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Wie Nadeln

Der Weg zurück
von

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Er rannte und rannte. Rannte so schnell ihn seine Beine trugen. Rutschte über den metallbeschlagenen Untergrund, wich wie ein Slalomläufer den Säulen aus, die seinen Weg säumten, ließ das offen stehende Tor nicht aus den angstgeweiteten Augen.

Denn die „Säulen“ waren nicht das, was man sich gemeinhin unter diesem Begriff vorzustellen vermag, nein, eigentlich ist „Säule“ ein völlig falsches Wort für einen fleischigen, beharrten Stamm, durchströmt von Kraft und Leben. Was um ihn her stand waren Beine.

Einige grau und dick, manch andere schwarz und schlank, doch allesamt zum Ende hin spitz zulaufend wie überdimensionale Nadeln. So standen sie einzeln oder aneinandergereiht, leicht im Takt des Atems wippend oder regungslos.

Er, das kleine zarte Menschlein unter all' den massigen Leibern, konnte nicht einmal sagen, wie viele der Beine zu je einer der Kreaturen gehörten, sie blieben für ihn ein Wald aus durchbluteten Bäumen zu deren Wipfeln er sich kaum aufzuschauen wagte.

Vielleicht konnte er ihrer Aufmerksamkeit entgehen, wenn er so schnell lief wie sein Herz schlug. Oder aber, wenn er sich am Zaun entlang an ihnen vorüber schlich. Doch war er von diesem meilenweit entfernt. Also doch rennen. Immer weiter rennen.

Nicht mehr lange. Nicht mehr lange und er würde sich übergeben müssen. Vor Angst. Und Überanstrengung und weil sein Körper einen Sprint direkt nach der Mahlzeit nicht protestlos über sich ergehen ließ. Dabei war gerade das Essen doch der einzige Grund für ihn gewesen, die heimatliche Wärme für wenige Stunden hinter sich zu lassen. Und nun? Stach es ihm in den Seiten, den Lungen, dem Magen und beim Gedanken an Zuhause auch tief im Herzen.

Wäre er nur daheim geblieben, hungernd, aber durch ein Dach vor fremder Aufmerksamkeit geschützt. Was konnten diese Kreaturen dagegen haben, dass er nach Hause wollte?

Heiser dröhnte ihm sein Keuchen in den Ohren und plötzlich war ihm, als bewegten sich nicht nur seine eigenen Beine.

Tatsächlich! Die Säulen hoben sich, dass sie den metallenen Boden nicht mehr berührten, schabten über den Untergrund, wichen vor ihm, der im Gegensatz zu ihnen so schwach und zerbrechlich wie eine Fee war, zurück. So weit, dass auch sein verwirrt umherhuschender Blick sie nicht mehr erreichen konnte. Doch die weite leere Fläche, die sich plötzlich um ihn her aufgetan hatte, beunruhigte ihn noch mehr als es die Nähe zu den Fleischstämmen zuvor getan hatte.

Der Lärm schabender Nadeln hatte ihn in Panik geraten lassen und in diesem Moment der Unachtsamkeit war das rettungsverheißende Tor aus seinem Blickfeld verschwunden.

Er blieb stehen. Nackt und bloß wie ein Wurm auf dem Asphalt stand er da, der Gefahr,die sich vor ihm verborgen hatte, schutzlos ausgeliefert.

Als seine Augen endlich das Tor wiedergefunden hatten, war es geschlossen.

Er konnte nicht mehr laufen, konnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. Gelähmt.

Und so still. Doch lag nicht etwas wie eine leichte Vibration in der Luft? Oder war das die Anspannung, die entsetzliche Gewissheit?

Nur mit Mühe schluckte er die aufwallende Übelkeit hinunter. Er wollte doch nur nach Hause.

Taumelnd tat er einen Schritt. Nach Hause. Er musste es schaffen. Menschen warteten dort auf ihn. Und selbst wenn das nicht so war, gab es doch dort seine Wohnung. Sein Bett. Seine Bücher. Die Pflanzen auf seinem Fensterbrett, um die er sich kümmern musste. Was würde mit ihnen geschehen, wenn er es nicht schaffte, weiterzulaufen? Was würde aus seiner Wohnung, seiner Heimat, an der sein ganzes Herz lag? Er musste es schaffen. Er musste nach Hause.

