den Raum. "Es gibt Kneipen für die, die den Ton angeben, und Kneipen für das gemeine Volk. Kein Mitglied des organisierten Verbrechens, das etwas auf sich hält, würde hierher kommen. Nicht einmal die Mädchen hier sind hübsch." Naruto seufzte resignierend und trank den Rest seines Bourbons mit einem Schluck aus. "Verschwenden wir nicht unsere Zeit."

Er wollte aufstehen, doch indem sie über den Tisch nach seiner Hand langte, hielt Sakura ihn zurück. "Warten wir noch eine halbe Stunde." Sie senkte ihre Stimme. "Es fällt auf, wenn wir schon gehen, Liebling. Lass uns noch ein wenig bleiben, ja?"

"Wie könnte ich diesem süßen Gesicht widerstehen?", grinste er verschmitzt, nahm ihre Hand auf und verschränkte seine Finger mit den ihren. "Hey, Kellnerin, noch einen!" Er sah sie nicht einmal dabei an; seine blitzblauen Augen waren nur auf Sakura gerichtet.

"Hör auf damit!", zischte sie. Sie spürte, wie unter ihrer gelassenen Maske errötete. Naruto hatte nie aufgehört, ihr spielerische Avancen zu machen. Keine ihrer Abweisungen hatte ihn davon abbringen können, sie auf eine neckende Art weiterhin zu umgarnen. Es war zu einem Spiel zwischen ihnen geworden, in dem es darum ging, wer zuerst aufhören würde. Sakura hatte nicht die Absicht, zu verlieren.

Naruto nahm ihre peinliche Berührung erfreut zur Kenntnis. Es versüßte ihm den Tag, wann immer er sie ärgern konnte. Unter dem Tisch stupste er aus Langeweile ihren Fuß mit seiner Schuhspitze an, während sein Blick scheinbar ziellos in der Bar umherwanderte. Minutenlang schwiegen sie, jeder für sich in seinen Überlegungen versunken. Nichts geschah. Die bedeutungslosen Kleinkriminellen lachten harsch über obszöne Witze, betatschten die überschminkten Kellnerinnen, die sich gut zu wehren wussten—sie waren halbtags vermutlich Prostituierte—und spielten Poker, Billard oder Black Jack oder beschränkten sich darauf, mit angeblichen krummen Dingern anzugeben, die so gewiss niemals stattgefunden hatten.

Bloß einmal wurden Sakura und Naruto hellhörig.

"… dann hab' ich den Kerl am Kragen gepackt und gesagt: wenn du nicht bald mit meiner Kohle rausrückst, stopf ich dir meine Zigarre in den Arsch! Mit der Querseite voran, hab' ich gesagt! Und das kannst du deinem Boss von Uchiha auch ausrichten!"

"Hast du nicht!", brüllte einer der umstehenden Männer. "Du Angsthase kannst nicht einmal deiner Frau sagen, sie soll deine Unterhosen waschen und da willst du uns erzählen, einem von Uchihas Männern den Marsch geblasen zu haben? Scheißkerl, lüg' uns nich' an!" Er spuckte abfällig auf den Boden.

Der andere senkte seinen Enthusiasmus und kratzte sich den Kopf. "Hab' mich wohl geirrt, kann mal vorkommen auf die alten Tage. Dann war's der Kerl von 'nem and'ren."

Naruto gähnte und lehnte sich wieder zurück. Als der hässliche Kriminelle von Uchiha gesprochen hatte, war er unwillkürlich ein Stück nach vorne gerückt. Um es zu kaschieren, hatte er Sakuras Arm gestreichelt, was sie argwöhnisch beäugt hatte. "So ein Reinfall. Ich will nicht mehr hier rumsitzen. Wir sollten woanders suchen."

"Irgendwo müssen wir anfangen. Normalerweise haben wir detaillierte Informationen, das gebe ich zu. Arbeitsplätze, Wohnorte, Stammlokale, die wir abklappern können. Unser Wissen hier beschränkt sich auf eine Quelle, die behauptet, Uchiha hier vor einigen Wochen gesehen zu haben."

"Also warten wir, bis wir etwas aufschnappen", äffte er ihren Lehrmeisterton mit verzogenem Gesicht nach. "Ich weiß. Aber es ist so langweilig! Ich bin ein Schläger, kein Spion. Wenn ich niemanden verprügeln darf, werde ich unruhig. In meinen Fingern juckt es schon!"

"Du bist gestern vierundzwanzig geworden, also reiß. Dich. Zusammen. Sieh an, du bekommst deinen Spaß." Aus den Augenwinkeln hatte Sakura schon in der letzten Stunde bemerkt, wie zwei Männer und eine Frau sie beäugten. Nicht sie per se, sondern Naruto und sie. Dies war eine Stammkneipe, in der man sich kannte. Neulinge waren außergewöhnlich.

"Hey", brummte der Größte des Trios. Er trug ein löchriges Tanktop, das mit Fett und Ketchup befleckt war und sein Körper war größtenteils in Bandagen gewickelt. "Ihr da drüben."

Sakura verfiel bewusst in fadenscheiniges Geplapper über das neue Paar Schuhe, das sie sich morgen kaufen würde. Sie war kein Anfänger. Diese Leute musste man reizen, um sie kleinzukriegen. Je verdächtiger man sich machte, umso besser. "… mit grünen Riemchen. Ich denke, sie passen gut zu den Jeans, die ich im Schaufenster gesehen habe. Die Fortsätze der Taschen sind mit grünem Karomuster verziert, weißt du?"

"Hey, seid ihr taub, oder was?" Der bedrohlich wirkende Mann mit dem krummen Gang ließ seine Faust auf den wackeligen Tisch herab donnern, sodass die halbleeren Gläser auf ihm zu Boden fielen. Die alkoholischen Getränke verteilten sich auf dem dreckigen Boden, wo sie, vermischt mit allerlei anderen rückständischen Flüssigkeiten, einen beißenden Geruch absonderten.

"Du hast meinen Whiskey verschüttet", informierte Naruto ihn durch zusammengebissene Zähne. "Wie willst du das wieder gut machen?"

Alle Augenpaare waren auf die Szene am hinteren Ende der Bar gerichtet, wo sich der blonde Neuling von seinem Stuhl erhob und sich zwischen seine rosahaarige Freundin und die drei auf Krawall gebürsteten Typen stellte, einen Arm schützend von sich gestreckt.

"Wieder gut machen? Das ist ja niedlich", höhnte Links Hinten; eine schwarzhaarige Frau. Sie schlug mit Rechts Hinten ein und trat so nahe an Naruto heran, dass er nur mehr eine Nasenlänge dazwischen passte. "Jetzt hör mal zu, Zwerg, das ist unser Revier. Kleine Neunmalklug haben hier nichts zu suchen, also nimm deine Süße und hau ab, bevor wir dich zusammenfalten."

"Hör auf, Kin! In dieser Bar sind Schlägereien verboten!", mahnte eine mutige Kellnerin. "Wenn ihr euch prügeln wollt, geht hinaus!"

"Komm schon, lass uns ein wenig Stimmung machen! Dosu, Zaku. Mischen wir sie auf." Sie trat einen Schritt zurück, um in Kampfposition zu gehen, doch Naruto hatte bereits nach ihrem Handgelenk gelangt, das er verdrehte und mit ihm ihren ganzen Körper. Jauchzend ging sie zu Boden. Rechts Hinten, der, den sie Zaku genannt hatte, warf sich auf ihn, doch Naruto schleuderte ihn mit einem gezielten Griff vor Sakura auf den Tisch, die erschrocken aufsprang. Der letzte des Trios stand weiterhin still.

"Willst du deine Lektion friedlich oder auf die harte Tour lernen?", fragte Naruto laut genug, damit jeder Anwesende ihn hören konnte. "Meine Freundin und ich wollten hier nur etwas trinken und auf jemanden warten. Jeder, der es wagt, uns erneut zu behelligen, wird weniger glimpflich davon kommen. Mein Name ist Uzumaki Naruto und ich suche Uchiha Itachi. Wenn er hier auftaucht, erwarte ich, sofort verständigt zu werden." Er schob dem übrig gebliebenen Angreifer eine Visitenkarte in den Ausschnitt, wo er sie festklopfte. Mit heiterem Lächeln, als sei nie etwas gewesen, legte er seinen Arm um Sakura und führte sie auf die Straße in die kühle Nachtluft. Es war kaum nach Mitternacht und Naruto hatte mal wieder alles auf eine Karte gesetzt.

Sakura stöhnte. Sie würde hier sterben. Ganz bestimmt.
 

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Sidestep Chipping


 

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Jemand klopfte in aller Herrgottsfrühe an seine Tür. Herrgottsfrühe war übertrieben, zog man den Stand der Sonne am klaren Himmel als Maßstab heran. Beachtete man allerdings die Pokerpartie, die er in einem verrauchten Keller einer Bar im Stadtteil Kita, die sich unnötig in die Länge gezogen hatte, weil Kisame—mal wieder—geglaubt hatte, die Stakes für verlängertes Spielvergnügen niedrig setzen zu müssen, war es reichlich früh. Sie hatten mit ein paar alten Geschäftspartnern aus Nordkorea und China gespielt, nichts Aufregendes. Er hatte gewonnen. Natürlich hatte er das.

"Ja?", blaffte er den Mann an, der Sturm geklopft hatte. Das war das nervige an Hotelzimmern; es gab keine Klingel, die man stumm schalten konnte, um die Unruhestifter auszutricksen.

"Hast du geschlafen?"

Itachi würdigte ihn keiner Antwort. Sein zerknittertes Hemd und die verwirrte Frisur waren Beweis genug. "Was willst du, Usui?"

Der schroffe Mann mit Dreitagebart zückte eine Visitenkarte aus seinem schmuddeligen Hemd. "Da läuft so'n Typ in all unsren Kneipen 'rum. Blondes Haar, blaue Augen, widerliches Grinsen. Verteilt die hier und sagt, er sucht dich. Dachte, das solltest du wissen."

Itachi lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türstock. "Dafür weckst du mich? So ein Tölpel interessiert mich nicht. Geh damit zu Sasori, der soll sich darum kümmern. Warte", hielt er Usui mit einem Fingerschnipp zurück, als dieser sich bereits auf den Weg machen wollte, "gib mir die Karte."

"Wie du willst."

Er besah sich die orangefarbenen Lettern genauer, die unter einer mobilen Telefonnummer standen. Seine Augen hatten ihm also doch keinen Streich gespielt. "Vergiss Sasori. Um diesen hier kümmere ich mich persönlich. Und jetzt verschwinde."

Itachi knallte dem Häscher die Tür vor der Nase zu. Unschlüssig, wie genau er verfahren sollte, platzierte er die Visitenkarte aus den gläsernen Couchtisch, wo er sie einige Minuten anstarrte. Schlaf konnte er für heute vergessen, dafür hatte Usui redlich gesorgt, dennoch war es zu früh, um sich ernsthafte Gedanken über die Bedeutung dieser außerordentlich … ridiküle … makabere Wendung zu machen. Vor jedem guten Start in den Tag bedurfte es einer ausgiebigen Morgentoilette, das hatte ihm seine Mutter jahrelang eingebläut. Itachi hatte nicht vor, Mikotos Regeln zu verschmähen; nicht, wenn heute ein sehr guter Tag werden würdeFrisch geduscht und mit nacktem Oberkörper aus dem Badezimmer getreten, kippte er Eiswürfel in ein Glas, die er mit einem großzügigen Schuss Single Malt versenkte. Erst dann ließ er sich auf der Wohnlandschaft vor dem Couchtisch nieder, auf dem das kleine Kärtchen ihn spitzfindig anlinste.

Uzumaki Naruto.

Er war ein Narr. Itachi kannte diesen Namen aus einer Zeit, die lange her zu sein schien. Uzumaki war Sasukes Kamerad gewesen. Der zweite Part eines unschlagbaren Duos. Welch interessantes Schicksalsschnippchen in dem Spiel, das er seit neun Jahren mit den Assassinen, die ihm nachstellten, spielte. Uzumaki mochte hitzköpfig sein, gleichwohl war er nicht dumm, an so viel konnte Itachi sich erinnern. Zusammen mit Sasuke hatte er es schon einmal fast geschafft, ihn aufzuspüren. Dieses Risiko konnte er nicht noch einmal eingehen.

Mit einem kräftigen Zug trank er den letzten Schluck Whiskey aus und stellte das Glas bar jeden Untersetzers auf die empfindliche Tischplatte. Vorerst musste er Uzumaki nach hinten verschieben. Seine Kontaktmänner aus Singapur und der Brunei wurden schnell ungeduldig. Die Geschäfte konnten nicht warten und Pain hatte ihn und Kisame aus guten Gründen zu den wortführenden Verhandlungspartnern gemacht. Sie wussten, wie man mit solchen Leuten umzugehen hatte. Sobald er wieder im Land war, würde er sich der Uzumaki-Sache annehmen. Ein wenig Schonfrist würde schon nicht schaden.

"Pass bloß auf, kleiner Fuchs", brummte er bedrohlich; seine dunklen Augen kehrten im gedimmten Licht, das durch die Fensterläden aus hochwertigem Bambus fiel, den satten Rotton aus ihren Iriden, der den Uchihas zu Eigen war.

Mit dieser Warnung drückte er den Daumen auf Uzumaki Narutos Kopf, auf dem eine traditionell bemalte Fuchsmaske aus Plastik saß. Neben ihm grinste Sasuke zwischen zwei Dangos. Sie waren damals gerade einmal zwölf gewesen. Es war die einzige Fotografie, die Itachi aus der Explosion vor neun Jahren hatte retten können. Und sie zeigte den Jungen, inzwischen zum Mann geworden, der ihn heute umbringen wollte. Wie ironisch.
 

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Sieben Wochen später

"Habt ihr etwas herausgefunden?" Neji steckte einen Finger zwischen die Seiten und schlug die Computerfachzeitschrift zu, in dem er gelesen hatte. Der Besprechungsraum des Hidden Leaf HQ am westlichen Rand des Stadtteils Hirano im Südosten Ōsakas war nur spärlich besetzt. Es bestand aus einem länglichen, achteckigen Holztisch, einer Menge Monitore und einer weißen Wendeschreibtafel, sowie einer Reihe bauchhoher Regale auf der einen Längsseite und zwei nebeneinander angeordneten gelben Ledersofas auf der anderen. Auf einem davon saß er. Ihm gegenüber bastelte Tenten an einer Glock herum.

"Nicht das Geringste." Sakura ließ sich auf einem der gepolsterten Sessel nieder. "Wie von den ersten Monaten zu erwarten war. Naruto hat außerdem wieder einmal unsere Tarnung auffliegen lassen, also können wir das mit dem heimlichen Auskundschaften vergessen." Sie strafte ihn mit einem bösen Seitenblick. "Ich verstehe einfach nicht, wieso du nicht dezent bleiben kannst!"

"Keine Panik, Sakura-chan." Naruto schlürfte genüsslich an einem Instantramen, den er während ihrer planlosen Suche gekauft hatte. "Wir locken ihn einfach aus der Reserve. Ich habe einen Plan. Ist alles hier drin." Er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfen.

"Wenigstens etwas", schimpfte sie resignierend. Sakura verließ langsam der Mut. Nicht nur, dass sie seit Wochen in unbekanntem Gefilden umher schipperten—gefährliches Akatsuki Terrain—sie hatten auch schon einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Für Auftragsmörder war es nicht gut, präsent zu sein. Man musste sich hinter einem Namen verstecken, furchteinflößend und bedrohlich, vor dem jeder Angst hatte. Je mythenhafter man sich darstellen konnte, desto besser. Team Seven hatte in den letzten Wochen das genaue Gegenteil erreicht: sie waren wie eine Elefantenherde durch ein Glaswarengeschäft getrampelt und hatten jeden Verkäufer nach einem bestimmten Produkt gefragt. Inzwischen wusste die gesamte Handelskammer davon.

"Sakura hat nicht ganz Unrecht", pflichtete ihr Shikamaru endlich bei. Er gähnte sich ausgiebig streckend und warf sich auf einen der vielen freien Stühle, als hätte er eine Weltreise hinter sich. "Wenn ihr weiter so direkt vorstoßt, bringt euch das zu fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit nicht weiter." Er wandte sich an Sai, der ihm gegenüber stand. "Ich habe mir die Unterlagen durchgesehen, die du mir gegeben hast."

"Sag das nicht, als wäre das eine große Leistung, immerhin bist du unser einziger Stratege", brüskierte sich Naruto, noch immer eingeschnappt wegen Sakuras Kommentar eine Nudel in seinen Mund saugend.

"Jedenfalls", überging Shikamaru ihn gekonnt, "erkenne ich kein Muster. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eines gibt, aber Fakt ist, dass es mir völlig unklar erscheint. Bislang konnte ich nur so viel herausfinden: Akatsukis Geschäfte werden über sogenannte Frontmänner abgewickelt. Es sind professionelle Kriminelle, die sie über Beziehungen zu illegalen autonomen Gruppierungen rekrutieren. Nicht gerade eine Meisterleistung kreativen Problemlöseverhaltend, nichtsdestoweniger äußerst effektiv. Die Frontmänner beschränkten sich auf die Kontaktaufnahme und den Transfer der interessierenden Ware. Sämtliche Bankgeschäfte werden über Konten der externen Gruppen abgewickelt, die Summen werden in bar abgehoben und verschwinden. Sie nutzen die Frontmänner als Tarnkappen; alles Systemische wird über sie getätigt, was die Aktivitäten natürlich nur auf diese Frontmänner zurückzuführen möglich macht. Lange Rede, kurzer Sinn—"

"Du hast versagt", beendete Sakura seinen Satz großzügig. Sie hatte nicht angenommen, auf Shikamarus Weg weiterzukommen. Selbst Neji hatte in den Weiten des Internets keinen konkreten Hinweis gefunden. "Was ist mit den fünfzig Prozent, zu denen ich unrecht habe?"

"Naruto mag dumm sein—"

"Hey!"

"—aber diese Leichtsinnigkeit ist genau das, was Uchiha aus der Reserve locken könnte. Die Auftragsmörder vor uns arbeiteten unter dem Deckmantel der Kollektivität. Mit ihrer holistischen Herangehensweise versuchten sie, über Akatsuki an Uchiha heranzukommen. Narutos wahllose Verteilung seiner Visitenkarten—was im Übrigen wirklich sehr dämlich ist, auch wenn es nur ein Prepaidtelefon ist—zielt er direkt auf Uchiha ab. Das könnte ihn beunruhigen und herauslocken."

"Du meinst also …" Sai machte eine kurze Pause. "… wir sollten ihn provozieren, anstatt ihn zu suchen?"

Shikamaru hob zwei Finger. "Zwei Möglichkeiten. Erstens", er knickte einen Finger ab, "Uchiha beißt an. Er wird nervös und zeigt sich, wodurch ihr zumindest die Notwendigkeit umgeht, ihn aufzuspüren. Zweitens, er ignoriert euch, weil er weiß, dass ihr in sowieso niemals finden würdet. Im schlimmsten Fall schickt er euch ein paar andere Assassinen, um auf Nummer sicher zu gehen."

Alle Blicke waren plötzlich auf Sakura gerichtet. Sie spürte, wie sich ein dünner Faden um ihren Hals legte, zum Zerreißen gespannt. Man verlangte eine Entscheidung von ihr, weil sie die einzige war, die einer fähig war. Naruto hatte seinen Standpunkt und Sai wog stets zu viele Seiten ab, als dass er sich auf eine stellen konnte. Sie war am objektivsten. Theoretisch. Die Scheu, die ihr in den Knochen saß, ließ sie subjektiv werden.

"Wir halten uns bedeckt", bestimmte sie nach einiger Bedenkzeit. "Naruto, es tut mir leid, aber in einer offenen Konfrontation hätten wir keine Chance. Du weißt, was man über diesen Uchiha sagt. Ohne Überraschungsmoment oder Hinterhalt oder irgendeiner anderen List können wir nicht gegen ihn gewinnen. Nicht, wenn er Akatsuki hinter sich hat."

Sai war hinter seiner gelassenen Maske sichtlich unstimmig damit. Er ging um den Tisch, wo Neji sich inzwischen dem nicht funktionsfähigen Hardwarechaos gewidmet hatte, über das er Rat in seiner Zeitschrift gesucht hatte, und sah aus dem Fenster. Nach einer Bedenkminute drehte er sich wieder um. "Was schlägst du vor? Wir müssen unsere Taktik in jedem Fall ändern."

"Es geht gegen den älteren Uchiha", stellte Sakura fest, als wäre ihr diese Erkenntnis gerade erst jetzt gekommen. "Was wäre einfacher, als den jüngeren ins Boot zu holen?"
 

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Sakura betrat das Golden Sun; ihr Stammcafé, das nachts zu einer Bar für die gehobene japanische Gesellschaft wurde. Dicke mahagonifarbene Tische, eine reiche Getränkekarte, gedämpfte europäische Instrumentalmusik, zuvorkommendes Personal. Die Coffeebar in der einen Ecke war schon längst geschlossen, als sie die Tür an diesem Samstagabend öffnete. Es war einige Tage vor Weihnachten und auf den gut besetzten Tischen konnte sie Männer in Anzügen ausmachen, die vor den Feiertagen noch einen guten Deal an Land ziehen wollten. An ihrer Seite nippten grazile Schönheiten anmutig an ihren Martinigläsern. Eskortdamen. Vermutlich.

Es hatte Diskussionen darüber gegeben, ob Sasuke um Hilfe gebeten werden sollte. Er hatte Schlimmes durchgemacht, was letzten Endes dazu geführt hatte, dass er das Team verlassen hatte. Sakura war noch nicht lange genug dabei, um seine gesamte Vergangenheit zu kennen, doch die Gegenwart sprachen für sich. Er war einst der erfolgreichste Hitter Hidden Leafs gewesen, still gefeiert als begabtes Talent, gelobt in den höchsten Tönen. Tsunade hatte alle Hoffnungen in ihn gelegt, als sie die Gruppe nach der Ermordung von Hiruzen Sarutobi übernommen hatte. Heute war er Stammgast in jeder Bar Hiranos, hatte kein Leben in den Augen und keine Perspektiven. Er war ein schwaches Abbild seiner selbst. Ein Schatten.

"Sakura!" Die blonde Kellnerin grüßte sie überschwänglich. Sie war Halbjapanerin; naturblond, blauäugig und kurvig. Etwas, das ihr sämtliche männliche Sympathien einbrachte. Sie waren vor vier Jahren zusammen nach Ōsaka gekommen, Ino und sie.

"Guten Abend, Ino." Sakura lehnte sich an den Tresen, hinter dem ihre Kindheitsfreundin ein Bier für einen Kunden zapfte. Er war ein gutaussehender Mittdreißiger mit grauen Schläfen. An der Art, wie Ino ihre rotgeschminkten Lippen leicht geöffnet hielt, konnte Sakure erkennen, dass er ihr gefiel. Der Ehering an seinem Finger schien sie nicht zu stören. Oder sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Als Kellnerin in einem Café bestand für Yamanaka Ino keine Notwendigkeit, eine rasche Auffassungsgabe für Details zu entwickeln.

"Was darf ich dir bringen, meine Liebe?", flötete sie fröhlich. Der Geschäftsmann gab ihr großzügiges Trinkgeld und wandte sich wieder seinem Nachbarn zu.

"Eine Kanne Sencha. Mit zwei Tassen. Ich bin geschäftlich hier … irgendwie."

"Erwartest du einen Informanten?"

"Du weißt, dass du mich darüber nicht ausfragen sollst, Ino", tadelte Sakura streng. Sie konnte es ihrer Freundin nicht verdenken. Nichtsdestoweniger war diese Neugierde für eine hübsche Kellnerin gefährlich. Das hatte sie ihr schon oft gesagt, aber Ino war ein Vollblut. Sie liebte die Gefahr.

"Übrigens, es gehen neue Gerüchte um." Ino setzte das Wasser auf, um zu wirken, als tätige sie leichten Smalltalk. "Über Oto."

"Oto? Die Leute, die vor zwei Jahren versuchten, Sasuke zu töten? Ich dachte, ihr Kopf, dieser Orochimaru, sei tot?"

"Aus den Augen heißt nicht aus dem Sinn", korrigierte Ino. Mit einer Zange legte sie einige Teeblätter auf die Waage. "Zwei Portionen?"

"Lieber vier; das Gespräch wird länger dauern. Woher hast du diese Informationen?"

"Gerüchte, Sakura. Ich verbürge mich für nichts, was ich hier höre. Du weißt, wie die Leute abends im Golden Sun sind. Eine Menge heiße Luft." Damit hatte Ino durchaus recht. Das Café war untertags ein regulärer Ort für rechtschaffende Bürger auf ihrem allmorgendlichen Weg in die Arbeit, für Oberstufenschülergruppen und Mütter, die in Ruhe tratschen wollten. Es hatte einen guten Ruf. Das Publikum abends entsprach größtenteils der ersten Kategorie: Manager, Supervisor, Berater, Marketingleiter, die mit diversen Mitteln versuchten, große Geschäfte zu machen. Hier wurden Gefälligkeiten übergeben, Verhandlungen geführt, neue Geschäftskontakte hergestellt. Keine Kriminalität; bloß ein wenig wirtschaftliche Vorteilssicherung.

Sakura legte ihre Finger an ihre Lippen. "Die Typen hier haben doch gar keinen Umgang mit Ōsakas Opiumkartell. Weitergabe von Insiderinformationen, organisierter Aktienhandel, das ist deren Metier."

"Jaja", machte Ino schulterzuckend. Sie leerte das kochende Wasser aus dem Eisenkessel in eine gläserne Kanne, die auf einem bereits brennenden Stövchen stand. "Wie auch immer. Vor vier, fünf Tagen unterhielten sich jedenfalls drei Männer über jemanden, dessen Name eindeutig Orochimaru war. Ich konnte nichts Konkretes hören, aber es scheint, als habe er sie angeheuert, um den Kontakt zu jemanden mit dem Namen Vermeil Bravo herzustellen."

Sakura hob ungläubig eine Augenbraue. "Wer nennt sich so? Das ist eindeutig ein Deckname. Kein sehr guter, möchte ich meinen. Weißt du, wer das sein soll?"

Ino schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung. Mehr als das konnte ich nicht hören. Aber ich halte Augen und Ohren offen. "Auf wen wartest du eigentlich?"

Sie nahm einen Schluck von dem Mineralwasser, das ihre Freundin ihr aufmerksamerweise hingestellt hatte. Sakura hatte ihre Zielperson schon beim Betreten der Lokalität bemerkt: Uchiha Sasuke saß an seinem Stammplatz, der rechten Ecke der Bar auf einem von zwei Hockern, die an der schmalen Seite aufgestellt waren.

Ino machte einen wissenden Laut, den Sakura überging. Es war kein Geheimnis, dass sie sich vor einigen Jahren in den smarten Schönling verliebt hatte. Nicht minder hatte es Ino erwischt. Während die sprunghafte Blondine allerdings schnell von ihrem Schwarm abgelassen hatte, um sich den sehr viel responsiveren reiferen Herren zuzuwenden, konnte Sakura nicht von sich behaupten, Sasuke überwunden zu haben. Nach allem war er noch ihr Freund, um den sie sich sorgte. Jeden Tag ein bisschen mehr.

"Bring den Tee bitte zu uns, wenn er fertig ist", bat sie. Ihre Augen waren bereits auf Sasuke gerichtet, der sie endlich bemerkte. Er hob die Hand in einer laschen Geste, die einen schlaksigen Gruß darstellen sollte. Selbst als sie sich auf den Hocker an der Längsseite setzte, der dem seinen am nächsten war, weigerte er sich, sie einer ordentlichen Begrüßung zu würdigen.

"Was willst du?", fragte er barsch.

"Du siehst gut aus", umging sie seine Frage. Ungelogen; egal wie sehr Uchiha Sasuke versuchte, sich gehen zu lassen, der Drill seines Elternhauses war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Sein schwarzes Hemd saß mindestens so perfekt wie seine lose satinblaue Krawatte unter dem offenen Jackett. Frechheit, wie tadellos sein Haar saß, obwohl er es nur föhnte.

Sasuke zuckte lediglich die Schultern. "Was willst du?"

Also die harte Tour. "Deine Hilfe."

"Tsk", machte er hohl. Unaufgefordert schenkte er ihnen beiden Tee aus der Kanne ein, die Ino vor wenigen Sekunden platziert hatte. Nun war sie damit beschäftigt, Gläser an dem Waschautomaten zu spülen, der an jenem Ende des Tresens montiert war, an dem ihre beiden liebsten Stammgäste saßen.

Wie praktisch, dachte Sakura sarkastisch. Ino war die Neugierde in Person. Natürlich versuchte sie zu lauschen.

"Ich bin längst kein Mitglied mehr von Seven. Wieso braucht ihr meine Hilfe? Ihr habt doch diesen Wunderknaben aus Root oder ANBU oder von wo auch immer sie ihn rausgeschmissen haben."

"Sie haben ihn nicht rausgeschmissen", stellte Sakura streng klar. "Sai ging freiwillig, weil er nicht länger für die Regierung arbeiten wollte. Um das geht es hier nicht. Es geht um dich, Sasuke. Wenn du auch nur den geringsten Funken Freundschaft für Naruto und mich hegst, hörst du mich an."

Er winkte desinteressiert; tu, was du nicht lassen kannst. Diese Attitüde war ein Grund, wieso sie sich in ihn verliebt hatte. Diese unnahbare Arroganz, in der er wusste, wie gut er war. Dass sie diesmal seine Hilfe brauchten, war Bestätigung genug.

"Wir müssen jemanden aufspüren, dessen Spuren sich ständig im Sand verlaufen. Du warst unser begabtester Tracker—"

"Ich habe keine Lust, Sakura", unterbrach er sie. Mit einem Blick hatte er sie zum Schweigen gebracht. Diese Augen. Er hatte die Gabe, alleine mit seinen Augen zu sprechen. An der Art, wie er sie ansah, konnte sie erkennen, dass er ihnen keine Hilfe zukommen lassen würde, solange sie nicht den Namen aussprach, vor dem sie zurückschreckte. "Hidden Leaf ist meine Vergangenheit. Ich will nicht mehr im ständigen Kreuzfeuer stehen. Ihr seid meine Freunde und ich rechne euch hoch an, was ich damals für mich getan habt, aber …" Er ließ seinen Einwand stumm ausklingen.

"Es geht nicht um den Job", erwiderte sie, die dampfende Teetasse haltsuchend umklammernd. "Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre. Sasuke. Auch für dich."

"Wie könnte es für mich wichtig sein?"

Ihre Finger verkrampften um die Tasse. "Uchiha … Itachi." Sasuke riss seine Augen auf; ein untrügliches Zeichen, dass er seine Meinung geändert hatte. Jetzt, hatte sie seine gesamte Aufmerksamkeit. "Ich möchte klarstellen, dass wir deinen persönlichen Rachefeldzug gegen deinen Bruder vor Tsunade nicht unterstützen. Aber wenn du uns hilfst, wird dich niemand aufhalten, ihn zu töten."

"Habt ihr den Auftrag, es zu tun? Sakura?" Wie er ihren Namen aussprach; wie er sie mit seinen schwarzen Augen eindringlich ansah. Seit elf Monaten spürte Sakura in ihrem Freund wieder Hoffnung und Kampfesmut. Sie nickte.

"Wir werden es dir überlassen. Naruto und Sai sind damit einverstanden. Sieh es als Handel. Sein Leben gegen deine Hilfe. Am Ende bekommt jeder, was er will."

"Außer er." Dieser Gedanke schien ihn auf unheimliche Art freudig zu erregen. "In Ordnung. Aber ich will es sein, der ihm eine Kugel durch den Kopf jagt. Verspricht es mir, Sakura." Es fiel ihr nicht leicht, doch sie nickte erneut. Es war ihre einzige Chance, diesen Auftrag auszuführen. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und er nahm sie an. Sie hatten einen Deal.

"Es geht um Uchiha Itachi?", mischte sich Ino plötzlich ein. Sasuke ließ Sakuras Hand schlagartig los. "Dieser gesuchte Verbrecher von Red Moon, ja?"

"Akatsuki", verbesserte Sakura sie. Der Name, den die Medien verwendeten, wurde in ihren Kreisen selten genutzt. Ino sollte es lieber wissen, bevor sie sich verplapperte.

"Wie auch immer. So ein großer, schlanker Typ mit langen Haaren und einem ziemlich attraktiven Gesicht? Der war gestern hier. Nein, vorgestern."

"Uchi—" Sakura würgte sich selbst ab und drosselte ihre Stimme auf ein Minimum. "Uchiha Itachi war hier? Damit rückst du erst jetzt heraus?"

Ino hob abwehrend die Hände. "Woher sollte ich wissen, dass das relevant ist? Du erzählst mir ja nie, auf wen du angesetzt wurdest. Er war auch nicht auffällig. Ich hätte ihn fast übersehen, wenn er nicht so gut ausgesehen hätte. Schon gut, entschuldige", revidierte sie, als Sakuras böser Blick sie erreichte. "Wie gesagt, er hat sich nicht auffällig verhalten. Hat dort drüben an einem Tisch für zwei gesessen und eine Stunde gewartet. Er hat zwei Brandy hintereinander bestellt, danach hat er gezahlt und ist gegangen."

Sakura und Sasuke sahen sich ungläubig an. Sie wussten beide, was dieses eigentümliche Verhalten bedeutete. "Denkst du, er weiß, dass du öfters hier bist?"

"Mit Sicherheit", sagte Sasuke mit rauer Stimme. "Egal wie wir es drehen, damit hat er uns jedweden Handlungsfreiraum genommen. Ob es Zufall ist, dass er gerade jetzt auftaucht?"

Sakura bezweifelte es stark. "Naruto. Dein Bruder muss Wind von unseren Bemühungen bekommen haben. Solange wir nicht wissen, wie viel er weiß, sollten wir uns hüten, voreilige Schlüsse zu ziehen. Das Wichtigste ist, zu klären, wegen wem er hier war: Naruto oder dir."

"Ich kann es herausfinden."

"Nein." Ino zuckte zurück, als die synchron gesprochene scharfe Verneinung sie traf.

"Wieso nicht?", rief sie empört, drosselte dann aber ihre Lautstärke. "Er kommt bestimmt wieder."

Sakura legte eine Hand an ihre Schläfe. Manchmal war Ino noch leichtsinniger als Naruto! Musste an der Haarfarbe liegen. "Weil er ist, wer er ist. Du kennst seinen Ruf, Ino. Ich gebe dir hiermit einen Befehl: halte dich aus dieser Affäre heraus. Das ist Sache von Hidden Leaf. Uchiha ist gefährlich." Sie nahm Inos Hand auf und umschloss sie mit ihren eigenen beiden. "Ich lasse nicht zu, dass er dir wehtut."

Ino befreite sich brüsk aus dem liebevollen Griff. "Ich bin kein kleines Mädchen mehr, Sakura. Kapier das endlich."

"Wir sind nicht mehr in Beaufort; kapier du das endlich. Das ist nicht South Carolina. Wir haben es hier mit einem Verbrecher der schlimmsten Sorte zu tun. Ich schwöre bei deinem Leben: wenn du es in Gefahr bringst, sperre ich dich in unserem Appartement ein und werfe den Schlüssel in Narutos Instantramen. Versprich mir, nichts Waghalsiges zu tun."

Ino seufzte genervt. Widerwillig hob sie die Hand. "Ich verspreche es."

Es war der zwanzigste Dezember und Ino hatte gelogen.
 

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Mellow Claret


 

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An Heiligabend zusammen mit einer Kollegin hinter der Bar zu stehen, war eine trübselige Angelegenheit. Sämtliche anderen Kellner hatten den Wunsch geäußert, mit ihren Familien diesen Abend zu verbringen; es war an Ino und Hikari hängengeblieben: zwei junge, alleinstehende, hübsche Frauen. Im Hintergrund lief ein Weihnachtslied aus Europa, das Ino leise mitsang. Es erinnerte sie an ihre Kindheit in Amerika. Wie ironisch.

"Könntest du für mich Tisch sieben übernehmen? Ich muss die Kaffeemaschine noch reinigen, bevor wir schlie—au! So ein Mist!" Hikari steckte ihren Daumen in den Mund, den sie sich an dem heißen Doppelsiebträger verbrannt hatte.

"Mhm", machte Ino, sich abwesend eine lose Strähne hinter ihr Ohr klemmend. Sie versuchte aus dem Rechnungschaos schlau zu werden, das die neue Aushilfe ohne Kommentar hinterlassen hatte. "Das stimmt hinten und vorne nicht", raunte sie. Wieso konnten Hilfskräfte nicht wie jeder normale Kellner die Stornierungen in die eine Lade und die Bonabbrüche in die andere geben? Dass man nicht sämtliches Zettelwerk zusammen in einen Topf warf, gebot einem doch der gesunde Menschenverstand.

"Ino-san", drängte Hikari, neben der die Düse der Kaffeemaschine plötzlich heißen Wasserdampf ausspuckte. Sie schreckte aufschreiend zurück. "Der Kunde wartet!"

"Mhm." Sie schob die Bons zur Seite, wo sie ihre Sortierung wieder aufnehmen würde, sobald der zahlende Gast bedient war. Entgegen Hikaris Nachdruck, war er die Ruhe in Person. Sein Blick war aus dem Panoramafenster gerichtet, an dem er saß. Uchiha Itachi machte nicht den Eindruck, als wäre er ungeduldig; im Gegenteil.

Sie konnte nicht anders, als reflexartig nach Luft zu japsen, als ihr Herz einen Satz machte. Sakura hat es verboten!, erinnerte sie eine Stimme in ihrem Inneren. Sie ist nicht meine Mutter! Ino fasste sich an das vor Aufregung pochende Herz. Sie war bei Gott kein kleines Kind mehr und konnte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Itachi sah so gut aus! Viel besser noch als Sasuke oder dieser Neue in Sakuras Team. Wer hätte da widerstehen können? Bei schönen Männern wurde sie schwach. Dieser hier, war ein besonders delikates Exemplar.

Mut fassend löste sie wider der Hygienevorschriften ihren Dutt und schüttelte ihre wallende Mähne auf. Nach einem prüfenden Blick in die Spiegelung der Seitenfront der Kaffeemaschine, nahm sie die Schultern zurück, das Tablett auf und schwebte so grazil als möglich durch die vielen leeren Tische zu ihrem Gast.

"Hallo, mein Name ist Ino. Ich bin heute Ihre Bedienung. Haben Sie schon gewählt?"

Itachis Blick weilte noch einige Momente auf der Telefonzelle auf der anderen Straßenseite, erst dann reagierte er in an Lethargie grenzender Entspanntheit. Ohne sie anzusehen bestellte er Matcha und Gebäck. Er war also ein Mann der Tradition. Niemand bestellte hier abends Tee, außer Sakura, die sich als in Amerika geborene Japanerin zur Einhaltung diverser japanischer Riten berufen fühlte. Itachi jedenfalls wartete mit stoischer Ruhe auf den Tee, den sie sorgfältig zubereitete. Während das Wasser zu kochen begann und Hikari ihren erbitterten Feldzug gegen die störrische Kaffeemaschine weiterführte, richtete Ino Frisur und Make-Up und justierte die Länge ihres Rockes neu, indem sie den Saum umschlug und unter ihre enge Bluse schob, deren oberste zwei Knöpfe sie öffnete. Und wenn sie sich das Gesicht weiß wie das einer Geisha schminken musste: Uchiha Itachi würde sie attraktiv finden.

Vorerst allerdings blieb er unbeeindruckt, als sie sich weit über seinen Tisch beugte, um den modernen Teekessel abzustellen. Augenscheinlich war er mehr an dem Geschehen an der freien Luft interessiert, als an der blonden Schönheit, die sich gedemütigt von seinem Tisch zurückzog. Das Tablett fest umklammernd, biss Ino sich auf die Lippe. Sie hatte hier einen schwierigen Fall.

"Offensichtlich", zischte sie verärgert. Dann eben auf die harte Tour.

Sie gab Itachi exakt sieben Minuten, in denen sie das Chaos der Rechnungen beseitigte. Als die Uhr Punkt zehn Schlug, steuerte sie zielstrebig auf seinen Tisch zu, an dem er begonnen hatte, ein Wirtschaftsblatt zu lesen. Schwungvoll zog sie den Stuhl ihm gegenüber nach hinten, um sich darauf fallen zu lassen. Mit überschlagenen Beinen stützte sie kokett das Kinn auf ihre Handfläche, sodass ihre manikürten Fingernägel zufällig ihre Lippen streifen konnten, wann immer sie es für nötig befinden würde.

Itachi machte keine Anstalten, von seiner Zeitung aufzusehen. Den Krach konnte er nicht überhört haben. Was musste sie noch tun, um einen Blick von ihm zu erhaschen? Ein Weihnachtslied trällern? Nein.

"Du gibst dich nicht gerne mit dem niederen Volk ab, nicht wahr, Süßer?", sagte sie mit ihrer rauchigsten Verführerstimme. Damit sah er sie zumindest über den Rand der Zeitung an. "Was würdest du sagen, wenn ich dir einen ausgebe?"

Itachi betrachtete sie eingehend; er musterte sie fast, als würde er versuchen, sie einzuschätzen. Binnen weniger Sekunden hatte er ein Urteil gefällt und seine Mundwinkel hoben sich ein Stück. "Danke. Schätze ich."

"Du könntest dich erkenntlich zeigen", bot sie an, die Spitzen ihrer Schneidezähne bewusst lasziv über ihre Unterlippe gleitend. "Niemand sollte am Heiligen Abend alleine sein. Es ist doch das Fest der … Liebe." Das letzte Wort betonend, lehnte sie sich nach vorne, um ihrem Ausschnitt die volle Größe zu verleihen. Itachi schien ihr Bestreben nicht auf die Art zu bemerken, wie sie es geplant hatte, nichtsdestoweniger folgte er ihren Bewegungen aufmerksam. Endlich legte er die Zeitung beiseite und kam ihr näher.

"Hm", summte er abschätzend. Es war schwer, seinem stechenden Blick standzuhalten, aber Ino glaubte zu wissen, was sie tat. Sie bewegte sich keinen Millimeter, als er mit seiner Hand über ihre Wange strich und am Ende seiner Bewegung ihr Kinn anhob. "Inwiefern?", fragte er in quälender Langsamkeit.

Ino ließ ihren Blick fallen, nur um ihn durch lange Wimpern möglichst unschuldig ansehen zu können. Ihre himmelblauen Augen hatte noch bei jedem funktioniert. "Ich bin sicher, uns fällt etwas ein …"
 

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Ino konnte nicht von sich behaupten, betrunken zu sein, obwohl Itachi ihr und Hikari etliche Gläser des hausgemachten Glühweins spendiert hatte, den sie im Golden Sun anboten. Nun standen sie hier.

Wie genau sie dazu kam, einen gesuchten Verbrecher dicht hinter sich stehen zu haben, während sie möglichst ruhig versuchte, ihren Schlüssel zu finden, war in einen verschwommen Mantel der Unklarheit gehüllt. Sakura würde sie umbringen, wenn sie davon erfuhr; erst danach würde sie Ino dankbar sein. Glücklicherweise war Sakura mit Naruto und Sai bei ihren Großeltern in Hatsukadai, die Feiertage im Kreise ihrer Familie zu verbringen.

Ino verzichtete darauf, das Licht im Flur anzuschalten. Sie streifte ihre Stiefel ab und verschwand in der ordentlich aufgeräumten Küche. Ob Itachi die Einrichtung gefiel? Als sie wiederkam, saß er auf der cremefarbenen Couch im Wohnzimmer, das nur vom durch die Balkontür hereinfallenden Mondlicht erhellt wurde. Verführerisch lehnte sie sich an den Türrahmen des Durchgangs, die beiden Rotweingläser verheißungsvoll in ihrer abgewinkelten Hand klimpernd. In der anderen schwenkte sie eine Flasche ihres besten Bordeaux. Alleine dafür würde Sakura sie umbringen: es war ihre Flasche.

"Ich mache das", brummte er und stand auf. Mit drei großen Schritten stand er unnötig dicht vor ihr, um seiner Gastgeberin die Flasche aus der Hand zu nehmen. In einer fließenden Bewegung öffnete er sie, schenkte ein und reichte ihr ein Glas.

"Heute war ein langer Tag, ich brauche Entspannung", deutete Ino an. Sie musste aufs Ganze gehen, um ihn bei der Stange zu halten. Seufzend ließ sie sich auf dem Sofa nieder. Itachi folgte ihr unaufgefordert. "Die ganze Zeit über muss ich mit anhören, wie sich Lackaffen über Bestechungsversuche auslassen und damit prahlen, welch wichtiges Aktienpaket sie unter der Hand erworben haben." Sie nippte an ihrem Rotwein; dabei war sie ein Sekttrinker. "Ich wünschte, nur einmal käme jemand …Interessantes."

Einen prüfenden Seitenblick auf ihr Opfer werfend, überschlug sie die Beine, nur um sie gleich darauf wieder zu lösen und aufzustehen. In ihren Knien kribbelte es, so konnte sie nicht sitzen. Ihr Herz klopfte immer lauter, je länger er schwieg. War es zu dick aufgetragen gewesen? Ino drehte sich um, als sie spürte, dass ein hochgewachsener Körper direkt hinter ihr stand. Itachi hatte sein Glas ohne Untersetzer—Sakura würde ihn töten, gleich nachdem sie Ino massakriert hatte—auf den Glastisch gestellt. Sanft nahm er Inos und stellte es daneben.

"Du hast genug geredet, Yamanaka Ino", hauchte er in seinem tiefsten Timbre. Seine Hände fühlten sich weich an, als sie über ihren Kiefer strichen. Die langen schlanken Finger stoppten über ihrer Kehle.

Scheiße. Der Fluch verhallte ungehört in ihren Gedanken. Sie hatte ihm nie ihren Nachnamenamen gesagt. Der Druck auf ihre Mandeln nahm langsam zu. Uchiha Itachi wusste genau, wo er zudrücken musste.

"Nun bist du an der Reihe, zuzuhören. Ich würde dir raten, sehr genau." Er intensivierte seinen Griff, sodass sie Mühe hatte, zu atmen. "Ich mag es nicht, benutzt zu werden. Schon gar nicht auf diese stümperhafte Art. Lass dir eines gesagt sein: man versucht nicht ungestraft mich zu verarschen."

Ino versuchte zu schlucken, doch ihr Hals wurde so schmerzvoll zusammengedrückt, dass sie kaum mehr Luft bekam. Eine ungewohnte Dumpfheit kroch über ihre Sinne, streckte ihre Arme aus und umhüllte sie. Kurz bevor sie das Bewusstsein verlor, stemmte ihr Peiniger sie gegen die Wand.

"Übrigens wäre ich dir sehr dankbar, wenn du meinem Bruder ausrichten könntest, dass er mich anrufen soll." Hinter dem Mantel ihres schwindenden Bewusstseins spürte sie, wie Itachi die Innenseite ihrer Oberschenkel entlangfuhr, unter ihren Rock und für einen kurzen Augenblick über dem Rand ihres Slips stoppte. In einer Geste, die rein gar nichts mit jener Erotik zu tun hatte, die Ino sich ausgemalt hatte, schob er etwas in den Bund ihrer Unterwäsche. Noch während er es tat, wurde ihr schwarz vor Augen. Den Sturz, mit dem sie zu Boden krachte, bekam sie nicht mehr mit.
 

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Sakuras Herz hatte einen Schlag ausgesetzt, als der Anruf vom Krankenhaus gekommen war. Ihr Herz hatte einen zweiten Schlag ausgesetzt, als sie Inos Zustand sah, nachdem sie bar jeden Anstandes in ihr Zimmer gestürmt war. Es war frühmorgens, sodass sie ihre Freundin schlafend vorfand. Sie gab ein erbärmliches Bild ab. Ihre Augen waren blutunterlaufen, ihr Hals wies gerötete Druckstellen auf.

"Um Himmels Willen, Ino … was machst du für Sachen?", wisperte Sakura. Liebevoll strich sie ihr über die Stirn.

"Sakura …" Das Murmeln war eher müde als wehleidig. Die Schwester am Telefon hatte versprochen, Ino könnte heute wieder entlassen werden; scheinbar hatte sie nicht gelogen.

"Was ist passiert?" Sakura beugte sich über das Krankenbett, um Inos Blick zu finden, der ihr beschämt auswich. Sie hatte Naruto, der Sakura in einem solchen Moment nicht alleine lassen wollte, und Sasuke, der sie beide gefahren hatte, noch gar nicht bemerkt. Sie hielten sich im Hintergrund, während Sakura Inos Kopf so drehte, dass sie sie ansehen musste. "Sprich", befahl sie mit bösen Vorahnungen.

Ino saugte ihre Lippe ein und gab sie nur zögerlich wieder frei. Es fiel ihr schwer, Sakuras Blick zu halten.

"Ino", sagte Naruto, der zusammen mit Sasuke an ihr Bett trat. Er nahm in einer ermutigenden Geste ihre Hand in seine, "wir wollen dir helfen."

Sie entließ ihre Lippe, die sie blutig gebissen hatte. Ihre tonlosen Worte sprach sie gegen das Fenster, aus dem sie sah. "Du sollst deinen Bruder anrufen, Sasuke."

Sakura sah ihn mit einer Mischung aus Unwohlsein und Entsetzen an. "Ich habe dir verboten, dich einzumischen, Ino", zischte sie, Sasuke noch immer taxierend. Er hatte Mühe, sich zu beherrschen.

"Dieser Scheißkerl", fluchte er leise, beide Hände zu Fäusten verkrampfend. "Ist das seine Nummer?" Er deutete auf das Blatt Papier, das mit Inos Habseligkeiten auf dem Nachttisch lag. Sie nickte betroffen, ohne ihre glasigen Augen vom Fenster abzuwenden. "Naruto, gib mir dein Handy."

"Was hast du vor, Sasuke?" Sakura sprach möglichst ungerührt, um die Stimmung auf ihn zu übertragen. Es half nichts. Sasukes Nasenwurzel hatte eine wütende Falte geworfen. Hier ging es nicht um Ino; es ging darum, dass Uchiha Itachi seinen kleinen, naiven Bruder verarscht hatte. So sah er es jedenfalls.

"Ich rufe ihn an", blaffe er Sakura an. Im nächsten Augenblick war er verschwunden und die Tür fiel hinter ihm krachend zu.

"Lass ihn, Sakura", riet Naruto ihr, ohne Inos Hand loszulassen. "Du weißt, wie empfindlich er in diesem Punkt reagiert. Ich werde ihn wieder zur Besinnung bringen." Inos Hand losglassend, verließ er das Krankenzimmer ohne den Radau seines Vorgängers zu machen.

Sakura wollte protestieren, aber diese Situation war eine von wenigen, in denen sie Naruto blind Recht zugestehen musste. Die beiden kannten sich seit frühesten Kindertagen und sie waren sich so ähnlich. Stur bis aufs Blut, wenn es um einen Kampf ging. Sasuke focht seit Jahren einen Krieg mit seinem älteren Bruder; eine Tatsache, die Sakura nicht im Entferntesten nachvollziehen konnte. Normalerweise hätte sie Narutos Ratschlag ignoriert, denn sie war der Meinung, dass Sasuke ein Mann war, den man nicht sich selbst überlassen durfte—gerade wenn er jede Hilfe ablehnte. Dass der blonde Chaot Sasukes Attitüde nicht als weinerlich bezeichnete, wie er es sonst immer tat, sondern sie mit einem sehr viel ausdrucksstärkerem Adjektiv wie ›empfindlich‹ umschrieb, war ein guter Indikator für Sasukes derzeitigen mentalen Zustand.

Dennoch … sie würde ihn nicht aus den Augen lassen.
 

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Sasuke betrat das Krankenhausdach, von dem aus er einen Rundumblick auf Ōsaka hatte. Im Süden konnte er das Meer erkennen, im Norden hob sich Kita's imposante Skyline von ihren umliegenden niedrigeren Bauten in die Lüfte. Irgendwo dort, im Verwaltungsbezirk der Stadt, lag das Hauptquartier von Akatsuki. Er streckte die Hand aus, als könne er danach greifen.

Itachi wollte also ein Spiel spielen? Fein. Sasuke kannte die Spielregeln, nach denen ein Uchiha spielte. Itachi mochte das hochgefeierte Wunderkind der Familie gewesen sein, doch er war auch nicht von schlechten Eltern.

"Von denselben, um genau zu sein", sagte er verächtlich. Die idealen Voraussetzungen für ein Duell auf Augenhöhe. Sakura hatte es versprochen: wenn es an der Zeit war, durfte er Itachi töten.

Die Telefonnummer löchernd, zog er Narutos Mobiltelefon aus der Jackentasche. Schon als Sakura ihn angerufen hatte, um ihn als Taxi zu missbrauchen, hatte er so ein Gefühl gehabt. Vier Freizeichen ertönten, dann eine Stimme.

"Sasuke. Wie schön."

Itachi hatte extra für dieses Telefonat ein neues Prepaidhandy gekauft; was war anderes zu erwarten von einem kriminellen Genius? Sasuke würde ihm die Genugtuung seiner Unterlegenheit nicht angedeihen lassen. "Wir müssen reden", verlangte er so entschlossen als möglich. So entschlossen, dass er sich es sich sogar selbst abkaufte, keine Angst zu haben.

"So direkt wie immer, mein kleiner Bruder." Itachi schnalzte tadelnd mit der Zunge. Im Hintergrund war das Klirren von Gläsern zu hören. "Ich dachte, wir könnten ein wenig plaudern."

"Hör auf, Zeit zu schinden. Morgen Mittag im Golden Sun?"

Itachi machte einen Laut des Bedauernd. "Ich muss dich leider vertrösten, Sasuke. Dringende Termine, du weißt ja, wie das ist. Oder … etwa nicht?"

"Halt deine Klappe", brummte er. Sein Bruder wusste genau, dass er kein Mitglied mehr von Hidden Leaf war.

"Nach Neujahr hätte ich ein Stündchen Zeit. Ich würde allerdings ein anonymeres Etablissement vorziehen. Ein kleines Café in der Innenstadt. Ich werde dir Adresse und Zeitpunkt zukommen lassen."

"Ich tanze nicht nach deiner Pfeife, Aniki."

"Das wirst du müssen." Itachi nahm einen Schluck von etwas und räusperte sich selbstgefällig. "Ich bin es immerhin, der Verpflichtungen hat. Im Gegensatz zu manch anderen Teilhabern unseres netten Gesprächs. Ich erwarte dich, Sasuk—"

Den letzten Teil seines Namens hörte Sasuke nicht mehr. Mit all seinem angestauten Hass hatte er das Mobiltelefon auf den Steinboden des Flachdachs geworfen. Sein Kopf schmerzte vor Wut und er ging widerwillig in die Knie, um die SIM-Karte des zerbrochenen Geräts aus der kaputten Hülle zu entfernen. Er hatte keine Wahl, als diese Nummer zu behalten. Es war die einzige Kontaktmöglichkeit, die Itachi hatte. Wer wusste, was er in seiner Geisteskrankheit täte, wenn Sasuke nicht am Treffpunkt erschien. Sasuke hatte viele Menschen, die ihn als seinen Freund bezeichneten. Er wollte nicht Schuld an dem sein, was sein gestörter Bruder Naruto, Sakura oder jemand anderem antun konnte.

Hinter ihm fiel eine Tür ins Schloss.

"Sasuke, spinnst du?!", brüllte Naruto ihn an. "Das war mein Handy!"

"Reg' dich ab, die Karte ist noch heil."

"Das war neu!", raunte er empört. Er sank vor den Bruchstücken des vormaligen Telefons nieder. "Meine Freundin hat es mir zum Geburtstag geschenkt … sie wird mich töten!"

"Deine kleine Anwältin tötet niemanden, dafür sind immer noch wir zuständig. Willst du etwa, dass ich von meinem Handy einen gesuchten Massenmörder anrufe? Ich habe einen Vertrag, also könnte er im Nu meine Adresse herausfinden. Willst du das?"

"Besser du als mein Besitz! Dafür wird dich Hinata-chan verklagen!"

"Halt deinen Mund, du Volltrottel!", fuhr Sasuke ihn an, das Gesicht zu einer wütenden Fratze verzogen. "Verstehst du den Ernst der Lage nicht? Wen interessiert dein dämliches Telefon?"

"Mich!" Sasuke konnte ja so stur sein! Er ging mit drohenden Fäusten auf seinen Freund zu und packte ihn am Kragen. "Scheiß auf mein Telefon, hier geht es um ein Prinzip, das du einfach nicht kapieren kannst! Ich weiß, dass du denkst, ich sei dumm, aber wenigstens verstehe ich eines: wir. sind. ein. Team." Er zog fester am Kragen von Sasukes Jacke. "Krieg das in deinen Schädel, sonst hämmere ich es rein! Diese Sache geht uns alle etwas an, also hör auf dich aufzuspielen wie eine Fohlen vom Wunderponyhof und benimm dich wie der erwachsene Mann, in dessen Körper du steckst!"

"Wunderponyhof?" Sasuke befreite sich grob aus Narutos Griff und schlug seine Hand weg, die nach ihm langte. "Pass lieber auf, was du sagst. Ich war schon immer der Bessere von uns beiden! Du solltest darauf achten, mit wem du dich anlegst!"

Hätte Itachi dich nur auch abgeschlachtet! Es lag Naruto auf der Zunge. Doch egal wie weit Sasuke ihn in die Enge trieb, so weit würde er ihn niemals bekommen. Er würde nicht der Grund sein, der seinen Hass auf die Welt weiter schürte. Die Faust auf Sasukes schutzloses Gesicht gezielt, zischte er verächtlich. "Das ist es nicht wert."

Er ließ Sasuke mit stumpfem Gesichtsausdruck auf dem Krankenhausdacht stehen. Der aufkommende Regen würde ihn schon wieder abkühlen.
 

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Der zweite Jänner kam schneller als erwartet und Sakura sah an diesem Morgen geistesabwesend aus dem beschlagenen Fenster ihres Appartements. Ino hatte sich—zum Leidwesen ihrer Mitbewohnerin—von dem Schock gänzlich erholt und ließ sich wie eine Invalide fürstlich bedienen. Sie hatte sich eine Klingel besorgt und schlug sie alle paar Minuten, so wie sie es in den amerikanischen Sitcoms gesehen hatte.

Da, das Bimmeln des Glöckchens ertönte schon wieder. Zum vierten Mal in dieser Stunde. "Du hast Beine, Ino!", raunte Sakura. Der Vorfall war längst nicht vergessen, aber noch war keine Information aus Ino herauszubekommen, wegen der Sakura sie ordentlich schelten konnte. Ihr scharfer Tadel, der sich auf die Gesamtsituation bezog, prallte ohne spezifisches Fallbeispiel an der rauen Fassade der selbstsicheren Blondine völlig ab.

Nejis rettende Textnachricht hatte sie vor zwei Stunden erreicht. Sie hatte ihn darauf angesetzt, Narutos SIM-Karte, die nun in Sasukes Besitz war, zu überwachen. Wie genau er es anstellte, war ihr ein Rätsel—sein Hacker-Fachchinesich hatte sie nicht einmal im Ansatz verstanden—Himmel, sie waren in Japan!—Fakt war, dass er ihr Adresse und Zeitpunkt eines Treffens sagen konnte. Es war nicht schwer zu erraten, wer Sasukes Date war.

Sakura sah auf ihre Armbanduhr. Kurz nach elf. Das Treffen in dem hübschen Café an der beliebtesten Einkaufsstraße Chūōs fand erst in einer Stunde statt; von hier bräuchte sie mit der Metro höchstens zwanzig Minuten, dennoch griff sie nach ihrem schwarzen Veloursledermantel und eilte vor dem nächsten Klingeln aus dem Appartement.

Das Café, das Uchiha Itachi ausgewählt hatte, war … niedlich. Seine Front war mit zwei Panoramafenstern verglast, durch die man hervorragend sämtliche Personen an den vorderen beiden Tischreihen erschießen konnte; das Mobiliar war modern und würde einer Schießerei im Inneren kaum standhalten, die Tische waren kaum groß genug, um umgekippt dahinter ausreichend Deckung zu finden. Das war die Art, in der ein Scharfschütze ein Lokal bewertete. Uchiha—der ältere—konnte nicht weit entfernt sein von ähnlichen Denkprozessen, was nur einen Schluss zuließ: entweder, er war ziemlich dämlich. Oder aber er wollte beweisen, dass er Sasuke nichts tun würde. Bei einem Schusswechsel würde er ebenso draufgehen wie Sasuke. Uchiha Itachi mochte vielem fähig sein, aber in einer solchen Umgebung konnte selbst er sich nicht verteidigen. Selbst wenn er seine Männer mitgebracht hatte, er konnte nicht sicher sein, dass nicht auch Sasuke ein oder zwei Heckenschützen zu seinem Schutz positioniert hatte. Sakura hatte es ihm zwar angeboten, aber er hatte abgelehnt. Beschissener männlicher Stolz.

Aus Mangel an Alternativen wählte sie einen Platz, von dem aus sie gute Sicht auf die Front des Cafés hatte. Obwohl—nein: eben weil Sasuke Sakura versichert hatte, sein Bruder würde nicht die Dreistigkeit besitzen, ihn in einem gutbesuchten Lokal zu erschießen, ließ sie den Blick über ihre Umgebung schweifen. Als ausgebildete Scharfschützin konnte sie die besten Stellen für einen hinterlistigen Angriff leicht eruieren. Zu ihrer Erleichterung waren die gegenüberliegenden Büroräume mit geschäftigen Menschen gefüllt, die Dachterrasse des Auktionshauses leer und Sasuke, zum ersten Mal in seinem Leben Sakuras Rat befolgend, setzte sich laut ihrer gestern gemachten Vorschlages in eine Ecke, die man nur von selbigem Meeresspiegelniveau aus treffen konnte. Wenn jemand ein Visier auf ihn richtete, würde sie es auf jeden Fall mitbekommen.

Sasuke war heillos zu früh. Ein Zeichen seiner Nervosität, die Sakura hinter seiner unberührten Fassade erkennen konnte. Sie war auf der anderen Straßenseite einer vielbefahrenen vierspurigen Hauptstraße, deren Gehsteige in jeder Fahrtrichtung ebenso breit waren, wie eine Fahrbahn, sodass ihre effektive Distanz einen Wert erreichte, den sie nicht gut schätzen konnte. Ihre Raumvorstellung sagte ihr zehn Meter, ihre Additionskünste gepaart mit ihrem Menschenverstand, der zwei Meter pro Fahrbahn annahm, zwölf Meter, ihre Augen allerdings über zwanzig. Sie konnte kaum etwas erkennen, außer Sasukes desinteressierten Blick, der sich nicht von der Getränkekarte hob, als sich eine äußerst hübsche Kellnerin rührend um das Wohl ihres attraktiven Gastes bemühte.

"Tsk", machte sie abwertend und bestellte einen Milchkaffee bei ihrer beleibteren Kellnerin. Natürlich bekam ein Uchiha nur das Beste, während das Fußvolk sich mit den Resten begnügen musste. Ihr Milchkaffee kam nach einem Malheur, bei dem die tollpatschige Ferialarbeiterin das erste Glas über den Boden ergossen hatte, und Uchiha Itachi war immer noch nicht da. Sakura sah auf ihre Armbanduhr. Er hatte noch acht Minuten, um aufzutauchen, dann würde sie aufstehen und Sasuke aus dem Café zerren. Sieben Minuten noch und sie wäre sich sicher, dass es ein Hinterhalt war. Sie nahm einen Schluck des Heißgetränks und winkte die Bedienung herbei, die Geldbörse in ihrer Handtasche zum Zücken bereit umklammert.

"Sie wünschen?"

Sakura wandte den Blick von der gegenüberliegenden Straßenseite nicht ab. Fünf Minuten noch. Vier. Die Kellnerin wurde ungeduldig.

"Miss?"

Drei Minuten. Sakura ließ ihre angespannten Schultern sinken. "Sancha. Ohne Zucker."

Uchiha Itachi hatte eben das Café betreten. Nun hieß es Abwarten und Teetrinken.
 

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That Drill Is Sanguine


 

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Sasuke brauchte nicht von der Ausgabe seiner Tageszeitung aufzusehen, um zu wissen, wer gerade das lichtdurchflutete Café betreten hatte. Die schwelgerischen Blicke aller anwesenden Damen verrieten seine Präsenz. Das war Itachi, wie er eben war. Ihn umgab eine dunkle, mystische Aura, die Frauen magisch anzog. Wie viele schon daran zerbrochen waren, ihm helfen gehabt zu wollen, wollte er gar nicht wissen. Im Vergleich zu der Seele seines kranken Bruders, war Sasukes eigene ein glücklicher Kinderspielplatz voll glitzernder rosa Ponys.

"Uchiha-Affäre", sagte Itachi trocken und winkte eine Kellnerin zu sich. "Das ist, worüber ich mit dir reden will."

Sasuke hob eine Augenbraue und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, behielt sich dann jedoch vor, lediglich einen Schluck seines Brandys zu machen. Itachi nahm ihm das Glas aus der Hand, schwenkte es und roch am Bouquet des Alkohols.

"Kein guter Jahrgang", stellte er nicht minder trocken als zuvor fest.

Sasuke kippte den oberen Teil des Tagesblatts nach unten, um ihm einen vielsagenden Blick zuzuschießen. "Macht dir das Spaß, oder ist dir einfach nur langweilig, Aniki?"

Itachi machte ein wegwerfende Handbewegung; sanft und kontrolliert. "Ein wenig von beidem, nehme ich an. Eine Tasse Kaffee. Schwarz mit Zucker." Mit einer Handbewegung in die andere Richtung schickte er das attraktive Mädchen fort, das die ganze Zeit über stumm an seinem Tisch gestanden hatte, ihre hübschen grauen Augen gebannt auf seine Erscheinung niedergeschlagen. Wie Sasuke ihn dafür hasste! Nicht für die Wirkung auf das weibliche Geschlecht per se, aber für die Selbstgefälligkeit, mit der er diesen Umstand als natürlichste Sache der Welt hinnahm und schamlos zu seinem Vorteil nutzte. Wie manipulativ konnte ein einziger Mensch sein?

"Es ist lange her." Sasuke leerte den Brandy in einem Zug und schwenkte das Glas in der Luft, um ein neues zu bestellen. "Was willst du von mir? Neun Jahre lang hat es dich einen Scheißdreck interessiert, was ich tue, und plötzlich erpresst du mich zu einem Date? Sehr verdächtig."

"Weniger verdächtig als kontemplativ. Ich versuche, ein wenig meiner Vergangenheit zu evaluieren. Ein paar alte Geschichte aufwärmen, Fälle aufrollen, in Erinnerungen schwelgen. Du weißt schon."

"Sag bloß, du wirst nostalgisch." Sasuke spuckte ihm diese Worte förmlich auf den Tisch. Itachi sollte nicht glauben, er wäre sentimental, bloß weil der letzte lebende Teil seiner Familie sich dazu herabließ, einen schmalen Gedankenaustausch mit ihm zu führen.

"Ich sagte bereits, was ich möchte."

"Uchiha-Affäre", wiederholte Sasuke und beobachtete ihn, wie er prüfend in dem tiefschwarzen Kaffee rührte, explorativ kostete und zwei weitere Löffel Kristallzucker in die Brühe rieseln ließ. "Wirst du konkreter, oder darf ich mir selbst zusammenreimen, welchen Ast des Gestrüpps du genau schälen willst?"

"Du warst noch nie so gut mit Worten, Sasuke", tadelte Itachi amüsiert lächelnd; fast liebevoll neckend. Welch verstörender Gedanke. "Ich bin hier, um dich etwas zu fragen, dessen Bestätigung womöglich ein interessantes neues Licht auf Dinge werfen könnte, dich ich glaubte, völlig erfasst zu haben."

Sasuke schnaubte. "Wieso sollte ich gerade mit dir über etwas reden, das ewig her ist? Ich habe dir nur eines zu sagen: Deine Entscheidung, mich in jener Nacht bei Naruto abzuliefern, war die fatalste, die du jemals getroffen hast. Du hättest mich mitsamt unserer Familie in die Luft jagen sollen, Aniki, denn früher oder später werde ich es sein, der dir die Waffe an die Brust setzt und die tödliche Kugel durch dein schwarzes Herz treibt."

Itachi schnalzte tadelnd mit der Zunge. "Wer will den gleich pathetisch werden? Sa-su-ke." Er sprach jede Silbe des Namens wie einen Kinderreim aus und platzierte die Spitzte seines Zeigefingers auf Sasukes Stirn, wie er es so oft getan hatte. Mit seichtem Druck tippte er sie nach hinten und lehnte sich wieder zurück, wo er die Arme verschränkte und die Beine überschlug. "Hast du in den Nächten der Woche, bevor es geschah, jemanden in der Nähe unseres Anwesens gesehen?"

Sasuke brummte. "Habe ich dir nicht bereits gesagt, dass ich dir nichts mitzuteilen habe?"

"Mein lieber, kleiner Bruder, wie engstirnig und kleinkariert." Itachi löste seine Arme zu einer spöttisch melodramatischen Geste. Sasuke konnte sich an jene Monate erinnern, in denen Itachi bestritten hatte, die gesamte Familie umgebracht zu haben. Wider aller Beweise, die die Polizei von Ōsaka ohne Mühe zusammengetragen hatte. Nach wenigen Wochen hatten alle Spuren auf den Mörder gezeigt, der irgendwann aus Resignation seinen Anwalt ausbezahlt hatte und verschwunden war. Das war vor acht Jahren und sieben Monaten gewesen.

"Wieso fängst du gerade jetzt wieder damit an?", fragte Sasuke. Er versuchte, sein Interesse zu verbergen, doch die Spitze in seiner Stimme strafte seine Bemühungen Lüge. "Hast du eine Möglichkeit gefunden, dein Massaker jemand anderem anzuhängen, nachdem deine kleinen Verbrecherfreunde von Akatsuki die Beweise aus der Asservatenkammer haben verschwinden lassen? Mord verjährt nie, weißt du?"

"Jetzt wirst du unfair", empörte Itachi sich kopfschüttelnd. "Um meine Gründe solltest du dir keine Sorgen machen, kleiner Bruder. Wie man hört, haben du und deine Freunde ihre eigenen Probleme."

"Lass meine Freunde aus dem Spiel, Aniki. Sie haben nichts damit zu tun."

"Ach, nein?" Itachi runzelte überlegend die Stirn. "Wenn ich mich recht entsinne, ist es doch dein blonder Kumpane, der wie ein Berseker durch die zwielichtigen Vierteln der Stadt rennt und den schwarzen Mann beschwört. Glaubst du, ich weiß nicht längst, was ihr vorhabt?"

"Das wäre?"

Sasukes Kopf fuhr ruckartig herum, während der seines Bruders ruhig zur Seite glitt, um die Frau zu betrachten, die sich an ihren Tisch gestellt hatte. Unaufgefordert nahm Sakura sich einen Stuhl von einem der Nebentische und setzte sich zwischen sie.

"Was tust du hier?", zischte Sasuke mit bösem Blick. Sakura zuckte die Schultern.

"Auch wenn du flüsterst", wisperte sie nicht unbedingt leise, "dein Bruder wird uns trotzdem hören, sollte er keinen Gehörschaden haben." Sie hob ihre Stimme auf normale Lautstärke und wandte sich dem älteren Uchiha zu. "Du kennst also unsere Pläne?"

"Und du bist?"

Sakuras Miene gefror hinter ihrer ruhigen Fassade zu Eis. Wieso musste sie sich vorstellen? Er kannte sie, Herrgott noch eins! Sie war damals ebenso dabei gewesen, als Naruto, Sai und Lee Akatsukis Lagerhalle an den Docks gestürmt hatten! Wie deprimierend. Ohne ihren Ärger zu offenbaren, streckte sie ihm eine Hand zum Gruß entgegen. "Haruno Sakura. Sasukes ehemalige Teamkameradin."

Entgegen ihrer leisen Hoffnung, ihr Name könne ihn erinnern, schüttelte er den Kopf. "Das klingt nicht bekannt. Wie seltsam." Schmeichlerisch nahm er ihre Hand an, doch statt sie zu schütteln, drehte er sie und führte ihren Handrücken zu seinen Lippen. "Dabei vergesse ich nie ein hübsches Gesicht."

Etwas an der Art, wie er sie unter seinen langen Wimpern hindurch ansah, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Einen Schauer, der nicht ganz so unangenehm war, wie sie vermutet hatte. Sasuke unterbrach die angespannte Szene mit einem Räuspern.

"Sakura wollte gerade gehen, nicht wahr?" Im nächsten Moment spürte sie seinen groben Griff an ihrem Oberarm, der sie versuchte auf zu zerren. "Sakura", mahnte er, ließ sie jedoch widerwillig los, als sein Mobiltelefon klingelte.

Sie sah fragend zu ihm auf, doch er schüttelte den Kopf. Es schien ein wichtiger Anruf zu sein, der ihn alles vergessen ließ. Mit einem letzten warnenden Blick, keine Dummheiten zu machen, verließ er das lärmende Café, um den Anruf entgegen zu nehmen. Als er verschwunden war, wandte sie sich Itachi mit ihrem düstersten Blick zu.

Er schmunzelte, ohne dass es seine Augen erreichte. "Du gehörst also zu Uzumakis Clique, ja? Denk nicht, ihr könntet mich so einfach aus der Reserve locken. Dass ich hier bin, verschafft euch keinen Vorteil."

"Ich bin nur hier, um dich persönlich kennenzulernen, ehe ich dich erschieße", zischte sie beherrscht. "Ich lege normalerweise keinen Wert auf persönliche Kundenbetreuung, aber du bist ein Sonderfall, also hör mir jetzt gut zu, Uchiha, denn ich sage das nur einmal: Ich saß während eures Gesprächs dort drüben und mir gefiel nicht, was ich sah. Darum hielt ich es für besser, Folgendes klarzustellen: du hast Sasuke schon genügend Leid zugefügt. Ich habe ihm zwar anderweitiges versprochen, aber solltest du es wagen, auch nur irgendeinen Finger gegen ihn zu erheben, und sei es nur, um in seine Richtung zu zeigen, werde ich ein Messer durch deinen Schädel treiben, um anschließend deinen Skalp an der Nationalflagge vor dem Rathaus aufzuhängen. Und glaub mir, ich kann verdammt gut mit Messern umgehen."

Itachi musterte sie unbeeindruckt, ehe er erneut in provokatives Schmunzeln verfiel. Ihren Blick haltend, lehnte er sich nach vorne, um eine Strähne ihres Haares aufzunehmen. Er ließ sie durch seine Finger gleiten und steckte sie am Ende in einer beunruhigend zärtlichen Geste hinter ihr Ohr. "Und das von jemandem, dessen Haar aussieht wie die köstlichste Zuckerwatte Japans." Ein amüsiertes Lachen entkam ihm, das seine nächsten Worte beinahe freundlich wirken ließ. "Ich freue mich auf unser nächstes Zusammentreffen, Haruno Sakura."

Noch immer erheitert glucksend stand er auf und ging, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Sakura unterstand sich, ihm nachzusehen. Sie war nur auf einen Gedanken fokussiert: Ihr Herz klopfte wie ein wildes Tier gegen ihren Brustkorb, weil sie sich darauf freute, den Odem aus seinen Augen weichen zu sehen. Nicht, weil sie Angst hatte. Und schon gar nicht, weil die Lippen dieses verfluchten Bastards immer noch wie ein Lauffeuer auf ihren Handknöcheln brannten.
 

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Wo ist der Scheißkerl hin?", fuhr Sasuke sie an, als wiederkam.

"Gegangen", informierte sie schlicht. Sakura hatte einige Minuten gebraucht, um auszudifferenzieren, wieso sie derart auf Uchihas Anmaßung reagiert hatte. Es war die Vorfreude, ihm wehzutun, ganz sicher. Ihre Hand brannte, weil sie ihm damit alle Zähne aus der selbstherrlichen Visage prügeln würde. Für diesen Moment konnte sie verstehen, wieso Naruto unruhig wurde, wenn er niemanden schlagen durfte, obwohl er das Verlangen danach verspürte. Es war ein … gutes Gefühl. Auf bedenkliche Art und Weise. Moralisch verwerflich. Trotz allem gut. Schade um sein schönes Gesicht—nein! Nicht schade um sein schönes Gesicht! Er hatte kein schönes Gesicht! Nein. Was machte sie sich vor? Natürlich hatte er das. Sie fand diese Art Mann eben attraktiv. Gegen Hormone war eben kein Kraut gewachsen. Ja, Hormone. Das war die Erklärung. Sie war—

"Sakura?"

Sie schreckte aus ihrem inneren Streitmonolog, der nach ihrem Geschmack schon viel zu sehr außer Kontrolle geraten war. "Was?"

"Wir gehen."