Die Füße hingen ihm wie bleierne Klumpen am Ende seines Körpers, doch ließen sie sich mit genügend Willenskraft vorwärts bewegen. Leicht schwankend ging er auf das Tor zu. Es musste nicht geschlossen bleiben. Vielleicht brauchte er nur zu warten. Oder gab es gar einen Weg, es selbst zu öffnen?

Er durfte sich vom Entsetzen nicht lähmen lassen, nicht noch ein Mal, egal wie quälend es ihm von innen gegen die Haut zu drücken schien. Er musste nach Hause.

Er zwang sich, schneller zu laufen. Nur bis zum Tor musste er kommen. Es würde einen Weg hindurch geben, irgendeinen würde es geben. Bis zum Tor. Und dann nach Hause.

Er verlor es nicht mehr aus den Augen. Ermahnte sein eigenes Herz immer wieder zur Ruhe. Unterdrückte jedes Zittern, jedes Rumoren seines Magens, ignorierte jeden Schmerz. Und bemerkte in seiner neu gefundenen Entschlossenheit nicht, wie sich ein kreisrunder Schatten an seine Fersen heftete. Mit bedrohlicher Mühelosigkeit schloss der Fleck immer wieder zu ihm auf, um sein Haupt in Dunkelheit zu hüllen. Erst als der Schatten begann, sich rasend schnell zu vergrößern, nahm er ihn wahr. Abrupt blieb er stehen und aufschauend konnte er noch für den Bruchteil einer Sekunde auf das nadelförmige Beinende starren, bevor es sich durch seine Stirn hindurch in seinen Körper rammte. Die Breite des Beins zerriss den viel zu kleinen Leib, er fiel auseinander und Blut und Gedärme liefen an der dicken Haut herab. Tot.

Der massige Leib der Kreatur bebte, als würde sie vor Ekel erschaudern. Und tatsächlich strich sie das besudelte Bein über den Erdboden, als versuchte sie es von den Überresten zu säubern.

Was sie unter sich sah, falls sie Augen besaß, war nur ein wenig Fleisch, Stoff und ein kleiner roter Fleck.

Nun da er nicht mehr rannte, näherten sich auch die vielen vielen Beine der anderen Kreaturen wieder. Erst tippelten sie ein wenig aufgeregt, doch dann standen sie so still wie zuvor. Säulenartig. Alle ein wenig entfernt von dem matschigen Häuflein in der Mitte, das sonst jedoch keine weitere Aufmerksamkeit erhielt. Warum auch? Jetzt, wo es regungslos war, störte es nicht mehr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2013-02-17T11:27:16+00:00 17.02.2013 12:27
ähm ... wouw! O_O
Echt super geschrieben. Man hat richtig mitgezittert.
Ich bin nur noch unschlüssig, ob ich es genial finde, daß am Ende so viele Fragen offen bleiben und es der eigenen Fantasie überlassen ist, was man nun davon hält. Einerseits finde ich es schon gut, das hinterlässt so einen Zwang zum Nachdenken und alles noch mal richtig auf sich wirken zu lassen. Aber ich wüsste trotzdem gern, was das nun für Dinger waren, denen die Beine gehört haben. ^^

Klasse Story!
Antwort von:  Phantalux
17.02.2013 19:05
Hey ho~
Mensch danke, hatte gar nicht so schnell mit Feedback zu der Geschichte gerechnet. =)
Ich sage mal so viel – es gab viele Dinge, die ich für diese Geschichte im Kopf für mich festgelegt habe, bei denen ich die Phantasie der Leser aber nicht einschränken wollte. Außerdem mag ich es mysteriös, Ungewissheit ist meiner Meinung nach „nervenaufreibender“ als eine gut erklärte Monströsität.
Zu den Kreaturen hatte ich z.B. eine bestimmte Tierart im Sinn, aber das sind sie eben nur in meinem Kopf. Vielleicht ist dir eine viel spannendere Erklärung eingefallen, was sie sind und von wo sie stammen könnten? Dann wäre jede Erklärung eine Enttäuschung gewesen. °_^


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