Sakura rollte mit den Augen. In manchen Ländern mochte es ja an der Tagesordnung sein, dass Männer ihre Frauen herumkommandierten, aber dieser herrische Befehlston gefiel ihr überhaupt nicht. Zumal sie nicht seine Frau war. "Hör auf zu ziehen, Sasuke-kun", fauchte sie und befreite sich aus seinem ruppigen Griff. "Was willst du überhaupt von mir?"

"Deine Kombinationsgabe."

Sie fühlte eine vertraute Wärme in ihre Wangen aufsteigen, die sie schon lange nicht mehr verspürt hatte. Lob von Sasuke war selten. Wie sehr hatte sie einst danach gelechzt. Und wie widerstrebte es ihr jetzt, diesen Tisch zu verlassen.

"Ich kann alleine gehen", erklärte sie schnippisch. Letzten Endes beugte sie sich seinem Befehl also doch. Nach allem war es doch noch Sasuke, der sie brauchte. Sie konnte ihn nicht im Regen stehen lassen. Und da war auch noch sein Gesichtsausdruck, der ihre Neugierde schürte. Sie wusste nicht viel über die Fälle, die in den polizeilichen Akten und Medien als 'Uchiha-Affäre' zusammengefasst wurden und einen Zeitrahmen von über drei Jahren umspannten. Die delikaten Details waren allesamt unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt worden. Das bedeutete nicht, dass Sasuke sie nicht besaß. Und er wollte sie mit ihr teilen.

Sasukes Appartement lag etwas außerhalb in einem Wohnkomplex, der in näherer Zukunft einer Renovierung bedurfte. Er hatte die Wohnung vor einigen Jahren gekauft, sie aber nie häuslich eingerichtet. Sakura hatte das Privileg, sie zu betreten, nur ganze vier Mal in ihrem Leben genossen. Normalerweise ließ ihr ehemaliger Teamkamerad keine Besucher ein, außer die kurzen Affären, die er manchmal zu halten gedachte, wenn er dem Abgrund zu nahe war. Fleischliche Gelüste konnten jeden Defätisten für ein paar neue Tage ans Licht der Welt holen.

Es dauerte, bis sie im fünften Stock waren. Sakura war es unangenehm, ihrem Gastgeber die Treppen zumuten zu müssen. Dass sie Aufzüge prinzipiell schmähte und mied, wo sie nur konnte, war eine ihrer nervtötenden Eigenschaften, die sie einfach nicht loslassen konnte. Glücklicherweise kommentierte Sasuke ihre Angewohnheit nicht, sondern führte den Weg das Treppenhaus nach oben an. Sie schwiegen, bis er den Schlüssel aus seiner Tasche gefischt hatte, um die Tür zu öffnen.

Sakura unterdrückte den reflexartigen Impuls, zu japsen. Ein Auftragsmörder japste nicht! Sie hatte tote Vögel in ihrem Briefkasten gefunden—ein Umstand, den Ino ihr bis heute vorhielt—Krötengedärme auf der Fußmatte und Drohbriefe im Türspalt. Was Sasukes Wohnung wiederfahren war, stand auf ihrer mentalen Skala ein ganzes Stück höher. Schon der Flur war eine Klasse für sich; die Wände war beschmiert, die Lampe hing schief, die oberste Lade der kleinen Kommode war brutal aus ihren Schienen gerissen worden, der bepflanzte Blumentopf, auf den Naruto bestanden hatte, damit wenigstens etwas Lebendiges in dieser Wohnung weilte, war zerbrochen und die Erde auf dem Fliesenboden verteilt worden. Die kleine Zierpalme darin allerdings thronte unberührt auf einem Erdhaufen.

"Was …?" Sakura ließ die Frage ausklingen. Neben ihr war Sasuke zum Zerreißen gespannt. Seine Knöchel traten weiß unter seiner Haut hervor, als er die Hände zu Fäusten ballte und mit wutverzerrtem Gesicht in die Wohnküche stürmte. Er riss die Tür fast aus den Angeln; es hätte keinen Unterschied gemacht. Ein rauer Wutschrei hallte durch den dunklen Raum und Sakura nahm ihren Mut zusammen, um ihm zu folgen. Es waren nur Möbel, sagte sie sich, versuchte sie sich glauben zu machen. Ein Fehlschlag. Die Botschaft, die dahinter stand, war eindeutig. Sasuke hatte keine Feinde, nachdem er Hidden Leaf verlassen hatte. Die wenigen überlebenden jener, die er sich während seiner Zeit als Mitglied von Team Sieben gemacht hatte, waren anderweitig involviert oder zu kleine Fische, um ihm auch nur nahe zu kommen. Beschützt von dem Bollwerk seiner ehemaligen Institution, war Uchiha Sasuke schwerer boykottierbar als Fort Knox. Es gab nur einen, der über genügend Geld, Einfluss und Dummheit verfügte, ihm nahe zu kommen.

Sakura knipste das Licht an, um das volle Ausmaß der Zerstörungswut zu sehen. Es war zwar erst früher Nachmittag, aber das hielt Sasuke nicht davon ab, seine Fensterläden so gut wie immer geschlossen zu halten. Erneut verbot sie sich, eine Reaktion zu zeigen. Der Wohnbereich war nicht minder verwüstet, die Küche ein einziges Schlachtfeld; Besteck lag verteilt, Teller waren zerbrochen, Gläser zersplittert. Auf der freistehenden Theke zeigten sämtliche Messer—Essmesser, Schälmesser, Obstmesser, Fleischmesser, Brotmesser—mit der Klinge voran zur Tür, in dessen Türrahmen Sakura erstarrte. Es war eine Drohung. Und als sie die Schlangenhaut sah, die mit einem Wurfmesser an die Wand über den Fernseher gepinnt war, wurden ihre größten Ängste bestätigt.

"Orochimaru", wisperte sie. Sie mussten hier weg. Instinktiv griff sie nach Sasukes Hand, doch er zog sie weg und stürmte in sein Schlafzimmer, das, seinem zornigen Schrei nach zu urteilen, ebenso malträtiert worden war. Sie wartete geduldig, bis er mit kalkweißem Gesicht und einem Ordner wiederkam. "Er hat die Unterlagen nicht mitgenommen?"

Er nickte. "Sie sind alle hier. Es kann ihm nicht darum gegangen sein."

"Sasuke-kun …"

"Dieser beschissene Hurensohn wird dafür büßen", zischte er und klang in einem neuen Wutschrei aus, in dem er den eingeschlagenen Fernseher von seinem Sockel stieß. Das Glas des Bildschirms zerschellte am dreckigen Boden wie ein Warnsignal.

"Hör auf, Sasuke-kun." Diesmal ließ Sakura sich nicht wegstoßen. Sie festigte ihren Griff um sein Handgelenk und drehte ihn mit aller Kraft zu sich, sodass er in ihre blitzenden Augen sehen musste. "Willst du in Orochimarus Geheimversteck spazieren, von dem du nicht weißt, wo es ist, um dich gegen seine Männer zu stellen, von denen du nicht weißt, wie viele es sind, in einem Terrain, das du nicht kennst, ohne Unterstützung, die du mit ein wenig Geduld und Diplomatie bekommen könntest?"

An seinem starren Blick konnte sie erkennen, dass sie sein Vorhaben auf den Kopf getroffen hatte.

"Du bist doch intelligent", fuhr sie ohne Pause fort. "Tsunade-sama lässt nur nicht nach Orochimaru suchen, weil sie fürchtet, ihn damit auf deine Fährte zu locken. Aus irgendeinem Grund will er dich, tot oder lebendig. Sie würde nicht zulassen, dass er dich ihretwegen findet. Nun hat er es geschafft und sie wird alles daran setzen, ihn zur Strecke zu bringen."

Sasuke schwieg. Also noch ein Stück.

Indem sie ihn näher an sich zog und ihre Hände auf seine Schultern legte, sagte sie laut, klar und entschlossen: "Du kannst ihn nicht alleine finden. Es würde Jahre dauern, allen Spuren alleine nachzugehen. Tsunade-sama kennt Orochimaru. Sie sind zusammen aufgewachsen. Wenn ihm jemand das Handwerk legen kann, dann sie. Vertrau uns, Sasuke, so wie du es früher getan hast. Komm mit mir zum Hauptquartier."

Hinter seinen steten Augen tobte ein Konflikt, den sie nicht spezifizieren konnte. Die richtige Seite schien jedoch gewonnen zu haben, denn er schüttelte ihre Hände sanft ab, nahm eine auf und drückte sie leicht. "Danke, Sakura."

Sie schenkte ihm ein unangemessen strahlendes Lächeln und ihre Warnung hallte in ihren Ohren wider. Kein Zweifel: wenn Uchiha Itachi Sasuke auch nur ein Haar krümmte, konnte sie für nichts garantieren. Sie hatte nicht umsonst jahrelang mit der einstigen Staatsmeisterin des Kickboxens trainiert. Bevor sie Uchihas Skalp feinsäuberlich vom Schädelknochen abschabte, würde sie sein Gesicht so sehr peinigen, dass man es nur mehr aus alten Zeitungsartikeln rekonstruieren könnte.
 

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Naruto fuchtelte fuchsteufelswild mit seinen Armen umher, mit denen er beinahe Tenten traf, die sich vor einigen Minuten stöhnend im Besprechungszimmer von Hidden Leaf neben ihn fallen gelassen hatte.

"Pass doch auf!", fauchte sie und drückte ihn an der Taille von sich weg.

"Aber—aber—Orochimaru?! Das ist Hausfriedensbruch! Ich rufe Hinata an! Sie soll ihn verklagen! Am besten heute noch!"

Sakura warf ihre Hand zu einer abwehrenden Geste nach hinten. "Und was dann? Gegen Orochimaru und seine Organisation laufen eine Menge staatliche und Zivilklagen! Sitzt er hinter Gittern? Nein. Siehst du ihn auch nur in einem Gerichtssaal? Nein. Rein rechtlich gesehen ist er unantastbar. Wir werden es auf unsere Art lösen. Du wolltest doch jemanden zusammenschlagen. Ein wenig Hau-die-Otos müsste genau nach deinem Geschmack sein."

"Ja! Das machen wir! Kommt, Leute, wir gehen!" Naruto sprang auf und reckte seine Faust in die Luft, doch Sakura war anderer Meinung. Mit einer leichten Kopfnuss zerrte sie ihn von dem Stuhl, auf dem er stand, pinnte ihn an dessen Lehne und bohrte einen bedrohlichen Zeigefinger in seine Brust.

"Du hast Sendepause. Wir warten, bis Tsunade-sama da ist, um einen Plan auszuarbeiten. Vergiss nicht, dass wir nicht nur nach unseren persönlichen Interessen gehen können. Uchiha ist immer noch unser Hauptaugenmerk und Lee, Tenten und Kiba verfolgen—paradoxerweise—diesen Tracker, den irgendjemand auf den Staatssekretär angesetzt hat. Wir haben Verträge und Verpflichtungen, also beruhige dich, bevor du einen Herzinfarkt bekommst. Vorschnelle Entscheidungen zu treffen bringt uns höchstens ins Gefängnis oder ins Grab. Vor allem, wenn es gegen Orochimaru und seine Hampelmänner geht."

Naruto wollte etwas erwidern, doch sein Protest wurde im Keim von Akamaru erstickt, der mit lautem Kläffen ein Leckerli von seinem Herrchen einforderte. Dieser Hund hatte ein ausgeprägtes Gespür für das Ende einer Diskussion. Ganz im Gegensatz zu seinem Besitzer. "Wieso sollten wir da nicht wirklich einfach rein marschieren? Tenten hat genügend Waffen, um jeden von uns dreifach auszurüsten und zusammen sind wir immerhin zu elft."

"Wenn Gai-sensei, Kakashi-san und Asuma-san mitspielen", schränkte Tenten ein, "wären wir höchstens zehn. Du weißt, dass Neji nicht mehr kämpfen kann. Oh, bitte, sieh mich nicht so an!"

"Ich kann kämpfen, wenn es darauf ankommt!", protestierte Neji. "Hör auf, mich zu bemuttern."

Augenverdrehend trat Tenten von hinten an seinen Stuhl heran und tätschelte sein Haar, unter dem sein düsterer Blick sein Missfallen ausdrückte. "Ja, ja, Neji-chan, du bist unser Held. Wir werden nie deinen heroischen Abgang vergessen, mit dem du uns alle vor einer Bombe gerettet hast." Gezwungen lächelnd schraubte sie ihre Faust in seinen Kopf. "Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass du keine hundert Meter mehr rennen kannst, ohne vor Schmerzen zu weinen." Die Schraube lockerte sich, stattdessen ließ sie ihre Hand ohne weitere Worte auf seine Schulter gleiten, wo seine Fingerspitzen sie leicht streiften, als er sich seine Frisur richtete.

"Zehn sind immer noch ausreichend!", postulierte Naruto, unterstützt von Kiba, der behauptete, er und Akamaru alleine seien genug, um Oto auszuheben. Die Diskussion, die darüber entstand, wollte Sakura nicht mit anhören. Tsunade traf sich geschäftlich mit einigen Klienten, um neue Konditionen zu verhandeln, was bedeutete, vor morgen Mittag würde sie nicht zurückkehren. Shizune war nicht bei ihr, was einen übermäßigen Sakekonsum determinierte. Nach diesem Tag brauchte sie Schlaf. Viel, viel, viel Schlaf.

"Sasuke-kun." Sie trat an ihn heran, die Stimme gesenkt, um niemand anderes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Ich habe nachgedacht. Ehe wir vor Tsunade-sama treten, solltest du entscheiden, was du willst. Naruto, Sai und ich kümmern und bereits um deinen Bruder. Tsunade-sama wird ein anderes Team entsenden, um die Sache mit Orochimaru zu klären. Du kannst nicht an beiden Fronten kämpfen."

"Ich weiß." Sasuke vermied es, sie anzusehen. Er hatte die Hände in den Hosentaschen seiner Jeans versenkt und die Augen nachdenklich geschlossen. "Sakura. Du musst mir einen Gefallen tun. Solange Orochimaru hinter mir her ist, habe ich keine Chance, mich um etwas anderes zu kümmern. Itachi ist gefährlich, aber er ist ein Spieler. Was du auch tust, lass dich nicht auf sein Spiel ein. Solange du es nicht mitspielst, besteht kein reeller Grund zur Sorge. Denke ich zumindest."

"Was soll ich tun?" Sakuras Herz klopfte stärker gegen ihre Brust. Von Uchiha Sasuke um einen Gefallen gebeten zu werden, war eine Form von Anerkennung, die er kaum jemandem zollte. Ohne auch nur zu blinzeln, reichte er ihr den Ordner, den er sicherheitshalber mit sich genommen hatte. Man konnte nie vorsichtig genug sein. "Sieh ihn dir durch. Vielleicht kann ein objektiverer Blick als meiner etwas mehr Ordnung in dieses Chaos bringen. Und bitte, Sakura, lass dich nicht von dem beeinflussen, was ich für wahr erachte."

"Dann wäre mein Blick ja auch nicht mehr subjektiv", meinte sie leise lächelnd. Ihr war so gar nicht danach zumute. "Danke für dein Vertrauen."

"Ich verlasse mich auf dich." Lauter fügte er hinzu: "Ich werde nach Hause gehen, um ein wenig Schlaf zu bekommen. Wir sehen uns morgen, sobald Tsunade wieder da ist."
 

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Sasuke hatte keine große Lust, in die Räumlichkeiten zurückzukehren, die er als 'Zuhause' bezeichnete. Sie waren zerstört, verwüstet und geschändet. Das Heiligtum seiner Privatsphäre war verletzt worden. Wie sollte er sich noch an einem Ort angemessen entspannen können, dessen Harmonie zerrissen worden war? Ihm blieb keine Wahl. Bei jemand anderem die Nacht zu verbringen war keine Option; er hasste fremde Betten. Der vertraute Geruch seiner eigenen Laken war etwas, das er brauchte wie die Luft zum Atmen. Der Mensch war ein Gewohnheitstier und Sasuke konnte sich nicht vormachen, Routine entbehren zu können. Die Stille der Nacht war eine angenehme Abwechslung zu dem Trubel des Tages. Itachi, Orochimaru, Naruto, sie alle hatten rücksichtslos mit Hellebarden des Lärms auf seine empfindlichen Nerven eingeschlagen. Alles, was er wollte, war eine heiße Dusche, ein paar Onigiri vom Supermarkt an der Ecke und ein Glas Cognac aus einer der wenigen Flaschen, die bei Otos Überfall nicht zu Bruch gegangen waren.

Mit zwei schlichten Plastiktüten in der Hand, öffnete er zum zweiten Mal die Tür zu seinem Appartement, um dieselbe Verwüstung vorzufinden wie Stunden zuvor. Die Zerstörungswut hing noch in der Luft; Sasuke horchte auf. Er war in eine Welt der Verbrechen hineingeschlittert, in der Intuition der Schlüssel zum Leben war. Seine Instinkte täuschten ihn nie. Jemand war hier. In seiner Wohnung. Leise ließ er die Tür ins Schloss fallen, streifte seine Schuhe ab und platzierte die Tüten mit den Onigiri in der Ecke neben dem zerbrochenen Blumentopf. Mit fast unhörbaren Schritten durchsetzte er schleichend das Vorzimmer und schmiegte sich an die Querwand, von der aus er unbemerkt um die Ecke in seinen Wohnbereich sehen konnte. Nichts. Der Fernseher lag friedlich zersplittert auf dem Boden, das abgewetzte Leder der Wohnlandschaft war nach wie vor aufgeschnitten und die Fensterläden halb geschlossen. Das Mondlicht beleuchtete nicht viel des Raumes, aber genügend, um Sasuke sich fragen zu lassen, ob er sich geirrt hatte.

Unmöglich.

Er irrte sich niemals.

Sakuras Belehrungen für Naruto riefen sich selbstständig in seine Erinnerungen—für alles gibt es ein erstes Mal! Es war zwecklos, hier stehen zu bleiben. Wenn er jemanden bemerkt hatte, hatte dieser jemand ihn ebenfalls längst bemerkt. Die Luft vibrierte vor Spannung, doch sie war totenstill. Sasuke reckte den Hals ein wenig weiter nach vorne, um den Essbereich ins Visier zu bekommen, doch als sich auch dieser unberührt in seinem Chaos offenbarte, schob er seinen Alarm vollends beiseite. Es war ein harter Tag gewesen, voll hektischer Geräusche. Er war einfach überspannt; das musste es sein.

Seine Deckung fallen lassend, betrat er sein Wohnzimmer und machte das unversehrte Radio an. Ohne sich die Mühe zu machen, das Licht einzuschalten, schob er die Plastikdosen im Hängeschrank beiseite, holte die Cognacflasche hervor und entfernte ihren Metallverschluss. Das flüssige Bernstein, das mangels heiler Alternativen in einen Einwegplastikbecher floss, entfaltete sein feuriges Bouquet und bahnte sich seinen scharfen Weg Sasukes Kehle hinab. Ein Laut des erleichterten Genusses entwich ihm, gefolgt von zwei Schritten.

Ruckartig fuhr er herum, den Becher achtlos zu Boden fallen lassend. Er hatte sich nicht bewegt. Aber jemand anderes. Wie rücksichtslos, an seinen eigenen Instinkten zu zweifeln! Er irrte sich niemals! Der Beweis stand in einem Türrahmen mit einer Waffe auf ihn gerichtet.

"Wer bist du?", fragte er den Eindringling, der die Schusswaffe vor seinen Augen entsicherte. Von der Distanz konnte Sasuke erkennen, wo die Flugbahn der Kugel enden würde. Die Ausrichtung der Mauser C96 oder K98 zielte auf seine Lendengegend ab. Wie er diese deutschen Fabrikate hasse. Sogar ein Blinder konnte damit ordentlich zielen.

"Uchiha Sasuke", erwiderte die dunkle Silhouette, die in dem Türrahmen seines Schlafzimmers stand. Langsam. Bedrohlich. "Ich bin hier, um abzurechnen."
 

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Realm Of Bias


 

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"Wer bist du?", fragte er den Eindringling, der die Schusswaffe vor seinen Augen entsicherte. Von der Distanz konnte Sasuke erkennen, wo die Flugbahn der Kugel enden würde. Die Ausrichtung der Mauser C96 oder K98 zielte auf seine Lendengegend ab. Wie er diese deutschen Fabrikate hasse. Sogar ein Blinder konnte damit ordentlich zielen.

"Uchiha Sasuke", erwiderte die dunkle Silhouette, die in dem Türrahmen seines Schlafzimmers stand. Langsam. Bedrohlich. "Ich bin hier, um abzurechnen."
 

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Sasuke verschränkte die Arme vor der Brust und verlagerte sein Gewicht auf einen Fuß. So leicht war ihm keine Angst zu machen. "Ich mag es nicht, mich zu wiederholen. Wer bist du?"

"Mein Name ist Karin. Ich bin im Auftrag von Orochimaru-sama hier."

Sasuke unterstand sich, zu zischen. Diese Frau war eindeutig geübt. Die Art, wie sie ihre Waffe mit gespanntem Arm hielt, die Finger im perfekten Winkel an den Abzug gelegt, verrieten ihm, dass sie nicht erst seit gestern mit der Pistole hantierte. Zugegeben, ihre Erscheinung war … eigenbrötlerisch. Doch die letzten Jahre hatten ihn gelehrt, Menschen mit rosafarbenem Haar nicht zu unterschätzen. "Orochimaru kann mich selbst holen, wenn er sich so sehr nach mir verzehrt", sagte er unbeeindruckt. Es war schon so oft der Lauf einer Waffe auf ihn gerichtet worden. Er erkannte, wann jemand ernstmachte. Sie war nur ein Tracker, der die Drecksarbeit machte. "Gehe ich recht in der Annahme, dass du und deine Freunde für die mutwillige Demolierung meines Eigentums verantwortlich sind?"

"Schon möglich. Wir trafen dich leider bei unserem ersten Besuch nicht an, da ist Jūgo ausgerastet." Sie warf ihre waffenfreie Hand in einer abwehrenden Geste nach hinten. "Ich habe ihm gesagt, es würde dich bloß vorwarnen. Scheinbar hatte ich recht." Karin machte drei langsame Schritte auf ihn zu, die Waffe mit jedem Schritt präzise adjustierend. "Ich bin kein Freund von Blut, dafür ist dieser Trottel von Suigetsu normalerweise zuständig, aber wer weiß, wo der sich wieder rumtreibt. Ich würde dich ja gerne knebeln und fesseln und dich meiner hübschen Sammlung hinzufügen, allerdings—" Sie seufzte in Enttäuschung und süffisanter Frustration. "—lässt der Befehl nicht die Option einer Gefangennahme zu." Mit vier weiteren Schritten stand sie vor ihm, den Lauf der Waffe keinen halben Meter von seiner Männlichkeit entfernt. Das würde sie nicht wagen. Sasuke löste die Verschränkung seiner Arme, was Karin dazu veranlasste, ein Stück vorzurücken. Mit einem geschmeidigen Schritt zur Seite, tauchte er unter ihrem Arm hindurch, umrundete sie in einem engen Halbkreis und stieß ihr den Ellenbogen in den deckungslosen Rücken, sodass sie zu Boden knallte. Reflexartig, wie sie die Mauser von sich streckte, trat er auf ihr Handgelenk. Karin kreischte auf und ließ unwillkürlich die Waffe los, die Sasuke mit einem gezielten Tritt aus ihrem Radius trat. Noch ehe sie reagieren konnte, saß er rittlings auf ihrem Rücken, ihren linken Arm mit Druck gen Boden gepinnt, den anderen an ihrem Rücken in einem unangenehmen Winkel fixiert.

"Orochimaru schickt kleine Mädchen, um mich zu eliminieren? Er muss ja schon sehr verzweifelt sein", flüsterte er, das Gesicht annähernd an ihres gesenkt, das mit einer Wange gegen den Boden drückte. Er richtete seinen Sitz gerade und festigte den Griff, sodass sie unter ihm erstickt Aufkeuchte. "Hör mir genau zu, Karin: warum auch immer dein Orochimaru-sama mich tot sehen will, ich finde es heraus. Es wäre also besser für dich, wenn du es mir gleich sagen würdest, sonst …" Er ließ die Drohung in der Luft hängen, bloß untermalt von einem kleinen Anzug seines Hebels, der ihr den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Er hatte schon fast wieder vergessen, wie bittersüß die Kunst der nichtmonetären Erpressung war!

"Fein!", japste Karin rau. "Ich sage dir, was ich weiß, wenn du mich loslässt!"

"Du sagst mir, was du weißt", korrigierte er ihren Vorschlag, "und wenn es mir gefällt, überlege ich, ob ich dich jetzt oder erst später töte."

"Du kannst mich ma—aaah!" Er zog seinen Hebel weiter an. Die Spannung war inzwischen so groß, dass beide wussten, wie wenig noch fehlte, um ein paar Knochen bersten zu lassen. "Orochimaru-sama lässt jeden Jäger nach dir suchen! Er sagt, dein Tod habe oberste Priorität!"

"Das ist zu wenig."

"Ein Vertrag!" Ihre Stimme klang inzwischen rauer als ein Reibeisen. "Er erwähnte einen Vertrag mit einem hohen Beamten!"

Sasuke hielt den Druck auf ihren Arm aufrecht. "Was für ein Vertrag?"

"Etwas Inoffizielles. Ein Vertrag wie jene zwischen Klienten und Auftragsmördern. Mehr weiß ich nicht!"

Er ließ das Gehörte in seinen Geist sickern, wo er es sorgsam abspeicherte. Es war mehr Information, als er von einem Spürhund Orochimarus erwartet hatte. Ein paar Sekunden lang weigerte er sich, sie loszulassen, dann entließ er sie aus seinem eisernen Griff, stand auf und zog sie grob mit sich, um sie mit beiden Händen am Kragen ihres Mantels an die Wand zu drücken. "Nenn' mir einen Grund, wieso ich dich nicht töten sollte." Hinter ihren verspiegelten Brillengläsern konnte er die Tränen der Furcht und Pein sehen, die sie zurückkämpfte. Ihre Lippen waren blutig gebissen und sie versuchte nicht einmal, sich zu wehren. Ihrem Mund entwich kein einziges Wort.

Sasuke starrte sie lange an. Gefühlte Stunden, in denen er überlegte, was er mit ihr tun sollte. Er hatte schon Menschen getötet, weil es sein Auftrag gewesen war, aber außerhalb des finanziellen Rahmens gab es für ihn keinen Grund, erneut zum Mörder zu werden. Er war längst kein Hitman mehr. Diese Trackerin stellte keine Gefahr da. Selbst wenn sie ihn aufgespürt hatte, sie zu beseitigen hätte keinen Zweck; ihre Kumpanen hatten seinen Aufenthaltsort längst weitergegeben. Und dann waren da noch ihre Augen. Etwas an ihnen ließ es nicht zu, dass er wegsah. Sie trotzte seinem eiskalten Blick mit ihrem Dunkelbraun, die vom trockenen Weinen gerötet waren. Er hatte noch nie eine Frau umgebracht; heute würde er nicht damit anfangen. Also ließ er sie los, ohne sich von ihr abzuwenden.

"Ich schenke dir heute dein Leben. Unter einer Bedingung", sagte er tonlos. "Irgendwann werde ich mit erhobener Waffe in Orochimarus Versteck marschieren und wenn es soweit ist, wirst du mich nicht aufhalten, ihn zu töten."

In Karins Augen tobte ein Orkan, den er nicht deuten konnte. Ihre Panik war jäh in dem Moment verschwunden, in dem er den taktilen Kontakt mit ihr unterbrochen hatte. An ihre Stelle trat ein selbstgefälliges, ironisches Grinsen, das sich auf dem zu Boden gerichteten Gesicht ausbreitete. "Abgemacht." Mit einer stummen Geste fragte sie, ob er noch etwas von ihr verlangte. Als er nichts darauf erwiderte, ging sie nahezu lautlos an ihm vorbei, die Brille auf ihrem Nasenrücken gerade rückend. Als sie auf seiner Höhe war, hätte er schwören können, einen schüchtern gemurmelten Dank vernommen zu haben. Noch ehe er klarstellen konnte, dass er sie nicht aus Gefälligkeit am Leben gelassen hatte, war sie aus dem geöffneten Schlafzimmerfenster gesprungen. Mit gerunzelter Stirn trat Sasuke an das Fenster, unter dem der Balkon der Wohnungen unter ihm hervorragte. Orochimarus Spürhund war nicht mehr zu sehen. Eines musste er ihr lassen: ihre Auftritte und Abgänge waren sauber.

"Hn."

Es würde nicht lange dauern, bis dieser geisteskranke Schlangenfetischist eine neue Woge seiner Häscher losschickte. Er gab es nicht gerne zu, aber Narutos Couch war vielleicht doch nicht der allerschlechteste Ort, um ein paar Nächte unterzutauchen.
 

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Schon im Vorzimmer konnte Sakura die beiden weiblichen Stimmen hören. Es war acht Tage her, seit Sasuke von diesem Tracker angegriffen worden war. Acht Tage, seit denen er unausstehlich war. Naruto und er trieben sich regelmäßig zur Weißglut, was sie ausbaden durfte. Nicht selten passierte es mehrmals täglich, dass einer der beiden sie anrief, um sich zu beschweren oder sie zu bitten, Partei für ihn zu ergreifen. Normalerweise war sie immer gewillt, Eintracht und Harmonie in ihrem Team zu sähen, aber der Samen war schon längst verdorben und sie hatte keine Lust, das Unkraut der Zwietracht und Disharmonie zu jäten. Sai war dieser Tage ihre einzige Zuflucht; wenigstens ein Mensch, der normal war! Nun ja, zumindest nicht merkwürdiger als sonst. Es war auch acht Tage her, dass Sasuke ihr den Ordner der Uchiha-Affäre ausgehändigt hatte. Leider war sie nicht allzu weit gekommen. Ein Umstand, der sich auf alles andere nicht minder niederschlug. Es schien, als stehe die Welt seit acht Tagen still.

Das Gespräch mit Tsuande hatte nicht viel erbracht. Sie hatte Lees Team darauf angesetzt, ein paar alte Bekanntschaften aus jenen Zeiten auszuhorchen, in denen sie noch mit Orochimaru befreundet gewesen war. Der Erfolg ließ zu wünschen übrig. Sasuke war vollends aus den Untersuchungen verbannt worden—in beiden Fällen—da sie es nach dem Zwischenfall mit Karin nicht verantworten wollte, einen 'Zivilisten' weiterhin zu involvieren. Er durfte seitdem mit Shikamaru und Neji im Besprechungsraum sitzen, um auf dem Wege des World Wide Web und der strategischen Kriegsplanung einen Weg für Team Sieben zu ebnen, was ihm zusätzlich auf sein finsteres Gemüt schlug. Narutos darauf gründende Schikane machten die Sache nicht besser. Nichtsdestoweniger schien Team Sieben weiterzukommen. Itachis öffentliches Auftauchen in der Innenstadt hatte einigen Dreck aufgewirbelt, dem Sai und Sakura umsichtig nachgingen. Kurz gesagt hatte Sakura alle Hände voll zu tun und eine von Inos Freundinnen konnte sie am neunten Tag ihres Lebens als Workaholic nicht gebrauchen. Heute war der erste Abend, an dem sie vor Mitternacht nach Hause kam—gerade einmal zehn Uhr—und sie hatte sich vorgenommen, endlich Sasukes Sammelsurium aus Zeitungsberichten, Gerichtsakten, Interviews und handgeschrieben Notizen durchzuarbeiten. Zumindest ansatzweise damit anzufangen. Es waren über zweihundert Seiten. Sie war eine schnelle Leserin, die nur kurz brauchte, um sich Kernpunkte einzuprägen, aber das überschritt den Rahmen ihrer geistigen Kapazität um ein Vielfaches.

Ino hatte darauf keine Rücksicht genommen; wie auch? Sie wusste nichts von den Vorgängen in Hidden Leaf und seit sie Opfer von Itachis Drohung geworden war, hielt sie ihre Nase strickt aus diesem Fall heraus. Sakura konnte es ihr nicht verdenken. Den Schock darüber schien sie ihrem hysterischen Kichern nach gut verwunden zu haben.

"Das hat er wirklich gesagt? Nein! Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut!"

"Was hat wer gesagt?", fragte Sakura, als sie das Wohnzimmer betrat. Sie war mäßig überrascht, Hyūga Hinata mit einem Glas Wein auf ihrer Couch vorzufinden. "Guten Abend, Hinata."

"Hinata erzählte gerade", begann Ino verschwörerisch glucksend, "Naruto und sie hätten gestern Abend ein kleines Stelldichein in ihrer Mittagspause gehabt und als sie gerade zur Sache kommen wollten, hat er gesagt—"

"Nein!", unterbrach Sakura sie rigoros. "Das sind Dinge, die will. ich. nicht. wissen. Ino." Naruto und Sex … das war eine abscheuliche Vorstellung. Vor allem, wenn er gestern Mittag bei ihrem Anruf behauptet hatte, einer heißen Spur nachzugehen! "Dieser verlogene kleine Drecksack", fluchte sie mit zu Fäusten geballten Händen. Der konnte was erleben. Morgen. Wenn sie die Arbeit aufgeholt hatte, die sie sich vorgenommen hatte.

"Willst du es echt nicht wissen?" Ino schielte sie vielsagend an. "Es ist echt … verstörend."

"Ino! Du hast versprochen, dass es unter uns bleibt! Ich wollte nur einen Rat, wie ich damit umgehen soll!"

"Na, wie schon?" Ino zuckte die Schultern. "Sag ihm das nächste Mal einfach, deine Va—"

"Stopp! Aus!" Sakura hielt sich die Ohren zu. Und da predigte sie immer, Naruto müsse an erwachsenem Ernst gewinnen. "Ich kann euch immer noch hören! Besprecht, was ihr besprechen müsst, aber lasst mich da raus! Ich gehe in mein Zimmer, um zu arbeiten. Und wehe, ihr sprecht zu laut! Wenn auch nur ein versautes Wort durch meine Tür dringt, schwöre ich bei allen Göttern, dass ich eure Münder mit Paketklebeband zukleistern werde!"

"Bleib doch ein wenig!", raunte Ino sichtlich angeheitert. Die Flasche Rotwein auf dem Tisch war zur Hälfte geleert. "Wir hatten doch schon so lange keinen Frauenabend mehr!"

Sakura strich sich seufzend das Haar nach hinten. "Das würde ich gerne, wirklich, aber ich habe noch eine Menge Arbeit. Ich bin wirklich im Rückstand und wenn ich heute nicht anfange, komme ich gar nicht weiter. Nächstes Mal, ja?"

"Kommt ja nicht infrage!", widersprach ihre blonde Freundin stur. Mit einem Satz fuhr sie auf, griff ihre Mitbewohnerin an der Hand und warf sie unsanft in die Ecke zwischen Hinata und ihrem eigenen Platz. Ein drittes Glas war schnell geholt, gefüllt und trinkbereit und Sakura brachte es nicht über sich, die beiden treuherzigen blauen Augen abzuweisen, die sie kugelrund anstarrten. Ino hatte mit ihrem stummen Vorwurf recht; sie hatte sie in letzter Zeit wirklich vernachlässigt. Wenn es nur nicht gegen Uchiha Itachi gehen würde, hätte Sakura auch sehr viel weniger schlechtes Gewissen, nicht zu arbeiten. Hinatas zaghafte Berührung am nackten Unterarm, gepaart mit ihrem auffordernden, mütterlichen Lächeln, überzeugte sie schließlich vollends, auf ihrem abgearbeiteten Hintern sitzen zu bleiben. Ein Abend würden sie schon nicht aus der Bahn werfen. Wenigstens ein paar Stunden.

"Schön, wenn ihr darauf besteht", lachte Sakura. Ino riss triumphal den Arm in die Höhe, wobei sie beinahe ihren Wein verschüttete.

"Hoppla!", hickste sie und die drei brachen aus nicht zu benennenden Gründen in schallendes Gelächter aus. Ständig mit Männern zusammen zu sein, hatte Sakura ganz vergessen lassen, wie herrlich locker es sich mit Freundinnen beisammensaß. Sie war sich sicher: ein, zwei Stunden konnte sie für ihr kicherndes Geschlecht erübrigen. Wie sehr sie diese Entscheidung mitsamt dem Rotwein bald bereuen würde, konnte sie zu dieser Stunde nicht einmal ansatzweise ahnen.

Es war das sechste Glas für sie, das vierte für Hinata und das achte oder neunte für Ino, als Sakuras Telefon auf der Kommode an der Wand ein verdächtiges Geräusch machte. Sie waren seit über einer halben Stunde dabei, Inos zahllose gut situaierte Verehrer miteinander zu vergleichen—was sich schwierig gestaltete, da Inos Erzählungen von ein und demselben Mann von Minute zu Minute stark variierten—und hatten sich vor einigen Sätzen daran gemacht, Hinatas erstes Date mit Naruto auseinanderzunehmen, das keineswegs reibungslos verlaufen war.

"… und dann nimmt er meine Hand, streicht mir das Haar hinter mein Ohr, wischt die Nudel aus meinem Gesicht und sagt—" Sie stoppte abrupt, als das Mobiltelefon zum wiederholten Mal piepste. "Geh lieber ran, sonst bekommt noch jemand einen Herzinfarkt!"

"Uuuuuh", machte Ino verschwörerisch und umschlang Sakuras Schulter mit ihrem Arm. "Da ist wohl jemand be-ge-he-rrr-t …" Sie bog ihre Finger zu Katzenkrallen ab, mit denen sie Sakuras Wange entlang strich, die bloß die Augen verdrehte.

"Du bist ja nur neidisch, Ino!", quiekte Hinata mit einem rosigen Schimmer auf den Wangen. "Geh schon, ich will wissen, wer es ist, der sich so nach dir verzehrt!"

Sakura stand kommentarlos auf. Es war schwierig, sich aus Inos besitzergreifendem Griff zu befreien; wenn sie angeheitert war, wurde sie immer so zutraulich. "Komm schon, Mädel, mach's nicht so spannend!", rief sie anfeuernd von der Couch aus. Wer ist dein Lover und hat er einen großen—"

"Ino!"

Und obszön. Zutraulich und obszön.

Sakura rollte erneut mit den Augen. Hauptsache, Inos westlich-legere Seite bekam ihre schmutzigen Details. Wer konnte das um die Uhrzeit schon sein? Naruto vermutlich, der einen Streit mit Sasuke vom Zaun gebrochen hatte. Oder Sasuke, der einen Streit mit Naruto vom Zaun gebrochen hatte. Viel mehr Möglichkeiten gab es da nicht. Wenig neugierig ob der schreienden Möglichkeit, in einen Disput gezogen zu werden, der ihr herzlichst egal war, löste sie die Tastensperre des Telefons und—sog scharf Luft ein. Ino johlte von hinten, wer der Lustknabe sei und Sakuras Hirn schlug Loopings.

"Ach, nur ein paar Hilfeschreie von Shikamaru", sagte sie wenig überzeugend. Die Blondine kniff skeptisch ein Auge zusammen. "Hör auf, mich so anzusehen! Naruto und Sasuke haben sich mal wieder in die Wolle bekommen, während sie mit Shikamaru in irgendeiner Kneipe sitzen, um den Tag bei Hi—" Scheiße, Hinata war ja noch da! Dieser verfluchte Alkohol! "—im Büro ausklingen zu lassen. Du weißt schon—" Sie prustete Luft zwischen ihren Lippen hindurch. "—Kerle."

Hinata schien mit dieser Antwort mehr als zufrieden zu sein. Ohne Rücksicht auf den bohrenden Blick ihrer Sitznachbarin, fuhr sie in ihrer Erzählung fort. "Ich dachte jedenfalls, er würde mich nie küssen. Ich wünschte mir wirklich nichts sehnlicher, aber als es dann soweit war, hatte ich eine Heidenagst! Es war alles so perfekt, dass ich fürchtete …"

Mehr bekam Sakura nicht mehr mit. Sie hätte sich gerne Hinatas romantische Ausführung über eine Seite an Naruto angehört, die gar nicht zu ihm passte. Wenn sie nur nicht diese SMS erneut lesen müsste! Sie schluckte schwer, ihre Kehle war schlagartig ausgetrocknet. Es war schwer, sich auf den Text zu konzentrieren, der sich auf dem Bildschirm vor ihr abbildete. Er war so surreal. Doch da stand er, schwarz auf weiß, unverändert wirklich. Unwillkürlich ertönten die Worte der Nachricht in seinem samtenen Timbre in ihrem Kopf wider und eine Gänsehaut jagte über ihren Nacken, Rücken und ihre Arme.

Haruno Sakura, stand da, dahinter eine Adresse, die sie nicht kannte. Keine Waffen. – U.I.

Hundert Gedanken rasten durch ihren Kopf, der lauteste davon ein Fluch. Woher in allen sieben Kreisen der Hölle hatte dieser Scheißkerl ihre Telefonnummer?
 

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Unbewaffnet zu einer unbekannten Adresse zu einer unheimlichen Stunde zu fahren, war eine grenzdebile Idee. Ah-ah, machte Sakura in Gedanken. Sie war nicht dumm, im Gegenteil. Sie war intelligent, verflucht noch eins! Uchiha Itachi konnte sie wortwörtlich am Allerwertesten küssen und sich seine Regeln hinschieben, wo die Sonne niemals schien. Sasukes präzise Anleitung in den Ohren—spiele sein Spiel nicht mit—hatte sie eine handliche kleine Feuerwaffe aus ihren privaten Vorräten unter ihrer Lederjacke so verstecken lassen, dass niemand sie sehen konnte. Es mochte eine kleine Waffe sein, aber sie war nicht minder tödlich als das Repetiergewehr, mit dem sie sehr viel lieber operierte. Wenn sie sachlich und ruhig blieb, bestand kein Grund, auch nur nach der Waffe zu greifen. Uchiha Itachi hielt sich für so klug; sie wollte ihn gerne in dem Glauben lassen, wenn sie dadurch seine Absichten erfahren konnte. Wohl wahr, überhaupt zu dieser Adresse zu fahren, bei deren Nennung der Taxifahrer sie skeptisch gemustert hatte, zeugte trotz allem nicht von bahnbrechender Schlauheit, die Sakura sich versuchte beizumessen. Aber es ging hier um ihren Auftrag und um Naruto und Sai einzuschalten, war es bereits zu spät. Das Taxi hatte gehalten und sie wünschte sich, bei Ino und Hinata geblieben zu sein. Entweder hielt der Taxifahrer sie für eine Homosexuelle oder eine … "Oh, Gott." Die Adresse, die Uchiha ihr gegeben hatte, war—

"Ein Striplokal?", murmelte sie fassungslos. Wollte dieser Mensch sie verarschen? Vorführen? Verschachern? Die Lettern zeigten den Namen eines renommierten Etablissements; so renommiert, wie eine Bar, an der Mädchen lasziv an einer Stange tanzten, eben sein konnte. Man sagte, die Damen seien tatsächlich alle volljährig, legal hier wohnhaft, kollektivlich bezahlt und unterlagen einem strikten Verbot, eine körperliche Beziehung mit einem Kunden einzugehen. Trotz allem blieb es ein Striplokal. Dieser Kerl wollte sie verarschen! Sakura war schwer geneigt, das Taxi zurückzurufen und einfach wieder zu fahren, doch alle inneren Glocken schrillten, es nicht zu tun. Sie gab zu, ihre Neugierde war geweckt worden. Noch nie hatte sie sich in eine solche Einrichtung getraut. Nun hatte sie eine gute Ausrede, sie sich genauer anzusehen. Uchiha war vermutlich sowieso nicht hier. Wenn sie Glück hatte, hatte er sich nur einen Spaß daraus gemacht.

Wie sehr sie sich getäuscht hatte.

Da saß er; in weißem Hemd und schwarzer Krawatte, als sei er von einem begabten Bildhauer in alles überdauernden Stein gemeißelt. Selbst eine griechische Statue sah nicht so stoisch aus wie Uchiha Itachi, dessen Griff zu seinem Drink der einzige Beweis seiner Menschlichkeit war. Seine Krawatte war etwas gelockert, die langen Ärmel des Hemdes aufgekrempelt, als säße er schon länger hier; er hatte es sich an der Bar häuslich gemacht, auf deren Theke eine äußerst leichtbekleidete hübsche Frau eine Performance zum Besten gab, die Sakura gelb vor Neid werden ließ. Dieser Körper war eine schiere Frechheit! Wie konnte jemand so perfekte Rundungen haben und sich mit seiner definierten, athletischen Figur auch noch derart samtweich an einer Stange rekeln? An einer Stange!

Uchiha sah nicht auf, als sie sich zusammenriss und ungerührt neben ihn setzte. Der Club war gut besucht, aber er strahlte eine Aura aus, die jeden von ihm fernhielt.

"Guten Abend", grüßte sie möglichst neutral. Die Jacke behielt sie vorsichtshalber an.

"Wie schön, dass du gekommen bist." Itachi winkte eine vollbusige Kellnerin zu ihm, eindeutig europäischen Ursprungs, und bestellte einen Single Malt für 'seine Freundin'. Sakura schlug ihren Blick auf die Karte nieder und widerstand nur schwer dem Impuls, nicht zu schlucken. Zweitausenddreihundert Yen für ein Glas feinstem Single Malt Whiskey aus Irland! Wenigstens das eine musste man ihm lassen; der Mann hatte Geschmack. Die Barkeeperin schob das Glas zu ihrer Kundschaft und notierte auf sein Zeichen hin etwas auf einem Notizblock.

"Cheers", sagte er, hob sein eigenes Glas und tippte es gegen Sakuras. "Geht auf mich, also hör auf zu rechnen."

"Cheers." Sakura tat es ihm gleich, ihre Unsicherheit mit einem Nippen kaschierend. Sie war schon vom Wein beschwipst. Dieses samt einem zweiten Glas würde sie schon noch schaffen. Wenn es hier länger dauerte, konnte sie für nichts mehr garantieren. Es war jetzt schon schwierig, ihre diffusen Gedanken zu fokussieren. Mit einer mentalen Ohrfeige rief sie sich zur Ordnung. Wenn sie schon einmal hier war, konnte sie gleich ein oder zwei Dinge klarstellen. "Pfeif' deine Hunde zurück, Uchiha." Sie stellte das Glas halbgeleert auf die Serviette, auf der es serviert worden war.

Uchiha hob eine Augenbraue. "Hunde?"

"Oto. Sie waren in Sasuke-kuns Wohnung."

"Tatsächlich?"

Sakura konnte sehen, wie Uchihas Augenbrauen sich zu einer dunklen Linie zusammenzogen. Das ungewöhnlich warme Neonlicht strich den sinnlichen Rotton seiner Augen heraus, der sie Sasuke gegenüber oft hatte hellhörig werden lassen. Das Uchiharot tauchte nur auf, wenn er wütend oder frustriert war. So viel sie beurteilen konnte, log Uchiha nicht mit seiner Überraschung, die er nicht offensichtlich offenbarte. Sie kannte seinen Bruder lange genug, um die Körpersprache dieser verfluchten Familie lesen zu können. Mit einem weiteren Schluck leerte sie ihren Whiskey.

"Wieso ein Striplokal? Denkst du, das mache mir etwas aus?"

Uchiha schloss die Augen und verzog den Mund zu einem widerlich seichten Grinsen. "Sie haben den besten Single Malt der Stadt. Ein erlesener Import aus Irland, nicht diese bitteren Erzeugnisse aus den Staaten. Wenn du darauf anspielst, dass sich halbnackte Frauen in lasziver Manie an stark sexualisierten Phallussymbolen räkeln, dann muss ich zugeben, dass dein subtiler Ärger darüber ein gewisser Bonus ist."

Sakura wich zurück; eine Dummheit, für die sie sich hätte gegen die Wand werfen können. Wie hatte er ihre Verärgerung über die Wahl der Örtlichkeit bemerken können? Sie hatte sich alle Mühe gegeben, eine neutrale Präsenz zu gewährleisten! Nein, er hatte geraten. Verdammt. Uchiha war gut, das musste man ihm lassen. Er verstand es hervorragend, seine Mitmenschen zu manipulieren. Sie musste aufpassen, sich nicht zu verrennen. "Wie ironisch, wo doch die größte japanische Whiskeybrennerei hier in Ōsaka liegt. Das beiseitegelassen, frage ich mich, womit ich dir helfen kann." Bewusst unverschämt bedeutete sie der Barkeeperin ein weiteres Glas des irischen Edeltropfens. Wenn Uchiha zahlte, dann richtig.

"Wie kommst du darauf, mir helfen zu können?" Sein Blick streifte sie nur kurz. Nichtsdestoweniger hinterließ er ein Gefühl von taubem Pochen, das durch ihren Körper schnalzte.

"Wieso hättest du mich sonst hierher bestellt?"

Wie gerne hätte sie ihm dieses selbstherrliche Grinsen aus dem abstoßend schönen Gesicht geprügelt, als sie sich die lächerlich banale Antwort auf diese geistlose Frage selbst gab. Dieser—ihr fiel kein treffender Fluch aus ihrem Schimpfwortkatalog ein, das auch nur annähernd die perfide Gerissenheit beschreiben konnte, mit der Uchiha Itachi sie hierher gelockt hatte. Wegen nichts. Er brauchte nichts von ihr, er wollte etwas. Wenigstens wusste sie, dass Akatsuki nichts mit Otos Angriff auf Sasuke zu tun hatte. Selbst wenn sie dafür unbewusst nach Uchihas Pfeife getanzt hatte. So leicht würde sie nicht klein beigeben.

Uchiha hatte sich indes ein Bier bestellt, an dem er mit einem intensiven Genuss nippte, als sei ein Hopfengebräu nach einem hochwertigem Malzdestillat die Offenbarung der Göttlichkeit selbst. Er wollte sie provozieren. Und, Teufel noch eins, es funktionierte! Sakura biss sich auf die Lippe. Bloß keine Schwäche zeigen, hieß die Devise zum Sieg. Selbsterkenntnis war der erste Weg zur Besserung. "Schön. Du hast mich also hergelockt, um zu demonstrieren, welch angebliche Macht du über mich hast. Und? Gibt dir das ein Gefühl von Befriedigung?"

Uchihas dunkles Glucksen war begleitet vom erheiterten Zucken seiner Schultern. "Mach dich nicht lächerlich, Sakura. Deine Drohung vor einigen Tagen hat mich beschäftigt. Du scheinst meinem Bruder sehr nahe zu stehen."

"Falls du mich als Geisel nehmen möchtest, um Sasuke-kun zu erpressen, würde ich dir davon abraten. Es würde nicht sehr viel ändern."

"Dessen bin ich mir durchaus bewusst." Er bot ihr einen Schluck Bier an, den sie bereitwillig auskostete. Er wollte sie herausfordern? Das konnte er haben. "Mein dummer kleiner Bruder war schon immer sehr determiniert in seinen Bestreben. Er pflegt es, Ablenkungen wie Freunde, Verpflichtungen und seine eigene Gesundheit gekonnt auszublenden, wenn es darum geht, ein gestecktes Ziel zu erreichen. Dennoch …"

Sakura schluckte, während er den Einwand in der Luft hängen ließ.

"Ich bin es nicht gewohnt, unsicher zu sein, Sakura." Er wandte sich zu ihr mit einem Ausdruck zu, den sie noch nicht bei ihm gesehen hatte. Sie konnte nicht einordnen, welche Emotionen er in seinen Blick legte, mit dem er sie förmlich taxierte; es war eine eigentümliche Mischung aus nonchalanter Verwirrung und tiefgehender Ehrlichkeit.

"Und?"

"Darum wüsste ich gerne, wie nahe du meinem Bruder stehst."

Sakura hob beide Augenbrauen fragend. Wieso wollte er das wissen? War es nicht offensichtlich? Sie waren Teamkameraden gewesen, hatten zusammen den Tod hautnah erlebt, gebracht und verhindert. Ihre Leben teilten ein Band, das von Blut und Sterben geprägt war, unzertrennbar, aber sensibel. "Wir sind Freunde." An der Art, wie sein rechter Mundwinkel nach unten glitt, konnte sie erkennen, dass er mit dieser Antwort nicht zufrieden war. Was hatte er erwartet?

"Lass es mich anders formulieren: wie viel weißt du über Sasukes Vergangenheit?"

Scheiße. Wenn sie ehrlich war, nichts. Der Ordner lag verschlossen auf ihrem Nachttisch, vor dem Rotwein und Frauen ein verschworenes Bollwerk errichtet hatten. "Du hast deine gesamte Familie umgebracht. Außer Sasuke."

Uchihas Kaltblütigkeit war ein Faustschlag in ihre Magengegend. Wie konnte er so ruhig bleiben? Dieser abgebrühte Schweinehund erdreistete sich, sie die Grausamkeiten aussprechen zu lassen, für die er in der Hölle sühnen würde. Dafür würde sie sorgen.

"Halbseidene Halbwahrheiten ergeben zusammengezählt nicht immer die ganze Wahrheit", sagte er. "Willst du nicht ablegen?" Mit seinem Zeigefinger deutete er auf ihre Jacke, die sie seit einer halben Stunde weigerte auszuziehen. Sakura schüttelte den Kopf, da langte er auch schon in einer geschmeidigen Bewegung in die Innenseite der Überbekleidung. Seine schlanken Finger streifen den dünnen Stoff ihres gelben Pullovers und hinterließen ein neckisches Kitzeln. Ob er sich bewusst war, welche Wirkung seine Berührungen auf den weiblichen Körper hatten? Gewiss. Den Mund zu einer harten Linie geebnet, zog er die Pistole aus ihrer Halterung. "Niedlich", bemerkte er tonlos.

"Dachtest du im Ernst, ich käme unbewaffnet?" Sie hatte sich kein Stück bewegt und weigerte sich, in Panik auszubrechen. Was sollte er tun? Sie in einem besetzten Striplokal vor Gott und seinen Zeugen erschießen? Nicht einmal Uchiha Itachi wäre so dreist. Er zuckte unbehelligt die Schultern.

"Das wäre leichtsinnig gewesen. Du bist intelligent, Sakura. Ich hätte dir eine solche Dummheit nicht zugetraut. Andererseits hast du es auch gewagt, mich offen zu bedrohen. Das war nicht sehr klug."

"Geht es dir darum?", fragte Sakura, ihre Provokation möglichst niedrig haltend. Er erkannte sie hinter dem gemäßigten Ton mühelos. "Mich zu warnen, dir nicht in die Quere zu kommen? Ich wiederhole gerne, was ich mit deinem Skalp machen würde, solltest du Hand an Sasuke-kun legen." Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Wortwahl seicht und reichlich unpassend ausfiel. In Gedanken beschäftigte sie sich noch immer mit der undurchsichtigen Addition, die er ihr vorgerechnet hatte. Was meinte er mit Halbwahrheiten? Uchiha war nicht der Typ, der sprach, um sich reden zu hören.

"Nein." Seine Stimme brachte ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihr Gegenüber. "Ich wollte wissen, wie viel mein Bruder die bedeutet."

"Dafür lockst du mich hierher?"

"Wenn du ein Problem damit hast—" Als sein heißer Atem gegen ihre Wange schlug, merkte sie erst, wie nah er ihr noch immer war. "—hättest du nicht kommen sollen. Ist es dir unangenehm? Sa-ku-ra?"

Ein Faden riss. Ein Geduldsfaden. Ohne den Augenkontakt zwischen Smaragd und Onyx zu unterbrechen, stand sie auf, stieg auf den Barhocker und erklomm in perfekt gehaltenem Gleichgewicht den Tresen, dessen Polestange an der linken Ecke frei war. Ihre Jacke flog gezielt auf Uchihas Schoß, während sie ihre Finger fest um die Stange schloss und sich mit Schwung kopfüber auf sie hievte. Einen Arm von sich gestreckt, brachte sie ein Bein in voller Anspannung in eine Linie mit ihrem horizontalen Körper. Das kalte Metall zwischen ihren Schenkeln drängte sogar durch ihre Jeans. In ihren Ohren pulsierte der Takt eines modernen Lieds, den sie nicht ausmachen konnte.

Sakura hielt ihre Position einige Sekunden—ihr war egal, dass man die Spitzen ihres Büstenhalters und ihren nackten Bauch sehen konnte. Als sie spürte, wie die unterstützende Kraft des aufgenommenen Schwungs verebbte, rollte sie sich rittlings zusammen und ließ sich, die Stange im Rücken, auf den Tresen zurück gleiten, wo sie bloß ihren Oberkörper nach vorne beugen musste, um dicht an Uchihas ungerührtem Gesicht zu sein. Hinter ihr brach die Menge in johlenden Applaus aus, obgleich ihrer Darbietung keinerlei der künstlerische Wert der professionellen Tänzerinnen beigemessen werden konnte.

"Von den Rutschstangen eines Arleigh-Burke zu einer Stripshow ist es technisch gesehen nicht weit", hauchte sie, ihre Lippen federleicht an seine Wangen streifend, "und von den Scharfschützenfeldübungen auf Parris Island zu einem Kopfschuss misst die Entfernung nicht erheblich weiter. Ich habe noch nie ein Ziel verfehlt." Erfüllt von Genugtuung, griff sie ihre Jacke von seinen Schoß und wandte ihm im Gehen den Rücken zu. "Semper fi, Itachi-kun."
 

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Itachi machte sich nicht die Mühe, ihr nachzusehen; das satte Grün ihrer blitzenden Augen hatte sich in seine Erinnerungen eingeprägt, ebenso die Art, wie sie das 'r' zu stark rollte, um als hier aufgewachsene Japanerin durchzugehen, wenn man genau hinhörte—wozu sie ihn gezwungen hatte, als ihre weichen, dezent geschminkten Lippen die Worte in seine Ohren gesäuselt hatten. Die Rückstände des Lippenstiftes klebten nahezu unsichtbar als Denkmal ihrer kurzen Begegnung. Itachis lächelte und setzte den Daumen an seine Wange. Entschieden senkte er ihn wieder, ohne ihn benutzt zu haben. Er würde den Lippenstift noch ein wenig behalten. Jemand mit Sakuras Temperament verdiente es, etwas länger in seinen Gedanken zu weilen. Es gab da ein paar Dinge, über die er sich klar werden musste, ehe er den nächsten Schritt planen konnte.
 

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End Of A Day


 

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Das Fenster war trotz der Kälte gekippt, sodass der Donner lautstark ins Innere des Hauses poltern konnte. Der Regen peitschte gegen die Glasscheibe wie Trommelschläge auf einer fest bespannten Taiko. Das Unwetter, das draußen tobte, beherrschte seit Stunden die Innenstadt Ōsakas, deren Verkehr aufgrund verstärkter Unwetterwarnungen zum Erlahmen gekommen war. Das sonst spärlich besetzte Besprechungszimmer von Hidden Leaf war proppenvoll mit sämtlichen Mitgliedern der Gruppe, sogar die erfahrenen Hitmen der älteren Generation hatten sich häuslich mit einem Buch oder Schachspiel einquartiert. Der Raum wurde von entspannter Konversation, neckischem Geplänkel und zwei Telefonaten beherrscht. In der einen Ecke versuchte Asuma seiner schwangeren Verlobten klarzumachen, wieso er erst später—wenn überhaupt—zum Abendessen kommen konnte, in der anderen ließ Naruto Hinatas sorgenvolle Schelte über sich ergehen, in der sie nicht einmal halb so böse klang wie Kurenai, wenn sie Asuma fragte, was er denn zu Essen haben wollte.

Sakura bekam von dieser Eintracht nichts mit. Sie versuchte, neutral zu bleiben, als Tsunade sie abwies.

"Tsunade-sama—"

"Nein heißt nein, Sakura." Tsunades braune Augen blitzten bedrohlich. "Du kennst die Prinzipien, nach denen ich Hidden Leaf leite. Die Identitäten der Auftraggeber an die Hitmen weiterzugeben, wäre ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Anonymität, mit der ich werbe." Ihre Stimmte wurde weicher, als sie aufstand und ihrer jungen Mitarbeiterin eine Hand auf die Schulter legte. "Sakura, versteh die Zwickmühle, in der ich mich befinde. Namen knüpfen Bänder. Die Anzahl der Menschen, die Gruppen wie unsere anheuern, ist begrenzt. Man kennt sich."

Sakura wusste, auf was Tsunade hinaus wollte. Sie verstand ihren Standpunkt leider zu gut. "Vergessen Sie's, ich gehe."

"Sakura!"

Die Worte, die Tsunade ihr nachrief, verhallten hinter einer zugeworfenen Türe.

"Das hat nicht viel gebracht."

"Danke für diese Ausführung, Sai", brummte Sakura missmutig; ihr an der Wand lehnender Teamkamerad lächelte mitleidig. Die letzten Tage waren in einem Gefühl beschrieben: beschissen. Dass 'beschissen' kein Gefühl, sondern ein Adjektiv war, tröstete nicht über die Präzision hinweg, mit der es Sakuras Stimmung traf. Die ersten Seiten von Sasukes Sammelsurium, das sie nach ihrem Besuch im Stripclub ohne Umwege herangezogen hatte, war ernüchternd gewesen. Auf eine unbefriedigende Art, sodass sie ihn nach einigen Malen Umblättern beiseitegelegt hatte. Die Zeitungsausschnitte, die Sasuke gesammelt hatte, behandelten vorwiegend Fakten, die sie kannte, die Versionen der Polizeiberichte waren veraltet und unvollständig. Sakura mochte Sasuke nicht vorwerfen, geschlampt zu haben; viel eher vermutete sie ein Loch in seiner Sammlung. Er hatte Dinge herausgestrichen, die ihm relevant erschienen, ihrer Meinung aber viel zu offensichtlich lagen. Itachis Kommentar dazu wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Halbseidene Halbwahrheiten. Er ging augenscheinlich nicht konform mit der offiziellen Aussage, seinen gesamten Clan während eines Familientreffens per Fernzünder in die Luft gejagt zu haben. Zumindest nicht völlig.

"Sakura, komm zu dir." Sais Rütteln an ihrer Schulter holte sie in die Realität zurück.

"Was?"

"Ich fragte, wieso es dich interessiert, wer Uchiha tot sehen will. Es gibt viele, denen er im Weg steht und wir sind nicht die erste Gruppe, die auf ihn angesetzt wurde."

"Bitte, Sai", stöhnte sie erschlagen von seiner unausgesprochenen Anteilnahme, "sieh mich nicht so an! Diese Dinge sind mir bewusst. Es gibt nur Aspekte, die mir nicht einleuchten wollen. Dieser Auftraggeber ist nicht wie andere. Uchiha ist kein normaler Dealer, der einem anderen ins Gehege gepfuscht hat. Hidden Leafs Hilfe kann sich nicht jeder x-beliebige Kriminelle leisten. Es gibt keine ersichtlichen akuten Gründe, wieso Uchiha gerade jetzt in jemandes Visier gerückt ist, hinzu kommt die spärliche Hintergrundinformation, die an Geheimniskrämerei grenzt. Ich vermute etwas Größeres dahinter."

Sai verschränkte die Arme vor der Brust. Ob er ihr zustimmte oder nicht, blieb in seinem blanken Gesicht unersichtlich."Was sollen wir tun? Orochimaru ist mit seinem Kartell hinter Sasuke her, Uchiha scheint ihn nicht minder ins Visier genommen zu haben, wo sollen wir neben unserem Auftrag noch Zeit finden, den Hintergründen zu alldem nachzugehen? Es ist zu viel. Selbst wenn nicht, wo sollen wir anfangen? Die Stadtarchive werden kaum Aufzeichnungen über das Uchiha-Massaker oder Otos Aktivitäten haben, sämtliche relevante Polizeiberichte sind unter Verschluss—was irrelevant ist, da man ihnen in diesem Stadium längst nicht mehr trauen kann. Wir stehen in einer Sackgasse, Sakura."

Sie deutete nach oben an die Decke. "Wir haben immer noch den Weg hierhin."

Sai hob skeptisch ihre Augenbrauen. "In den Himmel? Das erscheint mir sehr endgültig."

"Nicht ganz so weit. Wenn du bei einer Flucht vor den bösen Jungs in einer Sackgasse landest, kletterst du über die Mauer. Und wenn die Mauer zu hoch ist, brauchst du jemanden, der dir von oben ein Seil hinab wirft."

"Du meinst, wir sollen uns Hilfe von außerhalb holen?" Sai nahm seinen Schritt die Treppe herab wieder auf. Seine Begleiterin folgte ihm schweigend in angepasstem Schritt, um sie seinen Vorschlag rekapitulieren zu lassen. Es dauerte bis er den Kopf schüttelte.

"Sai." Sakura ergriff seine Hand. "Du bist der einzige, der in meinem Boot sitzt. Naruto und Sasuke dürfen in diese Hetzjagd nicht mit hineingezogen werden. Du hast nach wie vor Kontakte zu Root. Wenn du ein paar alte Freunde anrufen könntest—"

"Das ist tabu." Er schüttelte ihre Hand ab, legte die seine jedoch tröstlich, aber auch mahnend auf ihre Schultern. "Es war schwierig genug, die Auswüchse von Root zu kappen. Erneut Kontakt aufzunehmen, wäre nicht gut für meine Gesundheit. Du weißt, dass ich dein Freund bin, aber ich werde mich nicht absichtlich einer unabschätzbaren Gefahr aussetzen, die einem deiner Hirngespinste entsprungen ist. Wir sind Auftragsmörder, keine Menschenrechtler."

Sie nickte, wütendes Schnauben unterdrückend.

"Gerechtigkeit ist nicht was wir anstreben. Aufträge zu erfüllen ist unser Job. Vergiss das nicht."

Sie schwieg. Tsunade hatte ihre Schnüfflerei nicht gutgeheißen, Sai nicht und auch Kakashi würde ihr nicht helfen, wenn sie den Mut aufbrächte, ihn um Hilfe zu bitten. Diesmal musste sie sich geschlagen geben.

Durch den Regen trottete sie die Hauptstraße vor dem Hidden Leaf HQ entlang, in der Hoffnung, der Niederschlag könne ihre Zweifel samt ihrer Verwirrung aus ihrem Kopf spülen. Es war ein angenehmes Gefühl, die kühlen Tropfen in ihrem Gesicht zu spüren. Sie mochte Unwetter nicht; sie trübten den Tag, die Freude, hinauszugehen; sie deprimierten und Blitz und Donner machten ihr seit Kindertagen Angst. Heute war der Himmel glücklicherweise nur grau, nicht schwarz, sodass die Chance auf böses Grollen unwahrscheinlich klang. Sie hatte die erste Kreuzung erreicht, deren Fußgängerampel auf Rot gestellt hatte, als sie plätschernde Schritte durch den Regen einholten. Neben ihr kam Sasuke zum Stehen, die Stirnfransen tropfend ins Gesicht geklebt, seine graue Jacke nicht minder durchnässt als ihr schwarzer Mantel.

"Sasuke-kun", rief sie überrascht aus.

"Bist du verrückt? Der Regen ist eiskalt, du erkältest dich!"

Sie verzog skeptisch den Mund. "Befolge lieber deinen eigenen Rat, ehe du ihn anderen erteilst. Wieso bist du nicht im Hauptquartier?"

Sasukes tiefes Grollen kam einem Donner gleich, doch vor ihm hatte sie weit weniger Angst. "Der Idiot treibt mich in den Wahnsinn. Nicht nur, dass ich mir eine Wohnung mit ihm teilen musst, ich bin auch noch gezwungen, mit ihm zusammenzuarbeiten." Er hielt den Augenkontakt und Sakura wusste, dass etwas Unangenehmes folgen würde. Die Uchihas sprachen mit ihren Augen; ein Nachteil, den sie seit jeher zu ihrem Vorteil verkehrte. "Erkläre mir, wieso du vor zwei Tagen mit meinem Bruder in einem Striplokal warst."

Mit der Tür ins Haus, sie hatte nichts Geringeres erwartet. "Es ist nicht, wie du denkst."

"Ich denke, dass du mit meinem Bruder in einem Striplokal warst!"

"Wenn du es so betonst, ist es, wie du denkst. Sieh es aus einer anderen Perspektive. Ich weiß, was du glaubst zu wissen, aber, Sasuke, wir haben ein paar Gläser Whiskey getrunken. In einer Lokalität, auf deren Tresen zufällig leichtbekleidete Damen eine gewisse Art von Akrobatik vollführten."

Sasuke strich sich die Strähnen aus dem Gesicht, die über seine Augenbrauen auf seine Wimpern fielen. Mit einem Schritt stand er direkt vor ihr, die Hände grob an ihre Schultern gepresst. Wieso hatten es bloß alle auf ihre Schultern abgesehen?

"Du kannst mit Männern von mir aus in Bordelle gehen—" Das tat in gewisser Weise weh. "—aber nicht mit Uchiha Itachi! Sakura, verdammt, du bist doch schlau! Wieso lässt du dich auf diesen Kerl ein?"

"Ich lasse mich auf niemanden ein!", fauchte sie, erzürnt durch seine Herabwürdigung ihrer Person. Er konnte sie beleidigen, wie er wollte, aber nicht mit Deutung auf Prostitution! "Was denkst du eigentlich, haben wir gemacht? Ein Striplokal bedeutet nicht, dass ich vorhatte, mit ihm zu schlafen!" Ein reichlich unpassendes Bild nackter Haut und schwarzer Haare flackerte ungewollt in ihrer Vorstellung auf. Sie wischte es unwirsch beiseite. "Ich bin nicht Ino, Sasuke!"

Er schüttelte rabiat den Kopf, die lästigen Stirnfransen erneut aus der Stirn verbannend. "Was denkst du eigentlich, dass ich denke, dass ihr gemacht habt? Verstehst du nicht, wer er ist? Eine Regel—verdammt, Sakura! Ich habe dich gebeten, nur eine. einzige. beschissene. Regel. zu befolgen! Und du bist nicht fähig, dich auch nur daran zu erinnern!"

"Das habe ich! Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass du mir sagtest—" Es traf sie, als hätte Sasuke ihr eine Faust ins Gesicht gerammt. Sakura verstummte im Satz, den Mund zum Weitersprechen geöffnet, doch kein Laut entwich ihr. Das Prasseln des Regens dröhnte in ihrem Kopf, Sasukes Blick durchbohrte sie mit einem roten Schimmer. Sie schluckte. Eine Regel, die sie Uchiha Itachi gegenüber zu befolgen hatte.

Was du auch tust, lass dich nicht auf sein Spiel ein.

Genau das hatte sie getan. Wie dämlich konnte ein einziger Mensch sein? Egal woher Sasuke es wusste, wie viele Details ihm auch unbekannt waren, ihm war, ohne dabei gewesen zu sein, klar, dass sie genau das getan hatte: sie hatte ihren Einsatz gezeigt, um sich ins Spiel einzukaufen. Nun waren die Karten verteilt und die Stakes für die erste Runde gesetzt.

Call or fold. Mitgehen oder aussetzten, das waren ihre Alternativen. Die erste Setzrunde mochte ein Patt gewesen sein, doch mit jedem Zug wurde der Einsatz höher. Sie brauchte kein Genie zu sein, um zu wissen, dass am Ende nur ein Sieger hervorgehen konnte. Und wenn Wahnsinn tatsächlich so nahe an Genie lag, wie der Volksmund behauptete, war sie sich nicht sicher, ob sie es sein würde.

"Sasuke … kun …", wisperte sie, unfähig eines ganzen Satzes. Seine Finger hatten sich in ihre Oberarme gegraben, wo sie sie aufrecht hielten, als sie realisierte, in welchem Teufelskreis sie sich befand. Uchiha hatte Blut geleckt—ihr Blut—und er war ein Vampir.

"Wie konntest du so dumm sein? Du tust doch sonst, was ich dir sage! Teufel, Sakura, ein Vollidiot zu sein ist doch Narutos Aufgabe!" Er schüttelte sie, wütend auf seinen Bruder, auf Sakura, auf sich selbst und die Welt. Irgendwann senkte er entmutigt den Kopf. Seine Miene wurde weicher, wenn auch nicht verzeihend. "Wir waren jahrelang ein Team! Wie konntest du zulassen, dass er dich in seine kranke Welt zieht? Ich habe schon einmal geliebte Menschen verloren. Noch einmal verschwinden zu sehen, was ich liebgewonnen habe, ertrage ich nicht. Wir sind doch Freunde."

Der Griff um ihre Schultern lockerte sich und obwohl sie wusste, wie sehr Sasuke Berührungen dieser Art hasste, schlang sie, sich an ihn ziehend, die Arme um seinen Oberkörper. Er erwiderte die Umarmung weder, noch stieß er sie weg. Sasuke war in seiner eigenen Welt, in der nicht zählte, wer ihn aus welchen Gründen im Arm hielt. Er dividierte seine Chancen durch, steckte seine Ziele ab und plante den nächsten Schritt. Sakura war es egal. Ihr war egal, was sie morgen täte, in der nächsten Stunde, der nächsten Minute. Was zählte, war, dass Sasuke ihr ungewollt Trost spendete, und dass Uchiha Itachi sie verdammt hatte. Die feuchten Regentropfen auf ihren Wangen spülten stumme Tränen hinweg, darauf bedacht, sie ungesehen zu belassen. Sie standen nicht lange so da; irgendwann befreite Sasuke sich und ließ sie wortlos zurück. Sein Schweigen war schlimmer als jeder Schrei und Sakura fiel irgendwann weinend in ihr Bett.
 

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Kirschblüte des Frühlings. Was hatten ihre Eltern sich dabei gedacht, sie so zu nennen? Es war ein sehr einprägsamer Name, der mit ihrem Äußeren harmonierte. Kirschblütenfarbenes Haar, Augen wie taufrische Blätter. So hatte ihre Großmutter es ihr gesagt, als sie ihr vor einigen Jahren, als Sakura nach Ōsaka gekommen war, einen Kimono geschenkt hatte. Es war ein nostalgisches Stück, dass die Mutter ihres Großvaters bei ihrer traditionellen Hochzeit getragen hatte. Japanische Hochzeiten waren bunt, so war es auch das Hochzeitsgewand, das von einem einst bekannten Schneider entworfen worden war. Sakura betrachtete sich im Spiegel. Der hochwertige Kimono aus besticktem Seidenbrokat war weinrot mit einem aufwendigen Muster aus silberfarbenen Zweigen, hellgründen Blättern und goldfarbenen Blüten, an denen Vögel Nektar saugten. Ihr Unterhemd war blattgrün, ebenso ihr Obi, dessen gelbe Kordel aus dem abgestimmten Farbmix herausstach. Neben ihr klatschte Ino zufrieden mit dem Endergebnis in die Hände.

"Du siehst zauberhaft aus, Sakura!", flötete sie selbstherrlich. Das westliche Make-Up und die einfache Hochsteckfrisur waren ihren geschickten Händen entsprungen, obwohl Sakura mehrmals ihre eher pragmatische Meinung kundgetan hatte: es war nicht nötig, sich für Yakushido derart in Schale zu werfen. Es war eine einfache Parade, bei der eine Drachenattrappe durch die Straßen von Kitashinchi getragen wurde, während kleinere Stände Glücksbringer und Häppchen verkauften. Shikamaru und Sai begleiteten Sakura, unter allen anderen. Das war der Grund für Inos Aufregung, in der sie einen hübschen saphirblauen Kimono angelegt hatte.

"Du bist unmöglich", maulte Sakura mit verschränkten Armen. Es war sechs Tage her, seit Sasuke sie im Regen angeschrien hatte. Sechs Tage, in denen sie ihn nicht zu Gesicht bekommen hatte. Angestachelt durch das perfide Spiel seines Bruders, hatte er sich blindlings in die Eingeweide von Kita gestürzte, um jede noch so winzige Information aus jedem noch so unbedeutenden Schandfleck der Szene zu quetschen. Dort kam er in Motels oder Gasthäusern unter, weit weg von Narutos Aufsicht.

"Du bist neidisch."

Sakura steckte sich seufzend eine lose Strähne hinters Ohr. "Das wäre ich vielleicht, wenn du dich zumindest entscheiden könntest, hinter wem du her bist."

"Hmmm …" Ino legte den Kopf in den Nacken. "Sai ist ein talentierter Hobbykünstler, der mit seiner Waffe so viel Sexappeal ausstrahlt, dass einem die Knie weich werden." Sie sog überzeichnend scharf Luft ein. "Allerdings ist Shikamarus Intelligenz nicht minder sexy und er sieht wirklich gut aus …"

"Und keiner der beiden hat Interesse an dir", komplettierte Sakura. "Wieso machst du dir überhaupt die Mühe?"

Sie erwartete keine Antwort. Selbst als sie gegen halb acht am Anfang der für die Parade abgesperrten Straße ankamen, hatte Ino ihr nicht erklärt, was sie so sehr an den beiden faszinierte, die nicht in ihr gewohntes Beuteschema fielen.

"Wo ist der Quälgeist?" Ino hakte sich bei Hinata ein, die ohne Begleitung erschienen war, die beiden Angebeteten ignorierend. Als ob es etwas nützen würde! "Naruto wollte doch mitkommen, oder?"

"Er—"

"Hinata-sama!" Alle Blicke wandten sich Neji zu, der eine Verbeugung vor ihr andeutete.

"H-Hör auf damit, Neji-niisan!", stotterte die Honorierte errötend.

"Sama, ja?", wiederholte Ino mit wissendem Grinsen. "Was für nette Spielchen gehen im Keller eurer Familie denn ab, hm?"

"Darüber wüsstest du gerne Bescheid", unterbrach Sakura Hinatas aufkeimende Antwort, die sie bloß tiefer in den Schlamassel hineingeritten hätte. "Wo ist Lee, Neji? Er wollte doch mitkommen."

Tenten, die an seiner Seite auftauchte, deutete über ihre Schulter. "Er ist mit Gai-sensei nach vorne gegangen." Sie kicherte verhalten. "Die beiden sind wie kleine Kinder. Sie wollten sich den besten Platz sichern."

Sakura lächelte hinter vorgehaltener Hand. Diese Kindsköpfe. Als hätten sie Yakushido nicht sowieso schon zwanzig Mal gesehen. Sogar für sie war die Parade an sich langweilig, dabei war es erst ihr zweites Mal. Dass Lee sich von einem Auftrag loseiste, um einem Pappdrachen zu zujubeln, sagte genügend über seine kindliche Ader aus, um die Sakura ihn beneidete. Mensch zu bleiben, wenn man andere Menschen tötete, war schwierig. Darum waren sie hier. Einer von wenigen freien Tagen im Jahr, in denen sie Freunde waren. Keine Kriegskameraden. Es tat gut, Kiba zu sehen, wie er um Hinatas Aufmerksamkeit buhlte, Inos Avancen beim Scheitern zu beobachten, Tentens und Nejis freudvolle Blicke zu bemerken, die sie sich ab und an zuwarfen.

Irgendwann beobachtete Sakura eine bemalte Holzfigur. Sie war auf einen Faden gehängt, an dem sie von ihrem Finger baumelte. Ihre Begleiter waren weitergegangen, um die restlichen Souvenirstände zu besuchen, nachdem sie versprochen hatte, gleich aufzuholen. Die Figur gefiel ihr, allerdings war sie reichlich teuer. Plötzlich nahmen schlanke, blasse Finger sie ihr wie aus dem Nichts heraus ab.

"Sehr fein gearbeitet", lobte er die detailreiche Bemalung.

Sakura biss die Zähne zusammen. "Was willst du hier, Uchiha?"

Er retournierte die Figur auf ihren Platz inmitten ihrer Geschwister. "Angesichts unserer guten Zusammenarbeit, sollten wir uns doch langsam beim Vornamen nennen, findest du nicht, Sakura? Das gibt dem Ganzen einen intimen Beigeschmack."

Grund Nummer eins, Itachis Angebot abzulehnen. "Sofern du mit Intimität nicht mein Messer zwischen deinen Rippen meinst, ist sie nichts, was ich zwischen uns anstrebe, Uchiha", erwiderte sie, seine ebenmäßige Stimme imitierend.

"Deine Palette an Methoden, jemandem zu drohen, ist schier unerschöpflich." Keine Vermutung. Keine Frage. Eine Feststellung. Wie konnte er sich anmaßen, sich über ihre Foltermethoden eine Meinung zu bilden?

"Sie beinhaltet zumindest eine hinreichende Anzahl unschöner Arten, ein Menschenleben beträchtlich zu verkürzen. Weißt du, Uchiha, es gibt Menschen, denen wird beim Anblick von Blut schlecht." Sie zuckte die Schultern und sah ihn an. "Ich gehöre nicht dazu." Sie würde ihm nicht die Genugtuung verschaffen, ihn danach zu fragen, woher er ihren Aufenthaltsort kannte. Es war ihr schlichtweg egal—

Das war gelogen, es machte sie rasend, es nicht zu wissen, aber das musste Uchiha ja nicht wissen.

"Du siehst sehr schön aus, Sakura."

"Der Kimono gehörte der Schwiegermutter meiner Großmutter."

Itachi betrachtete das Muster eingehend. "War sie eine Geisha?"

"Eine Ehefrau", stellte sie richtig, bemüht, nicht eingeschnappt zu klingen. Um keinen Preis würde sie den Kimono einer Geisha tragen, das wusste Uchiha und der Gedanke schien ihn unverschämt zu amüsieren. "Was ist so lustig?"

"Erinnerungen."

Sie konnte sich schon denken, welche er meinte. Ihr gestreckter Körper an einer Stripstange. Wenn er nur den Hauch von Testosteron in sich hatte, würde er an genau diese Szene denken. Andererseits hatte er den freizügigen Damen nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie seinem Whiskey. Etwas war falsch mit diesem Mann, so viel stand fest. Oder gehörte das auch zu seinem Spiel? War dies die nächste Runde? Dann würde sie den Anfang machen.

"Wir können meine kleine Einlage gerne wiederholen. Ich kann einen äußerst überzeugenden Lapdance." Sie versuchte, das 'r' zu rollen, doch er gluckste stumm, ohne seine starre, eiskalte Mimik zu unterbrechen.

"Das glaube ich dir gerne. Nichtsdestoweniger ist es nicht, auf was ich aus bin, Sakura."

Er spielte also schon wieder auf seine halbseidenen Halbwahrheiten an. Sechs Tage waren vergangen, in denen sie nichts dergleichen herausgefunden hatte. Diese Blöße würde sie sich nicht geben. Seine Lippen in einer geraden Linie haltend, bezahlte er die von ihr besehene Figur und reichte sie ihr.

"Du hast ein Auge für qualitative Arbeit."

Sakura nahm sie ohne Zögern an. Er wollte ihr etwas schenken? Fein. Sie hatte keine Skrupel, es anzunehmen. Was er damit bezweckte, wollte sie später herausfinden. "Ich bewundere das Schöne und Wahre", korrigierte sie ihn. Uchiha quittierte es mit einem gelangweilten Blick. "Bist du gekommen, um mir den Abend zu verderben, oder kann ich etwas für dich tun?"

"Wie nett, dass du fragst." In seiner Stimme lag kein Deut von Dankbarkeit. "Du könntest meinem Bruder ausrichten, dass er seine Nase aus fremden Angelegenheiten heraushalten soll, sonst könnte es sein, dass sie ihm qualvoll zertrümmert wird." Er streifte ihre Nasen mit der Spitze seines Zeigefingers und lächelte grimmig. "Dein kleiner Freund kann durchaus ein Lied davon singen. Ich würde mich vergewissern, dass es ihm gut geht."

"Sakura!"

Sakura wandte sich um, um die Person zu lokalisieren, die sie gerufen hatte. Als sie sich Uchiha wieder zuwandte, war er verschwunden. Ihre Hand verkrampfte um die Tierminiatur, die sie wütend zu Boden in eine Lacke warf. "Was ist los, Hinata?"

"Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht verloren gehst", erwiderte Hinata sanft. Eine Sorgenfalte huschte über ihr Gesicht. "Shikamaru-kun und Ino streiten sich über irgendetwas und Tenten-san versucht zu vermitteln, allerdings nur mit mäßigem Erfolg."

"Diese Frau", stöhnte Sakura. "Als könne sie mit der Zickentour punkten." Sie wurde misstrauisch, als ihre Freundin von einem Fuß auf den anderen trat. "Hinata, alles in Ordnu—" Sakuras Finger zuckten um die Miniatur zusammen, die sie in den Händen hielt. Sie sollte sich vergewissern, dass es ihrem kleinen Freund gutging?

Hinata zuckte zurück, als Sakura ihre Hand zur Faust ballte. "Es ist vermutlich gar nichts. Du weißt, dass ich dazu tendiere, mir viel zu viele Sorgen zu machen." Die Untertreibung des Jahres. "Nur … Naruto-kun hat seit gestern Abend nicht zurückgerufen. Er beantwortet Anrufe oft nicht, wenn er Kundengespräche führt oder Autofährt, aber normalerweise meldet er sich immer, wenn er Zeit hat. Wir wollten essen gehen, ehe wir hierher kommen. Er … hat mich versetzt.

"Dieser Bastard!" Sakuras Hände verkrampften , als Uchihas Worte widerhallten. Ihr kleiner Freund konnte ein Lied davon singen? Ohne nachzudenken, rempelte sie sich fluchend ihren Weg zu ihrer Gruppe, Sai noch schlimmer fluchend am Kragen gepackt zum Auto zerrend, mit dem er gekommen war. "Der blöde Mistkerl! Dass er es wagt! So eine verdammte Scheiße!"

"Sakura, was ist los?"

Sie rammte ihn gegen die Fahrertür und hastete auf die Beifahrerseite, wobei sie sich fast über den Saum ihres Kimonos erstieß. "Yakushido muss ausfallen! Steig ein, wir müssen uns beeilen!"

Dieser Hurensohn! Er wagte es, an diesem Tag ihr Menschsein zu stören! Ihre Freunde zu bedrohen! Sie vorzuführen und auflaufen zu lassen! Ihren Kameraden zu verletzen! Während Sai zu der Adresse fuhr, die sie ihm schreiend genannt hatte, schwor sie bei allen Göttern dieser Erde, das nächste Mal, wenn sie Uchiha Itachi begegnete, würde eine Kugel zwischen seinen Augen stecken! Ihre Gedanken wanderten zu der Fuchsminiatur, die sie achtlos weggeworfen hatte und ihre Zähne gruben sich schmerzhaft durch ihre Unterlippe. Er würde zahlen für diesen Affront!
 

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Sais Wagen hielt mit quietschenden Reifen vor dem Appartementblock, zu dem Sakura ihn befehligt hatte. Zu zweit stürmten sie aus dem Auto, die Türen sperrangelweit offen zurücklassend, und hechteten in das stockdunkle Treppenhaus. Eilige Schritte hallten an kahlen Wänden wider, deren Verputz an manchen Stellen abbröckelte. Sakura hatte sich oft beschwert, dass der Anblick nicht schön für jemanden sei, der oft die Stiegen nahm. Sai hatte keine Anstalten gemacht, auf den Aufzug zu warten. Er hielt hinter ihr mühelos Schritt und überholte sie sogar im dritten Stock. Als sie oben ankam, wartete er vor der Tür am hinteren Ende des linken Ganges.

"Worauf wartest du?", fragte sie nach Luft keuchend.

"Es ist abgeschlossen. Du hast Narutos Zweitschlüssel."

Sie raufte sich raunend die Haare. "Aber nicht hier!" So fest sie konnte, schlug sie gegen die Eingangstür. "Naruto! Bist du da? Öffne die Tür! Naruto!"

"Das bringt nichts! Wir brechen sie auf! Auf drei!" Sie nickten einander zu; Türen aufzubrechen war normalerweise Sakuras alleiniges Metier, in dem sie sich nicht verdrängen ließ. Sie kannte die sensibelsten Stellen und Tsunades Unterricht hatte sein Übriges getan. Doch unter ihrer hektischen Fassade war sie zu panisch, um die Standpunkte der Emanzipation mit Sai auszudiskutieren. Zusammen wandten sie dem Feind die Schultern zu und rammten sich auf Sais Zeichen dagegen. Die robuste Schranke sprang knackend aus den Angeln, deren Metall sich brummend verzog. Das Vorzimmer war sauber—keine Einbruchspuren, kein Naruto. Sakura bekam es mit der Angst zu tun. Was hatte Uchiha bloß mit ihrem Freund gemacht? Auf dem Anrufbeantworter des selten benutzten Festnetzapparates blinkten zwei neue Nachrichten. In stummem Einverständnis nickten sie sich zu. Jahrelang hatten ihre Kameraden sie geärgert, weil sie immer eine Waffe dabei hatte; heute machte es sich zum ersten Mal bezahlt.

Mit erhobenem Lauf vor ihrem angespannten Gesicht, spähte sie um die Ecke des winzigen Flurs in die spartanisch eingerichtete Wohnküche. Die Einrichtung war unversehrt, bloß ein Tisch war zu Kleinholz zersplittert worden. Als sie weiter ins Innere lugte, kamen Glasscherben und eine Blutspur zum Vorschein. Das durfte einfach nicht wahr sein! Sie gab ihre Deckung auf. Naiv und voller Sorge.

"Naruto!"

Eleven Days Nightmare


 

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Mit erhobenem Lauf vor ihrem angespannten Gesicht, spähte sie um die Ecke des winzigen Flurs in die spartanisch eingerichtete Wohnküche. Die Einrichtung war unversehrt, bloß ein Tisch war zu Kleinholz zersplittert worden. Als sie weiter ins Innere lugte, kamen Glasscherben und eine Blutspur zum Vorschein. Das durfte einfach nicht wahr sein. Sie gab ihre Deckung auf. Naiv und voller Sorge.

"Naruto!"
 

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Es war unprofessionell, was sie tat, doch beim Anblick ihres zugerichteten Freundes verlor sie jede Kontrolle über ihre Beherrschung. Die Waffe von sich schleudernd, stürzte sie auf Naruto zu. Blut klebte an seinen Knöcheln, Armen, Beinen und in seinem Gesicht, das von Blutergüssen, Prellungen und Schrammen übersät war. Sie kniete sich neben den geschundenen Körper ihres Freundes, um seinen Puls zu fühlen. Er war schwach, aber vorhanden.

"Ruf' einen Krankenwagen!", schrie sie Sai unnötiger Weise an. Er hatte längst sein Mobiltelefon aus der Tasche gezogen. Sie wandte sich ihrem schwerverletzten Freund zu. "Naruto, halte durch! Ich flehe dich an!"

Als wäre jemand solcher Gemeinplätze wegen schon irgendwann einmal aufgewacht. Er war bewusstlos, was ihr Angst machte. Unter derartigen Verletzungen das Bewusstsein zu verlieren, war eine gefährliche Angelegenheit. Zu überleben war die eine Schwierigkeit. Aus einer daher rührenden Bewusstlosigkeit wieder aufzuwachen, eine ganz andere. Sakura spürte, wie ihre Finger mit jeder Sekunde, die sie tatenlos verstreichen lassen musste, mehr zitterten. Sie hielt ihren Freund schützend im Arm, seinen schlaffen Körper dicht umschlungen, während stumme Tränen an ihren Wangen herabrannen. Wie lange hatte er wohl so daliegen müssen? Es war über zwanzig Stunden her, dass ihn jemand gesehen hatte.

"Was ist das?" Sai strich über einen Zettel, der an Narutos nacktem Arm klebte. Sie besah ihn sich durch den Tränenschleier genauer. Er klebte nicht.

Er war angetuckert.

Eine Welle des wütenden Entsetzens rollte über ihre Angst hinweg, nahm sie mit und hinterließ brennende Leere in ihrem Inneren. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Diese Schweine—diese Scheißkerle—sie hatten eine Warnung an den Oberarm ihres Freundes geheftet. Mit handelsüblichen Tuckernadeln. Die Warnung war an Sasuke adressiert. Er sollte sich zurückhalten. Was auch immer damit gemeint war.

"Wir sagen Sasuke-kun nichts", entschied sie. "Wenn Akatsuki sich einmischt, sind wir zu nahe an unserem Ziel. Zumindest denken sie, dass wir mehr wissen, als gut für sie ist. Wir werden ihnen keinen 4 geben, zu glauben, wir würden kleinbeigeben. Naruto hätte das nicht gewollt."

"Sprich keine Grabrede auf ihn", sagte Sai ruhig. Er strich seinem Kameraden über das zerzauste Haar. "Das beschwört nur böse Geister."
 

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Im Nachhinein konnte Sakura nicht sagen, wann die schrillende Sirene ihre Hoffnung geschürt hatte. Ebenso wenig wie sie sich daran erinnern konnte, Narutos Hand losgelassen zu haben, als man ihn in behutsamer Hektik in den Krankenwagen verfrachtet hatte. Als Notfallkontakt waren sie und Sasuke angeführt, der schnaubend das Wartezimmer vor dem Operationssaal betrat; dicht gefolgt von Shikamaru, der Inos Hand halten musste, und Hinata, die von Neji und Tenten gestützt vor Zittern kaum gehen konnte. Ein Schüttelfrost hätte ihren Körper nicht so in Bewegung versetzen können. Ihre noble Blässe war zu einem aschfahlen Ton verkommen, der ihre hellen Augen kränklich hervorhob. Als sie in den Warteraum stolperte, stürzte sie weinend auf Sakura zu. Hinter ihr schloss Lee mit Kiba die Kette.

"Wo ist er?"

Sie strich ihr sanft durchs Haar, ohne etwas zu sagen. Was hätte es auch gebracht? Hinata wusste, dass ihr Freund gerade operiert wurde. Mehr konnte Sakura ihr auch nicht verraten, ohne ihrer aller Tarnung zu sprengen.

"Es wird alles gut", verwandte sie stattdessen kostbare Atemluft auf diesen Gemeinplatz, der ebenso wenig half wie jener zwei Stunden zuvor.

Shikamaru trat an sie heran und fädelte Inos Arm, der ihn partout nicht loslassen wollte, um Hinata. "Am besten besorgst du dir einen starken Kaffee von der Kantine. Ino, würdest du sie bitte begleiten?", bat er eindringlich. Ino widerstrebte es, die Szene zu verlassen, doch sie verstand. Rührend führte sie die aufgelöste Familienanwältin den Flur entlang. Er schloss die Tür hinter ihnen und lehnte sich dagegen, um ihre Runde vor fremden Ohren zu schützen. Sie waren noch in ihren traditionellen Kimonos. Kein schönes Ende für diesen Tag, der von Freude und Normalität hätte geprägt sein sollen.

"Akatsuki?", fragte er in den Raum. Sakura machte einen Schritt in die Mitte.

"Vermutlich."

"Was sollen wir tun?"

Neji lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. "Die Frage lautet: was können wir tun? Es wird zu viel für unsere Gruppe. Kakashi-san, Gai-sensei und Asuma-san sind selbst auf jemanden angesetzt, also haben wir nach Narutos Ausfall und meiner körperlichen Konstitution bloß sechs einsatzfähige Leute. Ich will nicht fatalistisch sein, doch zwei Dreimannteams gegen Akatsuki und Oto zusammen ist utopisch."

"Geringfügig", stieß Sakura sarkastisch aus. "Wir müssen uns entscheiden, auf was wir uns konzentrieren. Tenten, Lee, Kiba, habt ihr den Tracker geschnappt?"

Kiba reckte den Daumen in die Luft. "So gut wie."

"Ja", stimmte Tenten zu. "Wir werden Tsunade-sama bitten, uns diesem Fall zuzuteilen. Alleine könnt ihr es nicht schaffen. Hidden Leaf wird dieses eine Mal mit seiner vereinten Schlagkraft zur Tat schreiten, nicht wahr?" Ihre Frage in den Raum stieß nur bedingt auf Widerhall. Sie alle waren in Gedanken; wie würde es weitergehen? Und, könnte ein Versagen das Ende für Hidden Leaf bedeuten?

Ein Ruck gegen die Tür und nachfolgendes Klopfen unterbrach die Besprechung. Inos Fluch—welcher Idiot hat die Tür verriegelt?—traf gegen das Holz und in Shikamarus Rücken, der zur Seite trat. Die beiden Frauen hatten Kaffee für jedermann mitgebracht, den Hinata mit zittrigen Fingern verteilte. Als die Becher schweigend ausgetrunken worden waren, betrat ein Arzt die Versammlung. In seiner Hand hielt er ein Klemmbrett.

"Die Angehörigen von Uzumaki Naruto-san?"

"Hier", meldeten Hinata, Sakura und Sasuke sich gleichzeitig. Der Arzt besah sich die eigentümlich zusammengewürfelte Gruppe junger Leute, entschied sich jedoch angesichts der Tragweite seiner Nachricht gegen eine Bemerkung. Sakura fuhr fort: "Wir sind alle enge Freunde. Wie geht es ihm?"

"Nun …" Der Arzt sah auf sein Klemmbrett und schob seine Brille zurecht. "Physisch gesehen wird er schon bald wieder vollkommen genesen sein. Die Prellungen sind zahlreich, aber nicht schwerwiegend. Glücklicherweise gab es keine schweren Knochenbrüche oder innere Blutungen. Die Nadel, die in seinem Arm steckte, verursachte lediglich eine leichte Blutvergiftung, die wir mit Medikamenten erfolgreich behandeln konnten. Uzumaki-sans Gesicht sieht zwar dramatisch aus, doch bis auf eine gebrochene Nase und unbedenkliche Hämatome gibt es nichts, das ihn beeinträchtigen würden." Das Aber hing einige Momente in der Luft. "Allerdings können wir nicht mit Sicherheit sagen, wann er wieder aufwachen wird."

"Was soll das heißen, Sensei?" Hinatas Griff um ihren leeren Becher verkrampfte sich. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.

"Uzumaki-san befindet sich in einem komatösen Zustand. Seine Vitalfunktionen sind einwandfrei, allerdings können wir nicht prognostizieren, wann er sein Bewusstsein wiedererlangen wird. Werte vergleichbarer Fälle sind sehr wie gestreut. Wir hatten Patienten, die nach wenigen Stunden aufwachten, aber auch jene, die Monate brauchten. Ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, doch seien Sie versichert: für den jetzigen Zeitpunkt ist es sehr wahrscheinlich, dass er wieder aufwacht."

Sie atmete erleichtert aus, die Anspannung blieb jedoch bestehen. Sakura nahm sie in den Arm, um ihre Freude über diese Nachricht zu teilen. Wenigstens würde er wieder gesund werden. Früher oder später.
 

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Sakura ließ sich auf ihrem Bett nieder, wo sie kurz zuvor Sasukes Ordner deponiert hatte. Es war zweiundsiebzig Stunden her, seit sie das Krankenhaus verlassen hatte und dieser Tag war so gut wie jeder andere, um sich eingehend mit der Uchiha-Affäre zu beschäftigen. Die Suche nach Uchiha Itachi musste eingestellt werden; ohne Naruto machte es keinen Sinn, sich dieser Übermacht zu stellen. Uchiha machte nicht den Eindruck, als läge ihm etwas daran, sich weiterhin mit Team Sieben zu befassen. Er hatte wohl eigene Geschäfte, denen er nachzugehen pflegte, denn entgegen Sakuras Befürchtungen, etwas von ihm zu hören, blieb es still um sie beide herum. War er des Spiels schon überdrüssig geworden, weil er sie nicht als würdige Gegnerin erachtete? Ihr sollte es recht sein—sollte. Tatsächlich grämte es sie, auf ein unbefahrenes Abstellgleich verfrachtet zu werden, wenn er sich schon die unzweifelbare Mühe gemacht hatte, sie an den Table einzuladen.

"Was machst du dir vor, Sakura?", fragte sie sich selbst, einen tadelnden Blick in den Spiegel werfend, der nicht minder tadelnd zurückkam. "Sei lieber froh, in Ruhe gelassen zu werden." Andächtig strich sie über den Umschlag des Ordners. Sie hatte ihn unabsichtlich fallen lassen, sodass eine Kante abgeschlagen war. Nicht, dass es aufgefallen wäre. Er war an allen Ecken ramponiert. Sasuke musste viel Zeit mit ihm verbracht haben. Alle Gedanken beiseite schiebend, öffnete sie das Deckblatt, löste sämtliche Zettel, Ausschnitte und Dokumente und breitete sie auf ihrem King Size Bett aus, auf dem der Inhalt nur überlappend Platz fand. Sie begann damit, die Ordnung zu verändern. Sasuke hatte alles chronologisch gereiht, was sie als nicht sinnvoll erachtete. Von einem Datum zum anderen zu gehen, verschaffte zwar einen annähernden Überblick, im Endeffekt hatte man jedoch wirre Fetzen verschiedenster Geschichten und Blickwinkel. Sie als Neuling in diesem Thema befand es für zweckdienlicher, jeden Blickwinkel nach dem anderen vollständig zu erfassen, um am Ende alle zu einer gesamten objektiven Meinung zu dividieren.

Ein unwilliger Seufzer entfuhr ihr. Etwas störte sie daran, dass Uchiha sich nicht meldete. Sie hatte das Gefühl, als gehöre es zu seinem Plan. Sie war noch nicht disqualifiziert worden. Uchiha Itachi tat nichts ohne Grund, wieso also sollte er ihr ein Blatt austeilen, um es ihr wieder wegnehmen zu können, bevor sie ihren zweiten Zug gemacht hatte?

Das war es nicht.

Er ließ ihr bewusst Zeit, hinter seine Andeutungen zu kommen. Diese waren mehr als nur eindeutig. Nun, sie hatte Sasuke versprochen, diese Sache objektiv zu behandelnd. Sie würde nicht den Standpunkt des einen Uchihas einnehmen, wenn sie den des anderen ignorierte. Eher umgekehrt. Nichtsdestoweniger würde sie diese Halbwahrheiten berücksichtigen. Für bar zu nehmen, was auf diesen Zetteln stand, war kein guter Weg, sich eine Meinung zu bilden—zumindest, wenn diese annähernd objektiv sein sollte. Papier war geduldig.

Also begann sie, sich durch die Akten zu arbeiten. Zuerst nahm sie sich vor, was am leichtesten schien: Zeitungsausschnitte, gesammelt über drei Jahre. Der erste zwanzig Monate vor der Explosion des Uchiha-Anwesens datiert, der letzte vierzehn Monate danach. Die Artikel waren aus diversen Zeitschriften geschnitten; Tagesblätter, Magazine, sogar Illustrierte, die den Fall aus einer dramatisch-menschlichen Perspektive beleuchteten. Nicht unbedingt informativ, aber immerhin machte es den Rummel nachvollziehbar, der darum geherrscht hatte. Sie war damals noch zu einer amerikanischen High School gegangen, wo man nichts davon gehört hatte. Andere Ausschnitte verrieten mehr, vor allem die der Wirtschaftsjournals.

"Ha", machte sie überrascht.

Heutzutage sprach man nicht über die Uchihas. Schlecht über Tote zu sprechen, schickte sich nicht und der Vorfall hatte sich Jahre vor ihrer Ankunft in Japan ereignet. Fest stand jedenfalls, dass die Uchihas keineswegs so heldenhaft gewesen waren, wie sie sich die Sippe immer vorgestellt hatte. Ihre Westen waren rein weiß, die Liste fallen gelassener oder gewonnener Anschuldigungen jedoch lang. Von Steuerhinterziehung über Kartellbildung, Preisdumping und Weitergabe von Insiderinformationen, hatte man den Uchihas so ziemlich alles vorgeworfen, was das Spektrum an wirtschaftlicher Kriminalität hergab. Verurteilung gab es keine einzige.

Sakura war nicht naiv.

Jeder Magnat hatte Dreck am Stecken und das Uchiha-Konsortium bildete keineswegs eine Ausnahme. Sie waren ein interdependenter, aber geschlossen autarker Zusammenschluss erfolgreicher Geschäftsmänner, dessen Mitglieder sich in allen relevanten Bereichen helfen und decken konnten. Entweder, sie hatten hartnäckige Feinde gehabt, die sie am Boden hatten sehen wollen—was sehr wahrscheinlich war—oder sie hatten ein System gefunden, das sie einander fälschlicherweise entlasten ließ—was ebenfalls sehr wahrscheinlich war—oder beides zusammen—was die einfachste Erklärung war, wenn es nach ihr ging. Ob Uchiha darauf angespielt hatte? Dass seine Familie es verdient hatte? Wirtschaftskriminalität war nach wie vor Kriminalität, aber wegen persönlicher Bereicherung auf Kosten ebenso reicher Menschen brachte man doch keinen Clan um. Andererseits war Uchiha unberechenbar und verrückt.

Tief in ihrem Inneren schrie ihr gesunder Menschenverstand, dass er nicht so wahnsinnig war. Das Risiko, das er damit einging, hätte ihn davon abgehalten, so zu handeln. Ein paar krumme Geschäfte waren es nicht wert, ein Leben als gesuchter Verbrecher zu führen. Dies war die Ansicht eines normalen Menschen.
 

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Sakura schob das Zettelwerk beiseite. Sie hatte den gesamten Nachmittag darauf verwendet, einen Überblick zu bekommen. In angenehmen Bewegungen ließ sie die verspannten Schultern kreisen. Es war Abend, als sie sich mit einem erschöpften Raunen nach hinten warf. Die Verspannung hatte sich verfestigt, aber immerhin wusste sie eines: Uchiha Itachi war ein Massenmörder. Die Beweise, die in den Polizeiberichten aufgeführt waren, sprachen eine klare Sprache: schuldig im Sinne der Anklage. Es gab eine Abschrift des Gerichtsprotokolls. Die Anklagepunkte füllten eine ganze Seite. Man hatte Uchiha für alles verurteilen wollen, was seine Familie jemals ungeschoren verbrochen hatte. Es schien, als habe er seine Finger überall im Spiel gehabt. Die Verhandlung war niemals beendet worden, da der Angeklagte nicht auffindbar gewesen war. Dies war der jetzige Stand der Dinge. Die Beweise galten nach wie vor. Es waren keine Indizienbeweise, die man drehen konnte, sondern handfeste forensische Belege: Fingerabdrücke an dem Fernzünder der Bombe, Drohbriefe, Kopien diverser elektronischer Konversationen, die ihm eindeutig zugeordnet werden konnten; Sakura verstand, wieso er es vorgezogen hatte, unterzutauchen. Bei einer solchen Beweislage hätte nicht einmal der überteuerte Anwalt der Familie die Todesstrafe verhindern können. Es war eine perfekte Anklage.

"Zu perfekt", murmelte sie im Halbschlaf. Die Sonne war bereits untergegangen und sie starrte an die Decke, wo das Licht ihrer Lampe sich an ihren Spiegelornamenten zu einem silbernen Funkeln brach.

Diese Beweise waren zu perfekt.

Ein Genius wie Uchiha Itachi hätte niemals solch fatale Fehler gemacht. Etwas in ihr kämpfte dagegen an, das Offensichtliche zu akzeptieren. Sie durfte sich nicht länger etwas vormachen. Sie hatte—moralisch verwerfliche, triebgesteuerte und völlig inkompetente, sowie widersinnige und haltlose—persönliche Präferenzen gefasst, die sie in ihrer Entscheidung berücksichtigen musste. Nur, weil sie nicht fühlte, dass er es getan hatte, traute sie es ihm doch zu. Das säuberlich formulierte Geständnis, das auf einem besonders zerknitterten und vergilbten Papier zu finden war, ließ keine Zweifel offen.

Ich, Uchiha Itachi, habe das Haus meiner Eltern in die Luft gesprengt.

Ein Satz. Eine Wahrheit, die so viele Leben verändert hatte. Sakura wehrte sich dagegen, es anzunehmen. Es war unprofessionell und das wusste sie. Dieser Mann war ein Mörder, ein Entführer, ein Erpresser. Er war schlecht, böse, dunkel. Er hatte Sasuke seine Familie genommen, ihn mit gefesselten Armen in einen Pool aus Selbsthass und Verzweiflung gestoßen, in dem er seit neun Jahren wie ein Berserker um sein Überleben strampelte. Er hatte Naruto verletzt und Sakura in ein Netz der Verzerrung gelockt.

Naruto.

Uchiha würde dafür bezahlen, was er ihm angetan hatte. Und Ino. Dieser Mann hatte zwei ihrer engsten Freunde verletzt. Dafür würde er büßen.

Sakura sah auf das Display ihres Telefons, das nach Aufmerksamkeit lechzend aufblinkte. Eine Textnachricht. Sie verengte die Augenbrauen. Hatte dieser Mann ein ausgeprägtes Gespür für Zeitpunkte, an denen sie über ihn nachdachte, oder bloß einen eigenartigen Sinn für Humor? Wie konnte sie sich Sorgen gemacht haben, er hätte sie aus dem Spiel geworfen. Sie war noch mittendrin. Und mit der Adresse, die er ihr geschickt hatte, hatte er soeben Runde zwei eingeläutet.
 

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"Ich bin schon wieder unpassend angezogen."

Sakura hatte sich gerne einreden wollen, unschlüssig gewesen zu sein, was ihre Entscheidung betraf. Hingehen oder ignorieren? Ohne zu überlegen, hatte sie ihre Tasche gepackt, die Glock in ihr versenkt, ihre braune Lederjacke über den schwarze Rollkragenpullover aus Baumwolle geworfen und dem erstbesten Taxifahrer die Adresse genannt. Diesmal hatte er sie nicht gemustert, was ihr Mut machte. Vielleicht war es aber auch die Glock in ihrer Umhängetasche. Uchiha vor einem Pulk neugieriger Blicke zu erschießen, war freilich keine übergeordnete Intention ihrer riskanten Folgsamkeit, doch wenn er sich schon die Mühe machte, etwas von sich hören zu lassen, wollte sie gerne den vollen Text.

Ihr Eifer sollte belohnt werden. Das Taxi hatte gehalten und sie war ausgestiegen. Der Anblick, der sich ihr bot, hatte sie schlussendlich zu dieser Aussage gebracht.

Sie war unpassend angezogen.

Die genervt geraunten Worte verklangen in der angenehm kühlen Abendluft. Es war Mitte März und der Himmel war um diese Uhrzeit noch nicht stockfinster; und selbst wenn: die glänzenden Lichter der Fassade des Restaurants, in das er sie bestellt hatte, hätten sogar postapokalyptische Schwärze erhellt. Sie hatte von diesem Lokal gehört. Nicht Lokal, das war eine Beleidigung. Tempel für geschmacksorgasmische Erfahrungen, die in manchen Fällen schon zu transzendenten Erlebnissen geführt haben sollten. Ein Heiligtum unter Gourmets im dreizehnten Stock eines modernen Hochhauses. Die ultimative Kulinarik. Sakura hatte Kritiken gelesen, die dreizehn Sterne auf einer Skala von eins bis zehn gaben.

Dementsprechend teuer war der Schuppen. Ino sparte seit vier Monaten nach jedem Gehaltsscheck etliche hundert Yen beiseite, um sich irgendwann ein Fünf-Gänge-Menü leisten zu können. Bislang könnte sie die ersten beiden genießen. Ohne Getränke, versteht sich. Wenn sie ehrlich mit sich war, hätte sie gerne bezweifelt, dass die Adresse stimmte. Wenn sie noch ehrlicher war, musste sie sich eingestehen, dass sie es mit einem Uchiha zu tun hatte. Laut den Zeitungsausschnitten das Maß von Dekadenz und Dünkel. Ihr Glück konnte sie immerhin versuchen. Die Empfangsdame musterte sie auffallend lange, was nicht verwunderlich war. Wer maß sich schon die Präpotenz an, ein gefeiertes Luxusrestaurant in Jeans und Pullover zu betreten?

"Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?"

Die gerümpfte Nase ignorierte Sakura gekonnt. Im gehobenen Gastronomiegewerbe musste man wohl eine natürliche Affektiertheit besitzen. "Ich bin verabredet mit …" Mit wem überhaupt? Uchiha würde wohl kaum seinen richtigen Namen angeben, wenn er in einem stadtbekannten Restaurant einen Tisch reservierte. "… einem Mann. Etwa so groß, schwarzes, langes Haar, schwarze Augen, Hautvertiefungen neben der Nase, sieht echt schräg aus—können Sie gar nicht übersehen—strahlt eine unangenehm selbstherrliche Hoffart aus."

Die Empfangsdame blinzelte und deutete nach hinten. "Tisch zweiundzwanzig. Hinten links am Fenster."

Sakura dankte mit einer knappen Verbeugung und trat durch den samtenen grünen Vorhang, der den Eingangsbereich vom Gastraum abtrennte. Gastraum war eine Untertreibung, denn es war ein wunderschöner Saal mit Marmorfliesen und hohen Wänden. Nicht minder war 'Fenster' eine grenzwertige Minimalisierung; es war viel eher eine zwölf Meter lange Fensterfront, aber, trotz dieser kognitiven Interpretationsschwierigkeiten, saß ihr Gastgeber tatsächlich an dem Tisch hinten links am … 'Fenster'. Er, durchaus adrett in Sakko gekleidet, stand auf, als sie Platz nahm.

"Nicht sehr passend gewählte Kleidung."

"Du hättest eher Bescheid sagen müssen."

Sofort war ein Kellner da, der ihr eine Getränkekarte reichte und geduldig wartete, bis sie gewählt hatte. Sakura runzelte entscheidungsfreudig die Stirn. "Du zahlst?", fragte sie feststellend fest, ohne aufzusehen.

"Gewiss."

Sie lachte in sich hinein. "Highland Park. Intervallmäßige Auffüllung inkludiert. Aber nicht den einundzwanzigjährigen laschen Fusel. Bringen Sie den fünfzig Jahre alten." Das würde teuer werden.

Der Ober verkniff sich ein tadelndes Schnalzen mit der Zunge ob ihrer legeren Ausdrucksweise, mit der sie einen unverschämt teuren, langzeitgereiften schottischen Single Malt der edelsten Sorte bestellte. Er sollte nicht denken, sie kenne sich nicht aus, bloß weil sie aussah, als habe man sie eben nach einem Mittagsschläfchen aus dem Bett gezerrt. Ungeschminkt, unfrisiert. Itachi schien sich nicht daran zu stören—

Itachi?

"Zählst du schon die Scheine, Uchiha?"

"Mein Kontostand gibt wohl das ein oder andere Saufgelage mit durchweg kostenintensiveren Exemplaren maßlos überteuerten Whiskeys aus. Lust?"

Die Lichter der Straße unter ihr hatten etwas Anziehendes, dem sie nur schwer widerstehen konnte. Uchihas Blick war sehr viel anstrengender zu halten, als sie sich erinnern konnte. "Wohl kaum", sagte sie trocken. "Wieso bin ich heute hier? Ich sehe keine leichtbekleideten Damen im Raum tanzen. Wo bleibt da der Reiz?"

"Eine Tragik für die Männerwelt, wenn du das Ufer gewechselt hättest", quittierte er ihre Spitze. Er schwenkte das Rotweinglas und roch daran, ehe er eine geziemt genießerischen Schluck nahm. "Schmeckt nach gegorenen Weintrauben. Der Sommelier nannte ihn blumig. Eine recht inadäquate Beschreibung, möchte ich meinen."

Abwesend mit einer Fingerspitze über den gestickten Saum der Baumwollserviette streichend, wandte sie sich ihm zu. Wenigstens war er keiner dieser melodramatischen Weinkenner, die beim Geruch eines teuren Weins in maßlose Verzückung gerieten. Ab einer gewissen Preisklasse schmeckte man den Qualitätsunterschied nicht mehr; das war Sakuras Meinung und sie war froh, dass Uchihas Ansichten damit konform zu gehen schienen. Ein Grund weniger, auf der Stelle seinen Kopf gegen die Tischplatte zu schmettern und ihn mit dem dickwandigen Kristallglas zu erschlagen, das der Ober ihr hinstellte. Oh, süße Versuchung. Sie spülte sie mit dem ersten Schluck hinunter.

"Wir sind also hier, weil du Sehnsucht nach mir hattest?", fragte sie süffisant. Sein Ärger, den sie sich mit Genugtuung vorgestellt hatte, blieb anstelle eines bevormundenden Lächelns aus.

"Diese Wahrheit kann ich nicht absprechen", sagte er und sah ihr tief in die Augen—tiefer, als sie es ertragen konnte. Automatisch schlug sie ihren Blick zurück auf die Straßenlaternen. Uchiha fuhr weniger schmeichlerisch fort: "Ich hatte einen Termin mit einem Geschäftspartner, der ihn leider kurzfristig canceln musste. Der Tisch war bestellt und das Essen hier ist hervorragend, also dachte ich bei mir: wieso diese Gelegenheit verschwenden, anstatt sie mit einer Frau zu nutzen, die dieses Ambiente zu würdigen wüsste?"

Unter der Tischdecke traten Sakuras Knöchel weiß hervor. Dieser Psychopath hatte die Dreistigkeit, sie auszuführen, obwohl er oder einer seiner Psychopathenfreunde vor wenigen Tagen einen ihrer engsten Freunde ins Koma geprügelt hatten? Sie war hier, um ihm heimzuzahlen, was er ihnen allen angetan hatte. Um nichts auf der Welt würde sie sich zum Essen einladen lassen!
 

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Die Garnelen auf Blattsalat und Vinaigrette schmeckten zauberhaft.

Hinter einer Maske tiefster Gelassenheit, lieferten sich zwei Stimmen einen Kampf gegeneinander. Sie ließ sich von dem Mann aushalten, dem sie nichts schuldig sein durfte; genoss sogar die leichte Konversation über das wechselhafte Frühlingswetter, die neuesten Entwicklungen in der Politik und die Ergebnisse einer neuen sozialanalytischen Studie, laut der achtundsechzig Prozent aller Männer fremdgingen—ein Umstand, den Uchiha als unglaubwürdig bestritt. Sie hasste sich dafür. Das hieß, sie hasste sich dafür, dass sie sich nicht dafür hasste. Ah, dieses diffuse Konfusion! Andererseits, was waren ihre Wahlmöglichkeiten? Uchihas Blut über das weiße Gedeck eines vollbesetzten Restaurants zu vergießen, hatte durchaus einen verlockenden Reiz, war nichtsdestoweniger aber, wie sie zuvor bereits festgestellt hatte, keine individualökonomisch sinnvolle Aktion. Ihn aus der Reserve zu locken, war ebenso unmöglich. Er war sehr stet in seinen Themen und Antworten, sodass sie sich plötzlich neben ihm auf dem breiten Gehsteig der Geschäftsstraße befand, die direkt durch Kita führte. Sie wusste nicht, wohin sein Weg sie führte. Solange sie auf den Hauptverkehrswegen blieben, war es ihr auch egal.

Irgendwann blieb er stehen und suchte ihren Blick. Sie standen vor einem Hotel der gehobenen Mittelklasse, dessen Namen sie nicht kannte. Die Fassade war frisch renoviert worden; der Wind trug den Geruch von Mörtel an ihre Nase. Es war unfair, dass Itachi wie die Made im Speck lebte und sein Bruder in einem Rattenloch hauste. Er hatte sogar eine kleine Allee vor dem überdachten Eingang.

"Möchtest du auf ein Glas Wein mit hoch kommen?"

Sie stockte. Mit allem hatte sie gerechnet, bloß damit nicht. Ein Glas Wein, bei ihm? Sie stieß abfällig Luft aus. "Ich bin kein Genie, aber ich bin nicht dumm. Außerdem …" Schnell entwirrte sie den Knoten, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Jetzt oder nie. Er würde ihr Rede und Antwort stehen. "Wir haben eine Rechnung offen", eröffnete sie ihm matt. Kontrolliert, weil sie sonst vor Erbitterung zu heulen begonnen hätte.

"Möchtest du die Kosten des Whiskeys durchdividieren, den du auf meine Rechnung getrunken hast? Um diese Summe zu bezahlen, müsstest du einiges tun."

Sie verzog ihren Mund zu einer wütenden Linie. "Oder dich erschießen. Dann würde ich samt dem schönen Kopfgeld auch noch Schulderlass bekommen. Diese Option behalte ich mir für nächstes Mal vor."

"Den Spruch kenne ich."

Die Rinde des Baumes, gegen den sie schlug, barst in der stillen Nacht. Der Geduldsast, an dem Uchiha Itachi seit Wochen sägte, knackte bedrohlich in ihrer Vorstellung. "Jetzt hör zu, Uchiha: was du mit Sasuke gemacht hast, ist eine Sache. Ich war nicht dabei, noch kannte ich ihn damals überhaupt. Dementsprechend handelte ich für seinen Seelenfrieden. Doch was du Naruto angetan hast, vor meinen Augen—und dann auch noch die Dreistigkeit besitzt, mir mit einer höhnischen Geste einen Hinweis zu geben—"

Sie schnappte nach Luft, die in ihren Lungen knapp geworden war. Vor Aufregung hatte sie vergessen zu atmen. Die Sätze, die sie fein säuberlich in ihrem Geist formuliert hatte, um sie ihm entgegen zu spucken, waren wie weggeblasen.

"Er ist mein Freund und man verletzt meine Freunde nicht ungestraft", presste sie schließlich hervor. All die Verzweiflung der letzten Tage, in denen sie untätig hatte herumsitzen oder Hinatas Tränen hatte trocknen müssen, brach an die Oberfläche. Sie rang mit den Tränen, die heiß in ihren Augen brannten, jede Sekunde bereit, aus ihr zu bersten wie ein schwelender Fluss tiefster Frustration.

Plötzlich waren seine Hände an ihren Wangen, ihr Gesicht einrahmend. Er schüttelte andächtig den Kopf, als sie ihn mit blankem Entsetzen ansah.

"Akatsuki hat nichts damit zu tun. Und ich auch nicht. Glaube mir oder nicht, es liegt in deinem Ermessen. Wenn du auf die Fuchsfigur anspielst, war es die, die du selbst dir ausgesucht hattest, vergiss das nicht. Was meine Warnung angeht …" Indem er sich von ihr löste, brach er ab. Die zwei Schritte, die er rückwärtsging, räumten eine Distanz ein, die ein tiefer, willkürlicher Teil in ihr nicht akzeptieren wollte. "Vielleicht hätte ich sie anders aussprechen sollen. Für mich ist Uzumaki unwichtig. Aber es gibt Menschen … Geschäftsmänner, die ihn als Köder benutzen könnten."

"Wer?"

Uchiha zuckte die Schultern. "Orochimaru, wenn ich einen Tipp abgeben müsste."

Es war eine metaphorische Faust, die ihr Gesicht traf und ein dumpfes Gefühl der Blindheit hinterließ. Wie hatte sie diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen können? Natürlich; keine Schlangenhaut, kein zerstörtes Mobiliar. Nichts hatte auf Oto hingedeutet. Sie waren eine Hitman-Gruppe, Hidden Leaf sehr ähnlich. Sie nahmen jeden Auftrag an und mischten in illegalen Geschäften gut mit, vornehmlich Drogenhandel. Sie waren die Bösen der Gesetzlosen. Und, was noch wichtiger war, die Warnung, die an Naruto geheftet hatte, war an Sasuke adressiert worden. Es war keine Warnung, es war eine Falle. Orochimaru hatte schon immer ein Auge auf Sasuke geworfen gehabt, soweit sie wusste. Wie dumm sie gewesen war!

"Ich habe alles über die Uchiha-Affäre gelesen, das ich finden konnte", sagte sie schließlich. Der Themenwechsel war nicht geplant gewesen, doch weiter über Naruto zu reden, hätte sie bloß noch wütender gemacht.

Er hob eine Augenbraue. "Und?"

"Schuldig."

"Quod era demonstrandum." Es waren bittere Worte verscharrter Enttäuschung.

"Im Sinne der Anklage", schränkte sie ein. Sakura sah auf und traf seinen Blick, der diesmal nicht ganz so stechend war. "Eine Frage beschäftigt mich, Uchiha. Wieso machst du dir die Mühe, dieses Spiel mit mir zu spielen? Ich bin ein Niemand in deiner Welt. Wir sind weder verwandt, noch befreundet, dein Bruder ist längst nicht mehr in meinem Team und wir haben nichts gemein. Wieso ich?"

"Sind wir wirklich so verschieden?" Uchiha schloss gedankenversunken die Augen. "Wir sind beide gewillt, alles zu opfern für die Menschen, die wir lieben. Du würdest für Sasuke durch ein Feuermeer gehen, ebenso wie ich."

"Das würde ich für all meine Freunde tun", korrigierte sie, eine Hand zur Faust geballt.

"Wir sind beide Mörder", präzisierte er ungerührt. "Das ist etwas, das uns verbindet, Sakura. Wir löschen Menschenleben aus, um zu überleben. Jeder von uns lebt sein Leben jeden Tag aufs Neue auf seine eigene, ungeschickte Weise, bis einmal der Tag kommt, an dem wir uns entscheiden müssen, wie es weitergehen soll. Ich erlebte diesen Tag und ich entschied mich, den Lauf der Dinge zu ändern. Du bist diejenige, die mir dabei helfen kann."

"Und wenn ich nicht möchte?"

"Um zu verstehen, muss man alle Wahrheiten kennen. Du kennst einen Teil der Geschichte. Lass mich dir einen zweiten erzählen."

Sakura biss sich auf die Lippe, die zweite Hand ebenfalls zur Faust geballt. Dies war eine Chance. Eine Chance, die sie mit dem Leben bezahlen könnte, wenn sie den Hinterhalt nicht erkannte. Es sah nicht aus wie einer; es fühlte sich nicht an wie einer. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als ihr Mobiltelefon in ihrer Jackentasche vibrierte.

"Sasuke", sagte sie tonlos.

"Sakura", sprach er am anderen Ende der Verbindung, "es geht um Naruto."

"Was ist los?"

Sasuke holte tief Luft. "Er ist aufgewacht. Und er hat uns etwas Wichtiges mitzuteilen." Er machte eine bedeutungsschwere Pause. "Es geht um Itachi."

Penultimate Pace


 

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"Sasuke", sagte sie tonlos.

"Sakura", sprach er am anderen Ende der Verbindung, "Naruto."

"Was ist los?"

Sasuke holte tief Luft. "Er ist aufgewacht. Und er hat uns etwas Wichtiges mitzuteilen." Er machte eine bedeutungsschwere Pause. "Es geht um Itachi."
 

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"Wo warst du?"

"In welchem deiner vielen, verstörenden Universen bin ich dir seit neuestem Rechenschaft schuldig?"

"In keinem, aber—"

Mit einem Schnauben beendete Sakura die kurze Diskussion. Sie hatte Sasuke gebeten, sie an einer Ecke nahe dem Hotel abzuholen, anstatt bei ihr zuhause vorzufahren. Er warf ihr einen skeptischen Seitenblick zu, während sie die Fahrt ins Krankenhaus schweigend fortsetzten. Sakura tat es leid, derart bissig gewesen zu sein. Sie wusste sich nicht anders zu helfen. Sasuke, Naruto, Itachi—und dann auch noch Vornamen, die eigentlich hinter Nachnamen gehörten! Dieser Tag war zu viel für sie. Die Uchiha-Affäre hing in einem Teil ihres Hinterkopfes, der auf ihre Stimmung drückte und die wechselseitige Konversation mit Uchiha drückte gegen ohnehin schon strapazierte Nerven. Sie hätte mit hoch gehen können. Gegen die Schusswaffe in ihrer Handtasche hätte er keine Chance gehabt. Die Vorstellung, eine Kugel durch sein Fleisch zu treiben, war längst nicht mehr so befriedigend wie zu Anfang. Etwas lief schief. Und Uchiha war schuld.

"Wieso bleibst du stehen?"

"Wir holen Sai ab. Naruto möchte auch ihn dabei haben."

"Ah." Sie fragte nicht nach. Sakura, Sai, Sasuke. Ein Team, bestehend aus drei S, wie der Buchstabe, der Gefahr markierte. S-Klasse Verbrecher, S-Klasse Killer. Speziell. Besonders. Elitär. Ein Buchstabe, der Blut und Verderben bedeutete. Ihre Namen fingen damit an. Und sie endeten mit dem Tod. Sakura hatte schon so viele Menschen getötet. Es war mittlerweile eine zweistellige Zahl, auf die sie keineswegs stolz war. Es sollte ihr nicht schwerfallen, einen weiteren Strich in ihren mentalen Bettpfosten zu kerben. Für Sasuke. Für Ino. Für Naruto.

Sai stieg ein und Sasuke fuhr los. Sakura knetete auf ihren Schoß ihre Hände zu einer verknoteten Form, die sie bei jeder Ampel auflöste, wenn sie aus dem Fenster in den Nachthimmel sah. Die Besuchszeit im Krankenhaus war längst vorbei. Sie würden sich hineinschleichen. Das waren sie Naruto schuldig.

"Sakura." Sai tippte ihre Schulter an. "Ich habe mit einem ehemaligen Kollegen aus Root gesprochen. Er sagt, sie hätten Hinweise, wo sich Uchiha Itachis derzeitiger Aufenthaltsort befindet. Einige Hotelrechnungen wurden mit einer Kreditkarte bezahlt, die auf jemanden zugelassen ist, der in direkter Verbindung mit Akatsuki steht. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er in ein Hotel im Bezirk Konohana eingecheckt hat. Seit mehreren Wochen."

"Konohana, sagst du?", wiederholte Sasuke mit einem Seitenblick auf Sakura, ehe er sich wieder der Straße zuwandte. "Das ist ganz in der Nähe, von wo ich dich abholen musste. Ist dir etwas aufgefallen?"

Sakura stieß Luft aus. "Sasuke-kun, Konohana ist groß. Wie groß wäre schon die Wahrscheinlichkeit, dass gerade ich deinem Bruder über den Weg laufe? Akatsuki operiert von Kita aus. Aber …" Sie lehnte die Stirn gegen das Autofenster. "… wir sollten diesem Hinweis nachgehen."

"Das denke ich auch", bemerkte Sai. "Die Kartendaten sind verschlüsselt. Da Root keine Berechtigung hat, offiziell auf das Hotelsystem zuzugreifen, haben sie nur begrenzte Möglichkeiten, die elektronischen Spuren zurückzuverfolgen. Die Karte ist jedenfalls nur im Bereich der achten und zwölften Straße im Einsatz. Jemand von Akatsuki wohnt dort, zumindest temporär."

"Ich werde ihn finden."

Sakura wagte es nicht, eine Reaktion zu zeigen, als Sasukes Stimme das stille Auto erfüllte. Tausend Gedanken schwirrten in ihrem Kopf und sie schaltete das Radio an, um sich abzulenken. Wenn es soweit war, würde sie intuitiv handeln. Naruto kam so durchs Leben, wieso sollte diese Taktik für sie nicht auch funktionieren?
 

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Das Krankenhaus lag in andächtiger Ruhe. In einigen Stockwerken brannte Licht, die meisten Fenster waren finster. Im Gegensatz dazu, waren die Flure hell erleuchtet, aber unbemannt. Die Nachtschwestern tratschten an der Kaffeemaschine, solange sie ihre nächste Kontrollrunde noch nicht durchführen mussten, einige Ärzte gingen entspannt plaudernd ihre Patrouille ab. Es war ein Leichtes, sich über den unbewachten Personaleingang an der Hinterseite ins Innere zu manövrieren und von dort das Treppenhaus in den dritten Stock zu nehmen. Weder Sai noch Sasuke kommentierten Sakuras zielstrebiges Erklimmen der Stiegen, obwohl sie um die Ecke einen Aufzug wusste. Narutos Einzelbettzimmer war eines der vielen unbeleuchteten. Als die Tür ins Schloss fiel, knipste er seine Nachttischlampe an.

"Yo."

"Sag nicht 'yo'!", fauchte Sakura und verpasste ihm eine Kopfnuss. "Du lagst elf Tage im Koma. 'Yo' ist ein bisschen nonchalant dafür."

"Was auch immer", wehrte er grinsend ab. Sakura musterte ihn erleichtert. Mit seiner Frohnatur sah er nicht schlecht aus. Sein für einen Japaner recht dunkler Teint war ansatzweise wieder hergestellt und elf Tage hatten genügt, um die meisten Schrammen und Blessuren auszumerzen. Alles in allem wirkte er, als habe er nichts, das sich mit einer Schüssel Ramen nicht beheben lassen könnte. "Wieso starrst du so, Sakura-chan?"

"Ich habe mir Sorgen gemacht, du Dummkopf! Hinata hat tagelang geweint."

Plötzlich wurde er aschfahl. "Ihr habt es ihr gesagt?"

"Du hattest sie als Notfallkontakt angegeben", mischte Sasuke sich mit einem Schritt an sein Bett ein. "Du lagst im Koma. Was hätten wir ihr sagen sollen? Dass du auf Urlaub bist? Denk doch nach, bevor du etwas sagst."

"Wir wussten nicht einmal, ob du jemals wieder aufwachst!", schalt Sakura ihn mit einem liebevollen Schlag gegen den Oberarm, dessen getroffene Stelle er rieb.

"Unkraut vergeht nicht. Ich finde es rührend, wie du dich um mich sorgst, Sakura-chan. Hast du auch um mich geweint?"

Sie blitzte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. "Nicht eine Träne, du Unkraut." Das schmale Lächeln auf ihren Lippen verblasste, als sie bemerkte, wie er unbewusst über die Narbe rieb, die die angeheftete Nachricht hinterlassen hatte. "Wer war es, Naruto?", fragte sie ernst. Ihr graute vor der Antwort. Als er seinen Mund zu einer Antwort öffnete, fürchtete sie für eine Schrecksekunde, einen bestimmten Namen zu hören. Uchiha hatte bestritten, etwas damit zu tun gehabt zu haben. Direkt zumindest. Sie hätte ihm diese flache Lüge zugetraut. Aber sich selbst nicht, darauf hereinzufallen. Sie glaubte an seine Unschuld in diesem Belangen. Ein kleiner Teil in ihr wollte ihm glauben, weil damit alles andere zusammenhing. Wenn ihr Gefühl sie hier nicht im Stich ließ, betrog es sie in anderen Belangen gewiss auch nicht.

"Ich weiß es nicht."

Ihre Erleichterung war zweischneidig, aber hier. "Was heißt, du weißt es nicht?"

Naruto zuckte die Schultern. "Das heißt, ich habe ihre Gesichter erkannt, aber ich habe keinen Schimmer, zu wem sie gehörten. Du weißt, dass ich nie ein Gesicht vergesse, das sich mit mir anzulegen versucht, Sakura-chan. Scheint, als hätten diese Typen aus der Bar vor zweieinhalb Monaten ihre Lektion nicht gelernt."

Sie versuchte, sich zu erinnern. "Die beiden Männer und das Mädchen, die uns an unserem ersten Tag auf der Suche nach Uchiha Itachi in die Quere gekommen sind?"

"Die Visage von diesem Hampelmann mit dem Buckel werde ich nie vergessen", spuckte er abfällig aus. "Und die Emanze auch nicht. Ich bin mir sicher, sie arbeiten für Akatsuki."

Sasuke wurde hellhörig. Sakura konnte sehen, wie er die Schultern nach hinten nahm und die verschränkten Arme anspannte. "Ich denke genauso. Mein gestörter Bruder machte bereits Andeutungen über meine Freunde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er euch belästigt. Wir können von Glück reden, dass ihr noch lebt. Ich bin mir sicher, Itachi würde euch vor meinen Augen häuten, um mich schreien zu hören."

Sakura hob eine Augenbraue ob dieser pathetischen Aussage. Sie kannte ihre eigenen Drohungen, die sich mit der Zeit an Sasukes Formulierungen angepasst hatten, doch so weit würde sie nicht gehen. Um jemanden zu häuten, gehörte sehr viel mehr Abartigkeit dazu, als Uchiha vorzeigte. Dennoch hatte Sasukes seinen Punkt; er kannte seinen Bruder besser als jeder andere. Seine Sichtweise war nichtsdestoweniger subjektiv. Instinktiv fragte Sakura sich, ob ihre Perspektive so objektiv war, wie versuchte sich einzureden. War sie in der Position, Uchihas Intentionen zu beurteilen?

"Bitte", sagte Naruto. Seine blauen Augen waren auf seine Fäuste niedergeschlagen, die sich in die Bettdecke krallten. "Ich werde nicht so schnell hier rauskommen und wenn, wird Hinata-chan mich wochenlang hüten wie ein rohes Ei. In meinem Zustand wird es dauern, bis ich wieder einsatzfähig bin. Ihr seid noch immer drei Leute. Die Besten. Tut mir einen Gefallen" Er ergriff Sakuras Hand und umklammerte sie mit seinen beiden. Sein Blick durchbrach jede emotionale Barriere, die sie seit Jahren vor ihm aufstellte.

"Alles, Naruto."

Sein Griff verfestigte sich, als sich seine Augenbrauen nach unten schoben. "Tötet Uchiha Itachi und zahlt ihm heim, was er mir und Ino angetan hat."

Drei Köpfe nickten.
 

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Wie naiv konnte ein einzelner Mensch sein?

Sasuke hatte sich schon oft gefragt, wie beispielsweise Sakura durchs Leben kam. Sie war klug, keine Frage, aber sie war viel zu nachsichtig. Es gab Dinge, die musste man in einer klaren Linie durchziehen. So wie er. Sakura war eine Sache. Dass Karin nach seinem Anruf binnen zwei Stunden an den alten Docks auftauchte, zu denen er sie bestellt hatte, eine ganz andere. Er schätzte sie nicht als dumm genug ein, seinem Ruf blind zu folgen. Viel eher hatte er sie mit Neugierde und rauem Charme geködert. Er hatte sich dem unruhigen Meer zugewandt, dessen salzige Gischt an diesem grauen Tag vom Wind den Betonboden der verlassenen Werft bespritzte. Neben Algen und kleinen Steinchen, lagen Muschelbruchstücke und Glasscherben neben vertrockneten Blutspuren. Es war sein Blut, unter anderem, das seit drei Jahren dort klebte. Die Stadt hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Tatort zu reinigen. Sofern die Polizei überhaupt von der Verkettung unglücklicher Umstände wusste. Damals war ein Mord an einem gesuchten Schwerverbrecher begangen worden. Es war nicht so, als interessierte es jemanden.

Er drehte sich um, als er Schritte hörte, nur um in den Lauf einer Schusswaffe zu sehen.

"Was willst du von mir?", blaffte sie ihn an. Der raue Wind vertrug ihre Stimme. Sasuke stand gemächlich auf. Sie würde nicht auf ihn schießen. So viel Mumm hatte sie nicht.

"Ich habe den leisen Verdacht, du könntest mir behilflich sein."

"Wie bist du an meine Telefonnummer gekommen?"

Sasuke machte einen geschmeidigen Schritt zur Seite, drehte ihr Handgelenk um und nahm ihr mit einem groben Handgriff die Waffe aus der Hand. Sie würde einige schöne Blutergüsse als Erinnerung behalten dürfen. Die Glückliche. Die Waffe war ein ihm unbekanntes Fabrikat, sehr viel weniger wertvoll als die Mauser, mit dem sie ihn das erste Mal bedroht hatte. Er sicherte sie und schwang ihren Abzug um den Zeigefinger, die andere Hand noch um ihr Handgelenk.

"Erstens, stelle ich die Fragen. Merk dir das. Es spart uns eine Menge Zeit, wenn du klar und deutlich antwortest, anstatt Forderungen oder Drohungen auszusprechen, zu denen du weder Anlass, noch Recht hast. Zweitens, solltest du nicht weniger aufbieten, bloß weil ich dich letztes Mal nicht umgebracht habe." Demonstrativ schob er den Lauf der Pistole in den hinteren Teil seines Gürtels, wo sie ihn nicht erreichen konnte. Erst dann ließ er sie los. Karin wich, sich die schmerzende Stelle reibend, instinktiv einige Meter zurück.

"Beantwortest du meine Frage trotzdem? Bitte. Ich wüsste gerne, wem ich demnächst einige Takte erklären sollte."

Sasuke zuckte die Schultern. "Ich habe meine Kontakte überall. Orochimarus Leute sind nicht schwer ausfindig zu machen, sofern man weiß, wo man suchen muss. Er ist ein risikofanatischer Narzisst, der aufgrund seiner vermeintlichen Unantastbarkeit größenwahnsinnig ist. Ihr seid nicht so geheimnisvoll, wie eure kleine Kindergartengruppe denkt."

"Tsk", machte sie wenig begeistert. "Deshalb bestellst du mich in diese geschlossene Werft? Willst du mir Angst einjagen, Sasuke, indem du mich in Akatsukis altes Lager zitierst?"

Wie er vermutet hatte. Karin kannte diesen Ort. "Woher weißt du, wem die Docks einst gehörten?"

Sie machte eine wegwerfende Geste zu den verwitterten Kuppelbauten hinter ihr. "Denkst du, ich wäre erst gestern dabei? Selbst die niedersten Maden haben von den Dingen gehört, die einst hier geschahen. Hast du vergessen, wessen Gefangener du damals warst? Ich war zu diesem Zeitpunkt im Ausland, aber auf dich wurden Hohnlieder gesungen, als deine Freunde dich retten mussten. Es war Orochimarus Pech, dass er zufällig das alte Lager von Akatsuki auswählte, um dich exemplarisch abzuschlachten. Wer hätte wissen können, dass einige von ihnen zurückkämen, um uns zu stören? Drei Fronten und mehrere Tote. Es machte die Runde unter Orochimaru-samas Gefolgsleuten. Dass Hidden Leaf es fertig gebracht hatte, einen von Akatsukis Topleuten zu töten, passiert nicht alle Tage. Und wie man hört, wird euch vielleicht sogar doppelter Ruhm zuteilwerden, solltest du es schaffen, dein Vorhaben zu bewerkstelligen."

"Wisch dir das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht, Karin", sagte Sasuke. Sie sollte nicht denken, sie wüsste etwas über ihn. "Dass ich meinen Bruder töten will, ist kein Geheimnis. Da wir gerade davon reden: dies ist der Grund, wieso du hier bist."

"Itachi?"

"Sein derzeitiger Aufenthaltsort wohl eher. Weißt du etwas darüber?"

Eine Böe fegte über den Hafenplatz hinweg und nahm einige vertrocknete Algen mit sich ins Meer zurück. Karin wischte sich einige lose Strähnen aus dem blanken Gesicht. "Wie kommst du darauf?"

"Ich bitte dich", tadelte er süßlich. "Orochimaru arbeitete einst eng mit Akatsuki zusammen, ehe er sich autark machte. Nichtsdestoweniger ist die bestehende Kooperation ein offenes Geheimnis. Wenn jemand weiß, wie man die Mitglieder kontaktieren kann, dann wohl eines von Orochimarus Schoßhündchen. Ich sollte dich alleine für die Dreistigkeit, zweimal eine Waffe auf mich zu richten, erschießen. Aber ich lasse Gnade vor Recht ergehen, wenn du mir hilfst. So haben wir beide etwas davon."

Sie biss sich auf die Lippen und leckte das Blut von ihnen ab. Mit Genugtuung beobachtete Sasuke ihre Geste, die etwas verwegen Sinnliches hatte. Er überwand die Distanz zwischen ihnen und legte eine Hand bedrohlich an ihren schlanken Hals, wo er spüren konnte, wie sie schluckte. Mit der anderen zog er sie näher an sich heran. Die Kunst der gefährlichen Verführung hatte er von Itachi abgekupfert. Sie funktionierte immer.

"Ich würde mir gut überlegen, was ich antworte, wenn ich in deiner Position wäre."

Sie schluckte unter seinen Fingern erneut, als er sie fester an ihre Lymphknoten presste. "Ich. habe. keine. Ahnung", wiederholte sie steif, bewusst unbeeindruckt. Eine Lüge, wie sie beide wussten. Sie war hier, das sagte alles. "Aber ich kenne jemanden, der es weiß."

"Gib mir die Adresse."

Sie lächelte herausfordernd. "Beiderseitiger Vorteil, sagtest du", erinnerte sie ihn mit zwei erhobenen Fingern. "Mein Leben zu behalten, erachte ich nicht als fairen Tausch. Wenn ich wollte, könnte ich dich auf der Stelle töten. Denkst du, dieses billige Ding ist meine einzige Waffe?" Sie rückte mit ihrer Taille an seine Hüfte, um ihn den Griff des Messers spüren zu lassen, das unter ihrer violetten Bluse in einer Scheide steckte. "Wie wäre es, wenn wir die Konditionen neu überdenken?"

Freigiebig entließ er sie aus ihrem Gefängnis, um die geschäftliche Distanz wieder herzustellen. "Ich höre?"

"Ich will den Ruhm, Uchiha Itachi getötet zu haben. Orochimaru-sama kann deinen werten Bruder nicht recht leiden. Es würde mich vor ihm ein ganzes Stück weiterbringen, Uchiha Itachis Tod auf meine Rechnung zu schreiben. Der Deal läuft wie folgt: ich helfe dir, an die Adresse zu kommen. Du und deine Freunde legen ihn stillschweigend um. Du bekommst deine Rache, ich bekomme die Reputation."

Sasuke verschränkte die Arme vor der Brust. Diese Sache klang gut, bloß hatte sie einen Haken: "Itachis Blut bringt dir nichts, außer vor Orochimaru. Und wenn ich dich daran erinnern darf, haben wir noch eine andere Abmachung. Nach Itachi wird Orochimaru fallen und Ōsaka von diesem niederträchtigen Gesinde befreit sein. Vergiss nicht, was der Preis für dein Leben war."

"Ja, ja", winkte sie ab, ihr Gewicht auf den anderen Fuß verlagernd. "Lass das nur meine Sorge sein. Ich werde dich wie versprochen nicht davon abhalten, Orochimaru-sama zu töten. Glaub' bloß nicht, ich sei das einzige Hindernis zwischen dir und ihm. Es gibt sehr viel Stärkere als mich, die als seine Leibwächter fungieren. Haben wir einen Deal?"

Ohne Zögern nahm er ihre dargebotene Hand an, innerlich höhnisch lachend über die Leichtfertigkeit, mit der sie das Leben dieses Mannes aufs Spiel setzte. An jenem Tag hätte Karin einen Hellseher gebraucht, um den Leichtsinn ihrer Worte zu begreifen.
 

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Mit einem Glas Wodka Maracuja in der Hand, sprach es sich leichter über die Welt. Betrunkene sprachen oft die Wahrheit, so sagte man, und an diesem Nachmittag—der zweite Tag nach Narutos eindeutiger Bitte—hatte Sakura Lust, sich aus dem Leben zu schießen. Sie war müde, verwirrt, ausgelaugt und zerrissen. Da waren Naruto, Ino und Sasuke auf der einen Seite. Auf der anderen Itachi und eine ganz andere, verschleierte Wahrheit. An Narutos Peinigern ließ sich zweifeln, doch Ino war zweifelsohne von ihm attackiert worden. Daran gab es nichts zu rütteln.

"Ich bin selbst schuld", meinte diese mit einer wegwerfenden Geste gen Fenster. "Eine einfache Kellnerin sollte sich eben nicht mit einem hyperintelligenten Kriminellen anlegen. Er hätte mich töten können, hat es aber nicht. Das ist doch ein Pluspunkt, hm?"

"Seit wann stehst du auf Itachis Seite?"

"Itachi?"

"Halt die Klappe." Sakura stellte das Glas ab, lehnte sich zurück und winkte den Ober zu sich, um ein Dessert zu bestellen. "Und wisch dir das bescheuerte Grinsen aus dem Gesicht."

Die Kneipe, in die sie Ino entführt hatte, war ein lärmendes Pub, dessen Tische gespickt waren mit angetrunkenem Volk, das Fußball auf einer der Leinwände sah. Es war ein Vereinsspiel zwischen Ōsaka und Ujitawara, das die beiden Frauen als Deckmantel für eine Unterredung der besonderen Art nutzten. Sakura hatte nicht vorgehabt, an dem Frauenabend über ihre Arbeit zu sprechen. Sie vermied es, Ino zu involvieren. Man hatte gesehen, was dabei herausgekommen war, wenn sie sich einmischte. Doch—und dies war der Hauptgrund, wieso Sakura ihre Vorsätze über Bord geworfen hatte—sie musste mit jemandem sprechen. Ino hatte ein instinktives Gespür für die emotionale Lage ihrer Mitbewohnerin; und ihrer Kundgebung nach, war Sakura in letzter Zeit ein nervliches Wrack. Ein Umstand, den sie nicht bestreiten konnte. Es ging schon lange nicht mehr um das Für und Wider, ebenso wenig wie dieser Auftrag noch etwas mit Hidden Leaf zu tun hatte. Dies alles war zu persönlich, um sich davon zu distanzieren.

"Es ist nur so …", begann sie, brach jedoch ab. Wie war es? Sie wusste es nicht. "Es gibt keinen roten Faden, an dem ich mich orientieren kann. Da ist Sasuke, der die offiziellen Berichte der Uchiha-Affäre für wahr erachtet. Wieso sollte ich ihm nicht glauben? Er war immerhin dabei. Uchihas Geständnis ist eindeutig. Andererseits ist da Uchiha selbst, der Andeutungen fallen und offene Fragen zurück lässt, bloß um mich in etwas zu werfen, das mich je nach Strömung in eine andere Richtung treibt."

Ino sah in ihr halbleeres Wodka Tonic, in dem sich ein Stiel Limonengras an einer Handvoll Eiswürfeln vorbeischlängelte. "Glaubst du ihm?"

Das war die Frage, vor der Sakura Angst gehabt hatte. "Etwas passt nicht zusammen", wich sie nicht unbedingt geschickt aus. Sie schwenkte einen kleinen Eiswürfel, bis er sich in ihrer orangefarbenen Wodka-Maracuja-Mischung aufgelöst hatte. "Er macht nicht den Eindruck, als bringe er jeden Tag zig Menschen um, weil es ihm Spaß macht. Dazu ist er zu … normal. Nicht, dass ich behaupten würde, jemand, der einen Mehrfachmord gesteht, könnte normal sein, aber letztendlich …"

"Letztendlich fehlt dein Gefühl", komplettierte Ino. "Sakura, Süße, das sagst du seit wir hier sind. Zwei Stunden lang kaust du mir ein Ohr damit ab, wie unlogisch alles ist, bloß um der finalen Frage auszuweichen: glaubst du ihm? Das ist die Quintessenz des Ganzen, ob du es wahrhaben willst oder nicht. Itachi ist ein anziehender Charakter, das ist mir mehr bewusst als jedem anderen, und er ist Sasukes großer Bruder, was ihn auf bedenkliche Art und Weise für dich relevant macht. Was ich damit sagen will: mach' nicht den Fehler, zwischen Assoziation und Annahme zu verwechseln. Du schreibst Sasuke viele positive Eigenschaften zu. Vielleicht überträgst du sie ja auf Itachi und machst ihn somit zu jemandem, der er gar nicht ist."

Sie stellte das Glas auf die Tischplatte. "Du meinst, ich würde Itachi mit Sasuke verwechseln?"

"Sie sind sich sehr ähnlich", schloss Ino ihre Beweisführung ab. "Sakura, ich wage nicht, das zu sagen, weil ich weiß, dass du sehr gut auf dich aufpassen kannst, aber ich mache mir Sorgen." Sie langte über den Tisch, um Sakuras Hand aufzunehmen. "Lass dich nicht in Itachis Spiel hineinziehen, wenn du nicht weißt, was er vorhat. Ich denke nicht, dass er es aus Spaß an der Freude macht. Er verfolgt ein Ziel damit, dir Happen hinzuwerfen, die du nach der Reihe kauen musst."

"Das ist ein widerliches Beispiel, Ino."

"Häng' dich doch nicht an Kleinigkeiten auf!" Ino schnalzte mit der Zunge. Sie hatte Recht. In allem, was sie sagte. Sakura musste sich entscheiden: wem glaubte sie? Oder, besser gesagt: wessen Wahrheit vertraute sie? Dass jeder der Uchiha-Brüder für sich seine eigene Realität geschaffen hatte, in der er lebte, war ohne Zweifel bewiesen. Die Frage war, wessen Welt überschnitt sich am meisten mit den wahren Geschehnissen?

Ino zahlte, nachdem sie zu zweit das Dessert vernichtet hatten, und rief ein Taxi. "Fährst du mit?", fragte sie, als sie die Tür geöffnet hatte.

"Ich weiß es nicht. Sasuke geht nicht an sein Handy, obwohl ich ihn schon seit gestern Vormittag versuche zu erreichen. Das letzte Mal, als jemand nicht zu erreichen war …"

"Naruto. Ja. Sollen wir zusammen zu Sasuke fahren? Du weißt doch, wo er wohnt."

"Ich versuche es ein letztes Mal, dann fahren wir hin." Sie führte das Telefon erneut an ihr Ohr. Zwei Freizeichen, drei, vier, fünf—

"Hallo? Sakura?"

"Sasuke-kun!", rief sie erleichtert aus. "Endlich. Wieso hast du nicht zurückgerufen?"

"Ich war beschäftigt. Sakura, ich konnte herausfinden, wo Itachi abgestiegen ist. Wir treffen uns um halb sieben dort, wo ich dich neulich abgeholt habe. Es ist ganz in der Nähe. Stell' ein Team zusammen. Dieses Mal kriegen wir den Schweinehund." Er wollte bereits auflegen, als er das Telefon zurück ans Ohr führte. "Und, Sakura, nimm das Remington."

Tenten hätte ihn dafür geohrfeigt. Man nahm nicht das Remington—das war der allgemeine Begriff für elektrische Haarstylingprodukte. Wenn man einer ausgebildeten Scharfschützin sagte, sie solle ein Snipergewehr benutzen, lautete das Codewort: M40A5. Woher Sasuke wusste, dass Tenten das Repetiergewehr umgebaut hatte, war ihr schleierhaft, dafür wusste sie eines: Unertl-Scope MST-100 mit zehnfacher Vergrößerung und MilDot-Absehen, .308 Kaliber, vierundzwanzig Zoll Schneider Match Gewehrlauf. Das M40 war jene Waffe, mit der Sakura ausgebildet worden war. Die modifizierte A5 Version war besser. Egal wie Sasuke es nannte, in den Händen eines überragenden Snipers war es die tödlichste Waffe in Uchiha Itachis Welt.

Es war eine gute Nachricht, so viel war sicher. Narutos Wunsch würde sehr viel schneller in Erfüllung gehen, als Sakura veranschlagt hatte. Sie lieh sich Geld von Ino, um ein zweites Taxi an den Straßenrand zu winken, und stieg mit einem flauen Gefühl im Magen ein. Sie hätte sich vor Aufregung übergeben können. Ihre Finger zitterten auf ihren Schoß und als sie dem Fahrer die Scheine in die Hand drücken wollte, flatterten sie lose durch den Innenraum des Fahrzeugs. Sie machte sich nicht die Mühe, das Geld einzusammeln, sondern stieg mit einer fahrigen Entschuldigung aus. Es fühlte sich an, als wäre etwas in ihr verschwunden, das beklemmende Leere hinterließ, die sie erdrückte. Paradoxerweise.
 

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Das Krankenhaus lag in geschäftiger Ruhe, die unüblich war. Vielleicht kam es ihr aber auch nur so vor. Sakuras Sinne schienen wie in Watte gepackt. Sie konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als sie ihren ersten Menschen erschossen hatte. Es war fünf Jahre her; die Erinnerung präsent, als sei es gestern gewesen. Als Heckenschützin hatte sie sich noch nie die Hände schmutzig machen müssen. Auch diesmal würde es so sein. Dieses Mal war nicht anders als die letzten Male. Sie hatte einen Auftrag. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Dame am Empfang ignorierend, steuerte sie auf das Treppenhaus zu. Jede einzelne Stufe fühlte sich an wie eine nur schwer überwindbare Kluft, dabei war dies bloß der Weg zu ihrem engsten Freund, dessen Lächeln sie brauchte, um stark zu werden. Sie musste ihm erzählen, dass bald alles vorbei sein würde; dass er sich keine Sorgen mehr machen müsste. Sie brauchte diese Bestätigung wie seinen Segen, um ein reines Gewissen zu haben.

Was machte sie sich vor?

Selbst wenn Naruto ihr Absolution versprach, würde es sie nicht von der Sünde freisprechen, ein weiteres Menschenleben genommen zu haben. Sakura war kein gläubiger Mensch. Sie würde jetzt nicht damit anfangen. Oder vielleicht war genau dies der Zeitpunkt, mit einem Gebet zu beginnen. Wie sie es auch drehte, ihr Herz zog sich zusammen. Stärker als sonst, wenn sie den Finger an den Abzug legen musste. Naruto war der einzige, der ihr Mut machen konnte.

Wie in Trance stolperte Sakura den Flur entlang. Die Tür war geöffnet, so wie immer in Krankenhäusern. Sie betrat das Zimmer und suchte es instinktiv nach seinem temporären Bewohner ab. Ein Schock schlug ihr ins Gesicht wie eine beringte Faust. Das Bett war leer. Mit klammem Bauchweh stieß sie vorsichtig die Tür zum Badezimmer an. Ebenfalls leer. Der Plan am Fußende des Bettes sah keine Untersuchungen vor; Naruto müsste hier sein.

"Akatsuki", wisperte sie entsetzt. Sie konnte es nicht glauben. Es war unmöglich. Nicht jetzt. Nicht in seinem Zustand. Tausend Gedanken preschten auf sie ein; bloß einen konnte sie formulieren. Sie wusste, wer dafür verantwortlich war. Nicht zu bändigender Hass schürte sich wie von selbst in ihrem Inneren und riss die Barrikade nieder, die sie hatte zweifeln lassen. Dieses Mal waren sie zu weit gegangen. Dieses Mal würde jemand dafür sterben.

Uchiha. Itachi.
 

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Trigger At Ease


 

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"Weg? Wie weg? Wohin weg?Was soll das heißen—'Naruto ist weg'?"

Sakura hielt die Hand an ihr pochendes Herz gepresst. Sie fühlte sich, als habe sie die gesamte Taxifahrt über nicht geatmet. Es war selten, dass Hidden Leafs gesamte Belegschaft in einem Raum versammelt war. Die Situationen waren meist nicht ernst genug, um sämtliche verfügbaren Kräfte anzufordern. Diesmal hatte Tsunade eine Ausnahme gemacht.

"Dass Naruto verschwunden ist!", wiederholte Sakura schnaufend. "Wir haben keine Zeit für Erklärungen! Akatsuki hat ihn, daran besteht kein Zweifel!"

"Wir vermuten doch Orochimaru hinter dem Anschlag auf ihn!", warf Tenten ein. Sie und ihr Team hatten den Tracker, auf den sie angesetzt waren, vor einigen Tagen erledigt.

Sakura wischte ihren Einwand weg. "Schon, aber Orochimaru ist hinter Sasuke her, nicht hinter Naruto." Sie zeigte einen Zettel vor. "Den habe ich auf seinem Bett gefunden. Es ist die Aufforderung, Uchiha Itachi in Frieden zu lassen. Nicht nur, dass eine Forderung für Akatsuki spricht. Was hätte Oto davon, Itachi aus seiner Misere zu befreien?"

"Misere?", wiederholte Tsunade. "Inwiefern befindet er sich in einer Misere?"

"Ich meine nicht Misere", wandte sie ein, ihre unbedachte Wortwahl revidierend. "Wir haben ihn. Sasuke-kun fand seine Adresse vor wenigen Stunden heraus. Wir waren gerade dabei, uns zu sammeln und eine erste Lagebesprechung zu veranschlagen, als Naruto verschwand. Der Zeitpunkt kann kein Zufall sein, Tsunade-sama."

"Das sehe ich ein." Sie biss sich auf den Daumennagel, der abbrach und durch die geladene Luft nach unten fiel. "Wir müssen Uchiha natürlich um jeden Preis ausschalten, allerdings werden wir Naruto dadurch nicht gefährden. Solange Naruto in ihren Händen ist, fühlt Uchiha sich sicher. Sollten wir ihn töten, werden sie es uns mit Narutos Kopf heimzahlen. Sobald wir ihn befreien, wird Uchiha verschwinden. Uns bleibt keine Wahl. Wir werden zwei Teams bilden: Kakashi, Asuma, Sai, ihr kümmert euch um Naruto. Akatsukis Hauptquartier liegt zwar irgendwo in Kita, aber sie werden ihn dort kaum festhalten. Verfolgt die Spur, die ihr vor einigen Tagen aufgenommen habt. Ich bin sicher, an ihrem Ende ist Naruto. Sakura, du bist unsere einzige Scharfschützin. Uchiha ist ein gerissener Gegner, den man nicht unterschätzen darf. Ziel genauer als jemals zuvor. Wenn du eine Sekunde lang zögerst, ist alles, wofür ihr gearbeitet habt, zerstört. Du weißt, was du kannst."

"Wir geben dir Rückendeckung", sagte Lee, indem er seine Hand auf ihre Schulter legte. "Keine Sorge, Sakura-san, wir alle vertrauen dir."

Sie schluckte einen schweren Kloß hinunter. Wenn sie sich selbst bloß ebenso vertrauen könnte.
 

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Sakuras Finger zitterten. Noch nie zuvor war es ihr passiert, dass sie auf der Lauer unruhig geworden war. Es grenzte an physiche Höchstleistung, mit einem Auge durch das Visier ihres Gewehrs zu sehen, während sie stocksteif in unbequemer Haltung auf dem Tisch lag, den sie mit Tentens Hilfe zurechtgerückt hatte. Sasuke hatte noch vor seinem Anruf vor vier Stunden ein Zimmer in einem gegenüberliegenden Hotel gebucht, in das er sein Team zur Planung ihres Feldzuges geführt hatte. Tenten war bei Sakura geblieben, um sie im Falle eines Gegenangriffs so lange zu verteidigen, bis sie den finalen Schuss gesetzt hatte. Lee und Sasuke waren an der West- und Ostseite des Zielgebäudes positioniert, von wo aus sie die Umgebung nach Hinterhalten sondierten. Ihre Patrouillengänge umfassten einen Radius von einhundert Metern. Wer in dieses Radar kam, wurde gnadenlos eliminiert. So der Plan.

Auf dem Bauch liegend, lockerte sie ihre Schultern. Sakura war es gewöhnt, viele Stunden in derartigen Positionen zu verharren, bis das Ziel endlich vor ihre Linse stolperte. Es war unvorteilhaft, den Lauf zu adjustieren, also beschränkte sie sich auf einen kleinen Teilbereich des mittleren Fensters, durch dessen halb geschlossene Fensterläden sie nur Bruchstücke des Hotelzimmers erspähen konnte. Sobald Uchiha das Gebäude betrat, würden Sasuke oder Lee es melden.

"Ich hoffe, Naruto geht es gut", murmelte Tenten. Sie spielte mit einem Armeemesser, das Sakura ihr vor geraumer Zeit geschenkt hatte.

"Wir dürfen uns darüber keine Gedanken machen", erwiderte Sakura leise. Sie öffnete ihr linkes Lid, um das rechte Auge zu entspannen. Ihr Nacken waren verspannt, während ihr Kopf sich so leer anfühlte wie noch nie. Ohne nachzudenken Befehlen zu gehorchen—das war der Grundsatz gewesen, wegen dem sie ihre Vergangenheit hinter sich gelassen hatte. Sie wollte gerne glauben, dass es richtig war, was sie tat. Zumindest fühlte es sich nicht falsch an. Aber richtig? Ehrlich? Es waren Sasukes Überzeugungen, die sie vertrat, nicht die ihren.

"Ein wahres Wort." Tenten hörte auf, an einem Fingernagel zu kauen, und erhob sich von dem Hotelbett, auf dem sie geweilt hatte. Neugierig trat sie zu Sakura ans Fenster, aus dem sie unter zusammengezogenen Augenbrauen spähte. Durch den Knopf im Ohr lauschte sie angespannt Sasukes Selbstgesprächen, deretwegen sie aufgescheucht worden war. Wenn Sasuke sprach, war etwas geschehen.

"Sasuke."

Sakura vernahm ihre eigene Stimme wie durch einen Wall aus feinster Baumwolle. Sie klang stumpf, trocken. Niemandem schien es aufzufallen.

"Bleib' ruhig, Sakura", mahnte er, ohne Bezug auf ihre Tonlage zu nehmen. Es war ein Mantra für ihn selbst. "Itachi betritt das Gebäude. Ich werde ihm folgen, um sicherzugehen, dass er keinen Abstecher macht."

"Nein", verbat sie, die zittrigen Finger in Hochspannung am Abzug. Der Rand des Visiers drückte unangenehm gegen ihre Augenränder. "Er wird mir schon vor den Lauf springen. Tu nichts Unüberlegtes."

"Da!", rief Lee dazwischen. "Grüner Habicht sichtet einen weiteren Akatsuki an der Ostseite des Gebäudes. Er ist identifiziert als Hoshigaki Kisame. Er betritt das Hotel."

"Hör mit diesem Agentencode auf, Lee", sagte Tenten matt. Sie hatte ein Fernglas ans Gesicht gepresst, um Uchihas Zimmer weitwinkelig zu observieren. "Er ist nicht da." Es war an Sakura gerichtet, die sich ihre Unterlippe längst blutig gebissen hatte. Der Schmerz war eine willkommene Abwechslung zu dem schrillen Stechen in ihrem Nacken.

"Was soll das heißen?"

"Er hat das Zimmer noch nicht betreten. Sasuke, wohin fährt der Aufzug?"

Er gab einige Sekunden lang keine Antwort, als er in das Foyer des Hotels schlüpfte und sich jenem Aufzugschacht näherte, den Itachis Partner nur wenige Minuten nach diesem genommen hatte. "Oberster Stock. Vermutlich die Dachterrasse."

Sakura fluchte innerlich. Während sie ihre behelfsmäßige Vorrichtung demontierte, um den Tisch wegzuschieben, spürte sie Flammen des Zorns, aber auch der Erleichterung in sich aufzüngeln. Erst mit neuerlichem Ausrichten ihrer tödlichen Waffe, verebbten diese diffusen Gefühle wie durch Zauberhand. Sie versuchte, Professionalität zu wahren. Doch Emotionen verschiedenster Art erschlugen ihre neutrale Sicht der Dinge. Wie Itachi auf der Dachterrasse stand, mit gelockerter Krawatte, das Jackett leger mit einem Finger durch die Schlaufe um die Schulter geworfen, ließ ihr Herz rasen. Ihr Puls war grenzwertig, ebenso ihre zurückgegangene Speichelproduktion, die ihren Mund staubtrocken werden ließ, als habe sie Sand gegessen. Sehr viel Sand. Dem war keineswegs so, das wusste sie. Uchiha hatte sie vom bittersüßen Nektar seiner selbst kosten lassen, von den wirren Abgründen, die im Licht der Pragmatik beleuchtet gar nicht mehr so wirr und abgründig waren.

Sie zweifelte.

Seit Wochen.

Endlich akzeptierte sie es—dies war dummerweise ein denkbar schlechter Zeitpunkt dafür. Noch hätte sie eine Chance, sich umzuentscheiden. Uchiha hatte sich eine Zigarette angesteckt, die er genüsslich einsog. Ebenso, wie der Wind den Rauch vertrug, den er ausblies, schob auch sie alles andere beiseite. Sie adjustierte ihre M40A5 neu, sodass der Mittelpunkt ihres Zielvisiers zwischen seine Augen gerichtet war. Sich zum wiederholten Mal auf die Lippen beißend, suchte sie seine Brust, seine Lendengegend, seine Beine und zum Schluss sein Gesicht. Welcher dieser Punkte würde Sasuke am ehesten erfreuen? Sie hatte ihm versprochen, er dürfte seinen Bruder töten. Dass sie ihm diesen Mord abnahm, war ihr unangenehm. Sasuke hatte nicht protestiert, als Tsunade sie darauf angesetzt hatte. So ernst war es ihm. Sie musste es tun. Für Sasuke.

Die feinen optischen Linien des Visiers liefen direkt auf Uchiha Itachis Nasenwurzel zusammen. Dort würde sie treffen. In drei, zwei … eins.

Den Finger bereits am Abzug, zögerte Sakura.

Verdammt, sie hatte Wochen gebraucht, um ihn aufzuspüren. Zusammen mit ihrem Team hatte es drei Monate und eine Menge kreativen Wagemuts gebraucht, bis sie endlich seinen Aufenthaltsort hatten ausfindig machen können. Mit seinem Zutun. Er hatte es so gewollt. Akatsuki für sich war für niemanden schwer aufzuspüren. Sie ließen eine signifikante Spur der Zerstörung hinter sich, doch wenn es darum ging, ein einzelnes Mitglied dieses Verbrecherrings zu lokalisieren, kam man vom Regen in die Traufe. Zusammen waren sie ein unbezwingbares Bollwerk krimineller Energie; jeder für sich so fadenscheinig wie Rauch. Man konnte ihn von irgendwo aufsteigen sehen, aber man kam ihm niemals nahe genug, um ihn zu fassen.

"Möchtest du auf ein Glas Wein mit hoch kommen?"

Sie spüre ihre Wangen heiß werden bei der Erinnerung an die eindeutige Einladung. Scheiße! Sie, Sakura Haruno, war ein Topmitglied von Hidden Leaf, einer Gruppe elitärer Assassinen, ausgebildet, um präzise, schnell und sauber zu töten. Radikale politische Oppositionäre, unkooperative Manager, Schmuggler, Schlepper, unliebsame Lobbyisten, Typen wie Uchiha. Er stand auf der Prioritätenliste ganz weit oben. Sie hatte viel geopfert, um ihn in ihr Visier zu bekommen. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt. In Anzug und gelockerter Krawatte stand er auf der Dachterrasse seines unverschämt luxuriösen Appartements. Schutzlos. Ohne Deckung.

"Auf was wartest du, Sakura?"

Die männliche Stimme in ihrem Ohr erschreckte sie so sehr, dass ihr Finger sich unwillkürlich fester an den Abzug ihrer in Eile stümperhaft modifizierten M40A5 schmiegte. Die Präzisionswaffe war auf einem Remington-700-System SA gebaut worden; einer Waffe, mit der sie seit sie siebzehn gewesen war geschossen hatte. Effektive Reichweite eintausend Meter. Das Fenster, aus dem sie schießen würde, war keine achtzig Meter entfernt. Sie würde treffen.

"Sakura!", drängte die Stimme erneut.

"Halt deine Klappe, Sasuke", zischte sie in das kleine Mikrofon, das am Kragen ihres Shirts angebracht war. "Er ist dein Bruder."

"Das macht nicht ungeschehen, was er getan hat. Wen er bedroht hat! Drück ab, oder ich werd's tun!"

Sakura schloss für einen Atemzug die Augen. Jetzt oder nie. Sie oder er. Er hatte sie längst entdeckt, noch bevor er seine Krawatte gelockert und sich die Zigarette angesteckt hatte. Uchiha Itachi war so ekelhaft selbstsicher. Er wusste, sie hätte nicht den Mumm.

"Da hat er sich getäuscht."

"Was?"

Sie antwortete nicht. Ihr Team stand an allen Ecken bereit; es wartete nur auf das Zeichen. Bald war Uchihas Zigarette zu Ende. Vier … sie würde nicht versagen. Drei … das war sie Naruto, Sasuke und Ino schuldig. Zwei … sie war es sich selbst schuldig. Eins … der erste Irrtum dieses arroganten Bastards würde sein fatalster werden.

Der Schuss war durch den Schalldämpfer kaum zu hören. Bloß ein paar Vögel flatterten aufgeschreckt von ihren Nestern in die Lüfte hinfort. Sakura spürte den Luftdruck des Rückstoßes. Sasuke sog scharf Luft ein. Tenten schnappte entsetzt nach Luft. Lee stieß erleichter Luft aus. Und Itachi Uchiha ging nach Luft ringend zu Boden.
 

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Haruno Sakura hatte noch nie solches Entsetzen verspürt. Tausende Felsbrocken drückten ihre Lunge zusammen, sodass ihr das Atmen schwerfiel. Tenten tauchte unruhig neben ihr auf. "Hast du getroffen? Sakura, hast du?", fragte sie euphorisch.

Sie konnte nicht antworten. Etwas in ihr wehrte sich dagegen, den Fakt zu akzeptieren, dass Uchiha Itachi tot war. Sie konnte diesen Umstand schlichtweg nicht akzeptieren. Sein Partner war ihr kurz vor die Linse gehuscht, hatte sich jedoch zu seinem Glück entfernt. In ihr drängte sich die Frage auf, ob sie ihn nicht auch noch umlegen sollte. Das machte drei Akatsuki, die auf ihre Rechnung gingen. Sie schüttelte den Kopf, als sie sich von Tenten an der Schulter vom Fenster weggezogen fühlte.

"Sag schon! Ist er tot?"

"Ich …" Sie konnte es nicht aussprechen. Der Widerstand gegen die Tatsache, dass sie Itachi erschossen hatte, war zu vehement. "Ich bin gleich wieder da", hörte sie sich sagen, während sie den Funkknopf aus ihrem Ohr entfernte. "Sag' Sasuke und Lee, sie sollen sich bedeckt halten, bis ich grünes Licht gebe. Hattest du den Übertragungsknopf betätigt?"

"Nein."

"Gut. Noch weiß also keiner, dass der Schuss losgegangen ist." Sie packte ihre Freundin an den Schultern. " Halte die beiden davon ab, raufzugehen. Halte sie hin, erfinde etwas, Tenten, bitte."

"Was hast du vor?"

Tenten erhielt keine Antwort.
 

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"Zweiundsiebzig, achtzig, neunzig, einundneunzig."

Sai setzte das Fernglas ab. Das Funkgerät fand seinen Platz daneben. Die winzigen Kieselsteinchen zerkratzen die Hülle, was ihm nicht egaler hätte sein können. Von unten herauf drang Kakashis Stimme verzerrt durch das Funkgerät.

"Nur vier? Hast du die Entfernungen auch richtig geschätzt, Sai?"

"Ja", sagte er, das Kommunikationsmittel wieder an seine Lippen führend, ehe er es erneut ablegte, um seine Schusswaffe zu entsichern. Kakashi und Asuma waren längst bereit. Es stand drei gegen vier.

Sie hatten nicht lange gebraucht, um die Spur zu der Schneiderei zu finden, in der Naruto gefangen gehalten wurde. Das Seniorteam hatte mit ihrer Vorarbeit einiges erleichtert. Tsunade hatte sie seit Monaten auf Akatsuki angesetzt, endlich machte es sich bezahlt. Nachdem die ersten vier Verstecke eine Finte gewesen waren, hatte sie ihr Weg direkt zu dem Geschäftslokal am östlichen Stadtrand geführt. Die Sonne ging bereits unter und der Plan war vor Stunden beschlossen worden: reingehen, säubern, befreien, flüchten. Klar und einfach, so hielt es die alte Generation von Hidden Leaf, die das Kommando innehatte. Sai ging damit mehr als nur konform. Er vertraute auf den ausgeprägten Sinn für Notwendiges in diesen Belangen. Sie hatten das Areal eine Stunde lang ausgekundschaftet, es war die risikolosere Möglichkeit von vielen anderen. Die Schneiderei war ein Eckhaus vor einem Hain auf einem kleinen Hügel, der die Grenze Ōsakas markierte. Auf diesem Hain waren sie vor zwanzig Minuten in Position gegangen, um auf den richtigen Zeitpunkt zu warten.

"Drei Minuten", zählte Kakashi durch das Funkgerät. Er war an der Nordseite versteckt, von wo aus er sich parallel zu seinen Kameraden anschlich. Sai hoffte, sich tatsächlich nicht verschätzt zu haben. Sein Gespür für Distanzen war normalerweise untrüglich, aber durch ein kleines Kellerfenster zu sehen, war nicht der effektivste Weg, um korrekte Angaben zu tätigen. Naruto befand sich im hinteren Teil des Kellers, so viel war sicher. Das zählte primär.

"Zwei Minuten", setzte Asuma leise fort, seine Stimme so rau wie Reibeisen. Sie hatten den Hain längst verlassen und standen an den jeweiligen Ecken um das Gebäude herum. Wo vorhin noch Rauch aufgestiegen war, zertrat er seine letzte Zigarette vor dem Sturm.

"Eine Minute." Sai hörte seinen eigenen angespannten Ton. Zu dritt gegen vier Mitglieder von Akatsuki hatten sie wenig Chancen. Sie konnten von Glück reden, wenn sie zu viert lebendig aus dem Schlund des Bösen entkamen.

Auf Kakashis Handzeichen hin hörte er auf zu denken, um seinen geschulten Instinkten Vorrang zu geben. Mit schnellen, leichten Schritten, folgte er seinen Kameraden in die Verkaufsräume der Schneiderei. Der Inhaber des Geschäfts japste in Panik auf, als er die drei bewaffneten Männer bemerkte, unterband jedoch jeden weiteren Laut, als die beiden älteren ihre Zeigefinger an ihre Lippen legten. Kakashi deutete mit dem Lauf seiner Pistole nach unten. Der Schneider nickte, Schweißtropfen im Gesicht, die Hände erhoben. Sein Mund formte stummes Flehen, das selbst Sais falsches Lächeln nicht ausmerzen konnte. Er hatte keine Zeit für Gefälligkeiten.

Asuma ging die verwinkelte Steintreppe nach unten voran. Die leisen Schritte waren kaum zu hören, sodass die gedämpften Stimmen zu ihnen drangen. Drei Männer, die mit einer Frau sprachen. Was sie sagten, war nicht zu verstehen. Es war nicht wichtig. Die beiden anderen folgten ihrem Frontmann dicht auf den Fersen. Vor der letzten Ecke wandte er sich ihnen zu, um fragend den Kopf zu neigen. Sai und Kakashi nickten einverstanden, woraufhin er drei Finger hob, die er im Sekundentakt abzählte. Als der letzte Finger fiel, preschte er um die Biegung, seine Desert Eagle erhoben, und stürmte mit seiner Truppe den Raum.

Sais kognitiver Reflex ließ ihn sich das Kellergewölbe mit einem Blick einprägen, um eventuelle Vorteile und Nachteile im Vorfeld zu korrigieren. Es war niedrig, unmöbliert, kalt und hell. Der Estrich war grau, ebenso die unverkleidete Steinmauer. Was ihm jedoch noch Jahre später in Erinnerung geblieben war, war die dicke Betonsäule in der Mitte des Raumes, an die Naruto gefesselt wild um sich schlagend strampelte, als er seine Freunde bemerkte.

Dann ging alles ganz schnell.

Asuma rannte voran und erschoss den ersten Akatsuki, ehe sie sich bewaffnen konnten. Der buckelige Alte ging unbeachtet zu Boden, wo sich eine Blutlache um seinen sterbenden Körper bildete. Der Überraschungsmoment war vorbei und die drei anderen hatten ihre Waffen gezückt.

"Kakuzu, du Idiot!", rief der Mann mit dem zurückgegelten grauen Haar, das sein ebenes Gesicht betonte. Er riss eine mehrklingige Sense in die Luft, die bislang an der Wand gelehnt hatte. Die überdimensionale Waffe in der einen Hand, zielte er mit dem altmodischen Henry Rifle abwechselnd auf Asuma und Kakashi. Sai sah seine Chance gekommen. Im Schatten seiner Teamkollegen schoss er voran, direkt auf Naruto zu, und kappte in einer geübten Bewegung mit einem Dolch die vier Seile, die ihn an der Flucht gehindert hatten. In einer weiteren Bewegung, warf er dem Befreiten eine kleine Walther PP zu, die er weniger geübt auffing.

"Ich bin Hitter, kein Scorer!", brüskierte er sich, die minimalistische Handfeuerwaffe argwöhnisch von sich gestreckt.

"Mach' keine Faxen, sondern beweg deinen Arsch hina—" Sais tadelnder Befehl ging in vier Schüssen unter, die nahezu gleichzeitig die stickige Luft füllten. Blitzschnell drehte er sich um, seine Deckung für einen Moment aufgebend, um Asuma zu Boden gehen zu sehen. Der Grauhaarige, der viel zu jung für ergrautes Haar aussah, lachte diabolisch mit von sich gestreckten Händen.

"Das ist die Rache für meinen Partner, du Bastard! Tribut für Jashin!" Er schulterte grinsend seine Sense, gedeckt von der Frau und dem blonden Mann, die mit ausgerichteten Waffen hinter ihm standen. "Was sollen wir mit den anderen tun, Konan? Würde Pain sie lebend wollen oder dürften wir sie abschlachten?"

"Wir töten sie, Hidan", beschloss sie in samtenem Tonfall.

"Nur über meine Leiche!", brüllte Naruto plötzlich—die Sinnfreiheit seiner eigenen Aussage geflissentlich ignorierend. Ohne zu überlegen schoss er nach vorne, direkt auf Konan zu. Ihre beiden Schüsse verfehlten ihr bewegliches Ziel um ein Haar, sodass sie erschrocken aufkeuchte, als Naruto vor ihr stand.

"Deidara!", rief sie dem Blonden zu, der dem Angreifer mit einem Ausfallschritt den Griff seiner Pistole in den Rücken rammte. Als Naruto vornüber kippte, sah Sai seine Chance. Scheiß auf den Plan, sie würden hier verrecken, wenn sie versuchten, kampflos zu fliehen! Asuma hatte sich an den Rand des Felder geschleppt, sodass er freie Bahn für seine Attacke hatte. Mit einem Schrei lenkte er die Aufmerksamkeit von Naruto ab und schoss planlos um sich, nur um ihm Zeit zu geben, sich aus der Linie zu ziehen. Kakashi wartete keinen Millimeter zu lange, ehe er drei gezielte Schüsse abgab, die Hidan in Schulter und Hüfte trafen. Es waren keine lebensgefährlichen Verletzungen—seit Kakashi bei einem Auftrag sein linkes Auge verloren hatte, war sein Ziel minderperfekt—doch sie ließen den Getroffenen aufkreischen, als habe er den Verstand verloren.

"Reiß' dich zusammen, Hidan!", fuhr Konan ihn wütend an. Sie hatte den Finger am Abzug, ihre Beretta auf Kakashi gerichtet, der es gewagt hatte, einen ihrer Männer zu verletzen, doch plötzlich hielt sie inne.

Sai hatte sein Magazin verschossen; zum Wechseln blieb keine Zeit. Ohne groß die Situation zu evaluieren, warf er sich auf Hidan, den er mit gewaltigem Schwung niederrang, setzte seine Arme zu einer brutalen Umarmung um dessen Hals an, und drückte nach hinten. Das Knacken von brechenden Knochen war Musik in seinen vom Feuerlärm desensibilisierten Ohren, deren Takt er in Gedanken freudig nachtanzte. Es war wie ein Cha-Cha-Knack, als der letzte von drei Halswirbeln in der schnellen Reihenfolge barst und der Odem aus Hidans Augen wich. Nur am Rand bekam er mit, wie Naruto Konans Knöchel umfasst hielt, sich an ihm aufzog und sie niederschlug. Ihr leidvolles Aufstöhnen war ein neuer Takt, ebenso bittersüß.

Naruto fühlte das Blut auf seinen Knöcheln. Das ihre hatte sich mit dem seinen vermischt, wo seine aufgeschürfte Haut auf ihre Wange getroffen war. Beide Kontaktstellen waren tiefrot. Die Frau hielt zu seinem Leidwesen mehr aus, als er ihr zugetraut hatte. Obwohl er noch nicht ganz genesen war und die Krankenhauskluft wenig Bewegungsfreiraum bot, hatte er überdurchschnittlich viel Kraft in diesen Schlag gelegt, von dem sie sich unbeeindruckt aufrappelte.

"Du kleiner Hurensohn", zischte sie erbost.

Sie warf die leergeschossene Waffe auf ihn und nützte den Moment, um mit einem wahllosen Gegenstand auf ihn einzuprügeln. Der erste Schlag warf ihn gegen die Wand, an der er seine Schulter aufschürfte. Den zweiten konnte er parieren, obwohl es schmerzte, die Statue bewusst auf den angespannten Unterarm prallen zu lassen. Er war vermutlich gebrochen. Abwartend starrte er sie an. Provokant. Geduldig.

"Irgendwann wirst du verstehen, dass es nicht falsch ist, was wir tun."

Er konnte nicht darauf antworten. Seit jeher war sein Grundsatz, seine Fäuste für sich sprechen zu lassen. Mit einem einzigen Schritt nach vorne rammte er eine davon in ihren Magen, zog sein Knie nach und schlug gegen ihre Schläfe. Das Knacken, als Konans Kopf gegen die Steinmauer prallte, gegen die sie zuvor ihren Gegner hatte taumeln lassen, verhieß einen schnellen Tod. Die Blutspur, die blieb, als sie daran herunter rutschte, war der Beweis dafür.

"Naruto! Komm her, schnell!"

Seinen Sieg außenvorlassend, hechtete er zu seinen Rettern, die sich um den Verwundeten versammelt hatten.

"Wo ist der Blondschopf?"

"Geflüchtet, nachdem ich Hidan erledigt hatte", erklärte Sai kurz angebunden. Er zog sein Telefon aus der Jackentasche. "Kein Empfang."

"Geh nach oben und ruf einen Krankenwagen", befahl Kakashi, der die Schusswunde mit seiner Weste zu stoppen versuchte. "Hey, Asuma, nicht einschlafen! Bleib wach, Asuma, hörst du? Beeil dich, Sai! Naruto und ich werden ihn nach draußen schaffen."

"Kommt er durch, Kakashi-sensei?"

Er schüttelte den Kopf. "Keine Ahnung. Wir können es nur hoffen. Bist du verletzt, Naruto?"

Naruto bedeckte die Schrammen auf seinem gebrochenen Arm. "Nicht mehr als sonst. Hinata wird mich töten, wenn sie herausfindet, dass ich aus dem Krankenhaus verschwunden bin. Ich kann ihr schlecht sagen, dass ich entführt wurde."

"Hörst du das, Asuma?" Kakashi schlug ihm leicht gegen die Wange, über der Asumas Lider erschöpft zu zittern begannen. "Kurenai würde dich wiederbeleben, bloß um dich eigenhändig zu erdrosseln, wenn du hier stirbst! Du weißt, wie brutal schwangere Frauen sein können. Das wird schon wieder. Du darfst bloß nicht aufgeben."

Naruto beugte sich über ihn, seine Hand aufmunternd suchend. "Sie dürfen ja nicht sterben, Asuma-sensei. Wer würde sonst ihrem Kind das Rauchen angewöhnen? Shikamaru wäre ein mieser Vaterersatz!"

"Da…", presste Asuma zwischen bebenden Lippen hervor, "…hast du…recht."
 

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Sakura hastete mit klopfendem Herzen die Treppen hinab, übersetzte ohne großartig auf den Verkehrt zu achten die Straße—es grenzte an ein Wunder, dass die drei Fahrzeuge rechtzeitig hatten stoppen können—und umrundete Itachis Hotel. Sie konnte nicht riskieren, in der Lobby auf Sasuke zu treffen. Jedes Hotel hatte einen Personaleingang. Dieser hier führte über die unterste Ebene der hoteleigenen Parkgarage in den Verwaltungstrakt, über den ein als Fluchtweg gekennzeichnetes Treppenhaus bis in das oberste Stockwerk führte. Sie stieß keuchend die Tür auf und hechtete mit einem großen Satz auf das Dach, wo Kisame an der Seite seines am Boden liegenden Partners kniete.

"Du beschissene Schlampe!"

Sein Brüllen hallte über die betonierte Dachterrasse und Hoshigaki Kisame stürzte auf sie zu. Seine Finger krallten sich in den Kragen ihrer weißen Bluse, sodass die winzigen, von seinen Nägeln verursachten Blutspuren den Stoff rot färbten, als er sie gegen die Wand schleuderte. Sein Knie, das er ihr in den Bauch rammte, ließ sie ächzend spucken. Sie spürte, wie ihre Bluse aus der beigefarbenen Chinohose rutschte, als er ihren Körper an der Wand hochzog. Das kalte Mauerwerk presste gegen ihren Rücken, wo die Knochen ihrer Wirbelsäule schmerzhaft dagegen gedrückt wurden.

"Dafür bringe ich dich um, du Hure!", donnerte er. Sein Zetermordio ließ ihr Trommelfell beben, das ebenso zitterte wie ihre Pupillen unter dem akuten Luftmangel, die gezwungen waren, Kisames schuppiges Gesicht zu fokussieren. Sakura sah aus einem geöffneten Auge, wie einige Hautfetzen von ihm abgingen, als es näher kam. Die Schuppenflechte stank, oder war es der Geruch des Todes, der ihn umgab? Sie konnte es nicht sagen, doch trotz ihrer Todesangst fand sie es widerlich, seine Handgelenke in dem reflexartigen Griff zu berühren, mit dem sie versuchte, seinen Würgegriff zu lockern. Erfolglos, ihre Füße berührten längst nicht mehr den Boden. Sie war einem Blackout nahe; die Ränder ihres Sichtfeldes begannen bereits zu verschwimmen, der tönende Lärm über ihr drang gedämpft an ihre Ohren. Ebenso die Stimme.

Seine Stimme.

"Lass sie los, Kisame."

Selbst durch hundert Wälder hinter sieben Meeren hätte sie diese Stimme erkannt. Tränen drangen in ihre Augen, vor Erleichterung und Schmerz, denn Kisame drückte, anstatt Folge zu leisten, stärker zu. "Halte dich heraus!", blaffte er ihn an.

Aus den zu Schlitzen verengten Augen, konnte Sakura an der Grenze ihres Bewusstseins sehen, wie Sasukes Hand sich um Kisames Handgelenk legte—wobei seine Berührung trotz ihrer Panik ein schmeichlerisches Gefühl auf ihrem Handrücken hinterließ—und mit einem geschickten Hebel den Griff löste, der Sakuras Luft abschnitt. Sie ging zu Boden, das Uchiharot seiner Iriden vor ihrem geistigen Auge, als sie aus ihrer unfreiwilligen Höhe auf die Knie fiel, die durch die Hose spürbar aufschürften. Noch im Fall fasste sie an ihren Hals, der gerötet vom Würgen von innen heraus pochte. Erbittertes Husten gepaart mit panischem Luftschnappen ließ sie vornüber kippen; in ihren Ohren bloß ein Gedanke: Woher wusste Sasuke, dass sie hier war? Hatte Tenten sie verraten? Hatte er ihr nicht vertraut, sondern war heraufgekommen, um seinen Bruder eigenmächtig zu töten, wie sie es ihm versprochen hatte? Und, wieso um alles in der Welt, war seine Stimme so glatt?
 

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Shut Up And Drive


 

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Book Two: Revelation

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Viereinhalb Jahre zuvor. Marine Corps Camp Courtney, Okinawa.

"Sie hatten Talent, Sergeant Herunœ."

Haruno Sakura hatte jahrelang darum gekämpft, dass die Amerikaner ihren Namen korrekt aussprachen. Nun war sie hier, zwanzig Jahre jung, ausgebildete Scharfschützin des United States Marine Corps, und hatte die Arme so fest hinter dem Rücken verschränkt, dass es wehtat. Sie würde nicht um Entschuldigung bitten. Nicht nach all den Monaten, die sie um Anerkennung gekämpft hatte. Als Frau bei der Marine zu sein war nicht leicht. Erst als Master Sergeant Maes ihr Talent zur Scharfschützin erkannt und gefördert hatte, war sie schnell in den Unteroffiziersrang erhoben worden. Kein Rekordaufstieg; nichtsdestoweniger ein guter Durchmarsch, der ihr Respekt und Genugtuung verschafft hatte. Sie war jemand gewesen.

Jetzt war sie niemand mehr. Aber diesen Respekt würde sie sich nicht nehmen lassen. Sie hatte richtig gehandelt. Zumindest dachte sie das.

Seit dem Tag ihres siebzehnten Geburtstags hatte sie sich an die Uniform der Marines gewöhnt. Die dreizehnwöchige Grundausbildung hinter sich gelassen, war sie ihre zweite Haut geworden. Mit ihr fühlte sie sich stark; unbesiegbar nahezu. In strammer Haltung vor ihrem Zugführer—ehemaligem Zugführer—zu stehen, ohne jene Kleidung, in der er sie kannte, war ein Gefühl der Leere. Sie war nicht sie, wenn sie die Uniform nicht trug. Maes schien es genauso zu sehen. Er musterte sie mit Bedauern in ihrem leichten Top und den langen Jeans.

"Sie hatten Talent", wiederholte er. "Und Sie vergeudeten es. Ich hoffe, Ihnen ist eines bewusst: jedes Menschenleben, das dieser Mann in seiner restlichen kläglichen Existenz auslöscht, haben Sie zu verschulden."

"Ich weiß, Sir."

"Gut. Leben Sie damit, Herunœ. Bei Gott, ich bin Christ und selbst wenn euer Schlitzaugenvolk nicht an den Einen glaubt, so möge Er darüber richten, ob Er Ihnen das Leben, das Sie verschonten, aufwiegt gegen all jene, die seinetwegen sterben werden. Ich bedauere es zutiefst, Sie aus dem Marine Corps entlassen zu müssen. Sie wissen, der Druck von oben …"

Sakura wagte nicht zu nicken. "Ich verweigerte bewusst den Befehl, einen staatsbekannten Terroristen auf seiner Flucht ins Ausland zu erschießen. Insubordination wird laut dem Kodex mit unehrenhafter Entlassung aus dem United States Marine Corps geahndet", zitierte sie den offiziellen Entlassungsgrund. "Sie handen nach Vorschrift, Master Sergeant Maes."

"Sie sind eine attraktive junge Frau, Sergeant. Wir sind in Japan, von hier kommen Sie doch, nicht wahr? Haben Sie Familie, zu der Sie gehen könnten?"

Sie hielt den Blick starr, ohne ihn anzusehen. "Ja, Sir. Meine Großeltern leben in Ōsaka."

Maes strich sich mit den schwieligen Fingern über sein kantiges Kinn, das von kurzen Bartstoppeln übersät war, die einen gleichmäßigen Teppich männlicher Testostheronausprägung darstellten. Sein Kompliment war keineswegs sexistisch gemeint gewesen. Das wollte sie gerne glauben. "Ōsaka, hm? Schöne Gegend. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft, Sakura."

Mit dem Weglassen ihres Rangs realisierte sie es zum ersten Mal. Sie war kein Mitglied des U.S. Marine Corps mehr. Sie würde es nie wieder sein. Unehrenhaft entlassen. Semper fi, immer treu. Von wegen.

Mittellos, gestrandet in einem Land, das einst ihre Heimat gewesen war, ihr aber so fremd erschien. Erst vor vier Monaten hatte sie sich auf Wunsch des Master Sergeants mit ihrem Trupp zusammen von Beaufort nach Okinawa versetzen lassen. Ihr Körper war taub, als sie ihren Spind räumte und die Sachen in einer einzigen Reisetasche verstaute. Ihr ganzes Leben in einer Tasche. Ihr einziger Trost war Ino, für die diese Reise bloß ein Abenteuertrip gewesen war. Sie würde für sie da sein. Irgendwie.

Sakura dankte Maes stumm für seine Wüsche. Alles Gute für die Zukunft. Sie bezweifelte, dass die Zukunft irgendetwas Gutes haben würde.
 

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Selbst durch hundert Wälder hinter sieben Meeren hätte sie diese Stimme erkannt.

Noch im Fall fasste sie an ihren Hals, der gerötet vom Würgen von innen heraus pochte. Erbittertes Husten, gepaart mit panischem Luftschnappen, ließ sie vornüber kippen; in ihren Ohren bloß ein Gedanke: Woher wusste Sasuke, dass sie hier war? Hatte Tenten sie verraten? Hatte er ihr nicht vertraut, sondern war heraufgekommen, um seinen Bruder eigenmächtig zu töten, wie sie es ihm versprochen hatte? Und, wieso um alles in der Welt, war seine Stimme so glatt?

Als sie auf den Betonboden prallte, war der Gedankenstrom zu Ende. Eine Welle dumpfen Schmerzes, den sie kaum mitbekam, rollte über sie hinweg. In ihren Ohren rauschte es noch immer, was es beinahe unmöglich machte, die Konversation zu verfolgen, die ihr Peiniger mit ihrem Retter führte. Bedrohte er nun Sasuke? Nein. Es gab keine Kampfgeräusche.

"… du sie leben? Sie hat dich beinahe erschossen, Itachi! Mach die Schlampe kalt, sonst tu ich's!"

Itachi?!

Sakura erstarrte. Unmöglich! Sasuke hatte sie gerettet! Itachi war tot! Sie hatte ihn zu Boden gehen sehen! Sie konnte nicht verfehlt haben! Sie hatte noch nie—

Eine blasse, zittrige Hand drückte sie an der Schulter, sodass sie sich mit röchelndem Atem aufsetzen musste. Ihr linker Arm, mit dem sie ihren Sitz festigte, zitterte nicht minder, der andere, dessen Hand sich die roten Striemen am Hals rieb, ebenso. Ihr Atem ging stoßweise, aber wenigstens war er da. Sie weigerte sich, aufzusehen. Sie würde einen lebenden Uchiha Itachi nicht akzeptieren!

Nein, nein, nein!

Das metaphorische Bein ihrer inneren, rebellischen Stimme, stampfte beleidigt auf dem zertrümmerten Boden ihrer Perfektion auf. Himmel, Arsch und Wolkenbruch, sie hatte bislang immer getroffen!

Die schlanken Finger der Hand, die ihr aufgeholfen hatte, wanderten über ihre Halsbeuge zu ihrem Kinn, wo sie es anhoben. Sakura schluckte durch die trockene Speiseröhre, als sie in jenes Uchiharot sah, das sie gerettet hatte. Uchiha Itachi kniete vor ihr, eine Hand an einer Fleischwunde, die von einem Streifschuss verursacht worden war. Die Woge der Erleichterung war unwillkommener als jene, die sie zuvor verspürt hatte. Nicht Sasuke hatte sie vor dem Erstickungstod bewahrt. Sondern der Mann, den sie hatte umbringen wollen.

Welch drecksbeschissene Ironisch.

"Hinter hundert Wäldern über sieben Meere am Arsch", zischte sie zynisch, bloß um irgendetwas zu sagen.

"Sakura. Wir verschwinden." Tonlos drang die Stimme durch ihre in Watte gepackten Ohren. Sie wich seinem stechenden Blick, der nichts über seine aktuelle Gefühlslage verriet—war er sauer, dass sie ihn angeschossen hatte? War er enttäuscht? Wütend? Würde er sie zerstückeln und in einem der hundert Wälder verscharren, hinter dem sie ihn mit seinem Bruder verwechselt hatte?—nach oben hin aus, wo sie endlich eruieren konnte, was das tosende Geräusch verursachte, das sie zuvor vernommen hatte: es war ein schwarzer Helikopter, der über die Dachterrasse hinweggefegt war. Er war inzwischen über einem anderen Hochhaus, wo er seelenruhig einige Meter über dem Dach schwebte.

"Wieso bist du nicht tot?", fragte sie mit rauer Stimme. Sie langte nach seiner Hand, die die Blutung der Wunde an seiner linken Seite auffing, und nahm sie in die ihre. Von der ersten Sekunde an waren sie voll Blut; warmem, flüssigem, hellrotem Blut. Blut eines zweifelsfrei Lebenden. Ein taubes Gefühl der Ohnmacht schlich sich in ihr Bewusstsein, während Itachi seine Hand befreite, um die Wunde notdürftig zu verschließen.

"Sakura", wiederholte er eindringlich, "wir müssen verschwinden."

"Wie? Wie kann das sein?"

"Leg' die Nutte um, Itachi! Die ist uns nur im—" Kisame stockte und Sakuras und Itachis Köpfe schnellten schockiert zu ihm herum. Er hielt sich die Stelle an seinem Hals, wo seine Schuppenflechte am schlimmsten war, die Augen geschockt geweitet.

"Aber…" Als er sprach, sprudelte Blut aus seinen Mundwinklen. Seine Iriden wurden trüb, als er den unverständlichen Rest des Satzes in Blutgurgeln ertränkte, vornüberkippte und sich mit letzter Kraft übergab.

"Scheiße", hauchte Sakura, deren Stimme endlich wieder einigermaßen ihrem gewohnten Ton entsprach. Sie wusste haargenau, wem dieser schwarz lackierte Fuji UH-1J gehörte—und wer aus ihm heraus operierte. "Das ist die ANBU!" Natürlich. Wenn Sai die Informationen von dort hatte, wussten sie längst, wo sich ihr Ziel aufhielt.

"Sakura—"

"Verflucht", fauchte sie unwirsch. Ihre Panik schlug um in nervöses Denken, das schlagartig einen Plan formulierte. Er war nicht genial, aber er würde sie hier wegbringen. "Mitkommen!"

Ohne auf den Grad seiner Verletzung zu achten—ohne überhaupt nachzudenken, wen sie aufzerrte—raffte sie sich unter dem Lärm und dem Wind, den die Rotorblätter verursachten, auf, Itachi mit sich ins Innere des Hotels ziehend. Er war außer Atem, noch ehe sie den Kopf der Treppe erreicht hatten, hielt sich jedoch tapfer. Der scharlachrote Fleck an seinem weißen Hemd hatte sich vergrößert, sodass er bis über seine Rippen reichte. Schön. Wenigstens hatte sie irgendwo getroffen. Diese Erkenntnis verschaffte ihr nur leider keinerlei Genugtuung.

Irgendwann zwischen dem vierten und dritten Stockwerk hatte Itachi sie überholt und schleifte nun sie in jene Richtung, die sie zuvor ausgewählt hatte. Das Treppenhaus war als Fluchtweg gekennzeichnet. Wenigstens eine treffende Beschreibung.

Als sie das Parkhaus betraten, in dem ihre ausklingenden Schritte lautstark verhallten, stoppte er. Sakura wäre fast an seinen Rücken gestoßen, hätte sie nicht die Geistesgegenwart besessen, mit einem Seitenschritt auszuweichen, sodass sie wieder vor ihm stand. Ihr hektischer Blick suchte den kaminroten Toyota, mit dem sie hergekommen waren. Frauen und ihre parkenden Autos; gerade eben konnte sie über den Witz, der ihr dazu einfiel, nicht lachen.

"Wo zum Teufel bist—dort!" Sie zeigte auf das gesuchte Auto, rannte darauf zu und fiel vor ihm auf die Knie. Für ebensolche Notfälle platzierten sie die Ersatzschlüssel an einem geheimen Platz im Inneren der Karosserie an der Beifahrerseite. Ihre zittrigen Finger erschwerten ihr die Aufgabe, sie aus ihrem Versteck zu fingern. Erst nach bangen Sekunden schaffte sie es endlich, das Miststück an die Oberfläche zu ziehen, wo sie es Itachi über das Autodach zuwarf. Er fing es auf, als hätte er nie etwas anderes gemacht, und starrte sie fragend an.

"Was?", zischte sie leise, nicht minder fragend.

"Ich kann so kein Auto lenken." Er deutete auf seine Verletzung.

"Ich habe keine Führerschein, also halt die Klappe und fahr!" Sie riss die Beifahrertür auf und wartete ungeduldig, bis Itachi sich auf den Fahrersitz hatte sinken lassen. Erst dann stieg sie selbst ein. Ihr Herz pochte, als sie sich bewusst wurde, dass sie Sasukes Privatauto stahl. Zusammen mit seinem Bruder. Nun, sie konnte ihn später immer noch töten, wenn kein Bulk ANBU hinter ihm her war. Warum auch immer sie so plötzlich aufgetaucht waren, jemand mit Zugriff auf ihre Dienste hatte es auf Itachi abgesehen. Sie würde herausfinden, wieso. Dieser ANBU Trupp jedenfalls war anders gewesen. ANBU war eine unter Angabe falscher Bezeichnungen staatlich geförderte Attentätergruppe, die politische Gegner, Flüchtlinge oder Staatsfeinde aus dem Weg räumte. In der Regel jedoch nur durch Festnahmen. Etwas war hier faul. Itachi würde ihr schon noch Rede und Antwort stehen, so viel war sicher.

"Dort vorne rechts auf die Autobahn", wies sie ihn an und überraschenderweise leistete er Folge, den finsteren Blick auf die Straße gerichtet.

Der Helikopter war nicht mehr zu sehen. Selbst wenn er seine Männer abgeladen hatte, waren sie nicht schnell genug gewesen, um das Auto zu erkennen, mit dem sich die Flüchtigen in den fließenden Verkehr eingereiht hatten.

"Wohin fahren wir?", wollte Itachi wissen.

"Wir verlassen die Stadt. Vorerst."
 

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"Sakura-chan! Was tust du denn um diese Uhrz—und wer ist dieser gutaussehende junge Mann? Sakura-chan?"

Ungeduldig verbeugte Sakura sich. "Ein Freund, Oma. Dürfen wir reinkommen? Es ist dringend."

Haruno Chiyo trat skeptisch beiseite, ließ ihre Enkelin mit ihrem Begleiter jedoch ohne Widerstand ins Haus. Sie hatten zuvor eines von Sasukes alten Jacketten aus dem Kofferraum gefischt, um Itachis blutende Wunde zu verdecken. Chiyo war ein überfürsorglicher Mensch, der darauf bestehen würde, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Etwas, das es tunlichst zu vermeiden galt. Glücklicherweise war Sasuke immer auf alles vorbereitet, selbst auf Dinge, die er nicht vorhersehen konnte; die Wechselkleidung passte zwar nicht hundertprozentig, war aber besser als nichts. Im Vergleich zu Sakura, deren Haar zerzaust, Arme aufgeschürft und Kleidung dreckig war, sah Uchiha Itachi neben ihr aus, als wäre er von einem Geschäftsausflug zurückgekehrt.

Eine Frechheit.

Dass der Christbaum im Wohnzimmer noch stand, war nicht verwunderlich. Sakura schenkte ihrer Großmutter einen tadelnden Blick, der schulterzuckend abgewendet wurde. Ende März und ein geschmückter Christbaum—verrückt!

"Wollt ihr mit uns essen? Dein Großvater ist mit der Arbeit im Garten bald fertig. Es gibt Curry."

Sakura spürte, wie sich ihr Magen vor Hunger zusammenzog. Während ihrer Lauer hatte sie sich verboten zu essen, um sich nicht abzulenken. "Danke, Oma, aber wir sind in Eile. Dürften wir Mamas Kinderzimmer benützen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, schob sie Itachi, dem man nicht ansah, ob ihm die Situation peinlich war oder nicht, die knarrende Treppe des Einfamilienhauses hoch.

"Dass ihr mir ja keinen Unfug macht!", rief ihnen Chiyo hinterher.

Sakura rollte mit den Augen. "Ich bin vierundzwanzig!"

"Eben deswegen!"

Sie schloss die Tür hinter sich, ehe sie eine Antwort geben konnte, die sie bereuen würde. Sakura mochte ihre Großmutter, aber sie war manchmal einfach zu aufdringlich. Das machte sie mit Fürsorge und Kochkünsten wett, von denen Naruto und Sai heute noch schwärmten. Die Weihnachtsfeiern bei ihren Großeltern waren immer ein Bankett. Chiyo hatte ja sonst nichts zu tun, außer den ganzen Tag zu kochen.

"Nettes Zimmer", kommentierte Itachi. Er stand in der Mitte des kleinen Raumes, der aus einem Bett, zwei Kommoden und einem Ankleidespiegel bestand. Seine ganze Statur war einstoischer Fels in der Brandung, regungslos wie gemeißelt.

"Dich bekommt man tatsächlich nicht klein, was?" Der Sarkasmus in ihrer Stimme war unnötig und er tat ihr gleich darauf leid. Ein wenig zumindest. Sie war nicht unbedingt glücklich über diese Wendung; im Nachhinein betrachtet war die Wahl ihres Unterschlupfes eine inakzeptable Entscheidung. Nichts desto weniger war sie hier. Mit Uchiha Itachi, den sie mit einem Stoß auf das Bett hinter ihm verfrachtete. Er hatte aufgrund seines Blutverlustes und der Anstrengung der letzten Stunden schon getaumelt, als sie ihn die Treppe hochgeführt hatte, insofern war es kaum verwunderlich, dass seine Beine bar jeden Widerstandes nachgaben. Wäre er bei Gesundheit gewesen, hätte er sie niedergerammt, ehe sie ihn auch nur berührt hätte. Im jetzigen Fall allerdings…

"Zieh dein Hemd aus", befahl sie und verließ das Zimmer. Als sie mit allen provisorischen Utensilien wiederkam, die sie gefunden hatte, saß Itachi artig ohne Oberbekleidung auf dem Bett.

Sakura schluckte.

Er sah so gut aus, dass es unverschämt war. Diverse Gelegenheiten hatten ihr den ein oder anderen—manchmal auch längeren—Blick auf Sasukes Oberkörper verschafft. Itachis Abdomen war … anders. Seine Schultern waren breiter, seine Brustmuskeln ausgereifter als seine Bauchmuskeln, dessen Gegenteil sie bei Sasuke immer ein wenig gestört hatte. Nicht, dass er sie jemals gefragt hätte. Sasuke sah durch sein geringes Gewicht immer athletisch aus, egal was er trug. Bei Itachi sah man nicht gleich jeden Muskel, weil er gerne und gut zu essen schien, aber sie waren da. Und wie sie da waren. Ihre Aufmerksamkeit wurde allerdings von einem ganz anderen Unterschied gefangen: die Unebenmäßigkeit seiner Haut. Sasuke hatte eine nahezu makellose Haut, um die ihn jede Frau beneidete, auch Sakura. Itachis hingegen strotzte vor Brandmalen, Narben, Schwielen und sonstigen Verunstaltungen.

Peinlich berührt schreckte sie auf. Sie hatte ihn die ganze Zeit über angestarrt.

Itachi grinste sie verschwörerisch an, behielt sich jedoch vor, seine Gedanken nicht zu teilen. Stattdessen beobachtete er sie, wie sie sich auf den Boden vor ihm setzte und alles um sich herum ausbreitete, das sie mit sich gebracht hatte.

"Meine Großeltern sind sehr religiöse Menschen", erklärte sie, während sie selbstgebrannten Sake in drei Gläser einschenkte. "Sie halten nicht viel von Medikamenten, sondern schwören auf Naturprodukte."

"Und du bist die Skeptikerin der Familie?"

"Ich bin Amerikanerin", sagte sie, als wäre dies die Erklärung für alles. "Ich glaube an Penizillin und Valium. Leider steht uns das nicht zur Verfügung, also werde ich das Beste daraus machen." Sie kippte das erste Glas Sake über ein Tuch, gab ihm das zweite und nahm das dritte selbst auf. "Cheers. Das wird wehtun."

Itachi zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. "Weißt du, was du tust?"

Sakura leerte ihr Glas mit einem Zug, ehe sie die Schultern zuckte. "Das hoffe ich. Die medizinische Ausbildung der U.S. Marines dauert immerhin ganze zwei Stunden."

Für sein Augenrollen hätte sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Angesichts ihrer Position beschränkte sie sich letzten Endes darauf, das hochprozentige Tuch auf seine Schusswunde zu pressen. Itachi trank den Sake nun ebenfalls. Er verzog nicht einmal eine Faser seines schönen Gesichts, als sie mit dem Alkohol an seine offene Fleischwunde kam.

"Marines also?", sinnierte er gelassen. "Ich fragte mich schon, woher du deine Treffsicherheit hast."

Sie zischte verächtlich. Er würde sie nicht provozieren. Nein, diesmal blieb sie ruhig. "Ich habe mein Ziel noch nie verfehlt. Auf die eine oder andere Weise."

"Dessen bin ich mir schmerzlich bewusst", gab er gespielt gequält zu. Ohne jede Vorwarnung legte er seine raue Hand auf ihren Handrücken und presst ihn fester gegen seine Schussverletzung. Sakura konnte sich nicht helfen, als Mitleid zu empfinden. Es wäre gütiger gewesen, ihn gleich zu erschießen. Doch das konnte sie nicht.

"Ich habe dich gerettet, weil ich die Wahrheit wissen will", murmelte sie ein wenig verlegen. Nur mit Mühe konnte sie sich seinem Griff entziehen, um mit absichtlich gesenktem Blick einen medizinischen Faden durch das Öhr einer Nähnadel zu fädeln.

"Auch dessen bin ich mir bewusst, Sakura. Ich lasse mir nichts vormachen", sagte er tonlos. Zweideutig. Sakura ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sollte er denken, was er wollte.

Sie stieß entnervt Luft aus ihren Lungen, als der Faden zum vierten Mal infolge am Rand des Öhrs abprallte. Ohne zu fragen nahm er ihr das Werkzeug ab. "Wie bist du bei den Marines gelandet, Sakura?", fragte er, sich derselben Aufgabe stellend, an der ihre zittrigen Finger gescheitert waren. Binnen weniger Sekunden hatte er sie gemeistert und gab ihr das fertige Produkt zurück.

Sakura murmelte einen widerwilligen Dank. "Richte dich auf und halte den Rücken gestreckt, sonst nähe ich zu viel Haut zusammen", befahl sie mit all der Strenge, die sie aufbringen konnte. Er gehorchte bereitwillig. Es war Jahre her, dass sie eine Wunde auf diese Weise genäht hatte. Einen medizinischen Faden hatte sie für den Notfall zwar immer in ihrer Tasche, doch sie hatte ihn noch nie gebraucht. Man hatte ihr einst gesagt, sie habe ein Talent für die Krankenversorgung auf dem Schlachtfeld, doch eine genetische Disposition konnte keine fehlende Übung kompensieren.

"Es ist sehr unhöflich, eine Frage zu ignorieren, Sakura."

Wie er ständig ihren Namen aussprach! Es trieb sie zur Weißglut und sie rutschte ab. Itachi machte keinen Laut, als die Nadel das umliegende gesunde Gewebe durchstach. Bloß ein leichtes Zucken seiner angespannten Muskeln verriet ihr, dass er es gespürt hatte. "Es ist kompliziert."

"Ein Argument, das mich noch nie davon abgehalten hat, etwas zu verstehen. Ich bin neugierig."

"Schön für dich", erwiderte sie. Wieso sollte sie ihm auch noch in die Arme spielen? Es gab Sachen, die ihn nichts angingen. Um abzulenken, fuhr sie die längliche weiße Narbe entlang, die sich ebenmäßig von seinem Hüftknochen bis zur Unterseite seiner Rippen zog. "Woher kommt sie?"

Wenn Sakura ehrlich mit sich war, hatte sie trotz ihres nonchalanten Tons keine Antwort erwartet. Jeder Uchiha für sich war ein Buch mit sieben Siegeln für sie. Umso überraschender war die Tatsache, dass er unberührt seine Stimme hob.

"Messerstecherei. Ich war damals erst ein paar Wochen im Außendienst der Ōsaka Polizei, als wir eine Razzia in einem Club machen sollten, den wir als Deckmantel für den Handel von kinderpornographischem Material vermuteten. Es stellte sich heraus, dass nicht nur mit Bildern und Videobändern gehandelt worden war, sondern auch eine Auktion in Gange war."

Sie verstand, was er damit meinte. Menschenhandel. "Konkurrenz für deine Familie."

Itachi schüttelte unwillig den Kopf. "Du hast deine Hausaufgaben gemacht, wie ich sehe. Menschenhändler lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Wir hatten genügend Beweise, um den gesamten Ring für gut zwanzig Jahre hinter Gitter bringen zu können. Das gefiel ihnen nicht. Sie fingen an, um sich zu schießen und die malaysischen Kinder als Geiseln zu nehmen. Letzten Endes konnten wir sie überwältigen und die Kinder befreien. Bei diesem Handgemenge ist es passiert. Es sieht schlimmer aus, als es war."

Sakura konnte nicht umhin, ihm einen anerkennenden Blick zuzuwerfen. So wie er es schilderte, war seine Aktion heldenhaft gewesen, selbst wenn sie zu einem Teil seines Jobs gehört hatte. Dann schüttelte sie den Kopf, um sich in Erinnerung zu rufen, dass er seine Familie getötet hatte. Vielleicht, fügte sie an.

"Wieso hat dein Verein Naruto entführt?"

Sichtlich überrascht von dieser direkten Frage, lehnte er sich ein Stück nach hinten. Sie musste nachrücken, um seine Wunde weiter versorgen zu können. Ihre Langsamkeit entsprang—was sie vor sich vehement verneinte—nicht nur ihrer Ungeübtheit. Auf verstörende Art und Weise war es angenehm, seine Haut so zu berühren. Tief in ihrem Inneren wünschte Sakura sich, dass er unschuldig war, bloß um sich nicht schlecht zu fühlen.

"Sie wollten mir wohl einen Gefallen tun. Ich bin wichtig für sie. Mein Tod hätte fatale Konsequenzen für Akatsuki."

Nach dieser Antwort war es an ihr, sich überrascht zurückzulehnen, um ihn ansehen zu können. Es gefiel ihr nicht, wie sie vor ihm kniete. Wie ein kleines Kind vor seinem Vater, doch er schien den Höhenunterschied nicht mit irgendeiner sozialen Rollenverteilung gleichzusetzen. "Inwiefern bist du wichtig für Akatsuki, Uchiha? Jeder ist ersetzbar." Wenn er ständig ihren Namen aussprechen konnte, konnte sie das schon lange. Sein mildes Lächeln über die Kontinuität, mit der sie seinen Nachnamen dafür benutzte, entging ihr bewusst.

"Weniger ich als Person, sondern meine monetären Mittel, meine Kontakte, meine Erfahrung und das Maß, in dem sie mir vertrauen können. Es gibt nicht viele, die über diese Form von Humankapital verfügen", korrigierte er sich selbst. "Übrigens sehe ich nicht ein, wieso ich meine Geheimnisse preisgebe, wenn du dich weigerst meine Fragen zu beantworten."

"Einzelschicksal", stellte sie schulterzuckend fest. Ihre Blicke trafen sich, geduldig auf herausfordernd. Sie hielten einander minutenlang fest, bis Sakura sich besiegt der halbvernähten Fleischwunde zuwandte. Was auch immer ihn daran interessierte, sie wollte es ihm nicht verweigern. Was machte es für einen Unterschied? Ihre Vergangenheit war nichts, auf das sie Geheimhaltung geschworen hatte.

Zufrieden mit seinem Sieg, verlagerte er sein Gewicht auf einen Arm, dessen Muskelstränge sich durch die Anspannung durch seine Haut abzeichneten. Tsk. Dieser Bastard wusste ganz genau, wie er auf Frauen wirkte. Vermaledeiter Casanova. Dieses Uchiha-Pack.

"Fein", stieß sie spitz aus, besann sich angesichts neugieriger Ohren jedoch auf einen normalen Tonfall. Sie musste die Details nicht auch noch vor ihren Großeltern ausbreiten.

"Mein Vater wurde in Amerika geboren, seine Eltern kommen allerdings ursprünglich aus Abashiri. Er trat mit zwanzig der U.S. Navy bei und wurde zwei Jahre später ins United States Fleet Activities Sasebo versetzt. Dort lernte er meine Mutter kennen, die mit einer Freundin nach ihrer beider Schulabschluss eine Rucksacktour durch Japan machte. Nachdem sie drei Wochen später wieder abreiste, besuchten sie einander immer wieder. Irgendwann heirateten sie und meine Mutter zog in die Nähe seiner Navystation. Ein paar Jahre später wurde ich geboren, und als mein Vater nach Amerika zurückbeordert wurde, folgten wir ihm. Ich wuchs in einem Vorort auf, in dem fast ausschließlich Leute wie wir lebten; Familien von Navyoffizieren. Ich kannte lange nichts anderes. Unsere Gespräche drehten sich um die Marine, die neuesten Schiffe und die aktuelle Ausgabe der Oversea Oversight."

"Klingt nicht nach einer netten Umgebung für ein kleines Mädchen."

Der Gedanke, Itachi stelle sie sich gerade als unschuldiges Kleinkind vor, behagte ihr nicht sonderlich, trotzdem schüttelte sie den Kopf.

"Ich kannte nichts anderes und im Gegensatz zu meiner besten Freundin störte es mich auch nie. Ich wurde in der Schule oft gehänselt und hatte außer Ino keine richtigen Freunde, also bot es sich für mich an, mich mit siebzehn bei der U.S. Army einzuschreiben. Dass sie mich schlussendlich bei den Marines aufnahmen, machte mich stolz. Ich hatte etwas gefunden, in dem ich gut war. Irgendwann …"

Sie brach ab, bloß um seinen Tadel zu erliegen.

"Als mein Vorgesetzter nach Okinawa berufen wurde, nahm er ausgewählte Mitglieder seines Teams mit, darunter mich. Einige Monate später fanden Anschläge auf eine Hafenstadt im Osten Südkoreas statt. Die Fluchtroute eines dafür verantwortlichen Terroristen führte über einen Seeweg, der in unsere Überwachung fiel. Ich bekam die Order, ihn zu erschießen, von höchster Stelle, doch ich weigerte mich, da es nicht genügend Beweise gegen ihn gab. Insubordination wird mit unehrenhafter Entlassung vergolten. Danach landete ich bei Hidden Leaf."

Itachis verständnisvoller, wenngleich nicht mitleidiger Blick, war beinahe schlimmer als die Erinnerung selbst. Seine Meinung traf sie wie ein Pflock ins Herz. "Du hast getan, was du für richtig befandest. Ich sehe darin nichts Verwerfliches."

"Innerhalb der nächsten vier Monate tötete er während zwei Geiselnahmen in Afghanistan über zwanzig Menschen, darunter Kinder, Frauen, die er zuvor vergewaltigte, und eine bekannte spanische Reporterin mitsamt ihrem Kamerateam. Erst dann konnten sie ihn zur Strecke bringen."

Diesmal war es Mitleid, mit dem er sie betrachtete. Sakura konnte sehen, wie er abwog, ob sie tröstende Worte hören wollte. Es hätte nichts gebracht. Letztendlich hatte sie das Bedürfnis, eine positive Schlussfolgerung zu bringen, um ihm zu zeigen, dass sie nicht unglücklich war. Als würde es ihn interessieren, ob sie glücklich oder unglücklich war.

"Manchmal denke ich daran zurück und frage mich, ob mich einige der Opfer aus dem Jenseits verfluchen." Sie zwang sich zu einem schmalen Lächeln. "Dann fällt mir wieder ein, dass ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube, und dass alles irgendwie seinen Sinn hat." Und wenn nur jenen, einen Unschuldigen zu entlasten—

Moment. Seit wann betrachtete sie Itachi als unschuldig? Bloß weil er nett war? Diese Nettigkeit konnte auch einem perfiden Hinterplan entsprungen sein. Was machte sie sich vor? Sie war kein Mensch, der sich selbst verleugnete. Sie glaubte an seine Unschuld, selbst wenn er diese nie selbst ausgesprochen hatte.

Sakura stand auf, als sie die Wunde fertig genäht hatte. Laienhaft, aber sauber. Sie hatte tatsächlich ein Talent dafür.

"Hast du Hunger?", fragte sie nonchalant. Zur Antwort knurrte sein Magen und er räusperte sich entschuldigend. "Gut. Das Curry meiner Großmutter ist exzellent. Wenn sie fragt, hast du vor, irgendwann eine große, glückliche Familie zu gründen. Das stimmt sie glücklich und sie kann Lügen sowieso nicht durchschauen."

"Ich habe nicht vor, in diesem Punkt zu lügen", versprach er.

Seiner Hand an ihrem Rücken, als sie aus dem Kinderzimmer trat, war sie sich mit klopfendem Herzen bewusst. Sie war geliefert.

Sowas. von. geliefert.

Scheiße.
 

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Prelude Of The Truth


 

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Vier Jahre zuvor. City General Hospital, Ōsaka.

Es dauerte, bis die Krankenschwester endlich an ihr Bett kam, das Sakura zugewiesen worden war. Aufgezwungen wohl eher. Sie war kein Narr, und dass man ein Krankenhaus aufsuchte, nachdem man in eine Schießerei verwickelt worden war, wusste jedes Kleinkind. Dennoch war sie der Meinung, in diesem Fall ausgeschöpfte Kapazitäten zusätzlich zu belasten. Das Krankenhaus war überfüllt, sodass ihre provisorisch aufgeklappte Trage am hektischen Gang stand, wo sie Mühe hatte, dem Geschehen zu folgen. Sie war eine von neun Personen, die man als Involvierte betrachtete. Fünf davon waren die Verursacher der Schießerei, die restlichen vier Opfer.

Sie wehrte sich dagegen, sich als solches zu sehen. Ihr Glas war noch immer halb voll und nach den letzten Wochen konnte sie niemanden gebrauchen, der ihr die letzten Schlucke wegtrank. Dies versuchte die eifrige junge Krankenschwester, die Probleme damit hatte, eine Manschette anzulegen, um Sakura Blut abzunehmen. Sie hatte gewiss schon Schlimmeres gesehen als ein paar Blutspritzer, welche die Haut ihrer Patientin zierten, dennoch bemitleidete sie sie, als wäre sie eine Krebskranke, und wetterte gegen Schusswaffen aller Art.

Sakura widerstand dem unabdinglichen Drang, ihre Hilfe anzubieten. Die so genannte 'Ausbildung' im Lazarett ihrer Brigade hatte sie nicht zu einem medizinischen Almanach gemacht. Wie man eine Manschette korrekt um den Oberarm schloss, war trotz alledem hängen geblieben. Sakura stöhnte genervt, was die Schwester noch nervöser machte. Der vierte Versuch gelang endlich und sie war erleichtert, als das Nervenbündel sich seinen eiligen Weg durch den hektischen Strom an medizinischem Fachpersonal auf den Gängen bahnte. Ausschließlich jeder war in Eile, bloß ein Junge—ein sehr junger Mann—schlenderte grinsend die Wand entlang und hievte sich leichtfüßig auf die Trage ihr gegenüber. Sakura neigte fragend ihren Kopf. Sie kannte ihn; er war in die Schießerei verwickelt worden. Einer der fünf, die sie angezettelt hatten. Drei davon wurden von Polizisten in einem gesonderten Raum bewacht, von den beiden anderen fehlte bis jetzt jede Spur. Dabei war Sakura sicher, mit allen neun eingeliefert worden zu sein. Selbst neben ihr stand ein Streifenpolizist, der halbherzig ihre Aussage aufnahm.

"Du warst da drinnen ziemlich gut."

Skeptisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. Ein Lob von einem Kriminellen war nicht unbedingt etwas, das ihren versauten Tag versüßte.

"Danke."

"Wo hast du Schießen gelernt?" Sie antwortete nicht und er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Zivilist oder Polizei?"

"Weder noch." Es war eine merkwürdige Frage, die er stellte und sie dachte nicht daran, zu antworten. Es ging ihn nichts an. Sakura musterte ihn; er machte einen vertrauenswürdigen Eindruck. Solche Leute waren die Schlimmsten.

"Mein Partner und ich hätten es auch ohne deine Hilfe geschafft, aber trotzdem sind wir dir dankbar für deine Rückendeckung. Ein super Schuss, mit dem du diesen Hampelmann hinter der Theke ausgeknockt hast."

"Ich verfehle nie", nahm sie sein Kompliment zögerlich an. Ihre Verschränkung verkrampfte sich, als er von dem Bett sprang und auf sie zu ging.

"Vermutlich bist du eingespannt, aber falls nicht, suchen wir immer Leute wie dich."

"Wer ist 'wir'?" Eine vage Formulierung verhieß selten Gutes. So viel hatte sie gelernt.

Der Mann streckte ihr ein weißes Kärtchen entgegen und grinste sie mit blitzenden Zähnen an. "Nimm schon, sie explodiert nicht", forderte er mit freundlichem Nachdruck.

Eine durchaus gerechtfertigte Warnung, wenn man bedachte, dass er in dem Café wie ein Geisteskranker um sich geschlagen hatte. Mit der Pistole war er nichtsnutzig gewesen, doch als er die erste Distanz überbrückt gehabt hatte, hatte er mit nur drei Schlägen zwei kräftige Japaner zu Boden gerungen.

"Wenig Arbeit für gutes Geld. Überleg's dir."

"Das Drogengeschäft interessiert mich nicht", wehrte Sakra ab. Sie wollte ihm die Karte zurückgeben, doch er bestand darauf, sie in ihrem Besitz verweilen zu lassen.

"Mit Drogen haben wir nichts zu tun. Vertrau mir." Als wäre jemand dämlich genug, aufgrund dieser abgedroschenen Aufforderung Folge zu leisten. "Wie auch immer. Wenn du jemals schnell Geld brauchst, wähle die Nummer auf der Karte an." Die Hände hinterm Kopf verschränkt, ging er im Hüpfschritt den Flur entlang.

"Wir sehen uns bei der Gerichtsverhandlung", rief sie ihm nach, doch er winkte lächelnd ab—seine Stimme ein heiterer Singsang.

"Da wäre ich mir nicht so sicher!"

Sakuras Runzeln wurde tiefer. Argwöhnisch betrachtete sie die Visitenkarte, auf der in orangenen Lettern ein Name stand, darunter eine mobile Telefonnummer. Entweder war der Kerl naiv oder selten dumm. Mit beidem wollte sie lieber nichts zu tun haben.

Sie besah die Karte minutenlang. Er hatte an ihrer Seite gegen die drei Angreifer gekämpft und sie brauchte dringend Geld. Sehr dringend. Vielleicht war es doch kein allzu großer Fehler, diesen Uzumaki Naruto in nächster Zeit anzurufen.
 

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Das Curry lag schwer in Sakuras Magen, sodass sie einschlief, noch ehe sie realisieren konnte, dass Itachi sich seiner Kleidung bis auf die Unterwäsche entledigte. Im Kinderbett ihrer Mutter einzuschlafen, war ein eigenartiges Gefühl. Fast, als spüre sie ihre Wärme. Sie vermisste sie. Selbst wenn ihre Trennung keinen Bruch bedeutet hatte, hatten sie seit Jahren nichts voneinander gehört. Seit Sakura beschlossen hatte, nach Okinawa zu gehen, war es still zwischen ihnen geworden.

Als Sakura erwachte, überprüfte sie ihr Gesicht auf noch nicht getrocknete Tränen. Es war eine erniedrigende Angewohnheit, im Schlaf zu weinen—vor allem, wenn jemand wie Itachi neben ihr auf dem Boden schlief. Er hatte es sich, ohne Anstände zu machen, auf dem rosageblümten Teppich vor dem leeren Schreibtisch gemütlich gemacht, wo er ihr mit erhobener Hand einen guten Morgen wünschte. Natürlich war er lange vor ihr wach. Dieser Typ musste es aber auch immer übertreiben.

Sie nickte ihm, den Gruß zu erwidernd zu, enthielt sich ansonsten allerdings jedweder Reaktion. Ihr erster Weg führte aus dem Bett, das sie unordentlich zurückließ, in das altmodische Badezimmer, wo sie notdürftig mit den Naturprodukten ihrer Großeltern hantierte. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie gesegnet sie mit Inos Schönheitswahn doch war. Sie hatte jahrelang, ohne zu murren, ihre teuren Markenprodukte mit Sakura geteilt, die nicht gedacht hatte, dass sie sich über das Fehlen von ordentlichem Antitranspirant und Haarspray ärgern würde. Nicht, dass sie vor Itachi hübsch sein wollte! Wie konnte sie das auch in den zerfetzten, blutbespritzten Sachen, die sie seit über vierundzwanzig Stunden trug?

Das kalte Wasser in ihrem Gesicht konnte nicht über ihre Blödheit hinwegtäuschen. An was dachte sie hier bloß? Was erwartete sie sich? Es war alles Itachis Schuld! Dieser … dieser … ihr fiel keine passende Bezeichnung für den schmalen Grat zwischen todbringendem Wahnsinn und attraktiver Tragik ein, auf dem er balancierte, ohne dass sie sich entscheiden konnte, in welche der beiden brandmarkenden Schubladen sie ihn stoßen wollte.

Als sie wiederkam, saß er geduldig wartend auf dem Schreibtischstuhl.

"Wir müssen hier weg", sagte sie, während sie damit begann, ihre Sachen zusammenzupacken. "Gefährliche Leute sind hinter uns her. Meine Großeltern waren eine Notlösung. Ich möchte sie nicht in Gefahr bringen."

"Das verstehe ich", erwiderte er, sie eindringlich ansehend. Selbst als er aufstand und sich vor sie stellte, wandte er den Blick nicht ab. Die aufgehende Sonne traf seine Iriden, sodass sie ihr Uchiharot in voller Blüte entfalteten. Er legte seine Hände auf ihre Schultern, wo sie spürbar waren, als lägen sie auf nackter Haut, nicht auf der Weste, die sie trug.

Dieser Bastard.

Er wusste genau, wie er sie rumkriegen konnte.

Die Frage war: wieso wollte er das?

Ohne zu sagen, was ihm sichtlich auf der Zunge lag, löste er die Berührung auf. "Ich werde mir vorher noch die Zähne putzen", stellte er fest, ohne auf ihre Einwilligung zu warten. Sakura verübelte es ihm nicht. Er war nicht auf sie angewiesen, nicht minder war sie es. Wenn sie wollten, konnten sie ihre Wege trennen, sobald sie dieses Haus verlassen hatten.

Sie würden nicht.
 

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Das Einfamilienhaus war heute ausnahmsweise verlassen. Die Bewohner hatten ihr eine Notiz an den Kühlschrank geklebt, in der sie erklärten, dass sie zum Einkaufen in die Stadt gefahren waren. Sakura wollte aufbrechen, bevor sie wiederkamen. Gestern hatten sie sich aufgrund Sakuras Müdigkeit vorbildlich zurückgehalten. Ausgeschlafen hatte sie weit weniger Entschuldigungen für ihre Wortkargheit, die ihr nicht ähnlich sah. Deshalb verbat sie sich und Itachi das Frühstück, das ihre Großmutter hergerichtet hatte. Sie würden in irgendeinem Café etwas essen.

"Hast du einen Vorschlag, wo wir sicher sind?"

"Vor der ANBU?", sinnierte Itachi. Er startete den Motor des Toyotas. "Schwerlich irgendwo. Am ehesten in einem Motel. Ich kenne einen Appartementblock etwa eine Stunde von hier am nördlichen Rand Ōsakas. Wenn wir mit einer meiner Kreditkarten bezahlen, werden sie es schwer haben, uns schnell zu finden."

Sakura schielte ihn argwöhnisch von der Seite an. "Ist auch nur eine davon auf deinen richtigen Namen zugelassen?"

"Wo denkst du hin? Es sollte uns ein wenig Raum geben. Zwei, drei Tage vielleicht."

Keine guten Aussichten. Aber immerhin mindestens achtundvierzig Stunden, in denen sie überlegen konnten, wie ihr nächster Schritt aussah—in denen sie überlegen konnte, wie ihr nächster Schritt aussah. "Ich stelle eine Bedingung."

Itachi hielt seinen Blick auf die Straße vor ihm gerichtet. "Die wäre?"

"Die Wahrheit. Ich habe dich nur aus einem Grund verfehlt: weil ich dich im Grunde noch nicht erschießen wollte. Ich will Antworten, Itachi."

Dass er aufhorchte, als sie ihn beim Vornamen nannte, entging ihr.

"Was Sasuke gesammelt hat ist lückenhaft. Mehr noch, es ist an vielen Stellen schlichtweg falsch. Wenn man genauer hinsieht, widersprechen sich eine Menge Fakten. Du hast mich an den Table eingeladen und die Karten ausgeteilt. Wir haben geblufft, gesetzt und jetzt will ich sehen."

"Denkst du immer in Pokermetaphern?", fragte er sichtlich erheitert darüber. Woher seine unterschwellige Hochstimmung kam, konnte sie sich nicht erklären. Ebenso wenig wieso sie hinter seiner gelassenen Fassade wusste, dass er sich in einer solchen befand. Konfus. Und beängstigend. Aber hauptsächlich konfus. Irgendwie.

"Kann schon sein", antwortete sie schließlich. "Ja oder nein? Wenn mir gefällt, was ich höre, werde ich dir helfen."

Es war eine ungeschickte Wortwahl, das war beiden klar. Sakura hatte soeben ein wichtiges Druckmittel verspielt—das zwar nur theoretisch, aber in ihrem vagen Plan immerhin funktioniert hätte. Itachi wiederum wusste, dass er gewonnen hatte. Wieso hätte er sich sonst so auf sie fixiert, wenn er sie nicht auf eine Fährte hatte bringen wollen, die ihm in die Hände spielte?

Seine Aufmerksamkeiten, der bewusst erzeugte Nervenkitzel, der Flirt: alles war dazu ausgelegt, Sakura einem Ziel zuzuführen. Und eines war beiden ebenfalls klar. Der Ausgang des Spiels war noch lange nicht entschieden. Wenn ihr sein Kartenblatt nicht gefiel, würde sie ihn ohne zu zögern töten. Bloß, dass Itachi nicht davon auszugehen schien, bereitete ihr Kopfzerbrechen.
 

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Itachi übergab Sakura seine Geldbörse, aus der sie eine der vielen Kreditkarten auswählen durfte, die sie mit der Rechnung belasten wollte. Während sie sich durch den schier endlosen Stapel verschiedenster Hartplastikkarten kämpfte, überprüfte er die öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten des Motels auf Fluchtwege und Verstecke.

"Wie viele hast du von den Teilen?", zischte sie leise, als sie zusammen den Fahrstuhl ansteuerten. Genauer gesagt steuerte er ihn an. Bevor er ihn rufen konnte, schlug sie zu den Treppen ein. Itachi folgte ihr fragend, hatte er angesichts ihrer Sturheit doch keine Wahl, die Richtung zu ändern. Sein Arm allein, den er 'alibihalber' um ihre Schulter gelegt hatte, war Hindernis genug, das ihn davon abhielt, seinen Weg fortzusetzen.

"Ein paar. Vierzig, vielleicht fünfzig. Mir wäre noch nie eingefallen, sie zu zählen."

"Das ist … pervers. Alle auf andere Namen. Wie behältst du den Überblick?"

Sie waren aus der Sicht der Rezeption verschwunden, weswegen er seinen Arm sinken ließ. Es behagte ihr nicht, und dass es ihr nicht behagte, behagte ihr noch weniger.

"Übung", meinte er beiläufig. "Die meisten Karten laufen auf irgendwelche Namen von Frontmännern. Allerdings bin ich der einzige, der auf sie einzahlt. Natürlich von anderen Konten, um die Buchungsbelege nicht auffällig zu gestalten. Du verstehst?"

Sie nickte. Ein ziemlich banales System, das sie längst von Shikamarus Recherchen kannte.

"Wieso nehmen wir die Treppen?"

"Ist nun etwa eine Fragerunde ausgebrochen?", fragte sie—sich der Ironie durchaus bewusst. Sein Schulterzucken war Antwort genug. Wie sie das hasste! Es war frustrierend, wie egal ihm manche Dinge waren, obwohl er bei anderen den Eindruck machte, als läge ihm etwas an ihr. Sie musste sich eingestehen, dass sie mit beißendem Sarkasmus nicht weiterkam. Besser kurz und schmerzlos, bevor er etwas Größeres dahinter vermutete. "Mir wird schlecht in Aufzügen. Das Rauf und Runter fühlt sich an, als hebe jemand meinen Magen mit bloßen Händen an und werfe ihn durch die Luft."

"Das klingt … ekelhaft."

"Fühlt sich auch so an."

"Wie schade. Ich hätte auf ein tragisches Trauma aus der Kindheit getippt." Unzufrieden damit, dass er sich geirrt hatte, schoben sich seine Augenbrauen eine Spur zusammen. "Es hätte zu dir gepasst."

"Was?", hakte sie rhetorisch nach. "Dass ich mit ansehen musste, wie meine Eltern in einem Fahrstuhl von einem Psychopathen erschossen wurden, woraufhin ich mir die unendliche Rache schwor, die mich letztendlich unter heroischem Gedankenorchester in mein sicheres Grab manövrieren würde? Damit muss ich dich enttäuschen. Meine Eltern sind quicklebendig und lieben mich. Ich bin keine tragische Heldin und keine Märtyrerin. Das ist Sasukes und Narutos Part. Ich bin bloß die Helferin, die leider ziemlichen Mist gebaut hat."

"Indem du mir das Leben schenktest?"

Sie schnaubte unwillig. "Geborgt. Noch habe ich mein Vorhaben, dich zu erschießen, nicht auf Eis gelegt. Wie würde es die ANBU finden, wenn ich ihnen meinen toten Uchiha Itachi vor die Füße würfe? Man sagt, dort verdiene man gutes Geld."

"Wie kaltherzig", tadelte Itachi ohne nennenswerte Gefühlsregung. Sie bogen zusammen um die Ecke in den Flur, in dem ihr Zimmer ganz hinten nahe der Feuerleiter lag. "Du bist ziemlich störrisch, weißt du das?"

Natürlich wusste sie das. Wichtig war, dass er es wusste. Es verschaffte ihr ein wunderbares Gefühl der Genugtuung, diese Art von Anerkennung gezollt zu bekommen. "Ich bilde mir gerne meine eigene Meinung. Dass du mich auf eine Fährte gelockt hast, muss nicht bedeuten, dass ich auch den Weg gehe, auf dem die Brotkrumen liegen. Letzten Endes geht es nur um Sasuke-kun, habe ich recht?"

Die Stille, die nach diesen Feststellungen aufkam, legte sich zusammen mit Anspannung über sie, bis sie das nett eingerichtete Zimmer betraten. Itachi hatte nicht vor, auf diese Frage zu antworten.
 

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Sie hatte ein Selbstversorger-Appartement ausgewählt, in dem sie keine Putzfrau stören würde. Die kleine Küche war niedlich, wenn auch mehr funktional als schön. Das Doppelbett war mit einem hässlichen grauen Laken bespannt, auf dem noch hässlichere, rot bezogene Decken lagen. Auf jeder Seite war ein paketiertes Stück Schokolade drapiert, das Itachi, auf dem Bett sitzend, eingehend begutachtete, ehe er es sich in den Mund schob. Es schien gut zu schmecken.

"Du kannst meines auch haben", bot Sakura an, die es gar nicht gut fand, mit welch Genuss sie ihm dabei zusah, wie er wiederum diesen Genuss empfand. In Gedanken schlug sie sich. Wie seine schlanken Finger die zweite Süßigkeit auspackte und wie er es in quälender Langsamkeit kaute, die Augen sinnlich geschlossen, machte sie fertig.

Scheiß drauf.

"Das machst du doch mit Absicht! Weißt du eigentlich, wie sowas auf Frauen wirkt?"

"Durchaus."

Das nahm ihr den Wind aus den Segeln. Zumindest den der sarkastischen Stichelei, die sie bereits zuvor anstoßen hatte lassen. Plötzlich wehte ein anderer Wind, der sie das Zimmer durchsetzen ließ, direkt auf Itachi zu, neben dem sie ihre Arme abstützte, sodass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. Das stechende Rot seiner Iriden flackerte—sie mochte nicht sagen 'leidenschaftlich'—auf, ehe er eine Hand in ihrem Haar versenkte, um ihren Kopf zu sich herunter zu ziehen. Seine Lippen waren leicht geöffnet, was sie nur durch seinen Atem spürte, der über die ihren strich. Er jagte einen prickelnden Schauer durch ihren Körper.

"Dann ist's ja gut", sagte sie matt, wandte sich ab und setzte sich auf einen Stuhl am anderen Ende des Zimmers, wo sie die Beine verwehrend überschlug. Itachi sollte ja nicht denken, sie ließe sich von seiner Erotik betören—au contraire! Sie wartete immer noch auf seine Erklärung, die besser mehr als nur gut war.

Ehe sie ihn dazu auffordern konnte, stand er auf. "Ich gehe duschen", erklärte er.

Sakura rammte ihre Faust in die Wand und verfluchte sich dafür. Es war nicht fair. Er war nicht fair. Er wusste alles, sie wusste nichts. Und er schien sie nicht für würdig zu erachten, ihr mehr als schwache Andeutungen vor die Füße zu werfen. Ohne es zu ahnen, hatte sie ihn ein Netz um sich spinnen lassen, das sie gefangen hielt.

Fein.

Sie besaß kein Messer, mit dem sie die Maschen durchtrennen hätte können und selbst wenn, sie hätte es nicht übers Herz gebracht. Nicht nach allem, durch das sie sich gekämpft hatte. Sie würde nicht aufgeben, weil Itachi zu stolz war. So oder so, heute würde sie alles erfahren, was sie wissen musste.

Inzwischen hatten sich stumme Tränen der Wut mit jenen vermischt, die sie nach ihrem schmerzenden Schlag tapfer weggedrückt hatte. Als sie ihre Augen wieder öffnete, stand er dicht vor ihr, seinen dunklen Blick auf sie niedergeschlagen. Die Rücken seiner Finger, die in einer schmeichlerischen Geste von ihrer Schläfe bis hinab zu ihrem Unterkiefer strichen, jagten ihr einen Schauer ihre Wirbelsäule hinab. Fordernd drückte er ihr Kinn nach oben, um sie dazu zu zwingen, ihn anzusehen. Sein Mund öffnete sich, doch sie erstickte seine Worte mit einem Blick.

"Ich will bloß die Wahrheit."

Ihre Worte waren eiskalt, obwohl sie aus einem Meer der Emotionen geboren waren. Es kostete sie Anstrengung, ihren Ton eben zu halten, als Itachis Fingerkuppe ein seichtes Prickeln auf ihrer Unterlippe hinterließen.

"Itachi." Ihre Worte eine Warnung. "Du kannst nicht von mir verlangen, weiterhin im Dunkeln zu tappen. Ich bin Teil dieses … Plans. Es war deine Entscheidung, mich zu involvieren und die meine, deinem Pfad zu folgen. Bislang habe ich dieses Spiel mitgespielt, um die Grenzen deiner Privatsphäre zu respektieren, aber ich habe mein Limit erreicht. Erzähle mir, was damals geschah, sonst werde ich dir jeden Stein in den Weg legen, den ich in der Lage bin aufzutreiben. Und neben meinem Appartement wird gerade ein Hochhaus gebaut."

Itachi brummte düster. "Wie willst du das schaffen? Es sind du und ich gegen die Welt."

Sakura hatte gehofft, diese Frage aus seinem Mund zu hören. Zumindest im Nachhinein erschien es ihr, als sei ihre Drohung darauf hinausgelaufen. Er hatte ihr mit dieser unbedachten Äußerung direkt in die Hände gespielt. Genau das schien er in diesem Augenblick zu bemerken. Sie konnte sehen, wie sein Mund von dem herausfordernden Grinsen der Überlegenheit in eine harte Linie überging. Es war das erste Mal, dass sie für diese Szene die Oberhand besaß.

"Zu deinem Bedauern traue ich dir nicht zu, so kurzfristig die Seiten zu wechseln. Allerdings", präzisierte Itachi mit einem Schritt zurück, der geschäftliche Distanz zwischen ihnen einräumte, "besitzt du die Intelligenz, Orochimarus Reihen zu intrigieren und die Rücksichtslosigkeit, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu durchbrechen. Ich wäre nicht überrascht, wenn du seine Basis mit einem Maschinengewehr kompromisslos aufräumen würdest."

Nun, danke für die Blumen, dachte sie ungeduldig. Immerhin wusste sie nun, dass es irgendetwas mit Orochimaru zu tun hatte, was eine mittelmäßige Überraschung war. Es war ein innerer Kampf, nicht mit den Augen zu rollen. Jede Reaktion konnte er als Druckmittel verwenden, um ihre Neugierde zu schüren. Sie brannte bereits lichterloh, aber das brauchte er ja nicht zu wissen. Dieses Spiel würde heute enden.

"Ich sehe schon", seufzte er in gespieltem Selbstmitleid, "ich habe mich wohl zu weit durch das Dickicht deiner Toleranz geschlagen. Irgendwann musste ich gegen diesen Widerstand stoßen. Also schön, was willst du wissen?"

Sakura unterdrückte ein verächtliches Zischen. Was sie wissen wollte? Wie weit wollte er diese Farce noch treiben? Sie entschied, den Blick starr zu halten. "Alles."

"Dann mache ich Tee."

Itachi dabei zuzusehen, wie er den vom Motel bereitgestellten europäischen Earl Grey-Import zubereitete, war, als sähe man einem Meister bei der Ausführung eines chadō zu. Die gezielte Akkuratheit, mit der er jedem Handgriff nicht mehr Energie zur Verfügung stellte, als er brauchte, war beängstigend und berauschend zugleich. Seine Hände machten keine einzige unnötige Bewegung, keinen Millimeter Umweg. Nach exakt sieben Minuten stellte er zwei dampfende Tassen auf den Küchentisch zwischen ihnen. Der Tee war zu heiß, um ihn sofort zu trinken, also sah sie Itachi möglichst neutral an. Sobald er einen Funken Neugierde, Ungeduld oder Herausforderung hinter ihrer Fassade entdeckte, würde er sein Spiel wieder aufnehmen. Nicht heute.

"Hervorragend", sagte Itachi ruhig. Sie konnte keinen Sarkasmus dahinter entdecken. Uchiha Itachi war nicht sarkastisch. Er meinte, was er sagte. Diese Tatsache legte sich um ihre Eingeweide wie eine Plastikverpackung, die man zusammendrückte. Er vertraute ihr genügend, um ihr wider seines Willens seine Vergangenheit zu offenbaren.

"Ich höre dir zu", versicherte sie tonlos. Es war verlockend, auf die Teetasse zu sehen, aber sie widerstand. Noch verlockender war Itachis Gesicht, wenn er seine erste Emotion zeigte. Diesen Moment wollte sie nicht verpassen.
 

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Truth By Revelation


 

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Vier Jahre zuvor. Stadtteil Hirano, Ōsaka.

Das Hidden Leaf Headquarter, wie dieser blonde Typ aus dem Krankenhaus es am Telefon genannt hatte, waren Büroräume in der vierten Etage eines Hochhauses.

Vierte. Etage.

Den Aufzug ignorierend, begann sie äußerlich unberührt ihren Aufstieg. Innerlich focht sie einen Gewissenskonflikt mit sich aus. Es war drei Wochen her, seit sie zufällig in die Schießerei zwischen ihm, seinem gutaussehenden Freund und einigen anderen Leuten gestoplert war. Die Gerichtsverhandlung hatte gestern geendet—ein beschleunigter Prozess aufgrund klarer Sachlage—und tatsächlich, er war nicht aufgetaucht. Er war auch nicht als Zeuge oder Angeklagter genannt worden. Es war, als sei dieser Uzumaki Naruto vom Erdboden verschluckt.

Sakura seufzte. Eine versperrte gläserne Tür trennte das Treppenhaus und den Aufzug vom Gang des vermeintlichen Hauptquartiers. Von diesem gingen einige gut sichtbare Türen ab, die teils geöffnet, teils geschlossen, aber allesamt in einem solchen Winkel gebaut worden waren, dass sie nicht in die Zimmer dahinter sehen konnte. Irgendwo hinter einer dieser geheimnisvollen Türen befand sich ihre Zielperson.

Sakura hatte lange überlegt. Zu lange. Sie konnte ihren Großeltern nicht ewig auf der Tasche liegen. Ino hatte sich nach der Entlassung ihrer Freundin schnell mit den neuen Gegebenheiten arrangiert und sich dazu bereiterklärt, mit ihr in den Vorort Ōsakas zu ziehen, in denen ihre Großeltern lebten. Es hatte die hübsche Blondine nicht lange dort gehalten. Binnen zwei Wochen hatte sie einen Job in der Großstadt ergattert, sich eine Wohnung gemietet und das Haus der Harunos verlassen. Sakura bewunderte diese Konsequenz und auch Inos Gutmütigkeit, mit der sie sie mietfrei bei sich wohnen ließ. Aber die Wohnung war teuer und Sakura brauchte einen Job.

Deshalb drückte sie die Klingel.

In der ersten Minute passierte gar nichts. Dann streckte ein Mädchen mit zwei braunen Zöpfen ihren Kopf hinter einer Tür hervor, blinzelte und ging auf die Besucherin zu.

"Was willst du?", fragte sie durch die provisorisch angebrachte Sprechanlage. An ihrer Hüfte baumelte eine gefüllte Messerhalterung.

"Arbeit", antwortete Sakura. "Ist das hier Hidden Lea—"

"Schrei doch nicht so!" Das Mädchen entriegelte blitzschnell die Tür und zog Sakura durch den geöffneten Spalt. Ihr Griff war fest und schwielig; sie war offensichtlich eine Handwerkerin. Den Messern nach zu urteilen eine mit speziellem Fachzweig. Es waren keine nullachtfünfzehn Feldmesser. Es waren amerikanische Militärmesser, eindeutig erkennbar an ihren auffälligen Griffen. Die Klingen U.S. amerikanischer Fabrikate waren mittels eines Farbstoffes schwarz gefärbt, um verräterische Lichtreflexionen zu vermeiden.

"Jemand mit dem Namen Uzumaki wollte, dass ich herkomme."

Die braunhaarige Frau verdrehte stöhnend die Augen. "Dieser Tölpel. Tut mir leid, Süße, aber das hier ist wirklich nichts für schwache Nerven. Wenn du einen Job brauchst, ist die Straße runter ein kleiner Imbiss. Die suchen immer jemanden."

Sakura musterte sie ausgiebig, was die Braunhaarige geduldig über sich ergehen ließ. Sie sah selbst nicht aus wie jemand, der allzu starke Nerven hatte. Ihr hübsches Gesicht und die unschuldigen Rehaugen machten sie nicht unbedingt zu einer ernstzunehmenden Konversationspartnerin. "Ich will den Chef sprechen."

Die Braunhaarige rümpfte die Nase, ehe sie eine wegwerfende Handbewegung machte. "Also schön. Ich halte mich aus der Mitgliederwerbung lieber heraus. Am Ende ist es noch meine Schuld und dieser Nörgler Neji hat wieder einen Grund, mich zu belehren. Männer. Mein Name ist übrigens Tenten."

"Sakura."

Tenten führte sie den Flur entlang vor eine der hinteren Türen, durch deren Gegenüber lärmende Stimmen drangen. Die junge Frau stoppte abrupt in ihrer Bewegung, mit der sie anklopfen wollte, stemmte eine Hand in die Hüften und riss stattdessen die Tür des lauten Raumes auf. "Habe ich euch nicht gesagt, dass die Leinwand für unser Briefing da ist, und nicht für eure Videospiele? Neji-kun wird euch töten, wenn er herausbekommt, dass ihr eure Playstation daran angeschlossen habt, um zum hundertsten Mal Artemisias Arsch zu versohlen—setzt ihr im Ernst Quistis gegen sie ein? O Mann, habt ihr überhaupt Ahnung von Final Fantasy?"

Sakura versuchte einen kurzen Blick auf die Szene zu erhaschen, um vielleicht Uzumaki zu sichten, doch Tenten schlug raunend die Tür zu und klopfte an die andere.

"Sarutobi-sama? Hier ist jemand, der Sie sprechen möchte." Sie machte Platz und ließ Sakura eintreten.

Das Büro war spartanisch eingerichtet, aber nett und sauber. Ebenso der alte Mann, der hinter dem dicken Schreibtisch saß, auf dem sich akribisch geordnete Aktentürme stapelten. Er machte einen freundlichen, aber seriösen Eindruck. Ganz im Gegensatz zu dem Blonden, dem sie bis jetzt nicht abgenommen hatte, der Adresse trauen zu können, die er ihr bei ihrem Anruf gestern genannt hatte.

"Was kann ich für dich tun, mein Kind?", sagte der rüstige Alte. "Setz dich, setz dich."

Jahrelanges Marinetraining hatte sie dazu ausgebildet, vor Vorgesetzten oder Höhergestellten—was dieser Mann zweifelsohne war—keine Übersprungshandlungen zu vollführen. Es drückte Nervosität und Schwäche aus, also verbat sie ihrer Hand, durch ihr Haar zu fahren. Anstelle dessen hielt sie Augenkontakt. Kurz und knapp, so lautete die Devise. "Ich brauche Geld."

"Soso."

"Einer Ihrer Leute, Uzumaki Naruto, gab mir diese Adresse. Er sagte am Telefon, dies sei eine Gruppe, die Aufgaben aller Art für gutes Geld annimmt."

Sarutobi kratzte sich an seinem kleinen Ziegenbärtchen. "Hmm … in der Tat sind wir derzeit unterbesetzt. Naruto-kun hat wohl einige Dinge ausgelassen, wie mir scheint. Wir erledigen nicht alle Aufträge. Was wir tun, sind Attentate und Jagden auf Verbrecher aller Art. Jene, die der ANBU entwischen. Unser Geschäft ist ein blutiges, aber wir kämpfen für eine bessere Welt. Das mag idealistisch sein. Vor allem, da das Ideal, das wir mit Morden anstreben, paradoxerweise der Frieden ist."

"Ich war drei Jahre lang bei den U.S. Marines, anderthalb Jahre davon Sergeant. Krieg und Frieden gehen in meiner Welt mit Waffen und Blut Hand in Hand."

"Ah ja, ich verstehe. Jemanden des amerikanischen Militärs können wir immer gerne gebrauchen. Wenn du unbedingt willst, kannst du schon nächste Woche eines unserer Spitzenteams begleiten."

Von 'wollen' konnte keine Rede sein, aber Sakura war nicht naiv genug, um zu denken, jemand wie sie könne eine reelle Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Schule abgebrochen, unehrenhaft aus der Marine entlassen, ohne Ausbildung und Perspektiven. Ihre Perspektive war der Krieg. Dies war ein anderer Krieg als der, den sie gewohnt war zu kämpfen, doch die Waffen waren dieselben. Subjektive Ideale, utopische Weltanschauungen und der Tod.

"Wollen Sie mich nicht vorher überprüfen?"

Sarutobi schüttelte amüsiert den Kopf. "Mein Kind, das habe ich längst getan, als Naruto-kun dich vor ein paar Wochen ankündigte. Wir sind immer informiert, Haruno Sakura-chan." Er streckte die Hand in die Richtung ihres Gesichts aus und fuhr seine Silhouette nach. "Augen, so klar wie deine, können mich nicht täuschen. Sasuke-kun, Naruto-kun, kommt rein!"

Die Tür schwang auf und der Blonde kam hereingestolpert, dicht gefolgt vom attraktivsten Japaner, den sie jemals gesehen hatte. Er war bei der Schießerei ebenfalls anwesend gewesen. Und, soweit sie sich erinnern konnte, hatte er eine verdammt gute Figur dabei gemacht, selbst wenn seine Handhabung der völlig überzogenen Desert Eagle zu wünschen übrig gelassen hatte. Er behielt es sich vor, sich nicht vorzustellen, sondern sah sie durchdringend an. Sakura schluckte. Sein stechende Blick hinterließ ein beklemmendes Gefühl.

Dies war der erste Tag ihres neuen Lebens. Und sie würde es annehmen, so wie sie Narutos Hand ergriff, mit der er sie von ihrem Stuhl in eine kameradschaftliche Umarmung zog.

"Auf gute Zusammenarbeit!"
 

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"Ich höre dir zu", versicherte sie tonlos. Es war verlockend, auf die Teetasse zu sehen, aber sie widerstand. Noch verlockender war Itachis Gesicht, wenn er seine erste Emotion zeigte. Diesen Moment wollte sie nicht verpassen.
 

"Sagt dir der Name Eisaku Yasuo etwas?"

"Der Senator?"

"Ehemaliger Senator", korrigierte er. "Er stieg vor zwei Jahren nach den Neuwahlen vom Oberhaus in das Unterhaus auf. Das Oberhaus entspricht dem amerikanischen Senat, das Unterhaus dem Abgeordnetenhaus."

Sakura wusste das, doch sie wagte nicht, ihn zu unterbrechen. Also nickte sie, dankbar für jede Erklärung, die er ihr gab. Wenn Itachi etwas betonte, war es wichtig. Da er sie für intelligent hielt, speicherte sie diese Information für später ab.

"Wie für alles, das in der Politik geschieht, gibt es auch für die Verkettung unglücklicher Umstände vor zehn Jahren nur einen Grund."

"Geld?"

Itachi nickte zustimmend. "Eine gewisse Summe monetären Anreizes", spezifizierte er.

Der Tee hatte endlich die richtige Temperatur, um ihn genießen zu können und sie nippten synchron an ihren Tassen.

"Alles begann, als die Abzweigung des staatlichen Fonds, der für die Opfer der Erdbeben an der Westküste vor zwölf Jahren eingerichtet worden war, durch einen Polizeiinspektor aufgedeckt wurde. Der Fond war dazu gedacht, Geschädigte der Erdbebenreihe finanziell zu entschädigen, sowie den Wiederaufbau staatlicher Gebäude in den betroffenen Regionen zu finanzieren. Allerdings bediente sich eine Abgeordnete des Unterhauses mittels verschiedener Bauorganisationen des Kapitals, um Zuwendungen zu unterhalten, die ihrer politischen Karriere förderlich waren."

"Sie hat mit diesem Geld jemanden bestochen?"

Itachi zuckte die Schultern. "Die Formulierung konkreter Konditionen für den Erhalt der Zuwendungen konnte ihr nie explizit nachgewiesen werden, also lautete die Anklage auf Verteilung unangemessener Geschenke während eines Zeitrahmens spezieller politischer Sensitivität. Die Abgeordnete—ihr Name war Kitamura, denke ich—stiftete Bauleiter und Ingenieure dazu an, Preise für Materialien und Arbeitsleistungen zu berechnen, die nie verwendet wurden. Somit wurden Gelder überwiesen, die im Realfall gar nicht aufgewandt wurden. Diese Gelder flossen über diverse ausländische Bankkonten an Kitamura. Diese wiederum sponsorte damit Luxusreisen, Honorare, Geldgeschenke und andere Aufmerksamkeiten für einflussreiche Funktionäre, die ihrer politischen Karriere vorteilhaft zugute kamen."

Sakura zügelte ihre Ungeduld. Sie hatten Zeit. Niemand würde sie so schnell hier finden, also konnte Itachi von ihr aus erzählen, was er an jedem Tag dieses Jahres gefrühstückt hatte—sein Superhirn wusste es bestimmt; diese These musste sie alsbald überprüfen—wenn er es denn nur in einem angemessen zügigen Tempo machte! Doch diese unerschütterliche Gleichmütigkeit, mit der er alles bedeutungsschwer in die Länge zog, trieb ein Messer der Unruhe in ihre Geduld. Unter dem Tisch krampften ihre Finger zusammen, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten.

"Dieser Korruptionsfall stellte das Sprungbrett für meinen Vater dar, das ihn in die Position des Polizeidirektors der kyōtoer Polizei hievte."

Sakura zog ihre Augenbrauen empor und verlagerte ihr Gewicht, sodass sie ihre Beine überwerfen und sich mit ihrem Ellenbogen auf der Tischplatte abstützten konnte. "Uchiha Fugaku hatte doch gar nichts damit zu tun. Wenn ich mich recht erinnere, war der Polizeinspektor, der den Fall aufdeckte, Mitglied eines Teams, das unter der Leitung irgendeines Kommissariats stand, das mit der Abteilung deines Vaters nicht kooperiert hatte."

"Ja."

Er ließ die Bestätigung im Raum hängen, wo Sakura sie intensiv kalkulierend in einer Rundumsicht betrachtete. Sie versuchte angestrengt zu rekapitulieren, was sie wusste. Itachi ließ sie unter seiner strengen Anleitung eigenständig hinter die Geheimnisse seines Klans stolpern. Die Genugtuung, sie zu überfordern, würde sie ihm unter keinen Umständen überlassen. Teufel in der Hölle, sie war intelligent! In der Tat, das war sie.

"Er hat gelogen!", rief sie erleichtert über die Meisterung seiner Herausforderung aus. Itachis Mundwinkel zuckten zwar amüsiert über ihre spontane Wortwahl, doch seine Augen zollten ihr anerkennende Zustimmung. Sakura war elektrisiert von ihrem Erfolg. Ihr Mund wurde trocken vor Gier, mit der sie sich in die Abgründe der Uchihas zu stürzen begann. "Aber wieso? Und wie? Ließ er Akten umschreiben? Übernahm er die Ergebnisse ihrer Ermittlungen?"

"Ich bewundere deine Intuition für Intrigen, aber du musst an deinem Gefühl für die dunklen Tiefen der menschlichen Seele arbeiten. Mein Vater besaß zu diesem Zeitpunkt drei Dinge. Erstens, eine einflussreiche Position als Leiter des Drogendezernats. Zweitens, eine zweistellige Anzahl an Kontakten. Drittens, eine Menge Geld. Wir Uchihas hatten schon immer über unsägliches Kapital verfügt; das meiste davon aus nicht ganz so legalen Konsortien geschlagen. Ersteres ermöglichte ihm einen Deal auszuhandeln, der drei Leuten zugute kam, von denen einer er selbst war. Zweites und Drittes sicherten ihm Rückhalt in allen Belangen. Unter einer Bedingung."

"Ein blindes Auge über Hinterziehung von Kapitalsteuer, mit der er dieses Kapital vermehrt und die Kontakte unterhalten hatte?"

"Korrekt. Meine Familie war sehr groß und konnte durch günstige—nein, sagen wir eher vorteilhafte, denn billig waren sie gewiss nicht—Verbindungen zu tonangebenden Männern in Politik und Wirtschaft ihr Kapital auf diversen Konten in Sphären steigern, bei denen selbst Millionären schlecht wurde. Der Klan hatte jahrzehntelang an einem bidirektionalen Investitionsnetzwerk gefeilt, das es ihm erlaubte, über verschiedenste Ecken Einflüsse in gewinnbringenden Bereichen geltend zu machen. Das Leck befand sich letzten Endes in der Exekutivgewalt. Die Verbindungen hierhin fehlten, und da die Tochter des Polizeipräsidenten glücklich verheiratet war, konnte man keinen geeigneten Uchiha in eine Relation setzen. Also feilte man daran, meinen Vater in diese Position zu bringen, anstatt weiterhin erfolglos zu versuchen, sich mit dem Mann, der sie innegehabt hatte, gutzustellen."

Sakura schluckte. Itachi holte weit aus, streifte Dinge, die sie bereits wusste, doch sie wagte nun nicht länger, ihn zur Eile zu treiben, selbst wenn es unter ihren Fingernägeln vor Neugierde brannte. Sie blieb ruhig. Äußerlich. Und Itachi fuhr fort.

"Es war zu genau der Zeit, in der Kitamuras Skandal publik geworden war. Mein Vater heftete dem Fall eine gefälschte Komponente an, die die Korruptionsabteilung nach allen Vorschriften dazu zwang, sämtliches Material dem Drogendezernat zu übergeben: Kitamura wurde eine schier lächerliche Anzahl verschiedenster illegaler Substanzen untergeschoben. Alleine dafür hätte sie wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zehn Jahre bekommen; die sieben Kilo Kokain nicht mitgezählt."

Er machte eine neue Pause und Sakura beschloss als Übersprungshandlung ihren inzwischen lauwarmen Tee zu trinken, um Zeit zum Nachdenken zu haben. Itachi erwartete eine Schlussfolgerung, die sie ihm nur zu gerne gab. "Die Uchihas hatten nie etwas mit Drogen zu tun. Woher hatten sie binnen kürzester Zeit diese Unmengen?"

Sie triumphierte innerlich, als Itachis Blick ihr bestätigte, dass sie die richtige Frage gestellt hatte.

"Hier schließt sich der erste Kreis. Eisaku hatte—oder spekulativerweise hat—tiefreichende Kontakte zum illegalen Drogenhandel. Er brachte einige nette Gesetze zum Erlass, die gute Grauzonen für jede Art von Schwarzmarkt ließen. Die Einführung von Rauschgift wurde durch ihn leichter, was ihm in diesen Kreisen viele Sympathien einbrachte. Zum Beispiel von Oto. Orochimaru sympathisierte schon lange mit Senator Eisakus radikalen Ansichten und nach den reformierten Importgesetzen für die Handelskammer sowie dem Embargo, das viele seiner Konkurrenten limitierte, intensivierte sich der Umgang der beide zu einer … nennen wir es Übereinkunft."

"Uchiha Fugaku wandte sich also an Senator Eisaku, der ihm genügend Beweislast lieferte, um einen bereits gelösten Fall in seinen Aufgabenbereich zu ziehen, der ihm eine Beförderung einbrachte", fasste Sakura gestikulierend zusammen. Sie brachte es nicht länger fertig, unbeteiligt am Rand des Geschehens zu sitzen, während Itachi vor ihren Augen eine Szene konstruierte, die ihr Herz vor Wut, Angst und Aufregung schneller schlagen ließ. Ihre Faust sauste auf den Tisch nieder, wo Itachi reflexartig seine Tasse stützte, die andernfalls umgefallen wäre. Sakura hatte weniger Glück. Wortlos stand er auf, bereitete neuen Tee zu und setzte sich wieder.

Sakura hatte in diesen wenigen Minuten ihre Unterlippe blutig malträtiert. Sie bekam fast nicht mit, wie seine Finger über das Blut strichen, das aus ihnen trat. Fast. Aber jetzt war nicht die Zeit, um ihren Hormonen zu verfallen.

"Wieso?", fragte sie. "Beförderung schön und gut, aber wieso auf diese Art?"

"Schön, dass du fragst." Itachi trank den letzten Schluck seines Earl Grey, ehe er sich erklärte. "Eisaku war eine Art … ich wüsste nicht, wie ich es korrekt ausdrücken könnte, also versuche ich es zu präzisieren. Er war schon lange hinter dem Aufstieg in das Unterhaus her. Macht, Einfluss, das Übliche. Er war förmlich besessen davon. Sein Wahlkampf war nicht gerade das, was man als billig bezeichnen könnte. Die Gelder davon kamen von Investoren und seinen Geschäften mit Drogendealern. Nichts Aufregendes also. Doch es gab eine Menge Leute, die ihn nicht sehen wollten, wo er sich selbst sah. Politische Gegner, Antiströmungen seiner extremistischen Auffassungen, Leute mit Freunden. Eisaku war nicht dumm. Sein Plan war es, meine Familie auffliegen zu lassen. Er hatte seine Wirtschaftsspione überall sorgfältig platziert und eine hinreichende Menge Beweise gesammelt, um sämtliche strafmündigen Mitglieder der Uchihas für sehr, sehr lange Zeit hinter Gitter zu verfrachten. Um seiner Heldentat ein moralisches Standbein zu verpassen, das ihn in der Meinung seiner mit ihm nicht konform gehenden Skeptiker steigen ließ, willigte er ein, meinen Vater zum Polizeidirektor zu machen. Den Direkter einer Behörde, die für Recht und Ordnung kämpfte, als Betrüger zu entlarven war sehr viel effektiver als bloß einen reichen Mann vom Thron zu stürzen. Dafür brauchte er die Hilfe eines Richters, der zu seiner eigenen eine weitere Empfehlung aussprach. Die restlichen benötigten Empfehlungsschreiben hatten sich die Uchihas schon im Voraus gesichert."

"Uchiha Fugaku wurde also Präsident der Polzei auf Kosten der öffentlichen Reputation einer ohnehin korrupten Abgeordneten und erheischten Empfehlungen. Wie ging es weiter?" Sie wollte ihm gar nicht erst Spielraum für einen neue Herausforderung geben. Ein Kreis hatte sich geschlossen und ihre Überlegungen knüpften an ihrem Anfang an. Sie war ratlos. Zugeben würde sie das jedoch niemals. Nein, Moment! Sie war nicht ratlos! Itachi erwähnte nie etwas, das nicht von weiterem Belang war. "Was war mit dem Richter?"

"Shimura Danzō, der Richter, den Eisaku Yasuo konsultierte, war ein zweischneidiges Schwert. Er steckte selbst bis zum Hals als Komplize in Korruptionsfällen der übelsten Sorte. Eisaku konnte von seinen Förderern kein Geld für diese Sache lockermachen. Er war demnach dazu gezwungen, das Bestechungsgeld für Danzō von seinen eigenen Mitteln aufzutreiben. Da es sich praktischerweise um einen anerkannten Richter handelte, den er bestach, knüpfte er eine zweite Bedingung an die Bezahlung: Danzou sollte nach Eisakus Aufdeckung des Betrugs den Fall meiner Familie in seinem Gericht verhandeln. Das Spiel war ein gefährliches, deshalb verlangte Danzō Sicherheiten in Form einer Kaution, die Eisaku hinterlegen sollte. Nur wenige Tage nach der Annoncierung meines Vaters zum Polizeipräsidenten kam meine Familie hinter Eisakus Verschwörung. Sie spielten Danzō ausreichend Beweise zu, mit denen er Eisakus Karriere beenden hätte können. Gegen eine gewisse Summe, versteht sich."

"Warte", unterbrach Sakura ihn ihre Hand hebend. Sie kannte Shimura Danzōs Ruf nur allzu gut. Er war einer von Tsunades Klienten. Einer der Besten. Sie kannte seine Ambitionen. "Der Senator wollte den Polizeipräsidenten aus dem Weg räumen, der Polizeipräsident den Senator. Beide versuchten es über denselben Mittelsmann, der ein Richter war, der dasselbe Bestreben verfolgte: aufsteigen. Ich weiß, dass Danzō Richter des Obersten Gerichtshofes ist, auch damals schon, und dass er ins Ministerium will. Wie passt das zusammen? Egal was er getan hätte, es hätte seiner Karriere geschadet."

Itachi hatte neuen Tee gemacht, den er genüsslich an die Lippen führte und damit eine unendlich lange Pause künstlich heraufbeschwor. Er streckte sie, indem er die Tasse gemächlich absetzte und den Henkel so adjustierte, dass sie parallel zur Kante des Tisches war.

"Das ist der Knackpunkt."

"Was?", raunte Sakura unter Stöhnen. Sie fuhr sich unwirsch durch ihre Haare und überschlug ihre Beine neu. Mit einer erregten Geste fuchtelte sie vor ihrem Gesicht herum, den Ellenbogen weiterhin auf den Tisch gestützt. "Welcher Knackpunkt? Ich sehe ein Dreifachremis. Zwei Springer gegen einen Turm am Rande des Spielfelds. Wie konnte der Turm den einen Springer schachmattsetzen, ohne den anderen zu tangieren?" Sie schmälerte ihre Augen, als die logische Erkenntnis sie ereilte. "Gar nicht. Aber wie—?"

"Danzō ist nicht umsonst in kürzester Zeit in den Obersten Gerichtshof aufgestiegen. Er ist gerissen und skrupellos. Leider mehr skrupellos als gerissen. Beide Parteien, Eisaku und die Uchihas, gaben ihm finanzielle Mittel, die er für seine eigenen Zwecke verwendete, anstatt sie für das zu verbrauchen, für das er sie bekommen hatte. Die Gelder waren mehr oder minder binnen weniger Wochen verschoben und die beiden anderen gingen leer aus. Damit hatte er sich zwei Feinde gemacht, die ihm nichts anhaben konnten, da er genügend Beweise gegen sie hatte, welche ihm von der jeweils einen gegen die andere Front eigenhändig zugespielt worden waren.

So weit, so gut. Danzō hatte darauf hingearbeitet. Aber während Eisaku sich damit zufrieden gab, ihn über die Presse verbal zu beleidigen, greift man einem Uchiha nicht so tief in den Geldbeutel, ohne ungeschoren davon zu kommen. Sie froren zuerst auf Rechtswegen seine Konten ein und, was noch viel schlimmer für ihn war, sie plünderten halblegal die Töpfe seiner Stiftungen, die er als Deckmantel für seine korrupten Aktivitäten verwendet hatte."

"Wie?"

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich würde dich nur ungerne in die Trickkiste dieses unsäglichen Klans einweihen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass noch Transaktionsprotokolle über die damaligen monetären Aktivitäten existieren, was es für heute irrelevant macht. Ein Teil des Kapitals war jedenfalls eingefroren worden, der andere, sehr viel größere, abgezweigt und verschwunden."

Für einen Wimpernschlag wich er ihrem Blick aus und Sakura wusste, dass er den entscheidenden Part in dieser Farce eingenommen hatte. Ganz so unbeteiligt war er also tatsächlich nicht gewesen. Sie würde später darauf zurückkommen.

"Im Endeffekt war Danzōs komplettes Kapital unzugänglich."

Sie ahnte, dass bald der Punkt kam, doch sie brauchte noch ein Komma, um den letzten Teil verstehen zu können. In ihrem Kopf puzzelte sich alles zu einem holistischen Bild zusammen, eine Verkettung von Umständen, die zu dem geführt hatte, was wohlbekannt war.

"Was hatte Eisaku damit zu tun?" Er erwähnte nichts ohne Grund, wieso hatte er diesen Senator so sehr aus seinem Konzept herausgearbeitet? Wieso hatte er ihn ihr gezeigt?

"Meine Familie lässt sich nicht lumpen, Sakura", sagte Itachi düster. "Erinnere dich. Danzō war nicht der einzige, der uns übers Kreuz legen wollte. Eisaku wollte meinen Vater an den Pranger stellen. Das hatten viele versucht, doch er war so weit gegangen, einen konkreten Plan auszuarbeiten und meine Familie bekam diesen in ihre Hände. Es war anderthalb Jahre nach dem Kitamura-Fall, als Eisaku Yasuo sämtliche Funktionäre seiner Partei verlor. Wir hatten Einfluss, Sakura", meinte er fast tadelnd, als sie ihn erneut unterbrechen wollte. Sie schluckte, nickte und ließ ihn fortfahren. "Es war unser größter Fehler. Zwei Feinde können sich schnell zusammenschließen, wenn es gegen einen gemeinsamen Gegner ging. Mit dieser unbedachten Racheaktion hatten wir Danzō und Eisaku gegen uns verbündet."

In Sakuras Geist fügte sich das letzte Fehlende Stück in das Mosaik, das sie seit Wochen zusammenfügte. Sie japste nach Luft, als sie endlich verstand. Seine Worte vom Anfang hallten durch ihren Kopf.

"Um wie viel Geld ging es, Itachi?"

Sie hatte eine Menge Aufträge bekommen. Es war immer um etwas gegangen, das eben nicht mit Geld gelöst werden hatte können. Aber hier ging es nur darum. Alles drehte sich darum. Niemand würde jemand anderen wegen ein paar hunderttausend Yen ermorden.

Sie rückte ein Stück näher an ihn heran.

"Wie viel?"

"Im Kopf spontan überschlagen etwas um die Dreißigmilliarden Yen."

Sakura wurde schwarz vor Augen. Sie presste ihre Finger gegen ihre Schläfen, hinter denen ihr Gehirn versuchte zu rechnen. Mit diesen Unsummen hatte sie noch nie auch nur ansatzweise zu tun gehabt. Dreißig Milliarden Yen, das waren … "Zweihundert. Achtundneunzig . Millionen. Dollar?"

Ihre Stimme war rau und brüchig, als sie ungläubig den Kopf schüttelte. Wie konnten drei Menschen zusammen so viel Geld besitzen? Sie ertappte sich bei dem ironischen, nichtsdestoweniger moralisch verwerflichen Gedanken, für so viel Geld selbst den ein oder anderen Mord begehen zu können.

"Danzō wollte sein Geld wieder, Eisaku ebenfalls. Also ebnete der Senator dem Richter den Kontakt zu Orochimaru und Oto. Sie gingen einen Handel ein: Orochimaru sollte den Mord an den Uchihas veranlassen und darüber wachen, dass dieser erfolgreich verläuft. Im Gegenzug sollte er einen beträchtlichen Anteil an dem gestohlenen Kapital bekommen, das durch unsere Ausrottung wieder zugänglich gemacht würde. Die Sache hatte jedoch einen Haken: der Vertrag lautete, alle Uchihas zu töten."

"Sasuke und du …" Jetzt wurde es klar. Wieso Orochimaru nach Sasukes Leben trachtete. "Sie haben ihn reingelegt."

"Nach allen Regeln der banalen Kunst. Man kann sie nur dafür bewundern, dass ihr peinlich geisttötender Plan auch wirklich funktioniert hatte. Sie spielten einem unglücklichen Mitglied der Uchiha-Familie Hinweise zu, die ihn für die Nacht des Massakers vom Anwesen fernhielten."

"Sasuke?"

Itachi schnalzte tadelnd mit der Zunge. Sie revidierte.

"Du. Sie wählten dich aus. Und du brachtest Sasuke fort, weil du eine Ahnung hattest."

"Eine Ahnung wäre übertrieben, doch ich traute diesem Kartenhaus der Intrigen und Lügen längst nicht mehr über den Weg. In jener Nacht brachte ich Sasuke zu seinem Schulfreund, um in Ruhe mit einigen Leuten reden zu können, bei denen ich Hilfe suchte. Unter anderem Sarutobi Hiruzen, dem ich mich anvertraute. Ich erbat seine Hilfe, doch bevor wir handeln konnten, war es zu spät. Ich kam im Morgengrauen zurück, um unser gesamtes Anwesen in die Luft gesprengt vorzufinden.

Zerfetzt.

Jeder einzelne von ihnen. Am Tag zuvor hatten meine Großeltern den Familienrat einberufen, um zu entscheiden, welche Ausbildung Sasuke nach seinem Schulabschluss beginnen sollte. Und, viel wichtiger, wie man mit Danzōs Geld verfahren sollte. Ich habe nie erfahren, was ihre Pläne mit Sasuke waren."

Zerfetzt, echote es in ihren Gehörgängen. Es war riskanter, alle auf einmal in die Luft zu jagen, als sie einzeln zu töten. Die Möglichkeit, dass jemand nicht anwesend war, war sehr groß und auch real präsent, wie man sehen konnte. Andererseits ließ es weniger Beweise, wenn man alles versengte, anstatt ein Blutbad zu veranstalten. Dennoch …

"In keinem Bericht bestreitest du deine Unschuld." Sakura wollte nicht wispern, aber ihr blieb keine Wahl. Es war so unglaublich, was er ihr erzählte. So falsch. Grausam falsch.

"Sasuke", lautete seine Antwort, als würde sie alles erklären. In gewisser Weise tat sie das auch. Doch Sakura maß sich nicht an, in die tiefen Schlaglöcher seines Verstandes vorzudringen und Mutmaßungen anzustellen. Sie wollte hören, um zu verstehen.

Sie ließ Itachi neuen Tee aufsetzen—langsam stand ihr das Heißgetränk zum Hals, aber es war gut, um die Festgefahrenheit der Situation zu übertünchen—und wartete geduldig, bis sie zum wiederholten Mal eine Tasse als Alibi vor sich hatte, mit der sie sich beschäftigen konnte.

"Sasuke", wiederholte sie anknüpfend.

"Er skizziert dieses tragische Bild sehr gerne, wie man hört. Jenes, in dem er nach einem Zank mit Naruto früher nach Hause kommt und mich blutverschmiert in den blanken Trümmern stehen sieht, die einst unser Zuhause waren. Er konnte damals nicht verstehen, wie surreal das alles für mich war, weil es für ihn selbst fernab jeder möglichen Wahrheit lag. Das Blut war mein eigenes, das aus den Schnitten trat, die ich mir bei dem Versuch zufügte, den Safe der Familie an einer Stelle freizulegen, die ich als vormaliges Arbeitszimmer vermutete."

"Was war in dem Safe?", hakte sie nach. Sie würde ihrer Regel folgen: nichts Wichtiges blieb ungesagt.

"Beweise. Mein Vater hatte Danzō natürlich nur eine Kopie sämtlicher Unterlagen Eisakus Geschäfte betreffend zukommen lassen. Als Pfand und Druckmittel. Die Originale lagen mit etlichen anderen wichtigen Dokumenten sicher verwahrt in einem Safe, der teurer gewesen war als eine Mittelklasselimousine. Ziemlich dekadent, aber durchaus nützlich. Er war leer. Und hier begann die Schwierigkeit."

Sakura wusste, dass Augenschließen und Stöhnen unhöflich war, aber diese Geschichte raubte ihr noch den letzten Nerv. Erschöpft rieb sie sich mit einer Hand den Nacken und ließ den Kopf auf ihren Schultern kreisen. Wie gerne hätte sie eine Massage von schlanken, kräftigen Fingern … neues genervtes Stöhnen folgte. Es war zwar wissenschaftliche Evidenz, dass die Aufmerksamkeitsspanne eines Menschen auf eine halbe Stunde begrenzt war, doch dies war keine beschissene Schulstunde! Hier ging es um Menschenleben. Sie durfte nicht den Faden verlieren.

Itachi wartete geduldig, bis sie ihre Augen wieder öffnete und bereit für das nächste Stück war.

"Die Schwierigkeit begann mit dem Verschwinden der Beweise", rekapitulierte sie gestikulativ. So weit, so gut. Inzwischen war sie in Gefilde abgerutscht, die nicht mehr mit gesundem Menschenverstand zu durchschauen waren. Sie versuchte es trotzdem. "Danzōs Bestreben greifen nach der Berufung ins Ministerkabinett. Wenn er den Fall von Eisaku vor Gericht gebracht hätte, hätte ihm das Punkte bringen können."

"Das ist, was ihm nicht möglich war", korrigierte Itachi. Sie verspürte das Bedürfnis, ihren Kopf gegen eine Wand zu schlagen. Natürlich war es ihm nicht möglich.

"Als Richter ist es Danzō untersagt, Anklagen zu machen", erklärte sie sich selbst. "Der Oberste Gerichtshof beschäftigt sich nicht mit Bagatellen und Kapitalverbrechen in erster Instanz. Er ist für Verfassungsrechte und Berufungen da—außerdem hatte er die Unterlagen doch längst. Wieso ihre Originale verschwinden lassen?"

"Ab diesem Punkt kann ich nur spekulieren. Vielleicht, um sicherzustellen, dass ihm keiner die Show stiehlt. Oder aber, und dies ist meine eheste Vermutung, er wollte verhindern, dass ich sie bekomme. Danzō ist nicht dumm. Er wusste, dass ich die Spuren leicht zu ihm und Orochimaru zurückverfolgen konnte, aber alleine gegen zwei Fronten zu stapfen, bloß bewaffnet mit einem Bajonett, weil er mir die Munition genommen hat, wäre wenig zielführend gewesen. Ohne Beweise keine Anklage und wo kein Kläger, da kein Richter. In Danzōs Fall hat er mir jedes Mittel genommen, seine und Eisakus Schuld zu beweisen."

"Stattdessen versuchte er dir das Ganze anzuhängen?"

"Mit Sasukes Zeugenaussage und einigen gefälschten Laborberichten, die angeblich meine Fingerabdrücke auf dem Fernzünder für die Bombe beweisen, war es schwer, der Anklage auszuweichen. Es ist ein ebenso trivialer wie perfider Plan und die aufkommenden Anschuldigungen gegen die Uchihas, deren Missetaten nach dem Mord zufällig immer lauter an die Öffentlichkeit drangen, machten es meinem Anwalt schwer, mich in einem anderen Licht als dem des missverstandenen, nach Rache lechzenden Erben erscheinen zu lassen. Der Haftbefehl lag keine Woche nach dem Attentat vor. Deshalb sah ich mich gezwungen, unterzutauchen."

"Wieso Ōsaka?" Sakura hörte auf, auf ihrer Unterlippe zu kauen. Es machte keinen Sinn. "Wieso hast du Sasuke nie die Wahrheit gesagt?"

"Ōsaka ist nach allem meine Heimat. Und für Sasuke … ich brachte es nicht übers Herz, ihn alleine zu lassen. Meine Schuld ist eine bewiesene Tatsache. Die Wahrheit spielt keine Rolle mehr. Ich habe mich damit abgefunden, weil ich immer schon geahnt hatte, dass meine Familie es eines Tages zu weit treiben würde. Ich war viel zu sehr in ihre Machenschaften verstrickt, als dass ich ungeschoren hätte davon kommen können. Der Tag, an dem mein Vater mich zu sich rief, mir ein Kuvert in die Hand drückte und mich anwies, es auf einem Benefitskonzert einem seiner Geschäftspartner unauffällig zu überreichen, war der Tag, an dem mein Schicksal besiegelt worden war. Nach allem ließ ich mich in die Rolle drängen, die man mir zuwies. Selbst wenn ich damit nie einverstanden war, ist das keine Entschuldigung und ich kann nicht behaupten, dass es mir nicht schon oft geholfen hätte, wichtige Leute zu kennen. So kam ich schließlich zu Akatsuki, die nahe genug waren, damit ich ein wachsames Auge auf Sasuke haben konnte, mir aber gleichzeitig Schutz vor der Justiz boten. Orochimaru hätte sich Akatsuki niemals in den Weg gestellt und mit einem Akatsuki-Seitenblick auf den jüngsten Spross dieses verfluchten Klans wusste ich Sasuke in Sicherheit."

"Also hast du es für ihn getan", seufzte Sakura erschlagen von so viel Ehrlichkeit. Sie war ihm dankbar, sein Spiel irgendwann aufgegeben und sich nur mehr auf Fakten beschränkt zu haben. Es war so schon verwirrend genug.

"Orochimaru will sein Geld. Das bekommt er erst, wenn er Sasuke und mich umgebracht hat. Wäre ich ins Gefängnis gewandert, wie Danzō es geplant hätte, wäre Sasukes Leben binnen weniger Stunden nach meinem Schuldspruch zu Ende gewesen. Ehrlich gesagt glaube ich auch, dass Orochimaru genügend Leute im Inneren der Gefängnismauern hat, um mich eines besonders bitteren Todes sterben zu lassen. Das war der Fehler in Danzōs Plan, den er bitter bereut."

"Darum auch die Assassinen, Hidden Leaf und letztendlich die ANBU." Nun hatte sie es. Das gesamte Puzzle. Jeder Teil der zwei Millionen Scherben war an seinem ihm angestammten Platz, feinsäuberlich poliert, sodass sie alles darin sehen konnte. Mit Eifer und Herzblut hatte sie versucht, diese Geschichte zu rekonstruieren. Sie hatte es endlich geschafft. Wieso nur war ihr dabei so elend zumute?

"Danzōs Plan in seiner ganzen Schönheit sah vor, mich einzukerkern und Orochimaru auf ewig hinzuhalten. Doch ich widersetzte mich dieser Linie und blieb frei. Es ist gefährlich für ihn, vor allem so kurz vor den diesjährigen Neuwahlen der Regierung. Sobald die neue Koalition gebildet wird, steht es dem Bundeskanzler frei, seine neuen Minister zu wählen und wie ich Danzō kenne, hat er einige Fäden im Hintergrund, die er zur rechten Zeit hochziehen wird."

"Du könntest es zunichtemachen?"

Itachi nickte, ließ aber ungesagt, wie. Es war auch nicht nötig. Alleine seine Zeugenaussage, flüchtiger Angeklagter oder nicht, würde einen Untersuchungsausschuss auf den Plan rufen, der Danzōs öffentliche Reputation weit genug fallen lassen würde; und selbst wenn nicht, würden die Untersuchungen seinen Aufstieg aufschieben, auch wenn es nicht zu einer Anklage kam, wovon auszugehen war.

Ein Hoch auf das Rechtssystem.

Mit diesem Fakt würde sie sich später beschäftigen. Vorerst hatte sie, was sie begehrte. Eine Nacht darüber zu schlafen, um Erfahrenes zu evaluieren, konnte nicht schaden. Ohne die dritte Tasse Tee angerührt zu haben, stand sie auf.

"Ich gehe zu Bett. Morgen sehen wir weiter."

Er erhob sich ebenfalls und wünschte ihr eine gute Nacht, die sie nicht erwidern konnte. Eine gute Nacht würde sie bestimmt nicht haben nach all den Grausamkeiten, die sie eben gehört hatte. Morgen gab es viel zu bereden, viel nachzudenken. Sie brauchten einen Plan, einen Alternativplan, einen Alternativplan des Alternativplans, Unmengen an Geistesreichtum und Kreativität und am besten ein Grab, in das sie sich jetzt schon einschaufeln konnten. So wie die Dingen standen, war die Chance, lebend aus diesem Malheur aufzutauchen, verschwindend gering.

Mit Narutos Worten ausgedrückt: sie steckten in der Scheiße. Bis zum Hals. Kopf nicht hängen lassen lautete die ausgeleierte Devise, doch kein einziger positiver Gedanke wollte sich in Sakuras Kopf schleichen. Selbst nicht, als sie die Decke über ihr anstarrte und die Decke um sie herum fester zog. Dabei hatte der Schauer nichts mit Kälte zu tun. Itachi beanspruchte die freie Seite des Doppelbettes wortlos für sich, ihr den Rücken zugedreht, so wie sie ihm.

Sakura stieß leise Luft aus ihren Lungen und drehte sich auf den Bauch. Morgen. Morgen würde sie sich Gedanken darüber machen. Und, so Gott wollte, übermorgen vielleicht auch noch. Ihre Augenlider fielen langsam zu und der willkommene Schlaf überrollte sie langsam. Danzō … Shimura Danzō … er würde zahlen für das, was er getan hatte. Sie wusste nicht wie und wann. Aber sie würde dafür sorgen.
 

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Scale Of Devastation


 

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Dreieinhalb Jahre zuvor. Stadtteil Naniwa, Ōsaka.

Ihre Finger zitterten. Sasukes Schelte hallte in ihren Ohren wider.

"Wenn du nur ein Klotz am Bein bist, hau' ab! Naruto und ich haben zu arbeiten!"

Er hatte ihr diese Worte an den Kopf geschleudert, als sie nach seiner Meinung zu einem für ihn irrelevanten Thema gefragt hatte. Als wäre dies ein Sonntagsausflug. Das war es nicht. Es war ihr dritter gemeinsamer Auftrag und sie hatte ihre Kompetenzen bislang nicht gerade bewiesen. Es war schwierig, eigenständig zu agieren, wenn man zu Gehorsam erzogen worden war. Sie hatte schnell herausgefunden, wie der Hase bei Hidden Leaf lief: Sasuke und Naruto stritten sich ständig, stachelten sich an und nutzen diese Energie, um sich an ihre Grenzen zu pushen, die weit hinter ihren lagen. Als Tochter der U.S. amerikanischen Armee mangelte es ihr an Weltverständnis und Flexibilität. Sie war klug, aber das tröstete nicht über fehlenden Instinkt hinweg.

"Träum' nicht!", blaffte Sasuke sie erneut an. Sie kauerte hinter ihm und Naruto in der Ecke einer Seitengasse, an deren Backsteinmauer die beiden lehnten. Sasuke lugte mit gezogener Waffe in die nächste Seitenstraße. Er hatte ihr vor einigen Minuten das Leben gerettet, indem er einen Scharfschützen erschossen hatte, der es vermutlich auf sie abgesehen gehabt hatte.

"N-Natürlich nicht, Sasuke-kun!", japste sie. Ihr blieb die Luft weg, als er ihre Verneinung mit Kopfschütteln Lüge strafte.

"Halte dich im Hintergrund, Sakura. Naruto und ich räumen den Weg frei. Wenn wir mit diesem Auftrag fertig sind, überlegst du dir am besten, ob du die Arbeit hier fortführen möchtest. Ich würde dir raten, es gründlich zu bedenken."

Sakura schluckte. Er hatte sie eben nicht unbedingt subtil dazu aufgefordert, den Job als Hitman aufzugeben. Ein Knoten zog sich in ihrer Brust zusammen—oder war es ihr Herz, das sich mit dieser blanken Zurückweisung wand? Sie brachte ein seichtes Nicken zusammen. Vielleicht hatte er ja recht. Sie war ein Strohmann. Sie war gut darin, Befehle auszuführen, blind zu gehorchen. Sie war zu schwach, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Sasuke hatte ihre Maskerade seit der ersten Sekunde durchschaut. Mit einem Handzeichen bedeutete er Naruto, ihm zu folgen. Sakura blieb, bleich geworden, zurück.

Die beiden waren keine zwei Minuten weg, als ein Knall die Stille der Nacht zerriss, dicht gefolgt von zwei weiteren. Ihr stockte der Atem. Ein Schusswechsel! Die Hand an ihr pochendes Herz gepresst stand sie auf, ohne dabei zu bedenken, dass sie ihre Deckung aufgab. Ihre Teamkameraden waren vielleicht verletzt worden! Verdammt, Sasuke hatte ihr befohlen, hier zu bleiben! Sie waren gut, wieso also nahm sie an, dass nicht sie die Schüsse abgegeben hatten?

Weil sie ein Experte mit Schusswaffen war. Das war nicht Sasukes Waffe gewesen.

Sakura verengte die Augen zu entschlossenen Schlitzen. Sasukes Befehle hin oder her, er war nicht ihr Vorgesetzter! Es war nicht so, als wäre es das erste Mal, dass sie eine direkte Order ignorierte! Die Zeit war gekommen, Verantwortung zu übernehmen!

Das Herz schlug ihr bis zum Hals als sie die Feuerleiter im Hinterhof nach oben auf das Dach nahm, auf dem der Scharfschütze, den Sasuke erledigt hatte, positioniert gewesen war. Sein Gewehr war keines ihrer bevorzugten Modelle, aber es war brauchbar. Und vor allem geladen. Sakura nahm es auf, prüfte es mit einem fachmännischen Handgriff und stürzte hinab, die Waffe bereits entsichert.

Die Tür am Ende des Ganges, hinter dem jenes Drogenlabor war, das sie ausheben sollten, war eingetreten worden. Im Inneren lagen zwei sich krümmende Männer, ein dritter hatte zwei Waffen auf Sasuke und Naruto gerichtet, die hinter einem Regal in Deckung gegangen waren. Der Schuss, den der Koch abgab, zersplitterte eine Glasvitrine. Sasuke duckte sich vor den in alle Richtungen sprengenden Scherben, die seine Wange zerkratzten. Reflexartig hatte auch Sakura sich hinter umgeworfene Holzkisten verschanzt, von denen aus sie eine direkte Linie auf den Mann hatte, der sich vor Sasukes Gegenfeuer hinter einen Schreibtisch kauerte.

"Scheiße!", hallte Sasukes Fluch klar vernehmlich durch die Drogenküche. Sakura hörte ein Klicken. Er hatte keine Munition mehr. Anscheinend waren auch seine Reservemagazine aufgebraucht, denn er schleuderte die leere Waffe in eine Ecke, die Arme schützend erhoben, als der Koch mit erhobener Pistole auf ihn zuging.

"Zu schade", höhnte er mit einem widerlichen Grinsen im Gesicht. Der Finger um seinen Abzug begann sich zu schließen und ein Schuss ertönte.

Sekundenlang herrschte Stille.

Dann sank er mit trüben Augen in sich zusammen. Sasukes Adrenalinspiegel machte es ihm unmöglich, die Situation zu überblicken, und auch Naruto sah sich fragend um. Erst, als Sakura mit vorsorglich ausgerichtetem Gewehr in den Raum trat, brach er in übertriebene Freudentränen aus.

Ihre Miene war ein perfektes Pokerface vor Sasuke, der sie fassungslos anstarrte.

"Sei froh, dass ich ein dickes Fell habe, Sasuke-kun, sonst hättest du jetzt eine Kugel in der Brust."

Sie bekam ihre Stimme, die klar und überlegen an Sasukes Ohren drang, nur am Rande ihres Bewusstseins mit. Dafür brannte sich die Anerkennung, mit der er ihr zunickte, für immer in ihre Erinnerungen ein. Seine Worte, die er sprach, als er sich prüfend neben den Toten kniete, schrillten wie die schönsten Glocken durch ihren Kopf.

"Genau zwischen die Augen. Ein perfekter Schuss."

Er sah sie an.

"Danke."
 

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Die aufgehende Sonne kitzelte in Sakuras Nase. Sie musste niesen und als sie es tat, zog sie die Bettdecke enger um sich, ohne auf erwarteten Widerstand zu stoßen. Gerüche von Kaffee, frischem Gebäck und Eiern drangen in ihr erwachendes Bewusstsein, von wo aus sie Knurren in ihrem Magen auslösten. Seit gestern Früh hatte sie nichts Anständiges mehr gegessen. Der Speck duftete verführerisch.

"Einen wunderschönen guten Morgen, Sakura."

Sie schlug die Augen auf. Dort saß er, geduldig mit leeren Tellern auf sie wartend, am Esstisch neben der Küchenzeile. "Morgen", murmelte sie verschlafen, hungrig auf den gedeckten Tisch starrend.

"Er beißt nicht." Itachi verdrehte die Augen. "Die Sachen sind von einem Cafe um die Ecke. Sie hatten nur westliches Frühstück."

"Ist doch in Ordnung", meinte sie und biss herzhaft von einem der bestrichenen Buttertoasts ab. Als hier lebende Japanerin mit amerikanischen Gewohnheiten hatte sie sich geschworen, nicht aus der Reihe zu tanzen. Wie sehr hatte sie kontinentales Frühstück vermisst! Eingebildete Freudentränen schossen in ihre Augen, als das Stück Weißbrot ihre Speiseröhre hinunter rutschte. "Wundervoll!"

"Iss lieber reichlich. Wir werden die Kraft für heute Abend brauchen."

Ach ja? Davon wusste sie nichts. "Was hast du vor?", fragte sie mit unangemessen samtener Stimme. Er beachtete ihren Tonfall nicht. Stattdessen schob er ihr den Takeaway-Becher des Cafés hin. Als sie ihn entgegennahm, streiften ihre Hände einander—zufällig—ehe er sie wegzog. Verrückt, wie tief ihre Gedanken in seiner Hinsicht reichten. Sie hatte gestern eine neue Seite kennengelernt, und auch, wenn Sakura immer der Meinung gewesen war, emotionale Männer würden nicht in ihren Interessensbereich fallen, so strahlte Itachis verletzliche Seite—so verletzlich wie eine zerbrochene Glasscherbe, die immer noch gefährlich war—eine Attraktivität aus, um die sie nicht umhin kam. Dass sie errötete, als er sie auf ihr Starren hin ansah, war ihr ganz und gar nicht recht. Sie kaschierte es mit einem Hüsteln.

"Ich werde heute in Erfahrung bringen, wo Orochimarus Versteck ist."

Ach ja, sie hatte ihm ja eine Frage gestellt—Moment. Zurückspulen und Standbild: Orochimaru?

"Orochimaru?", wiederholte sie laut, nachdem sie sich beinahe an ihrem Kaffee verschluckt hatte. "Sag mir nicht, du möchtest da hinein marschieren, ihn umlegen und wieder heraus spazieren. Das ist hirnverbrannt! Bitte sag mir, dass du wenigstens einen Plan hast!" Er nickte und sie atmete erleichtert aus. "Wie sieht er aus?"

"In Orochimarus Versteck marschieren, ihn umlegen und anschließend hinaus spazieren. Du hast die Kernpunkte sehr treffend zusammengefasst."

Sakuras Stuhl kippte um, als sie entsetzt auffuhr. "Das ist doch kein Plan! Das ist Selbstmord!"

"Setzt dich und hör auf, herumzuschreien wie eine Geisteskranke", befahl er. Tsk. Als würde sie irgendjemandem gehorchen!

"Du bist der Geisteskranke, wenn du denkst, du würdest damit durchkommen, Itachi!", rief sie aufgebracht. "Ich bin nicht lebensmüde! Jetzt, wo ich die Wahrheit kenne, werde ich alles daran setzen, diese Sache gerade zu biegen! Gib mir nur ein wenig Zeit, ja?" Ihre Augen folgten ihm, als er aufstand und auf sie zuging. "Itachi, hör auf. Sieh mich nicht so an."

Er legte seine Hand an ihre Halsbeuge, um mit dem Daumen über ihren Kiefer zu streichen. "Wie sehe ich dich an?", wollte er in sanftem Timbre wissen.

Sakura wich seinem Blick frustriert nach oben hin aus. "Als würde ich spinnen."

"Hier geht es aber nicht um dich, Sakura, oder um mich." Itachi befreite sie aus seiner Berührung, die an ihrer Haut brannte, als hielte er sie immer noch aufrecht. "Seit einem Jahrzehnt tue ich alles, was ich tue, für Sasukes Sicherheit. Du willst, dass er sein Leben endlich frei von seiner Vergangenheit leben kann, nicht wahr?"

Hätte er ihr diese Frage vor zwei Monaten gestellt, hätte sie schreiend bejaht. Sie würde es noch immer. Heute mit Einschränkungen. "Es ist nicht fair, dass du—"

"Um dieses Ziel zu erreichen", unterbrach er sie, "muss Orochimaru ausgeschaltet werden. Nur darum bin ich hier. Was du oder ich wollen, spielt keine Rolle. Ich werde tun, was nötig ist, um den letzten Teil meiner Familie zu schützen, den man mir nicht genommen hat."

Selbst wenn ich dabei sterbe. Obwohl er es nicht sagte, spürte Sakura, dass er es so meinte. Für Sasuke würde er sogar sie opfern. Sie hatte nicht das Recht, egoistisch zu sein, oder ihn deswegen zu verurteilen. Es war unfair, aber nobel. Sie wollte ebenso nobel sein.

"Ich werde dir helfen, Itachi."

"Danke."
 

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Kakashi stützte seine Hände auf die Knie und legte seinen Kopf darauf, das Mobiltelefon noch immer fest umklammert. "Das war Kurenai."

"Und?", fragte Naruto. Er hatte sich gegen ärztlichen Rat selbst aus dem Krankenhaus entlassen. Die Mitglieder von Hidden Leaf konnten nicht behaupten, unglücklich darüber zu sein; das Hauptquartier war nicht dasselbe gewesen ohne ihren blonden Chaoten.

"Sie rief aus dem Krankenhaus an. Die Ärzte konnten nichts mehr für Asuma tun. Er ist hirntot. In ein paar Stunden schalten sie die Geräte ab."

"Wir müssen zu ihr!", rief er aufgebracht.

"Nein", wehrte Kakashi ab. "Sie sagte, eine Mitarbeiterin ihrer Kanzlei sei bei ihr. Vermutlich Hinata. Sie leistet ihr seelischen Beistand, aber ich denke, mehr als das kann Kurenai nun nicht ertragen. Kondolenzfloskeln kann sie gerade am wenigsten gebrauchen."

Sasuke schüttelte den Kopf, als sein Freund sich hilfesuchend an ihn wandte. "Lass es gut sein, Naruto. Ich denke nicht, dass wir etwas für sie tun können."

"Diese Weiber", murmelte Naruto. "Erst macht Sakura sich aus dem Staub, dann verschwören sich Hinata und Kurenai-sensei gegen aufrichtiges Beileid. Frauen."

Er zuckte die Schultern. Mit Naruto eine Diskussion über Sexismus zu beginnen war keine Lösung. Sasuke hatte weit größere Probleme. Nach dem Anschlag auf seinen Bruder war die ANBU aus dem Nichts aufgetaucht und hatten sich eine wilde Schießerei mit Lee, Tenten und ihm geliefert; das hieß: nicht wirklich. Es hatte gewirkt, als wären die Mitglieder von Hidden Leaf bloß ein Hindernis gewesen. Sie waren jedenfalls nicht an der Verteidigungslinie vorbeigekommen, obwohl sie Lee mit zwei mittelschweren Streifschüssen ins Krankenhaus gebracht hatten. Mehr oder minder absichtlich. Der Tollpatsch war nach hinten getaumelt und von einer Feuerleiter gefallen, sodass er sich den Fuß gebrochen hatte. Zusätzlich hatte Sakura auch noch seinen Wagen geklaut—sie hatte doch gar keinen Führerschein!—und die Leiche seines Bruders war ebenfalls nirgends zu finden, stattdessen hatte die ANBU einen anderen toten Akatsuki liegengelassen. Hatte Sakura die Leiche bereits entsorgt? Wie hatte sie sie in die Garage schleppen können? Tentens Erklärungsversuche waren lau gewesen, ein wenig unglaubwürdig, also musste Sasuke annehmen, dass etwas dahinter steckte.

"Hey, Sasuke, wo willst du hin?"

Er antwortete Naruto nicht. Besser, der Blödmann wusste von nichts, dann würde er ihm wenigstens nicht in die Quere kommen.

Sasuke wusste nicht, wieso er annahm, Tsunades Büro könnte die Lösung für seine Probleme bieten. Er hatte es im Gefühl. Sie war mit Shizune und Jiraiya bei einem Kliententreffen am anderen Ende der Stadt und eindeutig zu leichtgläubig. Das Schloss zu ihrem Büro hätte jeder Dilettant knacken können. Sasuke brauchte nicht einmal eine seiner Scheckkarten, um sich Zutritt zu verschaffen. Es war dunkel, weil sie die Rollläden geschlossen hatte, ansonsten wirkte es wie gewohnt.

Die Informationsordner befanden sich wie immer im weißen Kasten an der rechten Wand, dessen Vorhängeschloss er mit dem Schlüssel aus der vierten Schublade des Schreibtisches öffnete. Tsunade war zu vertrauensselig. Oder schlampig.

Neugierig zog er den gesuchten Ordner aus der Reihe. Er war violett, wie die Firmenfarbe des Mannes, dessen Aufenthaltsort er gleich in Erfahrung bringen würde. Die Blätter waren alphebetisch sortiert, der Buchstabe O als einer der letzten Vorhandenen. O wie Oto. O wie Orochimaru. Mit dem Finger fuhr Sasuke über den Abstract, der die wichtigsten bekannten Fakten über Orochimaru umriss. Er beinhaltete nichts, das er nicht schon wusste. Sogar weniger. Ihn interessierte bloß ein Unterpunkt.

"Da bist du ja." Sasuke verzog den Mund zu einem entschiedenen, eiskalten Lächeln. Die Adresse stand da, fein säuberlich und gut zu lesen. Tsunade hatte sie händisch eingetragen, also konnte sie sie noch nicht lange haben. Wie dem auch war, heute war der Tag der Abrechnung gekommen. Was auch immer Sakura mit Itachis Leiche gemacht hatte, sei's drum. Sein erstes Problem war erledigt. Das zweite würde er jetzt in Angriff nehmen, um endlich abzuschließen. Er hatte lange genug gekuscht. Heute war der Tag der Abrechnung gekommen. Und Orochimaru würde für das büßen, was er ihm vor zwei Jahren angetan hatte.

"Sasuke! Was in Dreiteufelsnamen denkst du, tust du hier?"

Naruto sah ihn entsetzt an. Mit vier großen Schritten war er bei ihm, zog ihm am Kragen auf und warf ihn gegen den Aktenschrank.

"Lass mich los, Dobe!"

"Zuerst sagst du mir, was das soll! Du Arschloch bist in Tsunade-obaachans Büro eingebrochen! Ich will wissen, wieso! Rede, sonst prügle ich es aus dir heraus!"

"Ich sagte: lass. los." Sasuke befreite sich aus dem Griff, indem er Naruto in den Magen schlug, der rückwärts taumelte und erst Halt an der Kante des Schreibtisches fand. "Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig! Hau' ab, oder ich schlage dein Gesicht zu Brei!"

"Zuerst sagst du mir, was du vorhast!" Naruto stieß sich vom Tisch ab, stürzte sich auf ihn und stieß ihn nieder. Er stoppte seine Faust kurz bevor sie Sasukes Wange berührte. "Rede!"

Sasuke funkelte ihn an. Diese Nervensäge musste seine Nase aber auch immer in fremde Angelegenheiten stecken! "Orochimaru ist heute fällig."

Naruto stockte erst, dann ließ er ihn los. Wortlos stand er auf, strich sich seine Kleidung glatt und starrte auf seinen Freund hinab. "Wieso hast du das nicht gleich gesagt, Sasuke? Wie lautet die Adresse?"

"Tsk." Sasuke schnalzte mit der Zunge. "Denkst du, ich würde dich mitnehmen?"

Naruto streckte ihm seine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. "Denkst du, ich würde dich alleine gehen lassen?"

"Du kannst echt nerven."

Er verschränkte die Arme fröhlich hinter dem Kopf und grinste, seine weißen Zähne zwischen den Lippen hervorblitzend. "Darum magst du mich doch, nicht wahr?"

"Naruto?"

"Hm?"

"Du bist und bleibst ein Vollidiot."
 

.

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Die Sonne ging unter und während sie das tat, sprengten Schreie durch ein verwinkeltes Bürogebäude am anderen Ende der Stadt.

"Pass auf, wie du um dich schlägst, du Trottel!", schrie Sasuke Naruto an, der ihn beinahe mit seinem Ellenbogen getroffen hätte. Mit dem Griff seiner QSZ-92, einer chinesischen Pistole, schlug er einen von Orochimarus Häschern nieder. Wer hätte gedacht, dass Orochimaru höchstpersönlich im sechsten Stock eines netten, sauberen Bürokomplexes seine Machenschaften plante? Ihm gehörte die halbe Etage, die durch Sicherheitsglas und verwinkelte Gänge ein Bollwerk gegen seine Feinde bildete. Der Name der Briefkastenfirma, auf welche die Miete lief, wies den linkten Trakt im sechsten Stock als Kapitalanlagefirma aus.

Einfaltspinsel.

"Hier waren wir doch schon, oder, Sasuke?", fragte Naruto, während er das Gesicht eines hässlichen Mannes bearbeitete. Er zog ihn am Kragen seines zerrissenen Poloshirts hoch. "Wo ist Orochimaru?"

"I-Ich—"

Naruto unterbrach ihn, indem er die Knöchel seiner Faust in seine Nase rammte. Der Mann johlte schmerzvoll auf, Blut schoss aus den Nasenlöchern, die zu einem Riechorgan gehörten, das eindeutig gebrochen war. Dass Narutos Arm, den er sich vor drei Tagen angebrochen hatte, dabei schmerzte wie die Hölle selbst, ignorierte er geflissentlich. Heute würde es enden. So oder so. Er hatte es Sasuke versprochen.

"Na los!", blaffte er den Hässlichen an.

"D-Dritter Gang links, zweite Tür!"

"Wehe dir, die Information stimmt nicht." Er ließ ihn los und stand auf, um bedrohlich auf ihn herabfunkeln zu können. "Möchtest du etwas korrigieren?"

"N-Nein, ich schwöre es! Wirklich!"

Zufrieden mit dieser Antwort stieg er über den am Boden Liegenden hinweg zu Sasuke, der einige Meter weiter zwei weitere Handlanger mit seinem Knie malträtierte. "Hast du etwas herausgefunden?", fragte er.

"Dort hinten müsste es sein. Bist du bereit?"

Sasuke schloss für einen Augenblick die Augen. Er war so weit gekommen—sie waren so weit gekommen. Mit einem gezielten Schlag gegen dessen Schläfe, knockte er einen eben ankommenden Angreifer aus. Es war ein Befreiungsschlag. Sasuke schlug die Augen auf.

"Ja."

"Gut. Dann los!"
 

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Zwei Jahre zuvor. Stadtteil Ikuno, Ōsaka.

Den Ausdruck in Orochimarus Gesicht würde Sakura nie vergessen. Er hatte die Dreistigkeit besessen, sich in einem alten Versteck von Akatsuki einzunisten und den Bruder eines ihrer stärksten Mitglieder dorthin zu entführen. Alleine deswegen hätte Uchiha Itachi ihn töten sollen.

Sakura starrte ihn an, unbewaffnet. Diese pinkhaarige Schlampe von Leibwächterin, Tayuya, hatte sie ihr entwendet, als sie an der Seite von Asume, Lee, Kakashi, Naruto und Sarutobi höchstpersönlich in die verlassene Basis gestürmt war. Sarutobi war ein gutmütiger Mensch, ordentlich und gelassen, doch wenn sein ehemaliger Schüler sich erdreistete, einen seiner Schützlinge zu entführen und zu misshandeln, hörte jede Gepflogenheit auf. Noch nie hatte Sakura ihn derart wütend gesehen. Noch nie hatte sie selbst derartige Wut empfunden. Zu sehen, wie Sasuke mit blutenden Wunden in Ketten gelegt gezwungen wurde, auf seinen malträtierten Beinen an einer kalten Wand zu stehen, entfachte in ihr ein Feuer des Zorns. Naruto ging es nicht anders. Er war Orochimarus und dessen Schoßhund zusammen mit Kakashi und Sarutobi gefolgt, als die beiden Feiglinge geflohen waren.

Das ließ Asuma, Lee und sie gegen Tayuya und den Anführer der Garde, einem weißhaarigen Mann, der sich Kimimaro nannte. Auf einer dritten Seite standen Uchiha Itachi, jemand mit dem Spitznamen Akasuna no Sasori und ein dritter Akatsuki, den sie nicht kannte. Wieso sie hier waren, hatten sie nicht verraten—wieso auch? Es war ihre Lagerhalle und es war Uchihas Bruder, der dort an der Wand gepeinigt wurde. Bloß die Pistole, die Kimimaro an Sasukes Brust gepresst hielt, hielt Akatsuki davon ab, ihn hier und jetzt zu meucheln.

Es stand schlecht. Lee war von dem Weißhaarigen ausgeknockt worden, Asuma war wie sie unbewaffnet. Im Gegensatz dazu sah sie zwei Desert Eagle auf sich gerichtet. Wie pathetisch, mit zwei Waffen zu hantieren. Kimimaro überschätzte sich gewaltig.

"Sakura, ruhig Blut", versuchte Asuma sie zu beruhigen. Er machte einen kontrollierten Schritt zurück. Sie presste unwillkürlich die Zähne aufeinander, als Tayuya an den schwer verletzten Sasuke trat, der am Rande zur Ohnmacht stand, und ihm beinahe zärtlich über die Wange strich.

"Erschieß mich doch, Mädchen." Ihr Hohn schlug Sakura mitten ins Gesicht. Selbst wenn sie bewaffnet gewesen wäre: diese Schlampe stand genau hinter Sasuke, Wange an Wange.

"Wieso habt ihr Sasuke entführt?", fragte Asuma. Er erwartete keine Antwort. Er bekam auch keine. Kimimaro begann hysterisch zu kichern, als er auf Lees von sich gestreckten Arm trat, der ein Geräusch machte, als würde er bersten.

"Lee-san!", kreischte Sakura. Sie wollte zu ihm, doch die Waffe an Sasuke Herz hielt sie davon ab. Sie spürte die Form ihrer Notfallpistole unter ihrem Mantel an ihre Taille drücken, doch es war keine Präzisionswaffe. Sie war wertlos.

"Nah-ah", tadelte Tayuya. Er strich Sasuke die Stirnfransen aus dem Gesicht. "Unser kleiner Sasuke-chan hat nun lange genug mit seinen Freunden gespielt. Es wird Zeit, zu gehen."

Sakura wusste im Nachhinein nicht mehr, wie ihre Hand ins Innere ihres Mantels gegriffen, Asuma Kimimaro niedergerammt und sie abgedrückt hatte. Der Schuss aus dem Lauf ihrer handlichen Pistole ging ihr durch Mark und Bein. Sie hatte die Nerven verloren. Sie hatte mit zittrigen Händen auf Sasuke geschossen, der erschrocken aufschrie, hinter ihm Tayuyas Aufkeuchen. In ihrer blinden Panik gab sie einen weiteren Schuss ab, als Sasori und der andere Akatsuki auf sie zustürmten. Drei Körper gingen dumpf zu Boden.

Sakura wagte nicht, hinzusehen. Obwohl ihre weit aufgerissenen Augen direkt auf die Tayuya und Sasuke gerichtet waren, konnte sie sie nicht fokussieren. Hatte sie Sasuke anstatt Tayuya getroffen? Ihre Beine schienen nachzugeben—aus Schwäche, Angst und Blutverlust durch ihre eigenen Wunden. Mit letzter Kraft lief sie auf Sasuke zu, der an den Ketten baumelte. Sein schneidender Fluch zerriss ihre Anspannung.

"Du Vollidiotin!" Wenigstens hatte er den Anstand, zu gendern. "Du hättest mich treffen können, verdammt! Was hast du dir dabei gedacht, Sakura?!"

Erleichterung überschwappte sie mit all der freudigen Intensität, die sie aufbringen konnte. Mit dem Schlüssel, den sie Tayuyas Leiche entnahm, befreite sie ihren Teamkameraden, der in ihre Arme sank.

"Ich sagte doch, ich verfehle nie."

"Verfluchte Angeberin." Es war ein schwacher Ton, der ihm entwich, ehe er das Bewusstsein verlor und Sakura mit sich zu Boden zog. In einer Umarmung vertieft, hielt sie ihn, bis Kakashi und Asuma seinen bewusstlosen Körper von ihr nahmen.

"Wir verloren Orochimaru und Kabuto keine zwei Blocks von hier", sagte Naruto, der erst Sasuke ansah, ehe er Sakura aufhalf. "Er hat ihn getötet, Sakura-chan." Tränen drangen in seine wasserblauen Augen, die er niederschlug.

"Wen, Naruto?"

"Sarutobi-sama. Sakura-chan, wir konnten ihm nicht helfen. Du hast Sasuke gerettet, aber wir—"

"Naruto", sagte Kakashi eindringlich, "Sarutobi-sama wusste, was er tat, als er sich Orochimaru in den Weg stellte. Mach dich nicht dafür verantwortlich. Wichtig ist Sasuke. Er ist am Leben."

"Ich frage mich, was sie mit ihm gemacht haben", murmelte Sakura leise. Sie warf einen Blick zu dem rothaarigen Akatsuki, den sie in einem günstigen Moment erwischt hatte. Kimimaros und Tayuyas Leichen lagen blutend neben ihm. Die anderen beiden Akatsuki, wieso auch immer sie gekommen waren, waren verschwunden.

Kakashi hatte recht. Was aus Hidden Leaf werden würde, war vorerst unwichtig. Sasuke zählte. Er legte seine Jacke um Sasuke.

"Egal, was es war, es muss schrecklich gewesen sein. Wir können von Glück reden, wenn Sasuke keine physischen Folgeschäden davonträgt."

Drei Wochen später kündigte Uchiha Sasuke seinen Vertrag bei Hidden Leaf fristlos.
 

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Sie hatten den dritten Gang als ausgestorben erwartet. War es in den guten Actionfilmen nicht immer so; die Helden kämpften sich ihren von Leichen gesäumten Weg durch Fluten an Schergen, um kurz vor dem Ziel in einem menschenleeren Teil der Finalkampfarena neue Kraft tanken und dramatische Wendungen resümieren zu können?

Weit gefehlt.

Orochimaru war ein paranoider Scheißkerl, der den Tumult längst mitbekommen hatte. Sasuke hatte bereits am Anfang gemerkt, dass die ursprünglich als solche gedachten Fluchtwege durch den Anbau an Fluren, Zimmern und Zwischenkammern nicht direkt zu erreichen waren—was baubehördlich ein saftiges Bußgeld kosten würde. Wenn Orochimaru aus ihm unerfindlichen Gründen die nächsten zehn Minuten überlebte, konnte Sasuke ihn wenigstens anzeigen.

Eine ernüchternde Vorstellung, zu deren Wahrheit es niemals kommen würde.

Die derzeitige Wahrheit war, dass der Kopf von Oto gut zwanzig Leute vor seine Tür gestellt hatte, die mit erhobenen Fäusten die letzte Barriere zwischen Sasuke und seiner Freiheit darstellten. Naruto wusste das.

Noch ehe Sasuke reagieren konnte, war sein Kamerad nach vorne geschossen, bewaffnet mit einer Eisenstange, die er zuvor irgendwo aufgelesen hatte, und säuberte den Weg mit einem Berserkerschrei, der Sasuke zurückweichen ließ. Die gellenden Schmerzensschreie seiner unwürdigen Gegner vermischten sich mit dem Kampfgebrüll und dem dumpfen Klirren, das Metall von sich gab, wenn es auf Fleisch traf, als Naruto die Schergen nach der Reihe oder auch im Duett bis Triplett zur Seite fegte. Als er fertig war, wischte er sich Schweiß von der Stirn.

"Ich denke er weiß längst, dass wir hier sind."

Sasuke konnte nichts darauf erwidern. Er überprüfte akribisch das Magazin seiner Waffe, das Blut in seinen Ohren rauschend. Ihm war schlecht. Jahrelang hatte er sich diesen Augenblick herbeigesehnt. Sein Bruder war tot, Orochimaru folgte ihm alsbald. In weniger als fünf Minuten wäre er frei. Es war ein berauschendes Gefühl, das sein Herz zusammenstauchte

"Sasuke?"

"Alles in Ordnung", wehrte er Narutos Sorge ab. Das leidvolle Stöhnen der verprügelten Oto-Schergen war ein Warnsignal. "Orochimaru wird nicht ewig warten."

"Bereit?"

"Seit Jahren."

Sasuke war Naruto dankbar, dass er ihm den Vortritt ließ. Er hatte sich einen heroischen Auftritt überlegt, doch nun, da er hier stand, legte er bloß seine Hand an die Türschnalle, drückte sie hinab und trat ein.

Orochimarus Büro war in modernen, dunklen Farben gehalten. Der Schreibtisch, hinter dem er umringt von fünf Leibwächtern geduldig stand, war der allerletzte Hindernis. Sasuke wusste, dass er es bereits vieles als das gesehen hatte; diesmal war es endgültig. Orochimarus stechender Blick trieb ihm einen blitzenden Schauer durch Mark und Bein.

"Schön, dich wiederzusehen, Sasuke-kun", begrüßte er ihn mit seiner zischenden Stimme, samten wie ein zu oft benutztes Reibeisen. "Ich fragte mich bereits, wann du Rache nehmen würdest."

"Wieso?" Sasukes schneidende Stimme war klarer, als er es sich zugetraut hatte. Jahrzehntelanges Training hatten sein Gesicht von jedweder Emotion blankgewischt. Als Orochimaru zögerte, zuckte Sasukes bewaffnete Hand nach links. Der Schuss, den er reflexartig im Bruchteil einer Sekunde abgab, traf den weißhaarigen Mann neben Orochimaru, an den Sasuke sich nur schemenhaft erinnern konnte. Kabuto hatte ihn damals mit Drogen vollgepumpt, um ihn handlungsunfähig zu machen. Heute, zwei Jahre später, bekam er die Quittung dafür. Er ging mit vor entsetzter Überraschung geweiteten Augen nieder.

"So feindselig, Sasuke-kun", tadelte Orochimaru. Der Tod seiner metaphorischen rechten Hand schien ihm nicht viel auszumachen. Mit seiner physischen Rechten gab er drei seiner übrig geblieben Leibwächtern ein knappes Zeichen, das sie vorstürmen ließ.

"Überlass sie mir, Sasuke!", bat Naruto, der sich nach vorne stemmte und der schwarzhaarigen Frau eine Kopfnuss verpasste, die sie schreiend nach hinten stolpern ließ. Er konnte sich an die drei erinnern; sie hatten ihm vor vier Monaten in einer Bar Probleme gemacht. "Die Typen haben Sakura-chan beleidigt! Das werde ich ihnen heimzahlen!"

Sasuke war wortlos einverstanden. Es bedurfte keiner Zustimmung. Naruto wusste, dass ihn niemand anderer interessierte als Orochimaru, der seelenruhig hinter seinem Schreibtisch stand, flankiert von Karin, die leichenblass geworden war. Sie hatte ihre Position leicht versetzt hinter ihm eingenommen, sodass er nicht sehen konnte, wie sie um Luft rang, als er ihr einen Befehl erteilte.

Orochimaru grinste schadenfroh. "Karin berichtete mir, dein Bruder habe das Zeitliche gesegnet, Sasuke-kun. Dann kann ich meine Belohnung wohl endlich an mich nehmen. Ich ließ monatelang nach dir suchen, nachdem du mir zum ersten Mal entwischt warst. Dabei hätte ich einfach nur warten müssen. Wie schön sich doch alles zusammenfügt. Karin, Liebes, würdest du diesen Störenfried beseitigen?"

Karin. Sie war der Grund, wieso Sasuke ihn nicht schon längst erschossen hatte. Orochimaru dachte in seiner Selbstherrlichkeit, dass er sich nicht traute. Dem war nicht so. Ganz und gar nicht. Sasuke wusste, dass Karin nicht damit gerechnet hatte, in diese Situation zu kommen, als sie ihren Pakt geschlossen hatte, dessen Vorteilshälfte sie längst eingelöst hatte. Nun war er am Zug.

"Karin! Töte ihn!", zischte Orochimaru, der sichtlich seine Geduld verlor. Ungehorsam wurde in Oto mit dem Leben bestraft. Zu dumm nur, dass Karins ihm längst nicht mehr gehörte.

Er hatte keine Zeit mehr, sich dessen bewusst zu werden.

Zeitgleich, als Narutos letzter Gegner zu Boden ging, zog Sasuke seinen Finger an.

Der Schuss, der ertönte, war nicht der erste, den er jemals abgegeben hatte. Bei weitem nicht. Doch es war der schönste. Und es würde der letzte sein.

Sasuke beobachtete mit einer tauben Genugtuung wie Orochimaru röchelnd niedersank, eine Hand an seine Brust gepresst, durch deren Finger Blut strömte. Er hatte eine Arterie getroffen. Selbst wenn es kein glatter Schuss zwischen die Augen war, so wie Sakura es ihm oft genug vorgeführt hatte, war es der beste, den er in seinem Leben gesehen hatte. Nichts konnte mit der überwältigenden Tatsache mithalten, dass er, Uchiha Sasuke, gesiegt hatte.

Über alle.

"Wir sind quitt", sagte Karins matte Stimme, die ihn daran erinnerte, dass sie hier war. Sasuke hatte seine Waffe noch erhoben, obgleich Orochimaru längst aufgehört hatte zu atmen.

"Nein", berichtigte er. Seine Verneinung trieb einen fassungslosen, dumpfen Ausdruck auf ihr Gesicht, der sich in stille Panik umwandelte, als er seine QSZ-92 auf sie richtete.

"S-Sasuke—hey! Krieg' dich mal wieder ein, Mann!", stotterte Naruto, der an ihn trat und seine Schulter berührte. Sasuke schüttelte seine Hand ab. "Ist dir eine Sicherung durchgebrannt, oder was? Lass sie in Ruhe! Wir müssen verschwinden, bevor die Polizei eintrifft!"

"Was ist falsch mit dir, du Freak?", kreischte Karin mit Tränen in den Augen. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. In Sasukes Augen lagen keinerlei Skrupel. Sie war keine Unschuldige. Er hatte sich geschworen, die Welt von allem Ekel zu befreien. Sie zählte dazu. Ein Schuss mehr oder weniger, eine Seele mehr, die er genommen haben würde, was machte das schon?

"Du schuldest mir noch dein Leben. Oder hast du das vergessen?"

Sie wich zurück, wo sie mit dem Rücken an die Wand stieß. Plötzlich drangen gedämpfte Stimmen aus einem der Gänge in das Büro, dicht gefolgt von Schritten.

Zu spät.

Jemand hatte sie gefunden.

Bloß wer?
 

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Heavy Rain


 

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Monatelang hatten sie nach Orochimarus Basis gesucht. Oto hatte viele Zweigstellen, die es alle paar Wochen verlagerte, nichtsdestoweniger war es weithin bekannt, dass Orochimaru aus einem angemeldeten Büro heraus seine Organisation befehligte. Bloß wo sich dieses Büro befand war unbekannt. Sakura wusste, dass Tsunade ihre eigenen Untersuchungen angestellt hatte, und dass Asuma, Kakashi und Gai während ihrer Nachforschungen Akatsuki betreffend ebenfalls auf einige Anhaltspunkte gestoßen waren, die letztendlich dazu geführt hatten, einen Adressblock zu generieren, dessen vierte Adresse erst vor wenigen Tagen bestätigt werden konnte. Kurz bevor Naruto entführt worden war, hatte Tsunade ihre erfahreneren Hitman angewiesen, einen Übergriff auf Oto zu organisieren.

Sakura wusste es, weil Tsunade es ihr gesagt hatte.

Es war die Arbeit von Monaten gewesen.

Uchiha Itachi brauchte einen einzigen Anruf, um diese Adresse herauszufinden.

Sie hasste ihn dafür.

Und sie bewunderte ihn deswegen.

Er war ein zweischneidiges Schwert, das sie nicht wagte zu umfassen, selbst wenn alles in ihr danach schrie. Sie hatte gehofft, das wahre Ausmaß seiner angeblichen Skrupellosigkeit mit eigenen Augen beobachten zu können, doch der Weg, den sie sich durch Orochimarus Basis bahnten, war gesäumt von bewusstlosen Handlangern, an denen Itachi diese ihm nachgesagte Skrupellosigkeit nicht beweisen konnte.

Sie folgten der Spur, Itachi voran, bis sie an einer Gabelung landeten, an deren Wand ein Mann mit Schusswunde lag. Das Magazin seiner Waffe war verschwunden, dafür lag eine Hülse nicht weit von seinen Beinen entfernt auf dem Boden. Sakura nahm sie auf und drehte sie zwischen ihren Fingern.

"Dieses Kaliber kommt mir bekannt vor. Ein chinesisches Modell. Tentens Lieblingsspielzeug, wenn ich nicht irre."

"Das heißt?"

"Es ist die Waffe, mit der sie Sasuke das Schießen beibrachte", stellte sie fest. "Er muss hier sein. Nur wenige andere, die die Dreistigkeit und Dummheit besitzen, in Orochimarus Hauptquartier zu stürmen, hätten ihre Gegner nicht getötet. Wohin sollen wir?"

Ein Schuss ertönte von rechts. "Da lang", deutete Itachi. Er versuchte um die Ecke zu spähen, doch der Gang war bloß ein weiterer mit ohnmächtigen Menschen gespickter.

"Hast du eine Waffe bei dir?"

Er nickte und verwies auf ein ansehnliches Fabrikat aus England, das in der Innentasche seiner Jacke war. "Immer."

"Gut." Sie zog ihre eigene Pistole, entsicherte und lud sie vorsorglich. Dieser Schuss konnte viel bedeutet haben; hatte Orochimaru Sasuke erschossen oder umgekehrt? Täuschte sie sich und Sasuke war gar nicht hier? Sie würden es herausfinden.

"Dort, von wo der Schuss kam, liegt sicherlich Orochimarus Büro", sagte Itachi. "Wir stürmen es gemeinsam; ich sichere die rechte Seite, du die linke. Sollte jemand mit einer Waffe auf uns zielen, erschießen wir ihn, ehe er die Möglichkeit hat auf uns zu feuern. Sobald das Feuer eröffnet ist—"

Sakura hob ihre unbewaffnete Hand, mit der sie die seine aufnahm und aufmunternd drückte. "Ich bin keine Anfängerin. Vertrau mir einfach."

Sein Nicken kam um einen Sekundenbruchteil zu spät, woran sie sich jetzt nicht stören mochte. Sie würde ihm später Vorhaltungen machen, wieso er gezögert hatte. Vorerst pirschten sie sich gemeinsam an die geöffnete Tür an, vor der Itachi seine Finger stumm von drei abzählte. Dann fielen sie ein.
 

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Sakura wusste nicht wieso, aber sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass Sasuke seine Waffe gegen sie erhoben hatte. Ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen hatten weder Naruto noch er damit gerechnet, Sakura hereinstürzen zu sehen. Womit sie gewiss noch weniger gerechnet hatten, war Itachi.

Quicklebendig.

Was auch immer Tenten ihnen erzählt hatte, was auch immer sie glaubten, sie hatten eindeutig angenommen, Itachi sei tot.

Weit gefehlt.

Das schien nun auch Naruto zu realisieren, der nach vorne sprang, Sakuras Handgelenk umfasste und sie hinter sich und Sasuke zog, wobei er ihr beinahe die Schulter auskugelte. Sasuke hielt die Pistole weiterhin auf Itachi gerichtet, der die seine reflexartig entlud, ihr Magazin auslöste und getrennt von der Hülle in verschiedene Richtungen warf, um die Arme erheben zu können. Sakura beobachtete mit bangem Entsetzen, wie er schutzlos vor seinem Bruder stand, hinter dessen geschockter Fassade sich einiges zu überschlagen schien.

"Ich dachte, du hättest ihn getötet, Sakura-chan!", rief Naruto. Er hielt sie beschützend umarmt, sodass ihr die Luft zum Atmen fehlte.

"Lass los, Naruto!" Mit einem Ruck befreite sie sich aus seinem Griff, den er sichtlich widerwillig aufgab. Wie er sich protektiv vor sie stellte machte sie rasend, doch sie hielt sich zurück. Jedes falsche Wort konnte Sasuke zu einer Handlung treiben, die er später bereuen würde. Umso überraschter war sie, als er sprach.

"Wo warst du, Sakura?"

Sie schluckte. "Was hat Tenten euch erzählt?"

Naruto suchte ihren Blick, mit dem sie Sasuke fixierte, um im Notfall eingreifen zu können. Noch schien er abzuwarten, ob ihm ihre Antwort gefallen würde. "Sakura-chan … was ist hier los?"

"Was hat Tenten euch erzählt?", wiederholte sie beharrlich.

Er versuchte ihre Hand zu nehmen, was sie jedoch geschickt abwehrte. "Sie sagte, du hättest Uchiha erschossen und wärest dann abgehauen, um dir eine Auszeit zu nehmen, weil es dir schwer zusetzte, Sasukes Bruder ermordet zu haben. Augenscheinlich …" Narutos Blick streifte Itachi skeptisch. "… stimmt es nicht. Wo zum Teufel warst du, Sakura-chan? Und wieso bist du hier—mit ihm?"

"Langer Tag, noch längere Geschichte", versetzte sie ihn. Langsam, um ihn ja nicht aus seiner Starre zu reißen, machte sie einen Schritt auf Sasuke zu. "Hör mir zu, Sasuke, es ist nicht, wie du denkst. Vertrau mir, und wenn du mir nie wieder vertraust! Hör dir an, was Itachi zu sagen hat!"

"Itachi?", wiederholte Sasuke matt. Er taxierte seinen Bruder immer noch. "Ihr seid schon beim Vornamen? Was denkst du, wer er ist, Sakura? Was denkst du, was du hier tust? Ich dachte, wir wären Freunde! Wieso stellst du dich auf seine Seite?"

Tief in ihrem Inneren spürte Sakura, wie Sasuke mit jedem weiteren Wort ein neues Gewicht an eine Schnur band. Ihr Geduldsfaden wurde seit Monaten strapaziert, erst von Ino, dann von Naruto, Itachi und letztendlich auch noch Sasuke, der mit seiner pathetischen Begriffsstutzigkeit ihre Nerven auf den Prüfstand stellte. Sie konnte nicht mehr.

"Sasuke", sprach sie seinen Namen mit aller Eindringlichkeit aus, die sie aufbringen konnte, "ich stehe nur auf seiner Seite, weil wir alle im selben Boot sitzen."

"Hör auf mit dieser Korinthenkackerei, und sag mir, wieso du dumm genug bist, ihm zu vertrauen!"

"Sas—"

"Nein! Nichts 'Sasuke'!" Seine Finger zitterten über dem Abzug, der bedrohlich weit nach hinten angewinkelt war. "Ich dachte, ich wäre endlich frei und jetzt setzt du mir meinen toten Bruder vor die Nase, der gar nicht tot ist! Ich werde diese Farce beenden, ein für allemal!"

Bis zu diesem Augenblick hatte Sakura gedacht, sie würde panisch schreiend die Augen schließen, doch als Sasuke den Abzug drückte, schnellte sie instinktiv nach vorne, ohne zu wissen, was sie vorhatte. Naruto war es, der panisch schrie und sie aufhalten wollte; er hielt sie so fest am Handgelenk, dass sie ihn in ihrem Schwung mit sich zog. Woher sie das dicke Buch hatte, das ihre Finger krampfhaft umschlossen hielten, wusste sie nicht mehr, aber das Geräusch, als sie es mit aller Kraft gegen Sasukes Kopf schlug, während Naruto sich hinter ihr erstieß und mitsamt seinen beiden Teamkameraden zu Boden krachte, hallte wie ein taubes Echo in ihren Ohren wider, bis Itachis sich der Szene genähert hatte. Er half ihr wortlos aus dem Menschengeflecht, unter dem sie begraben war. Sie war so schnell gewesen, dass Sasuke nicht einmal hatte abdrücken können.

Mit ausdrucksloser Miene hob Itachi das Buch auf und zog erheitert seine Augenbrauen empor.

"Die Neuerfindung des Rades: von der Antike bis zur Gegenwart", las er vor. "Augenscheinlich … sehr schwere Kost."
 

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Sakura hatte alle Mühe, Naruto davon abzuhalten, Itachi an die Gurgel zu springen. Es war eine unangenehme Fahrt in Sasukes Toyota gewesen, in der Sakura als einzige gesprochen hatte. Und das auch nur, um dem Fahrer, Itachi, den Weg zum Hidden Leaf Hauptquartier anzusagen. Sie hatten Sasuke auf den mittleren Sitz der Rückbank verfrachtet, zwischen Karin und Naruto, wo er nach einer Kurve, die Itachi beinahe verpasst hätte, friedlich auf der Schulter seines Freundes schlummerte, der bloß eines war: angepisst. Mächtig. angepisst.

Es lag Sakura fern, die Wahrheit über Itachi siebenhundert Mal zu erzählen, darum hatte sie Naruto auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, wenn alle Mitglieder von Hidden Leaf zusammengekommen waren. Er hatte es widerwillig akzeptiert, malträtierte Itachi jedoch die ganze Fahrt über mit einem finsteren bis misstrauischen Blick, von dem beide irgendwann Kopfschmerzen bekommen mussten. Er hörte erst damit auf, als sie im Besprechungszimmer alle anwesenden Hidden Leaf-Mitarbeiter zusammengetrommelt hatten. Die Ausbeute war mager und nachdem sie von Asumas Tod erfahren hatte, wusste Sakura, dass es kaum der richtige Zeitpunkt war, ihnen Uchiha Itachi als Opfer eines korrupten Richters zu verkaufen. Allerdings war dieser Zeitpunkt nicht minder schlecht als alle weiteren. Egal wann sie es tun würde, sie würde immer Argwohn hervorrufen. Darum kürzte sie die Wahrheit auf eine Version davon, die ihr gut gefiel. Sie war überzeichnet und stellte Itachi als Helden dar, was ihm sichtlich nicht behagte.

Als Sakura geendet hatte, erhob sich Naruto, der für seine Verhältnisse ungewöhnlich still auf der Couch neben Shikamaru gesessen hatte. Er sah erst Sakura an, dann ballte er seine Hände zu Fäusten und steuerte auf Itachi zu. "Du hast uns ziemlich Ärger gemacht, Uchiha, dafür sollen wir dir auch noch helfen? Du hast Sakura-chan entführt—"

"Naruto, er hat nicht—"

Er sprach unbeirrt in tiefem Ernst weiter. "—und Ino bedroht, Sasukes Leben zur Hölle gemacht und als Mitglied von Akatsuki weiß Gott wie vielen Menschen Kummer bereitet. Das kann ich dir nicht durchgehen lassen." Er blieb vor Itachi stehen und erhob eine Faust; Itachi machte keine Anstalten, sich zu wehren. Als er sie auf ihn niederrammen wollte, sprang Sakura auf. Die Kopfnuss, die sie Naruto verpasste, verebbte im Kanon mit seinem schrillen Winseln.

"Au, Sakura-chan, was soll das?!", fragte er empört.

"Du wirst es ihm durchgehen lassen!", fauchte sie und schraubte ihre Fingerknöchel an seine Schläfen. Ihr zu einer sadistischen Grimasse verzogenes Gesicht berührte fast das seine, was ihm Schweißperlen auf die Stirn trieb.

"Aber—Sakura-chan—wieso?!"

"Weil ich das sage!", antwortete sie, als sei dieses Totschlagargument die Erfüllung geistiger Reife. Sie entließ ihn gnädig aus ihrer Schraube und stellte sich schützend vor Itachi, der sich bislang als einziger noch nicht geäußert hatte. "Naruto ist also dabei, was ist mit euch? Shikamaru, Tenten? Vertraut ihr mir? Sai? Ihr wisst, dass ich euch um nichts bitten würde, das ich nicht rechtfertigen könnte. Itachi ist unschuldig."

"Wir sind keine Menschenrechtler", wiederholte Sai die Worte, mit denen er schon einmal versucht hatte, sie von Itachi fernzuhalten. Es hatte damals nicht funktioniert, noch weniger tat es das jetzt. Er erkannte, wann er verloren hatte. Mit einem aufgesetzten Lächeln stand er auf. Sie wusste, dass es irgendwann ehrlich sein würde, sobald er ihr glaubte. Vorerst vertraute er darauf, dass sie im Gegensatz zu allen anderen richtig lag.

"Du hilfst uns, Sai?"

Er tat seine Zustimmung mit einem Nicken kund. "Bist du dir bewusst, wie schwierig es sein wird, das gerade zu rücken? Durch Asuma-sans Tod können wir uns nicht wie üblich darauf verlassen, dass Kakashi-san und Gai-san uns aus der Patsche helfen, wenn wir uns mal wieder in die Bredouille reiten. Wir sind auf uns alleine gestellt. Das ist ein großes Risiko. Aber wenn es dir das wert ist, werde ich mit Tsunade-sama reden und sie um Erlaubnis bitten. Ich denke nicht, dass du ihr die Lage ausreichend objektiv erklären könntest."

Auf was er anspielte, war Sakura nur allzu klar. Er hatte sie durchschaut, was nicht schwierig gewesen war.

"Ich bin dagegen", mischte sich Shikamaru plötzlich ein. "Dieser Typ ist ein Killer, der dich skrupellos manipuliert hat, Sakura! Er hat Menschen ermordet, sich der gefährlichsten Organisation Ōsakas angeschlossen, hat Menschen entführt und wer weiß was noch alles, um sich Vorteile zu verschaffen! Ihr wurdet darauf angesetzt, ihn zu töten, nicht darauf, seinen Namen rein zu waschen! Tsunade-sama hat einen Vertrag mit einem Auftraggeber geschlossen, den du nicht einfach so ignorieren kannst, bloß weil du ihn attraktiv findest! Sakura, verstehst du nicht, was er mit dir gemacht hat? Er hat dich um den Finger gewickelt, um dich vorzuschicken und nach seinen Wünschen handeln zu lassen! Ich glaube dir, dass du ihm glaubst. Das ändert nur nichts daran, dass er dich nach Strich und Faden belügt."

"Denkst du, ich wäre so naiv?", fragte sie mit bissigem Unterton. "Wie kannst du dermaßen an meiner Kompetenz zweifeln, Shikamaru?" Sie breitete verteidigend einen Arm vor Itachi aus, der nun als letzter der Anwesenden aufgestanden war. "Denkst du, mir fiel es leicht zu akzeptieren, dass wir alle falsch lagen? Ich brauchte Wochen dafür! Ich bitte dich nicht darum, Itachi zu glauben, sondern mir! Hältst du mich für so dumm? Für so leichtgläubig? Ja, wir wurden darauf angesetzt, das Akatsukimitglied Uchiha Itachi zu töten, und ich werde diese Order nicht ignorieren."

"Was denn, Sakura?", blaffte Shikamaru sie hohl an. "Willst du ihn freisprechen von all seinen Missetaten? Ihm Absolution erteilen, um ihm ein neues Leben zu schenken? Wach auf!"

Sakura holte Luft zu einer Schimpftirade, die sie nicht länger zurückhalten konnte. Die Frustration über diese Sturheit hatte ihren Zenit erreicht. Als sie ansetzen wollte, drückte Itachi ihren Arm herunter, den sie zwischen ihm und seinen Zweifler erhoben hatte.

"Lass es gut sein, Sakura", sagte er. Es klang wie ein Abschied. "Alles, was ich wollte, war Sasukes Sicherheit. Nachdem Orochimaru eliminiert wurde, gibt es niemanden mehr, der ihm etwas antun könnte."

Sie wandte sich zu ihm, bloß um in seine Augen zu sehen, die dankbar auf sie gerichtet waren. "Aber … was ist mit Danzō?"

Er schüttelte den Kopf. "Danzō ist mein Kampf. Sasuke ist ihm egal, weil er die Wahrheit nicht kennt. Wenn ihr anderen euch bedeckt haltet, wird niemand je erfahren, dass ihr mehr wisst als ihr wissen dürftet. Sobald ich mich um Danzō gekümmert habe werde ich das Land verlassen, um Sasuke nicht länger in seinem Frieden zu stören. Ich hätte das schon längst tun müssen."

"Du kannst doch nicht—"

"Ich hatte nie vor, ein neues Leben zu beginnen, Sakura. Und es liegt mir fern, Zwistigkeiten in euren Reihen zu entfachen. Danke für alles."

Die Berührung, in der er sanft über ihren Handrücken strich, nahm sie kaum wahr. Auch als er den Raum verlassen hatte war sie zu geschockt, um zu verstehen, was eben geschehen war. Wie töricht sie gewesen war, anzunehmen, es hätte auch nur zu irgendeinem Zeitpunkt die Möglichkeit einer Zukunft bestanden. Itachi hatte ihr niemals Anlass gegeben, zu denken, er sei an mehr als an ihrer Kooperation interessiert. Der Flirt, die Koketterie, waren nur seine Art gewesen. Wie hatte sie denken können, er sähe in ihr etwas Besonderes, wenn sie doch bloß ein tödliches Werkzeug war?

"Gut, dass er weg ist", brummte Shikamaru, dessen Kommentar von Naruto mit bekräftigendem Nicken gutgeheißen wurde.

Das sollte es gewesen sein? All die Verwirrung, Verzweiflung, Frustration, die Zweifel und das Blut—alles dafür? Für nichts? Oh nein. Er konnte sie glauben lassen, was er wollte. Das bedeutete nicht, dass sie sich in die Irre führen ließ.

"Nein …" Sakura hörte ihre Stimme von weit her. Sie rüttelte sich selbst aus ihrer Trance. "Ach, scheiß drauf!", fluchte sie. "Dieser Hohlkopf ist doch unzurechnungsfähig, wenn er egoistisch sein muss!"

"Sakura, wo willst du hin?"

Sie blieb Tenten die Antwort schuldig. Stattdessen rannte sie hinaus in den aufkommenden Regen.
 

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Sasuke erkannte die Holzdecke, auf die er als erstes starrte, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte. Es war das Ruhezimmer von Hidden Leaf.

"Du bist also endlich aufgewacht", brummte eine weibliche Stimme voller Groll.

"Was tust du hier?" Er empfand dies als durchweg berechtigte Frage, Karin allerdings schien sich über diese ihrer Meinung nach selten dämliche Frage zu brüskieren. Ihre beiden Hände waren mit Handschellen an den Stuhl gefesselt, auf dem sie saß. So mochte er seine Frauen; bloß schön weit weg und möglichst unfähig, sich auf ihn zu werfen, wenn er einmal mehr etwas sagte, das ihnen nicht passte.

"Deine kleine Freundin mitsamt diesem blonden Volltrottel haben mich überrumpelt und hierhin gesetzt. Seitdem halten sie mich gefangen. Mach mich los."

Sasuke schlug die dünne Leinendecke von sich und schwang die Beine aus dem Bett. Er war noch etwas benommen von—ja, von was eigentlich? "Ich denke ja gar nicht daran. Wer hat mich ausgeknockt und was geschah danach?"

"Eines von Orochimarus Geschichtsbüchern, das er zur Zierde in sein Büro gestellt hatte. Schon gut", lenkte sie ein, als er sichtlich ungeduldig wurde. "Es war deine rosahaarige Freundin. Sie hat es dir über den Kopf gezogen, als du deinen Bruder abknallen wolltest. Hat echt 'nen ziemlich krassen Knall gemacht. Ich dachte schon, sie hätte dich umgebracht."

"Tz", machte er ungläubig. "Wer hätte gedacht, dass Sakuras Intellekt so schlagen sein kann?"

"Der war echt schlecht."

"Dein Leben gehört immer noch mir, Karin. Lach' lieber über meine schlechten Witze."

Sie streckte ihm die Zunge heraus. "Ich denke ja gar nicht daran!"

"Fein!"

"Fein! Du—"

Sasuke hob die Hand, um ihren aufkommenden Protest im Keim zu ersticken. Er hörte Stimmen. Selbst wenn sein Kopf dröhnte, würde er diese drei Stimmen niemals verwechseln können: Erst Shikamarus besserwisserisches Moralgefasel, das er vorschob, wann immer er zu faul war, seine bereits gefasste Meinung anzupassen; dann Sakuras melodramatisches Raunen, das charakteristisch war für ihre gescheiterten Versuche, ein herzensguter Mensch zu sein; und zuletzt Itachis, dessen nüchterne Abweisung alles zunichtemachte, weswegen die Kontrahenten sich gestritten hatten. Er hörte eine Tür ins Schloss fallen, anschließend Schritte, die sich entfernten.

Gut so. Dieser Scheißkerl konnte ruhig abhauen. Wenn er sich nicht töten lassen wollte, würde er eben anderswo verrecken. Dass Sasuke nur deshalb nicht hinausstürmte, weil er sich davor fürchtete, Itachi möglicherweise tatsächlich anhören zu müssen, weil er—im Gegensatz zu ihm—nicht die Kraft hatte, seine Familie zu töten, war ihm sehr wohl bewusst. Auch, dass der Wunsch, sein Bruder sei vielleicht wirklich nicht der, für den er ihn all die Jahre gehalten hatte, in Erfüllung gehen konnte, hielt ihn davon ab. Er war nicht dafür bereit, einzuräumen, was Sakura längst verstanden hatte.

Das zweite Paar Schritte, das nach einigen Minuten folgte, war hektischer. Er wusste genau, wer gerade wem nachgelaufen war. Wenn das mal nicht eine interessante Wendung war. Verstörend. Aber interessant.
 

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"Du bist echt schwachsinnig!"

Ihr Schimpfwort hatte den gewünschten Effekt erzielt. Itachi war keine zweihundert Meter weit gekommen, ehe sie ihn eingeholt hatte. Er blieb mit hochgezogenen Augenbrauen im Regen stehen. Es war eine Unverschämtheit, wie attraktiv ihn seine nassen Haare machten, die sich in ihrer feuchten Unordnung leicht wellten.

"Was willst du noch?"

"Dir etwas sagen. Du bist ein Lügner, Itachi. Du willst nicht so leben, oder?" Sie war froh, dass es regnete. So konnte sie das Zittern ihrer Lippen auf die Kälte schieben, die durch ihr kurzärmeliges Shirt kroch. Ihre Jacke hatte sie im Besprechungszimmer zurückgelassen. "Wieso bist du bloß so beschissen heldenhaft, kannst du mir das verraten?"

"Sakura, dein Freund hat ganz recht mit dem, was er sagt. Ich bin nicht so gut, wie du es gerne hä—"

"Scheiß auf das, was Shikamaru sagt! Niemand hat je einen Pfifferling auf seine Meinung gegeben! Hör auf, dich kleiner zu machen, als du bist! Heldenhaft ist vielleicht das falsche Wort. Verdammt nochmal, du sagst, du gehst um Sasukes Willen! Dabei gehst du, weil du nicht mit Sicherheit sagen kannst, ob du gewinnen könntest! Willst du Sasuke verlassen? Willst du ihm wirklich die letzte Familie nehmen, die er hat? Und selbst wenn, was ist mit mir? Du hast mich benutzt, um über Sasuke an Orochimaru heranzukommen, aber du hast nicht bedacht, dass ich einen eigenen Willen habe! Dass ich dich tatsächlich mögen könnte—dass du mir vielleicht wichtig würdest! Das kam nicht in deinem Masterplan vor, nicht wahr?"

Sakura holte Luft, um zu überlegen, was sie als nächstes sagen wollte. Es gab so vieles, das sie am liebsten herausgeschrien hatte. Die Worte formten sich ganz von alleine.

"Nein, Itachi, du hast ganz recht, du bist kein Held. Helden laufen nicht weg, weil der Ausgang ihrer Schlacht ungewiss ist. Du hast Angst." Sie ging einen Schritt auf ihn zu. "Ich kann sie sehen." Ein zweiter Schritt. "Sie ist in deinen Augen. Die Ungewissheit." Mit dem dritten Schritt stand sie vor ihm. Wie von selbst legte sich ihre Hand an seine Wange, als ihre Stimme leiser wurde. Eindringlicher. Verzeihender. "Du bist so intelligent, dass du nicht weißt, was du tun sollst, wenn sich Dinge deiner Voraussicht entziehen. Es ist wahr: niemand kann dir garantieren, dass wir es schaffen, dich aus den Fängen dieser Intrige zu befreien. Aber, würdest du es nicht ewig bereuen, wenn du es nicht wenigstens versuchst?"

"Sakura—"

Sie legte einen Finger an seine leicht geöffneten Lippen, mit denen sie ihm bedeutete, zu schweigen. "Es ist nicht fair, mir dein Siegerblatt zu zeigen, bloß um die Karten auf den Tisch zu werfen und auszusteigen, ohne die Runde zu Ende zu spielen! Denk über alle Möglichkeiten nach, die du hast, ehe du etwas sagst. Selbst wenn du verlieren könntest … gibt es nicht etwas, das es wert wäre, diesen Kampf wenigstens zu bestreiten?"

Dass ihm bewusst war, dass sie über sieben Ecken auf sich selbst anspielte, um sich hinterher keine Vorwürfe machen zu müssen, ihm ihre Gefühle nicht offenbart zu haben, wenn er sie verließ, wurde ihr erst klar, als er ihren Finger von seinen Lippen wischte, ihr Handgelenk umfasste und sie an sich zog. Als ihre Lippen aufeinander trafen, starb etwas in ihr. Es war der Teil, der bis zum Schluss an ihm gezweifelt hatte. Indem er sie spüren ließ, wie viel ihm alles bedeutete—Sasukes Sicherheit, ihr Vertrauen, die Wahrheit—zeigte er ihr auch gleichzeitig seine tiefsten Ängste, seine dunkle Verzweiflung, die ihr Tränen in die Augen trieben. Sie wurden vom Regen weggespült, dennoch bemerkte er sie, als er sich von ihr löste und die salzige Spur über ihrer Wange mit der Spitze seines Daumens nachzog.

"Du und deine Pokermetaphern. Ernsthaft, hast du ein Buch voll davon und wartest nur auf eine Gelegenheit, sie zu benutzen, oder fällt dir dieser Schwachsinn spontan ein?"

Sakura schlug ihm gegen die Brust. Sie hatte nicht vor, auf diese vermessene Frage zu antworten. "Du Blödmann hast den Moment ruiniert!"

"Und ich habe dich zum Weinen gebracht. Es tut mir leid."

Als Entschuldigung küsste er sie erneut und schlang die Arme um sie, aus denen sie nie wieder entlassen werden wollte.
 

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Master Plan


 

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Es widerstrebte Sakura, zurück ins Innere von Hidden Leaf zu gehen. Sie hätte Itachis Hand gerne noch länger gehalten, doch sie lösten sie in stummem Einverständnis, ehe jemand der Anwesenden sie sehen konnte. Sie wollte keine Aufregung; schon gar nicht Shikamarus und Sais Kommentare. Das Besprechungszimmer war zu ihrer Überraschung bevölkerter als zuvor; Sasuke und Karin lehnten in einer Ecke, aus der anderen starrte Tenten missmutig zu ihnen herüber.

"Ich werd' sie rausschmeißen", grummelte sie, als Sakura an sie herantrat, die Augenbrauen erhebend.

"Sie kann uns noch nützlich sein."

"Wie?" Tenten schenkte Karin einen weiteren giftigen Blick. Woher diese Abneigung kam, war schwierig zu sagen, sogar für sie selbst. Karin war ein Mitglied von Oto, dem Feind. Noch hatte niemand so recht realisiert, dass es Oto nicht mehr gab. Es war so surreal.

Sakura zuckte die Schultern. "Uns wird schon etwas einfallen, da bin ich sicher. Vielleicht übergeben wir sie der Polizei und nützen ihre Aussage für uns. Was ist mit Sasuke?", erkundigte sie sich mit gesenkter Stimme.

"Mit mir ist gar nichts. Wenn du schon flüsterst, dann wenigstens so, dass ich es nicht höre", antwortete er. Diese Fledermausohren waren beängstigend. "Karin bleibt vorerst hier, Tenten, das sagte ich schon einmal. Sie gehört mir. Ich werde nicht riskieren, dass sie da draußen irgendwelche Information heraus posaunt."

Sasuke quittierte Karins hasserfüllten Blick mit seinem eigenen mahnenden, der sie zurückweichen ließ. "Und, Sakura, glaub' nicht, dass ich es dir nicht heimzahlen werde, dass du mir ein Lexikon über den Schädel gezogen hast."

"Eigentlich, Sauske, war es ein Geschichtsbuch—", korrigierte sie, verstummte jedoch jäh, als der mahnende Blick, der zuvor Karin gegolten hatte, auf sie abzielte. "Du wolltest immerhin deinen Bruder töten. Ich musste etwas tun."

"Dazu komme ich noch, sobald ich beschlossen habe, ob ich dich deswegen vierteilen oder nur mit Schweigen strafen werde." Er hob die Hand, um Itachis Worte zu unterbinden, die diesem auf der Zunge lagen. "Von dir will ich schon gar nichts hören, Nii-san. Welche verdrehte Wahrheit ich auch gehört haben mag, welches Paradoxon ich auch glaube, und was auch immer die Realität ist, es interessiert mich nicht. Zumindest jetzt noch nicht. Spar dir deine scheinheiligen Erklärungen für Ohren, die sie hören wollen, oder für einen Zeitpunkt, an dem ich mir diesen pathetischen Schwulst anhören kann, ohne mich zu übergeben. Übrigens—" Sasuke durchsetzte den Raum hin zu einer bedrohlich kleinen Distanz zwischen ihm und Itachi, der ihn um einen halben Kopf überragte. Er senkte die Stimme zu einem warnenden Wispern. "—was auch immer du mit Sakura am Laufen hast, wenn ich rauskriege, dass du auch nur einen Gedanken daran verschwendet hast, ihr wehzutun, dreh' ich dir deinen beschissenen Hals so lange um, bis sich deine Iriden nach innen verdrehen."

"Hast du etwa Sakuras Folterkatalog geklaut, kleiner Bruder?" Itachi tippte ihm verzeihend lächelnd auf die Stirn. "Ich habe nicht vor, irgendjemandem irgendwann jemals wieder wehzutun. Weder ihr, und schon gar nicht dir, Sasuke. Und, wenn wir schon dabei sind, droh mir nicht mit Dingen, die du nicht zustande bringen würdest. Ich bin immer noch dein großer Bruder."

Sakura hatte keine Ahnung, um was es in diesem Gespräch ging, das fernab fremder Ohren geführt wurde, doch sie sah Sasukes Hutschnur reißen, die gegen sein Aggressionszentrum schnalzte und ihn dazu brachte, sich schreiend auf Itachi zu stürzten.

"Dich mach' ich fertig!", brüllte er, verfehlte seinen Bruder, der einen Ausweichschritt vollführte, jedoch und taumelte gegen die Wand, die schmerzvoll mit seinem Kopf zusammenprallte. Oder eher andersherum. Naruto war sofort zur Stelle, um ihm aufzuhelfen und ihn auszulachen, was ihm eine vernichtende Todesdrohung einbrachte, die eine Altersfreigabe erforderte. Itachi schüttelte bloß tadelnd den Kopf.

Sasuke strafte jeden, der es wagte, in Narutos Lachen einzusteigen—was die gesamte anwesende Belegschaft mit einschloss—mit bösen Blicken, von denen einer einen Tick länger auf Sakura haften blieb. Es tat ihr leid, dass sie ihn vor den Kopf gestoßen hatte. Sie hatte keine Wahl gehabt. Sasuke wusste es. Bis er es ihr nicht mehr nachtragen würde, würde einige Zeit vergehen.

"Zurück zum Thema!", rief sie die schadenfrohe Meute zur Ordnung. Sasuke war schon immer für ein paar Lacher gutgewesen, wenn er bei dem Versuch versagte, wie ein cineastischer Actionheld zu agieren. Manchmal gelang es ihm mit Bravur, an anderen Tagen … sie schob diese unpassenden Gedanken beiseite.

"Das Thema lautet: wie werden wir diesen Kerl los, den du uns wieder ins Haus geschleppt hast?", sagte Shikamaru in gewohnter Lethargie. Ihm war anzusehen, wie sehr ihm dies alles gegen den Strich ging. Vornehmlich, weil er wusste, dass er einlenken würde müssen. Sakura hatte ihren Köder perfekt ausgeworfen.

"Halt deine vorlaute Klappe, Shikamaru, und hör zu", wies sie ihn zurecht. Sie hatte Tenten, Sai, Naruto und irgendwo hinter seiner griesgrämigen Maske auch Sasuke auf ihrer Seite. Shikamaru hatte verloren. "Zu allererst müssen wir Itachis Unschuld beweisen."

"Nein." Es war Itachi, der sprach.

"Bitte?" Irritiert zog sie die Stirn kraus. Natürlich hatte er nicht explizit gesagt, dass er ihrer Führung folgen würde, aber war das nicht das Grundkonzept ihrer Rede gewesen, mit der sie ihn zurückgebracht hatte?

"Mach' dir nichts vor, Sakura", setzte er ernst fort. Die heitere Scharade von vorhin war längst vergessen. Ab jetzt bewegten sie sich auf unsicherem Terrain. "Kein Gericht der Welt würde mich zu weniger verurteilen als der Höchststrafe. Es ist auch nicht nötig, meine Unschuld zu beweisen. Danzō ist der Übeltäter, den es gilt, zu überführen. Er wollte die Uchihas tot sehen, letztendlich vor allem mich. Sobald er handlungsunfähig ist, werde ich meine Strafe absitzen, egal wie hoch sie auch sein mag."

Sakura konnte nicht umhin, seinen Unterarm zu berühren, um zu überprüfen, ob er tatsächlich hier stand und diese Worte sprach. Er würde den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen, wenn er damit den Mann mit sich nehmen konnte, der ihn erst in diese Zwickmühle gebracht hatte? Das war paradox und unfair und Sakura war ein wenig enttäuscht, dass sein Kopf keinen besseren Plan zustande brachte, wo sie selbst eben einen Geistesblitz erfahren hatte.

"Das kommt nicht infrage. Ich verbiete dir, dich zu opfern."

"Sakura—"

"Hör endlich damit auf, ständig meinen Namen zu sagen, als wäre ich ein kleines Kind, das deine Wand beschmiert hat!", fauchte sie. "Du willst Danzō mit dir ins Verderben reißen? Ich sage: nein. Wir werden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und zwar ohne dass du fällst. Hoffe ich."

Naruto hüpfte von dem Sideboard, auf das er sich gesetzt hatte, nachdem er damit aufgehört hatte, Sasuke zu verspotten, und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Wie willst du das bitte anstellen, Sakura-chan?"

Ein wissendes, bösartiges Grinsen huschte über ihre Lippen, die von Itachis Kuss immer noch brannten. "Wir ziehen die Sache ganz anders auf als gewohnt."

"Das musst du erklären", warf Tenten skeptisch ein. Auf dieses Stichwort hatte Sakura gewartet.

"Normalerweise", begann sie die Erläuterung ihres Plans, der unausgereifter nicht hätte sein können, "sind wir fürs Grobe zuständig. Wir regeln unsere Probleme mit Fäusten, Drohungen und Waffen. Hier müssen wir sehr viel subtiler vorgehen. Genauer gesagt, das genaue Gegenteil von dem, was wir sonst machen."

"Könntest du auf den Punkt kommen, Sakura?", bat Shikamaru ungeduldig. Sakura nickte. Sie ging an ihm vorbei, um sich hinter Itachis Rücken zu stellen. Bloß eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass Naruto ihr gleich an die Gurgel gehen würde. Itachi schien erst skeptisch, bewegte sich jedoch nicht vom Fleck, als sie ihre Position hinter ihm einnahm. Von dort lugte sie in den Raum.

"Wir werden es ganz anders machen. Fingieren, wenn ihr so wollt."

"Und wie?"

"Mit juristischer Hilfe."

Stille.

Es dauerte, bis Narutos Groschen fiel und er kreidebleich seine Hände vors Gesicht schlug. "Alles, Sakura-chan, alles, bloß nicht meine Hinata-chan!"
 

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Das Hidden Leaf Hauptquartier war leer. Bis auf Itachi, der gedankenverloren aus dem Fenster in die Dunkelheit starrte. Nachdem Sakura sich geweigert hatte, ihren Plan mehr als nur zu umreißen, solange Hinata nicht anwesend war, hatten sie sich getrennt, um jeder für sich nachzudenken, ob sie diese Risiken tatsächlich eingehen wollten. Alles, was sie laut ihrem Plan tun würden, war illegal, bloß um am Ende der Gerechtigkeit ihren Sieg zu verschaffen.

Wir ironisch.

Sakura war mit Tenten im Besprechungsraum zurückgeblieben, um ihren Kameraden Zeit für sich zu gewähren. Auch Itachi hatte ausgesehen, als brauche er diese Zeit. Sie hatte ihn ziehen lassen, seitdem versuchte sie, das ungute Bauchgefühl zu unterdrücken, in dem sie sich Sorgen machte, dass er einfach abhauen würde. Die innere Stimme, die ihr versuchte, genau das einzureden, verstummte erst, als sie ihn am Fenster der Personalküche stehen sah, die aus einer Mikrowelle, Kaffeemaschine und Sakebar bestand.

"An was denkst du?"

Welch ekelhafte Klischeefrage. Sakura stellte sich neben ihn; nicht zu dicht, sodass er notfalls ausweichen konnte, falls dieser Kuss zuvor bloß ein Kurzschluss gewesen sein sollte, aber doch nahe genug, um sich einzubilden, sie könne ihn jederzeit berühren. Seltsam, wie sehr sie sich auf ihn fixiert hatte, wo es doch die ganze Zeit um Sasuke ging. Itachi machte keine Anstalten, sich zu bewegen.

"Ich frage mich, wohin ich gehen soll."

Sakura stockte. "Ich dachte, das hätten wir geklärt? Wir stehen alle hinter dir—mehr oder weniger. Jedenfalls werden wir unser Bestes geben, deinen Namen reinzuwaschen."

"Du bist viel zu gut", sagte er leise, ohne sie anzusehen. "Wäre mein Name hinter all dem falschen Schlamm sauber, könnte ich viel eher verstehen, wieso mir diese mir unbekannten Menschen zu helfen versuchen. Ich bin nach allem noch ein Mitglied von Akatsuki. Ich wirkte bei Erpressungen mit, plante Entführungen, vermittelte Drogen, bedrohte rechtschaffende Bürger."

"Du hast es getan, weil du es musstest, um nicht ausgeschlossen zu werden", berichtigte sie. "Hättest du nicht nach ihren Regeln gespielt, wärst du schutzlos zurückgeblieben. Du musstest in Ōsaka bleiben, wegen Sasuke; deine einzige Chance war Akatsuki, die dir Schutz vor Danzō boten. Itachi, du hast nie jemanden mit deinen eigenen Händen umgebracht, nicht wahr?"

"Nein."

"Dann … bist du ein ganzes Stück besser als jeder andere von Hidden Leaf. Das ist der Grund, wieso wir dir helfen. Wir sind vielleicht nicht genauso böse wie Akatsuki, aber wir sind kein Stück besser. Jeder versucht auf seine Weise, seine Sünden mit seiner Hilfe für dich zumindest ein stückweit zu sühnen." Sie schlug ihren Blick auf das Fensterbrett nieder, wo seine Hand ruhte. Das Schweigen, das sich über sie legte, wehrte nicht lange.

"Ich meinte eigentlich, wo ich die Nacht verbringen sollte", stellte er schlussendlich richtig. "Ich dachte daran, ein Hotelzimmer zu beziehen. Wenn ich bar zahle, wird es die ANBU schwer haben, mich zu finden."

"Du kannst—" Sakura brach ab. Wenn sie sagte, was sie sagen wollte, war dies eine Entscheidung sehr viel größerer Tragweite. Sie schüttelte den Kopf; die Entscheidung war längst gefallen. "Wenn du möchtest, kannst du bei mir übernachten."

"Deine Mitbewohnerin wird davon wenig begeistert sein."

"Ach", winkte sie ein wenig verlegen ab. Sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Ein wenig zu hektisch tippte sie auf ihrem Handy herum, das sie an ihr Ohr führte, als das erste Freizeichen ertönte. "Ino? Ja, ich bin's." Im Hintergrund lärmte Clubmusik. "Kann ich heute jemanden mitbringen?" Inos obszöne Antwort trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Ihre blonde Freundin war eindeutig betrunken. "Danke." Sie legte auf.

"So funktioniert das bei euch Frauen also?"

"Wir hängen keine Socken an die Tür, falls du das meinst", gab sie nonchalant zurück, nachdem sie aufgelegt hatte. "Es ist eine Regel zwischen uns. Wenn die eine 'jemanden mitbringt', fliegt die andere bis mindestens neun Uhr am Folgetag aus. Ino wäre heute vermutlich sowieso nicht nach Hause gekommen. Außerdem … muss ich mindestens einmal pro Monat auswärts schlafen. Sie kann ruhig mal das Feld räumen."

Dass sie ihm eben eine sehr, sehr, sehr, sehr, sehr subtile Einladung ausgesprochen hatte, wollte sie gar nicht erst wahrhaben. Wenn sie sich einredete, es nicht so gemeint zu haben, konnte sie wenigstens ihm die Schuld in die Schuhe schieben, falls er auf falsche Gedanken gekommen war.

Wie naiv sie doch war. Herzzerreißend.
 

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Mit Itachi in einem Zug zu sitzen, war eine merkwürdige Angelegenheit. Sakura hatte sich nicht vorstellen können, jemanden wie ihn in ein öffentliches Verkehrsmittel verfrachten zu können. Sie musste zugeben, er sah gut aus auf dem orangefarbenen Plastiksitz. Was wenig mit dem orangefarbenen Plastiksitz zu tun hatte. Schande.

"Wieso hast du eigentlich keinen Führerschein?", wollte er wissen, bloß um irgendetwas zu sagen. Scheinbar bemerkte er ihre Anspannung. Wann saß man denn auch schon mit einem—zu Unrecht—gesuchten Kriminellen mir nichts dir nichts in einer Eisenbahngarnitur? Sie konnten von Glück reden, dass der Zug beinahe leer war.

"Wieso hast du kein Auto?", konterte sie.

"Akatsuki hat eigene Chauffeure."

"Wie präpotent."

Er legte den Kopf schief. "Also?"

Sakura seufzte und nahm eine ihrer Haarsträhnen auf. Sie musste sich eindeutig die Haare waschen. "Ich war bei den Marines. Wozu braucht man auf einem Schiff schon einen Führerschein?"

An der Art, wie er abwartete, erkannte sie, dass er wenig zufrieden mit dieser simplen Antwort war. Was hatte er erwartet? Eine tragische Geschichte? Nach ihrer Zeit beim Militär war sie zu beschäftigt—und faul—gewesen, fahren zu lernen.

"Weißt du, Itachi, Sasuke wird sich schon wieder einkriegen", meinte sie, bevor sie in Schweigen verfallen konnten. "Er war schon immer stur, nicht wahr? Das müsstest du doch am besten wissen. Wenn er erst einmal erkannt hat, dass du es zu seiner Sicherheit getan hast, wird er dich wieder in sein Leben lassen." Sie beobachtete ihre Fingerspitzen, als seien sie etwas Besonderes. "Er neigt dazu, die Menschen, die er gerne hat, auszuschließen. Selbst Naruto und ich stehen manchmal vor einer verschlossenen Tür. Das meine ich übrigens nicht metaphorisch. Sasuke hat die nervige Angelegenheit, Leute zu ignorieren."

"Dessen bin ich mir bewusst." Er neigte den Kopf, um ihn an das kühlende Fenster zu lehnen, gegen das dicke Regentropfen trommelten. Heute Nacht würde der Regen nicht mehr aufhören. "Solange ich ihn damit beschützen kann, ist es mir recht, wenn er mich hasst. Ich lebte zehn Jahre mit dem Wissen, von ihm verachtet zu werden. Inzwischen kann ich mir gut einreden, dass es nicht mehr wehtut."

Vom Bahnhof zu Sakuras Appartement war es nicht weit. Als sie gemeinsam die Räumlichkeiten betraten, merkte er flüchtig an, dass sich seit seinem letzten Besuch nicht viel verändert habe. Es machte Sakura klar, weshalb Shikamaru derart überzogen reagiert hatte. Nun, da sie sich daran erinnerte, wie sie Itachi anfangs gesehen hatte, konnte sie seinen Standpunkt nachvollziehen. Ein Grund mehr, ihn mitsamt der ganzen Welt zu überzeugen, dass sie alle falsch lagen.

"Hier ist Wechselkleidung." Sie reichte ihm ein Bündel frisch gewachsener Männersachen, die er argwöhnisch beäugte. Sie verdrehte die Augen. "Wir—okay, Ino—hat immer eine Garnitur Männerkleidung hier. Für gewisse Umstände. Frag nicht, ich habe selbst keine Ahnung, was in ihrem Schlafzimmer stattfindet. Trage sie lieber. Was du jetzt anhast, kannst du auf keinen Fall anbehalten." Sie deutete auf seine zerrissenes, blutiges, dreckiges Outfit, dessen weibliches Pendent sie selbst trug.

Die Dusche, die sie sich gönnte, war wohltuender als alles, was sie sich im Moment vorstellen konnte—ja, tatsächlich alles. Mit nassen Haaren gab sie das Bad für Itachi frei, der für einen Mann ungewöhnlich lange brauchte. In der Zwischenzeit beseitigte sie Inos zurückgelassenes Chaos, machte Tee, und als sie ihr Zimmer betrat, stand Itachi frisch geduscht mit nicht minder nassen Haaren vor ihrem Schreibtisch, auf dessen Stuhllehne er die Kleidung drapiert hatte, die sie ihm gegeben hatte. Sein nackter Oberkörper wurde nur schemenhaft vom zwischen den Jalousien durchdringenden Mondlicht beschienen, was ihm eine eigenartige Aura gab. Es war nicht hell genug, dass sie die Farbe seiner Boxershort erkennen konnte, aber immerhin nicht zu dunkel, um sie überhaupt zu erkennen. Was nicht viel half. Von einer inneren Unruhe getrieben, stellte sie das Teeservice beiseite und durchsetzte den Raum. Sie trug einen dünnen Morgenmantel, durch dessen dünnen Stoff sich die Wärme seiner Haut an die ihre schmiegte, als sie die Arme um ihn schlang und ihn mit all der Hingebung küsste, die aufzubringen sie fähig war. Itachi ließ es zu, ehe er den Kuss unterbrach, um sein Gesicht in ihrem Haar zu vergraben. Sie drückte die Lippen gegen seine Schulter, in der ein Muskel von der Anspannung der letzten Tage willkürlich zuckte.

Es war ein Lied.

"Es tut mir leid", murmelte sie gegen seine Schulter. Sie senkte den Kopf, sodass ihre Stirn an seinem Schlüsselbein lag.

"Was tut dir leid?"

"Nutzen wir uns aus?", sinnierte sie, die unwirkliche Nähe verzweifelt haltend. "Sind wir hier, weil wir etwas füreinander empfinden? Oder ist es nur die körperliche Anziehung, die uns verbindet? Will ich dich aus den falschen Gründen retten? Es sollte doch alles leichter werden. Stattdessen bin ich immer verwirrter."

Er strich über ihr Haar, bis zu ihren Spitzen und von dort in quälender Langsamkeit ihre Wirbelsäule entlang, nur um kurz über ihrem Gesäß zu stoppen. "Wer könnte schon einen Verbrecher lieben?"

"Wer könnte einen Mörder lieben?", entgegnete sie in seichtem Wispern.

Dass Itachi die Umarmung auf diese Worte hin auflöste, brachte Unbehagen in ihr auf. Seine Hände, die ihr Gesicht anschließend in sich nahmen, entschädigte sie dafür. "Wenn uns die Gesellschaft nicht haben will und kein Mensch uns lieben kann, bleibt uns wohl nur die Flucht zu einander."

Sie wollte lachen, doch die brutale Realität, in denen er es für egal erklärte, weswegen sie hier waren—zusammen hier waren—ließ sie den Mund zu einer harten Linie verziehen. Sie befreite sich aus seinem Halt und setzte sich auf ihr Bett, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich endlich anzuziehen. Mit ihm zu schlafen war keine Lösung, es würde sie nur ablenken.

Plötzlich durchzuckte ein Blitz die aufgekommene Stille und ließ sie erschrocken aufkreischen, die Arme dicht um sich geschlungen.

Itachi ließ das Shirt fallen, um seiner statt beide Augenbrauen empor zu ziehen. "Eine erfolgreiche Auftragsmörderin, ausgebildet vom U.S. Marine Chor, Scharfschützin, die sich ohne mit der Wimper zu zucken mit Orochimaru, Akatsuki und letztendlich der Regierung anlegt und du erzählst mir, du hast Angst vor Blitzen?"

Sakura wollte ihm den Mittelfinger zeigen, doch der Blitz, der gefolgt von tiefem Grollen sehr nahe einschlug, ließ sie sich auf dem Bett zusammenrollen. Itachi streifte seicht lächelnd seine Socken ab, setzte sich neben sie und schlang die Arme um ihre Hüften. Es half zumindest, so weit, dass sie aufhörte zu zittern. Es war peinlich, von einem Mann derart liebevoll bevormundet zu werden, um dessen Anerkennung sie monatelang mit blutigen Bandagen gekämpft hatte. Sie hatte das schreiende Bedürfnis, eine Rechtfertigung auszusprechen, die ihn daran erinnerte, dass sie kein kleines Mädchen war. Diese Rechtfertigung hatte sie leider nicht.

"Es ist weniger ein Blitz als der darauffolgende Donner, der mir an die Nieren geht." Mit Wohlgefallen konnte Sakura spüre, wie sie sich in Itachis Armen entkrampfte, sodass sie den Kopf an seine Brust legen konnte. Seinen Herzschlag am Ohr, schloss sie die Augen.

Bum, bum, bum, ging sein Herz in einer rhythmischen Melodie, die einem Kinderlied glich.

"Willst du deine tragische Traumageschichte endlich haben?"

Er lachte tief. "Ich bitte darum. Da du sie mir in puncto Fahrstühlen und Führerscheinen verwehrt hast, bin ich ganz Ohr."

Also schön, wenn er denn unbedingt wollte …

"Ich war noch ein kleines Mädchen, als meine Mutter in mein Zimmer kam, weil sie ein Geräusch gehört hatte. Es war ein Buch, das ich unabsichtlich von meinem Nachttisch geworfen hatte, als ich es verbotener Weise nach meiner Schlafenszeit zu Ende gelesen hatte. Wir waren damals erst ein paar Monate in den Staaten und dementsprechend fühlte ich mich zu dieser Zeit sehr einsam. Meine Mutter arbeitete viel, mein Vater war ständig an den Docks und die unvergleichlich wunderbare Ino war meine einzige Freundin, die mein Selbstwerfgefühl anfangs nicht gerade auf seinen Zenit getrieben hatte. Als ich anfing, aufgrund der Schelte meiner Mutter und vielen anderen Dingen zu weinen, begann sie, mir eine Gutenachtgeschichte zu erzählen."

"Um dich zu beruhigen?"

Sie sog den betörenden Duft seiner nackten Haut ein, über die ihre Fingerspitzen spielerisch strichen. "Das war ihre Intention. Diese Geschichte handelte von einer Bauernmagd, die im alten feudalen Japan am Hof ihrer Schwiegereltern tagein, tagaus schuften musste. Ihre Arbeit begann weit vor dem ersten Hahnenkräh und endete lange nach dem Sonnenuntergang. Ihr Ehemann, der Besitzer der kleinen Obstplantage, war ein furchtbarer Mann. Sie waren jung verheiratet worden, gegen ihrer beider Willen, denn beide liebten jemand anderen. Der Mann ließ seine Frustration an seiner Frau aus, jahrelang, bis der Mann, den die Bauernmagd einst geliebt hatte, starb. Sie hatte inzwischen ein Alter erreicht, in dem es nicht unüblich war, dass gleichaltrige Menschen starben. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, verflucht vom Hass ihrer verschmähten Partner, so erzählte man sich, sodass die Frau keine Reue empfand, einen Plan zu schmieden, der sie ihrem grausamen Schicksal entreißen würde. Während eines Unwetters schloss sie einen Pakt mit einem Dämon, der den Blitzen innewohnte, und versprach ihm das Blut ihres erkalteten Leichnams und das Leben ihres Mannes, wenn er ihr die Stärke gäbe, ihren Mann zu töten. Der Dämon schuf ein Wakizashi aus den Knochen seines Arms, das er der Frau überreichte. Der Pakt war besiegelt. Das nächste Unwetter ließ nicht lange auf sich warten und die Frau ergriff ihre Chance. Sie holte Raihonema aus dem Schrank, in dem sie es versteckt hatte, und setzte es ihrem Gatten an die Brust. Doch als sie zustoßen wollte, zückte er ein Schwert, das er unter seiner Decke verborgen gehalten hatte, und trieb es durch ihr Herz. Der Dämon hatte ihrem Mann von ihrem Vorhaben noch in derselben Nacht erzählt und einen anderen Pakt mit ihm geschlossen. Gegen sein eigenes hatte der Mann das Leben seiner Frau getauscht. Gebeutelt von Schmerz, sackte die Frau über dem Körper ihres Mannes zusammen, wodurch sie Raihonema durch sein eigenes Herz trieb."

Itachi zog sie enger an sich und führte seine Fingerspitzen ihr Haar entlang zu ihren Schultern und über ihr Schlüsselbein zu ihren Wangen. Wo er sie berührte, hinterließen seine Finger eine Spur des angenehmen Kribbelns. "Der Dämon hat sie gegeneinander ausgespielt und am Ende zwei Leben bekommen. Das ist eine sehr lehrreiche Geschichte."

Sakura löste sich eilig aus seiner innigen Umarmung. "Doch nicht für ein sechsjähriges Mädchen! Meine Mutter wollte mir aufzeigen, dass es viele Menschen gibt und gab, denen es viel schlechter ging. Leider hatte ich eine sehr, sehr lebhafte Phantasie. Ich erzähle Ino davon, die mich Heulsuse schimpfte und mir Streiche spielte, die sich nur mehr schwach in meiner Erinnerung abzeichnen. Irgendwie scheinen sich diese Erlebnisse als Angst vor Donner in meinem Kopf manifestiert zu haben." Sie warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster, vor dem der strömende Regen tobte.

"Donner sind laut und furchteinflößend. Sie ähneln Schüssen, bei denen Menschen sterben, und Autounfällen. Alles Schlechte beginnt mit einem Krach, der wie Donner klingt."

In einer fließenden Geste zog er sie wieder an sich heran und versenkte sie in einen tiefen Kuss, der besitzergreifend und tröstlich zugleich war. Als er seine Lippen widerwillig von ihr löste, presste er seine Stirn an die ihre, seine Augen geschlossen, und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Worte schwebten zwischen ihnen, die er nicht formulieren konnte. Er war kein Mann großer Reden und wo Naruto oder Sasuke ihr versprochen hätten, immer für sie da zu sein, wenn der Donner käme, berührten seine Lippen ihre erneut. Er war kein Mann großer Reden, weil es nicht notwendig war. Keine tausend Worte hätten mehr versprechen können als dieser eine Kuss.
 

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Sakura hob die Hand. Sofort kehrte Ruhe im Besprechungszimmer von Hidden Leaf ein.

"Sie sind da", sagte sie leise. Die Tür war einen spaltbreit geöffnet, sodass die Stimmen am Gang ungehindert an ihrer aller Ohren dringen konnten. Naruto hatte versprochen, sich Sakuras Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen. Scheinbar wollte er ihn in die Tat umsetzen. Draußen erwiderte Hinata etwas Höfliches auf seine Frage, das durch das Holz der Tür nicht deutlich zu vernehmen war.

"Ich wäre dem nicht abgeneigt, wenn es dir nichts ausmacht, Naruto-kun. Würdest du mir endlich verraten, was du mir hier zeigen möchtest? Mir ist diese Einrichtung nicht geheuer. Soll das wirklich ein Büro sein?"

"Ja, ja, Hinata-chan, das sagte ich doch! Hör zu, du darfst jetzt nicht ausflippen. Versprich es mir!"

Sie legte verwirrt den Kopf schief. "Was geht hier vor sich? Naruto-kun? Steckst du in Schwierigkeiten?"

"Nein! Das heißt ja. Nicht ich, sondern … ach, Sakura-chan soll das erklären."

"Sakura?", wiederholte sie. "Was macht Sakura hier? Sollte sie nicht arbeiten?"

"Das tut sie."

"Ich verstehe nicht…"

"Komm einfach mit. Ich möchte dir jemanden vorstellen."

Sakura ließ die Hand sinken und gab das Zeichen zur Aufteilung. Jeder der angespannten Lauscher suchte sich schnellstmöglich eine Beschäftigung, um nicht ertappt zu werden. Sie wollte Hinata nicht gleich mit einer Kompanie Assassinen verschrecken. Es würde nicht viel helfen, selbst wenn sie stark dezimiert waren. Asuma war tot, Kakashi und Gai bei Kurenai, Lee lag im Krankenhaus, Neji und Kiba hatten beschlossen, sich aus dieser Farce herauszuhalten, und weil Sai in diesem Moment versuchte, Tsunade davon zu überzeugen, dass Itachi zu helfen das Richtige war, waren sie lediglich zu sechst.

Naruto stieß die Tür auf und erst sah Hinata sich bloß um. Sie grüßte die Freunde ihres Lebensgefährten. "Ich kenne diese Menschen, Naruto-kun", stellte sie fest. "Wen möchtest du mir nun vorstellen?"

Naruto holte tief Luft. Mit einigem Bammel trat er in die Mitte seiner Freunde. "Uns alle. Wir sind Mitglieder von Hidden Leaf; einer Assassinengruppe."

Hinatas Mundwinkel zuckte. Sogar aus der Entfernung konnte Sakura sehen, wie ihr Teint erbleichte und ihr Herz begann, schneller zu schlagen.

"Du nimmst mich doch auf den Arm, Naruto-kun. Nicht wahr? Naruto-kun? Du arbeitest doch in derselben Firma wie Neji-niisan, wo ihr euch kennengelernt habt! Neji-nii—oh. mein. Gott. Neji-niisan ist … ist …" Ihre Augenlider flatterten, als sie nach oben sah und nach hinten kippte. Naruto fing sie entsetzt auf.

"H-Hinata-chan! Hinata-chan! Hey, mach' die Augen auf! Hey! Hörst du mich? Hinata-chan! Sakura-chan, tu doch was! Das ist alles nur deine Schuld!"

Sakura wusste nicht, was sie hätte tun können, außer ihrer Freundin den Handrücken zu tätscheln. "Sie beruhigt sich schon wieder, keine Sorge." Sie behielt recht. Binnen weniger Minuten schlug Hinata die Augen auf. 'Das ist alles nicht wahr, das ist alles nicht wahr', wiederholte sie wie ein Mantra, bis sie es nicht mehr leugnen konnte.

"Wieso?", fragte sie an Naruto gewandt, der ihre Hand hielt.

"Wie hätte ich es dir sagen sollen?"

Sie schüttelte den Kopf. "Nicht das. Kurenai-sensei hatte schon länger eine Vermutungen. Nicht gerade diese, aber sie wusste, dass etwas faul ist. Ich dachte, sie würde spinnen. Wieso sagst du es mir jetzt?"

"Ich hätte es dir schon am ersten Tag gesagt, wenn mir jemand garantieren hätte können, dass du nicht schreiend davon läufst. Aber mit jedem Tag wurde es schwieriger, dich nicht mehr zu belügen. Ich kann verstehen, dass du geschockt bist."

Hinata schüttelte erneut den Kopf. "Wir werden das Zuhause diskutieren. Sag mir, wieso."

"Wir brauchen deine Hilfe", mischte Sakura sich ein. Hinata war zäh, sie würde es schon verarbeiten, wenn der erste Schock erst einmal verebbt war. "Juristischen Rat, genauer gesagt. Dieser Mann dort ist Uchiha Itachi. Ich nehme an, du weißt, was ihm vorgeworfen wird."

Sofern möglich, wurde Hinata noch blasser. Nichtsdestoweniger nickte sie.

"Wir wollen seine Unschuld beweisen. Dazu brauchen wir dich."

"Ihr wollt was?" Ihre Stimme war ein ersticktes Quieken, das durch ihre vor den Mund gepressten Finger rutschte. "Gesetzt dem Fall, dass seine Unschuld tatsächlich beweisbar ist, weil sie vorhanden ist, heißt das noch lange nicht, dass sie auch juristisch existent ist! Sakura, ich bin Familienanwältin, keine Rechtsanwältin! Wenn Sasuke auf Unterhalt klagt oder Uchiha-san irgendein Sorgerecht einfordert, kann ich helfen! Aber in solchen Angelegenheiten … ich kenne einige gute Kanzleien, zum Beispiel Aburame und Söhne in Yodogawa. Sie ist zwar teuer, aber renommiert und auf Rechtsbeistand in Strafprozessverfahren spezialisiert. Sie können sicher helfen!"

Naruto nahm nun auch ihre zweite Hand. "Aber denen können wir nicht vertrauen! Wir brauchen jemanden, der tatsächlich auf unserer Seite steht! Uchiha ist unschuldig, das sagt zumindest Sakura, und wir glauben ihr. Bitte, hilf uns!"

"Wenn es eine Frage des Geldes ist", begann Itachi, wurde jedoch vehement von ihr unterbrochen, als sei dies eine abstruse Annahme.

"Oh, bitte! Mein Nachname lautet Hyūga; ich habe Geld wie Heu! Hier geht es um meine Reputation!" Sie biss sich auf die Lippe. " Nach all den jahrelangen Lügen, seid ihr doch immer noch dieselben Menschen, oder? Bevor Naruto-kun mich wochenlang bearbeitet, ehe ich einwillige, erspare ich mir selbst diese schlaflosen Nächte. Aber ich garantiere für nichts, hört ihr? Rein gar nichts. Strafprozesse sind nicht mein Fachgebiet, also erwartet euch nicht zu viel von mir. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht eine schlechte Wahl bin."

Naruto fiel ihr freudestrahlend um den Hals. "Du bist die Beste, Hinata-chan! Darum liebe ich dich! Shikamaru und Sakura werden dir helfen, einen Schlachtplan zu entwerfen. Eure drei Gehirne zusammen werden das schon schaffen!"

In seiner Umarmung verlor ihr Gesicht weiterhin an Farbe. Was genau sie benommen säuselte, was schwer zu verstehen. "… wenn Vater das wüsste …"
 

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Three Levels Crusade


 

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Book Three: Down The Core

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Drei Tage.

Mehr hatte es nicht gebraucht. Sakura hatte diese drei Tage in beinahe absoluter Isolation verbracht, getrennt von Itachi, Sasuke, Naruto und sozialen Interaktionen. Hinatas Büro in der kleinen Kanzlei, die Kurenais Eltern gehörte, war zu einer Zelle geworden, die ihre Pforten erst öffnete, als sie zusammen mit Shikamaru den perfekten Feldzug bis in jedes Detail geplant hatten. Naruto hatte recht behalten. Diese drei Gehirne besaßen eine unvorstellbare Kapazität geballter Arglist, die ihnen zum Sieg verhelfen würde. So sah der Plan jedenfalls aus.

Dass es utopisch war, alle drei Bögen ihres Feldzuges reibungslos über die Bühne zu bringen, brauchte Itachi ihr nicht erst zu sagen. Er tat es dennoch, was ihr den ersten Wind aus den Segeln nahm. Defätist. Tsk. Nichtsdestotrotz ergriff sie seine Hand, als sie einmal mehr im Besprechungsraum von Hidden Leaf zusammensaßen; sechs Leute waren effektiv an der Umsetzung der Operation beteiligt. Mehr konnten sie nicht einbinden, ohne aufzufallen. Mehr hätte Tsunade auch nicht erlaubt. Obgleich sie, widerstrebend, zugestimmt hatte, ihre Leute für Itachi abzustellen, von dem sie ein saftiges Honorar dafür verlangt hatte, das er ohne Widerworte im Vorfeld bezahlt hatte, war sie nicht bereit, mehr ihrer Mitarbeiter als unbedingt nötig damit zu beauftragen. Lee, Kiba und Neji arbeiteten bereits an einem neuen Fall.

"Also?", fragte Itachi in den Raum. Er war der einzige, der die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre nicht wahrzunehmen schien—oder er scherte sich nicht darum. Sasukes Verachtung, die willkürlich und durchwachsen spontan zwischen Sakura, Naruto und ihm wechselte, konnte ihm gar nicht nicht auffallen.

"Also was?", brummte Shikamaru. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt. "Du bist nicht der Boss."

"Deswegen war es eine Frage und kein Befehl." Er sah Sakura an, die kopfschüttelnd unter dem Tisch beinahe beiläufig gegen sein Knie stieß. Was auch immer er sagen konnte, es würde alles bloß schlimmer machen. Shikamaru war ja so ein Starrkopf. Sie hätte ihn für sein Verhalten am liebsten durch den Fleischwolf gedreht. Allem voran seiner Kommentare wegen, die er in den letzten drei Tagen in ihrem Beisein geschoben hatte, wohlweißlich, dass sie intelligent genug war, Sarkasmus zu erkennen, wenn er ihr blinkend vor die Nase geworfen wurde.

"Also", übernahm sie, ehe diese Schlachtplanbesprechung in einem Blutbad endete, "wir konnten etwas ausarbeiten, das uns gewisse Vorteile verschafft."

"Ihr habt drei Tage dafür gebraucht", mischte Sasuke sich mit verschränkten Armen ein. "Der Plan ist besser lückenlos."

Shikamaru stieß einen missmutigen Laut aus. "Was bist du? Unser Chef?"

"Ruhe, alle beide!", fuhr Sakura dazwischen, bevor Sasuke zu einer bissigen Antwort ansetzen konnte. Die aufkommenden Kopfschmerzen waren ein schaler Vorgeschmack auf die Migräne, die sie noch bekommen würde. "Hinata, würdest du?"

Hinata, als emotional wie geistig anscheinend einzig gesunder Mensch, erhob sich, um den Vorsitz zu führen. Sie ließ die Schultern unter Itachis prüfendem Blick etwas hängen, was Sakura mit einem ermutigenden Kopfnicken korrigierte. Er konnte furchteinflößend sein, wenn er seine Mimik zu stark kontrollierte, das hatte sie Hinata gesagt. Als seine Anwältin musste sie Rückgrat beweisen. Sakura hatte ihr eindringlich erklärt, wie sie sich am besten verhalten sollte; Schultern zurück, Kopf gerade, strenger Blick und sich nicht darum kümmern, wie schlecht Itachis Laune erschien. Die ersten drei Punkte erfüllte sie für den Anfang mit Bravur.

"Unser Plan besteht aus drei Etappen", begann sie mit Schulmeisterblick. "Hört gut zu, damit ihr euch auch alles merken könnt. Wenn es läuft wie geplant, muss jeder wissen, was er zu tun hat. Wir werden keine Zeit für Zwischenkonferenzen haben. Zuerst kommt Level Eins." Eine absichtlich dramatische Pause folgte. "Der Nimbus."

Drei verständnislose bis verwirrte Augenpaare sahen sie an, während Hinata entmutigt den Kopf hängen ließ.

"Ich sagte doch, niemand würde es verstehen, Sakura!", maßregelte Shikamaru sie genervt.

Sakura sah entrüstet in die Runde. "Leute, lest ihr nicht?"

"Doch", bekräftigte Naruto, "aber keine Wörterbücher!"

"Pornos zählen nicht zu lesbarer Literatur!"

Naruto warf die Hände in die Luft. "Als hätte ich das nötig! Im Gegensatz zu dir, Sasuke, habe ich eine Freundin!"

"Und genau die hat das Wort!", mischte Sakura sich ein. Sie würden mit wehenden Fahnen untergehen, aber immerhin mit einem Witz auf den Lippen. Entzückend. "Würdest du fortfahren, Hinata? Wahlweise mit einer Erklärung für unsere Spatzenhirne." Die beiden Beleidigten grummelten verhalten.

"Wie ich bereits sagte, lautet das Codewort für Level Eins 'Nimbus', abgeleitet vom gleichnamigen Kunstbegriff, der auf bestimmten Gemälden einen Heiligenschein bezeichnet. Wir beginnen, wie es geendet hat: mit der Presse. Gemäß der aktuellen Beweislage ist es unmöglich, Uchiha-san einen fairen Prozess zu ermöglichen. Ein Strafprozess solcher Ausmaße wird immer vor einer Jury verhandelt und diese würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken zur Höchststrafe verurteilen. Die Zeitungen haben die Uchiha-Affäre einfach zu sehr aufgebauscht. Zehn Jahre sind keine angemessen lange Zeit, um die Menschen vergessen zu lassen. Ziel ist es, Uchiha-sans Reputation ins rechte Licht zu rücken; vorzugsweise in eines, das für uns vorteilhaft ist. Diese Aufgabe werden Sasuke und Naruto-kun übernehmen."

"Hä?" Naruto blinzelte sie irritiert an. "Sollen wir etwa die Presse schmieren, oder wie stellst du dir das vor?"

Sakura zwickte ihn tadelnd am Oberarm. "Sei doch nicht so profan! Denkst du, wir hätten drei Tage für etwas derart Banales gebraucht? Du beleidigst uns!"

Hinata nickte. "Tatsächlich ist es etwas subtiler. Ihr werdet euch in die Redaktionen verschiedener Wochenmagazine, Pressezeitschriften und Sender einschleichen—vornehmlich jene, die vermehrt über die Uchiha-Affäte schrieben. Einschleichen ist vermutlich das falsche Wort dafür. Ihr sollt Gerüchte streuen. Sucht die Pausenräume auf, sprecht mit den Redakteuren und Reportern, die euch über den Weg laufen. Es ist im Prinzip egal, wie ihr es macht, hier zählt die Quantität. Je öfter desto besser."

Sasuke verschränkte skeptisch die Arme vor der Brust. "Welche Gerüchte sollen wir streuen?"

"Genauer gesagt nur eines", antwortete Sakura. "Nanri Misao gibt übermorgen im Bankettsaal des Bankgebäudes eine Pressekonferenz, in der sie offiziell enthüllt, dass sie Fördergelder ihrer Agentur für Aktienspekulationen verschleudert hat."

Eine zweite Runde verständnisloser Blicke kam auf, die diesmal sie traf. Hinata half aus. "Nanri Misao ist eine bekannte Sängerin, die mit dem Verschwinden staatlicher Subventionen in Millionenhöhe in Verbindung gebracht wurde. Derartige Informationen sind gefundenes Fressen für Reporter und wenn sie tatsächlich unschuldig ist, wird eine Falschanklage ihrem Ruf als Unterschichtschwan gerecht, den sie seit Jahren selbst fabriziert. Das Risiko, Uchiha-san könnte vor dieser Pressekonferenz geschnappt werden, ist zu groß, wenn wir die Konferenz auf seinen Namen laufen lassen. Das Medieninteresse wäre zwar größer, doch sie würden zuvor die schmutzigen, verzerrten Details ausgraben, die seinen schlechten Ruf wieder aufbringen. Es ist besser, wenn wir sie überraschen, dann haben sie keine Chance, sich emotional zu wappnen."

Itachi hob eine Augenbraue. "Ich werde eine Pressekonferenz geben?"

"Ja. Die Presse ist nicht die Polizei. Ihnen ist Gerechtigkeit egal, wenn sie dadurch Einschaltquoten und Absätze steigern können. Solange du sprichst, werden sie dir zuhören. Zwei Polizisten werden von Anfang an vor Ort sein, um etwaige Störungen zu verhindern und dich, nachdem du dich gestellt hast, in Gewahrsam nehmen. Yamato-san und Yūgao-san sind langjährige Freunde von Hidden Leaf. Sie werden deine Sicherheit in einer von Mithäftlingen isolierten Einzelzelle gewährleisten und sicherstellen, dass es zu einer raschen Anklage kommt. Die Beweisführung liegt in diesem Moment für die Staatsanwaltschaft vorbereitet auf Yūgao-sans Schreibtisch. Es ist wichtig, dass wir den Trubel für das Verfahren nutzen, deshalb werde ich einen Eilprozess beantragen. Sobald der Antrag bewilligt wurde, werden wir vor Gericht ziehen."

"Ist das Level Zwei?", vermutete Naruto. Er hielt zwei Finger hoch, an denen er abzählte.

"Korrekt", fuhr Hinata fort. "Level Zwei, die Schöffen. Wie bereits erwähnt, wird eine Anklage der Staatsanwaltschaft in Fällen dieser Schwere in erster Instanz vor dem Bundesgericht Ōsaka verhandelt. Das bedeutet, dass es Geschworene geben wird. Die Aufgabe der Jury ist es, zu entscheiden, ob und in wie vielen Anklagepunkten der Beschuldigte schuldig ist. Der größte Nachteil ist hierbei gleichzeitig unser größter Vorteil. Die Jury besteht aus Laienrichtern. Menschen ohne juristischen Background, was sie theoretisch unvoreingenommen macht. Sie sind eine Blackbox, die beide Seiten mit Input füllen. Das macht sie manipulierbar. Ich möchte dir nichts vormachen, Uchiha-san. Die Beweislage ist erdrückend. Wir können diesen Fall niemals mit Sachlichkeit gewinnen. Darum ist die Jury wichtig. Mit ihr steht und fällt der Prozess. Wenn wir die richtigen Knöpfe drücken, können wir auf einer emotionalen Basis ausmerzen, was uns an Fakten fehlt."

Sakura stand nun ebenfalls auf. In ihren Beinen kribbelte es vor Aufregung, sodass sie nicht still sitzen konnte. Sie musste sich bewegen, um nicht die Kontrolle über ihre professionelle Miene zu verlieren. Mit genau dieser übernahm die das Wort.

"Während Naruto und Sasuke die Öffentlichkeit primen—das heißt, programmierenden Reizen aussetzen—werden Shikamaru und ich mittels gefälschter Identitäten als Gerichtsdiener die Geschworenen auswählen. In Bundesverfahren wird die Jury von einem Richtergremium aus einer Vorauswahl der Anklage und Verteidigung ausgewählt. Alles, was wir tun müssen, ist, uns als Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft auszugeben und dem Gremium ein Assortiment geeigneter Kandidaten vorzulegen, die am ehesten dazu tendieren, jemanden mit Itachis Schicksal als Opfer zu sehen, nicht als Täter. Mütter, die ihre Söhne verloren, Männer, die ihre Brüder sterben sehen mussten. Alles in diese Spannweite ist legitim. Wir bauen ein emotional geladenes Menschenkonstrukt auf, das wir mit noch mehr Emotionen füllen. Es dürfte nicht allzu schwer werden, diese Palette aufzustellen. Wir verpassen Tenten zu diesem Zweck eine neue Identität. Sie ist süß und wird die Geschworenen von innen heraus beeinflussen. Über Shikamaru und mich wird es ein Leichtes, sie in die Jury zu setzen."

Ausnahmslos jeder in diesem Raum hielt zum ersten Mal den Mund. Die Spannung, mit der die Luft erfüllt war, konnte buchstäblich mit einer Nadel zu einem Knall zerstochen werden.

"Und dann?", fragte Naruto schließlich. Er hatte ungewohnten Ernst in seiner Stimme.

"Dann kommt das Wichtigste", antwortete ihm Hinata in düsterer Vorahnung. "Danzō."

Als sie seinen Namen aussprach, konnte Sakura Itachi scharf Luft einsaugen hören. Sie hatte nicht vergessen, dass er der Grund für alles war. Und sie hatte auch nicht vergessen, dass Itachi bei dieser Farce nicht mitmachen würde, sollte sie nicht Danzōs Niedergang beinhalten. Letztendlich tat er es nur für Sasuke, der sich nach wie vor weigerte, ihn auch nur anzusehen. Dennoch war er hier. Es gab Sakura Hoffnung.

"Danzō wird uns nicht mit Unbedachtheit in die Hände spielen", setzte Shikamaru fort. "Wir können ihn in keine Falle locken, so wie wir es bei allen anderen tun."

"Das heißt", korrigierte Sakura, "in keine Falle, die nicht perfekt ist. Er wird jede Finte mit Leichtigkeit durchschauen. Darum werden wir keine legen. Das ist Level Drei."

"Obligation." Hinata übernahm, indem sie demonstrativ ihre Hand hob. "Ich schwöre, mein Amt getreu dem Grundgesetz des Staates Japan und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe."

Sie erntete Verwirrung und verdrehte die Augen.

"Jungs, ihr solltet wirklich mehr lesen. Oder zumindest Kriminalserien im Fernsehen anschauen. Diesen Eid muss jede juristische Person ablegen. Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Beisitzer … Richter. Danzō ist ein solcher. Ein sehr angesehener noch dazu. Jede Politik ist fest durchwachsen von Filz und Hinterziehung, die japanische bildet keine Ausnahme. Um so weit zu kommen, musste Danzō einiges an Bestechungen aufwenden, die ihr Sponsoring in dem Geld der Uchihas fand. Wenn wir auch nur einen kleinen Stein lostreten, lösen wir eine Lawine aus, die ihn überrollen wird. Wenn wir Danzō inmitten unseres Prozesses auffliegen lassen, können wir Uchiha-san als Opfer eines korrupten Rechtssystems darstellen. Sai kümmert sich um die Beweise, mit denen wir Danzō belasten können."

Sakura fiel ein Stein vom Herzen. Zusammengefasst klang dieser Plan perfekt. Es würde funktionieren. Vielleicht. Irgendwie. Mit ganz viel Glück.

"Nein." Itachi stand auf, sein Gesicht eine glatte Maske. "Versteht mich nicht falsch. Ich bin euch dankbar für eure Mühen, aber für meinen Geschmack kommt das Wort 'Opfer' darin viel zu oft vor. Ich bin kein Opfer eines korrupten Rechtssystems, sondern ein Mann, dessen Leben von einem ehrgeizigen Verrücken erfolgreich sabotiert wurde. Ich werde meinen nackten Hinter nicht der Öffentlichkeit preisgeben und auf die Tränendrüse drücken, bloß um Absolution zu erhalten, die ich nicht verdient habe."

"Fein, dann mach' ich es." Das Stuhlrücken, als die Sesselbeine über den Fliesenboden scharrten füllte mitsamt seiner Stimme den Schock mit Überraschung. Es war Sasuke, der sich erhob und finster auf seinen Bruder herabsah. "Nicht, dass du es verdient hättest, du mieser Scheißkerl, aber wenn es sein muss, werde ich als dein verlassener kleiner Bruder diese beschissene Konferenz geben, um deinen Arsch zu retten, ohne ihn zu entblößen." Er wandte sich Sakura zu. "Ich tue das nicht für ihn. Das sollte dir klar sein." Diese Worte zurücklassend, verließ er das Besprechungszimmer und hinterließ Verwirrung. Itachi zögerte keine Sekunde, ehe er ihm nachging. Kontrolliert, aber eilig. Sakura wollte ihm folgen, doch Naruto hielt sie an der Schulter zurück.

"Lass die beiden das unter sich ausmachen."

Sakura lachte hohl. Er tat es nicht für Itachi? Wie glatt Uchiha Sasuke doch lügen konnte. Und wie leicht er manchmal zu durchschauen war.
 

-
 

Sasuke hörte Itachis Schritte hinter ihm. Sie kamen näher, holten ihn jedoch erst ein, als er den Finger bereits am Knopf des Aufzuges hatte.

"Wie dumm, dass du nicht Sakura bist," sagte Itachi, der neben ihm zum Stehen kam, um ebenfalls auf den Aufzug zu warten.

"Nach diesen Worten steige ich ganz bestimmt nicht mit dir in denselben engen Raum", gab Sasuke zurück. "Ich habe nicht vor, mir ebenfalls eine Paranoia vor Aufzügen einzufangen."

Ihm war die Vorstellung seiner engsten Freundin mit seinem Bruder zuwider. Diese herzensgute, liebevolle Person im Bann dieses beschissenen Kretins. Das war einfach nur widerwertig. Sasuke drehte am Absatz um und nahm die Treppen, Itachis Schritte hinterher. Es dauerte zwei Stockwerke talwärts, in denen verschiedenste Emotionen in seinen Kopf drangen, sein Herz füllten, bis er nicht mehr konnte.

Sasuke stoppte schlagartig und drehte sich um; Itachi trat einen Schritt zurück, um auf dem schmalen Zwischenparterre, auf dem sie sich befanden, Distanz zwischen ihnen einzuräumen.

"Schlimm genug, dass du mir meine Jugend genommen hast", fuhr er ihn mit kalter Zurückweisung an, "tauchst du genau dann wieder auf, wenn ich mir endlich ein neues Leben aufbauen möchte! Mit einem der wenigen Menschen im Schlepptau, denen ich bedingungslos vertraue! Machst du das mit Absicht, Itachi? Oder hat deine beschissene Perfidität neuerdings einen Autopiloten eingebaut? Musst du nicht einmal mehr aktiv an den Denkprozessen beteiligt sein, deren Handlungen dich mein Leben versauen lassen?"

"Ich hatte niemals die Absicht, dein Leben in irgendeiner Weise zu versauen, Sasuke", bekräftigte Itachi gefasst. "Ich wollte es schützen."

"Was du wolltest, ist mir scheißegal!" Sasuke streckte seinen Arm in einer ruckartigen Geste von sich. Sie trieb einen Keil zwischen ihn und seinen Bruder. Seine Stimme war ungewohnt heiser und rau. Es war die angestaute Frustration, die ihm die Kehle zuschnürte. "All die Dinge, die ich ein Jahrzehnt lang glaubte—all der Hass, den ich für dich empfand—für nichts? Ist es das, was es letztendlich sein soll? Wie es enden wird? Verstehst du nicht, was du getan hast? Meine letzten zehn Jahren waren umsonst! Weißt du, was es für ein Gefühl war, den letzten Teil meiner Familie verschwinden zu sehen? Zu wissen, dass der einzige Mensch, den ich immer bewunderte, zu einem geisteskranken Irren verkommen ist? Und am Ende, nachdem ich all die Jahre darauf verwandt hatte, mich für das zu rächen, was du mir angetan hast, zu erkennen, dass alles eine Lüge war? Hast du auch nur die leiseste Ahnung, wieso ich dich anschreie?"

"Sasuke—"

"Nichts 'Sasuke'! Du verfluchter Held musstest ja unbedingt den Märtyrer spielen! Die letzten zehn Jahre wären nicht ganz so grausam gewesen, wenn du mit mir geredet hättest! Wenn du mir gesagt hättest, dass du es nicht warst!"

Itachi setzte zu einem Schritt nach vorne an, unterließ es jedoch angesichts Sasuke wütendem Blick, der ihn durchstach. "Du hättest mir nicht geglaubt. Niemand tat es."

"Ich bin nicht niemand!", schrie er. "Wärst du vor mir gestanden, hätte ich dir geglaubt! Aber du hast mir eine Lüge nach der anderen aufgetischt, die mich in dem Irrglauben ließ, ich hätte dich verloren!"

"Ich wollte dich schützen, Sasuke. Hätte ich dir die Wahrheit gesagt, wärst du ebenfalls in Danzōs Visier gerückt. Das konnte ich nicht zulassen. Nicht nachdem ich sah, wozu er fähig war."

Nun war es Sasuke, der sich davon abhielt, nach vorne zu treten. Er wäre Itachi am liebsten an die Gurgel gegangen, hätte ihn mit Genuss zu Boden gerammt, um seinen Kopf gegen die Fliesen zu schlagen. Stattdessen beschränkte er sich auf eine Wahrheit. "Du hättest mich nicht schützen müssen! Ich bin kein Kind!"

"Du warst damals ein Kind!" Itachis Schrei hallte an den kahlen Wänden wider. Es war das erste Mal, dass Sasuke ihn seine Stimme erheben hörte. "Du warst sechzehn, gerade einmal in der Oberschule! Hätte ich dich in diese Machenschaften mit hineinziehen sollen? Ich tauchte unter, um Orochimaru und Danzō im Auge zu behalten, bloß damit du das Leben führen konntest, das dir zustand! Aber du hast diesen Hass aufgebaut, hast dich in ihm verkrochen und dich dafür entschieden, einem Pfad zu folgen, den du nicht hättest wählen dürfen! Ich habe dabei versagt, dich völlig zu beschützen—als Orochimaru dich fand und gefangen hielt, um mich aus meinem Versteck zu locken, war ich nicht rechtzeitig da, um dich zu retten! Als ich kam, hatten deine Freunde dich bereits aus seinen Fängen befreit! Aber, Sasuke, meine Gründe für alles, was ich in den letzten zehn Jahren tat, fußten nur auf einer einzigen Intention: deiner Sicherheit."

Sasuke zischte abfällig. Er spürte den Knoten in seinem Hals, der immer größer wurde, immer trockener. Dieser Vollidiot wollte einfach nicht verstehen, auf was er hinaus wollte. Seine Stimme wurde leiser, als er aussprach, was er zurückgehalten hatte, um sich keine Blöße zu geben. Er konnte es nicht mehr.

"Egal ob Kind oder nicht, als du vor einigen Wochen in diesem Café vor mir gesessen hast, sogar da hast du vor mir und der Welt den Bösen gemimt und da war ich kein Kind mehr!"

"Ich musste dich ein Jahrzehnt belügen, Sasuke. Die Wahrheit nach all der Zeit auszusprechen schien mir irrelevant. Ich wollte dich damals nicht treffen, um dich zu verhöhnen, sondern um sicherzugehen, dass es dir gut ging, nachdem Uzumaki Naruto mich suchte. Ich dachte, er wollte sich an mir rächen, weil du dich umgebracht hättest oder dir etwas zugestoßen sei. Ich machte mir Sorgen, darum erfand ich irgendeinen fadenscheinigen Grund. Es ging niemals darum, dich zu manipulieren."

"Denkst du, es geht mir darum? Zum Mitschreiben, Itachi: es ist mir scheiß egal, was du damit bezweckt hast! Aber … hast du dich auch nur ein einziges Mal gefragt, wie es gewesen wäre, wenn du mir von Anfang an die Wahrheit gesagt hättest? Vielleicht habe ich den falschen Weg gewählt, aber dachtest du im Ernst, ich würde es einfach so hinnehmen? Du sagst, du wolltest meine Sicherheit, aber damit hast du mir gerade diese genommen, als du mich alleine gelassen hast!"

Itachis geweitete Augen waren ein Triumph für sich, der Sasuke erleichtert ausatmen ließ. Die heißen Tränen, die ihm in den Augen brannten, würde niemals jemand zu Gesicht bekommen. Schon gar nicht sein Bruder.

"Ich hätte mein Leben vielleicht fortsetzen können, wenn du mir mehr zugetraut hättest. Das ist, weswegen ich wütend bin. Dass du mich als so schwach ansiehst, nicht mit ein paar Schwierigkeiten fertig zu werden. Du hast diese Bürde alleine auf dich genommen, obwohl du genau wusstest, dass ich auf deiner Seite gestanden wäre. Es ist deine Entscheidung, mich mit allen Konsequenzen bewusst auszuschließen, die dieses Gefühl in mir auslöst, mit dem ich dein Gesicht gegen eine Wand schlagen will. Wieder und wieder und wieder und wieder bis davon nichts mehr übrig ist als der klägliche Teil, den ich so sehr an dir verabscheue. Weil du mir nicht vertraut hast, stark genug zu sein. Du warst schon immer übertrieben selbstlos. Wenn du diesen Prozess also schon nicht für dich selbst gewinnen willst, weil du dein Leben als unwichtig ansiehst, tu es wenigstens für mich. Und für Sakura. Sie wurde schon so oft enttäuscht; ein weiteres Mal würde sie nicht verkraften. Und … ich auch nicht."

Diesmal machte Itachi den Schritt, den er zuvor angedeutet hatte. Die Hände seines Bruders auf seinen Schultern fühlten sich für Sasuke an, als wäre er wieder ein kleiner Junge. Er wollte sich nicht so fühlen.

Der liebevolle Ruck, mit dem Itachi ihn in eine enge Umarmung zog, setzte das Schlussword.

"Ich habe dich vermisst, kleiner Bruder."

Sasuke verzog an seiner Schulter den Mund zu einem grimmigen Lächeln. "Hau' bloß ab, du sentimentaler Scheißkerl," zische er und erwiderte die Umarmung.
 

-
 

Dass Sasuke dramaturgisch ausgereifte Melodramatik spielen konnte, hatte Sakura nicht geahnt. Seine Medienpräsenz war zweifelsohne bemerkenswert; die Sicherheit, mit der er vor den Kameras und Mikrofonen seine schlimmsten Erlebnisse wiedergab, beeindruckend. Es war ein erschreckend graziler Reigen, mit dem er sich die Fragen der Reporter zueigen machte, die erst verärgert über die Täuschung waren, dann jedoch mit gierigem Interesse alles aufsogen, was er fallen ließ.

Wo Itachi sich schwer tat, Menschen für sich zu gewinnen, begeisterte Sasuke mit seiner tragischen Geschichte die Massen. Er hatte sich zum Herzstück dieses Dramas gemacht, in dem er die Welt lautstark dazu aufrief, ihm seinen Bruder nicht zu nehmen, indem sie ihn zu Unrecht beschuldigten. Er, Uchiha Itachi, würde sich zum Wohle aller der Polizei stellen, um auf eine gerechte Strafe zu warten, die nur Freispruch sein durfte! Er wetterte gegen Korruption in Politik und Justiz, nannte jedoch bewusst keine Namen. Sie brauchten diese Deckung, um den finalen Schlag auszuführen. Gerechtigkeit war eines seiner Schlagworte, dicht neben Bruderliebe und Solidarität.

"Er hätte Orator werden sollen", stellte Sakura bewundernd fest. Sie hatte ihre Hände ineinander gelegt, um nicht nervös am Knopf ihrer Jacke zu nesteln.

"Sasuke konnte immer schon gut reden, wenn er wollte", bemerkte Itachi nicht minder beeindruckt. "Leider immer nur dann, wenn etwas auf dem Spiel steht. Er schafft es bravurös, den Nerv seiner Zuhörer zu treffen. Niemand würde auf den Gedanken kommen, er fälsche auch nur eine einzige Emotion. Das ist seine Begabung; er ist ein perfekter Schauspieler. In vielerlei Hinsicht. Er kann den emotionalen Musterknaben ebenso gut spielen wie den eiskalten Rächer. Er ist keines von beiden, glücklicherweise."

Sakura nickte zustimmend. Von einem der Hinterräume aus beobachtete sie über einen Monitor, wie Sasuke die Menge begeisterte. Jeder Journalist schrieb eifrig mit, die Reporter überschlugen sich mit Fragen, die Sasuke drehte, wie er sie brauchte, ohne ihnen auszuweichen. Er hatte eine lückenlose Vorlage bekommen, mit der er arbeiten konnte. Die letzten Tage vor seinem Auftritt hatten Sakura und Shikamaru darauf verwendet, ihm ein Wahrheitsmodell zu erarbeiten, das er breittreten konnte, was er auch tat.

"Er übertreibt maßlos", meinte Itachi schließlich, als sein Bruder einen Satz mit gleich drei Metaphern vollpackte.

"Ist es dir etwa peinlich, als Held dargestellt zu werden?", neckte sie ihn. Eigentlich durfte sie nicht hier sein, sondern hätte mit Shikamaru längst an ihren falschen Identitäten arbeiten sollen. Er hatte sie für diese zwei Stunden davon entbunden. Ausnahmsweise, weil sie vor Aufregung nichts Anständiges zustande gebracht hätte. Schmeichelhaft wie eh und je. Itachi antwortete ihr nicht, woraufhin sie sich ihm zuwandte und ihm aufmunternd zunickte.

"Es wird alles gut", sprach sie eher zu sich selbst, als dass sie ihn hätte beruhigen wollen. Itachi war nicht so angespannt wie sie, sondern strahlte eine stoische Ruhe aus, die sie bloß noch unruhiger werden ließ.

"Hab Vertrauen in dich." Itachi berührte ihre Schulter, bloß federleicht, als wolle er sie nicht zerbrechen. Dieser Mann war ja so frustrierend! Sakura ließ es kommentarlos geschehen. Es war ein Abschied; vielleicht auf Zeit, vielleicht für immer. Obwohl sie sich nicht sicher war, ob er tatsächlich Zuneigung für sie empfand, oder diese Liaison bloß unterhielt, weil er Ablenkung brauchte, wehrte sie sich nicht gegen diese Gedanken. Es war wie es war und wie es war, war es gut. Sie konnte von ihm nicht verlangen, von null auf hundert zu schalten, bloß weil sie seit Wochen auf seine Reize reagierte. Sie hatten wochenlang Empfindungen füreinander aufgebaut, die nun, da sie sie zuließen, viel schneller über sie hereinbrachen als ihr lieb war. Was auch immer werden würde, Sakura konnte nicht daran denken. Dies war ein Kampf und im Krieg hatte Liebe keinen Platz. Wenn es denn das war, das sie empfand. Irgendwie war es ihr nicht geheuer, so zu empfinden. Die Sache hatte sicherlich irgendwo einen Haken.

"Sasuke-kun ist fertig", stellte sie fest, als aus den Lautsprechern des Monitors das Stichwort drang. Am Rand des Bildschirms sah sie die beiden Polizisten, die ihr in der Vergangenheit bereits öfters nützliche Informationen hatten beschaffen können. Und obwohl sie ihr einen Gefallen taten, kam sie nicht umhin, sie tief in ihrem Inneren als Feinde zu betrachten, die ihr einen wichtigen Menschen wegnahmen.

"Lass los, Sakura." Sein amüsierter Tadel wirkte heiter. Wie konnte er so gelassen bleiben, wo sie tausend Tode starb? "Du schaffst das schon. Ich vertraue dir und deinen Freunden. Euer Plan ist gut."

Sie reckte beleidigt das Kinn. "Er ist perfekt."

Itachis lachte tief, aber leise. "Das werden wir sehen. Er drückte ihre Hand und verließ das Hinterzimmer. Auf dem Monitor musste sie mit ansehen, wie er zu Sasuke auf die Bühne trat, zwei bewegende Sätze sagte und dem Schauspiel erlag, in dem sich Yūgao und Yamato mit gezogenen Waffen auf ihn warfen, ihn brutal niederstreckten und schlussendlich in einem vorbereiteten Polizeiwagen abführten. Sakura schlug sich leicht auf die Wagen, um ihren Kopf und ihr Herz von allen störenden Empfindungen zu klären. Alles war nach Plan verlaufen. Das war gut. Sie hatte keinen Grund, besorgt zu sein.

Nun kam ihr Part. Und sie würde ihn ebenso gut über die Bühne bringen, wie Naruto und Sasuke. Entschlossen hielt sie ihr Mobiltelefon ans Ohr.

"Nimbus appliziert. Beginne mit Schöffen."
 

-
 

"Wie wäre es mit dieser?" Shikamaru tippte auf den—illegal beschafften—Lebenslauf einer Konditorin aus einem Vorort Ōsakas. Sie hatten Zeitungsberichte und Polizeiakten der letzten zehn Jahre durchforstet, um an Namen interessierender Japaner zu kommen, von denen sie über dreißig zusammengetragen hatten.

"So gut wie jeder andere", bemerkte Sakura, die tief über ihren abzuarbeitenden Stapel gebeugt war. Die Lesekammer für juristische Akten war zwar hell beleuchtet, ihre Augen taten vom Lesen dennoch weh. Es war zwei Wochen her, seit Itachi verhaftet worden war. Zwei Wochen, in denen sie über einhundert Menschen überprüft hatten. Um sich alle Details zu merken, hatte sie beinahe ihren eigenen Namen vergessen müssen—wie man ihn korrekt schrieb, hatte sich bereits aus ihrem Gedächtnis verabschiedet.

"Nimm' einfach irgendjemanden", meinte Shikamaru schließlich. "Ich bin es leid, unbeweisbare Theorien aufzustellen. Wir können von Glück reden, dass wir sie zumindest eingrenzen konnten."

Sakura nahm ihre angespannten Schultern zurück. "Ja. Wenn wir noch länger brauchen, wird Ayase-chan misstrauisch."

Er legte den Kopf schief. "-chan? Seit wann bist du die beste Freundin stellvertretenden Staatsanwältin?"

"Bin ich nicht! Sie ist süß. Ganz anders als diese abgebrühten Juristen aus den Filmen."

"Dieses Weib hat es faustdick hinter den Ohren, glaub mir. Ich rieche Östrogengefahr sieben Meilen gegen den Wind."

Sakura rollte die Augen und sortierte ihren Stapel, in den sie Shikamarus Auswahl schob, in eine willkürliche Reihenfolge. "Wie auch immer. Ayase-chan hat einen ihrer Mitarbeiter mit dem Fall betraut. Laut Hinata steht die Anklage bereits." Sie sah auf ihre Uhr. "Mehr Zeit bleibt uns ohnehin nicht. Die Kautionsverhandlung ist in ein paar Minuten zu Ende. Die Vorauswahl muss um spätestens vier Uhr eingereicht sein. Ab jetzt können wir nur noch hoffen, dass wir die richtigen ausgesucht haben. Gib mir Tentens Steckbrief. Ich lege ihn ganz oben hin."

Nervös schlichtete sie den Stapel neu und ließ die Unterkante auf den Schreibtisch fallen, um die Kanten zu glätten. Es war nicht schwierig gewesen, die drei anderen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft auszutricksen. Unter einem Vorwand hatten sie den drei Männern Karten für das heutige Fußballspiel geschenkt, um die gemeinsam erarbeitete Kartei mit der ihren zu ersetzten. Wenn es um bezahlte freie Tage ging, ließ sich niemand zweimal bitten. Diese drei Tölpel bildeten keine Ausnahme. Sie waren jung und unerfahren und nicht ehrgeizig genug, um ein Hindernis darzustellen. Sakura lächelte zufrieden. Bislang lief alles wie geplant. Level Zwei würde bald beendet sein, sodass sie sich auf den dritten Part konzentrieren konnten, dem sich Hinata und Itachi vorerst alleine stellen mussten.

Der Tagungsraum des Gremiums befand sich auf der zweiten Stiege im dritten Stock. Von dort war es bloß ein Katzensprung zum Gerichtssaal Zwei B, in dem die heutigen Kautionsverhandlungen stattfanden. Sie wusste, dass Shikamaru ihr dafür später die Leviten lesen würde, aktuell jedoch musste er ihr folgen, um kein Aufsehen zu erregen. Sie hatten das perfekte Timing, denn Hinata und ihr Mandant schienen eben aus dem Saal entlassen worden zu sein. Er war von zwei Gerichtsdienern flankiert, die zu den stämmigsten Männern gehörten, die Sakura jemals gesehen hatte. Sakura hörte nur mehr das Ende von Hinatas Entschuldigung.

"… aber ich werde es geraderücken", sagte sie mit gesenktem Kopf. Itachi sah auf, als Sakura und Shikamaru sich näherten.

"Was ist geschehen? Habt ihr gewonnen?"

"Uchiha-san bleibt bis zur Anklageverlesung in zwei Wochen in Untersuchungshaft. Der Richter meinte, es bestünde akute Fluchtgefahr durch Kontakte im Ausland. Viele Delikte sind zwar bereits verjährt, aber die Hauptanklagepunkte bleiben wie angenommen aufrecht. Aufgrund der Schwere der Anklage sah er sich nicht imstande, eine angemessene Kaution festzusetzen."

"Wieso?" Sakura sah von Itachi zu Hinata, die sich entschuldigend vor ihr verbeugte. "Hör auf damit, Hinata. Ich bin sicher, du hattest die perfekte Argumentation parat. Was also ist passiert?"

Hinata wartete, bis die Gerichtsdiener Itachi den Gang entlang außer Hörweite gebracht hatten, erst dann nickte sie in die Richtung einer den Gerichtssaal verlassenden Frau. Sie war groß, wehrhaft und hatte die strengsten dunkelgrünen Augen, die Sakura jemals gesehen hatte.

"Sabaku no Temari ist passiert." Hinata reckte das Kinn, als sie der schneidende Blick ihrer Gegnerin streifte. "Sie ist mit allen Wassern gewaschen. Trotz ihres Spitznamens. Als sie hörte, dass dieser Fall Publicity bekommt, musste sie ihn sich sofort krallen. Diese Frau ist der Horror jedes Verteidigers."

"Ist sie wirklich so schlimm?"

Sie nickte. "Ich musste in drei ihrer Pflichtfälle gegen sie antreten. Ich habe dreimal verloren."

Aufmunternd tätschelte Sakura ihren Oberarm, bekräftigt von Shikamarus Nicken. "Für alles gibt es ein erstes Mal."

"Ja. Temari-sans Hauptargument lag bei der Kautionsverhandlung in Uchiha-sans Zugehörigkeit zu Akatsuki. Es hat mich auf eine Idee gebracht. Ich werde versuchen, für Verbrechen, die mit Akatsuki zu tun haben, einen Deal auszuhandeln. Freispruch in den meisten Belangen gegen Informationen, die zur Verhaftung von mindestens zwei Mitgliedern Akatsukis führen. Das ist zwar utopisch angesetzt, aber von dieser Verhandlungsbasis aus dürften wir die Anklagepunkte drastisch reduzieren können. Temari-san wird nicht lange zögern, wenn wir ihr die anderen bösen Jungs liefern."

"Zumindest die, die noch übrig sind", schränkte Sakura ein. Sie hatte bis jetzt Itachis Rücken nachgestarrt. Sie wusste, dass sie vermeiden mussten, eine Verbindung zueinander durchblicken zu lassen, trotzdem hätte er sie zumindest ansehen können. Sei's drum. Dafür würde sie ihn später schelten. Sie hob ihre Finger und zählte ab. "Sasori ist erledigt, ebenso Kisame, Hidan, Kakuzu und Konan. Allzu viele sind nicht mehr übrig. Wir haben ganz schön aufgeräumt."

"Sasori ist ein alter Hut", meinte Shikamaru wegwerfend. "Wann war das nochmal? Vor zwei Jahren?"

"Soll das ein Geständnis sein?", mischte sich plötzlich eine Stimme ein. Sabaku no Temari platzierte ihre Hand auf Shikamarus Schulter und schob ihn beiseite, um den Kreis betreten zu können. "Ich bin ganz Ohr, sollte sich jemand dazu berufen fühlen, ein paar Morde zuzugeben. Uchihas Fall wird einfach zu gewinnen sein. Die Beweislage ist eindeutig."

"Deine Naivität ist eindeutig", korrigierte Hinata ungewohnt abweisend. "Ich werde nicht noch einmal gegen dich verlieren. Die letzten Male waren mir eine Lehre. Dieser Fall ist nicht mit Fakten zu gewinnen."

Temari schnalzte tadelnd die Zunge, was ihrem seriösen Äußern einen erheblichen Abbruch tat. Trotzdem sie in einen hellbraunen Hosenanzug gekleidet war, wirkte sie angriffslustiger als sie es sollte. "Das würde ich auch sagen, wenn ich keine hätte. Die Anklage wird einige harte Fakten auf den Tisch legen. Die Jury kann gar nicht anders, als Uchiha für schuldig zu befinden."

"Indizienbeweise", versetzte Hinata schnippisch. Sie hatte unwillkürlich ihren Stand gefestigt; obwohl ihre Stimme nach wie vor leise war, war sie durchdringend. Und herausfordernd. "Die Jury ist auf unserer Seite, Temari-san. Mein Mandant erlebte Schlimmes. Seine Reaktionen darauf kann man ihm unter diesen Umständen nicht vorwerfen."

"Spare dir deine Argumente für das Schlussplädoyer", versetzte Temari nicht minder provokativ. "Wir werden sehen, wem die Geschworenen mehr glauben. Einen schönen Tag noch, Hinata-san."

Sie sahen ihr nach, bis sie die Treppen hinab verschwunden war. "Habt ihr den Ordner in ihrer Hand gesehen?", fragte Hinata besorgt.

Shikamaru verschränkte die Arme. "Mit dieser elendslangen Nummer drauf?"

"Das waren ihre Beweise gegen Uchiha-san. Temari-san ist in der Tat sehr gefährlich."

"Kann ich mir bei diesem lächerlichen Spitznamen nicht vorstellen", warf er ein. "Ernsthaft, wer nennt sich Temari des Sandes?"

Hinata schauderte entmutigt. "Sie hat ihn sich nicht selbst ausgesucht. Man gab in ihr, weil sie ihre Gegner überrollt wie ein Sandsturm. Entgegen dessen wird es eine Schlammschlacht werden, so viel kann ich euch versichern."
 

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Arraignment


 

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Als Zuseher verdonnert zu werden in den Zuschauerrängen eines imposanten Gerichtssaals untätig herumzusitzen, war grausam. Den Mann, der auf unglaubliche Weise in ihr Leben gesprengt war und sich dort wichtig gemacht hatte auf der Anklagebank sitzen zu sehen, war Folter.

Sakura schlug die Wartezeit damit tot, den Gerichtssaal zu inspizieren. Ihr Scharfschützeninstinkt hatte alle möglichen Fluchtwege schon beim Hereinkommen ausgemacht, sodass ihr nur übrig blieb, die archaische Schönheit des Saals zu bewundern. Er war einer der größten des Gerichtsgebäudes; reserviert für Verhandlungen, die der Allgemeinheit zugänglich waren. Hinata hatte anfangs befürchtet, einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit abschmettern zu müssen, doch Temari war viel zu ehrgeizig, um sich den öffentlichen Ruhm zu verwehren. Deshalb befanden sie sich hier. Die Wände waren deckenhoch mit edelstem lasierten Holz vertäfelt, der Stuck an den Decken verriet eine Orientierung an europäische Gerichtshöfe des neunzehnten Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den älteren Ornamenten sprang die Richterbank aus ebenholzbraunem Hochglanz beinahe schmerzlich ins Auge. An allen Sitzen waren Mikrofone angebracht, die alles direkt auf gerichtliche Tonbandträger wie auch Aufnahmegeräte von Reportern weiterleitete. Wäre Sakura vor der zaunartigen Abtrennung gestanden, anstatt dahinter in Sicherheit zu sein, wäre sie längst in Ohnmacht gefallen. Auch Hinata sah kalkweiß aus.

"Sie hat andauernd 'Ich schaffe das nicht' im Schlaf gemurmelt", erzählte Naruto aus dem Blauen heraus, um irgendetwas zu sagen. Sakura war dankbar für diese Ablenkung.

"Es ist ihr erster Fall dieser Art. Verständlich, dass sie nervös ist."

Naruto machte eine wegwerfende Handbewegung. "Nervös ist kein Ausdruck. Ich wollte sie mit einer Massage entspannen, du weißt schon, aber sie war so verkrampft, dass ich mir beinahe die Finger gebrochen habe."

"Du übertreibst. Wie kann er so ruhig bleiben?" Sie deutete auf Itachi. Er stand neben Hinata, mit der er ein paar letzte Worte austauschte. Seine Augenbrauen waren in konzentriertem Ernst verengt, während Hinata zwei Punkte auf einer mentalen Liste durchging, die sie für ihn und sich selbst rekapitulierte. Temari stand etwas abseits und unterhielt sich mit einer Frau, die niemand zuvor gesehen hatte. Es war erstaunlich, wie die allgemeine Stimmung kippte, als der Richter mitsamt seiner Beisitzer den Saal betrat. Sofort verstummte das gedämpfte Gemurmel und sämtliche Kameras blinkten rot auf. Der Richter war ein Mann Mitte fünfzig, der in seiner schwarzen Kutte unheimlich mächtig aussah. Das war er zweifelsohne. Der Knackpunkt allerdings—und das war, was Hinata ihnen allen eingetrichtert hatte—war die Jury. Sie hatte noch nie mit Yoshioka Ichiro gearbeitet, doch seinem Ruf nach war er fair. Was einerseits gut, andererseits aber auch schlecht war. Er würde sich nicht leicht beeinflussen lassen und selbst wenn die Jury für das Urteil entscheidend war, war der vorsitzende Richter für den Verlauf der Handlung maßgebend. Welche Fragen gestellt, welche beantwortet werden durften oder mussten lag in seinem Ermessen. Im Prinzip war alles wichtig.

Plötzlich wurde Sakura bewusst, wie viel schief gehen konnte. Und ihr wurde schlecht dabei.

Yoshioka setzte sich, erst dann ließen sich alle anderen nieder. Das kalte Holz der Zuschauerbank jagte Sakura Gänsehaut über den Rücken—was machte sie sich vor? Es war die Nervosität. Wenn man sie vor einigen Wochen gefragt hätte, hätte sie ihre Nerven stärker als die Hinatas eingeschätzt. Diese jedoch, und das war überraschend, wies einen klaren, entschiedenen Gesichtsausdruck vor, als der Richter die Verhandlung eröffnete.

"Fall Sieben-Null-Acht-Vier-Vier-Sieben, das Volk gegen Uchiha Itachi. Wie lautet die Anklage, Frau Staatsanwältin?"

"Gemäß dem Strafgesetzbuch", trug Temari genüsslich ihre Anklageschrift vor, "klagt die Staatsanwaltschaft der Präfektur Ōsaka den Angeklagten folgender Delikte an: Punkt Eins, Steuerhinterziehung in sieben schweren Fällen. Punkt Zwei A, Mittäterschaft bei Entführungen in vier Fällen. Punkt Zwei B, Erpressung zweiten Grades in zwei schweren und einem minderschweren Fall. Punkt Drei, Behinderung der Justiz. Punkt Vier, Mehrfachmord."

"Wie bekennt sich Ihr Mandant?"

Hinata erhob sich, Rücken gerade, Schultern stramm, Etuikleid faltenlos. "Nicht schuldig, Euer Ehren."

"Was abzusehen war", meinte Yoshioka. "Vorweg möchte ich zwei Dinge klarstellen: Frau Verteidigerin, Sie haben einen öffentlichen Disput konstruiert, den ich in meinem Gerichtssaal nicht dulden werde. Desweiteren, Frau Staatsanwältin, wird dieser Fall nicht dazu dienen, ihrer Reputation zu schmeicheln. Gehen Sie also sorgsam mit Ihren Worten um, Anwältinnen. Ich kenne beide Methoden, mit denen Sie zu arbeiten pflegen. Dies soll ein Ort der Rechtssprechung sein, kein Gruselkabinett, um Karrieren zu fördern oder Präzedenzfälle zu schaffen. Nachdem dies geklärt ist, erkläre ich die Verhandlung für eröffnet. Die Verteidigung hat das Wort."

Hinata dankte ihm mit einem kurzen Nicken, das er nicht erwiderte und rief Uchiha Itachi in den Zeugenstand. Es war auf skurrile Art ein homerisches Trauerspiel, durch das sie ihn lotste. Itachi wurde von ihr gezwungen, jedes Details der Uchiha-Affäre preiszugeben, das er kannte. Und es waren viele. Sie ließ ihn die Ermordung seiner Familie nacherzählen und führte ihn durch das Labyrinth an Verstrickungen, ohne ihn den Namen des Hauptschuldigen nennen zu lassen. Ohne Beweise hätte es keinen Sinn gemacht, haltlose Anschuldigungen vorzubringen. Danzō war nicht anwesend und der Prozess war öffentlich. Solange er sich in Sicherheit wähnte, waren sie im Vorteil. Selbst wenn einige Beweismittel dank Temaris grandioser Strategie nicht zugelassen worden waren, noch sah es gut aus.

"Wieso jetzt?", fragte sie schließlich. "Ich frage den Angeklagten, wieso er sich erst nach all dieser Zeit gestellt hat? Was gab es so Wichtiges, dass Sie so lange gewartet haben, Uchiha-san?"

Er zögerte, die Augen kurz auf die Jury werfend, wo er Tentens Blick begegnete, die ihre Rolle mit stummer Neugierde perfekt spielte. Als er zu seiner Anwältin zurücksah, streifte er Sakura.

"Ich hatte nach meinem Rückzug keinerlei Intentionen, mich zu stellen. Wie ich bereits sagte, tat ich dies alles für meinen Bruder. Solange er in Sicherheit war, gab es für mich keinen Grund, etwas zu ändern."

"Das bedeutet, Ihr Bruder befand sich in Gefahr?"

"Ja. Die Attentätergruppe, die auf meine Familie angesetzt worden war, war kurz davor, ihn vor fünf Monaten aufzuspüren. Ich sah mich gezwungen, die Vergangenheit in einem neuen Licht zu betrachten und entschloss mich dazu, dass es besser sei, die Dinge, die ich angefangen hatte, zu Ende zu bringen. Indem ich mich der Öffentlichkeit zeige, kann ich auch denjenigen offenbaren, der meine Familie in Wahrheit auf dem Gewissen hat und sowohl mich, als auch meinen Bruder töten wollte."

Hinata kam einen Schritt näher und erhob ihre Stimme. "Nennen Sie den Namen."

"Orochimaru."

Sie warf der Jury einen prüfenden Blick zu, ließ seine Worte wirken und ging zurück zur Anklagebank. "Die Verteidigung hat keine Fragen mehr. Ihr Zeuge, Frau Staatsanwältin."

"Zeuge ist in diesem Punkt wohl die falsche Begrifflichkeit, finden Sie nicht, werte Jury?", begann Temari. Sie stolzierte durch das Plenum, als wäre er eine Bühne. Mit ihrem Kreuzverhör machte sie es dazu. "Ich möchte den Angeklagten einige Dinge fragen, auf die er wahrheitsgemäß zu antworten hat. Uchiha-san, haben Sie mit Drogen gehandelt?"

"Ja."

"Nahmen Sie Gelder von kriminellen Geschäftsleuten aus Korea, dem Vietnam, Malaysia, Singapur und anderen Ländern an, um sie in Japan zur Vorteilssicherung des von Akatuski gesponnenen illegalen Verbrechernetzwerkes zu verwenden?"

"Ich führte die Verhandlungen, aber die Gelder wurden—"

Temari unterbrach ihn lautstark. "Der Angeklagte soll direkt antworten, Euer Ehren."

"Einspruch!", rief Hinata vom Beisitz der Anklagebank.

"Abgelehnt. Antworten Sie mir ja oder nein, Uchiha-san", befahl Yoshioka. Itachi wartete einen Moment, bis er folgeleistete.

"Ja."

"Waren Sie als Mitglied von Akatsuki an der Entführung von Menschen und an der Erpressung deren Angehöriger beteiligt?"

"Einspruch! Das ist Irreführung, Euer Ehren! Mein Mandant hat keinerlei Möglichkeit, sich zu rechtfertigen!"

Yoshioka beugte sich ein wenig nach vorne. "Abgelehnt. Ich bewundere Ihren Einsatz, Frau Rechtsanwältin, aber der Beklagte durfte sich während ihres Kreuzverhörs ausgiebig verteidigen. Fahren Sie fort, Frau Staatsanwältin."

"Beantworten Sie die Frage, Uchiha-san", setzte Temari eindringlich fort. Erneutes Zögern.

"Ja."

"Keine Fragen mehr, Euer Ehren."

Yoshioka nickte einverstanden. "Sofern die Verteidigung keine Ergänzungen mehr vorzubringen hat, schließe ich die Befragung des Angeklagten ab und eröffne das Kreuzverhör der Zeugen. Möchte die Verteidigung anfangen?"

"Sehr gerne, Euer Ehren. Ich rufe Uchiha Sasuke in den Zeugenstand."

Sakura hielt die Luft an, als Sasuke den Gerichtssaal betrat. Sie hatten nicht lange auf ihn einreden müssen, um ihm das Versprechen abzuringen, für seinen Bruder auszusagen. Sein Auftritt vor den Medien war genial gewesen; die Jury lechzte nach einer Privatvorstellung, die er ihnen ohne mit der Wimper zu zucken lieferte. Er wiederholte die Geschehnisse jenes verhängnisvollen Tages mit einer Emotionsgewalt, die den weiblichen Geschworenen Tränen in die Augen trieb. Sein Haar saß perfekt, sein Anzug war gebügelt und gestärkt, sein Gesicht nach elendig langen Diskussionen gepudert. Niemand hätte ihm wiederstehen können, selbst wenn er nicht in aller Kunst den tragischen Helden mimte, den Itachi vehement ablehnte. Itachi berief sich auf Sachlichkeit, während Sasuke kein Skrupel hatte, auf die Tränendrüse zu drücken. Dennoch empfand Sakura es erschreckend, ihn leiderfüllt von den 'toten Fetzen geliebter Eltern' und 'Überresten glücklicherer Tage' sprechen zu hören und als er beinahe am Ende angekommen war, war sie nicht mehr so sicher, ob es tatsächlich nur schauspielerte, wie er felsenfest behauptet hatte. Das Gefühl, mit dem er schilderte, wie er verlassen von seinem Bruder durch sein trostloses Leben irren musste, obgleich er—was natürlich gelogen war—immer an dessen Unschuld geglaubt hatte, konnte nicht gespielt sein. Auch der Hass, den er in aller Öffentlichkeit seiner korrupten Familie zollte und sie der Zerstörung seiner Kindheit anklagte, wirkte echt, wenn auch für Kenner seiner Attitüde maßlos überzogen. Er war so dreist, die Jury nach Strich und Faden zu verarschen. Und sie fraßen ihm aus der Hand.

"Ich habe noch eine Frage an den Zeugen", schloss Hinata ihr Kreuzverhör, das um einiges länger gedauert hatte als Itachis. "Haben Sie jemals gesehen, wie Ihr Bruder die Bombe legte, den Auslöser betätigte, oder diesen Anschlag auch nur plante?"

Die Spannung, die Sasuke mit seiner Pause erzeugte, war greifbar, wenn auch unnötig. Jeder wusste, wie seine Antwort lautete. "Nein."

"Danke. Ihr Zeuge, Frau Staatsanwältin."

Temari nahm ihr Klemmbrett in die Hand, auf dem ein unansehnlicher Haufen Notizen befestigt war.

"Uchiha-san, Sie sagen, Sie zweifelten nie an ihrem Bruder. Dennoch verweigerten Sie damals jede Aussage vor den Medien, anstatt diese Unschuld zu behaupten. Wie kommt das?"

"Ich war erst sechzehn", erklärte Sasuke in neutralem Tonfall. "Mir waren die Konsequenzen dieses Medientrubels nicht klar, außerdem hatte ich damals gerade meine Familie verloren und mein letzer lebender Verwandter wurde zu Unrecht ihrer Ermordung bezichtigt. Verlangen Sie, dass ein Jugendlicher in einer derart traumatischen Situation klar denken kann?"

Temari schlug eine Seite ihres Klemmbretts um. "Wohl kaum. Aber auch Jahre danach taten Sie nichts gegen die bösen Zungen, die Ihren Bruder belasten. Wie erklären Sie diese Tatsache?"

"Wen hätte es Jahre danach interessiert, frage ich mich?", gab er erneut trocken zurück. Selbst mit seiner Selbstbeherrschung strahlte er die Rolle des letzten Retters aus. Verblüffend. "Niemand hat danach gefragt. Als ich erwachsen wurde, war dieser Vorfall Jahre her. Hätte ich Staub aufgewirbelt, wäre mein Bruder Gefahr gelaufen, geschnappt zu werden."

Trotzdem er unter Eid stand, war diese Lüge so aalglatt, dass Temari sie ihm nicht abnahm. Sie versuchte immer wieder ihm die Worte im Mund umzudrehen, doch seine rhetorische Standhaftigkeit war überwältigend. Er wich ihren Fragen nie aus, noch weniger ihrem Blick, und als sie mit einer Frage zu weit ging und ein Jurymitglied vor Mitleid erbebte, rief Yoshioka sie zur Ordnung.

"Wenn die Anklage weitere relevante Fragen an den Zeugen hat, bin ich gerne bereit, Sie weiterreden zu lassen, Frau Staatsanwältin. Andernfalls bitte ich Sie, den Zeugen nicht länger zu malträtieren. Ich nehme an, Sie wissen noch, wer auf der Anklagebank sitzt?"

Temari zog sich mit eingezogenem Schwanz zurück, hatte sich jedoch wieder aufgerappelt, noch ehe sie saß. "Euer Ehren, ich rufe Utada Aoi als erste Zeugin der Anklage in den Zeugenstand."

Yoshioka zog die Stirn kraus. "Ich habe auf dem Protokoll etwas anderes stehen. Sollte Utada-san nicht erst an einem anderen Tag aussagen? Heute war meines Wissens nach nur Uchiha-san geladen."

"Sie muss zu einem wichtigen Termin, darum bitte ich das Gericht, ihre Befragung vorzuziehen."

Sakura legte überlegend den Kopf schief. "Was hat sie vor?", wisperte sie zu Naruto, der im Stillen seine Freundin anfeuerte. Diese schien sich das selbige zu fragen und begann, in ihren Akten zu blättern.

"Hat die Verteidigung etwas dagegen einzuwenden?", fragte Temari, als erwarte sie Widerworte. Hinata tat ihr diesen Gefallen nicht.

"Ich habe nichts dagegen, Euer Ehren. Wenn die Staatsanwaltschaft sich dazu auserkoren fühlt, die Ordnung des Tagungsprotokolls in ungepflegtes Menkenke zu bringen, möchte ich sie keinesfalls in ihrer Berufung beschneiden. Rufen Sie sie ruhig, Frau Staatsanwältin."

Temari hatte sichtlich mehr Kuschen erwartet, ließ sich dies jedoch vor ihren Kollegen nicht anmerken. Mit einer professionellen Miene des Triumphes ließ sie eine Frau in ihren Mittdreißigern hereinrufen. Sie war eine typische Japanerin; mittelgroß, schlank, dunkelhaarig. Sakura beobachtete Itachis Reaktion, die sie von schräg hinten nur schwer erahnen konnte, da sie nicht viel mehr als seinen Rücken und einen Teil seiner Nase sah. Wenn er reagierte, versteckte er es gut. Erst als Utada Aoi auf dem Zeugenstuhl neben dem Richtervorsitz Platz nahm, schien er sie zu erkennen.

"Utada-san", begann Temari ihr Kreuzverhör. Ihre Stimme war lauter als zuvor, was Hinata konzentriert aufhorchen ließ. Sakura hatte nicht Jura studieren müssen, um zu wissen, dass diese Zeugin Temaris Ass war. Eines von scheinbar sehr, sehr vielen. "Können Sie uns erklären, in welchem Verhältnis Sie zu dem Angeklagten stehen?"

"Ich bin die Schwester von Uchiha Sayuri."

"Wer ist das?"

"Die Frau von Uchiha Itachis Cousin, Uchiha Ren."

Zufrieden ging Temari wie auch schon zuvor im Saal auf und ab. "Sie kennen den Angeklagten also persönlich?" Aoi nickte. "Antworten sie bitte verbal, um es für das Diktierprotokoll festzuhalten."

"Ja. Ich kenne ihn seit dem Tag, an dem meine Schwester mir eröffnete, dass sie Ren heiraten würde. Es ist bald auf den Tag genau zwölf Jahre her."

"Inwiefern können Sie einen Beitrag zur Aufklärung des Falls leisten, der in dieser Verhandlung behandelt wird?"

Schlagartig drangen Krokodilstränen in Aois große Augen. Überraschenderweise waren sie nicht gespielt, oder sahen zumindest nicht so aus. Auch ihre zitternde Stimme wirkte echt. "Einige Wochen, nachdem mein Schwager … er … nach seinem Tod beging sie Selbstmord. Sie riss mit seinem Auto das Geländer einer Klippenstraße nieder und versenkte sich mitsamt dem Fahrzeug im Meer. Ich gebe Itachi-san die Schuld. Obwohl ich nichts von jener Korruption weiß, in die mein Schwager verwickelt gewesen sein soll, weiß ich eines: sein Cousin trug schon immer eine herablassende Arroganz zur Schau, die jeden um ihn herum absichtlich herabwürdigte, um sich über uns stellen zu können. Er strahlte schon früher eine Aura von Hass und Zwielichtigkeit aus. Meine Schwester hatte große Angst vor ihm. Kurz bevor das Unglück geschah, erzählte mir meine Mutter, dass Sayuri große Angst gehabt hätte, Itachi-san könne ihr etwas antun."

"Einspruch!", rief Hinata dazwischen.

"Mit welcher Begründung?", fragte Temari unschuldig, woraufhin Hinata die Augen unwillkürlich verdrehte. Diese war aufgesprungen und holte mit der Hand zu einer umfassenden Geste aus.

"Sofern die Anklage im ersten Semester des Jurastudiums anwesend war, muss ich den Grund für meinen Einspruch nicht erläutern, Euer Ehren, aber für den Fall, dass ich falsch in meiner Annahme gehe, möchte ich werte Frau Staatsanwältin darauf hinweisen, dass diese Aussage auf Hörensagen beruht!"

Der Richter überlegte, ehe er seine Brille zurecht schob. "Stattgegeben. Die Jury wird diesen Teil der Aussage in ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen."

Sakuras Herz pochte gegen ihre Brust. Dass Narutos Hand die ihre umschlossen hielt, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie ihren Ärger unterdrücken musste. "Ich würde dieser Tussi am liebsten die Fresse polieren."

"Ruhig Blut, Sakura-chan. Niemand wird dieser Utada glauben. Schau, jetzt ist Hinata-chan dran." Er verwies auf seine Freundin, die ihre dezente Silberkette zurechtrückte und mit einem aufgeschlagenen Ordner auf die Zeugin zuging. Die Strategien der Anwältinnen hätte nicht unterschiedlicher sein können. Sabaku no Temari versuchte mit ihrem unsteten Herumwirbeln eine verwirrende Unordnung zu produzieren, die, sich in ihre Fragenkonstellation niederschlagend, über die wackelige Beweisführung hinwegtäusche sollte. Fakten, Fakten, Fakten, so sah es aus. Dabei hatte sie nichts in der Hand, außer einer rhetorischen Glanzleistung. Hinata hatte dasselbe Problem—keinerlei Beweise—das sie auf eine ganz andere Art wettzumachen versuchte. Ihr Stehenbleiben auf einem Fleck, gepaart mit koordinierten, ruhigen Fragen, konzentrierten sich auf jene Aspekte, die sie hervorheben wollte. Nämlich jene, die Itachi in das gewollte Licht rückten, ohne dabei erkennen zu lassen, dass sie alles andere ausließ. Gefinkelt. Aber wirksam.

"Wurde Uchiha-san jemals gewalttätig?"

"Er entführte zahlreiche Menschen und folterte sie!"

Hinata wischte diese Antwort beiläufig beiseite. "Nicht beweisbar. Lassen Sie mich die Frage anders stellen: wurden Sie jemals Zeuge gewalttätiger Ausbrüche des Angeklagten?"

"Ich … es ist doch klar, dass er—"

Temari erhob sich. "Einspruch! Die Verteidigung bedrängt meine Mandantin!"

"Euer Ehren", wandte Hinata entschieden ein, "mein Mandant musste auf viel direktere Bedrängnis antworten! Ich möchte nur eine klare Aussage!"

"Einspruch abgelehnt", entschied Yoshioka streng. "Die Zeugin soll antworten."

"Nein", gestand sie schließlich. "Aber er hat nie bestritten, meinen Schwager ermordet zu haben!"

"Er tut es jetzt", unterbrach sie ihre Zeugin. "Zudem war dies nicht meine Frage. Sie haben also nie mitbekommen, dass mein Mandant brutale Anwandlungen hatte? Er hat Sie oder jemanden, den Sie kennen, niemals physisch verletzt?"

Aoi biss sich auf die geschminkten Lippen. Sie nagte eine Weile an ihnen, ehe sie die Schultern hängen ließ. "Nein."

"Haben Sie sich jemals gefragt, ob Uchiha-sans Arroganz vielleicht Zurückhaltung oder einfaches Desinteresse an Ihrer Person war? Sie sind eine angeheiratete Schwägerin eines entfernteren Verwandten."

Erneut knallte eine Hand auf den Tisch und die Staatsanwältin sprang wie von der Tarantel gestochen auf. "Einspruch!"

"Ich stelle die Frage anders", berichtigte Hinata sich. "Können Sie irgendwie beweisen, dass die angebliche Harblassung meines Mandanten, sei sie nun so gemeint gewesen oder falsch interpretiert, sich in einer greifbaren Art und Weise manifestiert hat?—"

"Einspruch! Doppelte Verneinung!"

"Bevor meine Kollegin erneut zum Boykott aufrufen kann, sollte sie mich ausreden lassen." Ihr strafender Blick traf ihre blonde Gegnerin in aller Härte. "Ich formuliere zum besseren Verständnis: hat mein Mandant Ihnen jemals gedroht, sie jemals auf offenkundig bösartige Weise behandelt oder etwas verlauten lassen, das darauf schließen ließ, dass er ein Verbrechen plante?"

Diesmal war es an Yoshioka, ungeduldig zu werden. "Ich empfehle der Zeugin schnell zu antworten, ehe ich sie wegen Verzögerung eines Strafprozessverfahrens zu Bußgeld verurteile. Das Gericht fühlt mit Ihnen und bedauert den Verlust Ihrer Schwester, aber stellen Sie meine Geduld nicht weiter auf die Probe."

"Nein."

"Euer Ehren", beharrte Temari. Sie machte sich nicht einmal mehr die Mühe, sich zu setzen, "ich verweise auf das im Verhörprotokoll angegebene Telefongespräch, das die Zeugin belauschen konnte!"

"Einspruch!" Diesmal war es die Verteidigung. "Die Staatsanwaltschaft war mit der Befragung der Zeugin bereits fertig! Wie bereits festgestellt wurde, kann besagtes Telefonat mit jedem geführt worden sein, nicht zwangsläufig mit meinem Mandanten! Dieses Beweismittel wurde zudem niemals zugelassen!"

"Ich gebe der Verteidigung recht", entschied Yoshioka. In seinem Gesicht zogen tiefe Furchen auf, als er weitersprach, " dies ist nicht Ihr Zeuge, Frau Staatsanwältin. Anwälte, zu mir!"

Die beiden Frauen leisteten seinem Befehl erregt folge; auf ihrem Weg zur Richterbank warfen sie sich böse Blicke zu. Sie endeten erst, als der Richter sich mahnend vornüberbeugte, um sie über die Ränder seiner Halbmondbrille anzusehen.

"Ich warne Sie, meine Damen, dies ist kein Wettbewerb auf einem Kindergeburtstag, in dem derjenige gewinnt, der am öftesten 'Einspruch' ruft. Wenn Sie beide nicht fähig sind, eine saubere Anklage und Verteidigung vorzuweisen, vertage ich die Verhandlung auf einen Tag, der so weit entfernt sein wird, dass ein Richter, der erst morgen mit seinem Jurastudium fertig wird, ihn nach meinem sehr späten Ableben erst kurz vor dessen Pensionierung weiterführen wird. Ein paar Jahrzehnte dürften Ihnen in diesem Fall genügend Zeit bieten, Ihre Arbeit ordentlich zu erledigen! Anwältinnen, ich schätze ihr Engagement, nach jedem noch so kleinen Strohhalm zu greifen, aber ich lasse mich nicht zum Narren halten. Reißen Sie sich zusammen, sonst sieht es für Sie beide düster aus. Dies ist ein Gerichtssaal und kein Wirtshaus!" Er hob seine Stimme für die Allgemeinheit. "Treten Sie zurück. Hat die Anklage noch einen Zeugen?"

"Nein, Euer Ehren", gab Temari zurück, äußerlich unberührt von der Schelte.

"Verteidigung?"

"Ich bin fertig, Euer Ehren."

"Gut", stieß er erleichtert aus. "Die Verhandlung wird vertagt. Der nächste Termin ist Donnerstag, selber Saal, selbe Uhrzeit. Nehmen Sie sich meine Worte zu Herzen. Sie haben zwei Tage Zeit, meinem Rat zu folgen. Ich schließe den ersten Verhandlungstag."
 

-
 

"Das läuft nicht wie geplant!", fluchte Hinata. Sakura übernahm es frustriert, ihren Ordner auf den Tisch zu knallen, wo ihre Freundin und letzte Hoffnung auf ihrem Stuhl bloß in sich zusammensank. Ihr sonst so ordentliches Büro glich einem blanken Chaos, das sie gar nicht erst wegzuräumen versuchte. Es half nichts gegen das Wirrwarr in ihrem Kopf, das versuchte, sich selbst zu ordnen. Ohne viel Erfolg.

"Die Jury ist doch gerührt, was wollen wir noch?", hakte Naruto nach. Er legte seinen Unterschenkel auf sein Knie. "Dieser Sandtussi hast du's ganz schön gegeben!"

"Gar nichts habe ich, Naruto-kun!", raunte sie genervt. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich gegen eine solche Anklagestrategie gewinnen kann. Einige Geschworene sehen überzeugt aus, aber das Urteil muss einstimmig abfallen. Wenn sie auch nur einen einzigen Schöffen auf ihre Seite ziehen kann, fällt alles! Bei einer Neuverhandlung können wir den Medienrummel nicht mehr gezielt für uns nutzen. Wir reiten auf der Welle der Empörung und Emparthie, die bald verebbt sein wird, wenn Temari-san weiterhin darauf pocht, Uchiha-san im Sinne der Anklage schlecht zu machen. Wir müssen umdenken. Sakura, wir wissen, dass Uchiha-san unschuldig ist. Du warst diejenige, die uns überzeugen konnte, aber wie schaffte er es bei dir?"

Sakura wich zurück; ihre Wangen glühten vor peinlicher Berührung, die Naruto grinsend bemerkte. "Uchiha kann nicht die ganze Jury abknutschen, wenn du das meinst."

"Das meinte sie nicht! Und du solltest solche Dinge überhaupt nicht denken, Naruto!" Sie verpasste ihm eine Kopfnuss. "Ich habe ihm wohl einfach geglaubt. Aber es dauerte, bis ich soweit war. Diese Zeit habe wir nicht. Vielleicht könnte Sasuke helfen?"

"Ich darf außerhalb der Verhandlung nicht mit ihm sprechen", wandte Hinata bedauernd ein. "Die Anklage könnte mir Beeinflussung vorwerfen und Sasukes Aussage, die nebenbei bemerkt derzeit unser wichtigstes Argument ist, mit diesem Argument von der Verhandlung ausschließen. Das dürfen wir nicht riskieren. Unser Problem ist, dass Richter Yoshioka verboten hat, den Medienrummel nach innen zu tragen, was leider genau unsere Strategie war. Wenn wir uns dieser Anordnung widersetzen, wird es Abmahnungen hageln, die wir uns nicht leisten können. Er ist ohnedies verärgert genug."

Mit einigen Schritten durchsetzte Sakura das Zimmer, eine Hand am Kinn, eine andere an ihre Hüfte gelegt. "Ist das unser einziges Problem?"

Ihre Freundin seufzte. "Bei weitem nicht. Aber ein äußerst grundlegendes."

"In diesem Fall: beschränkt sich die Anordnung nur auf den Gerichtssaal?" Hinata schüttelte den Kopf. "Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte, aber macht nichts. Ich habe vielleicht die Lösung für unser Problem. Der nächste Verhandlungstag ist in zwei Tagen?"

"Ja."

Nachdenklich kratzte sie sich am Kinn, ehe sie einen Finger hob. "Bis dahin brauchen wir Ino und ein Megaphon."
 

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Coup De Théâtre


 

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Vom Kopf der Treppe aus zu beobachten, wie Sabaku no Temari sich in ihren teuren High Heels abmühte durch die tobende Menge zu stöckeln, war ein Genuss, den nur wenige Dinge hätten übertreffen können. Hinata folgte dem Spektakel mit seichter Genugtuung, die ein wenig an für sie unübliche Schadenfreude anlehnte. Der blonden Staatsanwältin fiel es sichtlich schwer, ihren Kaffeebecher auf ihrer Aktentasche zu balancieren und dabei halbwegs grazil zu wirken, als sie von Flüchen, Schimpfwörtern und Parolen bombardiert wurde.

"Wie hat sie es in so kurzer Zeit geschafft, derart viele Menschen zu mobilisieren?", fragte sich Hinata und ergriff Narutos Hand, der neben ihr auf der Bank vor dem Eingang zum Bundesgerichtsgebäude ein packetiertes Sandwich, das er zuvor aus einem der Automaten gezogen hatte, genüsslich verspeiste. Die Verhandlung begann erst in einer halben Stunde; sie hatten noch genügend Zeit, dem Pulk zu frönen.

"In Zeiten von Facebook ist ein Flashmob kein Problem mehr." Naruto schob sich den letzten Rest Weißbrot in den Mund.

"Ino ist bei Facebook?"

"Hinata-chan, jeder ist bei Facebook."

Sie zuckte die Schultern über die schlagende Irrelevanz dieses Themas und erhob sich winkend, als Temari es endlich geschafft hatte, sich ihren Weg durch den Protest zu bahnen. Auf halber Strecke wäre sie beinahe von zwei Schildern getroffen worden. Einen Tinnitus hatte sie jedenfalls davongetragen.

"Jemand von deiner Bagage hat zu dieser Aktion aufgerufen, nicht wahr, Hinata-san? Das ist ein klarer Verstoß gegen die Anordnung von Richter Yoshioka!"

"Ich", bekräftigte Hinata entschieden, "würde lieber den Mund halten, wenn ich keine Beweise vorzubringen habe. Dieser Aufstand wurde über ein soziales Netzwerk organisiert, bei dem ich nicht einmal angemeldet bin. Dieser Protest ist genehmigt und legal. Du kannst den Leuten nicht verbieten, Gerechtigkeit zu fordern. Als Staatsanwältin solltest du was wissen, Temari-san."

"Du findest dich wohl komisch, nicht wahr?"

"Siehst du mich lachen?"

Die Funken, die zwischen ihnen flogen, hätten ein Lauffeuer entfachen können, bevor Temari sich endlich zum Gehen wandte. "Du wirst heute auch nichts zu lachen haben, meine Liebe."

"Eingebildete Person", zischte Hinata. Sie ließ sich neben Naruto zurück fallen, der mit wachsendem Respekt vor seiner sonst so geziemten Freundin immer aufgeregter wurde.

"Der hast du's gegeben!"

"Wie man's nimmt", versetzte sie unzufrieden. "Wir können von Glück reden, dass Ino keine nachtragende Persönlichkeit ist. Sakura meinte, sie habe sofort eingewilligt, als sie ihr die Umstände erklärt hatte. Glücklicherweise hat Ino ihre rosarote Brille noch nicht abgesetzt, durch die sie glaubt, wahre Liebe zu erkennen. Was auch immer Sakura ihr sagte, sie muss es sehr detailreich ausgeschmückt haben, um unser Energiebündel zu diesem Flashmob bewegen zu können. Er ist auf jeden Fall ein voller Erfolg."

Inos Parolen schallten über die breiten Treppen, auf denen sie ihr Gefolge angesiedelt hatte. Sprecht frei, wer frei von Schuld ist! Nieder mit Korruption!, war eine ihrer weniger kreativen, aber sachlich kompetenteren Aussagen, die sie durch das Megaphon brüllte. Die Anhänger ihrer Demonstration stimmten ihr lautstark zu. Sie hatten für die Staatsanwaltschaft keinen Platz gemacht, ebenso wenig ließen sie die Geschworenen auf ihrem Weg ins Gerichtsgebäude ungeschoren davon. Sie schrien Itachis Unschuld heraus, appellierten an die Menschlichkeit der Jury, und als Tenten aus dem Hintergrund dem Rest ihrer Geschworenenkollegen "Sie haben recht!" zurief, begann Hinata zufrieden mit der Gesamtsituation ihren eigenen Weg in den Verhandlungssaal. Nach allem, was der Richter ausmachte, war es immer noch die Jury, die das Urteil fällte. Genau die hatte sie gerade mächtig auf ihre Seite gezogen. Und dann war ja auch noch der Notfallplan, der ihr gestern zusammen mit Sakura und Shikamaru eingefallen war. Wenn letzter es rechtzeitig schaffte, diesen Trumpf zu besorgen, war die Sache so gut wie gewonnen. Nun durfte ihnen nur mehr Shikamarus Gemächlichkeit keinen Strich durch die Rechnung machen.
 

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Itachi saß brav auf der Anklagebank vor der Richterbank, die noch leer war. Der zweite Tag der Verhandlung begann gediegener, da die Medien erst mit Beginn der Verhandlung eingelassen werden sollten, um ungenehmigte Interviewversuche zu verhindern, die von den Gerichtsdienern einige Minuten zuvor erfolgreich abgewehrt worden waren. Noch war der Saal rar besetzt; weder Anwälte, noch Beisitzer waren anwesend und die Amtsbediensteten, die in strammer Haltung die breite Flügeltür bewachten, wurden in juristischen Fällen nicht zur Rate gezogen, weswegen Sakura es als unbedenklich ansah, sich auf den Publikumsplatz, der Itachi am nächsten war, zu setzen.

"Es wird alles gut werden", sprach sie ihre Hoffnung aus, mit der sie schon zuvor versucht hatte sich Mut zu machen. Itachi drehte sich nicht um, erkannte ihre Stimme jedoch sofort, was sie auf kleinmädchenhafte Weise freute—was wiederum nicht mit ihrem Selbstbild einer starken Frau zusammenpasste.

"Was macht dich da so sicher?"

"Hinata und ich haben ein Ass im Ärmel. Mach dir keine Sorgen."

"Tue ich nicht", erwiderte er wahrheitsgemäß. Er ließ seine Finger durch die Streben der hölzernen Abtrennung des Gerichtssaals gleiten, wo sie sie in ihre Hände barg.

"Aber ich. Und es wäre mir lieber, wenn du nicht ganz so überzeugt von mir wärst. Es macht mir Angst. Ich kann versagen."

Itachi wandte sein Gesicht, sodass sie seinen Blick auffangen konnte. "Wirst du nicht. Hab Vertrauen in dich selbst, sonst machst du nur Pferde scheu, die vielleicht gar nicht aufgewacht wären."

Sie verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln. "Ja. Vermutlich. Ich werde diesen Fall für uns gewinnen. Ich habe noch nie bei einem Auftrag versagt."

"Auftrag?" Dass er nicht enttäuscht zu sein schien, als sie es so betitelte, war keine schöne Erfahrung, doch sie überging dieses unwohlige Bauchgefühl, indem sie seine Finger stärker umklammerte.

"Erinnerst du dich? Wer auch immer Hidden Leaf diesen Auftrag erteilt hat, er bezahlt uns dafür, das Akatsuki Mitglied Uchiha Itachi zu töten. Genau das werden wir heute tun." Sofern Shikamaru sich beeilte, schränkte sie in Gedanken ein. Die Anwälte nahmen ihre Positionen ein, der Richter betrat samt dem Vorsitz das Podest und der zweite Tag der Verhandlung begann.
 

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Hinata staunte nicht schlecht, als sie Shimura Danzō in der hintersten Reihe der Publikumsränge fand. Sai hatte also Erfolg mit seinem Lockversuch gehabt; oder Danzō wäre sowieso gekommen. Soweit Hinata ihn einschätzen konnte, war er ein abscheulicher Mensch, der es genießen würde, sein größtes Opfer für alle Zeit ins Gefängnis wandern zu sehen und seinen ultimativen Sieg über jede Gerechtigkeit zu feiern. So weit würde es nicht kommen. Sie hatte Itachi versprochen, ihn aus diesen Fängen herauszuholen; sie hatte es Sakura versprochen. Hyūga Hinata war kein Mensch, der Versprechen brach. Ganz im Gegenteil: sie war motivierter denn je.

Diese Motivation äußerte sich in einer Leichtigkeit, mit der sie die vier heute geladenen Zeugen befragte. Temari hielt sich ausnahmsweise mit Einsprüchen zurück. Die Schelte des Richters hatte wohl Wirkung gezeigt; das war jedenfalls Hinatas freudige Annahme, mit der sie das Kreuzverhör bestritt. Sie stellte sich erst als Irrtum heraus, als der letzte Zeuge wiedergegeben hatte, was er über Uchiha Itachi gehört hatte. Nichts Handfestes. Bis die Staatsanwältin sich erhob.

"Euer Ehren, ich bitte, einen weiteren Zeugen vorladen zu dürfen!"

Hinata wandte sich überrascht um. "Die Staatsanwaltschaft beliebt wohl zu scherzen, Euer Ehren!", konterte sie. "Auf der Liste standen lediglich diese vier Zeugen!"

"Werte Frau Staatsanwältin, diese Verhandlung ist kein interaktives Radio, bei dem man unangemeldet Musikwünsche in den Raum wirft, wenn die Wiedergabeliste bereits feststeht."

"Es tut mir leid, aber ich bekam eben erst die Versicherung, dass mein Zeuge auch tatsächlich kommen kann! Ich wollte dem Gericht im Falle einer Absage unnötige Umstände ersparen—"

"Euer Ehren, das ist die schlechteste Lüge, die ich jemals gehört habe und ich bin Anwältin!", wandte Hinata aufgebracht ein. Das durfte einfach nicht wahr sein! Diese hinterlistige Schlange! "Die Staatsanwaltschaft versucht offensichtlich meine Verteidigung zu durchbrechen, indem sie ungeladene Zeugen in den Zeugenstand wirft!"

"Ich muss der Rechtsanwaltschaft zustimmen", entschied Yoshioka. "Dient denn dieser Zeuge der Wahrheitsfindung?"

"Ja, Euer Ehren! Ich versichere, dass er Licht in einige dunkle Ecken bringen kann."

Er machte sich flüchtig eine Notiz auf seinem Block. "Lassen Sie die Metaphern lieber, wenn sie mich nicht weiter verärgern wollen. Rufen Sie Ihren Zeugen, aber ich warne Sie: wenn Sie Spielchen mit uns spielen, werden Sie größere Probleme bekommen, als diesen Fall."

Hinata erstickte ihren Protest selbst. Eine Entscheidung des Richters anzufechten war eine der ungesündesten Sachen, die sie tun konnte. Stattdessen besann sie sich darauf, den Mann, der eintrat, mit Argusaugen zu beobachten. "Kennst du ihn, Uchiha-san?"

"Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen."

"Was führt sie bloß im Schilde?" Sie warf einen flüchtigen Blick zu Sakura, die zwischen Naruto und Sasuke—der als entlassener Zeuge heute zusehen durfte—saß und deren Hände sie mit den ihren beinahe zerquetschte. Mit angespannter Haltung lauschte sie dem Kreuzverhör, das schlechter begann, als sie sich vorgestellt hatte, denn dieses Mal blieb Sabaku no Temari ruhig auf einem Punkt inmitten des Gerichtssaals stehen und hielt ein eingetütetes Blatt Papier hoch.

"Nennen Sie uns Ihren Namen und Ihre berufliche Tätigkeit", bat sie.

"Hyakutake Shinichi. Ich bin leitender Bankangestellter der Federal Fiscal Bank in Ōsaka."

"Als solcher, Hyakutake-san, können Sie mir erklären, was ich in den Händen halte?"

Er legte seine Fingerspitzen auf der Ablagefläche des Zeugenstandes aneinander. "Eine Transaktionsbestätigung, die belegt, dass an dem angeführten Datum ein gewisser Geldbetrag von einem unbekannten ausländischen Konto auf Uchiha Itachis Konto überwiesen wurde."

"Das Datum", donnerte Temaris siegessichere Stimme durch den Saal, "ist der zweite April. Wenige Tage bevor das Anwesen der Uchihas in die Luft gejagt wurde." Sie reichte ihrem Zeugen das Beweisstück, das Hinata noch nie zuvor gesehen hatte.

"Einspruch!" Diese sprang auf, wie so oft. Es war schwierig, dem verärgerten Blick des Richters standzuhalten. "Der Verteidigung ist dieses Beweismittel unbekannt! Es wurde nicht zugelassen!"

"Es wurde mir erst jetzt zugespielt", behauptete ihre Gegnerin.

"So ein Blödsinn!"

Yoshioka schlug seinen Hammer auf den Richtertisch. "Mäßigen Sie sich, Frau Rechtsanwältin! Ich denke, ich habe meine Meinung über derartige Spielchen genügend kundgetan." Er wandte sich Temari zu. "Für Sie gilt: provozieren Sie mich nicht auch noch. Ich lasse das Beweisstück zu, aber beeilen Sie sich, ehe ich es mir anders überlege."

"Danke, Euer Ehren. Ich fasse mich kurz. Hyakutake-san, welche Personen haben Zugriff auf dieses Konto?"

"Der Inhaber."

Temari festigte ihre Position vor dem Zeugenstand. "Geht aus diesem Dokument hervor, wer dieser ist?"

"Uchiha Itachi."

"Wer ist dazu autorisiert, Geld aufzubuchen und abzuheben?"

"Ebenfalls der Inhaber. Sämtliche monetären Transaktionen müssen während der Zeichnung mit einem siebenstelligen Sicherheitscode bestätigt werden."

Sie hielt ihm den Beleg erneut hin. "Ist ersichtlich, was mit dem Geld geschah?"

"Am zweiten April wurden diesem Konto rund dreißig Milliarden Yen gutgeschrieben. Am sechsten April wurde eine identische Summe in bar abgehoben. Von da an kann man die Spur dieses Geldes nicht mehr nachvollziehen."

Sakura quetschte Sasukes Hand unabsichtlich. Das hatte Itachi also gemeint, als er sagte, seine Familie habe die halblegalen Fördertöpfe und Sponsorenkonten geplündert. Sie hatte das Geld, das Danzō ihnen und Eisaku gestohlen hatte, also über Itachis Konto verschwinden lassen—ein Konto, auf das nur er Zugriff hatte. Das war schlecht. Wie auch immer Hinata versuchen würde ihren Mandanten aus diesem Dilemma zu ziehen, es würde schwierig werden. Wenn es nicht gar unmöglich war.

"Ich habe noch eine letzte Frage an den Zeugen", versprach Temari. Es klang wie die Drohung, als die sie zweifelsohne gemeint war. "Wissen Sie, welcher Tag der sechste April des besagten Jahres war? Nein? Dann werde ich es dem Gericht sagen. Es war jener Tag, an dem Uchiha-san bis zu jener Pressekonferenz vor einigen Wochen untertauchte. Keine weiteren Fragen. Ihr Zeuge, Frau Rechtsanwältin."

Hinata nahm genau den Platz ein, den Temari für sich beansprucht hatte. Bloß keine Panik, sagte sie sich wie ein Mantra, das sie vor der drohenden Ohnmacht bewahrte. Sie hatte nicht jahrelang studiert, um wegen eines solch ridikülen Versuchs von Beweislagenmanipulation aufzugeben. Nein, sie war Hyūga Hinata und sie hatte einen Plan. Bevor sie ihre Befragung begann, sah sie zum Eingang; Shikamaru war noch nicht da. Sie würde sich dennoch kurzhalten müssen. Wenn sie versuchte, Zeit zu schinden, würde Yoshioka ihr das Leben noch schwerer machen. Fein. Sie hatte einen Plan B. Sakura würde sie dafür hassen, aber wenn Shikamaru sich nicht beeilte, würde sie eben improvisieren müssen. Vorerst hatte er noch ein paar Minuten.

"Können Sie sich daran erinnern, dass mein Mandant an diesem Tag vor über neun Jahren in Ihre Bank kam?"

"Nein. Die Buchungen erfolgten standardisiert via Online Banking."

"Sie können also nicht mit Sicherheit sagen, dass Uchiha-san das Geld abgehoben hat?"

"Einspruch! Suggestion!"

Hinata ließ sich nicht beirren. "Zurückgezogen. Hyakutake-san, was benötigt man, um Geld auf dieses spezielle Konto zu buchen und zu beheben?"

"Die siebenstellige persönliche Identifikationsnummer, die einem jeden Kunden individuell zugewiesen wird."

"Also haben Sie gelogen als Sie sagten, mein Mandant sei der einzige, der diesen Transaktionen zugestimmt haben könnte? Immerhin könnte es über das Internet jeder tun, der diesen Code kennt, nicht wahr?"

"Nein! Das heißt, theoretisch ja. Aber diese Nummern sind geheim und werden im Verlustfall nur gegen Vorlage eines Ausweises persönlich ausgehändigt."

"Nehmen wir an, mein Mandant sei ein mitteilsamer Mensch, der diese Identifikationsnummer bei ein paar Bier im Kreis der Familie ausgeplaudert hätte, wie würde der Sachverhalt dann aussehen?"

"Niemand wäre so dumm—"

Der Richter schwang erneut seinen Hammer. "Antworten Sie auf die Frage, sonst lasse ich Sie wegen Missachtung des Gerichts in Haft nehmen."

Der Bankbeamte rang einen Moment mit sich. Egal was Temari ihm für seine Präferenzaussage zu ihren Gunsten geboten hatte, ein paar Tage hinter Gitter mitsamt einer Ordnungsstrafe schien es ihm nicht wert zu sein.

"In diesem Fall könnte jeder die Buchungen vorgenommen haben. Es passiert oft, dass derartige PINs innerhalb der Familie weitergegeben werden. Im Fall eines vorzeitigen Ablebens des Inhabers oder Situationen, in denen Familienmitglieder Zugriff auf das Vermögen brauchen und der Inhaber nicht sofort erreichbar ist, werden nicht selten Kopien verteilt. Wir als Bank raten strikt davon ab."

"Die Möglichkeit besteht also, dass dieser PIN meines Mandanten weitergegeben oder sogar gestohlen wurde?"

"Im Prinzip ja."

Zufrieden damit drehte sie sich zu Itachi. "Haben Sie der Überweisung des Geldbetrages auf Ihr Konto zugestimmt, Uchiha-san?"

Es vergingen taube Sekunden, in denen Sakura Sasukes Hand so fest drückte, dass er stumm aufschrie, sie ihrem Griff entzog und seinen Bruder mit einer subtilen, aber eindringlichen Warnung ansah. Sakura wusste, dass er zugestimmt hatte. Aber jeder Zeuge dafür war tot. Sie sah Itachis aufkommende Bejahung, doch ehe er sie ausgesprochen hatte, bemerkte er Sasukes Blick, in dem mehr lag, als alle anderen verstehen konnten. Alles für Sasuke. Wahrheit oder Lüge, Itachi tat es für seinen Bruder. Und dieser hatte schon so hart dafür gekämpft, ihn in einem guten Licht dastehen zu lassen.

"Nein." Erster Meineid.

"Haben Sie es abgehoben?"

"Nein." Zweiter Meineid.

"Wohin ging das Geld?"

"Ich habe keine Ahnung." Die Wahrheit.

"Einspruch!" Temaris Sessel kippte nach hinten, als sie erregt aufsprang. "Euer Ehren, das ist nicht die Runde des Angeklagten! Er durfte seine Aussage bereits machen! Außerdem gibt es keinerlei Beweise für seine Aussage!""

Hinata machte eine nicht minder erregte Geste. "Ebenso wenig wie für jene, die die Anklage aus dem Zeugen geholt hat, Euer Ehren!"

"Meine Damen", sagte Yoshioka samten. Zu samten. "Ich denke nicht, dass Sie schwer von Begrifflichkeit sind, ist diese Annahme korrekt? Dann möchte ich Ihnen nahelegen, sich zusammenzureißen. Es ergeht folgende richterliche Anordnung: die Anwältin des Beklagten soll sich auf den Zeugen beschränken. Sollte der Beklagte etwas hinzuzufügen haben, wird er nach dem Zeugen erneut in den Zeugenstand gerufen. Außerdem werde ich die Aussagen des Kreuzverhörs der Verteidigung nicht zulassen, sofern es keine Beweise dafür gibt. Haben Sie Beweise, Hyūga-san?"

Sie schwieg und schickte ein Stoßgebet in den Himmel. Sakura würde sie töten. Nachdem sie ihr stundenlang gedankt hatte. Hoffentlich.

"Ja, Euer Ehren. Die Verteidigung ruft Haruno Sakura in den Zeugenstand."
 

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Den Streit, den Hinata damit lostrat—"Einspruch! Wahllos Zeugen aus dem Publikum in den Zeugenstand zu rufen, ist Zeitschinderei!" und "Die Staatsanwaltschaft tat dasselbe! Sollte mir dieses Recht verwehrt bleiben, weil sie fürchtet, ich könne die Wahrheit ans Licht bringen, die sie seit Tagen zu verzerren versucht?"—bekam Sakura nur am Rande ihrer rauschenden Ohren mit. Haruno Sakura im Zeugenstand? Was sollte sie dort? Itachis geschockter Blick traf sie mit voller Wucht. Mit allem hatten sie beide gerechnet, nur damit nicht. Was zum Henker hatte Hinata vor? Wollte sie Sakura zugunsten ihres Falles auffliegen lassen? Mit welcher Begründung? Mit welchem Ziel?

Alles Grübeln brachte nichts. Der Richter hatte die Zeugin zugelassen und Sakura fand sich auf dem Sitz der Zeugenbank wieder. Wie hatten all die anderen vor ihr es nur geschafft, sich nicht zu übergeben? Die vielen Kameras, die Reporter, die Menschen allgemein; neugierige über überraschte und fragende Blicke malträtierten sie.

"Bitte?", fragte sie, als sie realisierte, dass sie Hinatas erste Frage überhört hatte.

"Haruno-san", wiederholte diese geduldig. "Können Sie uns unter Zuhilfenahme dieses Zettels Erleuchtung in diesem Wirrwarr aus PINs und Geld bringen?"

"Ich …" Verdammt, es war nicht die Zeit, nervös zu sein. Sie hatte gar keinen Grund dazu. Zumindest versuchte sie es sich einzureden. Dieser Zettel war eigentlich für Hinatas letzte Zeugin bestimmt gewesen, die Shikamaru herholen sollte. Sie kannte dieses Papierstück—sie hatte es ausgegraben!

Bloß nicht die Nerven verlieren, Sakura. Dass Temari keinen Einspruch aufbrachte, machte ihr Mut.

"Es sind zwei Kontoauszüge", erklärte sie, als sie sich endlich gefasst hatte. "Die markierten Stellen beweisen, dass dieses Geld ursprünglich den Uchihas gehörte und als Kapitalanlage vorgesehen war. Wie oder warum es auf I—Uchiha-sans privates Konto gelangte, ist nicht nachvollziehbar. Fakt ist aber, dass wenige Wochen nach dieser Abhebung eine ähnlich hohe Summe auf ein Spendenkonto floss, was man im zweiten Kontoauszug sehen kann."

"Euer Ehren", rief Hinata plötzlich, "behalten Sie doch Senator Shimura hier. Ich denke, ihn wird interessieren, was meine Zeugin zu sagen hat. Vielen Dank", fügte sie an, als ihn die Gerichtsdiener aufhielten und nach der richterlichen Erlaubnis die Tür blockierten. "Fahren Sie fort, Haruno-san."

"Es ist anzunehmen, dass es sich um dasselbe Geld handelte."

"Können Sie den Namen des Kontoführers dieses Spendenkontos nennen?"

Sakura war keine annähernd so gute Schauspielerin wie Sasuke, doch ihre Pause verfehlte ihre Wirkung nicht.

"Shimura Danzō."

Überraschtes Murmeln übertönte Danzōs fadenscheinige Rechtfertigung, die Richter Yoshioka mit seinem Hammer jäh beendete. Sakura lachte zufrieden in sich hinein und tauschte einen wissenden Blick mit Hinata aus; sie hatten ihn.

"Haruno-san", setzte sie diese fort, "wenn Uchiha-san also nichts mit diesem Geld zu tun hat, wäre es möglich, dass das Konto meines Mandaten ohne dessen Wissen als Transaktionsschiff benutzt wurde, um eine unrechtmäßige Finanzspritze zu Senator Shimuras Wahlkampfkonto hinzuzufügen?"

Diese Formulierung war unzutreffend, aber Hinata schien auf etwas hinauszuwollen. Sie nickte Sakura aufmunternd zu, die Wahrheit zu sprechen. Shimura würde sich in seiner eigenen Anklage damit herumschlagen müssen. "Diese Möglichkeit besteht, jedoch ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass Senator Shimura das Geld unrechtmäßig stahl, nachdem die Uchihas einen Teil seines Kapitals eingefroren hatten. Legal, versteht sich."

"Was passierte weiter mit dem Geld?"

Sakura hatte ihren Puls endlich wieder normalisiert; zumindest ansatzweise. Er schlug schneller bei der Vorstellung, tatsächlich gewinnen zu können! "Senator Shimura verwendete es, um zuerst ein Drogenkartell für den Mord an der Familie Uchiha zu bezahlen. Doch er zahlte das versprochene Geld nie aus, da den Beauftragten, einer Organisation namens Oto, zwei Mitglieder entgingen: Uchiha Sasuke, der unbescholtene jüngste Sohn der Familie, und Uchiha Itachi, der diese schmutzigen Details wusste."

"Hören Sie das, werte Jury?" Hinata trat mit ausgebreiteten Armen vor sie. "Mein Mandant sollte selbst Opfer dieses Anschlags werden!"

"Einspruch! Spekulation!"

"Lassen Sie sie ausreden, Frau Staatsanwältin", herrschte Yoshioka sie an. Er beugte sich neugierig ein wenig nach vorne und kratzte sich den schütteren Bart. "Das könnte interessant werden. Hat die Verteidigung denn Beweise für diesen Auftragsmord?"

"Wir haben die vereidigte Aussage einer Zeugin aufgenommen, die lange unter Orochimaru arbeitete und bereit wäre, diese Aussage vor Gericht zu wiederholen. Die Staatsanwaltschaft des Kreisgerichts, vor dem ihr Fall verhandelt wird, bot ihr einen Deal an: alle Beweise gegen Orochimaru gegen sieben Monate auf Bewährung. Ihre Aussage bestätigt Haruno-sans Geschichte."

"Einspruch!" Temaris Schrei strotzte nur so vor genervter Frustration. "Diese Aussage ist nicht zugelassen!"

"Dann lasse ich sie eben zu!" Yoshioka warf ihr einen wütenden Blick zu. "Was steht in dieser Aussage?"

Hinata reichte ihrer Zeugin ein Papier, das sie aus ihrer Aktentasche gezogen hatte. "Können Sie die markierten Zeilen vorlesen, Haruno-san?"

"Der Kopf Otos, Orochimaru, erhielt am dreiundzwanzigsten März einen Auftrag von Shimura Danzō. Sie trafen sich in einem Bordell, um über die Konditionen zu verhandeln. Shimura sollte Oto eine erhebliche Summe Geld zahlen, sobald er den gesamten Uchihaklan ausgelöscht hatte."

"Lesen Sie auch den angestrichenen Text auf der anderen Seite vor. Die Aussage dieser Zeugin ist sehr detailliert."

Sakura blätterte um. "Nachdem Orochimaru-sama das Anwesen in die Luft jagen hatte lassen, verweigerte Shimura allerdings die Auszahlung des versprochenen Geldes, solange die beiden Söhne noch lebten." Sie legte Karins Aussage beiseite—sie hatte gewusst, dass diese Frau noch nützlich werden würde—und sah abwartend zu Hinata, die ihren nächsten Zug bereits ausformuliert hatte.

"Was passierte stattdessen mit dem Geld, das Senator Shimura dieser Organisation schuldig war?"

"Es wurde mehreren Assasinengruppen überwiesen; unter anderem der ANBU, die Hoshigaki Kisame tötete und Uchiha Itachi so wie auch mich selbst umbringen wollte."

"Gibt es dafür Beweise?" Es war Richter Yoshioka, der fragte.

"Nur meine Erinnerungen, Euer Ehren. Aber für den Auftrag, der an eine andere Gruppe ging." Ihre Freunde würden sie dafür hassen. Töten. Folter. In nicht unbedingt dieser Reihenfolge. "Hidden Leaf ist eine weitere Hitmangruppe, die für den Mord an Uchiha Itachi engagiert wurde. In ihrem Büro liegt ein schriftlicher Vertrag vor, der eine Ausschüttung von sechzig Millionen Yen nach erfolgreichem Abschluss von Senator Shimuras Konto auf das von Hidden Leaf festhält. Außerdem wurde eine mündliche Vereinbarung über genauere Konditionen abgeschlossen, die beweist, dass das Geld tatsächlich für den Mord an Uchiha Itachi gezahlt werden sollte."

Hinata hörte, wie sich die Tür zum Verhandlungssaal öffnete und atmete erleichtert aus. Der Fall war entschieden. "Haben Sie diese Verträge abgeschlossen, Haruno-san?"

"Nein."

"Einspruch!", schallte Temari in altbekannter Manier. "In diesem Fall basieren die Verträge auf Hörensagen! Wenn die Zeugin nicht direkt an deren Abschließung beteiligt war, kann ihr Inhalt nicht vor Gericht gewertet werden!"

"Stattgegeben. Verschwenden Sie nicht unsere Zeit, Frau Verteidigerin."

"Jawohl, Euer Ehren. Ich habe nur eine letzte Frage an die Zeugin: wer schloss diese Verträge ab?"

Sakura machte erneut eine Pause, diesmal länger als die erste.

"Senju Tsunade."

Hinata wandte sich zufrieden an das Richtergremium. "Vielen Dank, Haruno-san. Die Verteidigung ruft Senju Tsunade in den Zeugenstand!"
 

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The Last Witness


 

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"Einspruch!", schallte Temari in altbekannter Manier. "In diesem Fall basieren die Verträge auf Hörensagen! Wenn die Zeugin nicht direkt an deren Abschließung beteiligt war, kann ihr Inhalt nicht vor Gericht gewertet werden!"

"Stattgegeben. Verschwenden Sie nicht unsere Zeit, Frau Verteidigerin."

"Jawohl, Euer Ehren. Ich habe nur eine letzte Frage an die Zeugin: wer schloss diese Verträge ab?"

Sakura machte erneut eine Pause, diesmal länger als die erste.

"Senju Tsunade."

Hinata wandte sich zufrieden an das Richtergremium. "Vielen Dank, Haruno-san. Die Verteidigung ruft Senju Tsunade in den Zeugenstand!"
 

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"Einspruch! Die Anklage hat ein Recht darauf, die Zeugin ebenfalls ins Kreuzverhör zu nehmen!"

Richter Yoshioka wischte ihren Einwand mit einer unprofessionellen Geste hinfort. "Nerven Sie nicht, Temari-san, das Gericht möchte die nächste Zeugin ebenfalls hören!"

"Einspruch, Teufel nochmal! Diese Menschen sind quer durch die Bank Kriminelle! Sie sind Auftragskiller! Sie gehören auf die Anklagebank, nicht in den Zeugenstand!"

"Abgelehnt. Und Sie fassen sich kurz, Hyūga-san. Ich dulde diesen Aufruhr nicht länger in meinem Gericht."

Dankbar übernahm Hinata das Wort. Sie ließ Tsunade den Mittelgang durchsetzen und geleitete sie höflich auf den Stuhl, von dem Sakura sich dankbar erhob. Als sie zurückging, tauschte sie einen vielsagenden Blick mit Itachi aus, der so vieles bedeuten konnte, aber in Wahrheit nur eines sagte: wir haben es geschafft. Woher er diese unbeeinflussbare Überzeugung nahm, diese Sturheit, noch vor der letzten Zeugin anzunehmen, alles gewonnen zu haben, war ihr unbegreiflich. Sie vertraute Tsunade, im Gegensatz zu Itachis triumphalen Miene, blieb in ihr jedoch ein Funken Zweifel. Er wurde von Erleichterung hinweggeschwemmt.

Hinatas klare Stimme lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich. "Ich habe nur zwei Fragen an die Zeugin, Euer Ehren. Erstens, hat Shimura Danzō Sie für den Mord an Uchiha Itachi engagiert, um den letzten Zeugen zu eliminieren, der wusste, dass er es war, der die Uchihas ermorden ließ?"

Tsunade hatte sich kaum hingesetzt. "Ja."

"Und zweitens, da die Staatsanwältin darauf bestand, meine Zeugen als Mörder hinzustellen, Senju-san, sehen Sie Uchiha Itachi—den Mann, den sie töten sollten—lebendig hier zu Unrecht auf der Anklagebank sitzen?"

"Ja."

"Vielen Dank. Ihre Zeugin, Frau Staatsanwältin."
 

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Temari rang mit sich. Sie hatte ihr Schlussplädoyer gestern Abend vor dem Spiegel geübt, während ihr nervtötender kleiner Bruder ihr erklärt hatte, dass sie nicht so siegessicher sein soll. Jeder hatte Uchihas Fall verfolgt, damals wie heute. Er stand auf Uchiha Itachis Seite, ganz im Gegensatz zu ihr. Sie musste seine Gegnerin sein, nicht wahr? Sie hatte diesen Fall angenommen, weil sie überzeugt war, dass Uchiha Itachi schuldig war! All die Beweise—Fingerabdrücke am Fernzünder, frühere Geständnisse—waren aufgrund ihrer Verfälschbarkeit nicht zugelassen worden. Sie hatte es akzeptiert und sich einen neuen Plan überlegt, der felsenfest gewesen war. Zumindest hatte sie das gedacht. Eine Stimme in ihr rief, Senju Tsunade fertig zu machen; sie als Mörderin und Kapitalistin zur unglaubwürdigen Zeugin zu degradieren. Wenn Temari wollte, konnte sie es. Für zwielichtige, halblegale Bürger hatte sie einige nette, verfängliche Fragen in ihrem Standardrepertoire. Sie brauchte nur eine davon auszuwählen, um alles umzuwerfen.

"Die Anklage verzichtet darauf, die Zeugin zu befragen."

Murmeln brach im Saal los, erneut durchbrochen von Senator Shimuras Protesten, die von Richter Yoshioka endlich unterbunden wurden. "Gerichtsdiener, nehmen Sie Senator Shimura in Gewahrsam und überstellen sie ihn der Untersuchungshaft."

"Mit welcher Begründung?", schrie dieser lauthals. "Wegen der Aussage einer offensichtlich verwirrten Frau?"

"Die Zurechnungsfähigkeit der Zeugin zu diskutieren obliegt nicht der Verantwortlichkeit dieses Gerichts. Es geht zu Protokoll, dass Senator Shimura Danzō aufgrund zwingender Beweise gegen ihn vorerst in Untersuchungshaft verwahrt wird. Die schriftlichen Abbilder der relevanten Zeugenaussagen werden der Polizei nach Abschluss der Verhandlungen ausgehändigt. Sie haben also keine Fragen mehr, Frau Staatsanwältin?"

"Nein, Euer Ehren."

"Dann schließe ich die Beweisaufnahme hiermit ab. Den Zeugen steht es frei zu gehen. Die Verhandlung wird für eine Stunde unterbrochen, um der Jury die Möglichkeit zu geben, die bisherigen Eindrücke sacken zu lassen. Es waren anstrengende Stunden und wir haben alle Hunger. Bereiten Sie ihre Schlussplädoyers sorgfältig vor, Anwältinnen. Ich erwarte Sie um vier Uhr zurück."
 

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Temari trat vor. Sie hielt nichts in den Händen, sodass sie mit ihnen ausschweifend gestikulieren konnte.

"Fakten, Fakten, Fakten", begann sie ihr Schlussplädoyer. "Prozesse sind mit Beweisen zu gewinnen, liebe Jury. In diesem Fall wollen wir keinen Fall gewinnen, sondern dem Angeklagten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich möchte mit Ihnen keine philosophische Diskussion darüber führen, was rechtens ist und was nicht. Es würde uns heute nicht weiterbringen. Ich kann Ihnen keinen einzigen Beweis für Uchiha-sans Schuld bringen, ebenso wenig wie die Verteidigung behaupten kann, entlastendes Material vorgewiesen zu haben."

Sie machte eine dramatische Pause.

"Sie wurden in dieser Verhandlung Zeuge vieler verschiedener Ansichten, für die es einen großen Pool von Indizienbeweise gibt, die allerdings nicht zugelassen wurden. Indizien kommen nicht aus dem Nichts, liebe Jury. Sie deuten in eine Richtung, ohne auf einen spezifischen Menschen zu zeigen. In diesem Fall deuten alle Indizien auf den Angeklagten. Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit dem Auto nach Tōkyō. Sämtliche Straßenschilder lotsen Sie in eine Richtung, nach der sie irgendwann in Tōkyō ankommen. Hier weisen alle Indizien in Uchiha-sans Richtung. Ich möchte Ihnen nahelegen, den Anklagepunkt des Mehrfachmordes fallen zu lassen. Offensichtlich wurde der Angeklagte ein bedauernswertes Opfer eines fatalen Justizirrtums—"

Sakura konnte Itachi ob dem Ausdruck 'bedauernswert' verhalten Schnauben hören.

"—aber entsinnen Sie sich eines Fakts, den niemand abstreiten kann: der Angeklagte war ein Jahrzehnt lang Mitglied eines gefährlichen Verbrecherrings. Und das kann man nicht auf korrupte juristische Persönlichkeiten zurückführen, denn es war sein freier, eigener Wille, der ihn aus Bequemlichkeit zu Akatsuki führte. Kein Anhänger dieser Gruppe ist frei von Schuld, dieser ist es ebenso wenig. Rein rechtlich trifft den Angeklagten keine Schuld für die Wirren der Uchiha-Affäre; ebenso rein rechtlich jedoch müssen wir seine nähere Vergangenheit betrachten, die uns in allen anderen Anklagepunkten vorliegt. Wir bemitleiden den Angeklagten, weil das seine ein schlimmes Schicksal war, doch vergessen wir unter unserem Mitgefühl für ihn und seinen Bruder nicht unser juristisches System. Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem es bedingungslose Gesetzte gibt. Auge um Auge ist nicht das Prinzip, nach denen unser Staat funktioniert. Wenn Unwissenheit nicht vor Strafe schützt, sollte Leid nicht anderes Leid legitimieren. Ich bitte Sie also eingehend, sich bei der Entscheidungsfindung vor allem eines zu fragen: hat der Angeklagte bloß wegen eines Schicksalsschlages das Privileg, für all seine Verbrechen ungeschoren davon zu kommen? Überlegen Sie gut, entscheiden Sie weise. Japan zuliebe."

Temari atmete die Luft aus, mit der sie ihre Schultern während ihres Plädoyers im Plenum stramm gehalten hatte.

"Vielen Dank", schloss sie ab.

"Die Verteidigung hat das Wort", wies Yoshioka an, womit er den letzten Teil des Prozesses einläutete. Hinata bewunderte das Schlussplädoyer ihrer Gegnerin in stiller Irritation. Wieso auch immer diese am Ende eingelenkt hatte, sie würde es sich zunutze machen und die Vorlage auf die Spitze treiben.

"Vielen Dank, Euer Ehren", sagte sie, rückte ihre Bluse zurecht und trat nicht minder gestikulativ vor die Jury. "Die Frau Staatsanwältin bestand zu Anfang des Prozesses auf harte Fakten. Aber wo sind sie? Wo ist der eindeutige Beweis, dass Uchiha Itachi seine Familie getötet hat? Wo ist der Beweis, dass er dafür bezahlt wurde? Wo ist auch nur irgendein Beweis, dass er etwas Unrechtes in diesen Belangen getan hat? Nun, da sie erkennen musste, dass es keinen einzigen Beweis für die Schuld meines Mandanten gibt, versucht sie mit widersinnigen Metaphern in eine juristische Grauzone zu führen. War er Mitglied von Akatsuki? Ja.

Ist die nicht vertraglich festgehaltene Zugehörigkeit zu einer Gruppierung strafbar? Nein.

Kann man ihm auch nur ein einziges Verbrechen nachweisen, das von Akatsuki ausgeführt wurde? Die Antwort lautet, wenig überraschend, ebenfalls nein. Mein Mandant wurde hinters Licht geführt, betrogen von einem langjährigen Freund seiner Familie, deren Tod er mit ansehen musste. Er wurde Opfer eines korrupten Richters, der beweiskräftig nicht davor zurückschreckt, Attentätergruppen zu engagieren, um unangenehme Hindernisse aus dem Weg zu schaffen. Dafür, meine Damen und Herren, gibt es Beweise. Nicht dafür, was in der Anklageschrift steht.

Ich möchte Ihnen einen Rat geben: hören Sie auf die Stimme Ihres Herzens. Auf Ihr Gewissen. Stellen Sie sich vor, sie stünden einer Übermacht entgegen, die Sie in die Enge treibt. Mein Mandant floh in eine Verbrechergruppe, um sich selbst und seinen Bruder, seinen letzten lebenden Verwandten, zu beschützen. Er wurde in eine Ecke getrieben, stand mit dem Rücken zur Wand und tat, was nötig war, um zu überleben. Alles, was er jemals verbrochen hatte, geschah aus Notwehr gegen jenes Rechtssystem, das heute akzeptieren sollte, dass wir alle getäuscht wurden: denn Uchiha Itachi ist kein wahnsinniger Massenmörder. Er ist ein liebevoller Mensch, der das Wohl seiner Familie über sein eigenes stellt. Berücksichtigen Sie seinen guten Willen, mit dem er sich der Polizei stellte, obgleich er sich der Möglichkeit bewusst ist, zu Unrecht verurteilt zu werden, bloß um endlich Klarheit zu schaffen. Diese Ehrlichkeit darf nicht mit Schuldspruch bestraft werden."

Sie konnte sehen, wie die Gehirnwindungen der Geschworenen ratterten. Wie sie haderten mit ihrem Gewissen und ihren Präferenzen; hin und hergerissen zwischen dem, was die Staatsanwaltschaft sagte—was durchaus rechtens war—und den Aspekten der Rechtsanwaltschaft.

"Die Jury zieht sich zur Beratung zurück."
 

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Hinata wusste nicht, wieso sie zwei Tage nachdem sich die Jury zurückgezogen hatte, so glücklich war. Das Plädoyer ihrer Gegnerin war milde ausgefallen, weswegen sie unsagbare Dankbarkeit empfand. Sie nippte zufrieden an dem Kaffee in der Mensa des Gerichtsgebäudes. Die letzten Wochen waren nervenaufreibender gewesen als alles, was sie zuvor erlebt hatte. Die Anspannung, die sie noch empfand, war das Überbleibsel nagender Ungewissheit, wie die Jury ihr Urteil fällen würde. Noch war nichts gewonnen. Dennoch kam sie nicht umhin, äußerst angetan zu sein von ihrer Leistung, mit der sie durch besetztes Gewässer manövriert hatte.

"Planst du deine Party, Hinata-san?" Es war Temari, die sich mit einem doppelten Espresso im Take Away-Becher ihr gegenüber an den Zweiertisch setzte. In ihrer Frage schwebte eine leichte Spitze, die Hinata wohlweißlich ignorierte.

"Schon möglich", gab sie nonchalant zurück, nicht ohne das Kinn nach vorne zu recken. Sie schüttelte den Kopf. Dies war kein Kindergarten. "Ich möchte mich bei dir bedanken, Temari-san."

Temari hob überrascht ihre Augenbrauen. "Wieso das?"

Als Antwort lächelte sie gütig. "Du hättest beide meiner Zeugen in der Luft zerpflücken können. Stattdessen hast du eingelenkt. Das war edel und selbstlos von dir und, wenn ich ehrlich bin, hätte ich derartiges nicht von dir erwartet. Ich bin froh, gegen dich angetreten zu sein."

"Sprich noch keine Grabrede auf meine Anklage", zischte Temari nicht minder lächelnd. "Nur damit du es weißt, Hyūga, wenn ich gewollt hätte, hätte ich mit meiner Zeugenbefragung den Fall komplett umdrehen können. Aber ich … weißt du, ich nahm diesen Fall des Prestiges wegen an. Einen seit einem Jahrzehnt gesuchten Massenmörder endlich hinter Gitter zu bringen und im selben Aufwisch auch noch halb Akatsuki einzusacken, hätte mich direkt zur Obersten Staatsanwältin befördert. Ich wollte gewinnen, um mich selbst zu bereichern. Und das hätte ich ohne Skrupel getan, wenn mich die Scheinwerfer der Kameras nicht geblendet hätten."

"Niemand möchte in der Öffentlichkeit schlecht dastehen. Du hast einen Unschuldigen nicht verdammt, bloß weil du befördert werden wolltest. Das macht eine hervorragende Staatsanwältin doch aus, oder? Der Drang, Gerechtigkeit walten zu lassen."

"Ja, ja, spar dir die Hymne für unser nächstes Duell. Zwei Akatsuki und Danzō Shimura sind ein sehr viel besserer Fang als Uchiha Itachi." Temari trank ihren Espresso aus, knüllte den Becher zusammen und schultere ihre Ledertasche. "Noch ist die Entscheidung der Jury nicht gefallen. Ich bin gespannt, zu welchem Entschluss sie kommt. Wollen wir? Die Urteilsverkündung beginnt in zehn Minuten."
 

.

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Der Gerichtssaal war, sofern es möglich war, noch gefüllter als sonst. Sakura saß in der ersten Reihe, dicht hinter Itachi, der sich weigerte, sie anzusehen. Als Vorsichtsmaßnahme, wie er ihr zugeflüstert hatte. Sie hatte die letzten beiden Tage zusammen mit Naruto, Sasuke und ihren anderen Freunden damit totgeschlagen, Hidden Leafs Hauptquartier zu räumen. Shikamaru hatte Tsunade nur schwer überreden können, auszusagen. Die Konsequenz, derer sich alle bewusst gewesen waren, war, dass Hidden Leaf aufgelöst werden musste. Es war zu riskant, weiterhin aus ihrem Versteck zu operieren, nun, da alle wussten, dass sie existierten. Sakura weinte ihrer 'Familie' keine Träne nach. Hidden Leaf würde sich nie ganz auflösen, dafür würde Tsunade schon sorgen. Sie würden weitermachen, irgendwo in einem anderen Bezirk. Ohne Sakura. Ohne Naruto. Ohne Sasuke. Sie konnten nicht bereuen, Mitglieder dieser Gruppe gewesen zu sein, nichtsdestoweniger war es schwer, nach derartigen Erlebnissen einfach weiterzumachen. Sasuke hatte bereits vor zwei Jahren akzeptiert, dass man diesen Job nicht ewig machen konnte. Er hatte sich mit dem Verlassen von Hidden Leaf freigemacht von dem Tod und Sterben, das sie praktizieren, um endlich ein Leben zu beginnen. Sakura und Naruto hatten länger gebraucht, aber sie waren endlich angekommen.

Der Richter betrat den Saal und alles erhob sich. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, als der gewählte Sprecher der Jury sich von Yoshioka angesprochen fand.

"Wie befinden die Geschworenen den Angeklagten?"

Er sah sympathisch aus, der glattrasierte, braunhaarige Mann, der ein sportliches Sakko trug. "Die Jury befindet den Angeklagten, Uchiha Itachi, in den Anklagepunkten Eins, Steuerhinterziehung in sieben schweren Fällen, Punkt Zwei A, Mittäterschaft bei Entführung in vier Fällen und Punkt Zwei B, Erpressung zweiten Grades in zwei schweren und einem minderschweren Fall für nicht schuldig. Des weiteren befindet die Jury den Angeklagten im Anklagepunkt Drei, Behinderung der Justiz, für schuldig. Außerdem beantragen wir, den Anklagepunkt Vier, Mehrfachmord, nachträglich in Grobe Fahrlässigkeit mit Tötungsfolge zu ändern."

"Stattgegeben. Gerichtsschreiber, nehmen die Änderung im Protokoll auf."

"Die Jury befindet den Angeklagten im Anklagepunkt Vier, grobe Fahrlässigkeit mit Tötungsfolge, für schuldig."

Sakura wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Erleichtert? Wohl kaum. Tötungsfolge war nicht weniger schlimm als Mord. Die Strafen dafür bewegten sich in etwa in derselben Spannweite. Sie spürte eine taube Ohnmacht in sich hochklettern, als der Sprecher der Jury fortfuhr.

"Die Jury möchte gerne einen Vorschlag für das zu verhängende Strafmaß abgeben. Wir schlagen dem Gericht vor, die Strafe für Fahrlässigkeit im Sinne von Fahrerflucht im mittelschweren Fall zu verhängen. Wir fühlen mit dem Angeklagten, der Schlimmes erleben musste, und eine Hölle durchlebte, die sich niemand vorstellen kann. Dennoch ist die Jury der Meinung, dass der Angeklagte vor neun Jahren eine Wahl hatte. Nämlich, sich auf dieselbe Gefahr wie heute hin zu stellen, oder zu fliehen. Er entschied sich für letzteres. Der Angeklagte brauchte neun Jahre, um diese Entscheidung zu revidieren und selbst wenn ihm kein Verbrechen von Akatsuki explizit nachzuweisen ist, sehen wir keine Notwendigkeit, sich in einer solchen Situation einem Verbrecherring anzuschließen. In die Ecke gedrängt oder nicht, der Angeklagte traf falsche Entscheidungen, die weitreichende Folgen hatten. Wir berücksichtigen jedoch die speziellen Umstände, die zu diesem Verhalten führten. Deshalb empfehlen wir dem Gericht, sich auf die Mindeststrafe von achtzehn Monaten zu einigen."

"Vielen Dank für diese Empfehlung, der ich gerne nachkommen werde, sofern niemand etwas dagegen hat. Liebe Kollegen?" Keiner seiner Beisitzer machte Anstände, zu widersprechen. "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: der Angeklagte wird die nächsten achtzehn Monate in der Justizvollzugsanstalt Kobe in Ōsaka verbringen. Bevor Sie diesen Gerichtssaal verlassen, Uchiha-san", fügte er hinzu, ehe erregtes Stimmengewirr anbrechen konnte, "möchte ich sichergehen, dass Sie wissen, wie viel Glück Sie hatten. Nicht viele Anwältinnen hätten den Mut gehabt, ohne Beweise eine Anklage zu stellen und dieser mit nicht minder vielen Beweisen entgegenzutreten und das Gericht derart zu veschaukeln. Der Druck von außen und die eigenwillige Beweisführung Ihrer sonderbaren Verteidigerin, deren Fachgebiet nicht einmal in Strafverfahren liegt, hat dazu geführt, dass heute Gnade vor Recht erging. Juristisch gesehen hätte ich die Möglichkeit, Sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter zu bringen. Doch ich schließe mich der Jury an. Sie mussten Dinge erleben, die nicht außenvorgelassen werden können. Erschwerend hinzu kommt, dass scheinbar ein ehemaliger Richter unserer Reihen zu diesem Eklat geführt hat. Es wäre falsch, Sie für etwas büßen zu lassen, das einer meiner Kollegen verbrochen hat. Ich belange Sie heute wegen fahrlässiger Entscheidungen, die leicht hätten schlimmer ausgehen können. Sitzen Sie Ihre achtzehn Monate geduldig ab, danach steht es Ihnen frei, ein neues Leben zu beginnen. Ich nehme an, die Verteidigung verzichtet darauf, Berufung einlegen?"

"Ja, Euer Ehren."

"Dann erkläre ich das Urteil für rechtskräftig. Der Angeklagte wird für die nächsten anderthalb Jahre in die Strafvollzuganstalt überstellt. Ich wünsche Ihnen alles Gute, Uchiha-san. Welcher Schutzengel auch immer während dieses Prozesses über Sie gewacht hat, behalten Sie ihn lieber."
 

.

.

Sakura begann zu weinen. Vor Freude, vor Erleichterung, vor Ungläubigkeit, und weil sie sich durch die vollbesetzten Bänke schob, das Geländer umrundete und Itachis Arme sich um ihren Oberkörper einfach nur wunderbar waren. Ein Reporter machte ein Foto, als sie ihn küsste, doch es war ihr egal. Sie war überglücklich. Sie hatten gewonnen! Sie hatten Recht gebracht, zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Sakura mit ihren Kollegen—egal ob bei der U.S. Marine oder Hidden Leaf—einem Unschuldigen geholfen! Mehr oder weniger unschuldig zumindest. Rein rechtlich war Itachi verurteilt worden; er würde seine Strafe absitzen. In Wahrheit jedoch war dies eine kleine formelle Rüge und eine Entschuldigung für die Dreistigkeit eines bestimmten Senators.

"Ich komme dich jeden Tag besuchen", rief Sakura über den lärmenden Applaus hinweg, unter dem sich sämtliche Reporter an irgendwelche Anwesenden hefteten, um ein quotenbringendes Interview zu bekommen.

"Untersteh' dich, auf mich zu warten, Sakura. Du sollst diese Monate nicht verschwenden", verbot Itachi ihr streng. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, was seinen Befehl nicht unbedingt glaubwürdiger machte. Sie schüttelte den Kopf und legte die Hände um seinen Nacken.

"Keine Sorge, ich werde nicht auf deine Freilassung warten, Itachi. Ich werde auf den Mann warten, dem mein Herz gehört. Ob es nun der ist, der die nächsten achtzehn Monate im Gefängnis sitzt", sie zuckte nonchalant die Schultern, "oder vielleicht ein anderer."

"Und du sagst, ich ruiniere Momente." Tadelnd küsste er ihre Nasenspitze. "Halbtreue ist kein schönes Ende für eine Geschichte."

"Natürlich nicht. Das hier ist auch noch lange nicht das Ende."

Er verdrehte die Augen. "Das war abgedroschen. Ich hätte eine hübsche kleine Pokermetapher erwartet."

"Aber ich ruiniere diesmal den Moment, ja?", fragte sie sarkastisch, ehe sie verzeihend lächelte. "Ich werde mir in den nächsten achtzehn Monaten eine meiner hübschen kleinen Pokermetaphern überlegen."

"Ich freue mich schon darauf."
 

.

.

Achtzehn Monate später

Sakura war nervös. Sie hatte für diesen Tag ein überteuertes Kleid gekauft, das ihm nicht auffallen würde, neue Ohrringe angelegt, die man unter ihren inzwischen langen Haaren nicht sah, und dezentes Make-Up aufgelegt, das er erst recht nicht bemerkten würde. Sakura hatte ihre Erscheinung an Sasuke erprobt, der sie vor einer halben Stunde abgeholt hatte, um mit ihr nach Akashi zu fahren, wo die Strafvollzugsanstalt Kobe heute ihre Tore öffnen würde. Natürlich war Itachi anders als sein kleiner Bruder, doch wenn es um Schmuck und Kleider ging, konnte man alle Männer über einen Kamm scheren. Um ehrlich zu bleiben, hatte sie es auch nicht für ihn getan. Selbst ein Uchiha Itachi war mit seiner an Perfektion grenzenden Smartheit nicht vor dem rauen Klima hinter Gittern gefeit.

Es war ein schönes Tag, um ein neues Leben zu beginnen. Die Augustsonne brannte auf den aufgeheizten Beton des Parkplatzes, auf dem die schäbigen Autos der Angestellten des Gefängnisses brieten. Der Himmel war klar, die Luft warm und Sakura nestelte seit geraumer Zeit am Zippverschluss ihrer Handtasche.

"Wo bleibt er denn so lange?", brummte Sasuke missmutig. Er lehnte mit in den Hosensäcken versenkten Händen an der Fahrertür, von wo aus er Sakura einen ungeduldigen Blick zuwarf. Sie strich nervös die Falten ihres blauen Sommerkleides glatt.

"Er kommt nicht von einem Urlaub auf den Kanaren zurück, Sasuke", erklärte sie, als wisse er nicht, dass sein Bruder seit achtzehn Monaten eine Strafe verbüßte, die viel schlimmer hätte ausfallen können. Was waren schon achtzehn Monate? Sakura hatte diese Zeit gebraucht, um sich über Dinge ihres Lebens klarzuwerden. Nach Wochen des Zauderns hatte sie einen Fragebogen ausgefüllt, um sich an der Schwesternschule zu bewerben. Sie schwänzte den Unterricht heute. Als Klassenbeste konnte sie es sich leisten.

"Hm. Ich verstehe nicht, wieso uns Naruto seinen Sohn nicht leihen wollte. Ich hätte zu gerne Itachis Gesicht gesehen, wenn du mit einem Baby in den Armen aufgetaucht wärst."

"Sasuke!"

Er hob abwehrend die Hände. "Was denn? Sag bloß, ihr habt die ehelichen Besuchszeiten nicht zum—"

"Sasuke!", schnitt sie ihm das aufkommende Wort ab. Errötet fuhr sie sich durch die Haare. "Ich habe nicht vor, mit dir über Dinge zu sprechen, die nur deinen Bruder und mich etwas angehen."

Er stieß sich von der Autotür ab und nahm seine Sonnenbrille ab, damit sie seinen überraschten Ausdruck sehen konnte. "Also habt ihr's doch schon getan! Ich wusste, dass du nicht so unschuldig bist wie du—nein, warte ...", unterbrach er sich selbst kopfschüttelnd. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als ein Bild durch seinen Kopf zuckte. "… so genau will ich es nicht wissen. Ich hätte keine Probleme, mir dich nackt vorzustellen, aber Itachi … lieber nicht."

"Sasuke?", fragte sie lieblich, ehe sich ihr Gesichtsausdruck verfinsterte. "Du bist widerlich."

"Ich kann es mir leisten."

Ungelogen. Shimura Danzō war vier Monate nach Itachis Prozess zu mehreren lebenslangen Gefängnisstrafen in einer gesonderten Einrichtung verurteilt worden. Die Schadensersatzklage, die Sasuke gestellt hatte, hatte er haushoch gewonnen. Mit dem Geld, das er bekommen hatte, brauchte er nie wieder einen Finger zu rühren. Er hatte es verdient. Dies war zumindest die heutige allgemeine Meinung. Etliche Monate zuvor hatten Sakura und Naruto ihren nunmehr steinreichen Freund so lange als Verräter und Schnorrer bezeichnet, bis er ihnen als Bestechung ein neues Auto und einen Diamantring—mindestens zwölf Karat, Weißgold, aber wer wollte kleinlich sein?—angeboten hatte. Pro Kopf. Es war ein wohlgehütetes Geheimnis, weil Sakura sich im Nachhinein zumindest ein bisschen für ihre Schamlosigkeit schämte und Naruto den Tag, an dem er Hinata gestand, dass ihr Ehering von Sasuke finanziert worden war, nicht überleben würde.

"Schau." Er deutete auf eine schemenhafte Gestalt, die sich hinter den drei Sicherheitsglastüren an ein Pult gelehnt hatte. Sie gab jemandem die Hand, dann ertönte eine leise Sirene und die erste Türe öffnete sich in quälender Langsamkeit. Es dauerte viel zu lange, bis sich die letzte Barriere geöffnet hatte, und die Gestalt endlich klar wurde.

"Er ist da", hauchte Sakura. Sie warf Sasuke einen fragenden Blick zu, den er lächelnd erwiderte.

"Geh' schon, bevor du implodierst. Ich bin nur der kleine Bruder, ich kann warten."

"Danke, Sasuke. Für alles."

Sie ließ seine Hand los, die sie leicht gedrückt hatte, drehte am Absatz ihrer Sohlen um und lief. Zweifel, Angst, Bangen, alles war verschwunden, als er sie mit ausgebreiteten Armen empfing, in die Luft wirbelte und zu einem langen Kuss nach unten zog.

Ach ja, da war ja noch die Pokermetapher.

Sie hatten den Table gemeinsam verlassen und sich an einen anderen Tisch gesetzt, um ein neues Blatt zu erhalten. Diesmal würden die Stakes kein Falschgeld sein, sondern hart erarbeitete Ehrlichkeit, die ihnen ermöglichte, die nächste Runde mit einem Lächeln auf den Lippen zu beginnen. Die neue Chance, die ihnen gegeben wurde, würden sie nicht mit gezinkten Karten verspielen.
 

.

.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
(...) und die Ergebnisse einer neuen sozialanalytischen Studie, laut der achtundsechzig Prozent aller Männer fremdgingen - ein Umstand, den Uchiha als unglaubwürdig bestritt. Sie hasste sich dafür. Das hieß, sie hasste sich dafür, dass sie sich nicht dafür hasste. Ah, diese diffuse Konfusion! Sie fühlte sich wie ein von einem Kadabra angegriffenes Pokémon! Aber nicht etwa eines dieser hässlichen neuen Pokémon der neuen Editionen; nein! Ein schönes, altbewährtes Evoli zum Beispiel, das wäre doch etwas! Seit wann sprach sie in Pokémon-Metaphern? Sakura verdrehte die Augen. Dies war der Zeitpunkt, an dem die Autorin beschloss, diese Textstelle eher nicht zu behalten. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
(Sasuke) "Wo warst du?"
(Sakura) "In welchem deiner vielen, verstörenden Universen bin ich dir seit neuestem Rechenschaft schuldig?"

(Sasuke) "In keinem, aber ich habe heute Morgen Pfannkuchen gegessen. Meine Mutter sagte immer, nimm den Bleistift, nicht den Buntstift, aber - ehrlich, wie kann er die Hochhäuser unter den Pflanzendecken nicht sehen? - der Himmel ist doch so gelb wie letztes Jahr im Frühling, verstehst du? Das sind die Möwen, die darauf sitzen und in der letzten Runde hat sie auch endlich begriffen, dass sie's sich verscherzt hat. Immerhin hat sie den Dornenbusch schon gestern gegossen und wenn du mich fragst, hatte die gestrige Zeitung auch überhaupt nichts mit der heutigen zu tun. Übrigens, wusstest du, dass ich keine Ahnung von Monopoly habe?"
(Sakura) "Dafuq? Wie kann man keine Ahnung von Monopoly haben?"
(Five) "Brain ... wtf?!" Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Eine kleine Zusammenfassung der Uchiha-Affäre:

1. Die Uchihas schieben einer korrupten Politikerin Drogen unter, sodass der bereits gelöste Fall Uchiha Fugaku zufällt, der seiner Karriere förderlich ist. Die Drogen erlangten sie über den Senator Eisaku.
2. Senator Eisakus Ziel war es, diesen Skandal (ohne seine Mittäterschaft) am Zenit von Fugakus Macht auffliegen zu lassen, um mit dieser Leistung den damaligen Wahlkampf zu gewinnen. Um Fugaku zum Polizeipräsdienten zu machen, den er stürzen konnte, brauchte er die Empfehlung eines Richters des Obersten Gerichtshofs.
3. Richter Shimura sollte diese Empfehlung schreiben und Senator Eisaku im Rechtsstreit gegen Fugaku unterstützen. Dazu bestach Senator Eisaku Richter Shimura mit privaten Ersparnissen.
4. Die Uchihas deckten diesen Plan rechtzeitig auf und spielte Richter Shimura Geld und Beweise zu, mit denen er Senator Eisaku zu Fall bringen sollte.
5. Richter Shimura nahm die Gelder beider Parteien ohne ihren Wünschen nachzukommen. Als die Uchihas davon erfuhren, froren sie die Gelder ein. Richter Shimura war somit mittellos, verbündete sich aufgrund dessen jedoch mit Senator Eisaku, um das Geld wiederzuerlangen. Dafür mussten die Uchihas sterben.
6. Richter Shimura engagierte die Hitman Gruppe Oto und versprach ihnen für den Tod aller Uchihas einen großen Anteil des dadurch freiwerdenden Geldes. Um diesen nicht auszahlen zu müssen, spielte Richter Shimura Itachi Indizien zu, aufgrund derer Itachi sich und Sasuke vorsichtshalber vom Haupthaus fernhielt, auf das der Anschlag verübt wurde.
7. Itachi wusste um alle Punkte dieses Spiels, weswegen er untertauchte, um nicht ermordet zu werden. Durch seinen Beitritt zu Akatsuki wurde er zu einer Bedrohung für Orochimaru und Richter Shimura, die Sasuke dadurch nicht umbringen konnten. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dass Itachi die Umarmung auf diese Worte hin auflöste, brachte Unbehagen in ihr auf. Seine Hände, die ihr Gesicht anschließend in sich nahmen, entschädigte sie dafür. "Wenn uns die Gesellschaft nicht haben will und kein Mensch uns lieben kann, bleibt uns wohl nur die Seeräuberei."
Sie wollte nicht lachen, aber der Gedanke von Itachi in Strumpfhosen und einem Papagei auf den Schultern war zu komisch und ließ sie singen.
(Sakura) "Racing all around the seven seas / Chasing all the girls and making robberies / 'Causing panic everywhere they go / Party-hardy on Titanic …" Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
(Itachi) "Versteht mich nicht falsch. Ich bin euch dankbar für eure Mühen. Aber für meinen Geschmack kommt das Wort 'Opfer' darin viel zu oft vor. Ich bin kein Opfer eines korrupten Rechtssystems, sondern ein Mann, dessen Leben von einem ehrgeizigen Verrücken sabotiert wurde. Ich werde meinen nackten Hinter nicht der Öffentlichkeit preisgeben und auf die Tränendrüse drücken, bloß um Absolution zu erhalten, die ich nicht verdient habe."
(Sakura) "Ich würde aber gerne deinen nackten Hintern sehen. *.*"
(Itachi) "o.O Das kannst du doch nicht einfach so in den Raum werfen, verdammt!"
(Sakura) "Just sayin'…"
(Five nickt begeistert) "Also hier hätte niemand was dagegen, nur so mal by the way..." Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
"Hinata-chan, jeder ist bei Facebook."
"Ich nicht!"

(Naruto) "Ernsthaft? Wer ist dann diese Hina H., mit der ich die ganze Zeit unanständige Sachen schreibe?—Oh. shit. Darum hast du also so überreagiert, als ich dich mit dieser Sache mit diesem Ding und du weißt schon überraschen wollte!"
(Hinata) "Oh. mein. Gott! @.@"

"Ich", bekräftigte Hinata entschieden, "würde lieber den Mund halten, wenn ich keine Beweise vorzubringen habe. Dieser Aufstand wurde über ein soziales Netzwerk organisiert, bei dem ich nicht einmal angemeldet bin."
(Temari) "Wie jetzt, du bist nicht bei Facebook? Wie kann man nicht bei Facebook sein?"
(Hinata) "Nicht du auch noch!" Komplett anzeigen

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Von:  Shyla_Uchiha
2021-06-06T13:36:28+00:00 06.06.2021 15:36
Eigentlich lese ich nur SasukexSakura fanfics... doch auf diese bin ich schon vor ein paar Jahren gestoßen und sie hat sich da schon intetessant angehört. Jetzt bin ich gerade fertig geworden und muss sagen, dass es eine tolle ff und definitiv mal was anderes war :)

Ich hatte etwas Angst, dass du Sasuke zum Eifersüchtigen mutieten lässt, da Sakura sich Itachi zuwendet, wurde zum Glück aber enttäuscht. Mir hätte es sogar gefallen, wenn aus Karin und ihm noch etwas geworden wäre, aber das wäre wohl etwas sehr abwegig gewesen.
Ich fand zwar, dass Sakura Itachi etwas zu leichtgläubig geglaubt hat, aber was tut man nicht alles wenn man verliebt ist.
Hinatas Rolle hat mir auch sehr gut gefallen - nicht die schüchterne Rolle, in die sie sonst gesteckt wird.

Dein Schreibstil ist Klasse, du beschreibst genau richtig und nicht zu viel. Dein Text lässt sich flüssig lesen. Und sich so etwas komplexes erstmal auszudenken...

Danke für die tolle Geschichte!
Antwort von:  4FIVE
07.06.2021 20:31
Hallo Shyla_Uchiha!

Oh wow, ich weiß gar nicht, wie ich mich damit fühlen soll, dass diese fanfic nach all den Jahren immer noch gelesen wird. :D Sie ist in Anbetracht ihres Alters (und meines Alters, als ich sie geschrieben hab) im Vergleich zu meinen aktuelleren Sachen auf jeden Fall vergleichsweise trashig und wenig durchdacht, aber umso mehr freu ich mich, dass ich damit immer noch jemandem ein paar schöne Lesestunden bescheren kann. :)

Viele Dank für's Lesen und Kommentieren! Es ist für Autoren ja immer was ganz Besonderes, wenn man auch zu abgeschlossenen, alten Sachen noch die Bestätigung bekommt, dass sie jemandem was bringen und nicht einfach vergessen irgendwo verstauben. <3

Liebe Grüße,
4FIVE
Von:  sama-chan
2019-05-28T19:49:28+00:00 28.05.2019 21:49
Was für eine tolle Geschichte!
Der Gerichtsprozess war wirklich nervenaufreibend! Ich konnte die Story nicht aus der Hand legen!
Vielen Dank für die spannenden Stunden! 😍
Von:  _Acchan_
2019-04-11T17:53:31+00:00 11.04.2019 19:53
Hey hey :)
 
Ich hab anlässlich deines Updates die FF nochmal gelesen und konnte sie nicht aus der Hand legen.
Meinst du, du hättest Motivation für eine Fortsetzung? :)
Antwort von:  4FIVE
11.04.2019 20:52
Hallo Acchan,
Vielen Dank für den Kommentar! Es freut mich, dass TST auch nach Jahren immer noch begeistert.

Eine Fortsetzung steht zumindest aktuell noch nicht am Plan, aber ich werde TST vermutlich überarbeiten, sobald ich mit der Überarbeitung von Evenfall fertig bin. Ob danach eine Fortsetzung kommt, wird man sehen.

Liebe Grüße,
Five
Antwort von:  _Acchan_
11.04.2019 20:55
das wäre super :) ich bin gespannt, ob was kommt
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-01T11:44:42+00:00 01.04.2019 13:44
Wahnsinn, ich habe diese FF total gerne gelesen, obwohl ich an manchen Stellen (gerade wenn es um die politische Seite oder aber auch die Verhandlungen im Gerichtssaal ging) dachte, dass diese Szenen einfach nur trocken wären, hast du es geschafft das ich diese mit Begeisterung gelesen habe. Ohne eine Gedanken daran zu verschwenden, das ganze zu überspringen. Sehr schöne FF, egal wie alt sie ist. :) Danke das ich daran teilhaben durfte! *.*
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-01T02:04:24+00:00 01.04.2019 04:04
Okay doch nicht Sasuke... Endlich gibt es mal ein Itasaku Kapitel, ohne großen Anhang... Allerdings wird es immer komplizierter, weil sich nun scheinbar doch viele einmischen um Akatsuki auszuschalten.
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-01T01:31:06+00:00 01.04.2019 03:31
Na da spielt wohl Sasuke schon die ganze Zeit ein falsches Spiel mit seinen 'Freunden'...
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-01T01:04:49+00:00 01.04.2019 03:04
Karin und Sasuke... Was soll ich dazu sagen... Ich mag die beiden zusammen irgendwie nicht, auch wenn Karin in der FF anders vom Charakter ist... Beim mir gibt es nur Sasusaku, zu wem anders passt er einfach nicht. Ich bin gespannt auf die Erklärung, wie sie alle dort hinkamen, denn im ersten Kapitel wurde gesagt, dass sie alle keine Wahl hatten, aber Naruto und Sai gelernt haben, sich damit zu arrangieren, im Gegensatz zu Sakura.
Und warum gibt es denn keine Itasaku Szene, ich bin ja voll sprachlos. ^.^
Von:  Cosmoschoco1209
2019-03-31T20:47:06+00:00 31.03.2019 22:47
Du zeigst, dass es nicht viele Wörter und Sätze Bedarf, um jetzt schon Spannung aufzubauen und man sich nun unwillkürlich die Fragen stellen muss: Warum? Wieso? Weshalb?
Ich habe Appetit auf mehr bekommen und will wissen was vorgefallen ist und noch vorfallen wird. Ein sehr schöner Prolog! Und das obwohl nur eine Szene dargestellt wird. :)
Von:  Desiree92
2018-04-07T14:02:45+00:00 07.04.2018 16:02
Sehr schöne und spannende Geschichte. Ich hätte mich über mehr Romantik zwischen Itachi und Sakura gewünscht. Die FF hat sich sehr schön lesen lassen und war sehr spannend. 🤗☺️
Von:  Cosplay-Girl91
2014-04-25T18:25:17+00:00 25.04.2014 20:25
Die FF ist der absolute Hammer. Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Fortsetzung. :)
LG


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